Entscheidungsdatum
17.06.2020Norm
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3Spruch
L518 1216949-2/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Aserbaidschan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenswesen und Asyl vom XXXX 2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) I) Der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 2 Z 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, stattgegeben und der Bescheid ersatzlos behoben.
II) Die Behörde hat über den Antrag des BF vom 05.02.2018 auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung gesondert zu entscheiden und hat dabei gem. § 28 Abs. 5 VwGVG vorzugehen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge kurz mit „bP“ bezeichnet), Staatsangehöriger der Republik Aserbaidschan, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 04.11.1999 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, vom 02.05.2000, Zahl 99 17.255-BAT, bezüglich des Status des Asylberechtigten abgewiesen, eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Aserbaidschan jedoch aus Gründen des §8 AsylG für nicht zulässig erklärt. Gleichzeitig wurde der bP eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Die subsidiäre Schutzberechtigung wurde der bP deshalb zu Teil, weil die bP der armenischen Minderheit im Aserbaidschan angehöre und die allgemeine Situation von dieser Minderheit als sehr schwierig anzusehen sei.
I.3. Am 05.02.2018 brachte die bP beim BFA, RD NÖ, wiederholt und rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs. 4 AsylG ein.
I.4. Angesicht des Antrags wurde das Strafregister überprüf und anschließend von der Behörde ein Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzes eingeleitet. Für 10.04.2018 lud die Behörde die bP zu einer Einvernahme und wurde die bP an diesem Tag ohne Dolmetscher/in durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) bezüglich der Aberkennung des subsidiären Schutzes einvernommen.
Die Wesentlichen Passagen dieser Einvernahme werden im Folgenden auszugsweise zitiert:
…
LA: Gehen Sie einer legalen Beschäftigung in Österreich nach? Wenn ja, welcher?
VP: Ja, ich kehre die Straße in Wien. Wenn ich ein Visum habe, gehe ich arbeiten, wenn nicht, geht das nicht.
Befragt, ich meine den subsidiären Schutz, wenn der verlängert wird, dann kann ich arbeiten.
LA: Sind Sie Mitglied in einem Verein, religiösen Verbindung und sonstigen Organisation?
VP: Nein.
LA: Sie wurden bereits mehrfach zu rechtskräftigen Freiheitsstrafen verurteilt. Wollen Sie dazu kurz Stellung nehmen?
VP: Ich wurde wegen Drogen usw. verurteilt. Seit 2005 bis jetzt passierte nichts mehr. Ich bin ruhiger.
LA: Wo wohnen Sie?
VP: Ich wohne bei Fonds Soziales Wien. Ich bekomme im Monat € 50,- das ist alles was ich habe.
LA: Gegen Sie wurde ein Aberkennungsverfahren eingeleitet, wollen Sie dazu Stellung nehmen?
VP: Ich will weiter hier bleiben. Ich möchte weiter arbeiten, damit ich davon leben kann. Von € 50 kann ich nicht leben.
LA: Was spricht gegen eine Rückkehr in Ihr Heimatland?
VP: Ich kann nicht zurück weil ich katholisch bin und nicht muslimisch. Ich bräuchte Papiere für meinen Pass. Niemand nimmt mich. Ich habe keine Chance in Aserbaidschan. Früher war es egal ob du Armenier warst oder nicht. Heute ist das ein Problem.
...
Am Tag darauf, dem 11.04.2018 wurde die bP ein weiteres Mal, nun unter Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) bezüglich der Aberkennung des subsidiären Schutzes einvernommen.
Die Wesentlichen Passagen dieser Einvernahme werden im Folgenden auszugsweise zitiert:
…
LA: Uns liegt ein Schreiben des Anton Proksch Instituts vor, welchen zu entnehmen ist, dass Sie vom 11.07.2017 bis 10.08.2017 dort aufhältig waren. Welche Behandlung haben Sie dort vornehmen lassen?
VP: Ich habe mich wegen meiner Drogenabhängigkeit behandeln lassen.
LA: Dem Schreiben ist zu entnehmen, dass Sie die Therapie aus eigenem abgebrochen haben, obwohl Ihnen eindringlich dazu geraten wurde, dies nicht zu tun. Warum haben Sie die Therapie abgebrochen?
VP: Es hat mir dort nicht gefallen.
LA: Was hat Ihnen nicht gefallen?
VP: Es war wie ein Gefängnis.
LA: Dies ist doch der Sinn der Therapie, dass Sie dort von den Drogen wegkommen.
VP: Aber ich durfte dort nicht telefonieren und niemanden treffen. Das ist wie ein Gefängnis ohne Polizei. Ich habe etwas anderes gefunden, dort werde ich eine Therapie machen.
LA: Befinden Sie sich derzeit in einer Therapie gegen Ihre Sucht?
VP: Nein nur die Hepatitis lasse ich behandeln. Ich nehme Subsidol, aber weniger.
LA: Waren Sie Heroinabhängig?
VP: Nein, ich habe immer nur Subsidol eingenommen, daher die Sucht. Ich wusste nicht, dass es so gefährlich ist. Das ging dann weiter und weiter.
LA: Der letzte vorliegende Befund ist mit 2016 datiert. Gibt es auch aktuelle Befund oder Therapiepläne hinsichtlich der Hepatitis-Therapie oder der Leberzirrhose?
VP: Nein ich war nicht mehr beim Arzt. Ich war im Anton Proksch Institut und die haben mir dort Medikamente verschrieben und das war es. Ich soll auch keinen Alkohol trinken. Wegen der Leber bin ich so aufgedunsen.
LA: Werden Sie hinsichtlich der Hepatitis-C therapiert?
VP: Nein.
LA: Warum nicht?
VP: Weil ich kein Geld habe und es mir nicht leisten kann. Ich arbeite nicht.
LA: Wird dies nicht von der Krankenkasse bezahlt?
VP: Doch, aber ich kann die Fahrt dorthin nicht zahlen.
LA: Bekommen Sie keine Mindestsicherung?
VP: Ich bekomme nur € 40 die Woche von der Caritas. Wenn ich € 840 bekommen würde, könnte ich das machen.
LA: Seit wann bekommen Sie nur € 40?
VP: Seit 2006 oder 2004. Ich weiß es nicht.
LA: Waren Sie nicht beim AMS oder beim Sozialamt?
VP: Als ich das Visum hatte, habe ich als Straßenkehrer gearbeitet und dies reichte mir.
LA: Bis wann haben Sie als Straßenkehrer gearbeitet?
VP: Bis zum letzten Jahr.
LA: Haben Sie bis zum Aufenthalt im Anton-Proksch Institut gearbeitet?
VP: Ja. Danach nicht mehr. Ich bekomme keine Sozialhilfe, weil ich bei der Caritas wohne und von dieser versorgt werde.
LA: Sie bekommen von mir eine Bestätigung mit, in welcher bestätigt, dass Sie noch subsidiär Schutzberechtigt sind.
VP: Mein Visum ist abgelaufen.
LA: Dafür bekommen Sie von mir diese Bestätigung.
VP: Ich verstehe.
LA: Seit wann wohnen Sie bei der Caritas?
VP: Seit 2006, wie ich gesagt habe.
LA: Hätten Sie es sich nicht leisten können eine eigene Wohnung zu nehmen, als Sie gearbeitet haben?
VP: Nein, ich bekomme nur € 25 am Tag, ich arbeite aber nur zwölf Tage. Es ist nur geringfügig, da bekomme ich nur €250 im Monat.
LA: Warum arbeiteten Sie nicht Vollzeit?
