TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/2 W127 2213608-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.09.2020
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Entscheidungsdatum

02.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W127 2213608-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Fischer-Szilagyi über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.12.2018, Zl. 1127757700-161182365, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer ist in die Republik Österreich eingereist und hat am 28.08.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.08.2016 und der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.11.2018 begründete der Beschwerdeführer seine Antragstellung im Wesentlichen mit einer Gefährdung aufgrund einer Tätigkeit als Polizist in Afghanistan.

3. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Es wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG „2 Wochen“ ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung hielt das Bundesamt fest, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung seiner Person vorgebracht habe. Die belangte Behörde führte sinngemäß aus, eine Furcht des Beschwerdeführers aufgrund einer Tätigkeit als Polizist sei nicht begründet, und bemängelte überdies die Plausibilität der Angaben des Beschwerdeführers zu einer Bedrohung durch Taliban. Eine sichere Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimatprovinz Kunduz sei derzeit nicht möglich, ihm stehe aber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif zur Verfügung.

4. Hiegegen wurde Beschwerde erhoben und der Bescheid hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis V. bekämpft. In der Rechtsmittelschrift wurde insbesondere ausgeführt, dem Beschwerdeführer drohe in Afghanistan aufgrund seiner Tätigkeit für die Polizei Verfolgung im Zusammenhang mit einer ihm unterstellten politischen Gesinnung. Es sei den Taliban durchaus möglich, von ihnen verfolgte Personen bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu lokalisieren. Die Schutzfähigkeit des afghanischen Staates sei unzureichend und auch als verwestlicht wahrgenommene Rückkehrer wären bedroht. Der Beschwerdeführer erstattete weiters Vorbringen zu der schwierigen Versorgungslage in Afghanistan und der vom Bundesamt angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif.

5. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 24.01.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6. Mit Schreiben vom 13.02.2019 (gemeint wohl 13.02.2020), hg. eingelangt am 14.02.2020, brachte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist und seiner Weigerung, den Dienst zu quittieren, ins Visier der Taliban geraten sei. Er habe sich so gegenüber den Taliban exponiert und drohe ihm Verfolgung im gesamten Staatsgebiet Afghanistans. Dem Beschwerdeführer sei mittlerweile ein Drohbrief der Taliban übermittelt worden, der in Kopie vorgelegt werde.

7. Am 17.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der auch das Bundesamt teilnahm. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari insbesondere zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt. Der Beschwerdeführer brachte zu den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten eine vorbereitete, mit 16.06.2019 (gemeint wohl 16.06.2020) datierte schriftliche Stellungnahme ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt und in den Gerichtsakt, durch Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und Einsichtnahme in die in der Verhandlung vorgelegten Dokumente sowie durch Einsicht insbesondere in folgende Länderberichte: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019, aktualisiert mit 18.05.2020; EASO Country Guidance Afghanistan vom Juni 2019; EASO, Afghanistan: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen, Dezember 2017; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 02.09.2019; ACCORD, ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan, 26.05.2020; ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif, 26.05.2020; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Masar-e Scharif und Umgebung, 30.04.2020; ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung), 05.06.2020.

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er ist in das Bundesgebiet eingereist und hat am 28.08.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan in der Provinz Kunduz geboren, aufgewachsen und hat sich dort den Großteil seines Lebens aufgehalten. Er hat etwa neun Jahre lang eine Schule bzw. Koranschule besucht, kann in der Sprache Dari zumindest einigermaßen lesen und schreiben und spricht auch etwas Englisch.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben, er hat aber noch mehrere Brüder und Schwestern sowie weitere Verwandte, die zumindest teilweise noch in Afghanistan leben und zu denen er bei einer Rückkehr den Kontakt wiederherstellen kann.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund, arbeitsfähig, ledig und hat keine Kinder. Er hat in Österreich keine nahen Angehörigen oder sonstige enge Bindungen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich bis zur mündlichen Verhandlung keine Deutschkurse absolviert, spricht nur wenig Deutsch und hat auch sonst außer einem Erste-Hilfe-Kurs und zwei Integrations-Vorträgen keine Kurse besucht oder eine Ausbildung gemacht. Er ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Der Beschwerdeführer hat gemeinnützige Tätigkeiten verrichtet, ist in Österreich aber noch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist nicht legal in das Bundesgebiet eingereist und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil eines Landesgerichtes vom 29.10.2019, rechtskräftig am 05.11.2019, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und § 27 Abs. 2 SMG zu einer teilweise bedingten Geldstrafe verurteilt.

1.2. Zum Fluchtvorbringen:

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner konkret gegen seine Person gerichteten Bedrohung ausgesetzt. Auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer keine physische oder psychische Gewalt seitens der Taliban aufgrund einer Tätigkeit des Beschwerdeführers für die afghanische Polizei.

Dem Beschwerdeführer droht auch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit bzw. Religionszugehörigkeit oder aufgrund seines Aufenthaltes in Österreich weder Gewalt noch erhebliche Diskriminierung. Weiters haben sich keine Anhaltpunkte ergeben, dass eine Asylantragstellung im Ausland oder eine rechtswidrige Ausreise zu Sanktionen oder Repressionen in Afghanistan führen würde.

Der Beschwerdeführer hat bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine sonstige konkret gegen seine Person gerichtete Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Privatpersonen zu erwarten.

1.3. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 bis 42 % Paschtunen, 27 bis 30 % Tadschiken, 9 bis 10 % Hazara, 9 % Usbeken, ca. 4 % Aimaken, 3 % Turkmenen und 2 % Belutschen. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen können weiterhin in Konflikten und Tötungen resultierten.

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit.

Etwa 99,7 % der Bevölkerung Afghanistans sind Muslime, der Großteil davon sind Sunniten. Schätzungen zufolge, sind etwa 10 bis 19 % der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie beispielsweise Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1 % der Bevölkerung aus. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Eine Person wird allerdings in Afghanistan nicht notwendigerweise als nichtgläubig angesehen, wenn sie nicht an religiösen Handlungen im öffentlichen Raum teilnimmt, da es auch viele Muslime gibt, die nicht regelmäßig die Moschee besuchen. Auch für strenggläubige Muslime kann es darüber hinaus legitime Gründe geben, religiösen Zeremonien fernzubleiben.

Für als „verwestlicht“ wahrgenommene Männer besteht in Afghanistan generell nur ein geringes Verfolgungsrisiko – insbesondere im urbanen Bereich.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.

Bei der Beurteilung, ob Angehörige der Sicherheitskräfte im konkreten Fall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, sind die individuellen Umstände zu berücksichtigen, wie etwa Arbeitsort und Exponierung, Herkunftsregion und Präsenz von Aufständischen, Zeitspanne seit dem Verlassen der Sicherheitskräfte und persönliche Feindschaften.

Kunduz, die Heimatprovinz des Beschwerdeführers, ist eine strategisch wichtige Provinz im Norden Afghanistans. Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kunduz für den Zeitraum 2019-20 auf 1.113.676 Personen, davon 356.536 in der Stadt Kunduz. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara, Aymaq und Pashai. Die Sicherheitslage der Provinz hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Sowohl 2015 als auch 2016 kam es zu einer kurzfristigen Einnahme der Provinzhauptstadt Kunduz City durch die Taliban und auch Ende August 2019 nahmen die Taliban kurzzeitig Teile der Stadt ein. Kunduz war die letzte Taliban-Hochburg vor deren Sturz im Jahr 2001. Die Taliban waren im Jahr 2018 in den Distrikten Dasht-e-Archi und Chahar Darah aktiv, wo sich die staatliche Kontrolle auf kleine Teile der Distriktzentren und einige benachbarte Dörfer beschränkte. Im Februar 2019 haben sie Berichten zufolge im Distrikt Dasht-e-Archi eine parallele Schattenregierung gebildet, die einen Distriktgouverneur, Bildungsleiter, Justiz, Gesundheit, Öffentlichkeitsarbeit, Militär und die Finanzkomitees umfasst. Diese Posten werden von jungen Paschtunen und Usbeken aus dem Distrikt besetzt. In Ali Abad, Imam Sahib und Khan Abad erreichte die Präsenz der Regierung fast die Hälfte der Distrikte, während die restlichen Teile umstritten waren. Aqtash, Calbad und Gultipa standen zum Berichtszeitraum November 2018 weitgehend oder vollständig unter der Kontrolle der Taliban. Außerdem soll eine aufständische Gruppe namens Jabha-ye Qariha im Distrikt Dasht-e-Archi aktiv sein. Darüber hinaus sind Zellen des „Islamischen Staates“ (IS) in der nördlichen Provinz Kunduz aufgetaucht; auch soll der IS dort Basen und Ausbildungszentren unterhalten. Es kommt in Kunduz zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den Sicherheitskräften. Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 492 zivile Opfer (141 Tote und 351 Verletzte) in der Provinz Kunduz. Dies entspricht einer Steigerung von 46 % gegenüber 2018.

Die Provinz Kabul liegt in Zentralafghanistan östlich von Parwan und Wardak und hat laut Schätzungen etwa 5 Millionen Einwohner. Außerhalb der Hauptstadt sind von den aufständischen Gruppierungen in Afghanistan vor allem die Taliban aktiv, Berichten zufolge stehen aber keine Distrikte unter der Kontrolle von Aufständischen. Die Hauptstadt der Provinz Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Kabul-Stadt ist über den Flughafen gut zu erreichen. Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Die Lage in der Hauptstadt ist noch als hinreichend sicher und stabil zu bezeichnen, wenngleich es immer wieder zu Anschlägen mit zahlreichen Opfern kommt. Diese Anschläge ereignen sich allerdings oft im Nahbereich von staatlichen bzw. ausländischen Einrichtungen oder NGOs. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, dennoch führten Aufständische sowohl im gesamten Jahr 2018 als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2 % gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern und gezielten Tötungen. Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden. Dabei kam es auch zu zivilen Opfern. Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch.

Die nordafghanische Provinz Balkh ist von hoher strategischer Bedeutung und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e Khumri und ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut, es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Nach Schätzungen leben nahezu 1,5 Millionen Menschen in der Provinz Balkh, davon etwa 470.000 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, die von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans und hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen.

Herat ist eine wirtschaftlich relativ gut entwickelte Provinz im Westen des Landes und ist über einen internationalen Flughafen in der Provinzhauptstadt gut erreichbar. Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer mehrheitlich paschtunischen Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert und besonders der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden. Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt, die als „sehr sicher“ gilt, und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Auch in Herat-Stadt ist ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität zu verzeichnen. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48 % gegenüber 2017. Die Hauptursachen für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper, gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen.

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Rückkehrer nach Afghanistan sind zunächst oft – wie auch große Teile der dort ansässigen Bevölkerung – auf gering qualifizierte Beschäftigungen oder Gelegenheitstätigkeiten angewiesen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Nahrungsmittel, grundlegende Gesundheitsversorgung und Zugang zu Trinkwasser sind in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif grundsätzlich verfügbar. Die humanitäre Situation in Afghanistan hat sich durch eine schwere Dürre – insbesondere die Regionen im Norden und Westen des Landes – weiter verschärft, die Preise für Weizen und Brot blieben dennoch vergleichsweise stabil. Durch eine verstärkte Landflucht wurde zusätzlich auch die Wohnraumbeschaffung und Arbeitssuche erschwert.

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Return and Reintegration Network (ERRIN) wird im Rahmen des ERRIN Specific Action Program sozioökonomische Reintegrationsunterstützung in Form von Beratung und Vermittlung für freiwillige und erzwungene Rückkehrer angeboten. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bietet im Bereich Rückkehr verschiedene Programme zur Unterstützung und Reintegration von Rückkehrern nach Afghanistan an. Hinsichtlich des Ausmaßes und der Art von Unterstützung wird zwischen freiwillig und unfreiwillig zurückgeführten Personen unterschieden. Das von IOM durchgeführte Assisted Voluntary Return and Reintegration (AVRR) Programme besteht aus einer Kombination von administrativen, logistischen und finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für Personen, welche beschließen, freiwillig aus Europa, Australien und der Türkei in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren. Im Zuge des AVRR-Programmes wurden im Jahr 2018 von IOM 2.182 Rückkehrer unterstützt. Etwa die Hälfte von ihnen erhielt Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens. Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt. IOM gewährte bisher zwangsweise rückgeführten Personen für 14 Tage Unterkunft in Kabul. Seit April 2019 erhalten Rückkehrer nur noch eine Barzahlung in Höhe von ca. 150 Euro sowie Informationen, etwa über Hotels. Die zur Verfügung gestellten 150 Euro sollen zur Deckung der ersten unmittelbaren Bedürfnisse dienen und können je nach Bedarf für Weiterreise, Unterkunft oder sonstiges verwendet werden. Nach Auskunft des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hat lediglich eine geringe Anzahl von Rückgeführten die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM genutzt. In den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind Unterkünfte grundsätzlich verfügbar, aufgrund der hohen Mietkosten für (reguläre) Wohnungen und Häuser – insbesondere in der Stadt Kabul – lebt ein großer Teil der Bevölkerung aber in informellen Siedlungen bzw. gibt es auch die Möglichkeit, nur ein Zimmer zu mieten oder in Teehäusern (chai khana) zu übernachten.

Zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afghanistan:

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt, mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet.

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Die Regierung Afghanistans gab am 06.06.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert.

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet.

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden.

Am 18.07.2020 kündigte die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken. Die Weltbank genehmigte am 15.07.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten.

Verschiedenen COVID-19-Modellen zufolge wird der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet. Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen. Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 bis 31 Prozent gestiegen sind.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit und Schulbildung des Beschwerdeführers sowie zu seinen Verwandten in Afghanistan beruhen auf den diesbezüglich plausiblen und im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Asylverfahrens.

Soweit der Beschwerdeführer zu seinen Verwandten in Afghanistan angegeben hat, dass er zu seinen Geschwistern und zu weiteren Verwandten keinen Kontakt mehr hat, ist festzuhalten, dass kein substantiiertes Vorbringen erstattet wurde, warum es dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich sein sollte, zu den weiterhin in Afghanistan lebenden Verwandten den Kontakt wiederaufzunehmen (vgl. EASO Country of Origin Information Report Afghanistan: Networks, Jänner 2018). Auch im Falle einer früheren Bedrohung durch Taliban aufgrund einer bis 2015 ausgeübten Tätigkeit für die afghanische Polizei ist nicht zu erkennen, warum Verwandte mit dem Beschwerdeführer nicht telefonisch in Kontakt treten und diesen allenfalls auch finanziell unterstützen würden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es dem Beschwerdeführer sowohl während des erstinstanzlichen Verfahrens als auch im Laufe des Beschwerdeverfahrens möglich war, sich (offenbar von seinem Bruder) Unterlagen betreffend seinen Fluchtgrund aus Kabul City nachsenden zu lassen.

Auch die Feststellungen zum Alter, Familienstand, zur Arbeitsfähigkeit sowie zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers stützen sich auf dessen insofern plausible Angaben.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes.

Hinsichtlich der Feststellungen zum aktuellen Privat- und Familienleben sowie zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden das Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie die vorgelegten Nachweise den Feststellungen zugrunde gelegt. Der Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung geht aus einem seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem (GVS) hervor. Die Feststellungen zur Straffälligkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich, die in der mündlichen Verhandlung mit dem Beschwerdeführer erörtert wurde.

2.2. Zum Fluchtvorbringen:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wertete das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine Bedrohung durch Taliban aufgrund der behaupteten Tätigkeit als Polizist (offenbar mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine begründete Furcht vor Verfolgung) als nicht asylrelevant und wies darüber hinaus auf eine mangelnde Plausibilität der Angaben hin. Dieser Eindruck der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers verstärkte sich im Rechtsmittelverfahren noch, da sich im Beschwerdeverfahren weitere Ungereimtheiten im Vorbringen ergaben, welche der Beschwerdeführer nicht schlüssig zu erklären vermochte.

Die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hat vor allem auch zu berücksichtigen, ob dieser außerhalb des unmittelbaren Fluchtvorbringens die Wahrheit gesagt hat. Neben Ungereimtheiten betreffend das Alter (sowie einer Zwillingsgeburt) der Geschwister des Beschwerdeführers machte der Beschwerdeführer auch zu den Orten in Afghanistan, an denen er sich längere Zeit aufgehalten hat, abweichende Angaben. Während er vor dem Bundesamt fünf Jahre in Kandahar, sechs Monate in Kabul sowie eine unbestimmte Zeit in Jalalabad angegeben hat, nannte der Beschwerdeführer über Befragen in der mündlichen Verhandlung ungefähr vier Jahre in Kandahar und sechs bis sieben Monate in Jalalabad – Kabul blieb unerwähnt. Auch über Vorhalt der Angaben vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht – abweichend vom Inhalt der Niederschrift der Einvernahme am 12.11.2018 – an, er sei vom Bundesamt nach seiner Reiseroute auf der Flucht gefragt worden und habe Afghanistan über Kabul und Kandahar verlassen. Erst über konkrete Nachfrage, ob der Beschwerdeführer – wie vor dem Bundesamt angegeben – in Kabul eine Ausbildung gemacht habe, bestätigte der Beschwerdeführer die diesbezüglichen Angaben in der Einvernahme. Der Erklärung des Beschwerdeführers, er habe zuvor nur gemeint, wo er dienstlich gewesen sei, und sei nicht gefragt worden, wo er die Ausbildung gemacht habe, ist entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung gefragt wurde, ob er sich außer der angegeben Wohnadresse längere Zeit auch an einem anderen Ort aufgehalten habe.

Obwohl der Beschwerdeführer sowohl bei der Erstbefragung als auch in der Einvernahme vor dem Bundesamt angegeben hat, neun Jahre lang die Schule besucht zu haben, behauptete er in der genannten Einvernahme unter Bezugnahme auf ein zuvor angegebenes Datum, dass er Analphabet sei und sich nicht so gut mit Zahlen auskenne. Auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens, die von ihm besuchte Schule – in der Zeit der Taliban-Herrschaft – sei keine richtige Schule gewesen und habe er diese nicht regelmäßig besucht, ist diese Erklärung doch als Schutzbehauptung zu werten, zumal bei einem neunjährigen Schulbesuch davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer zumindest Grundkenntnisse im Lesen und Schreiben erworben hat; dies ist auch mit der Einvernahme am 12.11.2018 und der mündlichen Verhandlung am 17.06.2020 in Einklang zu bringen, da der Beschwerdeführer bei beiden Gelegenheiten über Aufforderung Daten zu seiner Person auf Dari aufgeschrieben hat.

Nicht nachvollziehbar sind auch die Angaben des Beschwerdeführers zu den Grundstücken bzw. dem Haus der Familie des Beschwerdeführers. Einerseits hätten die Taliban die Grundstücke weggenommen, andererseits beschuldigte der Beschwerdeführer die afghanische Regierung, sie wolle im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan den Beschwerdeführer den Taliban ausliefern, um an seine Grundstücke zu kommen.

Auch die nahezu gänzlich fehlende zeitliche Orientierung bei der Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht mindert die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer hat aber auch zu seinem Fluchtgrund mehrfach abweichende Angaben gemacht, die er nicht nachvollziehbar erklären konnte:

In der Erstbefragung begründete der Beschwerdeführer seine Flucht aus Afghanistan lediglich mit seiner Tätigkeit als Polizist und der Regierungsfeindlichkeit der Taliban – eine konkrete Bedrohung seiner Person wurde nicht behauptet. In der Einvernahme am 12.11.2018 steigerte der Beschwerdeführer dieses Vorbringen bereits und gab zu einer persönlichen Bedrohung an, er habe von seinem Bruder erfahren, dass die Taliban auf der Suche nach ihm seien und ihn umbringen würden (vgl. zu einer Berücksichtigung von Widersprüchen zur Erstbefragung VwGH 24.02.2015, Ra 2014/19/0171 mwN). Dieses Vorbringen erfuhr im Laufe des Beschwerdeverfahrens eine weitere Steigerung, als der Beschwerdeführer mit der Stellungnahme vom 13.02.2019 (richtig 13.02.2020) einen gegen ihn gerichteten Drohbrief der Taliban zur Vorlage brachte. In der mündlichen Verhandlung führte der Beschwerdeführer dazu aus, dieser Brief sei ins Haus geworfen worden, noch bevor das Haus von Taliban abgebrannt worden sei (während er in Kandahar seinen Dienst verrichtet habe) und steigerte seine Angaben unmittelbar darauf nochmals und gab nunmehr an, die Taliban hätten zwei- oder dreimal einen Drohbrief in das Haus seiner Familie geworfen. Die über Vorhalt einer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterbliebenen Erwähnung der Drohbriefe geäußerte Erklärung, der Beschwerdeführer sei danach nicht gefragt worden, kann vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung dieser Drohungen für das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nur als Schutzbehauptung gewertet werden.

Zu dem vorgelegten Drohbrief ist festzuhalten, dass aufgrund der dargelegten Ungereimtheiten erhebliche Zweifel an der Echtheit des Schreibens bestehen, das auch aufgrund unterschiedlicher Gestaltung von Drohbriefen der Taliban sowie in Ermangelung von Sicherheitsmerkmalen kaum überprüfbar ist (vgl. EASO Country of Origin Information report Afghanistan: Insurgent strategies – intimidation and targeted violence against Afghans, Dezember 2012; vgl. auch die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.06.2016 zum Thema Drohbriefe). Darüber hinaus ist nicht nachvollziehbar, warum sich der Beschwerdeführer im Juli 2018 Dokumente bezüglich seiner angegebenen beruflichen Tätigkeit aus Afghanistan übermitteln ließ, ein – undatierter – Drohbrief aber erst im Februar 2020 aus Kabul an den Beschwerdeführer gesandt wurde.

Im Gesamtzusammenhang betrachtet weisen die Angaben des Beschwerdeführers sohin zahlreiche Widersprüche und Ungereimtheiten auf, welche der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar zu klären vermochte. Im Zuge des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht hat sich der Eindruck verstärkt, dass der Beschwerdeführer lediglich eine konstruierte Geschichte wiedergegeben hat, und war daher sein gesamtes fluchtbezogenes Vorbringen als unglaubhaft zu werten. Somit war nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt war bzw. ist.

Auch die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen zum Nachweis seiner Tätigkeit für die afghanische Polizei waren im Ergebnis nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit seines Fluchtvorbringens entscheidend zu stärken, zumal aus diesen keine konkrete Bedrohung des Beschwerdeführers abzuleiten ist. Die nur in Kopie vorgelegten Unterlagen sind ebenfalls einer Überprüfung der Echtheit kaum zugänglich und ist zu berücksichtigen, dass Urkunden und amtliche Bestätigungen in Afghanistan oft gefälscht bzw. unwahren Inhalts sind (vgl. auch die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Fälschungssicherheit von afghanischen Dokumenten und dem Erwerb von Fälschungen vom 14.02.2019: „Demnach können sämtliche Urkunden problemlos gegen Bezahlung oder aus Gefälligkeit gefertigt werden und es besteht eine fehlende Urkundensicherheit.“; vgl. auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, 31.05.2018: „Echte Dokumente unwahren Inhalts gibt es in erheblichem Umfang.“).

Letztlich kann aber dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer tatsächlich als Polizist gearbeitet hat, da er jedenfalls keine gegen seine Person gerichtete Bedrohung glaubhaft machen konnte und aus den Länderberichten nicht hervorgeht, dass in Afghanistan jedem Polizisten bzw. jedem Mitarbeiter der Sicherheitskräfte – ohne Hinzutreten gefahrenerhöhender Umstände – seitens der Taliban mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gewalt droht. Der Beschwerdeführer könnte darüber hinaus einer Bedrohung in seiner Heimatregion in der derzeit unsicheren Provinz Kunduz auch durch eine Neuansiedlung in Herat oder Mazar-e Sharif entgehen, da jedenfalls keine Hinweise hervorgekommen sind, dass in ganz Afghanistan nach dem Beschwerdeführer gesucht würde.

Die Feststellungen hinsichtlich einer nicht bestehenden Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner rechtswidrigen Ausreise, seiner Asylantragstellung sowie aufgrund seines Aufenthaltes in Österreich beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten bzw. wurde auch kein Vorbringen zu bereits erfolgten oder konkret drohenden Diskriminierungen oder Übergriffen erstattet. Konkrete Anhaltpunkte für eine individuelle Bedrohung des Beschwerdeführers sind auch sonst nicht hervorgekommen.

2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte. Die Lage in Afghanistan stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (etwa durch Einschau in das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 21.07.2020) versichert hat.

Laut der von EASO im Juni 2019 publizierten Neuauflage der Guidance Notes kommt eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif aufgrund der allgemeinen Lage grundsätzlich weiterhin in Betracht („It can be concluded that the general security situation in the cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif does not preclude the consideration of the three cities as IPA“). Sowohl hinsichtlich einer möglichen ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne von Artikel 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (Statusrichtlinie) als auch hinsichtlich der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative wird in dem Bericht ausdrücklich auf das Vorliegen besonderer persönlicher Umstände abgestellt. Die in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vorherrschenden allgemeinen Bedingungen stehen der Zumutbarkeit einer innerstaatliche Fluchtalternative grundsätzlich nicht entgegen („Based on available COI, it is concluded that the general circumstances prevailing in the cities of Kabul, Herat and Mazar-e Sharif, assessed in relation to the factors above, do not preclude the reasonableness to settle in the cities.“).

Die Beurteilung des EASO ist mit dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation und auch mit den Ausführungen in den UNHCR-Richtlinien betreffend einen UNAMA-Bericht vom Juli 2018 in Einklang zu bringen, wobei hinsichtlich der Würdigung des EASO-Leitfadens darauf hinzuweisen ist, dass in Artikel 8 Abs. 2 der Statusrichtlinie hinsichtlich der für die Prüfung der Situation im Herkunftsstaat des Antragstellers einzuholenden Informationen aus relevanten Quellen gleichermaßen auf Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) wie auch des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) verwiesen wird. Den Berichten mit Herkunftsländerinformationen (Country of Origin Information – COI) des EASO, die nach den Grundsätzen der Neutralität und Objektivität erstellt werden und darüber hinaus qualitätssichernden Verfahren unterliegen (vgl. EASO, Methodik für das Erstellen von COI-Berichten des EASO, Juli 2012; vgl. auch Artikel 4 lit. a und b der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 vom 19.05.2010), wird daher seitens des erkennenden Gerichts ein ebenso hoher Beweiswert wie den Richtlinien des UNHCR beigemessen. Auch UNHCR hat in den Richtlinien vom 30.08.2018 den – in den Kernaussagen mit dem Folgebericht vergleichbaren – EASO-Bericht vom Juni 2018 herangezogen; soweit UNHCR darauf hingewiesen hat, dass EASO zu der Einschätzung gekommen sei, dass „in der Provinz Kabul, einschließlich der Hauptstadt, willkürliche Gewalt herrscht“, ist festzuhalten, dass EASO in unmittelbarem Zusammenhang mit der von UNHCR zitierten Aussage zur Sicherheitslage in Kabul näher ausführt, dass eine tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15 lit. c der Statusrichtlinie bestehen kann, wenn der Antragsteller aufgrund seiner persönlichen Umstände konkret betroffen ist. Im Übrigen ist festzuhalten, dass es sich bei der Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative um eine rechtliche Beurteilung handelt und darüber hinaus auch in den UNHCR-Richtlinien nicht davon ausgegangen wird, dass eine interne Schutzalternative in Kabul keinesfalls bestehe, sondern dass diese „grundsätzlich“ nicht verfügbar sei.

Dem genannten EASO-Bericht Country Guidance Afghanistan vom Juni 2019 ist etwa bezüglich der Stadt Herat Folgendes zu entnehmen (vgl. auch die gleichlautenden Ausführungen betreffend die Stadt Mazar-e Sharif): „In the provincial capital of Herat City, indiscriminate violence is taking place at such a low level that in general there is no real risk for a civilian to be personally affected by reason of indiscriminate violence within the meaning of Article 15(c) QD.” Auch hinsichtlich der Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif wird insbesondere für „single able-bodied men“ von einer grundsätzlichen Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen.

Die Feststellungen zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Afghanistan stützen sich außer dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation insbesondere auf den ACCORD-Länderbericht „Afghanistan: Covid-19“ vom 05.06.2020 und die Briefing Notes des BAMF vom 08.06.2020. Ergänzend beobachtet das Bundesverwaltungsgericht – insbesondere hinsichtlich der jüngsten Entwicklungen in Afghanistan – auch in die diesbezügliche Medienberichterstattung (vgl. etwa TOLOnews, https://tolonews.com) und hat für den Zeitraum seit der mündlichen Verhandlung auch die mit 21.07.2020 aktualisierte Fassung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation berücksichtigt, aus der sich ebenfalls keine andere Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes ableiten lässt.

Der Beschwerdeführer ist den im Rahmen der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichten nicht konkret entgegengetreten, sondern wurde eine schriftliche Stellungnahme vorgelegt, in der – teilweise unter Anführung von ohnehin bereits ins Verfahren eingebrachten Länderberichten – insbesondere Vorbringen zur aktuellen COVID-19-Pandemie und zur Lage in Herat und Mazar-e Sharif erstattet wurden. Die Kernaussagen der angeführten Länderberichte sind im Wesentlichen mit den hier getroffenen Länderfeststellungen in Einklang zu bringen, wobei es allerdings etwa dem Bericht von Friederike Stahlmann betreffend COVID-19 vom 27.03.2020 bereits an der in diesem Zusammenhang erforderlichen besonderen Aktualität mangelt. Hinsichtlich der in der Stellungnahme dargestellten prekären Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif ist darauf hinzuweisen, dass auch der genannten Stellungnahme zu entnehmen ist, dass in beiden Städten die Möglichkeit besteht, „sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten“.

Hinsichtlich der ins Treffen geführten Einstellung sämtlicher Binnenflüge in Afghanistan und einer damit verbundenen Unmöglichkeit, etwa Herat oder Mazar-e Sharif auf dem Luftweg zu erreichen, ist festzuhalten, dass die afghanische Zivilluftfahrtbehörde zwischenzeitlich bekannt gegeben hat, dass die Inlandsflüge nach einer dreimonatigen Pause wieder aufgenommen wurden (vgl. BAMF, Briefing Notes, 27.07.2020). Zu den Ausführungen betreffend eine besondere Gefährlichkeit der Strecke zwischen dem Flughafen Herat und der Stadt Herat ist darauf hinzuweisen, dass aus der vom Beschwerdeführer diesbezüglich angeführten ACCORD-Anfragebeantwortung betreffend die lokale Sicherheits- und Versorgungslage der Stadt Herat vom 23.04.2020 auch hervorgeht, dass diese Straße laut EASO-Bericht vom April 2019 zwar gefährlich ist, aber regelmäßig von Sicherheitskräften kontrolliert wird. Einer Emailauskunft vom April 2020 einer in der Stadt Herat stationierten Mitarbeiterin des Norwegian Refugee Council (NRC) zufolge sei die Straße zwischen dem Flughafen von Herat und der Stadt vergleichsweise sicher; ein regelmäßiges Befahren der Strecke sei möglich, wobei die Lage natürlich unberechenbar sei und „Kollateralschäden“ durch am Straßenrand platzierte improvisierte Sprengsätze weiterhin vorkommen könnten.

Entgegen den Ausführungen in der genannten Stellungnahme ist daher bei Berücksichtigung der jüngsten Informationen weiterhin davon auszugehen, dass die Städte Herat und Mazar-e Sharif sicher über den jeweiligen Flughafen zu erreichen sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zuständigkeit und Kognitionsbefugnis:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Zu A)

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der „wohlbegründeten Furcht“ vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798).

Wie oben ausgeführt, ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen und erübrigt sich eine Prüfung der Asylrelevanz der Angaben des Beschwerdeführers. Eine gegen den Beschwerdeführer gerichtete, aktuelle Bedrohung konnte nicht festgestellt werden.

Den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte zu entnehmen, dass „verwestlichten“ Rückkehrern alleine aufgrund dieses Umstandes Gewalt oder Diskriminierung von erheblicher Intensität droht (vgl. EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019). Auch in den UNHCR-Richtlinien wird darauf hingewiesen, dass je nach den Umständen des Einzelfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz bestehen kann (vgl. hiezu auch Gutachten Dr. Rasuly vom 15.02.2017, W119 2142462-1, sowie die ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 01.06.2017, [a-10159], Pkt. 5). Dies gilt umso mehr bei einer Rückkehr in eine afghanische Großstadt.

Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Da sich weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aus internationalen Länderberichten hinreichende Anhaltspunkte für eine Verfolgung des Beschwerdeführers ergeben haben, ist kein unter Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar.

Darüber hinaus ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 auch dann abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (vgl. die unten stehen Ausführungen zu § 8 Abs. 3 AsylG 2005).

Selbst wenn man dem Vorbingen des Beschwerdeführers betreffend eine mehrjährige Tätigkeit für die afghanische Polizei folgt, ist unter Berücksichtigung der Länderberichte und der Umstände des vorliegenden Falles nicht davon auszugehen, dass der aus Kunduz stammende Beschwerdeführer in anderen Teilen Afghanistans – insbesondere in Großstädten wie Herat oder Mazar-e Sharif – gesucht bzw. gefunden würde. Den herangezogenen Länderberichten ist auch nicht zu entnehmen, dass Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte, bei denen es sich nicht um high-profile-targets der Aufständischen handelt, bei einer Umsiedlung in eine afghanische Großstadt einer Bedrohung ausgesetzt sind (vgl. EASO, Afghanistan: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen, Dezember 2017; EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019). Dies gilt im vorliegend Fall umso mehr, als der Beschwerdeführer seine Tätigkeit als einfacher Polizist – wie von den Taliban gefordert – bereits im Jahr 2015 eingestellt und sich die letzten vier Jahre nicht einmal in Afghanistan aufgehalten hat.

Der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde daher zu Recht abgewiesen.

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2 EMRK, Artikel 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 AsylG 2005 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht.

Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG 2005).

Gemäß Artikel 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Artikel 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention beinhalten die Abschaffung der Todesstrafe.

§ 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003, verwies auf § 57 Fremdengesetz, BGBl. I Nr. 75/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (im Folgenden: FrG) wonach die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig ist, wenn dadurch Artikel 2 EMRK, Artikel 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 57 FrG – welche in wesentlichen Teilen auf § 8 Abs. 1 AsylG 2005 übertragen werden kann – ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, dass eine konkrete, den Berufungswerber (Beschwerdeführer) betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliegt. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen (VwGH 30.06.2005, 2002/20/0205, mwN). Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Artikel 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abge

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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