TE OGH 2020/11/27 1Ob207/20b

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.11.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** Z*****, vertreten durch Mag. Christian Tautschnig, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 253.349 EUR sA und Feststellung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. September 2020, GZ 5 R 166/19z-47, mit dem aus Anlass der Berufungen beider Parteien das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 16. September 2019, GZ 20 Cg 34/18d-31, und das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage insoweit zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

I. Der angefochtene Beschluss wird insoweit bestätigt, als damit hinsichtlich des Begehrens der klagenden Partei auf Zahlung von 81.550 EUR sA das Teilurteil des Erstgerichts und das diesem zugrunde liegende Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage in diesem Umfang zurückgewiesen wurde.

II. Im Übrigen (Begehren der klagenden Partei auf Zahlung von 171.000 EUR und klagestattgebender Teil des Feststellungsbegehrens [Spruchpunkte 3. und 4. des erstinstanzlichen Urteils]) wird dem Rekurs Folge gegeben und der angefochtene Beschluss aufgehoben. Dem Rekursgericht wird insoweit die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.

III. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung:

[1]       Der Kläger ist gelernter Kfz-Mechaniker und diesbezüglich seit 2015 „berufsunfähig erkrankt“. Er ist als Unternehmer tätig, wobei er Unternehmenskonzepte entwickelt, die er auch realisiert. Er betreibt die Unternehmen, optimiert sie und verkauft sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder. Seit 2010 ist über sein Vermögen in der Bundesrepublik Deutschland ein Insolvenzverfahren anhängig und ein Insolvenzverwalter bestellt. Das Insolvenzverfahren ist noch nicht beendet.

[2]       Seine Unternehmenskonzepte schreibt, entwickelt und speichert der Kläger auf seinem Notebook. Sämtliche dazu vorhandene Daten waren im Wege einer Sicherungskopie auch auf einem Tablet-Computer, der ihm gehört, gespeichert. Er druckte seine Unternehmenskonzepte nicht aus, sondern hatte sie auf den beiden Computern nur in Ordner-Dateien gespeichert. Zwischen den beiden Computern fand ein Datenaustausch statt, sodass sämtliche Daten identisch vorhanden waren. Im Mai 2015 hatte der Kläger mehrere Unternehmenskonzepte in Arbeit, mit deren Erstellung er 2014 begonnen hatte.

[3]       Anlässlich einer von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt angeordneten Hausdurchsuchung wurden die beiden Computer sichergestellt. Da der Kläger darauf hinwies, als Unternehmer auf das Notebook angewiesen zu sein, bauten die Polizeibeamten dessen Festplatte aus, nahmen diese in Verwahrung und gaben ihm den Computer zurück. Im August 2015 stellte die Staatsanwaltschaft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger ein und ordnete die Vernichtung der Festplatte, auf der sich kinderpornografische Bilder befanden, an. Den Zugang zu seinen auf der Festplatte gespeicherten Daten erhielt der Kläger vor deren Vernichtung nicht mehr. Nachdem die Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom Juni 2016 auch die Sicherstellung des Tablet-Computers aufgehoben hatte, wurde ihm dieser ausgefolgt. Er kann auf die darauf gespeicherten Daten nicht mehr zugreifen, weil das Gerät infolge mehrfach unrichtiger PIN-Code-Eingabe gesperrt ist. Bis zur Sicherstellung war der Tablet-Computer jedenfalls funktionsfähig und mittels Eingabe des (dem Kläger bekannten) PIN-Codes zu benützen.

[4]       Mit der im Mai 2018 erhobenen und in der Folge verbesserten Amtshaftungsklage begehrte der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 253.349 EUR, die Ausfolgung der sichergestellten Festplatte sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche ihm oder seiner Ehefrau zukünftig entstehenden Nachteile aus der rechtsgrundlosen Verwahrung und dem aufgetretenen Datenverlust auf dem sichergestellten Tablet-Computer und der Festplatte des Notebooks. Sowohl die Sicherstellung der beiden Computer als auch deren Beschädigung bzw Vernichtung beruhten auf einem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten von Organen der Beklagten. Auf dem Tablet-Computer und der Festplatte des Notebooks seien insbesondere drei von ihm entwickelte Unternehmenskonzepte sowie Unterlagen und Aufzeichnungen bereits erfolgreich aufgebauter Unternehmen gespeichert gewesen, für deren noch nicht abgeschlossene Rekonstruktion er bislang 1.140 Stunden aufgewendet habe. Auf Basis eines angemessenen Entgelts von 150 EUR pro Stunde stünden ihm daher 171.000 EUR zu. Eine Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters liege zwar vor, sei aber Bestandteil der verloren gegangenen Computerdaten und überdies nicht notwendig. Seine Ansprüche stünden im Zusammenhang mit seiner selbständigen Tätigkeit, sodass er die Befugnis, diese selbst geltend zu machen, nicht verlieren habe können. Die Ansprüche seien kein Bestandteil der Insolvenzmasse.

[5]            Die Beklagte wendete ein, die beiden Computer seien im Zuge der Hausdurchsuchung zu Recht sichergestellt worden, habe doch die zuständige Staatsanwältin deren Sicherstellung über Nachfrage der Kriminalbeamten angeordnet. Beschädigungen des Tablet-Computers hätten bereits bei der Sicherstellung vorgelegen. Dieser Computer sei bei der Ausfolgung an den Kläger betriebsbereit gewesen; zudem hätte er die Zugangsdaten bekanntgeben (und dadurch den Schaden) verringern können, was er jedoch ausdrücklich verweigert habe. Die Höhe des von ihm behaupteten Rekonstruktionsaufwands sei nicht nachvollziehbar. Die Ansprüche seien zudem schon verjährt.

[6]            Das Erstgericht wies – unbekämpft und daher rechtskräftig – das Zahlungsbegehren im Umfang von 799 EUR sA (Wiederbeschaffungswert des beschädigten Tablet-Computers) zurück. Mit Teil- und Zwischenurteil wies es das Zahlungsbegehren im Umfang von 81.550 EUR sA (zum Inkasso zedierte Schadenersatzansprüche wegen der von seiner Ehefrau in Deutschland verlorenen arbeitsgerichtlichen Kündigungsanfechtung) ab (Punkt 2.) und sprach aus, dass das Zahlungsbegehren im Umfang von 171.000 EUR dem Grunde nach zu Recht bestehe (Punkt 3.). Es stellte die Haftung der Beklagten für sämtliche künftige Schäden des Klägers infolge Verlustes der auf dem Tablet-Computer und der Festplatte gespeicherten Daten fest (Punkt 4.) und wies – unbekämpft und daher rechtskräftig – das darüber hinausgehende, auf Feststellung der Haftung der Beklagten infolge Verwahrung der Gegenstände gerichtete Begehren ebenso ab wie das Herausgabe- bzw Ausfolgungsbegehren betreffend die Daten auf der sichergestellten Festplatte. Der Kläger sei nicht zur Bekanntgabe des Zugriffscodes auf seinem Tablet-Computer verpflichtet gewesen und die Organe der Beklagten hätten ihm vor Vernichtung der Festplatte die Möglichkeit einräumen müssen, die unbedenklichen Daten zu sichern. Da bei Rückgabe des Computers kein Datenzugriff mehr möglich gewesen und eine Zustimmung zur Vernichtung der Festplatte nicht vorgelegen sei, sei den Organen der Beklagten ein amtshaftungsbegründendes Verhalten anzulasten. Die Sicherstellung an sich und die anschließende Verwahrung seien demgegenüber rechtmäßig erfolgt. Vor diesem Hintergrund bestehe das Zahlungsbegehren über die Kosten der Datenrekonstruktion (171.000 EUR) dem Grunde nach zu Recht, was mit Zwischenurteil auszusprechen sei. Berechtigt sei auch das auf den Datenverlust, nicht aber auf die Verwahrung der Datenträger gestützte Feststellungsbegehren.

[7]            Das Berufungsgericht hob aus Anlass der gegen die Spruchpunkte 2. (Kläger), 3. und 4. (Beklagte) des erstinstanzlichen Urteils erhobenen Berufungen das Teil- und Zwischenurteil im Umfang der Abweisung von 81.550 EUR sA und „eines Teils des Feststellungsbegehrens“ sowie des Ausspruchs des Zurechtbestehens eines Teils des Zahlungsbegehrens im Ausmaß von 171.000 EUR dem Grunde nach (Spruchpunkte 2., 3. und 4. des erstinstanzlichen Urteils) und das darüber abgeführte Verfahren als nichtig auf und wies die Klage insoweit zurück. Aufgrund des über das Vermögen des Klägers seit 2010 in der Bundesrepublik Deutschland anhängigen Insolvenzverfahrens gelange nach Art 17 Abs 1 und Art 4 Abs 2 lit b und c EuInsVO deutsches Recht zur Anwendung. Die vernichteten Unternehmenskonzepte seien das Ergebnis der selbständigen Tätigkeit des Klägers während des Insolvenzverfahrens, sodass diese nach § 35 Abs 1 dInsO zur Insolvenzmasse gehörten. Eine Freigabeerklärung durch den Insolvenzverwalter sei weder öffentlich bekannt gemacht worden (§ 35 Abs 3 dInsO), noch gebe es für eine solche Freigabe entsprechende Hinweise. Der Kläger habe in seiner Stellungnahme auch eindeutig zu erkennen gegeben, trotz der ihm erläuterten Konsequenzen des Insolvenzverfahrens nur selbst handeln zu wollen. Wenn er den Ersatz des Rekonstruktionsaufwands begehre, betreffe seine Forderung „einen Bestandteil seiner unternehmerischen/selbständigen Tätigkeit“. Es handle sich dabei um das Surrogat des in die Insolvenzmasse fallenden (zerstörten) Vermögenswerts. Zwar mögen der Computer und die Festplatte nach § 811 Abs 1 Nr 5 dZPO nicht pfändbar sein und daher nicht in die Insolvenzmasse fallen (§ 36 Abs 1 dInsO), jedoch gehe es nach rechtskräftiger Zurückweisung der für den zerstörten Tablet-Computer begehrten 799 EUR nicht mehr um Gegenstände, die der Kläger für seine selbständige Tätigkeit benötige, sondern um die Unternehmenskonzepte als Ergebnis dieser Tätigkeit. Fielen die Forderungen aus dem Datenverlust in die Insolvenzmasse, treffe das auch auf das darauf aufbauende Feststellungsbegehren zu, sodass dem Kläger hinsichtlich der Ansprüche, die Gegenstand des Berufungsverfahrens seien, die Prozessführungsbefugnis fehle.

[8]            Seine Ehefrau habe dem Kläger Forderungen zum Inkasso abgetreten (81.550 EUR). Bei den zedierten Forderungen handle es sich um Vermögen, das er während des Insolvenzverfahrens erlangt habe und das gemäß § 35 Abs 1 dInsO in die Insolvenzmasse falle. Wenn der Kläger nur die Befugnis zur Geltendmachung der Forderung, nicht aber behaupte, den Anspruch selbst abgetreten erhalten zu haben, liege eine unzulässige Prozessstandschaft vor, das heißt eine Übertragung des Prozessführungsrechts ohne Bestehen irgendwelcher sonstiger materiell-rechtlicher Beziehungen. Die „Inkassozession“ sei zwar eine abgeschwächte Abtretung, aber trotzdem eine echte Abtretung, die dem Zessionar die Stellung eines Gläubigers verschaffe.

[9]       Die Prozessführungsbefugnis nach der dInsO sei eine Prozessvoraussetzung, deren Fehlen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen sei und zur Aufhebung des abgeführten Verfahrens sowie des ergangenen Urteils als nichtig und zur Zurückweisung der Klage führe.

Rechtliche Beurteilung

[10]     Der dagegen vom Kläger erhobene Rekurs ist – unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstands und dem Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO – zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und teilweise auch berechtigt.

[11]           I. Der Kläger tritt der – rechtlich selbständigen – Beurteilung, dass die ihm zedierten Forderungen seiner Ehefrau Teil seiner Insolvenzmasse seien, und der vom Berufungsgericht darauf gestützten Zurückweisung des Zahlungsbegehrens über 81.550 EUR samt Zinsen nicht entgegen, weshalb diese Rechtsfrage vom Obersten Gerichtshof nicht mehr zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0043338; RS0043352 [T10]). Da er diese Frage in seinem Rechtsmittel nicht aufgreift, kommt – entgegen seinem Rekursantrag – eine Sachentscheidung über seine Berufung, mit der er die Abweisung seines Zahlungsbegehrens von 81.550 EUR sA (Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Urteils) bekämpfte, nicht in Betracht.

[12]     Der Beschluss des Berufungsgerichts ist daher insoweit zu bestätigen.

[13]           II.1. Zutreffend hat das Berufungsgericht dargelegt, dass das Fehlen der Prozessführungsbefugnis in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist und zur Aufhebung des (noch nicht in Rechtskraft erwachsenen) Urteils des Erstgerichts und des diesem vorangegangenen Verfahrens als nichtig und zur Zurückweisung der Klage wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung führt (10 Ob 28/16i [3.]).

[14]           II.2. Die Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 5. 2015 ist nach ihrem Art 84 Abs 1 nur auf Insolvenzverfahren anwendbar, die nach dem 26. 6. 2017 eröffnet wurden. Bei Insolvenzverfahren – wie dem vorliegenden –, die vor diesem Zeitpunkt eröffnet wurden (2010), hat die Beurteilung der Auswirkungen der Insolvenz in anderen Mitgliedstaaten nach der Verordnung (EG) Nr 1346/2000 des Rates vom 29. 5. 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) zu erfolgen.