VP: Weil ich keine Staatsbürgerschaft habe.
LA: Haben Sie versucht eine andere Arbeit zu bekommen, wo die österreichische Staatsbürgerschaft nicht vorausgesetzt ist?
VP: Mich nimmt ja keiner, außerdem kann ich wegen meiner Lebererkrankung nicht zu lange arbeiten. Ich bin seit 20 Jahren in Österreich und habe schon alles probiert.
LA: Haben Sie irgendwelche privaten Beziehungen in Österreich, etwa eine Lebensgemeinschaft oder dergleichen?
VP: Nein. Ich habe eine Freundin, aber wir leben nicht zusammen.
LA: Welche Staatsbürgerschaft hat Ihre Freundin?
VP: Sie ist gebürtige Russin, hat aber die österreichische Staatsbürgerschaft.
…
I.5. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD NÖ, vom XXXX 2018 wurde der bP der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z3 AsylG vom Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte gem. § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gem. §57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AslyG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), jedoch gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Aserbaidschan nicht zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen die bP ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.) und ferner ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VII.).
I.5.1 Begründend führte das BFA im Wesentlichen Folgendes aus:
(auszugsweise Wiedergabe aus dem angefochtenen Bescheid)
„In Ihrem Fall war eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durchzuführen, sowie die Erlassung eines Einreiseverbots erforderlich, da Sie während Ihres Aufenthalts in Österreich mehrfach straffällig wurden.“
„Aufgrund der allerdings prekären Lage der armenischen Volksgruppe in Aserbaidschan ist eine Abschiebung in Ihr Heimatland derzeit nicht zulässig, da Sie Gefahr laufen könnten in Aserbaidschan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt zu sein.“
…
- Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, sowie dem Erlassen eines Einreiseverbots:
Seit Ihrem Aufenthalt in Österreich wurden Sie mehrfach straffällig. Dabei wurden Sie mehrfach zu Haftstrafen rechtskräftig verurteilt, unter anderem auch wegen eines Verbrechens gem. § 17 StGB. Auch wenn diese Verurteilung bereits in der Vergangenheit liegt, hat sich Ihr Verhalten seither nicht maßgeblich verbessert. Sie wurden auch danach noch mehrfach straffällig und mussten immer wieder Haftstrafen verbüßen. Ihrem Verhalten ist auch nicht zu entnehmen, dass Sie je versucht hätten, Ihr Leben in den Griff zu bekommen und beispielsweise Ihre Drogensucht zu bekämpfen. So hatten Sie auch erst im Jahr 2017, die Möglichkeit einer stationären Therapie, entgegen dem Rat der behandelnden Ärzte und Therapeuten abgebrochen. Auch Ihre Erkrankungen lassen Sie nicht behandeln, da Ihnen der Weg zur Therapie zu kostspielig erscheint. In Ihrem Fall, scheint allerdings die Sucht, jedenfalls mitauslösend für die begangenen Straftaten gewesen zu sein. Damit haben Sie nicht nur sich selbst geschadet, sondern auch anderen Personen und zeigen Sie kein Interesse an einer Änderung Ihrer Situation und somit auch am Umstand andere Personen durch Ihr Verhalten einer Gefahr auszusetzen bzw. Schaden für die Allgemeinheit zu verursachen. Daher war Ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, da seit den begangenen Straftaten nicht von einer verstrichenen Zeit des Wohlverhaltens gesprochen werden kann.
- Betreffend die Feststellungen zu Ihrem Aufenthalt in Österreich:
Hinsichtlich Ihrer Drogensucht scheinen Sie nicht gewillt zu sein eine entsprechende Therapie durchzuführen, obwohl Ihnen diese vom österreichischen Gesundheitssystem kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. So verließen Sie das Anton Proksch Institut am 10.08.2017 gegen den Rat der behandelnden Ärzte und Therapeuten, obwohl Ihre Therapie nicht abgeschlossen war. Dazu befragt gaben Sie an, sich in der Therapieeinrichtung schlimmer als in einem Gefängnis gefühlt zu haben, da Sie im Gefängnis alles hätten tun dürfen, was in der Therapie nicht möglich gewesen wäre, etwa telefonieren oder Besuche erhalten. Dazu ist anzuführen, dass es sich bei dieser Form des Entzugs um eine anerkannte Therapieform handelt, um Personen mit schweren Sucht- und Entzugserscheinungen entsprechend behandeln zu können. Sie verweigerten diese Form der Therapie und verlangten weiterhin mittels Substitution behandelt zu werden. Diesbezüglich ist jedoch darauf zu verweisen, dass zumindest Sie selbst angegeben hatten, nicht heroinabhängig gewesen zu sein, sondern stets nur Substitol eingenommen zu haben, jedoch in einer unkontrollierten Dosierung. Aus Sicht des Bundesamtes ist die Sinnhaftigkeit einer Therapie mittels jenen Medikament welches die Sucht erst auslöste jedenfalls zu hinterfragen, was auch die Sicht vieler Experten zu diesem Thema darstellt und auch medial immer wieder diskutiert wird. In Ihrem Fall haben jedoch auch die Therapeuten von einer solchen Therapie abgeraten. Auch wenn Sie dadurch eine kontrollierte Dosierung erhalten, ändert dies nichts an Ihrer Abhängigkeit und waren dieser Ansicht offenbar auch die Therapeuten und Ärzte des Anton Proksch Instituts. In Zusammenhang mit Ihrer Erkrankung erscheint diese Vorgehensweise auch äußerst unproduktiv zu sein. Dies vor allem deshalb, da Sie sich hinsichtlich Ihrer Rückkehrbefürchtungen, unter anderem auch darauf stützen, in Aserbaidschan keine ausreichende Therapie bzw. medizinische Behandlung zu erhalten. Denn zum einen ist die Einnahme eines Medikaments wie Substitol, welches auch als Droge Missbrauch findet, wie in Ihrem Fall, nicht förderlich für die Behandlungschancen Ihrer Hepatitis und der Leberzirrhose. Zum anderen gaben Sie auch selbst an, sich derzeit nicht in Behandlung zu befinden. Dies führten Sie auf den Umstand zurück, dass Sie sich die Fahrt zum Krankenhaus bzw. Arzt, bei welchem Sie auf Kosten der Krankenversicherung medizinische und auch medikamentöse Behandlung erhalten würden, nicht leisten könnten. Dies ist aus Sicht des Bundesamtes nicht nachvollziehbar. Es ist nicht verständlich, dass eine Person mit einer Erkrankung, welche bei Nichtbehandlung das Leben kosten könnte, eine kostenlose Behandlung nicht durchführen lässt, weil die Fahrt dorthin nicht leistbar sein soll. Selbst wenn Sie nur € 40 im Monat für Freizeitaktivitäten zur Verfügung hätten, ist es Ihnen durchaus zumutbar, diese für die U-Bahn-Fahrt von Ihrer Wohnadresse im 5. Wiener Gemeindebezirk beispielsweise ins Wiener Allgemeine Krankenhaus zu investieren um eine entsprechende Behandlung durchführen zu lassen. Bemerkenswerterweise schafften Sie es in letzter Zeit auch des Öfteren beim BFA in Wr. Neustadt zu erscheinen um nach dem Stand Ihres Verfahrens zu fragen. Hierbei sei erwähnt, dass die Einzelfahrt nach Wr. Neustadt von Wien aus mit erheblich höheren Kosten verbunden ist, als eine Streckenfahrt mit der Wiener U-Bahn. Damit soll aufgezeigt