Index
E1ENorm
LSD-BG 2016 §12 Abs1 Z3Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revisionen der R P in P, Slowenien, vertreten durch Dr. Roland Grilc LL.M., Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Škof, MMag. Maja Ranc und Mag. Sara Julia Grilc, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich jeweils vom 22. November 2019,
1.) LVwG-302122/19/BMa/FE (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0192), 2.) LVwG-302119/9/BMa/TK (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0193), 3.) LVwG-302121/9/BMa/TK (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0194) und 4.) LVwG-302120/10/BMa/TK (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0195),
jeweils betreffend Übertretungen nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Steyr),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revisionen werden im Umfang der Anfechtung der Schuldsprüche der angefochtenen Erkenntnisse jeweils zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
In ihrem über die Schuldsprüche hinausgehenden Umfang werden die angefochtenen Erkenntnisse jeweils wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.346,40, insgesamt somit € 5.385,60, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Mit vier Straferkenntnissen der belangten Behörde jeweils vom 11. September 2018 wurde der Revisionswerberin zur Last gelegt, sie habe es als zur Vertretung nach außen befugtes Organ der Firma R s.r.o. mit Sitz in der Slowakei verwaltungsstrafrechtlich zu vertreten, dass diese Firma als Beschäftigerin jeweils näher genannte, von ihr nach Österreich entsandte Arbeitnehmer im Rahmen eines näher bezeichneten Bauvorhabens in S. zu einem näher spezifizierten Zeitpunkt eingesetzt bzw. beschäftigt habe, wobei sie
zu 1.) (Ra 2020/11/0192) die Unterlagen über die Anmeldung zur Sozialversicherung (Sozialversicherungsdokument A1) von sieben entsandten Arbeitnehmern nicht am Arbeitsort bereitgehalten habe,
zu 2.) (Ra 2020/11/0193) die Lohnunterlagen - abgesehen von jeweils einem Lohnzettel - für sieben entsandte Arbeitnehmer nicht unmittelbar vor Ort bereitgehalten oder in elektronischer Form zugänglich gemacht habe,
zu 3.) (Ra 2020/11/0194) der mit Schreiben vom 19. März 2018 ergangenen Aufforderung der Finanzpolizei, die Lohnunterlagen für die sieben entsandten Arbeitnehmer nachträglich zu übermitteln, nicht (bis zum Ablauf des der Aufforderung zweitfolgenden Werktages) nachgekommen sei, sowie
zu 4.) (Ra 2020/11/0195) die Beschäftigung zweier entsandter Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß gemäß § 19 LSD-BG gemeldet habe.
2 Wegen dieser Übertretungen des LSD-BG wurden über die Revisionswerberin zu 1.) gemäß § 26 Abs. 1 Z 3 iVm § 21 Abs. 1 Z 1 LSD-BG, zu 2.) gemäß § 28 Z 1 iVm § 22 Abs. 1 LSD-BG, zu 3.) gemäß § 27 Abs. 1 iVm § 12 Abs. 1 Z 3 LSD-BG und zu 4.) gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 iVm § 19 Abs. 1 LSD-BG, jeweils Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.
3 2.1. Mit den hier angefochtenen Erkenntnissen gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den Beschwerden der Revisionswerberin - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - jeweils teilweise Folge, indem es die verhängten Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen und die Kostenbeiträge herabsetzte, die Schuldsprüche jedoch bestätigte. Die Erhebung einer ordentlichen Revision erklärte das Verwaltungsgericht jeweils für nicht zulässig.
4 2.2. Diesen Entscheidungen legte das Verwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - übereinstimmend folgende Sachverhaltsfeststellungen zu Grunde:
5 Die Revisionswerberin sei zur Vertretung nach außen Berufene der Firma R s.r.o. mit Sitz in der Slowakei. Am 19. März 2018 hätten Organe der Finanzpolizei sieben Arbeiter auf einer näher bezeichneten Baustelle in S. angetroffen. Bei den betreffenden Arbeitern habe es sich um Arbeitnehmer der Firma R s.r.o. gehandelt, welche von dieser zur Arbeitsleistung nach Österreich entsandt worden seien.
