TE Vwgh Beschluss 2020/12/18 Ra 2020/20/0416

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Veröffentlicht am 18.12.2020
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Revisionssache des I M in L, vertreten durch Mag. Roman Tobeiner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Hagenberggasse 36, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2020, W105 2200780-1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 17. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Mit Bescheid vom 11. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 7. Oktober 2020, E 3153/2020-5, die Behandlung derselben ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5        Die in der Folge eingebrachte Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das angefochtene Erkenntnis stütze sich auf veraltete Länderberichte. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afghanistan und insbesondere nicht - unter Berücksichtigung der genannten Pandemie - mit der Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den hierfür durch das Gericht in Betracht gezogenen afghanischen Städten (darunter Mazar-e Sharif) auseinandergesetzt.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass für die Gewährung von subsidiärem Schutz die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (vgl. VwGH 24.1.2020, Ra 2020/18/0008, mwN). Bei der Frage, ob im Fall der Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, kommt es nicht darauf an, ob sich infolge von zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Herkunftsland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellt, solange die Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse weiterhin als gegeben anzunehmen ist (vgl. etwa VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0390, mwN).

10       Die Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine von der Asylbehörde und dem Verwaltungsgericht zu treffende Entscheidung im Einzelfall dar. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt nur vor, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (vgl. etwa VwGH 27.5.2020, 2020/01/0140, mwN).

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht genügt, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

12       Die Revision zeigt mit ihrem Vorbringen zur durch die Covid-19-Pandemie bewirkten schwierigeren wirtschaftlichen Lage in Afghanistan - die Revision verweist insbesondere auf die Schließung von Teehäusern und Hotels, die finanzielle Situation von Tagelöhnern sowie auf die wirtschaftlichen Folgen des (wie in der Zulässigkeitsbegründung beschrieben, Ende Mai 2020 in Mazar-e Sharif für die Dauer von zehn Tagen verhängten) „vollständigen Lockdowns“ - weder auf, dass in der soeben genannten Stadt solche exzeptionellen Umstände vorlägen, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte des Revisionswerbers bewirkten, noch dass dem gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber - ungeachtet der schwierigeren wirtschaftlichen Lage - eine Ansiedlung unter Berücksichtigung der aktuellen Lage dort nicht zumutbar wäre (vgl. zum Ganzen VwGH 3.9.2020, Ra 2020/19/0253, mwN; siehe ferner VwGH 21.10.2020, Ra 2020/19/0288; 5.10.2020, Ra 2020/19/0308 bis 0309; 23.6.2020, Ra 2020/20/0188). Derartiges wird auch mit den pauschalen Ausführungen, der Revisionswerber könne in Mazar-e Sharif bereits deshalb nicht Fuß fassen, weil er dort über keine familiäre oder soziale „Anbindung“ sowie über kein afghanisches Personaldokument („Tazkira“) verfüge und in jungem Alter Afghanistan verlassen habe, nicht dargelegt (siehe zu einem vergleichbaren Revisionsvorbringen VwGH 11.8.2020, Ra 2020/14/0347).

13       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 18. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200416.L00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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