Entscheidungsdatum
23.07.2020Norm
AsylG 2005 §55Spruch
L502 2128014-2/13E
L502 2128017-2/13E
L502 2128013-2/12E
L502 2160402-2/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX ; alle StA. Irak und vertreten durch XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.08.2019, FZ. XXXX 0, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.11.2019 zu Recht erkannt:
A)
1. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I, II, III und IV als unbegründet abgewiesen.
2. Den Beschwerden wird hinsichtlich Spruchpunkt V stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen XXXX gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.
3. Gemäß § 55 Abs. 1 Z. 2 AsylG wird XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.
4. Gemäß § 55 Abs. 1 Z. 1 AsylG wird XXXX jeweils eine „Aufenthaltsberechtigung“ erteilt.
5. Die Spruchpunkte VI und VII werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) stellte am 17.09.2015, die Zweitbeschwerdeführerin (BF2), diese zugleich als gesetzliche Vertreter für die minderjährige Drittbeschwerdeführerin (BF3), bereits am 17.08.2015, im Gefolge ihrer jeweils unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet, vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 18.08.2015 sowie am 19.09.2015 fanden die Erstbefragungen von BF2 und BF1 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.
3. In der Folge wurde in der Sache des BF1 ein Konsultationsverfahren mit den belgischen Asylbehörden geführt, die ihrerseits am 12.10.2015 ein Antwortschreiben übermittelten. Im Gefolge dessen wurden die Verfahren zugelassen.
4. Am 25.02.2016 und 17.03.2016 wurden BF1 und BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Steiermark, einvernommen.
5. Mit den im Spruch genannten Bescheiden der belangten Behörde vom 17.05.2016 wurden die Anträge von BF1, BF2 und BF3 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurden diese Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihnen eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt ((Spruchpunkt III.).
6. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 19.05.2016 wurde ihnen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
7. Gegen die am 20.05.2016 zu eigenen Handen zugestellten Bescheide wurde mit Schriftsatz vom 10.06.2016 innerhalb offener Frist Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
8. Am 15.06.2016 langten die Beschwerdevorlagen beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurden die gegenständlichen Beschwerdeverfahren der zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
9. Am 24.11.2016 langte beim BFA, RD Steiermark, ein Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens für das nachgeborene zweite Kind von BF1 und BF2, den Viertbeschwerdeführer (BF4), unter Einschluss einer Kopie der Geburtsurkunde desselben ein.
10. Mit Bescheid des BFA vom 15.05.2017 wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt III.).
Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 15.05.2017 wurde dem BF4 von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
11. Gegen den der BF2 als gesetzlicher Vertreterin am 17.05.2017 zugestellten Bescheid wurde von deren gewillkürter Vertretung am 30.05.2017 fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde erhoben.
12. Mit 06.06.2017 langte die Beschwerdevorlage des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das Beschwerdeverfahren der zuständigen Abteilung des Gerichts im Rahmen des Familienverfahrens zur Entscheidung zugewiesen.
13. Am 30.05.2017 langten beim BVwG diverse Integrationsunterlagen der Beschwerdeführer ein.
14. Das BVwG führte am 05.10.2017 eine mündliche Verhandlung in der Sache der Beschwerdeführer durch.
Als länderkundliche Beweismittel führte das BVwG aktuelle Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer ins Verfahren ein und veranlasste die Erstellung von Auszügen des Zentralen Melderegisters, des Grundversorgungsinformationssystems, des Informationssystems Zentrales Fremdenregister und des Strafregisters.
Die Beschwerdeführer legten ihrerseits nationale Identitätsnachweise, die in Kopie zum Akt genommen wurden, weitere Integrationsunterlagen sowie medizinische Unterlagen den BF4 betreffend vor.
15. Am 18.10.2017 leitete das BVwG Erhebungen zur Abklärung des Gesundheitszustandes sowie der Behandlungsbedürftigkeit des BF4 ein. Ein entsprechendes Informationsschreiben des behandelnden Arztes langte noch am gleichen Tag ein.
16. Am 30.10.2017 ersuchte das BVwG die Staatendokumentation des BFA um Erhebungen zu medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat den BF4 betreffend.
Am 13.02.2018 langte das entsprechende Antwortschreiben beim BVwG ein, das in unmittelbarer Folge zum Parteigehör gebracht wurde.
17. Am 28.02.2018 langte beim BVwG eine Stellungnahme der Beschwerdeführer dazu unter Einschluss weiterer medizinischer Unterlagen den BF4 betreffend ein.
18. Am 02.03.2018 ersuchte das BVwG den behandelnden Arzt des BF4 um Übermittlung einer aktuellen Stellungnahme zur Frage der Behandlungsbedürftigkeit des BF4.
Entsprechende medizinische Unterlagen langten am 07.03.2018 beim BVwG ein.
Ein ergänzendes ärztliches Schreiben langte am 15.03.2018 beim BVwG ein.
19. Der BF1 legte am 20.02., 01.03., 04.04. und 10.04.2018 dem BVwG weitere Integrationsnachweise vor.
20. Mit Erkenntnis des BVwG vom 08.05.2018 wurden die gg. Beschwerden gegen Spruchpunkt I der bekämpften Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG als unbegründet abgewiesen. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II der Bescheide wurde stattgegeben und den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 iVm § 34 Abs. 3, 4 und 6 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 und 5 AsylG wurden ihnen befristete Aufenthaltsberechtigungen bis 07.05.2019 erteilt. Der Spruchpunkt III der bekämpften Bescheide wurde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos aufgehoben.
21. Am 13.03.2019 stellten die Beschwerdeführer beim BFA Anträge auf Verlängerung „des subsidiären Schutzes“ (gemeint: der befristeten Aufenthaltsberechtigungen).
22. Mit 15.03.2019, expediert am 29.03.2019, wurden die Beschwerdeführer vom BFA zur Vorlage aktueller medizinischer Unterlagen den BF4 betreffend aufgefordert.
23. Am 10.04.2019 richtete das BFA eine Anfrage an die Staatendokumentation im Hinblick auf die Existenz medizinischer Einrichtungen in der Heimatregion der Beschwerdeführer zur Behandlung des BF4, dies unter Beifügung u.a. eines von den Eltern des BF4 vorgelegten Arztbriefes vom 05.04.2019.
24. Mit schriftlichem Einverständnis der Eltern des BF4 richtete das BFA ein Auskunftsersuchen an den behandelnden Arzt der Familie, der mit Schreiben vom 12.06.2019 antwortete.
25. Am 07.08.2019 langte beim BFA die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ein.
26. Mit Bescheid des BFA vom 26.08.2019 wurde den Beschwerdeführern der ihnen mit Erkenntnis des BVwG vom 08.05.2018 zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I). Die ihnen mit Erkenntnis des BVwG vom 08.05.2018 erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte wurden ihnen gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II). Ihre Anträge vom 13.03.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurden abgewiesen (Spruchpunkt III). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt IV). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z. 4 FPG erlassen (Spruchpunkt V). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt VI). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihnen eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VII).
27. Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 26.08.2019 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG von Amts wegen ein kostenloser Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
28. Gegen diese am 28.08.2019 zugestellten Bescheide haben die Beschwerdeführer durch ihre Rechtsberatung mit 12.09.2019 fristgerecht und in vollem Umfang Beschwerde erhoben.
29. Mit 17.09.2019 langte die Beschwerdevorlage des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts im Rahmen des Familienverfahrens zur Entscheidung zugewiesen.
30. Am 25.11.2019 führte das BVwG eine mündliche Verhandlung in der Sache der Beschwerdeführer durch. Diese legten dabei diverse Beweismittel vor.
31. Mit 27.11.2019 richtete das BVwG eine ergänzende Anfrage an die Staatendokumentation des BFA im Hinblick auf die Existenz medizinischer Einrichtungen in der Heimatregion der Beschwerdeführer zur Behandlung des BF4.
Mit 10.01.2020 langte die Anfragebeantwortung beim BVwG ein.
32. Mit 13.01.2020 richtete das BVwG eine weitere ergänzende Anfrage an die Staatendokumentation des BFA unter Bezugnahme auf deren erste Anfragebeantwortung.
Mit 19.02.2020 langte die zweite Anfragebeantwortung beim BVwG ein.
33. Am 25.03.2020 langte eine Beweismittelvorlage in Form von Kopien neuer irakischer Identitätskarten von BF1, BF2 und BF3, ausgestellt am 23.07.2019, ein.
34. Mit 26.03.2020 und 07.04.2020 richtete das BVwG eine weitere ergänzende Anfrage an die Staatendokumentation des BFA unter Bezugnahme auf die bisherigen Anfragebeantwortungen, deren Beantwortung am 24.06.2020 einlangte.
35. Das bisherige Ergebnis der Erhebungen des BVwG wurde mit 30.06.2020 den Verfahrensparteien schriftlich zu Gehör gebracht, verbunden mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme dazu.
Der BF 1 wurde unter einem zur Vorlage von Beschäftigungsnachweisen sowie von allfälligen weiteren Bescheinigungsmitteln das Privatleben der Beschwerdeführer im Bundesgebiet betreffend aufgefordert.
36. Eine Stellungnahme sowie Beweismittelvorlage des BF1 langte am 10.07.2020 beim BVwG ein.
Die belangte Behörde übermittelte keine Stellungnahme.
37. Das BVwG erstellte aktuelle Datenbankauszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Grundversorgung-Betreuungsinformationssystem und dem Strafregister.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Identitäten der Beschwerdeführer stehen fest. Sie sind irakische Staatsangehörige sowie Angehörige der kurdischen Volksgruppe und Muslime der sunnitischen Glaubensrichtung. BF1 und BF2 – die am 04.09.2013 in XXXX zivilgerichtlich die Ehe schlossen - sowie BF3 stammen aus XXXX in der nordirakischen Provinz XXXX an der Grenze zur kurdisch-autonomen Provinz XXXX . Der BF1 ging ehemals den Berufen des Frisörs und Maurers nach. Seine Herkunftsfamilie betrieb dort eine Landwirtschaft.
Er stellte bereits im August 2009, Mai 2010 und Mai 2011 in Belgien, im Februar 2010 in der Schweiz, im Juni 2010 in Luxembourg, im Juli 2010 in Deutschland, im Oktober 2010 in Österreich und im November 2010 in Italien jeweils Asylanträge, ehe er im Juni 2011 aus Belgien in den Irak abgeschoben wurde. Bis April 2012 lebte er mit seiner Herkunftsfamilie in der Gemeinde „ XXXX “ nahe der irakisch-syrischen Grenze, ehe die Familie wieder nach XXXX zog.
Im Zuge des Überfalls der bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf die Provinz XXXX verließen BF1, BF2 und BF3 gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern ihrer Herkunftsfamilien Anfang August 2014 ihre engere Heimat um sich in der Folge wieder in „ XXXX “ bei Verwandten niederzulassen, ehe vorweg BF2 und BF3 - gemeinsam mit einem jüngeren Bruder des BF1 namens XXXX - im August 2015 auf dem Landweg aus dem Irak in die Türkei aus- und anschließend schlepperunterstützt auf dem Landweg bis Österreich weiterreisten, wo sie am 17.08.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz stellten und sich seither aufhalten. Der BF1, der sich im September 2014 für ca. zwei Monate bis Ende Oktober 2014 freiwillig den bewaffneten Einheiten der kurdischen Peshmerga im Kampf gegen den IS angeschlossen hatte und bis Anfang September 2015 im Umkreis von XXXX als gewöhnlicher Soldat weiterdiente, verließ danach den Irak und gelangte auf dem gleichen Weg nach Österreich, wo er am 17.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither aufhält.
Der genannte Bruder des BF1 hielt sich bis August 2017 in Österreich auf, ehe er auf illegale Weise nach Deutschland ausreiste, wo sich ein weiterer Bruder mit Familie aufhält, um 11.01.2018 von dort wieder nach Österreich überstellt zu werden. Dieser geht seit Februar 2019 bis dato an seinem nunmehrigen Wohnsitz einer legalen unselbständigen Erwerbstätigkeit in einer Pizzeria nach und steht mit dem BF1 in regelmäßigem Kontakt.
Die Eltern, sechs weitere Brüder und zwei Schwestern des BF1 lebten nach ihrer Ausreise aus dem Irak im Sommer 2016 in der Türkei, drei dieser Brüder sind zwischenzeitig nach Deutschland weitergereist, die übrigen drei gehen wie auch der Vater in der Türkei Gelegenheitsarbeiten nach. Auch mit ihnen steht der BF1 in regelmäßigem Kontakt.
Die Eltern und 8 Geschwister der BF2 verließen den Irak im Sommer 2015 um sich ebenso in der Türkei niederzulassen, mit Ausnahme eines Bruders, der nach Deutschland weiterreiste. Mit ihnen steht die BF2 in Kontakt.
BF1, BF2 und BF3 bezogen seit der Einreise, wie auch der BF4 seit seiner Geburt, bis Oktober 2018 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Der BF1 ging zuvor in seiner vormaligen Wohnsitzgemeinde gemeinnützigen Tätigkeiten für die Gemeindeverwaltung nach. Er ist seit Juli 2018 bis dato als Hilfsarbeiter in einem Sägewerk in Vollzeitbeschäftigung legal erwerbstätig. Daneben geht er seit Mai 2020 einer geringfügigen Beschäftigung als Friseur nach. Dieser Dienstgeber würde ihn bei Bedarf auch in einer Vollzeitanstellung beschäftigen. Die BF2 war von Juli 2018 bis November 2019 als Küchengehilfin in Vollzeitbeschäftigung legal erwerbstätig. Die Beschwerdeführer bewohnen seit August 2018 eine private Unterkunft in XXXX .
Der BF1 hat die Sprachprüfung für die deutsche Sprache auf dem Niveau A2 und einen Werte- und Orientierungskurs des Österr. Integrationsfonds erfolgreich absolviert, besuchte einen Kurs auf dem Niveau B1 und verfügt über ausreichende Deutschkenntnisse für den täglichen Gebrauch. Die BF2 besuchte ebenfalls einen Sprachkurs und verfügt nur über geringe Deutschkenntnisse. Die BF3 besucht den Kindergarten.
BF1 und BF2 sind bis dato strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Der in Österreich nachgeborene BF4 leidet seit seiner Geburt an einer mittelgradigen „ XXXX “, d.h. an einer XXXX , iVm einer „ XXXX ( XXXX )“, weswegen er seit der Geburt unter regelmäßiger fachärztlicher Kontrolle steht. Eine Operation war ärztlicherseits ursprünglich im Vorschulalter geplant, aktuell ist aufgrund seiner bisherigen körperlichen Entwicklung eine solche nicht angezeigt, sie kann aber bei allfälligem gegenteiligen Verlauf lebensnotwendig werden. Es ist eine regelmäßige, in mehrmonatigen Abständen erfolgte fachärztliche Kontrolle des BF4 erforderlich.
Laut länderkundlichen Informationen von IOM vom August 2019 (Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation an das BFA v. 07.08.2019, AS 253 ff) gibt es in Bagdad sowie in der nordirakischen Provinzhauptstadt Erbil jeweils medizinische Einrichtungen zur Behandlung von Herzerkrankungen. Jene in Bagdad sind öffentlich zugänglich, die in Erbil ist eine halbprivate Einrichtung. Kontrolluntersuchungen in den öffentlichen Kliniken in Bagdad sind kostenlos, in jener halbprivaten in Erbil müssen Patienten die Hälfte der entstandenen Behandlungskosten tragen, die Kosten dafür betragen US $ 30.
Laut länderkundlichen Informationen des BFA vom März 2019 (Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation an das BVwG v. 25.03.2019, S. 9-11) existiert in der nordirakischen Provinzhauptstadt XXXX eine Klinik für Kinderheilkunde, das Paedriatric Heevi Hospital. Sie stellt ein auf diese Disziplin spezialisiertes Krankenhaus im Nordirak dar, welches u.a. auch eine Abteilung für Kinderchirurgie aufzuweisen hat.
Laut länderkundlichen Informationen von IOM vom Jänner 2020 (Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation an das BVwG v. 09.01.2020) können dort fast alle kardiologischen Untersuchungen durchgeführt werden, wofür Kosten in Höhe von monatlich US $ 50 für die Patienten entstehen.
Im sogen. Herzzentrum (cardic center) in XXXX , einer halb-privaten Einrichtung, können auch alle kardiologischen Operationen durchgeführt werden. Die Kosten für solche Eingriffe variieren je nachdem, ob der Eingriff mittels Katheterisierung oder Thorakotomie (Öffnung des Brustkorbs) erfolgt. Im zweiten Fall können die Kosten für die Patienten bis zu US $ 10.000 betragen.
Laut länderkundlichen Informationen von IOM vom Februar 2020 (Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation an das BVwG v. 18.02.2020) müßten die Eltern des BF4 die Kosten für einen etwaigen kardiologischen Eingriff jedenfalls selbst tragen. Eine Kostentragung durch eine staatliche Gesundheitsvorsorge oder sonstige öffentliche Mittel existiert nicht.
Laut länderkundlichen Informationen von IOM vom Juni 2020 (Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation an das BVwG v. 18.02.2020) betragen die Kosten für einen kardiologisch-chirurgischen Eingriff in der halb-privaten Einrichtung Surgical Specialty Hospital Cardiac Center in Erbil seit dem Jahr 2020 US $ 2.000 bis 2.500 in Form eines Kostenanteils/Selbstbehalts des Patienten, während der übrige Anteil von den Behörden der kurdischen Regionalregierung übernommen wird. In einer Privatklinik in Erbil würden die Kosten für einen solchen Eingriff ca. US $ 10.000 betragen.
1.3. Die Stadt XXXX liegt im Bezirk XXXX in der nordirakischen Provinz XXXX an der Grenze zwischen dieser und der kurdischen Autonomieregion des Iraks. Anfang August 2014 drangen die bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) im Zuge ihres Überfalls auf die Provinz auch auf die Stadt vor, die sie am 04.08.2014 besetzten, ehe es im Rahmen einer bis September 2014 andauernden Gegenoffensive der kurdischen Peshmerga, die als „Schlacht um XXXX “ bekannt wurde, zur Befreiung der Stadt kam. In weiterer Folge blieb die Region umkämpft. Diese Milizen wurden beginnend mit 2015 bis Ende 2017 von einer Allianz aus irakischer Armee und Polizei, staatsnahen schiitischen Milizen und internationalen Militärkräften aus den von ihnen besetzten Provinzen im Zentralirak auf Dauer vertrieben.
1.4. Laut Informationen der UN-Organisation IOM Iraq vom Juli 2019 (Quelle: DTM Round 110) standen weiterhin 1,6 Mio. Binnenvertriebenen im Irak ca. 4,3 Mio. zwischenzeitig in ihre Ursprungsheimat zurückgekehrte gegenüber. In der Provinz XXXX hielten sich noch ca. 326.000 Binnenvertriebene auf, die fast ausschließlich aus der südlichen Nachbarprovinz XXXX dorthin geflüchtet waren.
Die kurdischen autonomen Provinzen des Nordiraks ( XXXX , Erbil, Suleimanyia) sind vom Ausland aus auf dem Luftweg mit internationalen Flügen u.a. nach Erbil erreichbar. Es gibt keine maßgeblichen Schwierigkeiten für Angehörige der kurdischen Volksgruppe, die aus der Region stammen, im Hinblick auf Zugang und Niederlassung ebendort. Sie benötigen u.a. in der Provinz XXXX lediglich einen Nachweis für ihre Identität und Herkunft, jedoch im Unterschied zu Arabern und Turkmenen keine spezielle Aufenthaltserlaubnis (Quelle: EASO, COI Report, Iraq, Internal Mobility, Februar 2019).
Die kurdischen autonomen Provinzen des Nordiraks ( XXXX , Erbil, Suleimanyia) weisen eine insgesamt stabile Sicherheitslage auf, die von den Sicherheitskräften der kurdischen Regionalregierung gewährleistet wird. Für die Provinz XXXX wurden für das Jahr 2018 20 gewaltsame Vorfälle Zivilpersonen betreffend mit 28 Todesopfern registriert, 75% davon fielen Luftangriffen und Bodenoperationen im Rahmen des militärischen Konflikts zwischen der türkischen Armee und in der Provinz aufhältigen Mitgliedern der PKK zum Opfer (Quelle: EASO, COI Report, Iraq, Security Situation, März 2019).
Der Islamische Staat (IS) erweitert seine Netzwerke im irakischen Kurdistan. Es wird vermutet, dass er versucht diese mit seinen wiederauflebenden Unterstützungszonen in den Gouvernements Kirkuk und Diyala zu verbinden. Einheiten der Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] konnten laut eigenen Angaben seit Jänner 2019 unter anderem drei arabische IS-Zellen sprengen - in Sulaymaniyah City, in Chamchamal, zwischen Sulaymaniyah und der Stadt Kirkuk, sowie in Kalar, im Nordosten des Diyala Flußtales. Am 11. April verhafteten die Asayish einen IS-Kämpfer, der für das Schleusen von Kämpfern zwischen Kirkuk Stadt, Hawija und Dibis im Gouvernement Kirkuk verantwortlich war. Die türkische Luftwaffe führte in den Gouvernements XXXX , Erbil und Sulaymaniya Luftangriffe durch und verursachte materielle Schäden, ohne dass jedoch Verluste an Menschenleben gemeldet wurden. Zwischen 14. Februar und 9. April meldeten die türkischen Streitkräfte mindestens zwölf Einsätze sowie zwei Zusammenstöße mit Einheiten der kurdischen Arbeiterpartei. (Quelle: Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA, Irak, Sicherheitsupdate, 2. Quartal 2019)
Laut einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation an das BVwG vom 25.03.2019 besuchen in der „autonomen Region Kurdistan“ 96% aller Kinder zumindest die Grundschule. 98% haben Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen. Der Anteil der in Armut lebenden Kinder beträgt weniger als 6%. Kinder sind in dieser Region weniger von Unterernährung betroffen als im Zentral- und Südirak, wo insgesamt ca. 15% unter Untergewicht, Ausgezehrtheit oder Verkümmerung leiden. Die Kindersterblichkeit in der „autonomen Region Kurdistan“ ist deutlich niedriger als in anderen Teilen des Iraks, die Impfrate für Kinderlähmung und Masern erreicht zwischen 74 und 92%.
In der Kurdischen Region im Irak (KRI) wurden bis zum 13.7.2020 9.695 bestätigte Fälle von COVID-19 verzeichnet. Davon sind 5.324 wieder genesen und 340 Personen verstorben. Es gibt 4.031 aktive Fälle. Insgesamt wurden 162.691 Tests durchgeführt (Gov.KRD 13.7.2020). Die Kurdische Regierung hat zuletzt für den Zeitraum vom 1.6. bis zum 6.6.2020 eine vollständige Ausgangssperre für die gesamte KRI ausgerufen (Gov.KRD 13.7.2020), die jedoch wegen Protesten bereits nach einem Tag wieder aufgehoben wurde (Al Monitor 2.6.2020). Es wurde keine neue Ausgangssperre verordnet. Aktuelle Maßnahmen umfassen ein Reiseverbot zwischen den Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Dohuk und Halabja. Massenversammlungen sind verboten und die meisten öffentlichen Räume bleiben bis auf weiteres geschlossen. Ein Verbot kommerzieller Flüge und die Schließung der Grenzen wurden bis zum 15.7.2020 verlängert (UNHCR 12.7.2020). (Quelle: Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA, Naher Osten/COVID-19/aktuelle Lage, 15.07.2020)
1.5. BF1, BF2 und BF3 verließen ihre engere Heimat angesichts der vormaligen Präsenz der bewaffneten Milizen des IS und einer von ihnen ausgehenden allgemeinen Bedrohung, sind jedoch wie auch der BF4 im Falle einer Rückkehr dorthin aktuell keiner maßgeblichen Gefährdung durch Dritte ausgesetzt.
Sie verfügen bei einer Rückkehr dort auch über eine hinreichende Lebensgrundlage.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in die Verfahrensakten des Bundesamtes und in das Erkenntnis des BVwG im ersten Verfahrensgang, die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 25.11.2019, die Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht beigeschafften länderkundlichen Informationen und durch die amtswegige Einholung von Auskünften der og. Datenbanken.
Auf der Grundlage dieses Beweisverfahrens gelangte das BVwG nach Maßgabe unten dargelegter Erwägungen zu den entscheidungswesentlichen Feststellungen.
2.2. Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführer konnten angesichts ihrer Kenntnis der kurdischen Sprache ihrer Herkunftsregion und ihrer Ortsangaben in Verbindung mit dem Inhalt der von ihnen vor dem BVwG vorgelegten Identitätsnachweise festgestellt werden.
Die Feststellungen zum Lebenswandel und zu den familiären Verhältnissen der Beschwerdeführer im Irak vor der Ausreise und dem aktuellen Aufenthalt und Lebenswandel ihrer Angehörigen resultierten in unstrittiger Weise aus der Zusammenschau der Feststellungen des BVwG im ersten Verfahrensgang und der Aussagen von BF1 und BF2 dazu im Zuge des gg. Verfahrens in der Beschwerdeverhandlung.
Die Feststellungen zur aktuellen Lebenssituation der Beschwerdeführer in Österreich stützen sich ebenso unstrittig auf die Aussagen von BF1 und BF2, die von ihnen in der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Nachweise und die vom BVwG eingeholten Informationen aus den genannten Datenbanken.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand sowie dem Behandlungsbedarf des BF4 stützen sich auf den unstrittigen Inhalt der von seinen Eltern im ersten und zweiten Verfahrensgang vorgelegten sowie vom BVwG selbst beigeschafften ärztlichen Stellungnahmen. In der jüngsten Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 08.07.2020 wurde dazu angegeben, dass neue Befunde nicht verfügbar und solche damit auch nicht beizubringen seien.
Die Feststellungen zur Sicherheitslage in der Herkunftsregion, zur Niederlassungsfreiheit für die Beschwerdeführer und zur sozioökonomischen Lage von Kindern ebendort resultieren unstrittig aus den vom BVwG dazu beigeschafften länderkundlichen Berichten in der Zusammenschau mit den Aussagen von BF1 und BF2 in der mündlichen Verhandlung.
Die in der abschließenden Stellungnahme der Beschwerdeführer erwähnte Reisewarnung des österr. BMeiA für den Irak bzw. die autonome Region Kurdistan war schon angesichts ihres Charakters einer Empfehlung, die sich an österr. Staatsbürger richtet, welche sich mit der Absicht einer Reise dorthin tragen, unerheblich. Auch sofern man einer solchen Warnung zumindest Indizwirkung für eine Bewertung der Lage ebendort zubilligt, waren ihr keine für den gg. Fall maßgeblichen Informationen zu entnehmen, die im Gegensatz zu den vom BVwG herangezogenen länderkundlichen Informationen (siehe oben) gestanden wären. Etwaige militärischen Kampfhandlungen beschränkten sich auf punktuelle Luftangriffe der türkischen Luftwaffe gegen Stellungen der PKK in Gebirgsregionen, die keine maßgeblichen Auswirkungen auf die generelle Sicherheitslage entfalteten, was ebenso auf bloß vereinzelt gebliebene terroristische Anschläge auf dort genannte staatliche Einrichtungen zutrifft.
Die Feststellungen zur medizinischen Versorgungslage in der Herkunftsregion im Hinblick auf die Behandelbarkeit der Erkrankung des BF4 waren einerseits dem Verfahrensakt des BFA und andererseits den vom BVwG über die Staatendokumentation des BFA eingeholten länderkundlichen Informationen von IOM zu entnehmen. Im Rahmen des dazu zuletzt noch gewährten Parteiengehörs wurde von der belangten Behörde keine Stellungnahme abgegeben, die Beschwerdeführer selbst legten keine substantiierten Informationen, die von den vom BVwG eingeholten abweichen würden, vor. Dem Einwand in der abschließenden Stellungnahme der Beschwerdeführer, dass die Frage des Zugangs zu einer allenfalls erforderlichen operativen Behandlung des BF4 nicht mit der notwendigen Sicherheit beantwortet wurde, steht der Inhalt der oben genannten Informationen von IOM entgegen, denen zufolge dieser Zugang grundsätzlich gegeben ist. Etwaige administrative Rahmenbedingungen wie Kapazitäten, Wartezeiten und dgl. können hingegen für die gg. Entscheidung dahingestellt bleiben, zumal etwaige chronische organisatorische Schwierigkeiten, die diesen Zugang verhindern würden, nicht berichtet wurden bzw. solche von den Beschwerdeführern auch nur spekulativ in den Raum gestellt wurden. Die übrigen dort angeführten Hinweise das irakische Gesundheitssystem betreffend gelten eben nur für dessen landesweiten Allgemeinzustand, stehen allerdings den spezifischen Feststellungen zur Verfügbarkeit einer Behandlung des BF4 in seiner Heimatregion nicht entgegen.
Soweit sich in der jüngsten Kurzinformation der Staatendokumentation zur aktuellen Lage iZm COVID-19 vom 15.07.2020 Hinweise darauf fanden, dass die Reisefreiheit zwischen den einzelnen Provinzen Erbil, XXXX und Suleimanyia aufgrund aktueller Maßnahmen der Regionalregierung zur Eindämmung des Infektionsrisikos derzeit nicht gilt und auch die Landesgrenzen derzeit geschlossen sind, war darauf abzustellen, dass es sich hierbei um bloß vorübergehende Einschränkungen der sonst geltenden Reisefreiheit handelt. Zu den rechtlichen Implikationen dieser Informationen wird auf unten verwiesen.
2.3. Zu den Feststellungen unter Pkt. 1.3.:
2.3.1. Dass BF1, BF2 und BF3 ihre engere Heimat angesichts der vormaligen Präsenz der bewaffneten Milizen des IS und einer von ihnen ausgehenden allgemeinen Bedrohung verließen, hat das BVwG schon im ersten Verfahrensgang rechtskräftig festgestellt. Dieses Vorbringen fand im gg. Verfahrensgang auch keine Wiederholung mehr.
2.3.2. Die Feststellung, dass sie im Falle einer Rückkehr dorthin aktuell keiner maßgeblichen Gefährdung durch Dritte ausgesetzt sind, stützt das BVwG auf folgende Erwägungen:
Der BF1 hatte im ersten Verfahrensgang bereits auf einen behaupteten Konflikt seiner Familie mit einem „arabischen Clan“ verwiesen, der seit 2008 angedauert habe. Im ersten Erkenntnis vom 08.05.2018 war das BVwG zum Ergebnis gelangt, dass eine angebliche Verfolgungsgefahr im Zusammenhang mit diesem behaupteten Konflikt nicht glaubhaft sei. Auf diesen Konflikt verwies er auch neuerlich in der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2019, als er nach etwaigen Rückkehrhindernissen befragt wurde. Auf Nachfrage, ob es im Gefolge der Entscheidung des BVwG vom Mai 2018 etwaige konkrete Ereignisse gegeben habe, die auf eine von diesem Clan ausgehende Bedrohung hinweisen würden, nannte er jedoch lediglich bereits viele Jahre zurückliegende Ereignisse. Damit vermochten daher weder er selbst noch seine dazu ebenso befragte Ehegattin, die ihrerseits dazu gar keine Angaben machte, eine aktuelle individuelle Gefährdung durch Dritte darzulegen.
2.3.3. Zur Feststellung, dass sie und ihre Kinder bei einer Rückkehr in die Heimat auch über eine hinreichende Lebensgrundlage verfügen, gelangte das Gericht zum einen angesichts dessen, dass der BF auf die Frage nach Rückkehrhindernissen etwaige Schwierigkeiten im Hinblick auf die erforderliche Lebensgrundlage für seine Familie in keiner Form thematisierte, sondern lediglich auf die erwähnten Probleme mit einem arabischen Clan verwies und sonstige mögliche Probleme ausdrücklich verneinte. Zum anderen war darauf abzustellen, dass der BF, wie schon im Vorerkenntnis festgestellt wurde, angesichts eigener beruflicher Vorerfahrungen und Kenntnisse als selbsterhaltungsfähig anzusehen war, was er nicht zuletzt auch mit seinen aktuellen Erwerbstätigkeiten als Sägewerksarbeiter und Friseur zeigte. Die allgemeine sozioökonomische Lage in seiner Heimatregion wurde von ihm nicht problematisiert. Das BVwG ging seinerseits im Lichte der dazu eingesehenen länderkundlichen Berichte von einer Niederlassungsmöglichkeit für die Beschwerdeführer in der Provinz XXXX aus, in der die Familie auch bereits vor der Ausreise für einen längeren Zeitraum ansässig war. Auch war die allgemeine Lage dort im Hinblick auf die Tatsache, dass der Familie zwei kleine Kinder angehören, nicht als maßgeblich schwierig anzusehen.
III. Rechtliche Beurteilung
Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.
Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z. 7 B-VG wurde der Asylgerichtshof mit 1.1.2014 zum Bundesverwaltungsgericht, die Mitglieder des AsylGH wurden zu Mitgliedern des BVwG.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Mit dem BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) als Rechtsnachfolger des vormaligen Bundesasylamtes eingerichtet. Gemäß § 3 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) obliegt dem BFA u.a. die Vollziehung des BFA-VG und des AsylG 2005 idgF.
Mit Datum 1.1.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 145/2017.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.
Zu A)
1.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen.
1.2. Somit war zu klären, ob im Falle der Rückführung der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).
Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).
Der EGMR geht allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
Jüngst hat der EGMR im Fall PAPOSHVILI vs. Belgium weitere grundsätzliche Ausführungen zu diesem Thema getätigt:
„(175) [...] Das Leid, das sich aus einer natürlich auftretenden Krankheit ergibt, kann von Art. 3 EMRK erfasst sein, wenn es durch eine Behandlung verschlimmert wird oder droht verschlimmert zu werden, die sich aus Haftbedingungen, einer Ausweisung oder anderen Maßnahmen ergibt, für welche die Behörden verantwortlich gemacht werden können. Der GH ist jedoch nicht daran gehindert, eine Rüge eines Bf. unter Art. 3 EMRK zu prüfen, wo die Quelle des Risikos der untersagten Behandlung im Empfangsstaat aus Faktoren stammt, die weder direkt noch indirekt die Verantwortung der Behörden dieses Landes begründen können.
(181) Aus dieser Rekapitulation seiner Rechtsprechung zieht der GH den Schluss, dass die Anwendung von Art. 3 EMRK nur auf Fälle, wo die von einer Ausweisung betroffene Person dem Tod nahe ist – was seit dem Urteil N./GB seine Praxis war –, Fremde vom Nutzen dieser Bestimmung ausgeschlossen hat, die schwer krank sind, deren Zustand aber weniger kritisch ist. Als Konsequenz daraus hat die Rechtsprechung seit N./GB keine detailliertere Orientierung betreffend die in N./GB genannten »sehr außergewöhnlichen Fälle« geboten, die sich von dem in D./GB geprüften Fall unterscheiden.
(183) Die »anderen sehr außergewöhnlichen Fälle« im Sinne des Urteils N./GB, die eine Angelegenheit unter Art. 3 EMRK aufwerfen können, sollten nach Ansicht des GH so verstanden werden, dass sie sich auf die Ausweisung einer schwer kranken Person betreffende Situationen beziehen, in denen stichhaltige Gründe für die Annahme aufgezeigt wurden, dass sie, obwohl sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr ist, mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Empfangsstaat oder des fehlenden Zugangs zu solcher Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Der GH betont, dass diese Situationen einer hohen Schwelle für die Anwendung von Art. 3 EMRK in Fällen entsprechen, welche die Ausweisung von an einer schweren Erkrankung leidenden Fremden betreffen. Gemäß Art. 1 EMRK liegt die primäre Verantwortung für die Umsetzung der garantierten Rechte und Freiheiten bei den nationalen Behörden, die daher vom Standpunkt des Art. 3 EMRK die Ängste der Bf. beurteilen und die Risiken einschätzen müssen, denen diese im Fall der Abschiebung in den Empfangsstaat ausgesetzt wären.
(185) In derartigen Fällen wird die aus Art. 3 EMRK erwachsende Verpflichtung der Behörden, die Integrität der betroffenen Personen zu schützen, folglich in erster Linie durch angemessene Verfahren erfüllt, die eine Durchführung einer solchen Prüfung erlauben.
(186) Im Kontext dieses Verfahrens ist es Sache der Bf., Beweise vorzubringen, die zeigen können, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, sie würden im Fall der Vollstreckung der angefochtenen Maßnahme einem realen Risiko ausgesetzt, einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterworfen zu werden. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass dem präventiven Zweck von Art. 3 EMRK ein gewisser Grad an Spekulation innewohnt und von den betroffenen Personen nicht verlangt werden kann, eindeutige Beweise für ihre Behauptung, einer verbotenen Behandlung unterworfen zu werden, zu erbringen.
(187) Wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staates, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen. Die behauptete Gefahr muss einer genauen Prüfung unterzogen werden, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen. [...]
(188) [...] Worum es hier geht, ist die negative Verpflichtung, Personen nicht der Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung zu unterwerfen. Folglich muss die Auswirkung der Abschiebung auf die betroffene Person beurteilt werden, indem ihr Gesundheitszustand vor der Abschiebung damit verglichen wird, wie er sich nach der Überstellung in den Empfangsstaat entwickeln würde.
(189) Was die zu berücksichtigenden Faktoren betrifft, müssen die Behörden des ausweisenden Staates sich anhand des Einzelfalls vergewissern, ob die im Empfangsstaat generell verfügbare Versorgung in der Praxis für die Behandlung der Krankheit des Bf. ausreichend und angemessen ist, um zu verhindern, dass er einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt wird. Maßstab ist nicht das im ausweisenden Staat herrschende Versorgungsniveau. Es geht nicht darum sich zu vergewissern, ob die im Empfangsstaat gewährte Versorgung jener entspricht, die vom Gesundheitssystem des ausweisenden Staates geboten wird, oder dieser unterlegen ist. Aus Art. 3 EMRK kann auch kein Recht abgeleitet werden, eine bestimmte Behandlung im Empfangsstaat zu erhalten, die für die übrige Bevölkerung nicht verfügbar ist.
(190) Die Behörden müssen auch berücksichtigen, inwieweit die fragliche Person tatsächlich Zugang zu dieser Behandlung und diesen Einrichtungen im Empfangsstaat haben wird. In diesem Zusammenhang stellt der GH fest, dass er in früheren Fällen die Zugänglichkeit von Versorgung bezweifelt und auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, die Kosten von Medikamenten und Behandlung, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzes und die Distanz zu berücksichtigen, die zurückgelegt werden muss, um die erforderliche Behandlung zu erhalten.
(191) Wenn nach Prüfung der relevanten Information ernste Zweifel hinsichtlich der Auswirkung der Abschiebung auf die betroffene Person bestehen [...], muss der ausweisende Staat als Voraussetzung für die Abschiebung individuelle und ausreichende Zusicherungen des Empfangsstaats erhalten, wonach eine angemessene Behandlung verfügbar und für die betroffenen Personen zugänglich sein wird, sodass sie sich nicht in einer Art. 3 EMRK widersprechenden Situation wiederfinden.
(192) Der GH betont, dass in die Ausweisung schwer kranker Personen betreffenden Fällen das Ereignis, das die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auslöst und die Verantwortung des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründet, nicht das Fehlen medizinischer Infrastruktur im Empfangsstaat ist. Es geht auch nicht um eine Verpflichtung des ausweisenden Staates, die Diskrepanzen zwischen seinem Gesundheitssystem und dem Versorgungsniveau im Empfangsstaat zu mildern, indem er allen Fremden ohne Niederlassungsrecht in seinem Hoheitsgebiet kostenlose und unbeschränkte Gesundheitsversorgung gewährt. Die Verantwortung unter der Konvention, um die es in solchen Fällen geht, ist jene des ausweisenden Staates aufgrund einer Handlung – in diesem Fall der Ausweisung –, die dazu führen würde, dass eine Person der Gefahr einer von Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung ausgesetzt wird.
3.3. Konkrete Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind im Lichte der notorischen Informationen zur allgemeinen Sicherheitslage in ihrer Herkunftsregion (vgl. die Feststellungen oben) nicht hervorgekommen.
Auch stichhaltige Hinweise auf eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), kamen nicht hervor.
Zwar vermeinten BF1 und BF2, dass ihr früherer Wohnsitz in XXXX im Zuge der Invasion des IS und der damit einhergehenden Kämpfe und Zerstörungen unbrauchbar geworden sei, jedoch war ihren Einlassungen auch zu entnehmen, dass sie sich vom Sommer 2014 bis zu ihrer Ausreise im Sommer 2015 bei Verwandten in der kurdischen Autonomieregion aufgehalten hatten, der BF1 darüber hinaus auch schon zwischen 2008 und 2012, und brachten sie diesbezüglich nicht vor, dass ihnen ein neuerlicher Aufenthalt dort nicht mehr möglich wäre. Zudem würden sie als Kurden der Mehrheitsethnie dieser Region angehören und wäre auch dahingehend kein Hinweis ersichtlich geworden, dass sie sich in die dortige Gesellschaft nicht wieder eingliedern könnten. Der BF1 hat insbesondere noch in der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2019 etwaige Versorgungsschwierigkeiten nach einer Rückkehr ausdrücklich in Abrede gestellt (vgl. S. 10 der Niederschrift).
Alleine in der Person des nunmehr ca. dreieinhalbjährigen BF4 waren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er im Hinblick auf die bei ihm nach der Geburt diagnostizierte und seither regelmäßig fachärztlich kontrollierte Herzerkrankung und das nicht auszuschließende, wenn auch derzeit nicht indizierte Erfordernis einer operativen Behebung dieses Problems möglicherweise bei einer Rückführung in seine Herkunftsregion in eine Situation geraten könnte, die einer Verletzung des Art. 3 EMRK in der vom EGMR im Fall PAPOSHVILI dargelegten Weise gleichkäme.
Den vom BVwG dazu eingeholten länderkundlichen Informationen war diesbezüglich jedoch zu entnehmen, dass die für ihn allenfalls erforderliche medizinische, insbesondere operative Behandlung in seiner Herkunftsregion grundsätzlich verfügbar ist. Was die Leistbarkeit eines operativen Eingriffs angeht war im Einzelnen festzustellen, dass es in der Provinzhauptstadt Erbil eine dort situierte, auf kardiologische Opera