Entscheidungsdatum
18.08.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
L516 2139555-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, vertreten durch Mag.a Elke WEIDINGER, Rechtsanwältin, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.10.2016, Zahl 1074804408 – 150722092/BMI-BFA_STM_AST_01_TEAM_01, nach mündlicher Verhandlung am 23.06.2020 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 23.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.
Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 23.06.2020 eine mündliche Verhandlung durch. An der Verhandlung nahmen der Beschwerdeführer, seine Vertreterin sowie ein Vertreter der belangten Behörde teil.
1. Sachverhaltsfeststellungen:
[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; SN=schriftliche Stellungnahme; EG=Eingabe; S=Seite; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Lebensverhältnissen in Pakistan
Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan, gehört der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest. (NS 23.06.2015, S 1; NS 25.10.2016, S 4; VS 23.06.2020, S 11)
Der Beschwerdeführer wurde in Quetta in der Provinz Belutschistan geboren. Er wuchs im Gebiet XXXX , welches XXXX Kilometer von Quetta entfernt liegt, auf. Sein Vater ist bereits verstorben. Nach der Verschlechterung der Sicherheitslage und dem Tod zweier Cousins zog er 2013 mit seiner Mutter und seiner Schwester in die Stadt Quetta, im Bezirk XXXX . Seine Mutter und seine Schwester leben nach wie vor dort. Seine Mutter arbeitet als Näherin, die Schwester hilft ihr dabei. Er hat ab und zu telefonischen Kontakt zu ihnen. Weitere Onkel und Tanten leben ebenso in Quetta. Der Beschwerdeführer besuchte keine Schule in Pakistan, da er über keine Identitätsdokumente verfügt. Er war in Pakistan Analphabet, er arbeitete als Verkäufer. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er reiste im Frühjahr 2015 aus Pakistan aus. Der Beschwereführer spricht Farsi, Urdu und inzwischen auch Deutsch (NS 23.06.2015 S 1, 2; NS 25.10.2016 S 4, 5, 6; Stadtkarte AS 173; VS 23.06.2020 S 5, 8, 11,12)
1.2 Zu seiner Lebenssituation in Österreich
Der Beschwerdeführer hält sich seit Juni 2015 rechtmäßig als Asylwerber in Österreich auf. Gegenständlich handelt es sich um den einzigen Antrag auf internationalen Schutz. Er hat von Beginn seines Verfahrens an sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinen Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer im Asylverfahren nicht anzulasten ist. Er ist auch nicht mehr auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen. Er verfügt über eine Beschäftigungsbewilligung und bestreitet seinen Lebensunterhalt aktuell aus seiner erlaubten unselbstständigen Erwerbstätigkeit in einem österreichischen Gastronomiebetrieb; für diese Vollzeitbeschäftigung im Ausmaß von 40 Wochenstunden erhält er einem monatlichen Entgelt von EUR 1.540,00 brutto. Sein aktueller Arbeitgeber beschreibt den Beschwerdeführer als äußerst freundlich und zuvorkommend und gibt an, dass er die ihm übertragenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit erfüllt. Aus diesem Grund sichert der aktuelle Arbeitgeber des Beschwerdeführers, für den Fall des Erlangens einer entsprechenden Bewilligung, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu. Er ist somit eigeninitiativ arbeitswillig und arbeitsfähig und verfügt für die Zukunft über eine Beschäftigungszusage.
Er hat am 16.03.2018 am Werte- und Orientierungskurs teilgenommen und hat im Juni 2018 das ÖSD Sprachzertifikat Deutsch Österreich B1 erfolgreich bestanden. Er verstand die ihm in der mündlichen Verhandlung ohne Dolmetscher in deutscher Sprache gestellten Fragen sofort und antwortete auf diese spontan, rasch, flüssig und verständlich in einer freien, zusammenhängenden Erzählung auf Deutsch. Er verstand auch darüber hinaus im gesamten Verlauf der mündlichen Verhandlung die deutschsprachige Konversation, das Bundesverwaltungsgericht führte die Verhandlung aus Gründen der Vorsicht dennoch in der Muttersprache des Beschwerdeführers unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi durch.
Der Beschwerdeführer ist mittlerweile bereits in seiner österreichischen Wohnsitzgemeinde völlig integriert, nimmt an Veranstaltungen der Gemeinde teil und betätigt sich auch aktiv ehrenamtlich und gemeinnützig. Der aktuelle Bürgermeister bescheinigt ihm eine vorbildliche Integration. Er hat mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt, seine Freunde, seine Bekannte und sein soziales Netz in Österreich, was die zahlreichen sehr persönlich gehaltenen Unterstützungsschreiben von österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern unterschiedlichen Alters und Herkunft sowie der in der mündlichen Verhandlung befragte Zeuge belegen, die überwiegend mehrjährig bestehende Freundschaften zum Beschwerdeführer, dessen Vorzüge und seine bereits gelungene Integration in die österreichische Gesellschaft bezeugen. Er ist auch Mitglied eines XXXX , hat dort bereits als Trainer bei den Aufwärmübungen mitgewirkt und beabsichtigt, die Trainerausbildung zu absolvieren. XXXX . Wenn es seine Zeit erlaubt, ist er auch bei einem Lauftreff, beim Volleyball oder bei der Turngruppe der Freiwilligen Feuerwehr dabei. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer ehrenamtliches Mitglied des Besuchsdienstteams XXXX und besucht Bewohner*innen des Pflegeheimes. (IZR; GVS; Bescheide des Arbeitsmarktservice OZ 9-11; Abmeldung GVS OZ 12; Bestätigung Werte- und Orientierungskurs OZ 6; ÖSD Zertifikat OZ 18; Schreiben Arbeitgeber OZ 18; Schreiben Feuerwehr OZ 18; Unterstützungsschreiben OZ 6, 18; XXXX , OZ 6; VS 23.06.2020, S 5, 6; VS 23.06.2020, VS Beilagen)
Er ist schließlich strafrechtlich unbescholten (Strafregister der Republik Österreich)
1.3 Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist gesund (VS 23.06.2020 S 5)
1.4 Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz und einer Rückkehrbefürchtung
Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz und seiner Rückkehrbefürchtung zusammengefasst im Wesentlichen vor:
Der Beschwerdeführer brachte bei der Erstbefragung am 23.06.2015 und bei der Einvernahme vor dem BFA am 25.10.2016 vor, er sei Hazara und Schiite und sei aus Quetta. Er habe keine Papiere gehabt und habe deshalb auch keine Schule besucht. Die Sicherheitslage in Pakistan sei sehr schlecht und es herrsche Armut. Zwei seiner Cousins seien bei einem Anschlag der IS-Truppen getötet worden. Er fürchte, dass ihm dies auch passiere. Das Leben in Quetta sei schwer, den Bezirk zu wechseln nicht möglich. Es gebe in Quetta die Gruppe Lashkar-e-Jhangvi, die den Taliban nahestehe und Hazara und andere Schiiten mißhandle und gegen diese vorgehe. Das sei letztlich der Grund, weshalb er seine Heimat verlassen habe. Er selbst sei dabei noch nicht bedroht oder verfolgt worden. Nach Islamabad habe er nicht gehen können, da er keine Papiere gehabt habe. Er habe Pakistan auch nicht gemocht, es gebe dort Korruption und Probleme (NS EB 23.06.2015 S 5, 6; NS EV 25.10.2016).
In der mündlichen Verhandlung am 23.06.2020 führte er zu seinen Ausreisegründen und zu seiner Rückkehrbefürchtung – zusammengefasst – aus: Bei einer Rückkehr werde er von der Gruppierung Lashkar-e-Jhangvi, welche mit dem IS sehr gute Beziehung habe, sicherlich getötet werden. Diese Gruppierung habe bereits zwei seiner Cousins getötet und habe auch in seinem Gebiet viele Symphatisanten, die zwar nicht zu jener Gruppe gehören würde, die aber dieser sicher mitteilen würde, dass der Beschwerdeführer zurückgekommen sei. Er fürchte, deshalb getötet zu werden. Er fürchte dies, da er einerseits Hazara und andererseits auch Schiite sei. Er habe früher sehr viel Kontakt zu seinem getöteten jüngeren Cousin gehabt und die Gruppe kenne ihn. Sie hätten früher in einem anderen Bezirk von Quetta, in XXXX mit Paschtunen und Punjabis gelebt, aber nachdem die Cousins im Jahr 2013 getötet worden seien, seien sie 2013 in Quetta nach XXXX gezogen. Damals hätten in den verschiedenen Distrikten rund um Quetta Hazara gelebt, nach einer Welle von Tötungen seien die Hazara dann in wenige Gebiete umgezogen. Jene Gruppierung habe angekündigt, dass sie diese verschiedenen Gebiete von Hazara säubern wolle. Dann seien viele Hazara getötet worden, unter anderem seine Cousins. Das habe dann den Ausschlag gegeben, umzuziehen. Seine Cousins seien im zwölften Monate 2012 ums Leben gekommen, im Jänner 2013 habe es dann in XXXX einen großen Bombenanschlag gegeben und auch dort sei dann die Sicherheitslage sehr schlecht gewesen. Sie hätten dann Angst gehabt und gewusst, dass es auch in ihrem neuen Gebiet keine Sicherheit gebe. Er habe sich dann dazu entschlossen, auszureisen. Hasara, die aus dem Gebiet XXXX zur Arbeit oder zum Einkaufen hinausfahren hätten müssen, seien oft getötet worden. Es habe täglich ein bis zwei Tote gegeben. Er selbst habe auch als Verkäufer in einem Geschäft gearbeitet, das außerhalb ihres Gebietes gewesen sei, in der „ XXXX “. Ihm selbst sei damals nichts passiert, er fürchte jedoch, dass er bei einer Rückkehr von jener Gruppierung getötet werde. Die Gruppierung kenne ihn nicht persönlich, aber ihre Sympathisanten aus dem Gebiet. Nach dem Tod seiner Cousins habe er seine Lebenweise angepasst. Er sei zu unterschiedlichen Zeiten und über unterschiedliche Routen zu seinem Arbeitsplatz gefahren. Er habe in den zwei bis drei Jahren nach dem Tod seiner Cousins in Pakistan Angst gehabt, dass ihm etwas passieren könne, was auch geschehen wäre, wenn er länger geblieben wäre. Seine Mutter und seine Schwester würden, wie es in Pakistan für Frauen üblich sei, nicht aus dem Haus gehen; seine Onkel arbeiten direkt im Gebiet der Hazara, würden dieses Gebiet nur sehr selten verlassen und überlegen schon seit längerem, Pakistan zu verlassen.(VS 23.06.2020 S 11 ff).
1.5 Zur Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Antragsgründe und Rückkehrbefürchtung
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er aus Furcht, Opfer der Lashkar-e-Jhangvi zu werden, Quetta verlassen habe, ist glaubhaft. Es ist auch glaubhaft, dass er sich aus demselben Grund vor einer Rückkehr dorthin fürchtet.
1.6 Zur Lage in Pakistan
Politische Lage
Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa. Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden. Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete von GilgitBaltistan und Azad Jammu & Kashmir, dem auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie (“Line of Control”) zwischen Indien und Pakistan liegenden Teil Kaschmirs. Beide Gebiete werden offiziell nicht zum pakistanischen Staatsgebiet gerechnet und sind in Teilen autonom. Das Hauptstadtterritorium Islamabad (“Islamabad Capital Territory”) bildet eine eigene Verwaltungseinheit (AA 1.2.2019a).
Die gesetzgebende Gewalt in Pakistan liegt beim Parlament (Nationalversammlung und Senat). Daneben werden in den Provinzen Pakistans Provinzversammlungen gewählt. Die Nationalversammlung umfasst 342 Abgeordnete, von denen 272 vom Volk direkt für fünf Jahre gewählt werden. Es gilt das Mehrheitswahlrecht. 60 Sitze sind für Frauen, 10 weitere für Vertreter religiöser Minderheiten reserviert (AA 1.2.2019a). Die reservierten Sitze werden von den Parteien gemäß ihrem Stimmenanteil nach Provinzen besetzt, wobei die Parteien eigene Kandidatenlisten für diese Sitze erstellen. (Dawn 2.7.2018).
Bei der Wahl zur Nationalversammlung (Unterhaus) am 25. Juli 2018 gewann erstmals die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI: Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) unter Führung Imran Khans die Mehrheit (AA 1.2.2019a). Es war dies der zweite verfassungsmäßig erfolgte Machtwechsel des Landes in Folge (HRW 17.1.2019). Die PTI konnte durch eine Koalition mit fünf kleineren Parteien sowie der Unterstützung von neun unabhängigen Abgeordneten eine Mehrheit in der Nationalversammlung herstellen (ET 3.8.2018). Imran Khan ist seit Mitte August 2018 Premierminister Pakistans (AA 1.2.2019).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von Parlament und Provinzversammlungen gewählt. Am 9. September 2018 löste Arif Alvi von der Regierungspartei PTI den seit 2013 amtierenden Präsidenten Mamnoon Hussain (PML-N) Staatspräsident regulär ab (AA 1.2.2019a).
Sicherheitslage allgemein
Die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus bleibt zentrales Problem für die innere Sicherheit des Landes (AA 1.2.2019a; vgl. USDOS 19.9.2018). Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2009, zurückgegangen (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018, USDOS 19.9.2018). Konflikte mit dem Nachbarland Indien werden gelegentlich gewaltsam ausgetragen (EASO 10.2018 S 16).
Die Taliban und andere militante Gruppen verüben Anschläge insbesondere in Belutschistan und in Khyber-Pakhtunkhwa (AA 21.8.2018), aber auch in Großstädten wie Karatschi (AA 1.2.2019a). Über 90 % der terroristischen Anschläge sowie Todesopfer entfielen 2018 auf die zwei Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (PIPS 7.1.2019). Die Anschläge zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten, sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie die Sufis (AA 1.2.2019a).
Die Operationen der Rangers [siehe dazu Abschnitt 5] in Karatschi (ab 2013), Militäroperationen in Nord-Wasiristan und der Khyber Agency [Stammesbezirke der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Anm.], sowie landesweite Anti-Terror-Operationen als Teil des National Action Plan (NAP) trugen dazu bei, den rückläufigen Trend bei der Zahl der Vorfälle und der Opfer auch 2018 aufrecht zu halten (PIPS 7.1.2019 S 20; vgl. EASO 10.2018 S 18). In den ehemaligen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas – FATA) konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden (AA 21.8.2018), die Militäraktionen gelten als abgeschlossen (Dawn 29.5.2018). Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat (AA 21.8.2018).
Terrorgruppe Lashkar-e-Jhangvi
Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) ist eine Deobandi-Terroristengruppe. Die Gewalt von LeJ richtet sich größtenteils gegen Schiiten; die Organisation vertritt auch radikale Standpunkte gegenüber Christen, Ahmadis und sufistischen Muslimen (EASO 10.2018 S 32). Im Jahr 2018 war LeJ für sieben terroristische Angriffe, darunter sechs in Belutschistan und einem in Khyber Pakhtunkhwa, mit insgesamt neun Toten, verantwortlich (PIPS 7.1.2019 S 78). Im Jahr 2017 war die LeJ mit ihren Splittergruppen, darunter die Lashkar-e-Jhangvi Al-Alami, insgesamt für 18 Anschläge mit 132 Toten verantwortlich. 90 % davon betrafen die erste Jahreshälfte. Die verminderte Aktivität im zweiten Halbjahr ist durch die Zerschlagung ihrer Hauptnetzwerke zu erklären (PIPS 7.1.2018 S 87).
