Entscheidungsdatum
19.11.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG §46Text
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin MMag. Dr. Salamun über die Beschwerde der Frau A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C., vom 24.08.2019, Zl. …, betreffend Sicherheitspolizeigesetz (SPG) sowie Wiener Landes-Sicherheitsgesetz (WLSG), den
B E S C H L U S S
gefasst:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 50 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.
II. Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof durch die vor dem Verwaltungsgericht Wien belangte Behörde unzulässig.
B e g r ü n d u n g
I.
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde die Beschwerdeführerin für schuldig erkannt, sie habe
1. am 24.8.2019 um 03:30 Uhr in Wien, D.-platz (…), sich trotz vorausgegangener Abmahnung durch ihr aufbrausendes Auftreten (Schreien, Herumschlagen mit den Armen) Richtung Polizeibeamter gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht, während diese seine gesetzliche Aufgabe wahrnahmen, aggressiv verhalten. Dadurch habe sie § 82 Abs. 1 SPG verletzt. Wegen dieser Übertretung wurde über sie gemäß § 82 Abs. 1 SPG eine Geldstrafe von € 150 (Ersatzfreiheitsstrafe: 2 Tagen 2 Stunden) verhängt.
2. am 24.8.2019 um 03:30 Uhr in Wien, D.-platz (…), durch lautstarkes Schreien ungebührlicherweise störenden Lärm erregt. Dadurch habe sie § 1 Abs. 1 Z 2 WLSG verletzt. Wegen dieser Übertretung wurde über sie gemäß § 1 Abs. 1 WLSG eine Geldstrafe von € 150 (Ersatzfreiheitsstrafe: 1 Tag 12 Stunden) verhängt.
Dieses Straferkenntnis wurde gegenüber der alleine anwesenden Beschuldigten nach deren Festnahme und Anhaltung von 24.8.2019, 03:31 Uhr, bis 24.8.2019, 9:55 Uhr, im Polizeikommissariat C. mündlich verkündet. Das Bestehen einer Erwachsenenvertretung wurde von der Beschuldigten im Rahmen der Festnahme und Anhaltung nicht angegeben und war damit der Behörde nicht bekannt. Die Verkündung des Straferkenntnisses wurde am Schluss der Verhandlungsschrift beurkundet, welche vom Verhandlungsleiter der Anwesenden zur Durchsicht vorgelegt wurde und von dieser sowie von der beigezogenen Dolmetscherin handschriftlich unterfertigt wurde. Nach der Anführung von Bankdaten ist die Amtssignatur der belangten Behörde angefügt.
Nach der Versendung von zwei Mahnungen vom 27.10.2019 und 11.5.2020 erlangte der Erwachsenenvertreter (Bestellung zum einstweiligen Erwachsenenvertreter am 16.7.2019) Kenntnis vom vorliegenden Straferkenntnis und stellte die Mahnung an die Behörde zu seiner Entlastung zurück. Im Anhang des Schreibens wurde der Bestellungsbeschluss übermittelt.
Im Anschluss daran verfügte die belangte Behörde die Zustellung einer Kopie des am Schluss der Verhandlungsschrift beurkundeten, mündlich verkündeten Straferkenntnisses an den Erwachsenenvertreter, Herrn RA Mag. E. F., welche nachweislich am 5.10.2020 übernommen wurde.
II.
Mit E-Mail vom 26.10.2020 erhob die Beschwerdeführerin im Weg ihres Erwachsenenvertreters gegen das Straferkenntnis Beschwerde und beantragte die ersatzlose Behebung des Straferkenntnisses. Im Anhang der Beschwerde wurde der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt über die Bestellung zum einstweiligen Erwachsenenvertreter vom 16.7.2019 und der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt über die Bestellung zum Erwachsenenvertreter vom 23.6.2020 (…) übermittelt.
III.
Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfallen, da die gegenständliche Beschwerde zurückzuweisen war.
IV. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
IV.1. Rechtsgrundlagen:
Gemäß § 46 Abs. 1 VStG ist den Parteien, welchen gegen den Bescheid Beschwerde beim Verwaltungsgericht zusteht, von Amts wegen eine Ausfertigung des Bescheides zuzustellen, wenn ihnen der Bescheid nicht mündlich verkündet worden ist. Sonst ist eine schriftliche Ausfertigung nur auf Verlangen einer Partei zuzustellen.
Gemäß § 46 Abs. 2 VStG hat die schriftliche Ausfertigung des Bescheides die Bezeichnung der Behörde, den Vornamen und den Familiennamen sowie den Wohnort der Parteien, den Spruch, die Begründung, die Rechtsmittelbelehrung, die Belehrung über das Recht auf Beigabe eines Verfahrenshilfeverteidigers im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gemäß § 44b und das Datum des Bescheides zu enthalten.
Der gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendende § 62 AVG lautet auszugsweise:
„§ 62. (1) Wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Bescheide sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden.