werden, dass der Umstand, dass Sie keine Therapie durchführen lassen, nicht darin begründet liegt, dass Sie zu wenig Geld vom Staat erhalten würden, oder keiner Arbeit nachgehen dürfen, sondern schlichtweg darin, dass Sie scheinbar kein Interesse an einer Therapie zu haben scheinen. Dazu kann auch nicht unerwähnt bleiben, dass Sie bereits seit 2016 keine aktuellen Befunde mehr in Vorlage gebracht haben und auch selbst angaben seither keine Therapie mehr durchführen zu lassen. Diesbezüglich ist auch der der Umstand, dass Sie bis dato weder eine eigene Wohnung, noch eine Arbeitsstelle gefunden haben, welche Ihnen eine Tätigkeit über die Geringfügigkeitsgrenze hinaus, ermöglichen würde, um sich eine eigene Existenz in Österreich aufzubauen, von Relevanz. Sie gründeten den Umstand, bisher lediglich geringfügig für die MA 48 angestellt gewesen zu sein, in Ihrem Aufenthaltsstatus, was nicht den rechtlichen Grundlagen entspricht. Denn als subsidiär Schutzberechtigter wären Sie bereits seit vielen Jahren berechtigt gewesen einen Vollzeitjob anzunehmen. Auch wenn nachvollziehbar ist, dass Sie in der Privatwirtschaft, aufgrund Ihrer Vorstrafen, nur schlecht eine Anstellung bekommen, gibt es in Österreich entsprechende Programme, welche Sie in Anspruch hätten nehmen können. Weder haben Sie etwas in Vorlage gebracht, noch sind Ihrem Akt Schriftstücke zu entnehmen, welche darauf schließen ließen, dass Sie Entsprechendes unternommen haben, um an dieser Situation etwas zu verändern. So hätten Sie sich beispielsweise an das Arbeitsmarktservice wenden können, welches Sie bei der Arbeitssuche unterstützt hätte. Dieses stellt auch entsprechende Bestätigungen aus, welche Schritte Sie selbst im Zuge der Arbeitssuche gesetzt haben. Ebenso verhält es sich mit Ihren Wohnverhältnissen. So wohnen Sie immer noch in einer Unterkunft der Caritas und lassen sich von dieser Organisation unterstützen. Somit zeigen Sie selbst auf, dass Sie nicht in Stande oder Willens sind Ihr Leben eigenständig zu meistern und Verantwortung zu übernehmen. Wobei in Ihrem Fall davon auszugehen ist, dass Sie nicht willens sind, wären Sie andernfalls bereits besachwaltert worden, was einerseits nicht geschah und andererseits auch nicht notwendig zu sein scheint. So machten Sie auf die Leiterin der Einvernahme durchaus den Eindruck, die Verantwortung für sich selbst und Ihre Angelegenheiten übernehmen zu können, wenn Sie nur wollten. Somit lässt sich aus der Art wie Sie Ihr Leben in Österreich gestalten auch keine Aufenthaltsverfestigung ableiten.
I.5.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Aserbaidschan traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen.
I.5.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass der zuerkannte subsidiäre Schutz abzuerkennen und die befristete Aufenthaltsberechtigung zu entziehen war. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und 55 AsylG ergeben und wurde die Rückkehrentscheidung auch im Hinblick auf einen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK geprüft und ein Eingriff verneint.
I.6. Gegen diesen Bescheid brachte die bP durch seine damalige rechtliche Vertretung, ARGE Rechtberatung, Mag. Igor MATEJUK, fristgerecht im vollen Umfang die verfahrensgegenständliche Beschwerde ein. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Behörde stütze sich in ihrer Entscheidung einzig und allein auf die Verurteilung der bP vom 01.02.2020. Die Verurteilung liege jedoch länger als 18 Jahre zurück und wurde einerseits vor Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG (am 02.05.2000) und andererseits vor Inkrafttreten des § 9 Abs. 2 AsylG idgF (eingeführt mit der Novelle BGBl. I 122/2009, seit 01.01.2010 in Kraft) begangen. Zu einem beinahe identen Sachverhalt liege auch ein Erkenntnis des VfGH vom 16.12.2010, GZ: U 1769/10 vor, darin habe der VfGH ausdrücklich festgehalten, dass § 9 Abs 2 AsylG 2005 auf vor seinem Inkrafttreten und der Gewährung von subsidiären Schutz liegende Sachverhalte nicht anzuwenden sei. Dies vor allem deshalb weil Gesetze im Allgemeinen nur auf Sachverhalte anzuwenden seien, die sich nach ihrem Inkrafttreten ereignen, sofern der Gesetzgeber nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt (Art 49 B-VG). Die vorliegende Bestimmung sei am 01.01.2010 in Kraft getreten und liege auch keine ausdrückliche Rückwirkung vor. Ferner habe der VfGH in seiner Entscheidung auch ausgeführt, dass der Gesetzgeber in den Materialien zu der Bestimmung deutlich zum Ausdruck bringe, dass er die Aberkennung jedenfalls für nach der Zuerkennung begangene Straftaten vorsehe und der Gesetzgeber nicht beabsichtigt habe, den subsidiären Schutz wegen Straftaten abzuerkennen, die vor seiner Zuerkennung begangen wurden. Da die belangte Behörde ihre Entscheidung auf eine rechtskräftige Verurteilung vom 01.02.2000 stützt, welche zum einen vor Zuerkennung des subsidiären Schutzes und zum anderen vor Erlassung der gesetzlichen Bestimmung des § 9 Abs 2 AsylG (Aberkennung subsidiärer Schutz) begangen wurde, wurde die Rechtlage verkannt und die Entscheidung mit Willkür belastet. Da die Aberkennung somit zu Unrecht erfolgte sei auch das damit verbundene Einreiseverbot zu beheben. Ferner stelle die Entscheidung auch eine Verletzung des Privatlebens iSd Art 8 EMRK dar, denn der BF sei in Österreich gut integriert, da er ein Drittel seines Lebens hier verbracht habe und habe auch eine Freundin, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Schließlich wurde noch die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.
I.7. Die Beschwerdevorlage langte am 10.10.2018 beim BVwG ein und wurde der Außenstelle Linz zuständigkeitshalber weitergeleitet.
I.8. Am 30.01.2020 langte hg. der Antrag der bP auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung eines Fristsetzungsantrags samt einem angeschlossenen Vermögenbekenntnis ein. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerde bereits 15 Monate anhängig sei und noch keine Entscheidung ergangen ist. Der Antrag wurde noch am selben Tag vom BVwG an den VwGH zur Entscheidung weitergeleitet.
I.9. Mit Schriftsatz vom 31.01.2020 langte das Ersuchen der ARGE Rechtsberatung auf baldige Anberaumung einer mündlichen Verhandlung bei Gericht ein. Das lange Warten würde sich negativ auf den psychischen Zustand der bP auswirken.
I.10. Mit Beschluss des VwGH vom 10.02.2020 wurde der bP Verfahrenshilfe gewährt durch die Beigabe eines Rechtsanwalts sowie einstweiligen Befreiung von der Entrichtung der Eingabegebühr nach § 24a VwGG.
I.11. Mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Wien vom 19.02.2020 wurde der bP Herr MMag. Dr. Gerold WIETRZYK, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer beigegeben.
I.12. Mit E-Mail vom 16.03.2020 wurde von der Substitutionsvertretung des beigegebenen Rechtsanwalts, Frau Mag. Barbara Koland, der Antrag an das BVwG auf Aktenabschrift des gegenständlichen Verfahrensaktes begehrt.
I.13. Aufgrund der aktuellen Lage (COVID-19) wurde der rechtlichen Vertretung der bP anstatt der geplanten Akteneinsicht am 02.04.2020, der Akt am 30.03.2020 elektronisch übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
II.1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:
Die bP führt im Verfahren den Namen XXXX und wurde am XXXX in der ehemaligen Sowjetunion geboren. Er ist Staatsangehöriger von Aserbaidschan, Angehöriger der armenischen Volksgruppe und katholischen Glaubens.
Die bP befindet sich bereits seit 1999 in Österreich. Im Herkunftsstaat verfügt er über keine familiären Anknüpfungspunkte mehr. Seine Eltern sind bereits seit mehr als 25 Jahren verstorben (gibt an seine Eltern sind 1988 bzw. 1989 verstorben).
Er leidet an Hepatitis-C, einer Leberzirrhose und einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung. Ferner wurde bei der bP ein Abhängigkeitssyndrom aufgrund Gebrauch von Opioiden und Medikamenten diagnostiziert. Aus diesem Grund hat die bP beim Anton-Proksch-Institut am 11.07.2017 eine Entzugsbehandlung begonnen und auf eigenen Wunsch am 10.08.2017 vorzeitig wieder abgebrochen, weshalb die Behandlung nicht abgeschlossen werden konnte. Aus den Befunden des Anton-Proksch-Instituts ergibt sich eine rezidivierende-depressive Störung mit teils schweren Episoden. Bereits im Jahr 2016 war die bP im Zentrum für Suchtkranke des Otto-Wagner-Spitals aufhältig.
Nach Einschätzung der Behörde spricht der die bP gebrochen Deutsch.
Die bP lebt in Österreich in einer sozialen Einrichtung der Caritas und wird von dieser verpflegt und versorgt. Darüber hinaus bezieht er Taschengeld von €40 pro Woche.
Im österreichischen Strafregister scheinen folgende rechtkräftige Verurteilungen auf:
01) LG Wr. Neustadt 41 E VR 15/2000 HV 102/2000 RK 01.02.2000
PAR 15 127 129/2 PAR 107/1 StGB
Freiheitsstrafe 7 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 01.02.2000
Zu LG Wr. Neustadt 41 E VR 15/2000 HV 102/2000 RK 01.02.2000
Probezeit verlängert auf 5 Jahre
LG St. Pölten 20 E VR 813/2000/B vom 10.10.2000
Zu LG Wr. Neustadt 41 E VR 15/2000 HV 102/2000 RK 01.02.2000
Teil der Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig Vollzugsdatum 01.02.2000
LG Wr. Neustadt 41 E VR 15/2000 vom 16.08.2005
02) LG St. Pölten 20 E VR 813/2000 HV 97/2000 vom 10.10.2000
PAR 105/1 PAR 127 130 15 StGB
Freiheitsstrafe 4 Monate
Freiheitsstrafe 8 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 14.12.2000
Zu LG St. Pölten 20 E VR 813/2000 HV 97/2000 vom 10.10.2000
Rest der Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig Vollzugsdatum 14.12.2000
LG St. Pölten 20 E VR 813/2000 vom 02.03.2000
Zu LG St. Pölten 20 E VR 813/2000 HV 97/2000 vom 13.10.2000
Rest der Freiheitsstrafe nachgesehen, bedingt, Probezeit 3 Jahre, Beginn der Probezeit 14.12.2000 gem. Entschließung des Bundespräsidenten vom 14.12.2000, Erlass des BMF-J Zl. 4728/100-IV 4/00 Justizanstalt St. Pölten 11274 vom 14.12.2000
03) LG Krems a d Donau 24 E VR 259/2001 HV 143/2001 vom 18.07.2001 RK 20.07.2001
PAR 104/1 U 3 FrG
Freiheitsstrafe 7 Monate
Vollzugsdatum 08.01.2002
04) LG f. Strafsachen Wien 111 HV 142/2005Y vom 19.09.2005 RK 19.09.2005
PAR 127 130 (1. Fall) StGB
Freiheitsstrafe 1 Jahr
Vollzugsdatum 25.07.2006
05) BG Hernals 009 U 168/2014w vom 08.01.2015 RK 05.03.2015
§ 15 StGB § 83 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat 04.03.2014
Freiheitsstrafe 2 Wochen, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Zu BG HERNALS 009 U 168/2014w RK 05.03.2015
Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre
BG Innere Stadt Wien 015 U 154/2015v vom 29.07.2015
06) BG Innere Stadt Wien 015 U 154/2015v vom 29.07.2015 RK 03.08.2015
§ 15 StGB § 83 (1) StGB
Datum der letzten Tat 19.02.2015
Freiheitsstrafe 2 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.
II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat im Herkunftsstaat Aserbaidschan:
Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Aserbaidschan schließt sich das ho. Gericht den schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen der belangten Behörde an.
Politische Lage
Letzte Änderung: 16.4.2020
Aserbaidschan ist ein säkularer Staat mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit. Es herrscht ein im regionalen Vergleich bemerkenswertes Maß an Religionsfreiheit und religiöser Toleranz (AA 22.2.2019). Aserbaidschan ist eine Präsidialrepublik (AA 22.2.2019). Die Verfassung räumt dem Präsidenten weitreichende Vollmachten ein. Der Präsident ernennt und entlässt den Ministerpräsidenten und die Minister, die allein ihm verantwortlich sind. Er ist dem Parlament (Milli Mejlis) gegenüber nicht verantwortlich (AA 26.2.2020a). Die Nationalversammlung (Milli Mejlis) wirkt an der Gesetzgebung mit, spielt aber eine deutlich nachgeordnete Rolle. Staatspräsident Ilham Aliyev, der 2003 seinem Vater Heydar Aliyev nachgefolgt ist, dominiert das politische Leben (AA 22.2.2019). Obwohl Präsident Ilham Aliyev, immer noch der mächtigste Mann im Land ist, hat er im Gegensatz zu seinem verstorbenen Vater nur eine begrenzte Autorität, da er die Macht mit einigen sehr mächtigen Staatsbeamten und Oligarchen teilen muss. Das Parlament und die kommunalen Vertreter, obgleich vom Volk nominell gewählt, bleiben passive Teilnehmer im politischen Entscheidungsprozess. Parlamentarier sind oft Schützlinge und Verwandte von Oligarchen und einflussreichen Exekutivfunktionären. Sie führen lediglich Aufträge aus, die sie direkt vom Präsidentenbüro erhalten, das de facto der alleinige bestimmende Akteur der Legislative ist (BTI 2018).
Die Präsidentschaftswahlen am 11.04.2018 entsprachen nach Ansicht der internationalen Wahlbeobachter und des Auswärtigen Amts nicht den international anerkannten Standards. Das Wahlbeobachtungsamt der OSZE/ODIHR hatte zuvor am Monitoring der Parlamentswahlen am 01.11.2015 nicht teilgenommen. Während die Regierung regelmäßig auf administrative Ressourcen und die staatlich kontrollierten elektronischen Medien zurückgreift, werden die Versuche der Opposition sich öffentlich zu versammeln oder sonst öffentlich wahrnehmbar zu äußern, deutlich erschwert. Die Verfassung enthält den Grundsatz der Gewaltenteilung. Parteien sind in Aserbaidschan nur rudimentär ausgeprägt. Die Rechtsprechung wird durch den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, Berufungsgerichte, erstinstanzliche Bezirksgerichte und Gerichte mit Sonderzuständigkeiten ausgeübt (AA 22.2.2019).
Die Nationalversammlung ist seit 2005 ein Einkammerparlament mit 125 Mitgliedern. Alle Sitze werden in Einpersonenwahlkreisen nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben, ein Platz bleibt für Bergkarabach vakant. Die Legislaturperiode beträgt fünf Jahre (aktives Wahlrecht ab 18, passives ab 25 Jahre) (LIPortal 4.2018).
Bei der Parlamentswahl [Februar 2020] hat die bisherige Regierungspartei nach offiziellen Angaben die absolute Mehrheit geholt. Die Partei des seit 2003 mit harter Hand regierenden Präsidenten Ilham Alijew hat sich bei der vorgezogenen Wahl 65 der 125 Sitze im Parlament gesichert (DW 10.2.2020).
Internationale Wahlbeobachtungsmissionen stellten ernsthafte Unregelmäßigkeiten in allen Phasen des Wahlprozesses fest (vgl. DW 10.2.2020) und kritisierten den Mangel an echtem demokratischen Wettbewerb. Aserbaidschan ist Mitglied des Europarats und Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention. Jedoch unterliegen Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit erheblichen Einschränkungen. Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen ist deutlich erschwert (AA 26.2.2020a).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458485/4598_1551701778_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-aserbaidschan-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 25.7.2019
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020a): Aserbaidschan: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschan-portrait/202964, Zugriff 14.4.2020
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Azerbaijan.pdf, Zugriff 23.7.2019
- DW – Deutsche Welle (10.2.2020): Absolute Mehrheit für Alijews „Neues Aserbaidschan“, https://www.dw.com/de/absolute-mehrheit-f%C3%Bcr-alijews-neues-aserbaidschan/a-52320887, Zugriff 16.4.2020
- LIPortal – Länderinformationsportal (4.2018): Aserbaidschan, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aserbaidschan/geschichte-staat/#c6951, Zugriff 21.1.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 14.4.2020
Die Kriminalitätsrate in Aserbaidschan ist niedrig. Von Reisen in die Region Bergkarabach sowie in die im Südwesten Aserbaidschans gelegenen, von armenischen Streitkräften besetzten und nur über die Republik Armenien zu erreichenden Bezirke Agdam, Füsuli, Dschabrayil, Sangilan, Kubadli, Ladschin und Kalbadschar wird dringend abgeraten. Dies gilt auch für die unmittelbar auf aserbaidschanischer Seite der Waffenstillstandslinie (Kontaktlinie) angrenzenden Gebiete. Es muss dort, sowie an der aserbaidschanisch-armenischen Landesgrenze, einschließlich der Grenze zwischen der aserbaidschanischen Autonomen Republik Nachitschewan und Armenien, mit Schusswechseln gerechnet werden. An der Waffenstillstandslinie kommt es immer wieder zu Schusswechseln, außerdem besteht Minengefahr (AA 14.4.2020).
Trotz des Waffenstillstandes kommt es entlang der Waffenstillstandslinie immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen mit Todesopfern. Ein Sicherheitsrisiko besteht für die Region Bergkarabach und die angrenzenden Bezirke (Agdam, Füsuli, Dschabrayil, Sangilan, Kubadli, Ladschin und Kalbadschar) (BMEIA 14.4.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (14.4.2020): Aserbaidschan: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschansicherheit/201888, Zugriff 14.4.2020
- BMEIA – BM Europa, Integration und Äußeres (14.4.2020): Aserbaidschan, Reise und Aufenthalt, Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aserbaidschan/, Zugriff 14.4.2020
Regionale Problemzone Bergkarabach
Letzte Änderung: 14.4.2020
Am 26. Nov. 1991 hob Aserbaidschans Parlament den seit 1923 geltenden Status von Bergkarabach als Autonomes Gebiet auf; am 6. Jan. 1992 erklärte sich Bergkarabach unter Einbeziehung der Provinz Schaumjan unter dem bereits am 2. Sept. 1991 angenommenen Namen Republik Bergkarabach einseitig für unabhängig. Im Kampf um das 1991 zu 75,2% von Armeniern und zu 21,0% von Aserbaidschanern bewohnte Gebiet wurden bis Mitte 1993 insgesamt 16,4% des aserbaidschanischen Staatsgebiets von Armeniern besetzt. Es steht nicht nur das Gebiet von Bergkarabach außerhalb der Kontrolle der Regierung Aserbaidschans, sondern auch die benachbarten Provinzen Kelbadschar (Kälbäcär) Fizuli (Füzuli), Kubatli (Qubadli), Dschebrail (Cäbrayil), Zangelan (Zängilan), Agdam, Latschin (Laçin) und Schuscha (Susa) sind von armenischen Truppen besetzt. Seit dem 16. Mai 1994 gilt ein Waffenstillstandsabkommen. Die Kämpfe kosteten insgesamt 43.000 Menschenleben und machten 1,2 Mio. Menschen zu Flüchtlingen bzw. Vertriebenen. Die Zahl der in anderen Landesteilen lebenden aserbaidschanischen Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem Kampfgebiet wurde 2006 (je nach Quelle) noch mit 528.000 bzw. 580.000 bis 690.000 angegeben. Eine Friedenslösung, um die sich die OSZE seit vielen Jahren bemüht, konnte bislang nicht erzielt werden. Seit 1998 finden Friedensverhandlungen auf der Ebene der in unregelmäßigem Turnus stattfindenden Treffen der Staatspräsidenten Aserbaidschans und Armeniens statt (LIPortal 4.2018).
Die Region Bergkarabach und die sieben angrenzenden Bezirke sind von Armenien militärisch besetzt. Sie sind für Aserbaidschaner nicht zugänglich. Seit 1994 herrscht ein Waffenstillstand, der regelmäßig von beiden Seiten, entlang der sog. „Kontaktlinie“ verletzt wird (AA 22.2.2019). Entlang der Kontaktlinie und entlang der armenisch-aserbaidschanischen Staatsgrenze kommt es regelmäßig zu Zwischenfällen mit Toten und Verletzten. Die Konfliktgebiete sind teilweise stark vermint (EDA 14.4.2020; vgl. AA 14.4.2020b).
Die de facto „Republik Bergkarabach“ wird von keinem Staat anerkannt und ist in jeder Hinsicht von der Republik Armenien abhängig. Aserbaidschan strebt eine Friedensvereinbarung und die Rückgabe der besetzten Gebiete an, mit dem Ziel, die Binnenflüchtlinge in ihre Heimatregionen rückzusiedeln (AA 22.2.2019).
Separatisten kontrollierten, mit armenischer Unterstützung, weiterhin den größten Teil von Bergkarabach und sieben umliegende aserbaidschanische Gebiete. Der endgültige Status von Bergkarabach blieb Gegenstand einer internationalen Vermittlung durch die Minsk-Gruppe der OSZE. Die Gewalt entlang der Kontaktlinie blieb das ganze Jahr über gering (USDOS 11.3.2020).
