TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/27 L516 2137321-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 2137321-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH – ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.09.2016, Zahl 1047456009-140256005, nach mündlicher Verhandlung am 09.06.2020, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs 1 und § 8 Abs 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und es wird festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß § 55 Abs 1 AsylG wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

III. Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos aufgehoben.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 05.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 26.09.2016 (I.) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG sowie (II.) des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 09.06.2020 eine mündliche Verhandlung durch.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; SN=schriftliche Stellungnahme; EG=Eingabe; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA; VA1=Verwaltungsakt des BFA zum ersten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Rajput, sowie der moslemischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest. (NS 06.12.2014, S 1; NS 07.07.2016, S 4; VS 09.06.2020, S)

Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX im Bezirk XXXX in der Provinz Punjab und wuchs dort auch auf. Er hat in Pakistan bis zu seinem 16. Lebensjahr die Schule, danach ein zweijähriges College besucht und studierte dann für vier oder fünf Jahre XXXX in XXXX , bevor er wieder nach XXXX zurückkehrte. Er erlangte ein XXXX . Von Juni 2012 bis Ende Dezember 2012 arbeitete er als XXXX bei einem Unternehmen in XXXX . (NS 07.07.2016, S 4; Schulbestätigungen AS 105ff; Bestätigung pak. Arbeitgeber AS 83; Bestätigung XXXX AS 85; Bestätigungen XXXX AS 93ff)

Die Eltern und die beiden Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Heimatort des Beschwerdeführers. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt in XXXX , ein weiterer Bruder in XXXX . Mit den Brüdern hat der Beschwerdeführer ab und zu Kontakt, wenn diese online sind, mit den Eltern spricht der Beschwerdeführer wenig. (NS 06.12.2014, S 3; VS 09.06.2020, S 7)

Der Beschwerdeführer verließ sein Heimatdorf im August 2014 und reiste über den Iran und die Türkei weiter nach Österreich. (NS 06.12.2014, S 3/4)

1.2 Zu seiner Lebenssituation in Österreich

Im Dezember 2014 reiste der Beschwerdeführer nach Österreich ein, wo er sich seither ununterbrochen aufhält. Es handelt sich um gegenständlich um seinen ersten und einzigen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer hat von Beginn seines Verfahrens an sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinen Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer nicht anzulasten ist. Er hat während des laufenden Asylverfahrens in Österreich ein Wirtschaftsstudium begonnen und schreibt derzeit an der XXXX für den bevorstehenden ersten Studienabschluss seine Bachelorarbeit über XXXX . Nach dem Abschluss möchte er XXXX . Der Beschwerdeführer absolvierte kürzlich ein XXXX und verdient damit EUR 500,00 brutto. In seiner Freizeit gibt der Beschwerdeführer Nachhilfe für Studenten XXXX Der Beschwerdeführer ist nach wie vor auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde in Österreich angewiesen. Er hat jedoch gezeigt, dass er eigeninitiativ, arbeitswillig und arbeitsfähig ist. (NS 06.12.2014, S 4; ZMR; VS 09.06.2020, S 6, 7; VS 09.06.2020, VS Beilage)

Der Beschwerdeführer hat im Juni 2016 das ÖSD-Deutschzertifikat auf dem Sprachniveau A2 mit sehr gutem Erfolg bestanden. Seine Sprachkenntnisse haben sich seither weiter verbessert. In der mündlichen Verhandlung konnte der Beschwerdeführer auf Deutsch schnell, flüssig und spontan in freier Erzählung auf die auf Deutsch gestellten Fragen antworten. Er konnte auch komplizierte Abläufe auf Deutsch sehr verständlich und nachvollziehbar erklären. Er verstand auch darüber hinaus im gesamten Verlauf der mündlichen Verhandlung die deutschsprachige Konversation, wollte immer wieder auch spontan auf Deutsch antworten, wurde jedoch aus Gründen der Vorsicht vom Bundesverwaltungsgericht angehalten, die Übersetzung in seine Sprache abzuwarten und auch in seiner Muttersprache zu antworten. (VS 09.06.2020, S 6)

Er hat mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt, viele Freunde, seine Bekannte und sein soziales Netz in Österreich. Gesundheitlich geht es ihm gut, er hat aber Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich, gegen die er bei Bedarf Schmerzmittel nimmt.

Er ist strafrechtlich unbescholten. (Strafregister der Republik Österreich)

1.3 Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz zusammengefasst im Wesentlichen vor:

Bei der Einvernahme vor dem BFA am 07.07.2016 führte er – zusammengefasst – aus, dass er nach dem College an der XXXX Der Beschwerdeführer sei im August 2014 auf der Farm, auf der er alleine gelegt habe, angegriffen worden. Er habe nichts gesehen, nur mehrere Schüsse gesehen und wisse nicht, wer ihn angegriffen habe. Dies sei der einzige Angriff gewesen. Er habe Pakistan am 14.08.2014 verlassen. Bei einer Rückkehr würde ihn selbst seine Familie umbringen und auch seine Freunde; auch die Molvis seien gegen ihn. Der Grund jener Anzeige gewesen, dass er seine Meinung geäußert habe, dass alle Pakistani friedvoll und lieb miteinander leben sollten, egal welche Religion. Auch für die Ahmadis gebe es Probleme. Er sei angezeigt worden, weil er die Ahmadis unterstützt habe. Seine Brüder würden zu ihm halten. Aber sein Verhalten störe seine Eltern. (NS 07.07.2016, S 4, 5-7, 9).

In der mündlichen Verhandlung am 09.06.2020 dazu aufgefordert, alle seine Befürchtungen bei einer Rückkehr nach Pakistan zu erzählen, führte der Beschwerdeführer – zusammengefasst – aus, er sei an der Universität XXXX Es habe einen konkreten Vorfall gegen ihn gegeben; er sei die meiste Zeit im Viehstall gewesen und auf einmal seien einige Leute der Lashkar-e-Janghvi gekommen, die geschossen hätten. Er habe dort ein Zimmer gehabt und im Nebenzimmer sei sein Vater gewesen. Seine Familie sei zu Hause gewesen. Dieser Vorfall sei 10 oder 12 Tage vor seiner Ausreise gewesen. (VS 09.06.2020, S 7-13)

1.4 Zur Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Antragsgründe und Rückkehrbefürchtung

Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren dazu, dass er wegen XXXX und er dadurch auch seinen von ihm vorgesehenen Karrierweg nicht habe weiterverfolgen können, ist glaubhaft. Nicht glaubhaft ist hingegen dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr zu seinen Familienangehörigen zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich individuell konkret einer unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.5. Zur Lage in Pakistan

Politische Lage

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa. Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden. Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete von GilgitBaltistan und Azad Jammu & Kashmir, dem auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie (“Line of Control”) zwischen Indien und Pakistan liegenden Teil Kaschmirs. Beide Gebiete werden offiziell nicht zum pakistanischen Staatsgebiet gerechnet und sind in Teilen autonom. Das Hauptstadtterritorium Islamabad (“Islamabad Capital Territory”) bildet eine eigene Verwaltungseinheit (AA 1.2.2019a).

Die gesetzgebende Gewalt in Pakistan liegt beim Parlament (Nationalversammlung und Senat). Daneben werden in den Provinzen Pakistans Provinzversammlungen gewählt. Die Nationalversammlung umfasst 342 Abgeordnete, von denen 272 vom Volk direkt für fünf Jahre gewählt werden. Es gilt das Mehrheitswahlrecht. 60 Sitze sind für Frauen, 10 weitere für Vertreter religiöser Minderheiten reserviert (AA 1.2.2019a). Die reservierten Sitze werden von den Parteien gemäß ihrem Stimmenanteil nach Provinzen besetzt, wobei die Parteien eigene Kandidatenlisten für diese Sitze erstellen. (Dawn 2.7.2018).

Bei der Wahl zur Nationalversammlung (Unterhaus) am 25. Juli 2018 gewann erstmals die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI: Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) unter Führung Imran Khans die Mehrheit (AA 1.2.2019a). Es war dies der zweite verfassungsmäßig erfolgte Machtwechsel des Landes in Folge (HRW 17.1.2019). Die PTI konnte durch eine Koalition mit fünf kleineren Parteien sowie der Unterstützung von neun unabhängigen Abgeordneten eine Mehrheit in der Nationalversammlung herstellen (ET 3.8.2018). Imran Khan ist seit Mitte August 2018 Premierminister Pakistans (AA 1.2.2019).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von Parlament und Provinzversammlungen gewählt. Am 9. September 2018 löste Arif Alvi von der Regierungspartei PTI den seit 2013 amtierenden Präsidenten Mamnoon Hussain (PML-N) Staatspräsident regulär ab (AA 1.2.2019a).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Sicherheitslage allgemein

Die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus bleibt zentrales Problem für die innere Sicherheit des Landes (AA 1.2.2019a; vgl. USDOS 19.9.2018). Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2009, zurückgegangen (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018, USDOS 19.9.2018). Konflikte mit dem Nachbarland Indien werden gelegentlich gewaltsam ausgetragen (EASO 10.2018 S 16).

Die Taliban und andere militante Gruppen verüben Anschläge insbesondere in Belutschistan und in Khyber-Pakhtunkhwa (AA 21.8.2018), aber auch in Großstädten wie Karatschi (AA 1.2.2019a). Über 90 % der terroristischen Anschläge sowie Todesopfer entfielen 2018 auf die zwei Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (PIPS 7.1.2019). Die Anschläge zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten, sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie die Sufis (AA 1.2.2019a).

Die Operationen der Rangers [siehe dazu Abschnitt 5] in Karatschi (ab 2013), Militäroperationen in Nord-Wasiristan und der Khyber Agency [Stammesbezirke der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Anm.], sowie landesweite Anti-Terror-Operationen als Teil des National Action Plan (NAP) trugen dazu bei, den rückläufigen Trend bei der Zahl der Vorfälle und der Opfer auch 2018 aufrecht zu halten (PIPS 7.1.2019 S 20; vgl. EASO 10.2018 S 18). In den ehemaligen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas – FATA) konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden (AA 21.8.2018), die Militäraktionen gelten als abgeschlossen (Dawn 29.5.2018). Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat (AA 21.8.2018).

Die verschiedenen militanten, nationalistisch-aufständischen und gewalttätigen religiöskonfessionellen Gruppierungen führten 2018 landesweit 262 terroristische Angriffe durch. Dabei kamen 595 Menschen ums Leben und weitere 1.030 wurden verletzt. Unter den Todesopfern waren 371 Zivilisten, 173 Angehörige der Sicherheitskräfte und 51 Aufständische. 136 (52 %) Angriffe zielten auf staatliche Sicherheitskräfte, jedoch die höchste Zahl an Opfern (218 Tote und 394 Verletzte) gab es bei insgesamt 24 Terrorangriffen auf politische Persönlichkeiten. Zivilisten waren das Ziel von 47 (18 %) Angriffen, acht waren Angriffe auf regierungsfreundliche Stammesälteste bzw. Mitglieder der Friedenskommittees und sieben hatten Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft zum Ziel (PIPS 7.1.2019 S 17f). Im Vergleich zu 2017 gab es im Jahr 2018 29 Prozent weniger terroristische Angriffe, bei denen um 27 Prozent weniger Todesopfer und um 40 Prozent weniger Verletzte zu beklagen waren (PIPS 7.1.2019).

Insgesamt gab es im Jahr 2018 in Pakistan, inklusive der oben genannten terroristischen Anschläge, 497 Vorfälle von für die Sicherheitslage relevanter Gewalt (2017: 713; -30 %), darunter 31 operative Schläge der Sicherheitskräfte (2017: 75), 22 Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen (2017: 68), 131 Auseinandersetzungen an den Grenzen mit Indien, Afghanistan und Iran (2017: 171) und 22 Vorfälle von ethnischer oder politischer Gewalt (2017: vier) (PIPS 7.1.2019 S 19f; Zahlen für 2017: PIPS 7.1.2018 S 20). Die Zahl der bei diesen Vorfällen getöteten Personen sank um 46 % auf 869 von 1.611 im Jahr 2017, die Zahl der verletzten Personen sank im selben Zeitraum um 31 % von 2.212 auf 1.516 (PIPS 7.1.2019 S 20).

Nach dem Angriff auf die Militärschule in Peschawar im Dezember 2014 wurde der National Action Plan (NAP) gegen Terrorismus in Kraft gesetzt. Die 20 Punkte des Plans umfassen Maßnahmen sowohl gegen Terrorismus als auch gegen Extremismus. Gemäß Einschätzung von PIPS wurden in den vier Jahren, die der Plan nun in Kraft ist, zufriedenstellende Fortschritte im Bereich der Terrorismusbekämpfung erzielt. Die Fortschritte im Bereich der Extremismusbekämpfung werden als nicht zufriedenstellend angesehen (PIPS 7.1.2019 S 89ff).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Punjab und Islamabad

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, ist verwaltungstechnisch nicht Teil der Provinz Punjab, sondern ein Territorium unter Bundesverwaltung (ICTA o.D.). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Die Sicherheitslage in Islamabad ist besser als in anderen Regionen (EASO 10.2018 S 93). Die Sicherheitslage im Punjab gilt als gut (SAV 29.6.2018). Mehrere militante Gruppierungen, die in der Lage sind, Anschläge auszuüben, sind im Punjab aktiv (EASO 10.2018 S 63-64; vgl. SAV 29.6.2018). In großen Städten wie Lahore und Islamabad-Rawalpindi gibt es gelegentlich Anschläge mit einer hohen Zahl von Opfern, durchgeführt von Gruppen wie den Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP), Al Qaeda oder deren Verbündeten (ACLED 7.2.2017); beispielsweise wurden bei einem Bombenanschlag durch die TTP-Splittergruppe Hizbul-Ahrar auf Polizeieinheiten vor einem Sufi-Schrein in Lahore am 8.5.2019 zehn Personen getötet. (Guardian 8.5.2019; vgl. Reuters 8.5.2019). Der Südpunjab gilt als die Region, in der die militanten Netzwerke und Extremisten am stärksten präsent sind (EASO 10.2018 S 63-64).

Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen und für den Punjab zwei terroristische Angriffe mit zwei Toten (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019). Im Jahr 2018 wurde von PIPS im Hauptstadtterritorium kein terroristischer Angriff gemeldet. Im Punjab gab es vier terroristische Anschläge mit 20 Todesopfern. Zwei davon waren Selbstmordsprengangriffe durch die pakistanischen Taliban (PIPS 7.1.2019 S 49). Im Jahr 2017 kamen im Punjab bei 14 Anschlägen 61 Personen ums Leben, davon fanden sechs Vorfälle mit 54 Toten in Lahore statt. Das Hauptstadtterritorium verzeichnete drei Anschläge mit zwei Todesopfern (PIPS 7.1.2018).

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Justiz steht weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 21.8.2018). Gerichte sind überlastet, die Judikative ist nicht in der Lage, Menschenrechte besser zu schützen (AA 1.2.2019). Laut NGOs und Rechtsexperten ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen, wie der Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen beeinträchtigt (USDOS 13.3.2019). Die im Rahmen des nationalen Anti-Terror-Aktionsplans vom 24.12.2014 vorgesehene grundlegende Reform des Systems der Strafjustiz kommt bislang nicht voran (AA 21.8.2018).

Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben korrupt, ineffizient und anfällig für den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings von den Medien und der Öffentlichkeit als glaubwürdig eingestuft (USDOS 13.3.2019). Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt, zusammen mit anderen Problemen, den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 13.3.2019).

Gerichte versagen oft dabei, die Rechte religiöser Minderheiten zu schützen. Gesetze gegen Blasphemie werden diskriminierend gegen Schiiten, Christen, Ahmadis und andere religiöse Minderheiten eingesetzt. Untere Gerichte verlangen oft keine ausreichenden Beweise in Blasphemie-Fällen und einige Angeklagte oder Verurteilte verbringen Jahre im Gefängnis, bevor ein höheres Gericht ihre Freilassung anordnet oder ihren Schuldspruch aufhebt (USDOS 13.3.2019). Für mehr Informationen zu Blasphemiegesetzen siehe Abschnitt 16.5

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte ist in der Verfassung verankert: Grundrechte, Schutz der körperlichen Unversehrtheit und Selbstbestimmung, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, des persönlichen Ansehens sowie das Recht auf Freiheit und Eigentum, Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz; Verbot willkürlicher Verhaftungen und Tötungen ohne gesetzliche Grundlage (die Todesstrafe ist in Pakistan nach wie vor nicht abgeschafft) (AA 21.8.2018).

Allerdings weichen der Anspruch der Verfassung und die gesellschaftliche Realität voneinander ab.

Die nachhaltige Entwicklung einer liberalen Demokratie mit effektivem Rechtsstaat und Schutz der Menschenrechte wird weiterhin behindert durch Extremismus/Islamismus, Korruption, die starke Stellung des Militärs, den Einfluss von Feudal/Stammes-Strukturen in Politik und Gesellschaft, sowie ein in Pakistan oft geleugnetes, aber weiterhin wirksames, durch religiöse Intoleranz angereichertes Kastenwesen. Korruption ist weit verbreitet. Die pakistanischen Gerichte sind überlastet. Die Judikative ist nicht in der Lage, Menschenrechte besser zu schützen (AA 5.3.2019). Die Menschenrechtslage in Pakistan bleibt kritisch. Grundsätzlich bekennt sich die pakistanische Regierung zu den Menschenrechten. In vielen Fällen fehlt ihr jedoch der politische Wille, Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen, sie aufzuklären und Rechtsbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Die Schwäche der staatlichen Institutionen, nicht zuletzt im Bereich der Justiz, führt in vielen Fällen dazu, dass dem Recht keine Geltung verschafft wird. Bei der Bekämpfung von Terrorismus und Militanz werden Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen. Führenden Politikern fehlt vielfach das Grundverständnis für die Relevanz menschenrechtlicher und anderer völkerrechtlicher Normen, zu deren Einhaltung sich Pakistan verpflichtet hat (AA 21.8.2018).

Religionsfreiheit

Laut Volkszählung 2017 sind 96,28 % der ca. 207 Millionen Einwohner Pakistans muslimisch, 1,59 % Christen, 1,6 % Hindus, 0,22 % Ahmadi, 0,25 % gelistete Kasten („scheduled castes“) und 0,07 % gehören einer anderen Religion an (PBS 2017b). CIA World Factbook gibt an, dass von den Muslimen ca. 85-90 % Sunniten und 10-15 % Schiiten sind (CIA 5.2.2019); USDOS geht anhand der Volkszählung 1998 davon aus, dass 75 % der muslimischen Bevölkerung offiziell als Sunniten und 25 % als Schiiten geführt werden. Weitere Religionsgemeinschaften sind Zoroastrier, Bahai, Sikh, Buddhisten, und kleinere Gruppen wie Kalasha, Kihal und Jainisten. Minderheitenvertreter schätzen die Anhängerzahl der religiösen Minderheiten auf 6-10 Millionen Menschen (USDOS 29.5.2018).

Artikel 227 der Verfassung besagt, dass alle Gesetze mit den Regeln des Islam konform sein müssen, wobei der Artikel auch Schutz der Rechte von Nicht-Muslimen vorsieht (Pakistan Constitution 1973/2016; vgl. USDOS 29.5.2018). Die Verfassung verbietet Diskriminierung in religiösen Bereichen (USDOS 29.5.2018). Am 28.11.2018 wurde Pakistan vom USAmerikanischen Außenministerium in Bezug auf Religionsfreiheit als besonders besorgniserregendes Land („Country of Particular Concern under the International Religious Freedom Act of 1998“) eingestuft, da systematische, ständige und schwerwiegende Verletzungen der Religionsfreiheit von staatlicher Seite durchgeführt oder toleriert werden (USDOS 11.12.2018).

Die Lage der religiösen Minderheiten - vor allem Christen und Hindus sowie der Ahmadis, die vom pakistanischen Staat nicht als Muslime anerkannt werden -, ist weiterhin schwierig. Viele sind Zwangsarbeit ausgesetzt und leben in Schuldknechtschaft. Eine Bedrohung geht von militanten Organisationen vor allem gegen Schiiten, Ahmadis und Christen, aber auch gegen gemäßigte Sunniten und Muslime, die nicht einer konservativen Islam-Auslegung folgen, wie die Sufis, aus (AA 1.2.2019). Das Antreten von extremistischen religiösen Parteien im Wahlkampf 2018 führte zu vermehrten Bedrohungen und verhetzender Sprache gegenüber religiösen Minderheiten (USCIRF 4.2019). [Anmerkung: Für eine detaillierte Lagebeschreibung der unterschiedlichen religiösen Gruppen siehe die Abschnitte 16.1, 16.2, 16.3, 16.4]

Laut PIPS wurden im Jahr 2018 bei insgesamt 16 religiös oder konfessionell motivierten Terroranschlägen 59 Menschen getötet (PIPS 1.2019 S 53, 59); im Jahr 2017 gab es 26 religiös oder konfessionell motivierte Terroranschläge mit insgesamt 87 Toten (PIPS 7.1.2018 S 60, 68).

Die umstrittene Blasphemie-Gesetzgebung sieht für Gotteslästerung die Todesstrafe vor, die allerdings im Zusammenhang mit diesem Delikt noch nie vollstreckt wurde (AA 21.8.2018). Die Blasphemiegesetze werden diskriminierend gegen Christen, Ahmadis, Schiiten und andere Mitglieder religiöser Minderheiten angewendet (USDOS 13.3.2019) und gemäß Interessenvertretungen sind Mitglieder religiöser Minderheiten überproportional von der Anwendung der Blasphemiegesetze betroffen (USDOS 29.5.2018). [Anmerkung: Für mehr Informationen zur Blasphemiegesetzgebung siehe Abschnitt 16.5]

Christen

Laut Ergebnis der pakistanischen Volkszählung 2017 sind 1,59 % der ca. 207 Millionen Einwohner Christen [Anm.: ca. 3,3 Millionen]. Der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung ist in Punjab (2,31 %) und in Islamabad (4,07 %) am höchsten (PBS 2017b). Etwa 60 % von ihnen sind Katholiken und 40 % gehören protestantische Konfessionen an (AA 21.8.2018). Etwa 90 % der Christen leben im Punjab, davon ca. zwei Millionen im Raum Lahore-Faisalabad und eine halbe Million im übrigen Punjab. Große christliche Gemeinden gibt es u.A. auch in Karatschi (UKHO 9.2018).