(2) Der Inhalt und die Verkündung eines mündlichen Bescheides ist, wenn die Verkündung bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, am Schluß der Verhandlungsschrift, in anderen Fällen in einer besonderen Niederschrift zu beurkunden.
(3) Eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides ist den bei der Verkündung nicht anwesenden und jenen Parteien zuzustellen, die spätestens drei Tage nach der Verkündung eine Ausfertigung verlangen; über dieses Recht ist die Partei bei Verkündung des mündlichen Bescheides zu belehren.
[…]“
IV.2. Sachverhalt:
Aufgrund des Vorbringens des Erwachsenenvertreters, des Aktes des gegenständlichen behördlichen Verfahrens sowie des Aktes des Verwaltungsgerichts Wien wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen festgestellt:
Für die Beschuldigte wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt vom 16.7.2019 (…) der gegenständlich einschreitende Rechtsanwalt gemäß § 120 AußStrG zum einstweiligen Erwachsenenvertreter bestellt. Als Wirkungsbereich des einstweiligen Erwachsenenvertreters ist in diesem Beschluss u.a. die Vertretung der Beschuldigten vor Behörden und Gerichten angeführt.
Das im vorliegenden Fall in Beschwerde gezogene Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 24.08.2019, Zl. …, wurde in Anwesenheit der Beschuldigten alleine verkündet. Dem einstweiligen Erwachsenenvertreter wurde lediglich die Beurkundung des mündlich verkündeten Straferkenntnisses zugestellt.
Das mündlich verkündete Straferkenntnis weist die Beschuldigte als formellen Empfänger aus und wurde die Verhandlungsschrift nach der Verkündung des Straferkenntnisses dieser ausgefolgt.
Diese Feststellungen beruhen auf folgenden Erwägungen:
Diese Feststellungen gründen sich auf den unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt, an dessen Vollständigkeit und Richtigkeit das Verwaltungsgericht Wien keine Zweifel hegt.
IV.3. Rechtliche Beurteilung:
IV.3.1.
Gemäß § 17 VwGVG iVm § 24 VStG iVm § 9 AVG hat das Verwaltungsgericht, insoweit die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten in Frage kommt, diese - wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist - nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiell-rechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Beschluss über die Bestellung eines Sachwalters konstitutive Wirkung für die Zeit ab seiner Erlassung. Dieselben Überlegungen gelten auch für einen mit sofortiger Wirkung gemäß § 120 AußStrG 2003 bestellten einstweiligen Sachwalter (Erwachsenenvertreter) (vgl. etwa VwGH 15.9.2020, Ra 2017/22/0152). Für die Zeit davor ist erforderlichenfalls (wie z.B. für die Frage der wirksamen Zustellung des angefochtenen Bescheides) zu prüfen, ob der Beschwerdeführer schon damals nicht mehr prozessfähig gewesen ist und somit nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite der Verfahren und der sich in diesen ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen derartiger Verfahren entsprechend zu verhalten (vgl. z.B. VwGH 20.2.2002, 2001/08/0192).
Für die prozessuale Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten. Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Für die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung kommt es darauf an, ob der Zustellungsempfänger handlungsfähig war, und nicht darauf, ob für ihn bereits ein Sachwalter bestellt worden ist (vgl. etwa VwGH 19.9.2000, 2000/05/0012, mwN).
Eine an einen Handlungsunfähigen vorgenommene Zustellung löst keine Rechtswirkungen ausß (vgl. etwa VwGH 25.6.1999, 97/02/0186).
IV.3.2.
Gegenstand in einem Verfahren nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG sind behördliche Entscheidungen, die in Bescheidform ergehen und bereits erlassen sind (vgl. etwa Götzl in Götzl et al, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2015, § 7 VwGVG Rz. 6 mwN).
Die Erlassung eines schriftlichen Bescheides hat dessen Zustellung (oder Ausfolgung gemäß § 24 Zustellgesetz) zur Voraussetzung. Erst wenn eine rechtswirksame Zustellung vorliegt, ist der Bescheid erlassen (vgl. z.B. VwGH 26.6.2001, 2000/04/0190).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Empfänger eines einem Besachwalterten zuzustellenden Schriftstückes sein gesetzlicher Vertreter, somit der Sachwalter, zu bezeichnen (vgl. VwGH 29.10.2008, 2008/08/0097). Der Zustellungsbevollmächtigte ist auf der Zustellverfügung als der Empfänger zu bezeichnen. Die Adressierung an die Partei zu Handen des Zustellungsbevollmächtigten reicht aus (vgl. VwGH 20.2.2008, 2005/15/0159).
Gemäß § 9 Abs. 3 ZustG hat die Behörde, wenn ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt ist und gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Diese Bestimmung gilt auch für Fälle einer gebotenen Zustellung an einen gesetzlichen Vertreter. Ein Zustellmangel kann daher in diesem Fall dadurch heilen, dass das Dokument dem gesetzlichen Vertreter tatsächlich zukommt (vgl. VwGH 11.12.2013, 2012/08/0221).