Detaillierte Informationen zu Bergkarabach finden sich im Länderinformationsblatt ARMENIEN
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458485/4598_1551701778_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-aserbaidschan-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 25.7.2019
- AA - Auswärtiges Amt (14.4.2020b): Aserbaidschan, Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschansicherheit/201888, Zugriff 14.4.2020
- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (21.1.2020): Reisehinweise für Aserbaidschan, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/aserbaidschan/reisehinweise-fueraserbaidschan.html, Zugriff 14.4.2020
- LIPortal – Länderinformationsportal (4.2018): Aserbaidschan, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aserbaidschan/geschichte-staat/#c6951, Zugriff 21.1.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html, Zugriff 7.4.2020
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 10.4.2020
Ungeachtet zahlreicher Gesetze, die sich an westlichen Standards orientieren, bleibt die Rechtsanwendung hinter den Standards des Europarats zurück. Die Rechtsprechung ist zwar formell unabhängig, steht aber faktisch unter dem Einfluss der Regierungsgewalt. Insbesondere in den Verfahren, die von politischer Bedeutung sind (wie z.B. Strafverfahren gegen kritische Journalisten und oppositionelle Menschenrechtsaktivisten), scheinen die Urteile politischen Vorgaben zu folgen. Bei Urteilen zulasten der Regierung sind Umsetzung bzw. Vollstreckung problematisch. In politisch relevanten Fällen wird der Grundsatz der Unschuldsvermutung, den die Verfassung in Art. 63 garantiert, regelmäßig nicht beachtet; Erklärungen der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums enthalten oft Vorverurteilungen. Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe diskriminiert, lässt sich grundsätzlich nicht feststellen. Personen, die des Umsturzversuches oder des Terrorismus bezichtigt werden, müssen aber in besonderem Maße mit langjährigen Haftstrafen rechnen. Auf Jugendliche über 16 Jahre wird Erwachsenenstrafrecht angewendet. Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren sind nur bei bestimmten Verbrechen, wie z.B. Mord, Vergewaltigung und schwerer Sachbeschädigung, strafmündig. Kinder unter 14 sind strafunmündig. Für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren bestehen im Falle der Verhängung einer Freiheitsstrafe Erziehungsanstalten, in die sie eingewiesen werden können. Jeder Bürger des Landes, der sich durch einen Akt staatlicher Gewalt in diesen Grundrechten verletzt sieht, kann im Wege einer Individualbeschwerde den Rechtsweg zum Verfassungsgericht beschreiten (AA 22.2.2019).
Es gibt keine unabhängige Justiz. Die Gerichte sind korrupt und funktionieren als Strafmechanismus in den Händen der Exekutive. Die Situation hat sich durch eine Welle von Berufsverboten unabhängiger Verteidiger weiter verschlechtert. Die Regierung mischt sich massiv ein und hat das letzte Wort bei Gerichtsentscheidungen in politischen, wirtschaftlichen und anderen öffentlich sensiblen Fällen. Verteidiger spielen in hohem Maße nur eine formale Rolle und haben nur geringen Einfluss auf Gerichtsentscheidungen. Die Anwaltskammer wird ebenfalls von der Exekutive kontrolliert und häufig als Instrument zur Bestrafung unabhängiger Verteidiger eingesetzt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EMRK) bleibt weitgehend die letzte vertrauenswürdige Chance für Rechtssuchende in Aserbaidschan. In den letzten Jahren hat die Regierung jedoch die Entscheidungen der EMRK verzögert und sogar ignoriert (BTI 2018).
Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, agierten die Richter nicht unabhängig von der Exekutive. Die Justiz blieb weitgehend korrupt und ineffizient. Viele Urteile waren rechtlich nicht haltbar und standen weitgehend in keinem Zusammenhang mit den während des Prozesses vorgelegten Beweisen. Die Ergebnisse erschienen häufig vorgegeben. Die Gerichte haben es oft versäumt, Vorwürfe der Folter und der unmenschlichen Behandlung von Häftlingen in Polizeigewahrsam zu untersuchen. Das Justizministerium kontrollierte den Justizverwaltungsrat. Der Rat ernennt einen Auswahlausschuss (sechs Richter, einen Staatsanwalt, einen Rechtsanwalt, einen Ratsvertreter, einen Vertreter des Justizministeriums und einen Rechtswissenschaftler), der das gerichtliche Auswahlverfahren und die Prüfung administriert und die langfristige juristischen Ausbildung überwacht. Glaubwürdige Berichte zeigten, dass Richter und Staatsanwälte Anweisungen von der Präsidialverwaltung und dem Justizministerium erhielten, insbesondere in politisch sensiblen Fällen. Es gab glaubwürdige Anschuldigungen, dass Richter routinemäßig Bestechungsgelder annahmen. Am 3. April [2019] unterzeichnete der Präsident ein Dekret über begrenzte Reformen im Justizsektor. Das Dekret forderte eine Erhöhung der Richtergehälter, eine Erhöhung der Zahl der Richterposten (von 600 auf 800), Tonaufnahmen aller Gerichtsverfahren und die Einrichtung spezialisierter Handelsgerichte für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Unternehmertum. Das Dekret ordnete auch eine Erhöhung der Mittel für die kostenlose Prozesskostenhilfe an.
Das Gesetz schreibt die Unschuldsvermutung in Strafsachen vor. Es schreibt auch das Recht der Angeklagten vor, unverzüglich über die Anklagepunkte informiert zu werden, ein faires, zeitgerechtes und öffentliches Verfahren zu erhalten, bei der Verhandlung anwesend zu sein, mit einem Anwalt ihrer Wahl zu kommunizieren (oder einen Anwalt auf öffentliche Kosten stellen zu lassen, wenn sie nicht in der Lage sind, die Kosten zu tragen), angemessene Zeit und Einrichtungen zur Vorbereitung der Verteidigung bereitzustellen, vom Zeitpunkt der Anklageerhebung an in allen Berufungsverfahren unentgeltlich Dolmetscher zu stellen, Zeugen bei der Verhandlung entgegenzutreten und Zeugenaussagen in der Verhandlung zu präsentieren und nicht gezwungen zu werden, auszusagen oder sich schuldig zu bekennen. Sowohl Angeklagte als auch Staatsanwälte haben das Recht, Berufung einzulegen. Die Behörden haben diese Bestimmungen in vielen Fällen, die weithin als politisch motiviert galten, nicht eingehalten. Obwohl die Verfassung die Gleichberechtigung von Staatsanwälten und Verteidigern vorschreibt, bevorzugen die Richter bei der Beurteilung von Anträgen, mündlichen Erklärungen und Beweisen, die von Verteidigern vorgelegt werden, oft Staatsanwälte, ohne Rücksicht auf die Begründetheit ihrer jeweiligen Argumente. Die Verfassung verbietet die Verwendung von illegal erlangten Beweisen. Trotz der Behauptungen einiger Angeklagter, dass die Polizei und andere Behörden durch Folter oder Missbrauch eine Zeugenaussage erhielten, berichteten Menschenrechtsbeobachter, dass die Gerichte den Missbrauchsvorwürfen nicht nachgingen, und es gab keinen unabhängigen forensischen Ermittler, der die Behauptungen des Missbrauchs untermauern konnte. Es gab keine wörtlichen Abschriften von Gerichtsverfahren.
Das Gesetz sieht vor, dass Personen, die inhaftiert, verhaftet oder einer Straftat beschuldigt werden, ein ordnungsgemäßes Verfahren erhalten, einschließlich der sofortigen Unterrichtung über ihre Rechte und den Grund ihrer Verhaftung. In Fällen, die als politisch motiviert galten, wurde das ordentliche Verfahren nicht eingehalten, und die Angeklagten wurden unter einer Vielzahl von falschen Anklagen verurteilt. Dem Gesetz nach sind Häftlinge innerhalb von 48 Stunden nach der Verhaftung einem Richter vorzuführen. Der Richter kann dann entweder einen Haftbefehl erlassen, der den Häftling in Untersuchungshaft nimmt oder diesen unter Hausarrest stellt, oder die Freilassung des Häftlings anordnen. In der Praxis haben die Behörden jedoch manchmal Personen für länger als 48 Stunden festgehalten. Die anfängliche Haftzeit von 48 Stunden kann unter bestimmten Umständen auf 96 Stunden verlängert werden. Während der Untersuchungshaft oder des Hausarrests muss die Generalstaatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abschließen. Die Untersuchungshaft ist auf drei Monate begrenzt, kann aber von einem Richter auf bis zu 18 Monate verlängert werden, je nach mutmaßlicher Straftat und den Erfordernissen der Untersuchung. Es gab Berichte darüber, dass Häftlinge nicht umgehend über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen informiert wurden. Es gibt ein formales Kautionssystem, aber die Richter nützten es nicht. Das Gesetz sieht den Zugang zu einem Anwalt ab dem Zeitpunkt der Inhaftierung vor, aber es gab Berichte, dass die Behörden den Zugang von Anwälten zu Mandanten sowohl in politisch motivierten als auch in Routinefällen häufig verweigerten. Aserbaidschan verfügt über ein Militärgerichtssystem mit zivilen Richtern. Das Militärgericht behält die ursprüngliche Zuständigkeit für alle Fälle im Zusammenhang mit Krieg oder Militärdienst (USDOS 11.3.2020).
Die Justiz ist korrupt und der Exekutive untergeordnet. Die Richter werden vom Parlament auf Vorschlag des Präsidenten ernannt. Die mangelnde politische Unabhängigkeit der Gerichte zeigt sich besonders deutlich in den vielen erfundenen oder anderweitig fehlerhaften Fällen, die gegen Oppositionelle, Aktivisten und kritische Journalisten vorgebracht werden. Die verfassungsmäßigen Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren werden nicht eingehalten. Willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen sind üblich und die Gefangenen werden oft lange Zeit vor dem Prozess festgehalten. Politische Gefangene haben über einen eingeschränkten Zugang zu Rechtsbeistand, das Fälschen und Vorenthalten von Beweisen und über körperliche Misshandlungen zur Erzwingung von Geständnissen berichtet. Obwohl nominell unabhängig, handelt die aserbaidschanische Anwaltskammer auf Anordnung des Justizministeriums und macht sich an der Schikane von Menschenrechtsanwälten mitschuldig. Die 2018 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen sahen vor, dass nur Mitglieder der Anwaltskammer Mandanten vor Gericht vertreten dürfen. Seither hat die Vereinigung die meisten der aktiven Menschenrechtsanwälte des Landes ausgeschlossen, suspendiert oder bedroht, weil sie vor den Medien über Verletzungen der Rechte ihrer Mandanten gesprochen haben. In fast allen Disziplinarfällen haben die Gerichte die Entscheidungen der Anwaltskammer ohne eine gründliche Bewertung oder öffentliche Rechtfertigung bestätigt. Die Strafverfolgungsbehörden überwachten private Telefon- und Online-Kommunikation, insbesondere von Aktivisten, politischen Persönlichkeiten und ausländischen Staatsangehörigen, ohne gerichtliche Aufsicht. Die Verfolgung von Kritikern und ihren Familien durch die Regierung hat die Privatsphäre der gewöhnlichen Einwohner untergraben, genauso wie die Offenheit privater Diskussionen. Sogar Staatsbeamte wurden für ihre Aktivitäten in den sozialen Medien und die ihrer Familienmitglieder bestraft und Aktivisten wurden, aufgrund von nicht damit zusammenhängenden fabrizierten Anklagen, für kritische Facebook-Posts inhaftiert (FH 4.3.2020).
Die im Zusammenhang mit der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention eingeführte Individualverfassungsbeschwerde ermöglicht es jedem Bürger, sich an das Verfassungsgericht zu wenden. Die Judikative wird durch die verfassungs-, zivil- und strafrechtlichen Gerichtsverfahren sowie durch andere gesetzlich vorgesehene Formen verwirklicht. Die Judikative wird durch das am 04.07.1998 gebildete Verfassungsgericht, den obersten Gerichtshof, das Appellations- und Wirtschaftsgericht sowie durch Allgemein- und Sondergerichte Aserbaidschans vollzogen. Die neuen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs werden vom Parlaments auf Empfehlung des Präsidenten für zehn Jahre berufen. Zu den Quellen des Verfassungsrechts gehören auch Gesetze und Rechtsakte des Präsidenten, des Parlaments und der Regierung Aserbaidschans (LIPortal 4.2018).
Der Menschenrechtskommissar des Europarates stellte fest, dass Aserbaidschan unter einem erheblichen Mangel an Anwälten leidet. Laut dem Bericht der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) aus dem Jahr 2018 hatte Aserbaidschan zwischen 2010 und 2016 die geringste Anzahl von Anwälten pro 100.000 Einwohner im Gebiet des Europarates: Im Jahr 2016 kamen neun Anwälte auf 100.000 Einwohner, bei einem Durchschnitt von 162 Anwälten pro 100.000 Einwohner in den Mitgliedstaaten des Europarates. Darüber hinaus besteht die Notwendigkeit, die Unabhängigkeit der Anwaltskammer und ihre Rolle bei der Vertretung und Verteidigung der Interessen ihrer Mitglieder zu stärken. Der Kommissar ist besorgt über die Anwendung von Disziplinarmaßnahmen aus unzulässigen Gründen, wie z.B. wegen der Äußerung kritischer Standpunkte, sowie über das Fehlen klarer Kriterien für die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen, insbesondere die Verhängung von Berufsverboten, und betont, dass Anwälte ethische Standards einhalten und in der Lage sein sollten, ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen beruflich tätig zu werden (CoE – CommDH 11.12.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458485/4598_1551701778_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-aserbaidschan-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 25.7.2019
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Azerbaijan.pdf, Zugriff 23.7.2019
- CoE-CommDH – Council of Europe – Commissioner for Human Richts (11.12.2019): Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatovi?: Report following her visit to Azerbaijan from 8 to 12 July 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021164/CommDH%282019%2927+-+Report+on+Azerbaijan_EN.docx.pdf, Zugriff 3.1.2020
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html, Zugriff 6.4.2020
- LIPortal – Länderinformationsportal (4.2018): Aserbaidschan, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aserbaidschan/geschichte-staat/#c6951, Zugriff 21.1.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html, Zugriff 10.4.2020
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 10.4.2020
Die Polizei untersteht dem Innenministerium, der innenpolitische Staatliche Sicherheitsdienst dem Präsidenten (AA 22.2.2019).
Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst sind für die Sicherheit im Land verantwortlich und unterstehen direkt dem Präsidenten. Das Innenministerium unterhält die lokalen Polizeikräfte und interne Zivilschutztruppen. Der Staatssicherheitsdienst ist für innere Angelegenheiten zuständig, und der Auslandsnachrichtendienst konzentriert sich auf Fragen des Auslandsnachrichtendienstes und der Spionageabwehr. NGOs berichteten, dass beide Dienste Personen festgenommen haben, die ihr Recht auf Grundfreiheiten ausgeübt haben. Zivile Behörden übten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Die Regierung hat die meisten Beamten, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, nicht strafrechtlich verfolgt oder bestraft. Straffreiheit blieb ein Problem. Es gab mehrere Berichte, dass die Regierung oder ihre Agenten willkürliche oder ungesetzliche Tötungen begingen. Es gab keine Berichte über Verschwindenlassen durch oder im Namen von Regierungsbehörden (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458485/4598_1551701778_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-aserbaidschan-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 25.7.2019
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html, Zugriff 10.4.2020
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 10.4.2020
Die Behörden weisen in der Regel Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen in der Haft ab und die Praxis wurde ungestraft fortgesetzt (HRW 14.1.2020).
Die Anwendung von Folter ist verboten und steht unter Strafe; ein durch Folter erlangter Beweis darf vor Gericht nicht verwendet werden. Es gibt glaubwürdige Berichte über Misshandlung verhafteter Personen im Polizeigewahrsam. Die überwiegende Zahl der berichteten Vorfälle soll sich auf Polizeistationen bzw. in Untersuchungshaft ereignet haben. Es gibt Hinweise, dass religiös-politische Häftlinge in Gefängnissen einem höheren Risiko von Misshandlungen und Folter im Vergleich zu den „weltlichen“ politischen Gefangenen ausgesetzt sind. Beweise für extralegale Tötungen oder Fälle von „Verschwinden lassen“ liegen nicht vor. Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden nicht praktiziert (AA 22.2.2019).
Während die Verfassung und das Strafgesetzbuch solche Praktiken verbieten, und bei Verurteilung Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren vorsehen sind, gab es glaubwürdige Vorwürfe wegen Folter und anderer Misshandlungen. Die meisten Misshandlungen fanden statt, während sich die Inhaftierten in Polizeigewahrsam befanden (USDOS 11.3.2020), wo die Behörden Berichten zufolge missbräuchliche Methoden zum Erwirken von Geständnissen einsetzten (USDOS 13.3.2019, vgl. FH 4.3.2020). Die Gerichte haben es oft versäumt, Vorwürfe der Folter und der unmenschlichen Behandlung von Häftlingen in Polizeigewahrsam zu untersuchen. Es gab auch Berichte über Misshandlungen im Gefängnis (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458485/4598_1551701778_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-aserbaidschan-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 25.7.2019
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html, Zugriff 6.4.2020
- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022698.html, Zugriff 17.1.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html, Zugriff 10.4.2020
Korruption
Letzte Änderung: 8.4.2020
Laut Corruption Perceptions Index von Transparency International belegte Aserbaidschan 2019 den 126. Platz von 180 gelisteten Staaten (TI 1.2020).
Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für Korruption durch Beamte vor, aber die Regierung hat das Gesetz nicht effektiv umgesetzt, und Beamte, die an korrupten Praktiken beteiligt waren, blieben oft ungestraft. Während die Regierung bei der Bekämpfung der Korruption auf niedriger Ebene einige Fortschritte machte, gab es weiterhin Berichte über die Korruption von Regierungsbeamten, einschließlich derjenigen auf höchster Ebene. Die Behörden bestraften weiterhin Personen, die die Korruption der Regierung aufgedeckt hatten. Transparency International und andere Beobachter beschrieben Korruption als weit verbreitet. Es gab Berichte über Korruption in den Bereichen Exekutive, Legislative und Judikative der Regierung (USDOS 11.3.2020).
Korruption und Bestechung sind nach wie vor die größten Probleme. Auch bei der Bekämpfung der weit verbreiteten Korruption vor den Gerichten wurden keine wesentlichen Verbesserungen erzielt. In den Urteilen der Zivil- und Strafsachen ist Korruption nach wie vor ein erheblicher Mangel, der die Entscheidungsfindung stark beeinträchtigt. Bislang gibt es keinen ernsthaften politischen Willen, das bestehende oligarchische System zu untergraben, das auf Vetternwirtschaft, Korruption auf höchster Ebene und persönlicher Loyalität und nicht auf Rechtsstaatlichkeit beruht. Trotz der Existenz der Staatlichen Kommission zur Korruptionsbekämpfung und der Anti-Korruptionsabteilung der Generalstaatsanwaltschaft Aserbaidschans wurden hauptsächlich Beamte mittlerer Ebene ins Visier genommen (BTI 2018).
Korruption ist allgegenwärtig. In Ermangelung einer freien Presse und einer unabhängigen Justiz werden Beamte nur dann für korruptes Verhalten zur Rechenschaft gezogen, wenn es den Bedürfnissen einer mächtigeren oder gut vernetzten Person entspricht (FH 4.3.2020)
Quellen:
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report Azerbaijan, https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Azerbaijan.pdf, Zugriff 23.7.2019
- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025900.html, Zugriff 6.4.2020
- TI – Transparency International (1.2020): Corruption Perceptions Index 2019, https://www.transparency.org/cpi2019?/news/feature/cpi-2019, Zugriff 8.4.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026380.html, Zugriff 8.4.2020
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 14.4.2020
Die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ist deutlich erschwert (AA 26.2.2020a).
NGOs müssen, um finanzielle Zuwendungen oder Spenden erhalten zu können, als solche registriert sein, und auch jede einzelne Zuwendung in einem umständlichen Verfahren registrieren. Kritische NGOs, die im Bereich Menschenrechte/Demokratie agieren, erhalten regelmäßig keine Registrierung als NGO und sind somit vom Rechtsverkehr – insbesondere hinsichtlich des Abschlusses von Zuwendungsverträgen – ausgeschlossen. Zuwendungen von westlichen Geldgebern an unabhängige NGOs werden mit schwer erfüllbaren Registrierungsauflagen belegt; der Zuwendungsgeber muss seit Ende 2015 ebenfalls registriert werden. Zudem lehnen einige Geschäftsbanken es ab, Girokonten für NGOs zu führen. Zahlreiche herausgehobene Vertreter regierungskritischer NGOs haben seit August 2014 ihre Tätigkeiten eingestellt oder das Land verlassen. Von Druck auf die Vermieter von Büroflächen wird berichtet, welche Mietverträge mit NGOs, die kritischen Veranstaltungen Raum geben, vorzeitig zu beenden. In Einzelfällen werden Vermieter, die diesem Druck nicht nachgeben, mit faktischem Eigentumsentzug konfrontiert (AA 22.2.2019).
Die Regierung schränkte die Tätigkeit nationaler und internationaler Menschenrechtsgruppen weiterhin stark ein. Die Anwendung restriktiver Gesetze zur Einschränkung von NGO-Aktivitäten und andere Belastungen hielt auf dem hohen Niveau der letzten Jahre an. Führende Menschenrechts-NGOs sahen sich einem feindlichen Umfeld für die Untersuchung und Veröffentlichung ihrer Ergebnisse zu Menschenrechtsfällen gegenüber. Aktivisten berichteten auch, dass sich die Behörden weigerten, ihre Organisationen oder Zuschüsse zu registrieren. Infolgedessen waren einige Menschenrechtsverteidiger aufgrund verschiedener staatlicher Hindernisse, wie dem Reiseverbot und eingefrorener Bankkonten, außerstande, ihrer beruflichen Verantwortung nachzukommen. Während die Regierung mit einigen internationalen Menschenrechts-NGOs kommunizierte und auf ihre Anfragen reagierte, kritisierte und schüchterte sie bei zahlreichen Gelegenheiten andere Menschenrechts-NGOs und Aktivisten ein. Das Justizministerium verweigerte weiterhin aus willkürlichen Gründen die Registrierung oder erlegte Menschenrechts-NGOs beschwerliche administrative Beschränkungen auf (USDOS 11.3.2020).
Präsident Ilham Alijew hat im März 2019 dutzende Menschenrechtler und politische Gegner begnadigt. Zu den 50 Menschen, die nun freigelassen werden sollen, gehören der Journalist Fikrat Faramasoglu und die Studenten Gijas Ibrahimow und Bayram Mammadow von der oppositionellen Jugendbewegung Nida. Die Begnadigungen sind Teil einer größeren Amnestie für insgesamt 431 Menschen (derStandard 16.3.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458485/4598_1551701778_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-aserbaidschan-stand-februar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 25.7.2019
- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020a): Aserbaidschan: Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/aserbaidschan-portrait/202964, Zugriff 14.4.2020