6 Die bei der Kontrolle vorgelegten Sozialversicherungsunterlagen (A1-Dokumente) seien nicht in der Slowakei von der dort zuständigen Behörde ausgestellt worden. Für die angetroffenen Arbeitnehmer sei jeweils ein Lohnzettel vorgelegen. Ein Arbeitsvertrag oder ein Dienstzettel in Deutsch oder Englisch, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen und auch Unterlagen betreffend die Lohneinstufung hätten anlässlich der Kontrolle jeweils nicht vorgewiesen werden können. Trotz schriftlicher, im Zuge der Kontrolle ausgehändigter Aufforderung zur Nachreichung seien die Lohnunterlagen auch nachträglich nicht vorgelegt worden.
7 Hinsichtlich zweier Arbeitnehmer sei die erforderliche ZKO3-Meldung erst nach Kontrollbeginn erstattet worden. Beide Arbeitnehmer seien ab dem 15. März 2018 auf der Baustelle eingesetzt worden.
8 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz - aus, die im Zuge der Kontrolle vorgelegten A1-Dokumente seien, da diese nicht von der zuständigen staatlichen Stelle in der Slowakischen Republik ausgestellt worden seien, nicht als A1-Dokumente im Sinne der Bestimmungen des LSD-BG zu werten. Die Vorlage von A1-Dokumenten, die von einer nicht-staatlichen Stelle ausgestellt worden seien, komme der Nichtvorlage solcher Dokumente gleich. Aus den Feststellungen ergebe sich weiter, dass die erforderlichen Lohnunterlagen nicht vor Ort zur Kontrolle bereitgehalten oder in elektronischer Form zugänglich gemacht und trotz Aufforderung durch die Finanzpolizei auch nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist an die Abgabenbehörde nachträglich übermittelt worden seien. Für zwei Arbeitnehmer seien die ZKO3-Meldungen nicht vor Aufnahme der Tätigkeit durch die Arbeiter, sondern erst nach Beginn der Kontrolle erstattet worden. Dadurch sei jeweils das Tatbild der angelasteten Verwaltungsübertretung erfüllt.
9 Die Revisionswerberin als zur Vertretung nach außen Berufene der Firma R s.r.o. habe die ihr angelasteten Verwaltungsübertretungen gemäß § 9 VStG verwaltungsstrafrechtlich zu verantworten. Weil die Revisionswerberin nicht dafür gesorgt habe, dass die Sozialversicherungsdokumente von der in der Slowakei hierfür zuständigen Behörde für ihre Arbeitnehmer ausgestellt und am Einsatzort der Arbeiter bereitgehalten, dass die erforderlichen Lohnunterlagen vor Ort zur Kontrolle bereitgehalten oder elektronisch zugänglich gemacht - beispielsweise durch die Installation eines entsprechenden Kontrollsystems -, dass diese gemäß der einem ihrer Arbeitnehmer bei der Kontrolle übergebenen Aufforderung innerhalb der gesetzlich dafür vorgesehenen Frist nachgereicht worden und dass die erforderlichen Meldungen rechtzeitig vor Arbeitsaufnahme an die Zentrale Kontrollstelle ergangen seien, habe sie zumindest fahrlässig gehandelt, sodass ihr die angelasteten Verwaltungsübertretungen auch in subjektiver Hinsicht vorzuwerfen seien. Daran ändere auch ein etwaiger, dem Umstand, dass die Revisionswerberin die Aufforderung zur Vorlage der Unterlagen nicht zur Gänze durchgelesen habe, geschuldeter Irrtum nichts, weil davon auszugehen sei, dass eine sorgfältig Handelnde, zur Vertretung nach außen Berufene behördliche Unterlagen zur Gänze durchgelesen und entsprechend gehandelt hätte.