Wird der Bescheid dementgegen bloß an den Vertretenen zugestellt, ist dieser nicht erlassen worden und kann daher auch keinerlei Rechtswirkungen entfalten (vgl. etwa wenn der Sachwalterin von diesen Dokumenten lediglich Kopien und dem Rechtsvertreter vom Berufungsbescheid bloß eine Ausfertigung als Beilage zur Kenntnis übermittelt wurden VwGH 18.3.2013, 2011/05/0084). Die Aushändigung lediglich einer Kopie der Bescheidausfertigung ist keine rechtswirksame Zustellung iSd § 24 ZustG an die (einzige) Partei des Verfahrens, weil es sich nicht um die Ausfolgung eines bereits versandbereiten, gemäß einer behördlich erfolgten Zustellverfügung an eine bestimmte Person, den Empfänger, gerichtetes Schriftstück handelt. Es mangelt daher an einem Bescheid iSd Art. 131 Abs. 1 B-VG (vgl. auch VwGH 27.5.1999, 99/02/0083).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt, wenn in einem Einparteienverfahren die behördliche Erledigung nicht wirksam zugestellt worden ist, mangels Erlassung kein anfechtbarer Bescheid vor. Die Erhebung einer Berufung nach §§ 63 ff AVG setzt nämlich zwingend die Erlassung eines damit angefochtenen Bescheides voraus (vgl. VwGH 29.10.2008, 2008/08/0097, nunmehr § 7 Abs. 4 Z 1 VwGVG, demzufolge der Tag der Zustellung oder Verkündung, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer nur mündlich verkündet wurde, für den Lauf der Beschwerdefrist maßgeblich ist).
Lediglich im Mehrparteienverfahren kann, wenn der Bescheid bereits einer anderen Partei zugestellt oder verkündet worden ist, die Beschwerde gemäß § 7 Abs. 3 VwGVG bereits ab dem Zeitpunkt erhoben werden, in dem der Beschwerdeführer von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat.
Im Einparteienverfahren (als solches stellt sich das behördliche Verwaltungsstrafverfahren dar) setzt die Erhebung einer Beschwerde zwingend die Erlassung eines damit angefochtenen Bescheides voraus. Die gegen das Straferkenntnis erhobene Beschwerde wäre diesbezüglich mangels rechtsgültiger Erlassung eines zugrundeliegenden Bescheides als unzulässig zurückzuweisen (vgl. auch VwGH 18.11.2015, Ra 2015/17/0026).
IV.3.3.
Ein mündlich verkündeter Bescheid wird mit der Verkündung gegenüber einer (insoweit handlungsfähigen) Partei erlassen. Der Inhalt und die Verkündung eines mündlichen Bescheides ist, wenn die Verkündung bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, gemäß § 62 Abs. 2 AVG am Schluß der Verhandlungsschrift, in anderen Fällen in einer besonderen Niederschrift zu beurkunden.
Lediglich im Mehrparteienverfahren ist gemäß § 46 Abs. 1 VStG den Parteien von Amts wegen eine Ausfertigung des Bescheides zuzustellen, wenn ihnen der Bescheid nicht mündlich verkündet worden ist. Sonst – also wenn der Bescheid der Partei gegenüber verkündet wurde - ist eine schriftliche Ausfertigung nur auf Verlangen einer Partei zuzustellen. Dieses Verlangen ist bei der Strafverhandlung mündlich zu stellen, sonst gemäß § 62 Abs. 3 AVG iVm § 24 VStG spätestens drei Tage nach der Verkündung schriftlich einzubringen (Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG2 § 46 (Stand 1.5.2017, rdb.at)).
Gegenständlich wurde das Straferkenntnis gegenüber einer nicht prozessfähigen Beschuldigten, für die ein einstweiliger Erwachsenenvertreter mit dem Wirkungsbereich der Vertretung vor Behörden und Gerichten bestellt war, verkündet sowie dessen Inhalt und Verkündung am Schluss der Verhandlungsschrift beurkundet. Diese Beurkundung wurde dem Erwachsenenvertreter in Folge in Kopie zugestellt.
Da der einstweilige Erwachsenenvertreter bei der Verkündung des Straferkenntnisses nachweislich nicht anwesend war, entfaltete die Verkündung gegenüber der (prozessunfähigen) Beschuldigten keine Rechtswirkungen.
Ebenso konnte auch die Zustellung der Beurkundung des Inhaltes und der Verkündung des Straferkenntnisses an den Erwachsenenvertreter keine Rechtswirkungen entfalten, da zum einen die Verkündung von Vornherein unwirksam war und es sich zum anderen gegenständlich um ein Einparteienverfahren handelt, während eine Zustellung iSd § 46 Abs. 1 VStG lediglich im Mehrparteienverfahren gesetzlich vorgesehen ist.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Rechts- und Handlungsfähigkeit; Erwachsenenvertretung; Zustellung; ZustellmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.085.14148.2020Zuletzt aktualisiert am
21.01.2021