[15]     Die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat entfaltet gemäß Art 17 Abs 1 EuInsVO in jedem anderen Mitgliedstaat unmittelbar diejenigen Wirkungen, die das Recht des Eröffnungsstaats dem Verfahren beilegt. Nach Art 4 Abs 2 lit b und c EuInsVO regelt das Recht des Eröffnungsstaats insbesondere, welche Vermögenswerte zur Masse gehören und welche Befugnisse dem Schuldner zukommen (vgl RS0119909). Demnach bestimmt sich der Umfang der Verfügungsbeschränkungen des Schuldners nach der lex fori concursus, somit im vorliegenden Fall nach deutschem Recht (10 Ob 28/16i [1.1.]; 9 Ob 65/17z [1.]).

[16]           II.3. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht nach § 80 Abs 1 dInsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Erhebt der Schuldner trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Klage über einen zur Masse gehörenden Gegenstand, ist die Klage mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig. Der Verlust der Prozessführungsbefugnis ist auf das insolvenzverfangene Vermögen beschränkt. Die Prozessführungsbefugnis des Schuldners wird dagegen nicht beschnitten, falls ein Rechtsstreit von vornherein oder nach einer Freigabe durch den Verwalter insolvenzfreies Vermögen betrifft (BGH IX ZR 165/12 = NZI 2013, 641; 10 Ob 28/16i [2.1.]; 9 Ob 65/17z [2.]).

[17]           II.4. Gemäß § 35 Abs 1 dInsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Aufgrund der unionsweiten Wirkung der Eröffnung eines Hauptverfahrens umfasst die Insolvenzmasse alle, auch in anderen Mitgliedstaaten als dem Eröffnungsstaat belegene Vermögenswerte (10 Ob 28/16i [2.2.] mwN). Erfasst wird daher auch das Auslandsvermögen des Schuldners (Bäuerle in Braun, Insolvenzordnung8 [2020] § 35 InsO Rn 3 mwN; Andres in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung [41. ErgLfg, Juni 2018] § 35 InsO Rn 12; Peters in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung4 [2019] § 35 InsO Rn 36).

[18]           Im Fall der „Verletzung“ massezugehöriger Gegenstände fällt der Schadenersatzanspruch kraft Surrogation in die Masse (Bäuerle aaO § 35 InsO Rn 88).

[19]           II.5. Da sich die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters grundsätzlich auf die Insolvenzmasse beschränkt, behält der Schuldner hinsichtlich des insolvenzfreien Vermögens (weiterhin) die Prozessführungsbefugnis (BGH IX ZR 165/12; Peters aaO § 35 InsO Rn 28). Er kann während des Insolvenzverfahrens Partei eines Rechtsstreits sein, allerdings beschränkt auf sein massefreies Vermögen (Andres aaO § 35 InsO Rn 10).

[20]           Gemäß § 36 Abs 1 dInsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. Nach § 811 Abs 1 Nr 5 dZPO sind bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb erzielen, die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände nicht der Pfändung unterworfen.

[21]           II.6. Zur Insolvenzmasse gehören daher grundsätzlich alle beweglichen Gegenstände, deren Eigentümer der Schuldner ist, es sei denn, sie fallen gemäß § 36 dInsO aus der Insolvenzmasse heraus, weil sie nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen (Hirte/Praß in Uhlenbruck, Insolvenzordnung15 [2019] § 35 InsO Rn 143). Ein Datenträger ist als bewegliche Sache anzusehen, die nach den §§ 802 ff dZPO pfändbar ist, soweit nicht unter anderem die Vorschrift des § 811 Abs 1 Nr 5 dZPO eingreift (Hirte/Praß aaO § 35 InsO Rn 151). Computeranlagen, einschließlich Datenträger und Softwaredokumentation, sind gemäß § 811 Abs 1 Nr 5 dZPO unpfändbar, wenn der Schuldner eine natürliche Person ist und die Gegenstände zur Fortsetzung seiner geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistung erforderlich sind (Kammel in Kilian/Heussen, Computerrechts-Handbuch [35. ErgLfg, Juni 2020] Teil 17 Software in der Insolvenz Rn 9; Holzer in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz3 [2017] § 9. Aufgaben und Befugnisse des Insolvenzverwalters Rn 6). Zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erforderliche Gegenstände sind alle Sachen, die der Schuldner zur Fortsetzung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit oder zum Neuanfang einer unterbrochenen Erwerbstätigkeit benötigt. Unentbehrlichkeit ist nicht erforderlich. So fällt zB der Computer oder Laptop eines Schriftstellers oder Journalisten nicht in die Insolvenzmasse (Hirte/Praß aaO § 36 InsO Rn 17).

[22]           II.7. Aus den dargelegten Grundsätzen folgt, dass sowohl der Tablet-Computer als auch die Festplatte seines Notebooks, auf der der unternehmerisch tätige Kläger seine Unternehmenskonzepte erstellte und abspeicherte, (nach dem maßgebenden deutschen Recht) nicht pfändbar sind und daher nicht in die Insolvenzmasse fallen.

[23]           Der Kläger macht Amtshaftungsansprüche gegenüber der Beklagten aus dem von ihr zu verantwortenden Datenverlust auf seinem sichergestellten Computer und auf der vernichteten Festplatte geltend. Die von ihm erhobenen Schadenersatzansprüche, die er mit einem behaupteten notwendigen Aufwand zur Rekonstruktion seiner Unternehmenskonzepte begründet, stellen keinen Bestandteil der Insolvenzmasse dar. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts macht er Schadenersatzansprüche aus dem Verlust von – zudem auf nicht massezugehörigen Gegenständen (Computer und Festplatte) gespeicherten – Daten geltend, die nicht in die Masse fallen. Wenn das Berufungsgericht argumentiert, die vernichteten Unternehmenskonzepte seien das Ergebnis der selbständigen Tätigkeit des Klägers während des Insolvenzverfahrens und gehörten daher nach § 35 Abs 1 dInsO zur Insolvenzmasse, vermag es – ebenso wie die Rekursgegnerin – nicht nachvollziehbar darlegen, warum bloße Konzepte zur Insolvenzmasse gehören sollten. Bei Know-how, das sich „im Kopf“ des Unternehmers befindet, handelt es sich etwa um ein wirtschaftlich verwertbares Gut, dieses ist aber weder konkretisierbar noch fassbar und damit nicht Teil der Insolvenzmasse (vgl Hirte/Praß aaO § 35 InsO Rn 253). Ähnliches muss in der Regel gelten, wenn solches Know-how – etwa auch auf Datenträgern – festgehalten wird, wobei dabei im Einzelfall auch ein wirtschaftlich verwertbares Gut entstehen kann. Ab welchem Entwicklungsgrad ein Ergebnis geistiger Tätigkeit eines Selbständigen einen (neu geschaffenen) Vermögensgegenstand bildet, der nicht mehr unter die Ausnahmebestimmung des § 811 Abs 1 Nr 5 dZPO fällt, muss nicht abschließend beantwortet werden, geht es hier doch um bloße Konzepte, auf deren Basis vom Kläger erst später konkrete unternehmerische Tätigkeiten aufgenommen werden sollen. Anhaltspunkte für das Vorhandensein schon eigenständiger werthaltiger Güter, etwa dass ein Marktwert für diese Unternehmenskonzepte bestünde oder der Kläger gar bereits einen Vertrag über die Verwertung der Unternehmenskonzepte abgeschlossen hätte, wurden nicht behauptet und sind auch nicht ersichtlich. Vielmehr begehrt er von der Beklagten den Ersatz seines Aufwands zur Wiederherstellung von Konzepten, die sich als Dateien auf dem Computer und der Festplatte befunden haben, die er in Zukunft bei seiner Berufstätigkeit einsetzen will und die nach seinen Behauptungen für die Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit „erforderlich“ iSd § 811 Abs 1 Nr 5 dZPO sind. Da seine Schadenersatzansprüche – auf Basis seiner Prozessbehauptungen und der dazu bisher getroffenen Feststellungen – somit insolvenzfreie Güter betreffen, behält er insoweit seine Prozessführungsbefugnis.

[24]           II.8. Auf den von ihm relevierten Verfahrensmangel betreffend die vom Insolvenzverwalter angeblich erteilte Freigabeerklärung im Sinn des § 35 Abs 2 dInsO braucht damit nicht eingegangen zu werden.

[25]           II.9. Dem Rekurs des Klägers ist daher teilweise Folge zu geben. Der Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts ist insoweit aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über das Rechtsmittel der Beklagten gegen das Teil- und Zwischenurteil des Erstgerichts unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen, als es um das Zahlungsbegehren über 171.000 EUR sA und das Feststellungsbegehren über die Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftigen Nachteile aus dem Datenverlust auf dem Tablet-Computer und der Festplatte geht.

[26]     III. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50 Abs 1 und  52 Abs 3 ZPO (Kostenvorbehalt des Berufungsgerichts).

Textnummer

E130357

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00207.20B.1127.000

Im RIS seit

22.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten