TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/20 L510 2123283-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L510 2123283-1/27E

Schriftliche Ausfertigung des am 26.05.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Irak, vertreten durch RA Mag. Alexander FUCHS, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.02.2016, Zl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.05.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 Abs 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9, 46, 55 FPG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz von Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: "Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt".

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführende Partei (bP) stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 05.09.2014 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge ihrer Erstbefragung am 05.09.2014 gab die bP zum Fluchtgrund an, dass sie ihre Heimat wegen des Krieges verlassen habe. Sie sei zum Militär einberufen worden, das habe sie jedoch nicht gewollt. Sonst habe sie keine Fluchtgründe.

Die niederschriftliche Einvernahme beim BFA am 21.10.2015 gestaltete sich im Wesentlichen folgend:

„…

F: Fühlen Sie sich heute psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?

A: Ja, es geht mir heute gut. Ich bin aber wegen eines Magengeschwürs in Behandlung. Bei meiner Entführung wurde ich an der Schulter verletzt. Ich hatte auch Probleme mit den zwei mittleren Fingern meiner rechten Hand und werde in XXXX am 2.11. operiert. Den Befund werde ich schicken.

F: Werden Sie in Ihrem Verfahren vertreten?

A: Nein.

F: Geben Sie bitte die Daten Ihrer Frau an.

A: XXXX in Palästina. Sie war bei mir im Irak. Jetzt ist sie bei Ihrer Familie in Palästina. Nachgefragt gebe ich an, dass wir keine Kinder haben. Meine Frau hat aber einen Sohn mit einem anderen Mann. Er heißt XXXX . Er ist ca. 5 Jahre alt.

F: Haben Sie irgendwelche Dokumente oder sonstige Beweismittel die Sie im bisherigen Verfahren noch nicht vorgelegt haben?

A: Nein.

F: Wo genau haben Sie vor Ihrer Ausreise gelebt?

A: Ich bin am 19.8.2014 weg. Ich habe die letzten 7 Jahre in XXXX gelebt. Das ist in der Provinz Diala. Die genaue Adresse ist XXXX in der Nähe des XXXX .

F: Wie waren Ihre Lebensumstände?

A: Ich habe dort mit meiner Frau und meinem Bruder gelebt. Er war Offizier. Wir hatten die Wohnung gemeinsam. Wir sind Sunniten. Ich habe neben meinem Jusstudium als Bauarbeiter gearbeitet. Ich habe auch einen Ausweis von der Uni auf meinem Handy. Ich habe an der Universität XXXX studiert. Meine Mutter lebt im gleichen Haus in einer anderen Wohnung. Wir hatten zwei Stockwerke. Sie ist jetzt noch dort.

F: Haben Sie zur Zeit Kontakt mit irgend jemandem im Irak?

A: Ich telefoniere mit meiner Familie.

F: Haben Sie bis zum Tag der Ausreise an der von Ihnen angegebenen Adresse gelebt?

A: Ja.

F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen und einen Asylantrag gestellt haben von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß. Ihre Angaben im Asylverfahren werden vertraulich behandelt und nicht an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergeleitet. Es ist unumgänglich, dass Sie die Wahrheit sagen, nichts verschweigen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte selbständig und über Nachfrage wahrheitsgemäß darlegen.

A: Im Irak leben Schiieten und Sunniten. Alle haben ihre eigenen Gebiete in der Stadt. Wir haben viele Straßensperren, sunnitische als auch schiitische. Man kann nirgends hin. Wenn man Arbeit will, bekommt man sie nur in der jeweils eigenen Religionsgruppe. Ich bin zuerst von den Sunniten entführt worden. Ich wurde dann gegen Bezahlung freigelassen. Die Schiiten haben mich anstelle meines Bruder entführt. Der Grund dafür war, dass mein Bruder eine Shiitin heiraten wollte. Meine Probleme mit der Schulter stammen von dieser Entführung. Es gibt im Irak keine Sicherheit. Es gibt überall bewaffnete Gruppierungen. Man läuft ständig Gefahr, von der einen oder anderen Seite mitgenommen, ins Gefängnis geworfen oder getötete zu werden. Ich konnte mein Studium aufgrund der Ereignisse nicht beenden.

F: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

A: Ja.

F: Erzählen Sie bitte alles zu Ihrer Entführung durch die Sunniten.

A: Ich war auf dem Weg zur Uni. Dann wurde ich entführt. Ich war insgesamt 15 Tage in ihrer Gewalt. Nachdem wir 5.000 Dollar bezahlt hatten, wurde ich freigelassen.

F: Wann war das?

A: Das war im Oktober 2008.

F: Wie genau ist diese Entführung abgelaufen?

A: Ich bin auf der Straße gegangen. Uniformierte Männer haben mich mitgenommen. Sie tragen entweder Uniformen der Polizei oder des Militärs. Die die mich entführt haben, trugen Polizeiuniformen. Sie haben mich nach dem Personalausweis gefragt. Dann haben sie gesagt, ich soll mitkommen. Als wir dann angekommen sind, es war ein Garten in Bouhris, haben sie mir die Augen verbunden und mich geschlagen. Wir sind dort mit einem Auto hingefahren. Sie sagten, dass sie nicht von der Polizei sind. So laufen Entführungen im Irak ab.

F: Warum wurden Sie von Ihrer eigenen Religionsgruppe entführt?

A: Die bewaffneten Gruppen machen so etwas. Es ist ihnen egal, welcher Ausrichtung man angehört. Das sind Kriminelle. Ich glaube die haben Verbindungen mit dem IS.

F: Beschreiben Sie bitte Ihre zweite Entführung.

A: Das war im April oder Mai 2010. Ich bin wegen meiner Arbeit in die Gegend Houedar gefahren. Das ist eine schiitische Gegend. Dort haben sie mich entführt. Sie sind mit einem zivilen Auto zur Baustelle gekommen, wo ich gearbeitet habe. Sie haben mich mitgenommen und verhört. Ich wurde 15 Tage angehalten. Sie haben 4000 Dollar verlangt.

F: Was hatte das mit Ihrem Bruder zu tun?

A: Der Cousin des Mädchens, das mein Bruder heiraten wollte, steckte dahinter. Mein Bruder hat bei ihrem Vater um die Hand des Mädchens angehalten. Es kam aber nicht zur Hochzeit. Der Cousin wusste, dass ich in dieser Gegend arbeite und veranlasste, dass ich entführt werde.

F: Was war der Grund für die Entführung?

A: Sie wollten nicht, dass mein Bruder das Mädchen heiratet. Mein Bruder ist aus der Provinz weggegangen, weil er Angst hatte. Sie haben ihm eine Drohung geschickt. Deshalb haben sie mich entführt. Mein Bruder hat das Mädchen geheiratet und sind aus der Provinz weggegangen. Danach wurde ich entführt.

F: Welchen Sinn hatte dann Ihre Entführung?

A: Sie wollten, dass das Mädchen zurückkommt.

F: Was ist nach Ihrer Entführung weiter passiert?

A: Sie haben von mir Geld genommen und haben mich dann entlassen. Damit war das dann für sie erledigt.

F: Die von Ihnen geschilderten Entführungen sind vier bzw. sechs Jahre vor Ihrer Ausreise geschehen. Was war letztendlich der konkrete Grund für Ihre Ausreise?

A: Die Explosionen, die Gewalt, die Sicherheitslage wurde immer schlimmer.

F: Verstehe ich Sie richtig, dass die allgemeines Lage Sie zur Ausreise veranlasst hat?

A: Ja.

F: Aus dem Erstbefragungsprotokoll geht hervor, dass Sie zum Militär einberufen worden wären und deshalb das Land verlassen hätten. Was sagen Sie dazu?

A: Ich weiß nicht, was der Dolmetscher da gedolmetscht hat. Es sind so viele Fehler passiert. Ich wurde jedenfalls nicht einberufen.

F: Wo lebt Ihr Bruder?

A: Im Irak in der Provinz Al-Basra.

F: Könnten nicht Sie auch dort leben?

A: Mein Bruder hat dort Beziehungen und kann deswegen dort leben. Ich nicht. Ich bin Sunnit. Das sieht man auch an meinem Namen. Deswegen hätte ich dort Probleme.

F: Ihr Bruder ist aber auch Sunnit.

A: Er ist Shiit geworden.

F: Hat er auch seinen Namen geändert?

A: Er hat den schiitischen Namen Ali angenommen.

F: Möchten Sie die Feststellungen des BFA Ihr Heimatland betreffend von der anwesenden Dolmetscherin übersetzt bekommen bzw. diese in Kopie mitnehmen und eine schriftliche Stellungnahme innerhalb einer Frist von 2 Wochen dazu abgeben?

A: Ich weiß genügend Bescheid. Ich brauche diese Informationen nicht.

F: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat?

A: Ich habe Angst um mein Leben.

F: Haben Sie familiäre Beziehungen in Österreich?

A: Meine Schwester und ihr Mann leben hier.

F: Gibt es irgend ein Abhängigkeitsverhältnis zu Ihrer Schwester?

A: Ich lebe jetzt bei meiner Schwester. Sie kocht für mich wegen meines Magens eine Diät.

F: Wie bestreiten Sie nun in Österreich Ihren Lebensunterhalt? Welche Unterstützungen beziehen Sie?

A: Ich lebe von der Grundversorgung.

F: Haben Sie in Österreich Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert?

A: Seit 2 Wochen bin ich in einem Deutschkurs eingeschrieben.

F: Sind Sie in Vereinen oder Organisationen Mitglied in Österreich?

A: Nein.

F: Liegt eine anderweitige Integrationsverfestigung Ihrer Person vor bzw. inwieweit würde ihr Privat- und Familienleben durch eine Aufenthalts beendende Maßnahme beeinträchtigt werden. (Anmerkung: AW wird zu dieser Fragestellung manuduziert.)

A: Nein.

F: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint?

A: Ich habe nichts zu ergänzen.

F: Haben Sie die Dolmetscherin einwandfrei verstanden?

A: Ja.

…“

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom BFA gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag wurde der bP ein Rechtsberater von Amts wegen zur Seite gestellt.

Das BFA gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Den behaupteten Vorfällen könne, selbst wenn man von einer Asylrelevanz dieser Ereignisse ausgehen würde, schon mangels Zeitkonnex zur fast vier bzw. sechs Jahre später erfolgten Ausreise, ohne dass die bP in der Zwischenzeit irgendwelchen Verfolgungshandlungen ausgesetzt war, keine Asylrelevanz zugemessen werden (VwGH 10.03.1993, 92/01/0879 und 21.04.1993 92/01/0956). Ein relevantes, die öffentlichen Interessen übersteigendes, Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen.

2. Gegen den genannten Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wurde dargelegt, dass die bP ihre bisherigen Angaben aufrecht halte. Sie habe im Verfahren mitgewirkt und die Fragen beantwortet. Die Befragung habe sich als unzureichend erwiesen. Sie lege außerdem neue Beweismittel vor. Im Anhang befinde sich ein Schreiben, in welchem sie darauf eingehe, wieso sie diesen Fluchtgrund bisher nicht vorgebracht habe. Das BFA hätte ihr zumindest den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkenne müssen. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Das beigelegte Schreiben in arabischer Sprache wurde übersetzt. Im Wesentlichen führte die bP darin aus, dass sie im Jahr 2008 von Milizen entführt worden sei. Diese hätten sie einen ganzen Monat lang gefoltert. Ihre einzige Schuld sei gewesen, dass sei Sunnit aus der Provinz Diyala sei. Nach zwei Monaten sei ein Lösegeld verlangt worden. Nachdem dies bezahlt worden sei, sei sie entlassen worden. Sie habe dann Angst gehabt und sei eine Weile nicht mehr zur Arbeit gegangen. Dann sei sie ein zweites Mal entführt worden, diesmal von der Al-Qaida. Sie könne sich nicht mehr daran erinnern, wie lange sie dort gewesen sei, weil sie weder Essen noch Trinken bekommen habe. Sie hätten sie stark geschlagen und ihren Spaß dabei gehabt. Dann hätten sie von ihren Angehörigen Geld verlangt, damit sie sie nicht töten würden. Dann seien die Schiiten an die Macht gekommen und hätten die Milizen unterstützt. Ihr und ihren Brüdern hätten sie vorgeworfen, dass sie Sprengflaschen organisiert und neben den Schulen hätten sprengen lassen wollen. Danach hätten die Behörden entschieden sie festzunehmen. Sie hätten ihren Bruder eingesperrt. Sie sei dann Tage und Monate von einem Haus zum anderen unterwegs gewesen. Die Behörden hätten einen Festnahmebefehl gegen sie ausgegeben. Sie sei dann über Kurdistan in die Türkei ausgereist. Sie habe sich in Österreich sicher gefühlt und nicht detailliert erzählt. Sie habe Angst gehabt, wieder in den Irak zurückgeschickt zu werden. Sie wolle in Sicherheit leben.

3. Am 26.05.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in unentschuldigter Abwesenheit der bP sowie in Abwesenheit ihrer rechtsfreundlichen Vertretung eine Verhandlung durch. Das BFA nahm an der Verhandlung teil.

Mit der Ladung wurde die beschwerdeführende Partei auch umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere ihre persönlichen Fluchtgründe und sonstigen Rückkehrbefürchtungen durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine demonstrative Aufzählung von grundsätzlich als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte.

Zugleich mit der Ladung wurden der beschwerdeführenden Partei ergänzend Berichte zur aktuellen Lage im Irak übermittelt bzw. namhaft gemacht, welche das BVwG in die Entscheidung miteinbezieht. Eine schriftliche Stellungnahmefrist bis zum Verhandlungstermin oder eine Stellungnahmemöglichkeit in der Verhandlung wurden dazu eingeräumt. Eine schriftliche Stellungnahme wurde nicht abgegeben und wurde auch in der mündlichen Verhandlung den Berichten nicht entgegen getreten. Es wurden auch keine weiteren Bescheinigungsmittel das inhaltliche Verfahren betreffend beigebracht.

4. Mit Schriftsatz vom 29.05.2020 wurde durch die Vertretung der bP der Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses eingebracht.

5. Mit 18.06.2019 wurde das nunmehrig Vollmachtverhältnis bekannt gegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Identität der bP steht fest. Sie führt den im Spruch genannten Namen und das dort angeführte Geburtsdatum.

Die bP ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitisch muslimischen Glaubens.

Sie stammt aus Diyala und lebte dort bis zu ihrer Ausreise gemeinsam mit ihrer Frau und ihrem Bruder in einer gemeinsamen Wohnung. Die Mutter der bP lebt im selben Haus, jedoch in einem eigenen Stockwerk.

Die bP arbeitete neben ihrem Jus Studium als Bauarbeiter und war im Herkunftsstaat in der Lage, ihre Existenz zu sichern. Ihre Frau lebt nunmehr bei den Eltern in Palästina. Es gibt keine gemeinsamen Kinder. Die Gattin hat einen Sohn mit einem anderen Mann. Der Sohn ist ca. 10 Jahre alt.

In Österreich leben ihre Schwester und der Schwager. Die bP ist seit 14.10.2019 als gewerblich selbständig gemeldet. Zuvor lebte sie zumindest bis Juli 2019 von der Grundversorgung.

Am 20.11.2015 wurde die bP im Landeskrankenhaus XXXX , operiert. Es wurde eine Ringbandspaltung, 3. Finger rechts, durchgeführt. Die OP verlief komplikationslos. Der postoperative Verlauf gestaltete sich ebenso komplikationslos, sodass die bP noch am Tag der OP die Klinik wieder verlassen konnte.

Strafrechtliche Verurteilungen liegen in Österreich nicht vor. Relevante private und/oder familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich wurden nicht dargelegt.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Die bP führte im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA aus, dass sie wegen der allgemeinen Lage ausgereist ist. Diese Darlegungen werden den Feststellungen zugrunde gelegt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, konkret ihre Herkunftsregion Diyala, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer glaubhaften, asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre.

1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Im Juni 2014 startete der sog. Islamische Staat Irak (IS) oder Da'esh, einen erfolgreichen Angriff auf Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Der IS übernahm daraufhin die Kontrolle über andere Gebiete des Irak, einschließlich großer Teile der Provinzen Anbar, Salah al-Din, Diyala und Kirkuk. Im Dezember 2017 erklärte Premierminister Haider al-Abadi den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die irakischen Streitkräfte die letzten Gebiete, die noch immer an der Grenze zu Syrien unter ihrer Kontrolle standen, zurückerobert hatten. Der IS führt weiterhin kleine Angriffe vorwiegend auf Regierungstruppen und Sicherheitspersonal an Straßenkontrollpunkten aus.

Am 25. September 2017 hat die kurdische Regionalregierung (KRG) ein unverbindliches Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Region im Irak sowie über umstrittene Gebiete, die unter Kontrolle der KRG stehen, abgehalten. Das Referendum wurde für verfassungswidrig erklärt.

Bei den nationalen Wahlen im Mai 2018 gewann keine Partei die Mehrheit, obwohl die meisten Stimmen und Sitze an die Partei des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr gingen, ein ehemaliger Anti-US-Milizenführer.

Genaue, aktuelle offizielle demographische Daten sind nicht verfügbar. Die letzte Volkszählung wurde 1987 durchgeführt. Das US-Außenministerium schätzt die Bevölkerung im Irak auf rund 39 Millionen. Araber (75 Prozent) und Kurden (15 Prozent) bilden die beiden wichtigsten ethnischen Gruppen. Andere Ethnien sind Turkmenen, Assyrer, Yazidis, Shabak, Beduinen, Roma und Palästinenser.

97 Prozent der Bevölkerung sind Muslime. Schiiten machen 55 bis 60 Prozent der Bevölkerung aus und umfassen Araber, Shabak und Faili-Kurden. Der Rest der Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Sunniten, einschließlich der sunnitischen Araber, die schätzungsweise 24 Prozent der Gesamtbevölkerung des Irak ausmachen. Die meisten Kurden sind auch Sunniten und machen etwa 15 Prozent der nationalen Bevölkerung aus.

Die schiitischen Gemeinden leben in den meisten Gebieten des Irak, konzentrieren sich jedoch im Süden und Osten. Die Mehrheit der Bevölkerung von Bagdad sind Schiiten, insbesondere Vororte wie Sadr City, Abu Dashir und Al Dora. Sunniten leben hauptsächlich im Westen, Norden und im Zentralirak. Die Anzahl der in Bagdad als gemischt betrachteten Gebiete nimmt ab. In einigen Bezirken Bagdads gibt es immer noch bedeutende sunnitische Gemeinden, darunter Abu Ghraib. Die Bezirke A'adamia, Rusafa, Za'farania, Dora und Rasheed haben kleinere Gebiete sunnitischer Gemeinschaften. Gemischte sunnitische-schiitische Gemeinden leben in den Bezirken Rusafa und Karada, kleinere gemischte Gemeinden auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya.

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechte einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Nationalität, der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Meinung, des wirtschaftlichen oder sozialen Status.

Die Verfassung macht den Islam zur offiziellen Religion des Staates. Es garantiert die Glaubens- und Religionsfreiheit für alle Personen, einschließlich Christen, Yazidis und Sabäer-Mandäer.

Auf der Scharia beruhende Regelungen verbieten zwar eine Konversion vom islamischen Glauben, doch ist keine Strafverfolgung hierfür bekannt.

Nach irakischem Recht wird ein Kind unter 18 Jahren automatisch zum Islam konvertiert, wenn auch einer seiner nicht-muslimischen Eltern konvertiert ist.

Nach der Absetzung von Saddam Hussein und der (von Sunniten dominierten) Ba'ath-Partei aus der Regierung fühlten sich viele Sunniten ausgegrenzt.

Das US-Außenministerium und internationale Menschenrechtsgruppen berichten von regierungsnahen Streitkräften, die sunnitische Männer anzugreifen versuchen, die aus IS-kontrollierten Gebieten fliehen und verhindern, dass Sunniten die von der Regierung kontrollierten Gebiete verlassen. Außerhalb der vom IS kontrollierten Gebiete wurden Sunniten in der Form belästigt und diskriminiert, dass sie bei Kontrollpunkten in aufdringlicher Weise kontrolliert wurden und Dienste minderer Qualität in sunnitischen Gebieten bereitgestellt werden.

Sunniten sind außerhalb von Gebieten, die kürzlich vom IS kontrolliert wurden, aufgrund ihrer Religion einem geringen Risiko gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt. In Gebieten, in denen sie eine Minderheit sind, sind Sunniten einem mäßigen Risiko von Diskriminierung durch die Behörden und der Gesellschaft ausgesetzt. Das Risiko der Diskriminierung variiert je nach lokalem Einfluss und Verbindungen (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018).

Im Irak ging die Zahl der Sicherheitsvorfälle (zB Schießereien, IED’s, Angriffe auf Checkpoints, Entführungen, Selbstmordattentate, Autobomben) von Jänner bis Dezember 2018 um etwa 60% zurück. Zu Beginn des Jahres waren es 224 Vorfälle. Im März gab es einen Anstieg der Vorfälle, die sich vor allem in Anbar, Diyala, Kirkuk und Salahaddin ereigneten. Im April sanken sie auf 139. Von Juni bis Oktober gab es Schwankungen, beginnend in Diyala und Kirkuk, danach in Ninewa und schließlich in Anbar, Bagdad, Kirkuk und Ninewa. Seit dem Rückzug des sog. Islamischen Staates gab es in den letzten beiden Monaten des Jahres die wenigsten Vorfälle, die jemals im Land verzeichnet wurden.

Auch Bagdad, das früher ein Hauptangriffsziel war, entwickelte sich zu einem Nebenschauplatz. Im Jänner gab es 71 Vorfälle. Diese Zahl sank kontinuierlich und lag bei 13 Vorfällen im Juni. Danach erfolgte wieder ein Anstieg und es gab im September 47 Vorfälle. Seither kam es wieder zu einem Rückgang und 13 Vorfällen im November 2018. Bei fast allen Angriffen handelte es sich um kleinere Vorfälle wie Schießereien und IED’s. Die meisten Vorfälle ereigneten sich auch in Städten im äußern Norden (Joel Wing, Musings on Iraq, 15.01.2019).

In der zweiten Septemberwoche 2019 ereigneten sich weniger Vorfälle als in der Vorwoche, nämlich insgesamt 30. Zwei dieser Vorfälle waren Leichenfunde. Diese Woche ereigneten sich die meisten Vorfälle, nämlich elf, in Kirkuk. In Diyala waren es neun Vorfälle. Ein Vorfall war in Anbar. Dabei handelt es sich um den Fund eines Massengrabs mit 15 Toten. Jeweils drei Vorfälle entfielen auf Bagdad, Ninewa und Salah al-Din. Einer der drei Vorfälle in Ninewa betraf den Fund von neun Leichen in der Altstadt von West-Mossul. Bei den anderen zwei Vorfällen handelte es sich um Sprengfallen im Gebiet Hamam al-Alil, 27 Kilometer südlich von Mossul. Von den drei Vorfälle in Salah al-Din war einer eine Schießerei, die zur Folge hatte, dass die Autobahn von Tuz Kurmatu nach Bagdad kurze Zeit gesperrt war. Während es in der ersten Septemberwoche in Bagdad eine Reihe von Sprengfallen gab, kehrte in der zweiten Septemberwoche wieder Normalität ein, mit nur drei Schießereien im Norden und Westen (Musings on Iraq, 23.09.2019).

Nach einem Anstieg der Angriffe Anfang September 2019 sind diese Mitte des Monats wieder auf einen Mittelwert zurückgegangen. Während es im August außerhalb von Diyala kaum Angriffe gab, fanden im September im gesamten Zentralirak welche statt. Es gab in der dritten Septemberwoche 2019 28 sicherheitsrelevante Vorfälle im gesamten Irak. Acht Vorfälle in Bagdad, fünf in Kirkuk, vier in Diyala. Zwei Vorfälle fanden in Ninewa statt und jeweils ein Vorfall in Anbar, Babil, Kerbala und Salah al-Din. Jener Vorfall in Kerbala war eine der selten vorkommenden Autobomben. Dabei gab es zwölf Tote und fünf Verletzte. Ninewa und Salah al-Din, die früher die Hauptfronten des IS waren, sind jetzt nur noch zweitrangig. Im Vergleich dazu sind die Vorfälle in Diyala und Kirkuk weiterhin hoch (Musings on Iraq, 01.10.2019).

In der ersten Oktoberwoche 2019 gab es nur drei Zwischenfälle in Anbar, Diyala und Ninewa. In der zweiten Oktoberwoche gab es 14 Vorfälle, davon fünf in Diyala, drei in Kikruk, jeweils zwei in Ninewa und Salah al-Din und jeweils einen in Anbar und Babil. Im Zentralirak ist der IS am aktivsten. Ninewa und Salah al-Din sind weniger wichtiger für den IS. In Kirkuk und Diyala findet die meiste Gewalt statt. In Bagdad gab es im September die meisten Angriffe. Anfang Oktober gab es wegen der in Bagdad stattgefundenen Proteste keine Angriffe (Musings on Iraq, 22.10.2019).

Es gibt kaum noch Autobomben im Irak. In Diyala gab es bis Mitte Oktober 2019 keine einzige Autobombe. In Kirkuk gab es im Jänner 2019 die einzige Autobombe des Jahres. In Ninewa gab es drei Autobomben und zwar im Februar, März und Mai. In Salah al-Din gab es vier Autobomben im Jänner, März, April und August. Früher wurden vom IS routinemäßig Autobomben in städtischen Gebieten eingesetzt. Jetzt kommen diese kaum noch vor und zeigen, dass der IS schwer angeschlagen ist.

Bis Mitte Oktober 2019 gab es in Ninewa zwei Attacken auf Checkpoints, die sich beide im Februar ereigneten. In Salah al-Din gab es vier Attacken auf Checkpoints und zwar im Jänner, Mai, Juli und September. In Kirkuk gab es zwölf Attacken (vier im Jänner, eine im März, drei im Mai, zwei im Juni und zwei im September). In Diyala gab es mit 46 die meisten Attacken und bis auf Oktober in jedem Monat (Musings on Iraq, 01.10.2019 und 22.10.2019).

Im Juni 2019 wurden die letzten Betonblöcke um die Grüne Zone in Bagdad, der Regierungsbezirk, abgebaut. Die Bevölkerung hat jetzt freien Zugang zu den gut zehn Quadratkilometern, die bis dahin No-Go-Zone war: Der "Hochsicherheitstrakt" im Zentrum von Bagdad ist Vergangenheit. Mit der Öffnung der Grünen Zone hat Iraks Premierminister Adel Abdul Mahdi sein Versprechen eingelöst, das er bei seinem Amtsantritt im Oktober letzten Jahres gegeben hat. Der Bezirk soll ein normales Stadtviertel von Bagdad werden. Seit November wurde Schritt für Schritt abgebaut: Checkpoints aufgelöst, Stacheldraht entfernt, Betonblöcke auf Tieflader geladen und abgefahren. Hundertausende sollen es gewesen sein. Allein in den letzten zwei Monaten hat Bagdads Stadtverwaltung 10.000 Mauerteile abfahren lassen, wie ein Angestellter berichtet. Die Betonblöcke wurden zum Militärflughafen Al-Muthana im Zentrum von Bagdad gefahren und dort abgekippt. Einige von ihnen finden Wiederverwertung in einem Ring, der derzeit um Bagdad gezogen wird, um Terroristen vor dem Eindringen zu hindern. Andere dienen dem Hochwasserschutz. Wieder andere werden als Baumaterial für Silos verwendet (Mauerfall in Bagdad: Das Ende der Grünen Zone, Wiener Zeitung, 05.06.2019).

Die meisten der Schutzmauern, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden, um öffentliche und private Gebäude zu sichern, wurden abgerissen. Stattdessen finden sich dort jetzt Parks und Grünflächen. Im Zuge der Veränderungen wurde in Bagdad auch das erste Frauencafé eröffnet. Dort können sich Frauen ohne Begleitung von Männern treffen und ihre Kopftücher und die lange Abaya ablegen, die auf den Straßen so verbreitet sind.

Im Café "La Femme" werden Wasserpfeifen angeboten und von einer Frau zubereitet. Es werden alkoholfreie Champagnercocktails, Softgetränke und Snacks serviert. Bisher haben sich noch keine Männer in dieses weibliche Heiligtum gewagt - obwohl sich das Café in einem Hochhaus zusammen mit anderen Restaurants, einer Sporthalle für Männer und nur einem Aufzug befindet. Der Kundenkreis von Adel-Abid umfasst vor allem Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Für ihre jungen Kundinnen organisiert sie reine Frauenfeste zu Geburtstagen, Verlobungen und Abschlussfeiern. Die ältere Generation trinkt lieber Kaffee und hört den alten irakischen Sängern zu, die auf der Musikanlage bevorzugt gespielt werden.

Frauen können jetzt Unternehmen führen. Da der "Islamische Staat" verdrängt und die gegenwärtige politische Stabilität zu spüren ist, fordern irakische Frauen immer mehr ihren Anteil am öffentlichen Raum der Stadt. In Mansour, dem Stadtviertel, in dem sich "La Femme" befindet, sind die meisten Cafés und Restaurants heute gemischt, und auch Frauen rauchen dort Wasserpfeife.

Der frische Wind des Wandels hat auch das Straßenbild verändert. Frauen kleiden sich wieder bunter, anstatt sich hinter schwarzen Schleiern zu verstecken. Die Entwicklung geht so weit, dass junge Frauen sich immer seltener ein Kopftuch umbinden.

Ehen zwischen Sunniten und Schiiten erleben ein Comeback im Irak; unter den Jugendlichen in Bagdad sind sie sogar zum neuen Standard geworden. So wie bei Merry al-Khafaji, die kürzlich Mustafa al-Ani geheiratet hat. Gemeinsam sitzen die beiden Mittzwanziger bei einer Wasserpfeife in einem beliebten Bagdader Garten, sie trägt ihr dunkles Haar offen und ein grünes T-Shirt mit Jeans. Traditionell wählen Eltern die Partner ihrer Kinder, aber Merry al-Khafaji und Mustafa al-Ani lernten sich in dem Telekommunikationsunternehmen kennen, für das sie beide arbeiten. Mittlerweile entwickeln sich immer mehr Liebesbeziehungen bei der Arbeit, im Studium oder in Workshops.

Auch soziale Medien haben eine starke Wirkung. Sie eröffnen jungen Menschen einen neuen Weg, neue Freunde in der konservativen irakischen Gesellschaft zu finden (Die neuen Freiheiten von Bagdad, qantara.de 01.07.2019).

Mitglieder rivalisierender irakischer Motorrad-Clubs, die in Leder mit Nieten und schwarzen Baskenmützen gekleidet waren, tanzten Breakdance und ließen mit ihren tätowierten Armen Neon-Leuchtstäbe kreisen. Der Tanzkreis des Mongols Motorcycle Club war einer von mehreren bei der ‚Riot Gear Summer Rush‘, einer Automobilshow samt Konzert in einem Sportstadion im Herzen von Bagdad. Die Szene hatte etwas ganz anderes als jene Bilder, die üblicherweise aus der Stadt der Gewalt und des Chaos ausgestrahlt wurden. Aber fast zwei Jahre, nachdem der Irak den islamischen Staat besiegte, hat die Hauptstadt ihr Image stillschweigend verändert. Seit die Explosionsschutzwände – ein Merkmal der Hauptstadt seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003, bei der Saddam Hussein gestürzt wurde – gefallen sind, hat sich eine weniger restriktive Lebensweise etabliert. „Wir haben diese Party veranstaltet, damit die Leute sehen können, dass der Irak auch über diese Art von Kultur verfügt und dass diese Menschen das Leben und die Musik lieben“, sagte Arshad Haybat, ein 30-jähriger Filmregisseur, der die Riot Gear Events Company gründete. Riot Gear hat bereits zuvor ähnliche Partys im Irak veranstaltet, aber dies war die erste, die für die Öffentlichkeit zugänglich war. Der Tag begann damit, dass junge Männer importierte Musclecars und Motorräder vorführten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Show zu einer lebhaften Veranstaltung für elektronische Tanzmusik (EDM). Das irakische Hip-Hop-Kollektiv „Tribe of Monsters“ spielte eine Mischung aus EDM- und Trap-Musik, während junge Männer Verdampfer in ihren Händen hielten und neben Blitzlichter und Rauchmaschinen tanzten, während sie ihre Bewegungen live auf Snapchat und Instagram übertrugen. Es war eine berauschende Mischung aus Bagdads aufkeimenden Subkulturen: Biker, Gamer und EDM-Enthusiasten. Was die meisten gemeinsam hatten, war, dass sie im Irak noch nie einer solchen Veranstaltung beigewohnt hatten. Obwohl von jungen Männern dominiert, nahmen auch viele Frauen an der Veranstaltung teil. Einige von ihnen tanzten in der Nähe der Hauptbühne. Die Veranstalter stellten jedoch sicher, dass eine „Familiensektion“ zur Verfügung stand, damit Frauen, Familien und Liebespaare auch abseits der wilden Menschenmenge tanzen konnten (Tanzpartys kehren nach Bagdad zurück, mena-watch, 22.08.2019).

In Bagdad wurde ein neues deutsch-irakisches Beratungszentrum für Jobs, Migration und Reintegration eröffnet. Es ist das zweite seiner Art im Irak neben dem Beratungszentrum in Erbil, das seine Arbeit bereits im April 2018 aufgenommen hatte. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Schaffung attraktiver und langfristiger Bleibeperspektiven. Zu den angebotenen Leistungen gehören Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Unterstützung bei Existenzgründungen. Das Zentrum steht Rückkehrenden ebenso offen wie Binnenvertriebenen und der lokalen Bevölkerung und fördert damit auch die Stärkung des irakischen Privatsektors. In den kommenden Jahren soll das Beratungszentrum schrittweise in die lokalen Strukturen überführt werden, um den langfristigen und nachhaltigen Betrieb zu sichern (Neues deutsch-irakisches Beratungszentrum in Bagdad eröffnet, BMZ 13.06.2019).

Die Zahl der Binnenvertriebenen (IDP’s) wird seit April 2014 aufgezeichnet, jene der Rückkehrer seit April 2015. Seit Juni 2017 sinkt die Zahl der IDPs kontinuierlich. Zum 30.06.2019 wurden 1,6 Millionen IDPs (267.858 Familien), verteilt auf 18 Gouvernements und 106 Distrikte identifiziert. Die Zahl der IDPs sinkt kontinuierlich in einem stetig langsamen Tempo. Im Mai und Juni wurde ein Rückgang von 57.960 IDPs, mit den drei größten Gouvernements Ninewa (-22.674), Salah al-Din (-11.856) und Sulaymaniyah (-7.104), verzeichnet. Die Zahl der Rückkehrer liegt bei 4,3 Millionen (717.523 Familien) in 8 Gouvernements und 38 Distrikten. Im Mai und Juni 2019 kehrten die meisten nach Ninewa (17.502 Personen), Anbar (2.136) und Salah al-Din (14.778) zurück. Während der letzten sechs Monate wurde ein Rückgang an IDPs von 195.684 Personen verzeichnet. Die meisten davon in Ninewa (-97.392, -17%), Salah al-Din (-32.262, -23%) und Anbar (-11.598, -19%). Im selben Zeitraum wurde ein Anstieg von 139.818 Rückkehrern dokumentiert. Die größten Anstiege wurden in Ninewa (63.762, 4%), Salah al-Din (44.742, 8%) und Anbar (14.850, 1%) verzeichnet. Nahezu alle Familien (95%, 4.105.140 Personen) kehrten an ihren vor der Vertreibung gewöhnlichen Wohnsitz zurück, der sich in einem guten Zustand befand. Zwei Prozent (71.010) leben in anderen privaten Einrichtungen (gemietete Häuser, Hotels, Gastfamilien). Drei Prozent der Rückkehrer (128.988) leben in kritischen Unterkünften (informelle Siedlungen, religiöse Gebäude, Schulen, unfertige, aufgegebene oder zerstörte Gebäude). Von den zuletzt Genannten leben die meisten in den Distrikten Mossul (29.658), Tikrit (9.462) und Tal Afar (9.222). Seit Dezember 2018 wird ein Rückgang der in kritischen Unterkünften lebenden Rückkehrer (-3.786) in allen Gouvernements, außer Anbar und Kirkuk, verzeichnet (Displacement Tracking Matrix, Round 110, Juli 2019).

Anfang Oktober 2019 kam es in zahlreichen Städten und Provinzen im Irak zu Demonstrationen, die sich gegen Korruption und Misswirtschaft richten. Die Proteste gingen nicht von einer bestimmten politischen Gruppe aus. Die zumeist jungen Demonstranten wiesen jede politische Vereinnahmung von sich. Angesichts der gewaltsamen Proteste versucht die irakische Regierung, die Protestierenden mit einem sozialen Maßnahmenpaket zu beruhigen. Unter anderem sollen im ganzen Land 100.000 neue Wohnungen gebaut werden, wie Ministerpräsident Adil Abd al-Mahdi nach einer Sitzung des Kabinetts am 06.10.2019 sagte. Zudem sollen 150.000 arbeitslose Irakerinnen und Iraker in Weiterbildungsprogrammen gefördert werden (Über hundert Menschen sterben bei Protesten gegen die Regierung Zeit.de, 06.10.2019).

Ende Oktober 2019 kam es erneut zu Protesten, wobei acht Menschen in Bagdad starben, als Sicherheitskräfte mit Tränengas gegen Demonstranten in der Nähe des Regierungsviertels vorgingen. In Bagdad hatten am 25.10.2019 Tausende Demonstranten versucht, in die besonders geschützte Grüne Zone zu gelangen. Dort liegen viele der Regierungsgebäude und Botschaften. Die Lage hatte sich am folgenden Tag zunächst beruhigt. Auf dem zentralen Tahrir-Platz errichteten jedoch Hunderte Demonstrierende Zelte, um weiter zu protestieren (42 Tote bei erneuten regierungskritischen Protesten, Zeit.de, 25.10.2019).

Im Zuge der Recherche konnten für Diyala seit Jänner 2019 keine Informationen zu gewalttätigen Übergriffen schiitischer Milizen auf die Zivilbevölkerung gefunden werden.

In einem im Jänner 2019 veröffentlichten Bericht zur Sicherheitslage in Baqubah, der Hauptstadt von Diyala, mit Stand November 2018, schreibt das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo zum Fehlen aktueller Berichte zu Übergriffen der Volksmobilisierungseinheiten auf die sunnitische Bevölkerung, dass dies ein Zeichen dafür sei, dass die Volksmobilisierungseinheiten und andere Ordnungskräfte die Stadt selbst fest unter ihrer Kontrolle hätten. Dennoch würden die ländlichen Gebiete in der Nähe der Stadt zu den anfälligsten für IS-Angriffe zählen, was wahrscheinlich bedeute, dass die irakischen Sicherheitskräfte und Volksmobilisierungseinheiten in diesen Gebieten nach IS-Anhängern suchen würden, wovon häufig nicht nur sunnitische AraberInnen betroffen seien. Da die Badr- Organisation eine derart starke Präsenz und Kontrolle in Diyala habe, könne man vermuten, dass die Presse sich stark selbst zensiere, wenn sie über das Vorgehen der Volksmobilisierungseinheiten in der Provinz berichte. Basnews habe im April 2018 die Stellungnahme eines politischen Führers aus dem Distrikt Kifri wiedergegeben, dem zufolge die Volksmobilisierungseinheiten kurdische und arabische ZivilistInnen angreifen würden. Laut dem Politiker würden die Volksmobilisierungseinheiten auf die Häuser von ZivilistInnen schießen und sie bedrohen, damit sie die Dörfer räumen würden, weil sie anderenfalls getötet würden. Der Politiker, der die Demokratische Partei Kurdistans repräsentiere, habe angenommen, die Volksmobilisierungseinheiten hätten ein Interesse daran gehabt vor den Wahlen vom Mai 2018 sunnitische Kurden und Araber, die in dieser Gegend leben würden, aus dem Gebiet zu entfernen. Landinfo verweist auch auf ältere Informationen des USDOS-Jahresberichtes zur Religionsfreiheit für das Jahr 2017, in dem von Vertreibungen von mutmaßlichen IS-Sympathisanten durch irakische Streitkräfte und Milizen, sowie von Entführungen von SunnitInnen, Übergriffen auf diese und der Verweigerung deren Rückkehr vonseiten der PMF-Miliz Kata’ib Hizballah berichtet wird. Im November 2018 habe die Quelle Kirkuk Now allerdings berichtet, dass sich immer mehr Familien in Diyala offiziell von nahen Verwandten, die IS-Mitglieder seien, distanzieren würden. Auf langfristige Sicht könne diese Entwicklung das Verhältnis zwischen der sunnitischen lokalen Bevölkerung und den Sicherheitskräften verbessern (ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage für sunnitische Araber in Diyala: Übergriffe durch schiitische Milizen, allgemeine Sicherheitslage; Versorgungslage für RückkehrerInnen nach Diyala, 22.01.2020).

Coronavirus COVID-19

Laut worldometers.info, Stand 16.07.2020, gibt es im Irak 79.735 Coronavirus-Fälle. Es gibt 3.250 Todesfälle. 46.988 Personen sind wieder genesen. Die dänische Regierung hat in Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) dem Irak 6.000.000 DKK (ca. 870.000 USD) zugesagt, um die irakische Regierung bei der Bekämpfung der globalen COVID-19 Pandemie zu unterstützen. Ab 01.06.2020 galt landesweit eine 6-tägige Ausgangssperre. Im Irak bleiben alle Ministerien weiterhin geschlossen mit Ausnahme von: Gesundheitsministerium, Elektrizitätsministerium, Min. für Landwirtschaft und Wasserressourcen, Sicherheitsministerien sowie Gemeindedienste. Die Behörden im Irak nehmen reduziert ihre Arbeit wieder auf. Aufgrund der Verbreitung des Coronavirus kommt es zu Einschränkungen im Flug- und Reiseverkehr: Die internationalen Flughäfen von Bagdad und Erbil bleiben weiterhin bis zum 27.06.2020 geschlossen. (https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-im-irak.html, Abruf 16.07.2020).

2. Beweiswürdigung

Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der bP, der von ihr vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und die Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht beigeschafften länderkundlichen aktuelle Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der bP, welche der Rechtsvertretung wie bereits ausgeführt übermittelt wurden.

Die bP verletzte durch ihr unentschuldigtes Fernbleiben von der Verhandlung ihre Mitwirkungspflicht im Verfahren. Die Vertretung der bP erschien ebenfalls nicht zur Verhandlung, eine Mitteilung an das BVwG erfolgte nicht.

In der Ladung zur Verhandlung wurde der bP folgende Aufforderung zur Mitwirkung im Beschwerdeverfahren übermittelt:

Aufforderung zur Mitwirkung im Beschwerdeverfahren.

Sie werden hiermit aufgefordert Bemühungen anzustellen, damit Sie spätestens in der Beschwerdeverhandlung in der Lage sind

1)       Ihre Identität und Staatsangehörigkeit bzw. ihren Herkunftsstaat (zB durch Reisepass, Personalausweis, Geburtsurkunde, etc.) nachzuweisen

2)       Ihre persönlichen Fluchtgründe und sonstigen Rückkehrbefürchtungen durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen.

(zB. auf Ihren konkreten Fall Bezug nehmende Zeitungsausschnitte, Berechtigungen, Ladungen, Steckbriefe, Haftbefehle, Aufenthaltsermittlungen, Haftbestätigungen, Urteile oder Beschlüsse von Gerichten, polizeiliche Anzeigebestätigung, Bescheide, andere behördliche Schreiben, Bestätigungen von politischen Parteien, Religionsgemeinschaften, Vereinen oder sonstigen Organisationen, sonst. Bestätigungen, Verletzungsanzeigen, Bescheinigungen über Krankenhausaufenthalte oder sonst. ärztliche Behandlung [Befunde], Qualifikationsnachweise, Filme, Fotos, Rechnungen, Quittungen, Meldebestätigungen, Anträge, sonstige Bescheinigungsmittel die Sie für geeignet erachten Ihre Behauptungen im Asylverfahren zu bescheinigen)

Übermitteln Sie diese Unterlagen einlangend 1 Woche vor dem Verhandlungstermin dem Bundesverwaltungsgericht, Erdbergstraße 192-196, 1030 Wien, ansonsten legen Sie diese in der Verhandlung vor.

•        Werden Bescheinigungsmittel übermittelt, so ist zu jedem Nachweis das konkrete Beweisthema, das Sie damit bescheinigen wollen, zu benennen.

•        Wurden diese Nachweise bereits dem BFA vorgelegt und befinden sich diese nur in Kopie im Akt, so genügt eine Mitnahme in der Beschwerdeverhandlung im Original.

•        Sind derartige fallbezogene Bescheinigungsmittel noch nicht in Ihrem Besitz, so werden Sie aufgefordert dazu notwendige Bemühungen anzustellen. Werden Sie im Asylverfahren vertreten bzw. unterstützt (z. B. durch einen Rechtsanwalt, Rechtsberater Flüchtlingsberater, Nichtregierungsorganisation etc.), so ist es Ihnen zumutbar ergänzend auch Ihre Vertretung bei der Besorgung derartiger Bescheinigungsmittel um Unterstützung zu ersuchen bzw. zu beauftragen.

Hinweise:

1)       Asylwerber sind verpflichtet im Verfahren an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken; im erhöhten Maß dort, wo es sich um Umstände/Ereignisse handelt, die in Ihrer persönlichen Sphäre liegen. Eine Verletzung von zumutbaren Mitwirkungsverpflichtungen wird im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt.

2)       Die Vorlage von gefälschten oder verfälschten Beweismitteln ist gem. § 293 StGB strafbar:

(1)      Wer ein falsches Beweismittel herstellt oder ein echtes Beweismittel verfälscht, ist, wenn er mit dem Vorsatz handelt, dass das Beweismittel in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren oder in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung gebraucht werde, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen, wenn die Tat nicht nach den §§ 223, 224, 225 oder 230 mit Strafe bedroht ist.

(2)      Ebenso ist zu bestrafen, wer ein falsches oder verfälschtes Beweismittel in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht.

Strafrechtlich relevante Sachverhalte werden vom Bundesverwaltungsgericht der österreichischen Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht und können neben einer gerichtlichen Strafe auch aufenthaltsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Sie werden auch im Asylverfahren im Rahmen der Beweiswürdigung gewertet.

3)       Bleiben Sie der Beschwerdeverhandlung unentschuldigt fern, so stellt dies – unabhängig von der Möglichkeit die Verhandlung in Ihrer Abwesenheit durchzuführen – eine Verletzung einer Mitwirkungsverpflichtung dar. Das Bundesverwaltungsgericht geht in diesem Fall davon aus, dass von Ihrer Seite kein Interesse an einer persönlichen Anhörung beim Bundesverwaltungsgericht besteht und daher auch keine nochmalige Ladung erfolgen wird. Die Entscheidung kann dann ohne Ihre persönliche Anhörung zu den Ermittlungsergebnissen (das diesbezügliche Parteiengehör findet grundsätzlich im Rahmen der Verhandlung statt) ergehen.

4)       Sollten Sie durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen bei der mündlichen Verhandlung in Linz gehindert sein, so haben Sie dies beim Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Linz, unverzüglich telefonisch aber auch zusätzlich durch Vorlage eines geeigneten Bescheinigungsmittels noch vor Beginn der Verhandlung anzuzeigen bzw. glaubhaft zu machen- per Telefax an +43 1 711 23-889 15 41 oder E-Mail: einlaufstelle@bvwg.gv.at.

Im Fall von gesundheitlichen Hindernissen ist vor der Verhandlung zur Glaubhaftmachung eines Hinderungsgrundes eine auf Ihren Namen ausgestellte ärztliche Bestätigung vorzulegen, aus der ausdrücklich hervorgeht,

(1)         welche konkreten gesundheitlichen Probleme [Beschreibung der gesundheitlichen
Beeinträchtigung] vorliegen und


(2) dass diese Sie daran hindern nach Linz zu reisen, um an der mündlichen
Verhandlung in Linz teilzunehmen.

Bescheinigungen mit denen bloß die „Arbeitsunfähigkeit“ bestätigt wird, werden ho. zur Glaubhaftmachung eines Entschuldigungsgrundes für die Nichtteilnahme an der Beschwerdeverhandlung als nicht ausreichend erachtet.

5) Andere Hindernisse an der Verhandlungsteilnahme sind insbesondere durch Mitteilung von Zeugen mit deren vollständigen Namen, zustellfähiger Adresse und Telefonnummer glaubhaft zu machen.

6) Eine fernmündliche Mitteilung eines Hinderungsgrundes alleine ist zur Glaubhaftmachung eines Entschuldigungsgrundes nicht ausreichend.

Am Verhandlungstag (26.05.2020) erfolgte um 08:30 Uhr der Aufruf zur Sache. Ein weiterer Aufruf zur Sache erfolgte um 09:00 Uhr. Da weder die bP noch die Rechtsvertretung anwesend waren und die Abwesenheit nicht entschuldigt war, erfolgte die Verhandlung und die Verkündung des Erkenntnisses in Abwesenheit der bP.

Zu diesem Zeitpunkt war nur bekannt, dass mit Telefax vom 25.05.2020, 14:06 Uhr, an die Einlaufstelle des BVwG in Wien eine Krankmeldung der bP für den 25.05.2020 als „arbeitsunfähig“ einlangte.

Für den Verhandlungstag (26.05.2020) war keine Krankmeldung bekannt.

Mit Mail vom 26.05.2020, 10:43 Uhr und somit bereits nach Ende der Verhandlung, wurde in der Einlaufstelle Wien des BVwG im Wesentlichen folgende Krankmeldung der bP für den 26.05.2020 bekannt gegeben:

XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin.

„Herr XXXX , aus XXXX war am 26.05.2020 in meiner ärztlichen Behandlung und ist vom 26.05.2020 bis 26.05.2020 arbeitsunfähig.

Diagnose:

XXXX “

Festzustellen ist, dass die bP nicht wie in der Aufforderung zur Mitwirkung im Verfahren verlangt, ihre Krankheit unverzüglich der Außenstelle Linz telefonisch mitteilte. Auch legte sie nicht wie gefordert ein geeignetes Bescheinigungsmittel vor der Verhandlung vor um dies glaubhaft zu machen. Vielmehr lange eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung erst nach der Verhandlung ein.

Unabhängig davon, dass die Krankmeldung sowieso verspätet mitgeteilt wurde, ging aus dieser Bestätigung auch nicht hervor, dass die bP daran gehindert war nach Linz zur Verhandlung zu reisen und daran teilzunehmen, sondern wurde nur die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Wie in der Mitteilung an die bP ausgeführt, werden jedoch Bescheinigungen, mit denen bloß die „Arbeitsunfähigkeit“ bestätigt wird, ho. zur Glaubhaftmachung eines Entschuldigungsgrundes für die Nichtteilnahme an der Beschwerdeverhandlung als nicht ausreichend erachtet.

Insgesamt blieb die bP der Beschwerdeverhandlung somit unentschuldigt fern und verletzte die bP somit ihre Mitwirkungspflicht im Verfahren, weshalb das BVwG davon ausgehen konnte, dass die bP von ihrer Seite her kein Interesse an einer persönlichen Anhörung beim BVwG hatte, weshalb ein Parteiengehör im Rahmen der Verhandlung nicht stattfand. Dahingehend wurde die vertretene bP auch in Zusammenhang mit der Ladung unter dem Titel „Aufforderung zur Mitwirkung im Beschwerdeverfahren“ belehrt.

2.1 Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich aus ihren in diesem Punkt einheitlichen, im Wesentlichen widerspruchsfreien Angaben sowie ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel.

Die Feststellungen zur Selbständigkeit und zum Bezug aus der Grundversorgung ergeben sich aus den Sozialversicherungsauszügen und dem Auszug aus dem GVS.

Die Feststellungen zur Operation ergeben sich aus den durch die bP eingebrachten medizinischen Unterlagen.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem SA-Auszug.

Dass die Schwester der bP und ihr Schwager in Österreich leben, ergibt sich aus den Darlegungen der bP. Besondere relevante private- und familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich wurden nicht dargelegt.

2.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates

Die bP führte im Zuge ihrer Erstbefragung zu ihren fluchtgründen aus, dass sie ihre Heimat wegen des Krieges verlassen habe. Sie sei zum Militär einberufen worden, das habe sie jedoch nicht gewollt. Sonst habe sie keine Fluchtgründe.

Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA relativierte die bP diese Angaben dahingehend, dass es nicht richtig ist, dass sie zum Militär einberufen worden ist. Dies deckt sich auch mit den notorisch bekannten Länderfeststellungen zum Irak, wonach es keine Militärpflicht gibt, weshalb diese ursprünglichen Angaben dem Verfahren nicht zugrunde gelegt werden.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA legte sie erstmals weiter dar, dass sie im Oktober 2008 entführt worden sei. Sie sei von uniformierten Männern mitgenommen worden. In einem Garten hätten sie ihr die Augen verbunden und sie geschlagen. Eine zweite Entführung wäre im April oder Mai 2010 gewesen. Sie seien mit zwei zivilen Autos zur Baustelle gekommen, wo sie gearbeitet habe. Sie hätten sie mitgenommen und verhört. Der Cousin eines Mädchens, welches ihr Bruder hätte heiraten wollen, habe die Entführung veranlasst. Sie sei 15 Tage lang angehalten und verhört worden und seien 4000 Dollar verlangt worden. Sie hätten dann das Geld genommen und sie entlassen. Damit sei die Sache erledigt gewesen.

Auf Vorhalt des Einvernahmeleiters, dass diese Ereignisse 4 bzw. 6 Jahre her sind, führte die bP aus, dass es die allgemeine Lage gewesen sei, weshalb sie ausgereist sei (F: „Verstehe ich Sie richtig, dass die allgemeine Lage Sie zur Ausreise veranlasst hat?“ A: „Ja“.).

In ihrer Beschwerde steigerte die bP ihr Vorbringen dann dahingehend, dass sie im Jahr 2008 von Milizen entführt worden sei. Diese hätten sie einen ganzen Monat lang gefoltert. Ihre einzige Schuld sei gewesen, dass sei Sunnit aus der Provinz Diyala sei. Nach zwei Monaten sei ein Lösegeld verlangt worden. Nachdem dies bezahlt worden sei, sei sie entlassen worden. Sie habe dann Angst gehabt und sei eine Weile nicht mehr zur Arbeit gegangen. Dann sei sie ein zweites Mal entführt worden, diesmal von der Al-Qaida. Sie könne sich nicht mehr daran erinnern, wie lange sie dort gewesen sei, weil sie weder Essen noch Trinken bekommen habe. Sie hätten sie stark geschlagen und ihren Spaß dabei gehabt. Dann hätten sie von ihren Angehörigen Geld verlangt, damit sie sie nicht töten würden. Dann seien die Schiiten an die Macht gekommen und hätten die Milizen unterstützt. Ihr und ihren Brüdern hätten sie vorgeworfen, dass sie Sprengflaschen organisiert und neben den Schulen hätten sprengen lassen wollen. Danach hätten die Behörden entschieden sie festzunehmen. Sie hätten ihren Bruder eingesperrt. Sie sei dann Tage und Monate von einem Haus zum anderen unterwegs gewesen. Die Behörden hätten einen Festnahmebefehl gegen sie ausgegeben. Sie sei dann über Kurdistan in die Türkei ausgereist. Sie habe sich in Österreich sicher gefühlt und nicht detailliert erzählt. Sie habe Angst gehabt, wieder in den Irak zurückgeschickt zu werden. Sie wolle in Sicherheit leben.

Vor dem BFA schilderte die bP die erste Entführung völlig anders als in ihrer Beschwerde. Sie hätten ihr in einem Garten die Augen verbunden und sie geschlagen. Mit keinem Wort erwähnte die bP, dass sie einen ganzen Monat lang gefoltert worden wäre. Auch in Bezug auf ihre zweite Entführung ergaben sich erhebliche Widersprüche. So legte die bP vor dem BFA noch dar, dass der Cousin eines Mädchens, welches ihr Bruder habe heiraten wollen, die Entführung veranlasst habe. Sie sei 15 Tage lang angehalten und verhört worden. Sie habe dann 4000 Dollar bezahlt und die Sache sei erledigt gewesen. In der Beschwerde äußerte sich die bP demgegenüber dahingehend, dass sie von der Al-Qaida entführt worden wäre. Sie könne sich nicht mehr daran erinnern, wie lange sie dort gewesen sei, weil sie weder Essen noch Trinken bekommen hätte.

Darüber hinaus brachte die bP erstmals in der Beschwerde völlig neue Gründe vor. So legte sie dar, dass man ihr und ihren Brüdern vorgeworfen hätte, dass sie Sprengflaschen organisiert und neben den Schulen hätten sprengen lassen wollen. Danach hätten die Behörden entschieden sie festzunehmen. Sie hätten ihren Bruder eingesperrt. Sie sei dann Tage und Monate von einem Haus zum anderen unterwegs gewesen. Die Behörden hätten einen Festnahmebefehl gegen sie ausgegeben.

Die bP steigerte damit ihr Vorbringen auch noch um weitere Fluchtgründe, welche sie bisher mit keinem Wort erwähnt hatte. Auch gab sie bisher an, dass sie die letzten 7 Jahre vor ihrer Ausreise immer an ihrem Wohnort wohnhaft gewesen sei. In der Beschwerde äußerte sie sich erstmals dahingehend, dass sie Tage und Monate von einem Haus zum anderen unterwegs gewesen sei.

Aufgrund dieser Widersprüche im Kernvorbringen wird der bP seitens des BVwG die Glaubwürdigkeit in Bezug auf ihre Fluchtgründe abgesprochen, unabhängig davon, dass auch kein zeitlicher Konnex zwischen den Entführungen und der Auseise vorliegen würde.

Das Fluchtvorbringen war somit unglaubhaft und nicht geeignet, der rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt zu werden.

In Bezug auf die seitens der bP mit der Beschwerde eingebrachten Kopien von Schreiben, welche ihr Fluchtvorbringen untermauern sollen, wird festgestellt, dass es notorisch bekannt ist, dass irakische Bescheinigungsmittel einer besonderen Aufmerksamkeit hinsichtlich der Beurteilung ihrer Authentizität bedürfen und somit per se nicht als unbedenklich gelten können. So führt z. B. das Deutsche Auswärtige Amt im Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak vom März 2020 dazu aus, dass jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, gegen Bezahlung zu beschaffen ist. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden. Es

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten