Entscheidungsdatum
02.09.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
I417 2216126-2/3Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Friedrich ZANIER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Sierra Leone, vertreten durch RA Mag. Dr. Anton KARNER, Steyrergasse 103/II, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.04.2020, Zl. XXXX , beschlossen:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Verfahren wird gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Verfahren Ro 2019/14/0006 ausgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, stellte am 09.02.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, dass er homosexuell sei und in Sierra Leone eine Gruppe mit dem Ziel der Anerkennung von Homosexualität geleitet habe. Nun werde seine Gruppe im Auftrag des Präsidenten von der Polizei verfolgt.
2. Eine Beschwerde gegen den negativen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 25.02.2019, Zl. XXXX , wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.04.2019, GZ: I416 2216126-1/2E, als unbegründet abgewiesen.
3. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 27.02.2020 den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag. Er gab im Rahmen einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.02.2020 zu Protokoll, er sei in Sierra Leone Regierungsmitarbeiter gewesen und habe dabei aufgrund des politischen Gruppenzwangs unter anderem Häuser der gegnerischen Partei niedergebrannt. Es gäbe nunmehr ein neues Antikorruptionsgesetz und ein neues Gericht, sodass er Angst vor der Rache der Mitglieder der gegnerischen Partei habe.
4. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 05.03.2020 wiederholte er im Wesentlichen dieselben Gründe wie in der Erstbefragung. Er gab dazu ergänzend zu Protokoll, dass er nur während des Wahlkampfes für die Regierung gearbeitet habe. Er sei Mitglied bei der SLPP (Sierra Leone People’s Party). Weiters ergänzte er, die Konsequenzen für sein damaliges Handeln würden nun entweder eine Gefängnisstrafe oder die Zahlung des entstandenen Schadens beinhalten und möchte er dem entgehen. Darüber hinaus seien die angegebenen Fluchtgründe aus dem ersten Asylverfahren nach wie vor aufrecht.
5. Mit dem gegenständlich angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 09.04.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Zudem wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Sierra Leone zulässig ist (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde dem Beschwerdeführer nicht gewährt (Spruchpunkt VI.) und gegen ihn ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
6. Mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 09.04.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte eine inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften. Des Weiteren wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt.
7. Am 15.04.2020 langte die Beschwerde samt dem Bezug nehmenden Verwaltungsakt am Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Sierra Leone, gehört der Volksgruppe der Mende an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen physischen oder psychischen Erkrankungen, die einer Rückkehr in seinen Heimatstaat entgegenstehen, und ist arbeitsfähig.
Er reiste mithilfe eines gültigen Visums legal per Luftweg in die EU und stellte zunächst am 30.07.2016 einen Asylantrag in den Niederlanden. Der Beschwerdeführer hält sich nach einer Dublin-Überstellung seit mindestens 09.02.2017 im österreichischen Bundesgebiet auf und verfügt derzeit über einen aufrechten Wohnsitz in Österreich.
Der Beschwerdeführer absolvierte in Sierra Leone eine vierzehnjährige Schulbildung sowie eine zweijährige Universitätsausbildung, welche er mit einem Diplom für Office Management Administration abschloss. Anschließend verdiente er seinen Lebensunterhalt in der Telekommunikationsbranche.
Der Vater und zwei Brüder des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Sierra Leone, wohingegen seine Mutter und zwei Schwestern in Ghana aufhältig sind. Zwei weitere Geschwister leben in den USA. Er steht mit sämtlichen Familienangehörigen, seinen Vater ausgenommen, in Kontakt.
Der Beschwerdeführer ist ledig, hat keine Sorgepflichten und verfügt in Österreich über keine maßgeblichen privaten oder familiären Anknüpfungspunkte. Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden und nachhaltigen Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
Er geht keiner Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nach und bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum bisherigen Verfahren und dem gegenständlichen Folgeantrag:
Der Beschwerdeführer stellte am 09.02.2017 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, dass er homosexuell sei und eine Gruppe Homosexueller, deren Ziel die staatliche Anerkennung der Homosexualität in Sierra Leone gewesen sei, geleitet habe. Nach einem Treffen mit der Frau des Präsidenten seien sie von der Polizei verfolgt worden, woraufhin er aus Angst vor einer Gefängnisstrafe geflohen sei. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 25.02.2019 wurde der Antrag sowohl hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.04.2019, GZ: I416 2216126-1/2E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und erwuchs die Entscheidung in Rechtskraft.
Am 27.02.2020 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Folgeantrag mit der Begründung, er habe in Sierra Leone im Wahlkampf für die Regierung gearbeitet. Aufgrund des politischen Gruppenzwangs habe unter anderem Häuser der gegnerischen Partei niedergebrannt. Es gäbe nunmehr ein neues Antikorruptionsgesetz und ein neues Gericht, sodass er Angst vor der Rache der gegnerischen Partei habe. Da er den entstandenen Schaden nicht zurückzahlen könne, habe er die Befürchtung, bei seiner Rückkehr nach Sierra Leone ins Gefängnis zu kommen und möchte er diesem Schicksal entgehen. Darüber hinaus seien die angegebenen Fluchtgründe aus dem ersten Asylverfahren aufrecht.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Einvernahme vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Darüber hinaus wurde Einsicht genommen in den Akt der belangten Behörde und den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes zum vorangegangenen Asylverfahren des Beschwerdeführers. Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister der Republik Österreich, dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Datenbank der Sozialversicherungsträger sowie dem Betreuungsinformationssystem über die Grundversorgung (GVS) eingeholt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen diesbezüglichen glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der belangten Behörde sowie aus dem rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren.
Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der im Verwaltungsakt des Vorverfahrens enthaltenen Kopie seines sierra-leonischen Reisepasses und der Kopie des positiven Antrages vom 18.05.2015, auf Erteilung eines Visums von der Österreichischen Botschaft in Dakar, fest (Erkenntnis vom 17.04.2019 zu I416 2216126-1).
Die Feststellung hinsichtlich seines Gesundheitszustandes ergibt sich einerseits aus dem rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren sowie andererseits aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer weder in seinen Einvernahmen im Behördenverfahren noch im Beschwerdeschriftsatz eine Änderung seines gesundheitlichen Zustandes vorbrachte bzw. dahingehende medizinische Unterlagen vorlegte.
Aus dem Verwaltungsakt und der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister leitet sich die Feststellung ab, dass sich der Beschwerdeführer seit Februar 2017 in Österreich aufhält auch einen aufrechten Wohnsitz in Österreich hat.
Die Feststellungen betreffend seine persönlichen Verhältnisse und Lebensumstände beruhen auf den glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers im Vorverfahren, welchen bislang nicht entgegengetreten wurde. Die schlichte Behauptung im Beschwerdeschriftsatz, der Beschwerdeführer habe bzw. hatte eine österreichische Freundin, vermag das Bestehen einer tiefergreifenden Lebensgemeinschaft nicht zu begründen. Der Rechtsvertreter nannte insbesondere keinerlei Details betreffend deren Identität sowie der Art, Dauer und Intensität der allfälligen Beziehung.
Im rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.04.2019 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer - unter Berücksichtigung seiner eingebrachten Unterlagen – über keine nachhaltige Integration in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht verfügt. Da der Beschwerdeführer im nunmehrigen Verfahren keinerlei Urkunden vorlegte, welche die Annahme einer hinreichenden Integration stützen würden, war eine maßgebliche Integration des Beschwerdeführers in Österreich nicht anzunehmen.
Dass der Beschwerdeführer keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht und nicht erwerbstätig ist, ergibt sich aus dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom 31.08.2020.
Seine strafrechtliche Unbescholtenheit gründet auf einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich vom 31.08.2020.
2.3. Zum bisherigen Verfahren und dem gegenständlichen Folgeantrag:
Die Feststellungen zu seinem erstmaligen Antrag auf internationalen Schutz wurden dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt entnommen.
Sein Fluchtvorbringen im gegenständlichen Folgeverfahren beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.02.2020 und der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 05.03.2020.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Rechtslage:
§ 16 Abs. 2 BFA-VG lautet:
„(2) Einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der
1. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist,
2. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht oder
3. eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG erlassen wird,
sowie einem diesbezüglichen Vorlageantrag kommt die aufschiebende Wirkung nicht zu, es sei denn, sie wird vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt.“
§ 17 BFA-VG lautet:
„(1) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und
1. diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist oder
2. eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht
sowie der Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG jeweils binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.
(2) Über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung nach Abs. 1 oder gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.
(3) Bei der Entscheidung, ob einer Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, ist auch auf die unionsrechtlichen Grundsätze der Art. 26 Abs. 2 und 27 Abs. 1 der Dublin-Verordnung und die Notwendigkeit der effektiven Umsetzung des Unionsrechtes Bedacht zu nehmen.
(4) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 1 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.“
§ 32 AVG lautet:
„Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Die belangte Behörde begründete ihre Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz damit, dass eine entschiedene Sache iSd § 68 AVG vorliege.
Nach österreichischem Recht kann eine rechtskräftig entschiedene Sache nicht neuerlich entschieden werden. Stellt ein Antragsteller in derselben Sache einen neuerlichen Antrag, ist eine inhaltliche Entscheidung darüber auch dann ausgeschlossen, wenn die Tatsachen und Beweismitteln, auf die sich der Antragsteller beruft, schon vor Abschluss des Erstverfahrens bestanden haben. In so einem Fall kann ein Antragsteller nur die Wiederaufnahme des früheren Verfahrens begehren (vgl. VwGH 28.08.2019, Ra 2019/14/0091).
Diese Rechtslage gilt auch für wiederholte Anträge auf internationalen Schutz (sog. Folgeanträge). Das österreichische Asylrecht enthält insoweit keine Sonderregelungen.
Da der Beschwerdeführer erst im zweiten und nicht bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht hatte, aufgrund von im Auftrag der vorherigen Regierung begangener Straftaten von gegnerischen Parteimitgliedern gesucht zu werden bzw. einer Gefängnisstrafe ausgesetzt zu sein, stellt sich die Frage, ob die inhaltliche Prüfung des gegenständlichen Folgeantrages abgelehnt werden kann, obwohl Österreich die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat.
In Zusammenhang mit dieser Rechtsfrage hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren Ro 2019/14/0006 mit Beschluss vom 18.12.2019, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gestellt (EU 2019/0008), mit folgenden Vorlagefragen:
„1. Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren:
Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen "neue Elemente oder Erkenntnisse", die "zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind", auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?
Falls Frage 1. bejaht wird:
2. Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?
3. Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?“
Dass § 38 AVG Anwendung bei Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) findet, wurde vom VwGH wiederholt judiziert (vgl. VwGH 13.12.2011, 2011/22/0316). Der Ausgang des gegenständlichen Vorabentscheidungsverfahrens ist unmittelbar für die im gegenständlichen Verfahren zu treffende Rechtsfrage präjudiziell, weshalb das gegenständliche Verfahren bis zur Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof im Verfahren Ro 2019/14/0006 – nach entsprechender Beantwortung der vorgelegten Fragen durch den Europäischen Gerichtshof – auszusetzen war.
Die aufschiebende Wirkung war der Beschwerde gemäß § 17 VwGVG aus folgenden Gründen zuzuerkennen: Es liegt eine mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundene Zurückweisung des (zweiten) Antrages auf internationalen Schutz vor. Ohne eine meritorische Beurteilung der Frage der Asylrelevanz des Vorbringens des Beschwerdeführers in seinem jetzigen Verfahren kann nicht von Vornherein ausgeschlossen werden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
In der Beschwerde wird nur vorgebracht, dass keine res iudicata vorliege und eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages durch die belangte Behörde nicht unterlassen werden könne.
Dennoch ist bis zur erfolgten Vorabentscheidung im Verfahren Ro 2019/14/0006 und dem Ausgang dieses Verfahrens – sohin bis zur Fortsetzung dieses Verfahrens – die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ohne eine meritorische Entscheidung zu treffen. Mit der Aussage, eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat würde eine oder auch keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen, erfolgt eine meritorische Prüfung des dem gegenständlichen Folgeantrag zugrundeliegenden Vorbringens, was jedoch die „Sache“ des gegenständlichen Verfahrens nach herrschender Rechtsprechung übersteigen würde. Hieran würde auch die Verneinung eines glaubhaften Kerns des nunmehrigen Vorbringens nichts ändern, weil gerade diese Fragestellung den Aussetzungsgrund betrifft.
Es waren daher die aufschiebende Wirkung nach § 17 Abs. 1 BFA-VG und die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen im Verfahren Ro 2019/14/0006 gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG auszusprechen.
Hinweis:
Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a Abs. 3 VwGG eine abgesonderte Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig. Er kann erst in der Revision gegen die die Rechtssache erledigende Entscheidung angefochten werden.
Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 88a Abs. 3 VfGG eine abgesonderte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht zulässig. Er kann erst in der Beschwerde gegen die die Rechtssache erledigende Entscheidung angefochten werden.
Schlagworte
Asylverfahren aufschiebende Wirkung Aussetzung Folgeantrag Privat- und Familienleben real risk reale Gefahr Vorabentscheidungsersuchen VorfrageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I417.2216126.2.00Im RIS seit
21.01.2021Zuletzt aktualisiert am
21.01.2021