10 3. Mit Beschluss vom 26. Juni 2020, E 97-100/2020-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse erhobenen Beschwerden ab und trat diese mit Beschluss vom 29. Juli 2020, E 97-100/2020-9, an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
11 4. Gegen die Erkenntnisse richten sich die in einem Schriftsatz gemeinsam ausgeführten Revisionen, die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen ihres sachlichen, rechtlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden wurden.
12 Die belangte Behörde erstattete eine hinsichtlich sämtlicher Revisionen gemeinsam ausgeführte Revisionsbeantwortung.
13 5.1. Die Revisionswerberin bringt zur Begründung der Zulässigkeit hinsichtlich sämtlicher angefochtener Erkenntnisse vor, nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Maksimovic u.a. C-64/18 zum österreichischen LSD-BG gebe es einerseits die Judikaturlinie des Verfassungsgerichtshofes, welcher in näher bezeichneten Entscheidungen festgestellt habe, dass durch die Verhängung von Geldstrafen in vergleichbaren Fällen gemäß § 26 bzw. § 28 LSD-BG das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden sei. Andererseits gebe es die Judikaturlinie des Verwaltungsgerichtshofes, welcher in seiner Entscheidung vom 15.10.2019, Ra 2019/11/0033, auch nach dem EuGH-Urteil weiterhin von der Anwendbarkeit der den genannten Normen des LSD-BG entsprechenden Vorgängernormen des AVRAG ausgegangen sei. Insofern fehle eindeutige Rechtsprechung zur Frage, ab welcher Höhe einer Geldstrafe im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes eine Verletzung des Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums vorliege und ob die Bestimmungen der §§ 26 und 28 LSD-BG derzeit überhaupt angewendet werden könnten bzw. ob sie nicht als dem Unionsrecht widersprechend unangewendet bleiben müssten. Insbesondere liege nach Auffassung der Revisionswerberin eine Judikaturdivergenz zwischen Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof vor, die eine Klarstellung erfordere. Die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als Folge des Urteiles des EuGH C-64/18 u.a. unzulässig.
14 5.2. Ad Spruchpunkt I.:
15 5.2.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
16 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
18 5.2.2. Das Zulässigkeitsvorbringen enthält keine auf den Schuldausspruch der Straferkenntnisse bezogene Ausführungen. Somit werden von der Revisionswerberin keine den Schuldspruch betreffenden Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, weshalb die Revisionen in ihrem die Schuldaussprüche betreffenden Umfang zurückzuweisen waren.
19 5.3. Ad Spruchpunkt II.:
20 5.3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat, was den Strafausspruch und die daran anknüpfenden Verfahrenskosten betrifft, erwogen:
21 Die Revisionen machen zur Begründung ihrer Zulässigkeit hinsichtlich des jeweiligen Strafausspruches übereinstimmend geltend, die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen sei unzulässig gewesen.
22 5.3.2. In den vorliegenden Fällen wurden jeweils Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen verhängt. Die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen ist vor dem Hintergrund des Unionsrechts rechtswidrig (vgl. VwGH 15.10.2019, Ra 2019/11/0033, 0034, mit Verweis auf das Urteil des EuGH vom 12. September 2019, Maksimovic, C-64/18 ua., und zur Verletzung der Meldepflicht nach dem LSD-BG auch das Erkenntnis VfGH 27.11.2019, E 2893-2896/2019).
23 Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher schon aus diesem Grund in Bezug auf ihren jeweiligen Strafausspruch sowie den daran anknüpfenden Kostenausspruch wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Dadurch erübrigte sich, auf das weitere den Strafausspruch betreffende Zulässigkeitsvorbringen der Revisionswerberin einzugehen.
24 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff, insbesondere §§ 50 und 52 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. Dezember 2020
Gerichtsentscheidung
EuGH 62018CJ0064 Maksimovic VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020110192.L00Im RIS seit
08.02.2021Zuletzt aktualisiert am
08.02.2021