Die Schlagkraft der belutschischen nationalistischen Gruppen ist trotz einer verminderten Zahl an durchgeführten Anschlägen intakt. Die Balochistan Liberation Army (BLA) und die Baloch Liberation Front (BLF) führten 2018 addiert 45 terroristische Anschläge in Belutschistan und zwei in Karatschi durch [siehe auch Abschnitt 17.1]. 2018 wurden erstmals zwei Selbstmordangriffe durchgeführt. Diese Taktik wird normalerweise von religiösen Gruppierungen verwendet, hingegen sind die belutschischen Gruppierungen nationalistisch und politisch links einzuordnen.
Sicherheitslage - Punjab und Islamabad
Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, ist verwaltungstechnisch nicht Teil der Provinz Punjab, sondern ein Territorium unter Bundesverwaltung (ICTA o.D.). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).
Die Sicherheitslage in Islamabad ist besser als in anderen Regionen (EASO 10.2018 S 93). Die Sicherheitslage im Punjab gilt als gut (SAV 29.6.2018). Mehrere militante Gruppierungen, die in der Lage sind, Anschläge auszuüben, sind im Punjab aktiv (EASO 10.2018 S 63-64; vgl. SAV 29.6.2018). In großen Städten wie Lahore und Islamabad-Rawalpindi gibt es gelegentlich Anschläge mit einer hohen Zahl von Opfern, durchgeführt von Gruppen wie den Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP), Al Qaeda oder deren Verbündeten (ACLED 7.2.2017); beispielsweise wurden bei einem Bombenanschlag durch die TTP-Splittergruppe Hizbul-Ahrar auf Polizeieinheiten vor einem Sufi-Schrein in Lahore am 8.5.2019 zehn Personen getötet. (Guardian 8.5.2019; vgl. Reuters 8.5.2019). Der Südpunjab gilt als die Region, in der die militanten Netzwerke und Extremisten am stärksten präsent sind (EASO 10.2018 S 63-64).
Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen und für den Punjab zwei terroristische Angriffe mit zwei Toten (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019). Im Jahr 2018 wurde von PIPS im Hauptstadtterritorium kein terroristischer Angriff gemeldet. Im Punjab gab es vier terroristische Anschläge mit 20 Todesopfern. Zwei davon waren Selbstmordsprengangriffe durch die pakistanischen Taliban (PIPS 7.1.2019 S 49). Im Jahr 2017 kamen im Punjab bei 14 Anschlägen 61 Personen ums Leben, davon fanden sechs Vorfälle mit 54 Toten in Lahore statt. Das Hauptstadtterritorium verzeichnete drei Anschläge mit zwei Todesopfern (PIPS 7.1.2018).
Sicherheitslage Sindh
Die Provinz Sindh unterteilt sich in 138 Tehsils in 29 Distrikten und hat ca. 48 Millionen Einwohner. Karatschi, die Hauptstadt der Provinz Sindh und größte Stadt Pakistans, hatte laut Zensus 2017 ca. 16 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Aufgrund des wirtschaftlichen Potenzials der Stadt zieht Karatschi Zuwanderer aus allen größeren ethnischen Gruppen und Sprachgruppen Pakistans an und es kommt zu erheblichen religiös, ethnisch und politisch motivierten Ausschreitungen (EASO 10.2018 S 78; vgl. AA 13.3.2019) und Auseinandersetzungen terroristischer oder krimineller Gruppen mit Sicherheitskräften (AA 13.3.2019).
Die dem Innenministerium unterstehenden, paramilitärischen Rangers führen seit 2013 weiterhin Anti-Terror- und Anti-Verbrechens-Operationen in Karatschi durch (USDOS 13.3.2019; vgl. PIPS 7.1.2019 S 20), was zu deutlich reduzierter Präsenz aller Arten gewalttätiger Gruppierungen in der Stadt geführt hat (PIPS 7.1.2019 S 125). Die politische, religiös-konfessionelle und ethnische Gewalt in Karatschi ist gesunken und die Straßenkriminalität in Form von Gangs ist nicht mehr so verbreitet wie vor den Sicherheitsoperationen (USDOS 13.3.2019). Auch die militanten Flügel der ethno-politischen Parteien, die für die schlechte Sicherheitslage in besonderem Maße verantwortlich waren, waren durch die Operationen betroffen (PIPS 7.1.2019 S 128). Mit der Verbesserung der Sicherheitslage sind auch die Immobilienpreise in Karatschi deutlich gestiegen (Propakistani 1.2.2019).
Die in Karatschi dominierende politische Partei Muttahida Qaumi Movement (MQM) war durch die Sicherheitsoperationen besonders betroffen. Zahlreiche Mitglieder wurden verhaftet oder mussten untertauchen. Die Partei gibt an, dass zahlreiche ihrer Mitglieder durch Sicherheitskräfte außerhalb des Gesetzes getötet oder verschleppt wurden (PIPS 7.1.2019 S 128).
Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS im Sindh acht terroristische Angriffe mit elf Todesopfern; davon fanden sechs Anschläge mit acht Toten in Karatschi statt (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019). Im Jahr 2018 kam es im Sindh zu zwölf terroristischen Anschlägen mit 19 Todesopfern; davon entfielen neun Anschläge mit 18 Toten auf Karatschi. In Karatschi kam es 2018 weiters zu fünf ethno-politisch motivierten Zusammenstößen mit insgesamt fünf Todesopfern (PIPS 7.1.2019 S 46-48). Im Jahr 2017 kam es im Sindh zu 31 terroristischen Anschlägen mit 119 Toten. 24 Anschläge davon waren in Karatschi zu verzeichnen und 91 der 119 Tote entfielen auf einen einzigen Anschlag auf den Lal Shahbaz-Schrein in Sehwan Sharif (PIPS 7.1.2018).
[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]
Belutschistan
Die Provinz Belutschistan ist in 32 Distrikte mit insgesamt 134 Tehsils (administrative Einheit unterhalb der Distrikte) eingeteilt. Zur Volkszählung 2017 hat die Provinz 12,3 Millionen Einwohner; in der Hauptstadt Quetta leben ca. 1,7 Millionen Menschen (PBS 2017d).
Die Provinz Belutschistan ist mit einer Vielzahl von Konflikten belastet, wie zum Beispiel zwischen dem Staat und Nationalisten (Militär gegen bewaffnete Gruppen), Stammesfehden sowie ethnisch und religiös motivierte Auseinandersetzungen. Diese Konflikte werden durch die Beteiligung ausländischer Staaten mit einem wirtschaftlichen oder politischen Interesse in der Provinz, wie zum Beispiel China, weiter verkompliziert (EASO 10.2018).
Aufständische und separatistische Kräfte greifen Infrastruktureinrichtungen und Armeekräfte an und verüben Sprengstoffanschläge. Armee und Luftwaffe gehen gegen die Aufständischen vor. Auch Aktivitäten afghanischer und pakistanischer Taliban (TTP) werden in Belutschistan beobachtet (AA 13.3.2019). Es gibt Anzeichen wachsender Taliban-Präsenz insbesondere in Gebieten mit paschtunischer Bevölkerung (PIPS 10.4.2019). Daneben kommt es zu religiös motivierten Anschlägen, denen v. a. Schiiten zum Opfer fallen. In Quetta richten sich die Anschläge vielfach gegen die Volksgruppe der Hazara bzw. gegen Christen, die des Missionierens verdächtigt werden (AA 13.3.2019).
Die lokale Presse in Belutschistan wird von der Regierung Pakistans eingeschüchtert. Im November 2017 wurden lokale Journalisten von belutschischen Aufständischen bedroht, die die Journalisten der Kollaboration mit der Armee bezichtigten. Über Militäroperationen wird in Medien kaum berichtet und es gibt große Informationslücken über die Auswirkungen der Militäroperationen auf die Zivilbevölkerung (EASO 10.2018 S 72). Die militärische Führung hat durch Zugangssperren zu bestimmten Regionen u.a. der Provinz Belutschistan sowie durch Aufforderungen zur Selbstzensur mittels direkter und indirekter Einschüchterungsmethoden auf unauffällige, jedoch sehr effektive Art, die Berichterstattung beschränkt (ÖB 10.2018). Es gibt Hinweise, dass nicht alle Zwischenfälle gemeldet werden, da Journalisten und Blogger Selbstzensur betreiben (EASO 10.2018 S 13).
Es gibt Berichte über Binnenvertreibungen in Belutschistan. Wegen des eingeschränkten Zugangs zu betroffenen Gebieten seien die Informationen hierüber aber beschränkt. EASO gibt an, dass bei der Erstellung des Berichtes zur Sicherheitslage Pakistan mit dem Berichtszeitraum 1.6.2017 bis 15.8.2018 nur wenige Quellen zu Binnenvertreibungen in Belutschistan gefunden wurden (EASO 10.2018 S 76).
Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS in Belutschistan 29 terroristische Anschläge mit 49 Toten. Belutschische nationalistische Gruppierungen waren für 20 Anschläge verantwortlich und religiöse militante Aufständischengruppierungen, hauptsächlich TTP, für sieben. Weitere zwei Anschläge waren religiös-konfessionell motiviert. Unter den Todesopfern befanden sich 19 Sicherheitskräfte, 23 Zivilisten und sieben Aufständische (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019).
Im Jahr 2018 war Belutschistan bezüglich Opferzahlen die am stärksten von Terrorismus betroffene Provinz. Fast 60 % aller Todesopfer landesweit kamen bei terroristischen Angriffen in Belutschistan ums Leben. Während die Zahl der Terrorangriffe im Vergleich zum Vorjahr um 30 % auf 115 gesunken war, stieg die Zahl der Todesopfer um 23 % auf 354 und die Zahl der Verletzten um 10 % auf 589. Unter den Getöteten waren 237 Zivilisten, 91 Sicherheitskräfte und 26 Aufständische. 261 Personen wurden durch 35 religiös motivierte Angriffe von Gruppen wie Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP), Hizbul Ahrar oder Islamischer Staat (IS) getötet. Belutschische Nationalistengruppen führten 74 Angriffe mit 85 Toten durch. Bei sechs konfessionell motivierten Angriffen wurden acht Menschen getötet (PIPS 7.1.2019 S 40).
Im Distrikt Quetta fanden 38 terroristische Angriffe – etwa ein Drittel – mit 111 Toten statt. In anderen Distrikten wurden 14 Angriffe aus Kech, sieben aus Qilla Abdullah, und je sechs aus Dera Bugti, Kohlu und Mastung gemeldet. Je vier Angriffe wurden in Gwadar, Kharan, Khuzdar, Nasirabad und Qilla Saifullah; je drei in Chagai, Kalat und Lasbela; je zwei in Panjgur und Sibi; je einer in Awaran, Bolan, Pishin und Washuk (jeweils Distrikte) registriert. Am 13. Juli 2018 kamen bei einem Selbstmord-Sprengstoffanschlag auf eine Wahlkampfveranstaltung in Mastung 150 Menschen ums Leben. Am 25. Juli 2018 wurden bei einem Selbstmord-Sprengstoffanschlag in Quetta, zu dem sich der IS bekannte, 31 Menschen getötet (PIPS 7.1.2019 S 40, 43)
Zusätzlich zu den o. a. 115 terroristischen Angriffen kam es im Jahr 2018 in Belutschistan zu 34 anderen gewalttätigen Vorfällen mit 66 Toten; darunter 15 Militäraktionen gegen Aufständische, acht bewaffnete Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen, sieben grenzüberschreitende Zusammenstöße aus Afghanistan oder dem Iran. Sicherheitskräfte konnten 2018 zwei größere Terroranschläge vereiteln (PIPS 7.1.2019).
Im Jahr 2017 wurden aus Belutschistan 165 terroristische Anschläge gemeldet, bei denen 288 Menschen getötet wurden, darunter 193 Zivilisten, 84 Mitglieder der Sicherheitskräfte und elf Aufständische. Belutschische Nationallistengruppen führten 131 Anschläge mit 138 Toten durch, sieben Anschläge mit 17 Toten waren konfessionell motiviert und richteten sich vorwiegend gegen Hazara. In der Hauptstadt Quetta kam es zu 35 Anschlägen mit 90 Todesopfern; 23 Anschläge gab es in Kech, 16 in Dera Bugti, 13 in Gwadar, zwölf in Panjgur, neun in Nasirabad und acht in Mastung. 133 Todesopfer waren 2017 bei 27 terroristischen Anschlägen durch islamistischmilitante Gruppierungen, wie die TTP, Jamaatul Ahrar, IS, Lashkar-e-Jhangvi Al-Alami, zu beklagen (PIPS 7.1.2018).
Zusätzlich zu den o.a. 165 terroristischen Angriffen kam es im Jahr 2017 in Belutschistan zu 39 Militäraktionen gegen Aufständische, 13 bewaffneten Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen, 13 grenzüberschreitenden Zusammenstößen aus Afghanistan oder dem Iran, fünf stammesübergreifenden Fehden und zwei Fällen von Mob-Gewalt. Bei insgesamt 237 für die Sicherheitslage relevanten Vorfällen von Gewalt verloren 430 Menschen ihr Leben. Zusätzlich wurden während des Jahres 29 Leichen in der Provinz aufgefunden. In den meisten Fällen sind die Identitäten der Toten sowie ihrer Mörder nicht bekannt. Sicherheitskräfte konnten 2017 insgesamt 17 Terroranschläge vereiteln (PIPS 7.1.2018).
Hazara-Gemeinde
Die Hazara sind eine ethnische Gruppe eurasischer Herkunft und überwiegend schiitische Muslime. Sie unterschieden sich äußerlich von den meisten anderen Pakistanis (EASO 8.2015). Quellen schätzen die Hazara in Pakistan auf 500.000 bis eine Million, die sich hauptsächlich auf Quetta [Hauptstadt von Belutschistan] und Karatschi konzentrieren. Viele Hazara sind von Quetta aufgrund der dort gegen sie gerichteten Gewalt in andere pakistanische Städte gezogen, allen voran Karatschi. Innerhalb Quettas leben Hazara vor allem in zwei Enklaven (UKHO 9.11.2016).
Die schiitische Gemeinschaft, insbesondere die schiitischen Hazara, sind das Hauptziel der religiös motivierten Gewalt in Belutschistan. Die Gruppe Lashkar-e-Jhangvi steht hauptsächlich hinter dieser Gewalt (USIP 27.6.2016). Gemäß Aussagen der Hazara-Gemeinschaft, Mitgliedern der Zivilgesellschaft, Politikern und Regierungsvertretern sind viele Faktoren für die Bedrohung verantwortlich, da andere schiitische Gemeinschaften in Belutschistan friedlich leben können (NCHR 2.2018).
Die schiitische Hazara-Gemeinde in Belutschistan – aufgrund ihrer zentralasiatischen Abstammung leicht zu identifizieren – war nach 2015 deutlich weniger von Gewalt betroffen (AA 21.8.2018; vgl. NCHR 2.2018). Gemäß Angaben des Provinzinnenministeriums von Belutschistan wurden im Zeitraum 1.1.2012 bis 31.12.2017 in Quetta bei terroristischen Anschlägen 509 Mitglieder der Hazara-Gemeinschaft getötet und 627 verletzt (NCHR 2.2018). Im Jahr 2017 gab es in Quetta sechs Angriffe auf Hazara, bei denen 13 Menschen starben (PIPS 7.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) und einen Angriff auf Hazara mit vier Toten in Mastung (PIPS 7.1.2018).
Anfang 2018 kam es zu einer Serie von Mordanschlägen militanter Gruppen gegen Hazaras in Belutschistan (AA 21.8.2018). Im Zeitraum März-April 2018 wurden in Quetta bei sechs konfessionell motivierten Anschlägen acht Personen, darunter sieben Hazara, getötet (PIPS 7.1.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Alle Anschläge wurden von Lashkar-e-Jhangvi durchgeführt. Bei einem weiteren sicherheitsrelevanten Vorfall in Quetta war Sicherheitspersonal, das zum Schutz von Hazara abgestellt worden war, betroffen (PIPS 7.1.2019). Die Hazaras protestierten gegen die Anschläge und beklagten mangelnde Sicherheitsmaßnahmen des pakistanischen Staats (AA 21.8.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Sie stellten ihre Proteste ein, nachdem Pakistans Armeechef General Bajwa Anfang Mai 2018 Hazara-Vertreter in Belutschistan traf und bessere Sicherheitsvorkehrungen versprach (AA 21.8.2018). Für den Rest des Jahres 2018 dokumentierte PIPS keine konfessionell motivierten Angriffe auf Hazara (PIPS 7.1.2019).
Am 12.4.2019 kamen bei einem Sprengstoffanschlag auf einem Markt in Quetta mindestens 20 Personen, darunter neun Hazara, ums Leben; mindestens 48 Personen wurden verletzt (Dawn 12.4.2019; vgl. ET 12.4.2019). Es war dies – mit Ausnahme vereinzelter Schießereien - der erste gezielte Anschlag auf die Hazara-Gemeinschaft seit über einem Jahr (Dawn 12.4.2019). Zum Anschlag bekannte sich zuerst eine Taliban-Fraktion, die nach eigenen Angaben mit Lashkar-eJhangvi kooperierte; etwas später bekannte sich der Islamische Staat zu dem Anschlag und veröffentlichte ein Foto und Namen des Täters (ET 13.4.2019). Die Regierung von Belutschistan beschloss, dass umgehend Überwachungskameras am Hazaraganji-Markt und anderen Orten der Stadt installiert werden sollen. Jedoch gibt es einen Mangel an Kameras in der Region und die Umsetzung des Projektes Safe City Quetta ist verzögert (Dawn 12.4.2019).
Hazara-Händler, die am Hazarganji-Markt Waren für den Weiterverkauf in den Hazara-Enklaven einkaufen, werden von Polizei und Frontier Corps täglich in einem Konvoi eskortiert (Dawn 12.4.2019; vgl. Dawn 22.10.2017, AJ 9.10.2017, NCHR 2.2018). Dennoch kommt es auf dem Markt immer wieder zu tödlichen Anschlägen, da bereits vor dem Eintreffen der Eskorte Bomben am Markt versteckt werden (Dawn 12.4.2019). In der Vergangenheit kam es immer wieder zu gezielten Morden an Hazaras, die den Markt außerhalb des eskortierten Konvois besuchten (Dawn 22.10.2017; vgl. AJ 9.10.2017).
Die zwei Enklaven in Quetta werden von Sicherheitskräften und paramilitärischen Gruppen bewacht (UKHO 9.11.2016; vgl. USDOS 13.3.2019, NCHR 2.2018). Die Behörden haben schiitische Prozessionen in Quetta auf die Hazara-Enklaven beschränkt (USDOS 13.3.2019). Die Behörden geben an, dass es seit 2014 keine größeren Anschläge auf Hazaras mehr gab und die kleineren Vorfälle durch Missachtung der Sicherheitsvorkehrungen durch Hazaras begünstigt wurden (NCHR 2.2018).
Gemäß Angaben der Hazara-Gemeinschaft ist der Staat gleichgültig gegenüber dem Schutz der Hazara-Gemeinschaft und die Sicherheitsvorkehrungen würden zu unnötigen Belästigungen führen. Die Täter von Angriffen auf Hazara bleiben oft straffrei und Ermittlungen werden meist gegen Unbekannt geführt (NCHR 2.2018).
Die Situation der Hazara-Gemeinschaft ist gemäß der Nationalen Kommission für Menschenrechte in Pakistan besorgniserregend, da sie ihre grundlegenden Menschenrechte nicht ausüben können (NCHR 2.2018). Berichten zufolge ist es Hazaras nicht möglich, sich außerhalb der beiden Enklaven in Quetta frei zu bewegen; es sei ihnen nicht möglich, Anstellung zu finden und eine höhere Ausbildung zu verfolgen (USDOS 13.3.2019; vgl. NCHR 2.2018). Es wird von Schwierigkeiten für Angehörige der Hazara beim Erlangen von Pässen und Personalausweisen sowie beim Zugang zu staatlichen Leistungen berichtet (USDOS 13.3.2019). Gemäß UKHO ist der Staat zwar willig, Hazaras zu schützen, jedoch in der Fähigkeit eingeschränkt (UKHO 9.11.2016).
In einem von UKHO zitierten, 2014 erschienenen Bericht des Australischen Ministeriums für Äußere Angelegenheiten und Handel hingegen wird berichtet, dass Hazaras sich tagsüber generell frei in Quetta bewegen können. Weiteren Berichten zufolge sind einige höher gebildete Hazara beim Staat angestellt. Einige führen Geschäfte außerhalb der Enklaven. Innerhalb ihrer Enklaven haben sie Zugang zu Ausbildungsstätten und medizinischer Versorgung. Von staatlicher Seite gibt es keine diskriminierende Gesetze, Richtlinien oder Vorgehen der pakistanischen Behörden gegen die Hazara aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Religion (UKHO 9.11.2016).
Polizei
Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 13.3.2019). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen. Zum geringen Ansehen der Polizei tragen die extrem hohe Korruptionsanfälligkeit ebenso bei wie häufige unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam genommenen Personen. Illegaler Polizeigewahrsam und Misshandlungen gehen oft Hand in Hand, um den Druck auf die festgehaltene Person bzw. deren Angehörige zu erhöhen, durch Zahlung von Bestechungsgeldern eine zügige Freilassung zu erreichen, oder um ein Geständnis zu erpressen. Die Polizeikräfte sind oft in lokale Machtstrukturen eingebunden und dann nicht in der Lage, unparteiische Untersuchungen durchzuführen. So werden Strafanzeigen häufig gar nicht erst aufgenommen und Ermittlungen verschleppt (AA 21.8.2018).
Die Polizeikräfte versagen oftmals dabei, Angehörigen religiöser Minderheiten – wie beispielsweise Ahmadis, Christen, Schiiten und Hindus – Schutz vor Übergriffen zu bieten. Es gibt jedoch Verbesserungen bei der Professionalität der Polizei. Einzelne lokale Behörden demonstrierten die Fähigkeit und den Willen, unter großer eigener Gefährdung Minderheiten vor Diskriminierung und Mob-Gewalt zu schützen (USDOS 13.3.2019).
Muslimische Denominationen, insbesondere Schiiten
In Pakistan finden sich verschiedene Ausmaße der muslimischen Identität und der religiösen Intensität. Die beiden Hauptzweige des Islams, das Schiitentum und das Sunnitentum, teilen sich in Pakistan auch in mehrere Untergruppen. Die Sunniten unterteilen sich in hauptsächlich drei Gruppen. Von diesen formen die Barelvis [auch Ahle Sunnat wal Jama'at] die überwiegende Mehrheit mit ungefähr 60 % der sunnitischen Bevölkerung. Deobandis werden auf ungefähr 35 % der Sunniten geschätzt und machen damit die zweitgrößte sunnitische Subsekte aus. Eine kleine Anzahl von ungefähr 5 % der Sunniten folgt der Ahl-e Hadith (Salafi) Schule des Islam. Religiöse Intoleranz und Gewalt findet auch zwischen den muslimischen Denominationen und innerhalb der sunnitischen Konfession statt, z. B. zwischen der Barelvi-Sekte, die erheblichen Sufi-Einfluss aufweist und die Mehrheit der Pakistanis ausmacht, und der Deobandi-Sekte, die islamistisch geprägt ist (BFA 10.2014).
Die schiitische Bevölkerung Pakistans wird auf 20 bis 50 Millionen Menschen geschätzt. Die Mehrheit der Schiiten in Pakistan gehört den Zwölfer-Schiiten an, andere Subsekten sind NizariIsmailiten, Daudi Bohras und Sulemani Bohras. Laut Australian Department of Foreign Affairs and Trade sind Schiiten im ganzen Land verteilt und stellen in der semi-autonomen Region Gilgit-Baltistan die Bevölkerungsmehrheit. Viele urbane Zentren in Pakistan beheimaten große SchiaGemeinden. Manche Schiiten leben in Enklaven in den Großstädten, sind aber ansonsten gut integriert. Abgesehen von den Hazara unterscheiden sich Schiiten weder physisch noch linguistisch von den Sunniten. Schiitische Muslime dürfen ihren Glauben frei ausüben. Es gibt keine Berichte über systematische staatliche Diskriminierung gegen Schiiten. Schiiten sind in der Regierung und im öffentlichen Dienst gut vertreten. (UKHO 1.2019).
Religiös/konfessionell motivierte bzw. intra-konfessionelle Gewalt ("sectarian violence") führen weiterhin zu Todesfällen. Opfer sind zumeist gemäßigte Sunniten sowie Schiiten, die von militanten sunnitischen Organisationen wie Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) oder den Taliban attackiert werden (AA 21.8.2018; vgl. UKHO 1.2019, NCHR 2.2018). Diese Gruppen bedrohen direkt reiligiöse Minderheiten sowie Anhänger der Mehrheitsreligion, die sich öffentlich für Religionsfreiheit oder die Rechte religiöser Minderheiten einsetzen (USCIRF 4.2019). Hazara sind das Hauptziel sunnitischer Extremistengruppen, die gegen Schiiten vorgehen (USCIRF 4.2018; vgl. Abschnitt 17.2).
Die Zahl konfessionell motivierter Gewalttaten geht seit dem Jahr 2013 kontinuierlich zurück (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018). Im Jahr 2018 gab es zwölf Fälle konfessionell motivierter Gewalt (minus 40 % zum Vorjahr) mit 51 Todesopfern (minus 31 % zum Vorjahr). Sieben der zwölf Angriffe galten Mitgliedern der schiitischen Glaubensgemeinschaft und drei Angriffe wurden gegen Sunniten durchgeführt. Zehn der zwölf Angriffe fanden in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan statt (PIPS 7.1.2019).
Bei einem terroristischen Anschlag durch den Islamischen Staat im November 2018 auf einen Markt in einer schiitisch dominierten Gegend in Orakzai, Khyber Pakhtunkhwa, wurden 35 Menschen getötet (darunter über zwei Dutzend Schiiten, sieben Sunniten und drei Sikh). (PIPS 7.1.2019; vgl. ET 23.11.2018).
Es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen von Schiiten während des religiösen Feiertages Muharram (UKHO 1.2019). Einige Bundes- und Provinzbehörden schränken rund um das schiitische Muharram-Fest die Bewegungsfreiheit von Klerikern, die dafür bekannt sind, konfessionelle Gewalt zu propagieren, ein (USDOS 29.5.2018; vgl. HRCP 3.2019) und hunderttausende Sicherheitskräfte werden im ganzen Land während des Aschura-Fests zum Schutz der schiitischen Zeremonien eingesetzt, die gemäß Beobachtern 2017 friedlicher als in den Vorjahren abliefen. Das sunnitisch-deobandi-dominierte Pakistan Ulema Council rief für Muharram 2017 die sunnitische Gemeinschaft auf, schiitischen Prozessionen Respekt entgegenzubringen und von Konfessionalismus abzusehen (USDOS 29.5.2018).
Das Militär stellt Eskorten für schiitische Pilger zur Verfügung, die durch Sindh und Belutschistan in den Iran reisen. Zwischen den organisierten Eskorten können jedoch längere Zeiträume von bis zu drei Monaten liegen. Somit sind schiitische Pilger gezwungen, ihre Reise zu verschieben, oder das Risiko gezielter Angriffe durch militante Gruppen einzugehen (DFAT 20.2.2019; vgl. UKHO 1.2019).
[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]
Ethnische Minderheiten
Pakistan ist ein multiethnischer und multilingualer Staat (GIZ o.D.). Laut Volkszählung 2017 leben in Pakistan ca. 207,7 Millionen Menschen (PBS 2017d). Laut CIA World Factbook ist die ethnische Zusammensetzung: Punjabi 44,7 %, Paschtunen 15,4 %, Sindhi 14,1 %, Saraiki 8,4 %, Muhajirs 7,6 %, Belutschen 3,6 %, andere ethnische Gruppen 6,3 % (CIA 5.2.2019). Laut Volkszählung 2017 ist die Bevölkerungsverteilung nach Muttersprache: Punjabi 44,15 %, Paschto 15,42 %, Sindhi 14,1 %, Saraiki 10,53 %, Urdu 7,57 %, Belutschisch 3,57 %, andere 4,66 % (PBS 2017c).
In Karatschi ging die Regierung seit 2013 u.a. gegen die radikalen Flügel von politischen Parteien vor, die in erster Linie eine ethnische Gruppe vertreten. Durch dieses Vorgehen konnten die Opferzahlen von politischer und religiös-konfessioneller Gewalt sowie durch Bandenkriminalität massiv verringert werden (PIPS 7.1.2018).
Das Pak Institute for Peace Studies (PIPS) berichtet für das Jahr 2018 von landesweit 22 Vorfällen ethnisch oder politisch motivierter Gewalt mit insgesamt 11 Todesopfern und 55 Verletzten (PIPS 7.1.2019).
Gemäß Menschenrechtsorganisationen wurden zahlreiche paschtunische Rechtsaktivisten sowie sindhi- und belutschische Nationalisten ohne Grund oder Haftbefehl verhaftet oder es kam zu Fällen von Verschwindenlassen. Nationalistische Parteien im Sindh beschuldigen Sicherheitsbehörden der Entführung und Tötung von sindhi-politischen Aktivisten (USDOS 13.3.2019).
IDPs
Seit 2008 wurden insgesamt ungefähr 5,3 Millionen Menschen durch Aufstände, die Bekämpfung der Aufstände und andere damit im Zusammenhang stehende Gewaltakte vertrieben (EASO 10.2018; vgl. UN OCHA 25.10.2017). Als Folge der Mitte 2014 begonnenen Militäroperation Zarbe-Azb, die sich im Wesentlichen auf die zentralverwalteten Stammesgebiete FATA konzentrierte, mussten rund 1,8 Mio. Menschen ihre Wohngebiete verlassen und galten seither als IDPs (ÖB 10.2018). Stand 30.9.2017 sind rund 5,05 Millionen Binnenvertriebene zurückgekehrt (UN OCHA 25.10.2017), Stand 31.5.2018 blieben insgesamt ca. 29.400 Familien im Binnenexil (UN OCHA 31.5.2018). Es gibt keine Berichte über unfreiwillige Rückkehrer (USDOS 13.3.2019).
Im globalen Bericht über Binnenvertriebene für das Jahr 2018 gab die International Displacement Monitoring Centre (IDMC) 75.000 neue konfliktbedingte Vertreibungen für das Jahr 2017 an. IDMC gab Chaman (ein Gebiet an der Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan) und die Sektoren Abbasur und Sialkot (an der Grenze zwischen Pakistan und Indien) als Gebiete an, in denen es im Jahr 2017 zu Vertreibungen kam (EASO 10.2018)
Der Großteil der Binnenvertriebenen wohnt bei Gastfamilien oder in gemieteten Unterkünften und nur in geringem Ausmaß in Lagern. Zahlreiche Binnenvertriebene siedelten sich in informellen Siedlungen am Rande der Großstädte wie Lahore und Karatschi an (USDOS 13.3.2019). Rund ein Drittel der registrierten IDPs hatte Schätzungen von UNOCHA zufolge Anfang 2016 keinen Zugang zu Trinkwasser, zwei Dritteln fehlte es an ausreichender Nahrung; weitere Problembereiche betrafen die oft unzureichende Unterbringung, die mangelnden Bildungs- (69 % der minderjährigen IDPs gehen nicht zur Schule) und Gesundheitseinrichtungen sowie generell die ungenügende Infrastruktur (Stromversorgung, sanitäre Einrichtungen, etc.). Aktuelle Zahlen dazu liegen nicht vor, aufgrund der großen Zahl an Rückkehrer/innen kann aber von einer Verbesserung der humanitären Lage ausgegangen werden (ÖB 10.2018).
Trotz des Mangels an lokaler Infrastruktur wollen viele Vertriebene heimkehren. Das World Food Programme verteilt eine monatliche Nahrungsration an Binnenvertriebene in Khyber Pakhtunkhwa (USDOS 13.3.2019) und stellte weiterhin eine halbjährliche Nahrungsration für Binnenvertriebene bereit, die in ihre Herkunftsgebiete in der ehemaligen FATA zurückkehrten (USDOS 13.3.2019; vgl. TA 22.3.2019).
Die Militäroperationen und Aktionen gegen Aufständische in den [ehem.] FATA sind abgeschlossen, aber die Region ist eine ehemalige Kriegszone und Instabilität ist weiterhin eine Bedrohung (Dawn 29.5.2018). Die geordnete Rückführung der Binnenvertriebenen in die betroffenen Regionen der Stammesgebiete, die Beseitigung der Schäden an Infrastruktur und privatem Eigentum ebenso wie der Wiederaufbau in den Bereichen zivile Sicherheitsorgane, Wirtschaft, Verwaltung und Justiz stellen Regierung, Behörden und Militär vor große Herausforderungen (AA 21.8.2018).
Obwohl die Bundesregierung Geldmittel für rückkehrende Vertriebene und für den Wiederaufbau zur Verfügung stellt, wurde bisher nur wenig davon eingesetzt. Märkte sind leer, die Infrastruktur zerstört und die Lager geplündert; es gibt einen Mangel an Trinkwasser, Unterkünften, Elektrizität, Bildung und Gesundheitsvorsorge. Soldaten benutzen weiterhin Wohnhäuser und Schulgebäude, auch in relativ sicheren Gebieten der ehem. Stammesgebiete. Dies führt dazu, dass zurückgekehrte Binnenvertriebene wieder in andere Regionen von Khyber Pakhtunkhwa übersiedeln (ICG 20.8.2018).
Die Regierung kooperiert mit dem UNHCR und anderen Menschenrechtsorganisationen bei der Gewährleistung von Schutz und Hilfe für IDPs, Flüchtlinge, Asylsuchende und zurückkehrende Flüchtlinge. Humanitäre Organisationen müssen von der Regierung ein „No Objection Certificate“ beantragen, um in allen Distrikten der ehemaligen FATA tätig sein zu dürfen [vgl. dazu Abschnitt 8]. Trotz der großen Zahl an Binnenvertreibungen aufgrund von Naturkatastrophen, Terrorismus und Anti-Terror-Operationen gibt es keine spezielle gesetzliche Regelung, die die Rechte von Binnenvertriebenen festlegt (USDOS 13.3.2019).
Grundversorgung und Wirtschaft
Pakistans Wirtschaft hat wegen einer günstigen geographischen Lage, Ressourcenreichtum, niedrigen Lohnkosten, einer jungen Bevölkerung und einer wachsenden Mittelschicht Wachstumspotenzial. Dieses Potenzial ist jedoch aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, periodisch wiederkehrender makroökonomischer sowie politischer Instabilität und schwacher institutioneller Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Als größte Wachstumshemmnisse gelten Korruption, ineffiziente Bürokratie, ein unsicheres regulatorisches Umfeld, eine trotz Verbesserungen in den letzten Jahren relativ teure bzw. unzureichende Energieversorgung und eine – trotz erheblicher Verbesserung seit 2014 – teils fragile Sicherheitslage (AA 5.3.2019).
Der wichtigste Wirtschaftssektor in Pakistan ist der Dienstleistungssektor (Beitrag zum BIP 59 %; der Sektor umfasst u. a. auch den überproportional großen öffentlichen Verwaltungsapparat). Auch der Industriesektor ist von Bedeutung (Beitrag zum BIP 21 %). Der bei weitem wichtigste Exportsektor ist die Textilbranche. Einen dem Industriesektor vergleichbaren Beitrag zum BIP (20 %) leistet die Landwirtschaft, in der jedoch 42 % der arbeitenden Bevölkerung tätig ist. Etwa 60 % der ländlichen Bevölkerung hängen direkt oder indirekt vom landwirtschaftlichen Sektor ab. Die Provinz Punjab gehört unter anderem bei Getreideanbau und Viehzucht zu den weltweit größten Produzenten (AA 5.3.2019; vgl. GIZ 2.2019a).
Die pakistanische Wirtschaft wächst bereits seit Jahren mit mehr als vier Prozent. Für 2018 gibt der Internationale Währungsfonds (IWF) sogar ein Plus von 5,6 Prozent an. Das Staatsbudget hat sich stabilisiert und die Börse in Karatschi hat in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebt. Erreicht wurde dies durch einschneidende Reformen, teilweise unterstützt durch den IWF. In der Vergangenheit konnte Pakistan über die Jahrzehnte hinweg jedoch weder ein solides Wachstum halten noch die Wirtschaft entsprechend diversifizieren. Dies kombiniert mit anderen sozioökonomischen und politischen Faktoren führte dazu, dass immer noch etwa ein Drittel der pakistanischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt (GIZ 2.2019a).
Das Programm Tameer-e-Pakistan soll Personen bei der Arbeitssuche unterstützen (IOM 2018). Das Kamyab Jawan Programme, eine Kooperation des Jugendprogrammes des Premierministers und der Small and Medium Enterprises Development Authority (SMEDA), soll durch Bildungsprogramme für junge Menschen im Alter zwischen 15 und 29 die Anstellungsmöglichkeiten verbessern (Dawn 11.2.2019).
Sozialbeihilfen
Der staatliche Wohlfahrtsverband überprüft an Hand spezifischer Kriterien, ob eine Person für den Eintritt in das Sozialversicherungssystem geeignet ist. Die Sozialversicherung ist mit einer Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Sektor verknüpft (IOM 2018). Das Benazir Income Support Program und das Pakistan Bait-ul-Mal vergeben ebenfalls Unterstützungsleistungen (USSSA 3.2017).
Pakistan Bait-ul-Mal ist eine autonome Behörde, die Finanzierungsunterstützung an Notleidende, Witwen, Waisen, Invalide, Kranke und andere Bedürftige vergibt. Eine Fokussierung liegt auf Rehabilitation, Bildungsunterstützung, Unterkunft und Verpflegung für Bedürftige, medizinische Versorgung für mittellose kranke Menschen, der Aufbau kostenloser medizinischer Einrichtungen, Berufsweiterbildung sowie die finanzielle Unterstützung für den Aufbau von selbständigen Unternehmen (PBM o.D).
Das Benazir Income Support Programme zielt auf verarmte Haushalte insbesondere in abgelegenen Regionen ab. Durch Vergabe von zinsfreien Krediten an Frauen zur Unternehmensgründung, freie Berufsausbildung, Versicherungen zur Kompensation des Verdienstausfalles bei Tod oder Krankheit des Haupternährers und Kinderunterstützungsgeld sollen insbesondere Frauen sozial und ökonomisch ermächtigt werden (ILO 2017).
Die Edhi Foundation ist die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edih o.D.).
Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Distrikten der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).
Medizinische Versorgung
In Islamabad und Karatschi ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem hohen Niveau und damit auch teuer (AA 13.3.2019). In modernen Krankenhäusern in den Großstädten konnte – unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit – eine Behandlungsmöglichkeit für die am weitesten verbreiteten Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z. B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden und sind für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich (AA 21.8.2018).
In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen (AA 21.8.2018).
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz gewährleistet die Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung (USDOS 13.3.2019). Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 1.2019, HRCP 3.2019). Es gibt einzelne rechtliche Einschränkungen, Wohnort, Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu wechseln (FH 1.2019).
Rückkehr
Unter gewissen Voraussetzungen verstoßen Pakistani mit ihrer Ausreise gegen die Emigration Ordinance (1979) oder gegen den Passport Act, 1974. Laut Auskunft der International Organization for Migration (IOM) werden Rückkehrende aber selbst bei Verstößen gegen die genannten Rechtsvorschriften im Regelfall nicht strafrechtlich verfolgt. Es sind vereinzelte Fälle an den Flughäfen Islamabad, Karatschi und Lahore bekannt, bei denen von den Betroffenen bei der Wiedereinreise Schmiergelder in geringer Höhe verlangt wurden. Rückkehrende, die nicht über genügend finanzielle Mittel verfügen um Schmiergelder zu zahlen, werden oft inhaftiert (ÖB 10.2018).
Zurückgeführte Personen haben bei ihrer Rückkehr nach Pakistan allein wegen der Stellung eines Asylantrags nicht mit staatlichen Repressalien zu rechnen. Eine über eine Befragung hinausgehende besondere Behandlung Zurückgeführter ist nicht festzustellen. Die Rückführung von pakistanischen Staatsangehörigen ist nur mit gültigem pakistanischem Reisepass oder mit einem von einer pakistanischen Auslandsvertretung ausgestellten nationalen Ersatzdokument möglich, nicht aber mit europäischen Passersatzdokumenten (AA 21.8.2018).
[Ungeachtet anderer Bedrohungslagen; vgl. andere relevante Abschnitte des LIB; Anm.] hält die Österreichische Botschaft Islamabad fest, dass es bei oppositioneller Betätigung im Ausland bislang zu keinen ha. bekannten Problemen bei der Rückkehr gekommen ist. Dasselbe gilt für im Ausland tätige Journalist/innen und Menschenrechtsaktivist/innen. Auch der im Rückkehrbereich langjährig tätigen International Organization for Migration (IOM) liegen keine diesbezüglichen Fälle vor (ÖB 10.2018).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen, auch für zurückkehrende, alleinstehende Frauen und unbegleitete Minderjährige, sind in Pakistan nicht vorhanden. Rückkehrer erhalten keinerlei staatliche Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen. EU-Projekte, wie z. B. das European Reintegraton Network (ERIN), sollen hier Unterstützung leisten (AA 21.8.2018).
Das Rückkehrprogramm ERIN wird von der pakistanischen NGO WELDO mit Finanzierung von AMIF und zahlreichen EU-Staaten durchgeführt (WELDO o.D.b). In 113 Bezirken werden Leistungen zur Reintegration und Unterstützung bereitgestellt. Die Programme sollen Rückkehrer wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Das Ausbildungsprogramm wird dem Bedarf am Arbeitsmarkt und der jeweilige Person angepasst. Gegenwärtig liegt der Fokus der Organisation in der nachhaltigen Integration von pakistanischen Staatsangehörigen nach ihrer Rückkehr (freiwillig oder unfreiwillig) aus den Partnerländern. Beratung und Unterstützung in der Zielregion wird in verschiedenen Sprachen geboten. Es gibt verschiedene Programme für verschiedene vulnerable Personengruppen (WELDO o.D.a).
Die der Österreichischen Botschaft in der Vergangenheit seitens der im Rückkehrbereich tätigen NGO WELDO mitgeteilten Probleme – wie etwa angespannte Familiensituation aufgrund finanzieller Notlagen, schleppende Berufsreintegration und unzureichendes Einkommen oder Fehlen psychosozialer Betreuung – wurden in einem rezenten Gespräch mit Vertretern der International Organization for Migration (IOM) nicht bestätigt. Auch das von WELDO kritisierte Fehlen psychosozialer Betreuung der Rückkehrenden bestehe laut IOM nicht (ÖB 10.2018).
IOM bietet im Rahmen ihres Programmes Assisted Voluntary Return & Reintegration (AVRR) die folgenden Leistungen an (Laufzeit von einem Jahr; entsprechendes Monitoring inkludiert): Betreuung bei Ankunft am Flughafen (Islamabad, Lahore); Unterbringung bis zur Fahrt nach Hause; Berufs- bzw. Bildungsberatung und in der Folge entsprechende Unterstützung; medizinische Hilfeleistungen; besondere Unterstützungsleistungen für vulnerable Personengruppen (alleinstehende Frauen, minderjährige Kinder) (ÖB 10.2018; vgl. IOM o.D.).
IOM führt in seinem Länderinformationsblatt für Pakistan mit Bezug auf pakistanische Rückkehrer an, dass diese bei der Arbeitssuche auch Unterstützung durch das Tameer-e-Pakistan Programm – einer Armutsbekämpfungsmaßnahme mit Ziel Arbeitsplätze im Land und Einkommensquellen für Armutsbevölkerung zu schaffen – erhalten können (IOM 2018).
DFAT Country Information Report Pakistan, 20.02.2019
Identitätsausweise (Computerised and Smart National Identity Cards – CNICS und SNICs)
5.52 CNICs und Snics sind die häufigste Form der Identifizierung in Pakistan. Sie sind erforderlich um einen Reisepass oder Führerschein zu erhalten, um eine formelle Anstellung zu erhalten, für die Registrierung als Wähler, um Zugang zu Dienstleistungen wie Bankkonten zu bekommen, für den Erhalt einer SIM-Karte, um neue Wasser-, Strom- oder Gaskonten eröffnen oder Fahrzeuge und Grundstücke kaufen zu können, oder um Zugang zu einer höheren Hochschule oder Universität zu erhalten. NADRA (National Database and Registration Authority) begann 2012 ein Programm, um alle CNICs durch Snics zu ersetzen, mit dem Ziel, bis 2020 fertig zu werden. Da SNICS jedoch teurer sind als CNIC und mit anderen grundlegenden Dienstleistungen wie Rechnungszahlung, Post und Steuern verbunden sind, erhalten viele Pakistaner keine SNICS.
5.55 Antragsteller aus der ehemaligen FATA und einigen Teilen von Khyber Pakhtunkhwa und Balochistan müssen ihre Anträge von einem stellvertretenden Kommissar unterschrieben haben.
Hazara
3.41 Hazaras geben an, dass innerhalb der Enklaven für einen Zugang zu Dienstleistungen, einschließlich mobiler SIM-Karten und Internet-Verbindungen, keine formalen Dokumente benötigt werden, wie z.B. ein Reisepass oder CNIC. Jedoch sind Reisen in oder zwischen den Enklaven mit Dokumentenkontrollen verbunden, die dazu dienen können, den Zugang zu Dienstleistungen zu sperren. Während die meisten Hazaras in Pakistan formale Identitätsdokumente wie CNICs erhalten können, behaupten Hazaras, dass die Beamten der Nationalen Datenbank und Registrierungsbehörde (NADRA) zeitweise Verzögerungen für Hazaras, die um offizielle Unterlagen beantragt haben, verursacht haben. Hazaras erlitten tödliche Angriffe außerhalb des NADRA-Büros in Quetta, das sich außerhalb der Enklaven befindet, während sie versuchten, Pässe und CNICs zu erhalten. Infolgedessen fühlen sich viele Hazaras nicht sicher dabei, die Enklave zu verlassen, um eine Dokumentation zu beantragen.
3.43 Trotz des Risikos Unterlagen zu erhalten verlassen Hazaras, die es sich leisten können, Quetta. Hazaras berichten, dass es außerhalb von Belutschistan sicherer ist, getrennt in der allgemeinen Gemeinschaft zu leben, als in der Nähe anderer Hazaras, wo sie leicht erkannt und ein Ziel werden können. Hazaras bevorzugte Optionen für interne Verlagerungen ihres Wohnsitzes sind der Reihe nach Lahore, Karachi und Islamabad. Hazaras berichten, dass die wenigen Hazara-Enklaven in Karatschi, wie Mungo Pir, unsicher sind und nur aus der Notwendigkeit entstanden sind, dass ärmere Hazaras Ressourcen bündeln mussten.
3.45 DFAT ist sich der Berichte bewusst, dass NADRA-Beamte sich geweigert haben, CNICs von Hazaras zu ändern, die versuchen, innerhalb Pakistans umzuziehen, wodurch sie daran gehindert werden, einen Pass zu beantragen, der am Wohnort erhält