Es gibt keine speziellen Gesetze, die Christen diskriminieren (UKHO 9.2018). Im Unterschied zu den Ahmadis sind Christen in der Regel frei in der öffentlichen Ausübung ihres Glaubens, insoweit aber verwundbarer, als sie fast ausschließlich der wirtschaftlichen Unterschicht angehören. Es gibt so gut wie keine christliche Mittelschicht, dafür eine breite Unterschicht, die sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlägt. Viele Christen und Angehörige anderer Minderheiten leben in ausbeuterischen und schuldknechtschaftlichen Arbeitsverhältnissen. Auf dem Lande befindet sich die Mehrzahl der Christen als einfache Pächter in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Großgrundbesitzern; kleine Landbesitzer leben häufig in rein oder überwiegend christlichen Siedlungen. Während die Mehrzahl der pakistanischen Christen aus der Armut nicht herauskommt, versucht die kleine christliche Oberschicht vielfach, das Land zu verlassen (AA 21.8.2018).

Das Verhältnis zwischen der muslimischen Mehrheit und der christlichen Minderheit ist nicht konfliktfrei. Diskriminierung im wirtschaftlichen Bereich, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt ist verbreitet (AA 21.8.2018). Christen aus unteren sozioökonomischen Schichten sind größerer Diskriminierung ausgesetzt als jene aus höheren (UKHO 9.2018).

Auch infolge zunehmender radikalislamischer Strömungen besteht ein wachsender Druck auf christliche Gemeinden. Christen werden immer wieder Opfer radikalislamischer Gewalt (AA 21.8.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Jahr 2018 kam es insgesamt zu zwei terroristischen Anschlägen auf Christen, bei denen sechs Menschen ums Leben kamen. Beide Anschläge fanden im April in Quetta statt und wurden vom Islamischen Staat begangen (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018).

Die Polizei versagt oft darin, Mitglieder der religiösen Minderheiten, u.a. Christen, vor Angriffen zu schützen aber es gibt auch Verbesserungen in der Professionalität der Polizei und Beispiele, dass lokale Behörden Minderheitenangehörige auch unter großem persönlichen Risiko vor Diskriminierung und Gewalt schützen konnten (USDOS 13.3.2019). Zu speziellen Anlässen wie Versammlungen und Prozessionen werden seit 2013 von der Polizei präventive Schutzmaßnahmen ergriffen, was das Risiko von Gewalt zwar nicht eliminiert, aber reduziert hat. Die Polizei schützt auch christliche Enklaven in den Großstädten. Insgesamt erscheint der Staat sowohl willig als auch fähig, Christen effektiv zu schützen (UKHO 9.2018).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet die Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung (USDOS 13.3.2019). Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 1.2019, HRCP 3.2019). Es gibt einzelne rechtliche Einschränkungen, Wohnort, Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu wechseln (FH 1.2019)

Reisebewegungen von bestimmten religiösen und Gender-Minderheiten bleiben gefährlich (HRCP 3.2019). Seit 2009 haben pakistanische Bürger das Recht, sich in Gilgit Baltistan anzusiedeln, jedoch gibt es weiterhin Einschränkungen für eine Ansiedlung in Azad-Jammu und Kaschmir (FH 1.2018). Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gibt es für Bewohner der ehemaligen FATA durch Ausgangssperren, Umzäunungen und eine starke Zunahme an Kontrollpunkten (ICG 20.8.2018).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Grundversorgung

Pakistans Wirtschaft hat wegen einer günstigen geographischen Lage, Ressourcenreichtum, niedrigen Lohnkosten, einer jungen Bevölkerung und einer wachsenden Mittelschicht Wachstumspotenzial. Dieses Potenzial ist jedoch aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, periodisch wiederkehrender makroökonomischer sowie politischer Instabilität und schwacher institutioneller Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Als größte Wachstumshemmnisse gelten Korruption, ineffiziente Bürokratie, ein unsicheres regulatorisches Umfeld, eine trotz Verbesserungen in den letzten Jahren relativ teure bzw. unzureichende Energieversorgung und eine – trotz erheblicher Verbesserung seit 2014 – teils fragile Sicherheitslage (AA 5.3.2019).

Die pakistanische Wirtschaft wächst bereits seit Jahren mit mehr als vier Prozent. Für 2018 gibt der Internationale Währungsfonds (IWF) sogar ein Plus von 5,6 Prozent an. Das Staatsbudget hat sich stabilisiert und die Börse in Karatschi hat in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebt. Erreicht wurde dies durch einschneidende Reformen, teilweise unterstützt durch den IWF. In der Vergangenheit konnte Pakistan über die Jahrzehnte hinweg jedoch weder ein solides Wachstum halten noch die Wirtschaft entsprechend diversifizieren. Dies kombiniert mit anderen sozioökonomischen und politischen Faktoren führte dazu, dass immer noch etwa ein Drittel der pakistanischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt (GIZ 2.2019a). Die Arbeitslosigkeit in Pakistan liegt Stand 2017 offiziell etwa bei 6 % (CIA 5.2.2019). CIA hält fest, dass die offiziellen Arbeitslosenzahlen die Situation nicht vollständig beschreiben können, da ein großer Teil der Wirtschaft informell und die Unterbeschäftigung hoch ist (CIA 5.2.2019a; vgl. GIZ 2.2019). Kritisch ist vor allem die Situation von jungen erwerbslosen/arbeitslosen Männern zwischen 15 und 30 Jahren. Als Folge dieser hohen Arbeitslosigkeit gepaart mit einer Verknappung natürlicher Ressourcen, vor allem auf dem Land, kommt es zu einer verstärkten Arbeitsmigration nicht nur in die großen Städte, sondern traditionell auch in die Golfstaaten.

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Sozialbeihilfen

Die Edhi Foundation ist die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edih o.D.). Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Distrikten der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung ist in weiten Landesteilen unzureichend und entspricht medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch meist nicht europäischem Standard. Die Versorgung mit zuverlässigen Medikamenten und eine ununterbrochene Kühlkette sind nicht überall gesichert (AA 13.3.2019).

In modernen Krankenhäusern in den Großstädten konnte – unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit – eine Behandlungsmöglichkeit für die am weitesten verbreiteten Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z. B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden und sind für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich (AA 21.8.2018). In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen (AA 21.8.2018).

Trotz Verbesserungen in den letzten Jahren (HRCP 3.2019) führt der Großteil der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen keine zufriedenstellende Behandlung durch. Die Menschen tendieren dazu, private Einrichtungen aufzusuchen (Kurji et al 2016; vgl. HRCP 3.2019). Diese sind jedoch für die ärmere Bevölkerung unleistbar (Kurji et al 2016). Das staatliche Wohlfahrts-Programm Bait-ul-Mal vergibt Unterstützungsleistungen und fördert die Beschaffung von Heilbehelfen (PBM o.D.).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Dokumente

Pakistan verfügt über eines der weltweit umfangreichsten Bürger-Registrierungssysteme. Die zuständige Behörde ist die National Database & Registration Authority (NADRA) (PI 1.2019). NADRA ist für die Ausstellung unterschiedlicher Ausweisdokumente zuständig (NADRA o.D.). Über 96 % der Bürgerinnen und Bürger Pakistans verfügen über biometrische Personalausweise (PI 1.2019). Die National Identity Card (NIC) wird für Staatsbürger über 18 Jahre ausgestellt und ist mit einer einzigartigen 13-stelligen Personennummer versehen (NADRA o.D.). Die 2012 eingeführte Smart National Identity Cart (SNIC) hat auf einem Chip zahlreiche biometrische Merkmale gespeichert und soll bis 2020 die älteren Versionen der NIC vollständig ersetzen (PI 1.2019). Eine SNIC wird benötigt, um beispielsweise Führerschein oder Reisepass zu beantragen, ein Bankkonto zu eröffnen und eine SIM-Karte oder Breitbandinternet zu erhalten (PI 1.2019; vgl. NADRA o.D.).

Weitere durch NADRA ausgestellte Dokumente sind die Pakistan Origin Card (POC) für ausländische Staatsbürger, die früher pakistanische Staatsangehörige waren bzw. deren Eltern oder Großeltern pakistanische Staatsbürger sind oder waren; National Identity Card for Overseas Pakistanis (NICOP) für Pakistani im Ausland, Emigranten oder Personen mit Doppelstaatsbürgerschaft; Child Registration Certificates (CRC) für alle Personen unter 18 Jahren (NADRA o.D.).

Dokumentenfälschungen sind in Pakistan ein weit verbreitetes Phänomen, v.a. von manuell angefertigten Dokumenten (ÖB 10.2018). Angesichts weit verbreiteter Korruption und des unzureichenden Zustands des Zivilstandswesens ist es einfach, fiktive oder verfälschte Standesfälle (Geburt, Tod, Eheschließung) in ein echtes Personenstandsregister eintragen zu lassen und auf der Basis dieser Eintragung formal echte Urkunden ausgestellt zu bekommen. Merkmale auf modernen Personenstandsurkunden und Reisepässen zur Erhöhung der Fälschungssicherheit können bereits bei der Dateneingabe durch korruptionsanfällige Verwaltungsbeamte mühelos unterlaufen werden (AA 21.8.2018; vgl. ÖB 10.2018).

Weit verbreitet sind außerdem gefälschte akademische Diplome, Bankunterlagen, Übereinkünfte, Referenzen und Eigentumsnachweise (IRB 14.1.2015; vgl. ÖB 10.2018). Es ist problemlos möglich, ein (Schein-) Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z.B. „First Information Report“ oder Haftverschonungsbeschluss) formal echt sind. Auch ist es möglich, religiöse Fatwen gegen sich selbst fälschen oder erstellen zu lassen bzw. Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder dank Beziehungen veröffentlichen zu lassen. Die Ausführungen und Erklärungen zu einer geltend gemachten Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen halten einer Nachforschung vor Ort häufig nicht stand (AA 21.8.2018).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Zur aktuell vorherrschenden Pandemie aufgrund des Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

(Beweisquelle: www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; www.oesterreich.gv.at/)

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan (1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Zur Bescheinigung seiner Identität legte der Beschwerdeführer ein Birth Registration Certificate (AS 77) und ein Family Registration Certificate (AS 79) vor. Da die dort jeweils angeführten Geburtsdaten des Beschwerdeführers nicht übereinstimmen, konnte die Identität des Beschwerdeführers letztlich nicht eindeutig festgestellt werden.

Seine Ausführungen zu seiner Schulbildung, seinem Collegebesuch, seinem Studium und seinem Abschluss, seinem Praktikum, zu seinem Aufenthalt in seinem Heimatdorf, in XXXX , zu seinen Familienangehörigen in Pakistan, seinen Brüdern und seiner Ausreise und Reisebewegung waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte. Die Ausbildungen wurden zudem mit entsprechenden Dokumenten der jeweiligen Bildungseinrichtungen bestätigt.

2.2 Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (1.2)

Seine Angaben zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich, zu seiner aktuellen Lebenssituation, zu seinem Studium, zu seinem Praktikum und zu seinen sozialen Kontakten erwiesen sich als widerspruchsfrei, sie wurden durch die von ihm vorgelegten Bescheinigungen zum Nachweis seiner bereits gesetzten Integrationsschritte (Bestätigungen XXXX , Bestätigungen XXXX , Deutschkursbestätigungen, Unterstützungsschreiben) belegt und stehen auch im Einklang mit den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus den behördlichen Datenregistern. Der Beschwerdeführer konnte sich bereits sehr gut in deutscher Sprache verständigen, wie sich in der Verhandlung zeigte, wo er in der Lage war, die ihm in deutscher Sprache gestellten Fragen sofort zu verstehen und darauf auf Deutsch schnell, flüssig und spontan zu antworten. Er konnte auch komplizierte Abläufe auf Deutsch verständlich und nachvollziehbar erklären. Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem unverdächtigen Strafregisterauszug.

2.3 Zur Begründung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit (oben 1.3 und 1.4)

2.3.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Einvernahme vor dem BFA (AS 67-75) sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung (Protokoll OZ 15).

2.3.2 Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren dazu, dass er wegen XXXX , ist glaubhaft. Bereits vom BFA wurde es als möglich erachtet, dass in den XXXX der Beschwerdeführer zu sehen ist (Bescheid, S 65). Auch die Schilderung des Beschwerdeführers sowohl vor dem BFA als auch in der Verhandlung, dass sein Image durch diese XXXX beschädigt worden sei, es Verspottungen und Beschimpfungen gegeben und er deshalb nicht mehr an der XXXX weiterstudieren habe können, war im Wesentlichen übereinstimmend, nachvollziehbar und schlüssig und deshalb glaubhaft.

2.3.3 Die Feststellungen zur Unglaubhaftigkeit dazu, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan dort zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich individuell konkret einer unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt sein wird, waren aus den folgenden Gründen zu treffen:

XXXX

XXXX

Der Beschwerdeführer hat auch vorgebracht, dass Molvis (islamische Gelehrte) gegen ihn im Juni 2014 eine polizeiliche Anzeige erstattet hätten (NS EV 07.07.2016, S 5) und er hat dazu dem BFA ein von ihm als Anzeige (FIR) bezeichnetes Dokument vorgelegt (AS 111; Übersetzung OZ 17). Der Beschwerdeführer hat die Anzeige in Kopie vorgelegt und eine Überprüfung auf ihre Echtheit und Authentizität in Pakistan ist selbst im Original unter Wahrung der Anonymität des Beschwerdeführers nicht möglich. Auch ist nicht überprüfbar, wie eine derartige Prüfung in Pakistan tatsächlich erfolgt wäre. Bezüglich der Anzeige bestehen jedoch mehrere Widersprüche und Ungereimtheiten. Bereits bezüglich des Grundes, weshalb gegen den Beschwerdeführer von den Molvis Anzeige erstattet worden sei, machte der Beschwerdeführer unterschiedliche Angaben. So brachte er gegenüber dem BFA vor, dass er angezeigt worden sei, da er die Ahmadis unterstützt habe (NS 07.07.2016, S 7), während er in der Verhandlung angab, dass er einen Ahmadi-Professor an der Universität gelobt habe, was einigen Leuten nicht gefallen habe (VS 09.06.2020, S 11); letzteres ist auch in zeitlicher Hinsicht nicht nachvollziehbar, da er zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung bereits mehrere Jahre nicht mehr an der Universität war. Des Weiteren stammt die Anzeige laut dem vorgelegten FIR vom 06.06.2014, jedoch wurde der Beschwerdeführer bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise am 14.08.2014 kein einziges Mal von der Polizei kontaktiert oder aufgesucht (NS EV 07.07.2020, S 9), was gegen das tatsächliche Bestehen einer Anzeige spricht. Vor diesem Hintergrund und zusammen mit den Länderinformationen zu Pakistan, wonach falsche Dokumente leicht zu erhalten sind (vgl oben 1.5), kann die Anzeige nicht als echt und authentisch qualifiziert werden.

Auch hinsichtlich des vom Beschwerdeführer vorgebrachten Angriffes auf den Bauernhof der Familie wenige Tage vor seiner Ausreise im August 2014, ergeben sich mehrere Widersprüche: So gab der Beschwerdeführer zunächst gegenüber dem BFA an, dass er dort alleine gewohnt habe (NS 07.07.2016, S 6), gab aber demgegenüber in der Verhandlung an, dass er dort ein Zimmer gehabt habe und im Nebenzimmer sein Vater und seine Familie zu Hause gewesen sei (NS 09.06.2020, S 13). Gegenüber dem BFA gab er im Jahr 2016 noch an, dass er nicht wisse, wer ihn angegriffen habe, da er nichts sehen habe können, er aber mehrere Schüsse gehört habe. In der Verhandlung im Jahr 2020 brachte er dann erstmals vor, dass es einige Leute der Gruppierung Lashkar-e-Jhangvi gewesen seien und ihm dies sein Bruder noch am Tag jenes Vorfalles im August 2014 erzählt habe (VS 09.06.2020, S 13)., sodass es nicht schlüssig ist, dass er den Namen der Gruppierung nicht bereits vor dem BFA nennen hätte können. Aufgrund dieser Widersprüche ist das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem einzigen vorgebrachten, persönlichen Angriff nicht glaubhaft.

XXXX

Es ist nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer durch diese Videos und dadurch, dass er sein Universitätsstudium abbrechen musste, den Ruf und das Ansehen seiner Familie beschädigt hat und diese darüber enttäuscht waren, dass er die in ihn gesetzten und seine eigenen Erwartungen nicht erfüllt hat. Zieht man die ehrgeizigen Karrierepläne des Beschwerdeführers für seine Zukunft in Österreich in Betracht, die er zu Beginn der Verhandlung darlegte, XXXX (VS 09.06.2020, S 6), wird dadurch deutlich, dass er in der mündlichen Verhandlung auch seine Kränkung und Enttäuschung darüber zum Ausdruck brachte, dass er in Pakistan sein Studium abbrechen musste und die damit erhofften beruflichen Perspektiven und Erwartungen verloren gingen (VS 09.06.2020, S 8: „… Ich möchte mich nicht mehr an diese alten Sachen erinnern. Ich kann nicht nach Pakistan zurück. Ich habe Freunde, diese sind jetzt CEO und einige Freunde sind auch in höheren Posten und für diese bin ich schlecht …“; S 9: „Ich habe 10 Jahre verloren und ich muss jetzt nochmal studieren, was ich bereits in Pakistan studiert habe.“)

Wie jedoch soeben im Einzelnen dargelegt, konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass er deshalb vor seiner Ausreise aus Pakistan einer Bedrohung und Verfolgung von erheblicher Intensität ausgesetzt war und er einer solchen Gefahr bei einer Rückkehr nach Pakistan zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

2.4 Zur Lage in Pakistan (oben 1.5)

Die Feststellungen zur Lage in Pakistan ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Pakistan vom Mai 2019. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Auch der Beschwerdeführer ist diesen ihm vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 02.03.2020 zur Kenntnis gebrachten Länderinformationen nicht entgegengetreten. Die Feststellungen betreffend die Lage zur Pandemie aufgrund des Coronavirus basieren auf den Informationen der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, des Sozialministeriums und der Weltgesundheitsorganisation.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

Zum Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)

3.1 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist, dass der Asylwerber im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274).

Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428).

Zum gegenständlichen Verfahren

3.2 Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt ist das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen nicht glaubhaft. Er hat damit nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Pakistan einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre.

3.3 Es liegt somit im Falle des Beschwerdeführers keine Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sind damit nicht gegeben.

3.4 Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides des BFA wird daher als unbegründet abgewiesen.

Zum Status eines subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1 AsylG 2005)

3.5 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH - zum Vorliegen eines reales Risikos iSd Art 3 MRK ausgesprochen, dass diese Voraussetzung nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") erfüllt ist. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0068).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert sich der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs 1 Z 2 Asyl 2005 an Art 15 lit c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) und umfasst - wie der EuGH erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. (VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0068)

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art 2 oder 3 MRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0196).

Zum gegenständlichen Verfahren

3.6 Die Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse kann aus den Feststellungen zur Lage in Pakistan als gesichert angenommen werden (siehe oben 1.5). Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Es ist daher nicht erkennbar, warum er in eine aussichtslose Lage geraten sollte oder ihm eine Existenzsicherung in seinem Heimatland nicht zumutbar sein sollte, zumal auch aus den Länderfeststellungen keinesfalls hervorgeht, dass die Lage für alle Personen (ohne Hinzutreten von besonderen Umständen) dergestalt wäre, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre.

Es ergeben sich aus den Länderfeststellungen auch keine Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse).

Dies gilt auch unter Berücksichtigung der aktuell vorherrschenden Pandemie aufgrund des Coronavirus: Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört zu keiner Risikogruppe; es besteht daher für den Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Pakistan kein "real risk" einer Verletzung von Art 3 EMRK im Sinne der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH.

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063), liegt somit nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass die wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat möglicherweise schlechter sein wird, als in Österreich; aus den getroffenen Ausführungen ergibt sich aber eindeutig, dass der Schutzbereich des Art 3 EMRK nicht tangiert ist.

3.7 Der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers befindet sich auch nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes – derartiges kann trotz der in manchen Landesteilen regional und temporär angespannten Sicherheitslage vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen nicht angenommen werden. Es kann daher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht (vgl VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0068).

Aufgrund der getroffenen Feststellungen kann ferner auch nicht davon gesprochen werden, dass praktisch jedem, der nach Pakistan oder in die Provinz Punjab abgeschoben wird, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße droht, sodass die Abschiebung im Lichte des Art 3 EMRK unzulässig erschiene (vgl VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0196). Etwaige persönliche Gefährdungsmerkmale sind im gegenständlichen Verfahren nicht glaubhaft hervorgekommen.

3.8 Zusammenfassend finden sich somit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 AsylG 2005 ausgesetzt wäre.

3.9 Gemessen an den zuvor dargestellten Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofes kann daher fallbezogen dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt werden, weshalb auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides abgewiesen wird.

Spruchpunkt II

Zu einem Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§ 57 AsylG)

3.10 Fallbezogen liegen nach dem festgestellten Sachverhalt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 57 AsylG für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nicht vor. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ist weder seit einem Jahr geduldet noch ist eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen zu erteilen; schließlich hat der Beschwerdeführer auch nicht glaubhaft gemacht, Opfer von Gewalt geworden zu sein sowie, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

3.11 Die Beschwerde gegen die mit Spruchpunkt III Satz 1 ausgesprochene Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erweist sich daher als unberechtigt.

Zur Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung nach Pakistan (§ 52 FPG; § 9 BFA-VG)

3.12 Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG 2014 (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041).

3.13 Folgende Umstände - zumeist in Verbindung mit anderen Aspekten - stellen Anhaltspunkte dafür dar, dass der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Erwerbstätigkeit des Fremden (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2014/22/0025; E 18. Oktober 2012, 2010/22/0136; E 20. Jänner 2011, 2010/22/0158), das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253), eine Einstellungszusage (vgl. E 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165; E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082), das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse (vgl. E 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; E 14. April 2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032), familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen (vgl. E 23. Mai 2012, 2010/22/0128; (betreffend nicht zur Kernfamilie zählende Angehörige) E 9. September 2014, 2013/22/0247), ein Freundes- und Bek

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten