Entscheidungsdatum
07.09.2020Norm
AsylG 2005 §57Spruch
W159 1412538-4/28E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger des Kosovo, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.08.2020 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wird abgewiesen.
II. Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein ethnischer Albaner aus dem Kosovo, gelangte bereits 1993 nach Österreich, wo er sich seither (fast durchgängig) aufhielt.
Das vorliegende Verfahren begann mit einer (schriftlichen) „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ vom 22.01.2019, wo dem Beschwerdeführer vorgehalten wurde, dass er insgesamt fünfmal wegen Vermögensdelikten in Österreich verurteilt wurde und ihm konkrete Fragen zu seiner Integration gestellt wurden.
Mit Schreiben vom 07.02.2019 gab der Beschwerdeführer an, dass er in Österreich vier Jahre die Hauptschule und ein Jahr den polytechnischen Lehrgang besucht habe und einen gültigen Aufenthaltstitel hätte. Seine Eltern und Geschwister seien österreichische Staatsbürger. Er sei wohl derzeit in Haft, aber könne bei seiner Ehefrau in Wien 21 wohnen. Mit seiner Ehefrau XXXX habe er zwei Söhne, XXXX , geboren am XXXX und XXXX , geboren am XXXX . Diese würden ebenso in Österreich wie seine gesamte Familie und seine Freunde leben. Zu Serbien und dem Kosovo habe er keinerlei Kontakt mehr. Außerdem habe er zwei Kinder aus einer früheren Beziehung, XXXX . Arbeit sei bei Entlassung vorhanden. Er sei deswegen straffällig geworden, da er in die Drogenszene abgerutscht sei. Er sei aber jetzt nicht mehr abhängig und werde wegen der erfolgreichen Therapie auch nicht mehr straffällig werden und bereue er seine Taten auf das Tiefste.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2019, Zahl XXXX wurde unter Spruchteil I. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung entlassen, unter Spruchteil II. festgestellt, dass die Abschiebung nach Serbien zulässig sei, unter Spruchteil III. eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt sowie ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Auch im „Kopf“ ist als Staatsangehörigkeit Serbien angeführt. In der Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, dass der Bescheidadressat bereits anfangs der 1990-er Jahre in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei und ihm bis 18.05.2003 (mit Verlängerungen) eine Niederlassungsbewilligung und in der Folge Niederlassungsnachweis erteilt worden sei. Weiters wurden die strafgerichtlichen Verurteilungen sowie Auszüge aus dem kriminalpolizeilichen Index zitiert. Nachdem der am 13.06.2006 erstmals gestellte Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.07.2006 als unbegründet abgewiesen worden sei und dieser Bescheid in der Folge in Rechtskraft erwachsen sei, sei dem nunmehrigen Beschwerdeführer die freiwillige Ausreise in die Heimat gewährt worden, er sei jedoch zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt wieder nach Österreich zurückgekehrt, und sei er mehrfach in Strafhaft gewesen. In der Folge wurde auch das nunmehrige Verfahren (gerafft) dargestellt.
Festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer serbischer Staatsbürger sei, da er über einen (abgelaufenen) serbischen Reisepass verfüge und der serbischen Sprache mächtig sei. Weiters wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer wohl nicht verheiratet sei, aber eine Lebensgefährtin, mit der er zwei Kinder, die im Jahre 2016 und 2017 auf die Welt gekommen seien, habe und sich auch seine Eltern, Geschwistern und Freunde in Wien befinden würden. Der Beschwerdeführer habe trotz gegenteiliger Ankündigung keine Einstellungszusage vorgelegt und sei am Arbeitsmarkt nicht integriert. Er sei nicht bereit, sich an die österreichischen Gesetze zu halten und sei er früher drogenabhängig gewesen, wodurch es zu mehrfachen Eigentumsdelikten gekommen sei. Hinsichtlich der Identität und der Staatsangehörigkeit wurde auf den abgelaufenen serbischen Reisepass beweiswürdigend verwiesen, sonst auf den gesamten Inhalt des Asyl- und Fremdenrechtsaktes und wurden (kurze) Feststellungen aus dem Länderinformationsblatt für Serbien getroffen.
In der rechtlichen Beurteilung wurde zunächst zu Spruchteil I. festgehalten, dass keine der Voraussetzungen des § 57 AsylG vorlägen, zur Rückkehrentscheidung wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer großteils illegal in Österreich aufhältig sei und wiederholt Straftaten begangen habe und auch zuletzt illegal in das Bundesgebiet eingereist sei. Das Familienleben sei daher zu einem Zeitpunkt entstanden, als er sich illegal in Österreich aufgehalten habe und sei er trotz zweier Kleinkinder massiv straffällig geworden und sei daher aufgrund des persönlichen Verhaltens davon auszugehen, dass keine soziale Integration und kein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich vorliege. Weiter sei aufgrund des Umstandes, dass er in Serbien geboren sei und dort zeitweilig aufhältig gewesen sei, von einer Bindung zu seinem Heimatland auszugehen und sei aufgrund des Umstandes, dass er dort bis zu seiner Ausreise 2013 gewohnt habe, davon auszugehen, dass er zumindest vorübergehend bei Verwandten oder Bekannten unterkommen könne. Die Rückkehrentscheidung sei daher insbesondere zur Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit unbedingt erforderlich gewesen.
Zu Spruchpunkt II. wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer keine Gefährdung in Serbien vorgebracht habe und sich eine solche auch nicht aus der Lage im Zielstaat ergeben würde und würde auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gegen eine Abschiebung nach Serbien sprechen, sodass schließlich festzustellen sei, dass die Voraussetzungen für die Abschiebung nach Serbien vorlägen. Spruchpunkt III. wurde insbesondere damit begründet, dass gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG im vorliegenden Fall die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei, zumal fünf rechtskräftige Verurteilungen vorlägen und auch nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Beschwerdeführer über ausreichende finanzielle Mittel verfüge, um dadurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Die Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) wurde insbesondere damit begründet, dass der Beschwerdeführer einerseits mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt worden sei und dass der Beschwerdeführer zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt worden sei und sein Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, weil er mehrfach Einbruchsdiebstähle begangen habe. Ein Einreiseverbot für den angeführten Zeitraum von zehn Jahren erscheine aufgrund des Gesamtfehlverhaltens folgerichtig, beginnend mit dem Ablauf des Tages der Ausreise.
Dagegen erhob der Bescheidadressat, vertreten durch die XXXX , gegen alle Spruchteile fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Zunächst wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer wohl im Kosovo geboren sei und seine Familie ebenfalls aus dem Kosovo stamme, aber er laut eigenen Angaben serbischer Staatsangehöriger seie, sei jedoch nach dem Verlassen Österreichs in den Kosovo gegangen und werde auch in der Heiratsurkunde der bosnischen Muslime in Österreich mit kosovarischer Nationalität angeführt, ebenso wurde auf dem Vaterschaftserkenntnissen die Staatsangehörigkeit Kosovo angeführt, sodass insgesamt zu sagen sei, dass die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers nicht ausreichend geklärt sei. In Österreich würden seine Eltern und seine Geschwister, welche bis auf einen Bruder alle österreichische Staatsbürger seien, ebenso seine Lebensgefährtin, mit der er nach muslimischem Ritus verheiratet sei, sowie zwei (Klein)-Kinder aus dieser Beziehung leben, welche ebenfalls alle österreichische Staatsbürger seien und habe er noch zwei weitere Kinder aus einer früheren Beziehung, ebenfalls österreichische Staatsbürger. Der Beschwerde wurden die Geburtsurkunden und die Vaterschaftsanerkenntnisse, die Heiratsurkunde und die Staatsbürgerschaftsnachweise der Söhne angeschlossen.
Der Beschwerdeführer sei schon als Kind nach Österreich gekommen. Er könne sich selbst nicht mehr genau erinnern, wann das gewesen sei. Nach (geraffter) Darstellung des Verfahrensganges (auch der Vorakten), wurde u.a. darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in Serbien keinerlei Verwandte habe und er versucht habe, nach seiner Haftentlassung dort Fuß zu fassen und sich ein Leben aufzubauen, was aber schließlich nicht möglich gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe mehrfach in Österreich als Dachdeckerhelfer gearbeitet und könne nach seiner Entlassung aus der Haft wieder eine Anstellung finden. Im Anhang wurde eine Einstellungszusage der Firma XXXX vorgelegt. Der Beschwerdeführer habe zwar früher Cannabis konsumiert, sei aber erst 2013 mit Kokain in Berührung gekommen und sei dann abhängig geworden und habe zur Finanzierung seiner Sucht Straftaten begangen, mit denen er mit letztem Urteil vom 05.09.2018 verurteilt worden sei. Er beginne jedoch jetzt mit einer Drogentherapie in der Haft. Der Beschwerdeführer führe mit seiner Lebensgefährtin und seinen beiden kleinen Kindern ein Familienleben und wurde ausdrücklich die Einvernahme der Lebensgefährtin XXXX als Zeugin beantragt.
Bemängelt wurde die Nichtdurchführung einer persönlichen Einvernahme, da nach der Judikatur bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks eine besondere Bedeutung zukomme und fehle so ein wesentlicher Aspekt der vorzunehmenden Gefährdungsprognose. Nochmals wurde darauf hingewiesen, dass der Herkunftsstaat und damit Zielstaat der Abschiebung nicht ausreichend festgestellt worden sei.
Bei der Bemessung des Einreiseverbotes sei insbesondere auf das bestehende Familienleben zu verweisen, wobei nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dem Recht der Kinder auf persönlichen Kontakt zu beiden Elternteilen besonderes Gewicht zukomme. Es könnten die Besuchskontakte nicht durch elektronische Medien ersetzt werden und sei auf die vorliegenden Umstände des Einzelfalles in der Entscheidung nicht eingegangen worden. Die Behörde habe auch die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung nicht im erforderlichen Maß geprüft und nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer sich fast zwanzig Jahre lang wohlverhalten habe. Es finde sich auch keinerlei Begründung, warum die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von genau zehn Jahren nötig wäre und sei eine derart lange Dauer jedenfalls in Anbetracht des vorliegenden Familienlebens und des Gesamtverhaltens unverhältnismäßig. Außerdem sei die Erlassung eines Einreiseverbotes mit einer Rückkehrentscheidung nicht mehr zwingend vorgeschrieben.
Schließlich verletze die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung den Beschwerdeführer in seinen durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechten, insbesondere dem Recht auf Familienleben nach Art. 8 EMRK und sei der Beschwerdeführer auch nicht in der Lage, sich in Serbien oder im Kosovo eine menschenwürdige Existenz aufzubauen, zumal ein diesbezüglicher Versuch bereits im Jahre 2013 gescheitert sei und er auch die Landessprache nicht ausreichend in Wort und Schrift beherrsche. Schließlich sei in Anbetracht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs betreffend die Notwendigkeit des persönlichen Eindruckes für eine Gefährdungsprognose eine mündliche Beschwerdeverhandlung zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes unbedingt erforderlich.
Mit Eingabe vom 08.01.2020 gab XXXX die Vertretung des Beschwerdeführers bekannt und fragte mit Eingabe vom 23.01.2020 an, wann mit einer Verhandlung zu rechnen ist.
Die vormals zuständige Richterin ließ sich von der XXXX eine Besucherliste des Beschwerdeführers zukommen.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.05.2020 wurde der Verfahrensakt dem nunmehr zuständigen Einzelrichter zugewiesen, wobei sich der ausgewiesene Vertreter nochmals wegen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung erkundigte und angab, dass weder der Beschwerdeführer noch seine Ehefrau einen Dolmetscher benötigen. Das Bundesverwaltungsgericht forderte die den Beschwerdeführer betreffende Strafurteile an.
Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung ein, an der der Beschwerdeführer in Begleitung seines ausgewiesenen Vertreters erschien, die belangte Behörde ließ sich für die Nichtteilnahme entschuldigen. Weiters erschien die geladene Zeugin und Ehefrau des Beschwerdeführers, XXXX . Festgehalten wurde, dass sich der Beschwerdeführer wohl in Strafhaft befindet, aber Freigänger ist und selbständig zur Verhandlung (ohne Vorführung) erschienen ist. Der Rechtsvertreter gab an, dass der Beschwerdeführer nunmehr den Familiennamen XXXX trägt und legte diesbezüglich die Heiratsurkunde des Standesamtes XXXX vom 18.10.2019 vor, weiters eine Einstellungszusage der XXXX und eine Bestätigung über die psychotherapeutische Betreuung des XXXX . Der Rechtsvertreter brachte vor, dass der Beschwerdeführer sich seit 1993 in Österreich befinde und hier den Hauptschulabschluss absolviert habe. Er sei sprachlich integriert und spreche nur mehr schlecht Albanisch. Er habe zwei weitere Kinder mit einer anderen Frau und sei als Freigänger für ihn bereits eine positive Zukunftsbeurteilung abgegeben worden. Er sei sozial und familiär in Österreich integriert und ersuche er daher, dass der Beschwerdeführer hierbleiben dürfe.
Der Beschwerdeführer gab an, nun mehr kosovarischer Staatsbürger zu sein und auch einen kosovarischen Pass zu haben. Er sei nicht mehr serbischer Staatsangehöriger. In diesem Zusammenhang legte er auch einen kosovarischen Personalausweis vor und hielt der Richter fest, dass der Beschwerdeführer tatsächlich kosovarischer Staatsbürger ist.
Er sei am XXXX im Dorf XXXX , in der Nähe von XXXX , im Kosovo geboren, sei Albaner und Moslem. Er sei im Kosovo geboren und aufgewachsen, aber bereits etwa im August 1993 nach Österreich gekommen. Er sei wohl zweimal abgeschoben worden, einmal habe er Österreich aber gar nicht verlassen, und 2013 sei er ca. vier bis sechs Monate im Kosovo gewesen, sonst jedoch niemals. Seine gesamte Familie sei in Österreich und habe er mit seinen Verwandten im Kosovo keinen Kontakt mehr. Nach der Unabhängigkeit des Kosovo sei er niemals in Serbien gewesen. In Kosovo habe er die Grundschule besucht, drei Jahre lang. Dann sei er gleich in Österreich in die Hauptschule gegangen und verfüge er über einen positiven Abschluss der vierten Klasse der Hauptschule. Er sei dann in der Folge in die polytechnische Schule gegangen und habe eine Lehre als Dachdecker und Spengler begonnen, aber nicht abgeschlossen. Als er 2001 einen Aufenthaltstitel bekommen habe, habe er begonnen, zu arbeiten. Er habe vier bis fünf Jahre gearbeitet. Dann sei er arbeitslos gewesen, weil es Probleme mit seiner Aufenthaltsberechtigung gegeben habe. Jedenfalls sei er bis 2005 beschäftigt gewesen.
Seine Mutter sei vor acht Monaten verstorben, sein Vater lebe nach wie vor in XXXX . Sein Vater und seine Geschwister seien österreichische Staatsbürger. In den Jahren 2003 bis 2005 habe er eine Lebensgemeinschaft mit Frau XXXX geführt. Diese sei damals schon österreichische Staatsbürgerin gewesen, stamme aber aus Bosnien. Seit er seine Frau XXXX geheiratet habe, habe er keinen Kontakt mehr zu seiner früheren Lebensgefährtin. XXXX seien aber seine leiblichen Kinder. Sie würden manchmal zu seinem Vater auf Besuch kommen und sei er dabei anwesend. Die Kindesmutter habe ihren Kindern wohl den Kontakt mit ihm verboten, trotzdem würden sie aber zu seinem Vater kommen. Überdies habe er über Whats App und telefonisch mit seinen Kindern Kontakt, die dies jedoch heimlich machen müssen. Er habe keinen regelmäßigen Unterhalt zahlen können, aber seinen Kindern immer wieder Geschenke gemacht. Seit er in Haft sei, kann er sie nicht so unterstützen. Sein Sohn gehe noch in die Schule, seine Tochter möchte eine Friseurlehre beginnen.
Seit 2015 führe er mit Frau XXXX eine Lebensgemeinschaft. Er habe sie durch seine Schwester kennengelernt. Ihr Vater sei Albaner und ihre Mutter aus Bosnien. Sie sei auch Moslem, so wie er. Wenn er nicht in Haft gewesen sei, habe er mit ihr zusammengelebt, etwa von 2015 bis 2018. Seine Frau bekomme derzeit Hilfe vom Sozialamt, auch ihre Mutter unterstütze sie. Sie habe eine Schule für Kindergärtnerinnen begonnen, aber nicht abgeschlossen. Seit Juni 2019 sei er Freigänger und arbeite bei der XXXX und treffe er täglich seine Frau und seine Kinder. Er müsse jedoch die Nacht in der Justizanstalt verbringen. Vor Corona habe er auch manchmal zuhause übernachtet. Seit der Corona-Epidemie sei dies jedoch nicht mehr möglich. Als er noch nicht Freigänger gewesen sei, habe ihn seine Frau etwa zweimal in der Woche besucht. Überdies habe er telefonischen Kontakt mit ihr gehabt. Die beiden Söhne XXXX seien seine leiblichen Kinder. Die Vaterschaftsanerkenntnisse befänden sich im Akt. Er sehe seine Söhne jeden Tag. Er habe zwei Stunden Freizeit als Freigänger. Da gehe er in der Nähe der Justizanstalt mit den Buben und seiner Frau in einen Park. Von seinem Verpflegungsgeld gebe er immer die Hälfte seiner Frau. Alle seine Familienangehörigen, sein Vater, seine Geschwister und auch ein Onkel lebten in Wien. Im Kosovo habe er nur eine Tante gehabt, die aber vor drei Jahren verstorben sei. Mit den restlichen Verwandten habe er keinen Kontakt. Es würden sich aber auch die meisten Verwandten nicht mehr im Kosovo, sondern im Ausland befinden. Als er 2013 im Kosovo gewesen sei, habe er auch nicht bei Verwandten gelebt, sondern sich selbst eine Mietwohnung genommen. Es sei dort sehr schwer, einen Job zu finden und die Miete sei genauso teuer wie in Österreich. Freunde habe er auch keine mehr im Kosovo.
Über Vorhalt des Strafregisterauszuges, in dem sich fünf Verurteilungen wegen Vermögensdelikten befinden, gab der Beschwerdeführer an, dass er die falschen Freunde gehabt habe und mit Drogen zu tun gehabt habe. In der Haft habe er die Möglichkeit zu einer Therapie bekommen, die er in Anspruch genommen habe. Er habe zuerst Marihuana geraucht und dann Kokain konsumiert. Seit er in Haft sei, nehme er jedoch kein Suchtgift mehr. Er mache eine Therapie beim XXXX und habe er diesbezüglich auch eine Bestätigung vorgelegt. Er sei noch bis 04.11.2020 in Haft, für die Zeit danach habe er seiner Frau versprochen, dass er hier arbeiten gehe. Er habe eine Einstellungszusage und habe mit seinen früheren Freunden gebrochen.
In den Kosovo zurückzukehren, wäre die Hölle für ihn. Er sei dort auch schon zweimal mit einem Messer angestochen worden. Er sei von dort geflüchtet und habe auch dort niemanden mehr. Er könne dort keine Arbeit finden und wäre obdachlos.
Er habe drei Schwestern und fünf Brüder. Alle außer zwei Brüdern seien österreichische Staatsbürger. Er würde jeden Tag mit seinen Geschwistern telefonieren und würden sie ihn auch ab und zu in der Arbeit besuchen. Mit Frau XXXX sei er nicht verheiratet gewesen. Er habe Frau XXXX im Oktober oder November in der XXXX Moschee nach islamischem Ritus geheiratet. Über Befragen durch den Beschwerdeführervertreter gab er an, dass er mit der Therapie in der Haft begonnen habe und seit Jänner 2020 beim XXXX in Therapie sei. Er werde diese auch nach der Haft fortsetzen. Er bekomme alle 14 Tage eine Therapiestunde. Diese solle auch ungefähr in diesem Umfang fortgesetzt werden. Er nehme auch keine Medikamente mehr. Seit er Freigänger sei, habe er die Medikamente im Einverständnis mit dem Arzt abgesetzt. Er sei jetzt weg von den Drogen. Auch seine Frau habe ihm gesagt, dass er die Therapie unbedingt fertigmachen solle. Er habe für die Zeit nach der Haftentlassung eine Einstellungszusage und werde arbeiten gehen. Wenn die Kinder in den Kindergarten gehen, werde auch seine Frau versuchen, eine Arbeit zu finden.
Die Zeugin XXXX gab nach Wahrheitserinnerung und Belehrung über die Entschlagungsgründe an, dass ihre Mutter aus Bosnien komme und ihr Vater aus dem Kosovo, sie sei aber schon seit Geburt an österreichische Staatsbürgerin. Sie sei mit der Schwester des Beschwerdeführers befreundet gewesen und so habe sie diesen ca. 2014/2015 kennengelernt. Seit 2015 führe sie auch eine Lebensgemeinschaft mit ihm und hätten sie auch nach islamischem Recht geheiratet. Von 2015 bis 2018 hätten sie auch zusammengelebt, dann sei er verhaftet worden. Seit 2019 seien sie standesamtlich verheiratet und habe ihr Mann ihren Namen angenommen. Sie habe ihn fast jede Woche in der Haft besucht. Er habe sie auch immer wieder angerufen. Die beiden Söhne XXXX und XXXX seien die leiblichen Kinder ihres Mannes. Jetzt, wo er Freigänger sei, würden sie sich jeden Tag nach der Arbeit sehen. Er arbeite im 11. Bezirk und würden sie dann gemeinsam zur Justizanstalt fahren. Sie würden die Kinder mitnehmen und dort im Park mit den Kindern spielen. Ihr Mann unterstütze sie auch, soweit es ihm möglich sei. Sie bekomme Sozialhilfe und Kinderbeihilfe und habe auch Unterhaltsvorschuss beantragt. Weiters werde sie auch von ihrer Mutter, die wohl schon in Pension sei, aber nebenbei noch als Hausbesorgerin arbeite, unterstützt. Sie habe eine Genossenschaftswohnung mit ca. 75 m2 und sei die Nutzungsberechtigte. Gefragt nach der Zukunft gab sie an, dass es das Beste wäre, wenn ihr Mann hierbleiben würde, wegen der Kinder und auch wegen des Finanziellen. Sie möchte als Kindergartenhelferin arbeiten. Die Lage im Kosovo hingegen wäre katastrophal. Man habe dort nichts. Alle Verwandten seien hier. Man könne dort keine Arbeit finden und sie habe auch noch nie im Kosovo gelebt. Ihre Kinder und sie wären österreichische Staatsbürger. Derzeit beziehe sei keine Wohnbeihilfe. Wie die Zeugin nach Befragen durch den Rechtsvertreter angab, pflege ihr Ehemann mit ihr einen liebenswerten Umgang. Er habe eine sehr enge Beziehung zu seinen Kindern. Wenn er nach Hause komme, könne er nicht einmal aufs WC gehen, die Kinder würden gleich zu ihm kommen. Es wäre ihr größter Wunsch, dass er hierbleibe und noch eine letzte Chance bekomme.
Den Verfahrensparteien wurde das Parteiengehör zum aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Kosovo vom 11.05.2020 eingeräumt. Der Rechtsvertreter verzichtete auf Abgabe einer Stellungnahme zum Länderinformationsblatt, ersuchte jedoch um Einräumung einer Frist zur Abgabe einer abschließenden Stellungnahme.
Der ausgewiesene Vertreter des Beschwerdeführers machte von seinem Recht auf Abgabe einer abschließenden Stellungnahme Gebrauch und führte aus, dass der Beschwerdeführer seit ca. eineinhalb Jahren Freigänger sei und täglich von 07:00 Uhr bis 16:00 Uhr bei der XXXX auf verschiedenen Baustellen arbeite. Er sei als Zimmerer tätig und sei sein Arbeitgeber mit ihm sehr zufrieden und wolle ihn auch nach seiner Haftentlassung dauerhaft anstellen. Er könne seine Kinder, bedingt durch die Haft, nur nach seiner Arbeit sehen, dies aber täglich. Seine Frau und seine Kinder holen ihn täglich von der Arbeit ab und verbringen seine gesamte Freizeit von 16:00 bis 18:00 mit ihm. Meistens würden sie mit ihm Park spielen. Seine Kinder würden sehr an ihm hängen. Vor COVID-19 habe er auch das Wochenende bei seiner Familie verbringen dürfen. Seine Kinder würden ihn sehr lieben und würden sich nach der gemeinsamen Zeit nur sehr schwer trennen und würden diese „wie die Kletten an ihm hängen“. Seine Ehefrau bestätige, dass er ein liebevoller und aggressionsfreier Mann und Vater sei. Er lebe schon seit 1993 in Österreich und sei sein Lebensmittelpunkt im Inland. Er könne seine (ursprüngliche) Muttersprache Albanisch kaum mehr, weil er den größten Teil seines Lebens in Wien verbracht habe und auch hier in die Schule gegangen sei. Seine Frau könne bestätigen, dass er sich geläutert habe und mit seinen früheren Bekanntschaften, die ihm ins Kriminal gebracht hätten, komplett abgeschlossen habe. Seine Frau benötigte auch seine Unterstützung, da sie derzeit die Kinder alleine obsorge. Im Falle, dass er in Österreich verbleiben könne, könne er als ordentlicher Familienvater für seine Familie sorgen und sich um seine Kinder, die ihn sehr lieben würden, kümmern. Seine Frau könne in Zukunft wieder als Kindergärtnerin arbeiten. Es sei daher für die gesamte Familie eine positive Zukunftsprognose zu stellen. Seine Kinder würden ihn auch mehr brauchen als seine Frau und würde er seine Kinder zu selbständigen glücklichen Menschen erziehen und sie von den Fehlern abhalten, die er begangen habe. Er könne es seiner Familie nicht zumuten, Österreich zu verlassen und in ein Land zu gehen, in dem er sich nicht zurecht finden würde, weil er nicht einmal die Sprache beherrsche. Im vorliegenden Fall sei sein überlanger und hauptsächlicher Aufenthalt stärker zu gewichten als etwaige Verfehlungen, die er zutiefst bereue und würde er sich im Kosovo auch wegen der dortigen Korruption nicht mehr zurecht finden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat, wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX im Dorf XXXX , in der Nähe von XXXX , im Kosovo geboren und ist nunmehr kosovarischer Staatsbürger. Er gehört der albanischen Volksgruppe an und ist Moslem, spricht aber nur mehr schlecht die albanische Sprache, denn er hält sich bereits seit 1993 (mit einer geringfügigen Unterbrechung 2013) ununterbrochen in Österreich auf und hat in Österreich die Hauptschule absolviert (mit positivem Abschluss), anschließend die polytechnische Schule und eine Lehre als Dachdecker und Zimmerer begonnen. Sein Vater (seine Mutter ist zwischenzeitig verstorben), seine Geschwister und weitere Verwandte leben alle in Österreich und sind auch fast alle österreichische Staatsbürger. Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten mehr im Kosovo, mit denen er in Kontakt ist und verfügte er zumindest über mehrere Jahre in Österreich auch über einen Aufenthaltstitel und war hier auch legal beschäftigt. Von 2003 bis 2005 führte er eine Lebensgemeinschaft mit Frau XXXX , aus der die minderjährigen Kinder XXXX entsprungen sind. Obwohl die ehemalige Lebensgefährtin keinerlei Kontakt mehr zum Beschwerdeführer hat, pflegen die Kinder (entgegen dem Willen der Kindesmutter) nach wie vor zum Beschwerdeführer Kontakt.
Der Beschwerdeführer lernte bereits 2015 seine nunmehrige Ehefrau XXXX , geboren am XXXX , welche österreichische Staatsbürgerin ist, kennen und führt mit ihr seit 2015 eine Lebensgemeinschaft und ist seit 07.11.2015 nach islamischen Recht mit ihr verheiratet. Der Beschwerdeführer ist Vater der beiden Söhne XXXX , geboren XXXX und XXXX , geboren XXXX und führt mit seiner Frau und seinen Kindern ein enges Familienleben. Während der Beschwerdeführer in Haft war, hat die Ehefrau den Beschwerdeführer regelmäßig besucht und mit ihm auch telefonischen Kontakt gepflegt und ihn am 18.10.2019 auch standesamtlich am Standesamt XXXX geheiratet, wobei der Beschwerdeführer nunmehr den Namen seiner Ehefrau XXXX angenommen hat. Seit der Beschwerdeführer Freigänger ist und bei der XXXX arbeitet, sieht er täglich seine Ehefrau und seine beiden kleinen Söhne, verbringt mit ihnen die Freizeit und ist ein liebevoller Vater. Die beiden Buben hängen sehr an ihrem Vater. Der Beschwerdeführer könnte nach der Haftentlassung auch Vollzeit bei der XXXX arbeiten. Sein Arbeitgeber ist sehr zufrieden mit ihm.
Der Beschwerdeführer hat wohl früher Marihuana und später Kokain konsumiert, nimmt jedoch seit er in Haft ist, seit mehr als zwei Jahren, kein Suchtgift mehr und macht eine erfolgreiche Therapie beim XXXX , die er auch nach der Haftentlassung im November 2020 fortsetzen wird.
Der Beschwerdeführer wurde in Österreich, wie folgt, rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt:
- Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19.07.2004, Zl. XXXX zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, wegen §§ 127, 129 Z 1 StGB, wobei als mildernd die Geständnisse, die Unbescholtenheit und die Bereitschaft zur Schadensgutmachung und als erschwerend kein Umstand angesehen wurde.
- Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 03.02.2006, Zahl XXXX wegen §§ 127, 129 Z 1 zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, als mildernd wurde das reumütige Geständnis, als erschwerend die einschlägige Vorstrafe und der rasche Rückfall gewertet.
- Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 31.03.2009, Zl. XXXX wegen §§ 127, 128 Abs. 129 und 130 in Verbindung mit § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
- Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.06.2012, XXXX wurde er zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt, wobei als mildernd das umfassende reumütige Geständnis und dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und die teilweise Schadensgutmachung und als erschwerend die einschlägigen Vorstrafen gewertet wurden.
- Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.09.2018, Zahl XXXX wegen §§ 127, 128 Abs. 1, 129 Abs. 1 und 130 Abs. 2 in Verbindung mit § 15 StGB, wobei als mildernd das Geständnis und dass es teilweise beim Versuch geblieben ist sowie als erschwerend die einschlägigen Vorstrafen und das Zusammentreffen von mehreren Vergehen und einem Verbrechen gewertet wurde
Zum Kosovo wird folgendes festgestellt:
1.Politische Lage
Letzte Änderung: 11.5.2020
Die am 15. Juni 2008 in Kraft getretene Verfassung sieht eine parlamentarische Demokratie mit Gewaltenteilung vor. Die politische Macht konzentriert sich beim Ministerpräsidenten. Ein umfassender Schutz der anerkannten Minderheiten ist gewährleistet (AA 19.4.2020). Durch die Verfassung als ethnische Minderheit anerkannt sind Serben, Roma, Ashkali, Ägypter, Türken, Bosniaken und Gorani (CIA 7.4.2020; vgl. GIZ 3.2020b). Im Parlament stehen diesen 20 von 120 Sitzen zu, wobei 10 Sitze für Repräsentanten der serbischen Minderheit reserviert sind (GIZ 3.2020a). Die Republik Kosovo ist international von mehr als 110 Staaten anerkannt, nicht jedoch von Serbien. Das ungeklärte Verhältnis zu Serbien behindert die Annäherung Kosovos an EU und NATO. Seit 2011 vermittelt die EU einen politischen Dialog zwischen den beiden Ländern mit dem Ziel einer ehestmöglichen und umfassenden Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen. Inzwischen wurden mehrere wichtige Vereinbarungen erzielt, die zu einer deutlichen Entspannung geführt haben. In Kosovo sind einige internationale Missionen tätig: Die NATO-Mission KFOR mit ca. 3500 Soldaten, die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission (EULEX), die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK) sowie die OSZE-Mission (OmiK) (AA 19.4.2020).
Generell werden die Konsolidierung der Demokratie im Kosovo sowie deren Effizienz und Reaktionsfähigkeit im politischen Prozess durch eine Reihe von Faktoren wie beispielsweise eine mangelnde Rechenschaftspflicht der politischen Klasse untergraben. Die demokratischen Institutionen werden oftmals als undurchsichtig und wenig kooperativ in der Zusammenarbeit wahrgenommen. Trotzdem ist etwa ein Drittel der Bevölkerung mit Regierung und Parlament zufrieden. In den letzten vier Jahren konnte - wenngleich von einem niedrigen Niveau ausgehend - doch eine deutliche Verbesserung verzeichnet werden. Eine Umfrage der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) aus dem Jahr 2010 ergab, dass 75% der Kosovaren eine positive Einstellung zur Demokratie haben. Die hohe Zustimmung zur Demokratie hat unter den sozioökonomischen Veränderungen, dem Versöhnungsprozess der Regierung mit Serbien und den serbischen Gemeinden im Kosovo und den 2015 von der Opposition organisierten Straßenprotesten gelitten (BS 2020).
Am 5.10.2019 fanden im Kosovo vorgezogene Parlamentswahlen statt. Diese Wahl war erforderlich geworden, weil der amtierende Ministerpräsident und ehemalige UCK-Kommandeur Ramush Haradinaj wegen einer Vorladung zum Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag vom Amt als Regierungschef zurückgetreten war (DS 7.10.2019; NZZ 7.10.2019). Die Wahlen wurden – bei einer Wahlbeteiligung von 44% - von den bisherigen Oppositionsparteien gewonnen. Den Kampf um den ersten Platz und damit um den Regierungsauftrag entschied mit knapp 25,6% der Stimmen die groß-albanische, nationalistische und EU-kritische Oppositionspartei Vetëvendosje (Selbstbestimmung) mit ihrem Spitzenkandidaten Albin Kurti, für sich. Dicht dahinter folgte mit 24,9% der Stimmen die moderat-konservative Demokratische Liga des Kosovo (LDK) mit ihrer Spitzenkandidatin Vjosa Osmani. Den dritten Platz belegte mit 21,1% die – von Staatspräsident Hashim Thaci dominierte - Demokratische Partei des Kosovo (PDK). Die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) des nur zwei Jahre amtierenden Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj kam auf 11,6% der Stimmen (NZZ 7.10.2019; vgl. DP 7.10.2019).
(GIZ 3.2020a)
Der Wahlausgang wurde als Signal gegen Korruption und Stillstand gewertet und bedeutete zunächst das Ende der langjährigen Dominanz der PDK von Staatspräsident Hashim Thaci über die kosovarische Politik (ORF 6.10.2019). Mehr als die Hälfte aller Stimmen konnten zwei Politiker auf sich vereinen, deren Karriere nicht in der UCK begann und die für einen klaren Bruch mit dem Klientelsystem des politischen Establishments stehen (NZZ 7.10.2019). Wie von Beobachtern erwartet, kam es zu einem Regierungsbündnis zwischen den nunmehr siegreichen bisherigen Oppositionsparteien unter Führung von Kurti und Osmani. Beide kündigten an, die grassierende Korruption bekämpfen und den Rechtsstaat stärken zu wollen (Spiegel 9.2.2020; vgl. DP 7.10.2019).
Nach nur etwa 50 Tagen im Amt wurde die Regierung von Ministerpräsident Albin Kurti per Misstrauensvotum gestürzt. Hintergrund war ein Streit um Verhandlungen mit Serbien, das die Unabhängigkeit des Kosovo bis heute nicht anerkennt (Standard 2.5.2020).
Während Kurti baldige Neuwahlen favorisierte, forderte Präsident Hashim Thaci die Bildung einer Einheitsregierung; dies hätte zu einer Regierungsbeteiligung der oppositionellen Demokratischen Partei des Kosovo, der PDK, führen können, jener Partei, die Thaci bis zur Übernahme der Präsidentschaft vor vier Jahren geleitet hatte (AA – 6.4.2020, vgl. BBC 26.3.2020).
Ein vorläufiges Dekret von Präsident Thaci, mit dem ein Politiker der Mitte-Rechts-Partei LDK den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hatte, wurde jedoch vom Verfassungsgericht ausgesetzt, womit die Regierungsbildung bis zu einer endgültigen Gerichtsentscheidung nunmehr auf Eis liegt (Standard 2.5.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (19.4.2020): Außen- und Europapolitik, Kosovo. Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kosovo-node/politisches-portraet/207468?openAccordionId=item-207450-0-panel, Zugriff 4.5.2020
- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 3.4.2020
- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.4.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027827/briefingnotes-kw15-2020.pdf, Zugriff 3.4.2020
- BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 17.4.2020
- BBC (26.3.2020): Coronavirus row helps topple Kosovo government, https://www.bbc.com/news/world-europe-52044136, Zugriff 7.4.2020
- CIA – Central Intelligence Agency (7.4.2020): The Worlöd Factbook. Europe. Kosovo, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/kv.html, Zugriff 17.4.2020
- DS - Der Standard (7.10.2019): Riskante Wachablöse im Kosovo, https://www.derstandard.at/story/2000109598474/riskante-wachabloese-im-kosovo, Zugriff 6.4.2020
- DP - Die Presse (7.10.2019): Kosovos Rebell greift nach der Macht, https://www.diepresse.com/5702091/kosovos-rebell-greift-nach-der-macht, Zugriff 8.10.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/, Zugriff 4.5.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/ , Zugriff 4.5.2020
- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (7.10.2019): Wahlerfolg der Opposition: In Kosovo weht ein neuer Wind, https://www.nzz.ch/international/wahlen-im-kosovo-bisherige-oppositionsparteien-liegen-vorn-ld.1513769, Zugriff 3.4.2020
- ORF - Österreichischer Rundfunk (6.10.2019): Opposition gewinnt Parlamentswahl im Kosovo, https://orf.at/stories/3139956/, Zugriff 8.10.2019
- Spiegel (9.2.2020): Kurti stellt die Systemfrage, https://www.spiegel.de/politik/ausland/kosovo-albin-kurti-will-als-premier-alles-anders-machen-a-9cbb96a8-c191-4366-ae0d-66a0e9b8ac0d, Zugriff 7.4.2020
- Standard (2.5.2020): Verfassungsgericht im Kosovo stoppt Bildung einer neuen Regierung, https://www.derstandard.at/story/2000117242247/verfassungsgericht-im-kosovo-stoppt-bildung-einer-neuen-regierung, Zugriff 7.4.2020
2.Sicherheitslage
Letzte Änderung: 11.5.2020
Ethische Spannungen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Beziehungen zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit. Zu differenzieren sind dabei die Beziehungen zu den im Norden in einem zusammenhängenen Gebiet lebenden Serben und jenen Serben, die im restlichen Kosovo in kleineren versprengten Gemeinden wohnen. Letztere unterhalten relativ gute Beziehungen zu den kosovo-albanischen Autoritäten und beteiligen sich an der gesellschaftspolitischen Ausgestaltung im Rahmen der kosovarischen Institutionen. Ganz anders ist hingegen die Situation im Nordkosovo. Die hier lebenden Serben weigern sich, die Unabhängigkeit des Kosovo und zum Teil die Institutionen des neu geschaffenen Staates anzuerkennen. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit. Besonders problematisch sind speziell Fragen der Grenze zwischen dem Kosovo und Serbien, zumal diese von den im Norden lebenden Serben nicht anerkannt wird (GIZ 9.2018a).
Somit bleibt die Lage im Norden des Kosovo (Gemeinden Zubin Potok, Leposavic, Zvecan und Nord-Mitrovica) angespannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch künftig zu isolierten sicherheitsrelevanten Vorkommnissen kommt, die die allgemeine Bewegungsfreiheit einschränken (AA 2.5.2020).
Mit der Ausnahme des Nordkosovo gilt die Sicherheitslage allgemein als entspannt. Allerdings kann es zu punktuellen Spannungen kommen (GIZ 9.2018a).
In Pristina und anderen Städten des Landes kann es gelegentlich zu Demonstrationen und damit zu einer Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit kommen. In allen anderen Landesteilen Kosovos ist die Lage grundsätzlich ruhig und stabil. Teilweise gewalttätige Protestaktionen der Opposition gegen die Regierung haben sich seit dem ersten Halbjahr 2016 nicht mehr ereignet, das Potential für solche Proteste besteht aber weiterhin (AA 2.5.2020).
Eine Studie des angesehenen Kosovo Center for Security Studies zum Sicherheitsgefühl der Kosovaren aus dem Jahr 2018 ergab, dass sich 85,5% der Befragten in ihrem Zuhause (Wohnung, Haus), 78,8% in ihrer Stadt und 52,4% im Kosovo sicher fühlten. Albanische und nicht-serbische Minderheitenangehörige fühlen sich im Kosovo sicherer als Serben (KCSS 7.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (2.5.2020): Kosovo: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/kosovosicherheit/207442 , Zugriff 4.5.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/ , Zugriff 23.12.2019
- KCSS - Kosovo Center for Security Studies (7.2019): Kosovo Security Barometer – Trends of Citizens’ Perceptions on Public safety in Kosovo (2016 – 2018), https://www.academia.edu/40117450/REPORT_BY_KCSS_TRENDS_OF_CITIZENS_PERCEPTIONS_ON_PUBLIC_SAFETY_IN_KOSOVO , Zugriff 23.12.2019
3.Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 11.5.2020
Die gesetzgebende Gewalt wird vom kosovarischen Parlament ausgeübt, die exekutive Gewalt von der Regierung (Premierminister, Minister) und die richterliche Gewalt von den Gerichten, einschließlich des Obersten Gerichtshofs, der höchsten richterlichen Behörde, und des Verfassungsgerichts. Die Exekutive hat sich jedoch wiederholt (informell) in die Arbeit von Legislative und Judikative eingemischt und das Parlament wurde immer wieder dafür kritisiert, dass es sein verfassungsmäßiges Mandat zur Kontrolle der Regierung nicht ausübt. Die parlamentarischen Ausschüsse in der Versammlung wurden von der Exekutive ignoriert, wodurch ihre parlamentarische Kontrollfunktion wesentlich geschmälert wurde. Die Kontrolle und Ausgewogenheit der demokratisch gewählten Institutionen ist zwar formell festgelegt, in der Realität jedoch schwach und ineffizient (BS 2020).
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, aber diese Unabhängigkeit wird nach wie vor durch politische Autoritäten und ein hohes Maß an Korruption beeinträchtigt. EULEX und seine kosovarischen Pendants haben einige Fortschritte in Bezug auf Nachhaltigkeit, Rechenschaftspflicht, Freiheit von politischer Einmischung und Multiethnizität, einschließlich der Einhaltung europäischer Best Practices und internationaler Standards, erzielt. Dennoch hat eine 2016 durchgeführte Umfrage über die Wahrnehmung des Justizsystems durch die Bürger ergeben, dass nur 12,3% die Gerichte für unabhängig hielten, während 61,2% der Ansicht waren, dass Personen mit politischen Verbindungen weniger wahrscheinlich bestraft würden. 50,5% meinten, dass Justizbeamte Bestechungsgelder erhielten oder verlangten und nur 36% konnten jüngste Verbesserungen im Justizsystem feststellen, während 24,4% davon überzeugt waren, dass keine Verbesserungen erzielt wurden (BS 2020).
Die Effizienz bei der Fallbearbeitung hat sich verbessert, aber es gibt immer noch einen beachtlichen Rückstau an offenen Fällen. Ein Disziplinarverfahren gegen Richter und Staatsanwälte ist zwar vorhanden, aber ineffizient. Eine unabhängige staatliche Rechtshilfekommission stellt kostenlose Rechtshilfe für Personen mit niedrigen Einkommen zur Verfügung; diese ist jedoch nicht adäquat finanziert und funktioniert nicht wie vorgesehen. Bei Verletzung der Prozessrechte können sich Geschädigte an den Verfassungsgerichtshof wenden (USDOS 11.3.2020).
Die Verfahren werden nicht immer ordnungsgemäß abgewickelt. Nach Angaben der Europäischen Kommission, der NGOs und der Institution der Ombudsperson ist die Justizverwaltung langsam und es fehlen die Mittel, um die Rechenschaftspflicht der Justizbeamten zu gewährleisten. Die Justizstrukturen sind politischer Einflussnahme ausgesetzt, mit umstrittenen Ernennungen und unklaren Mandaten (USDOS 11.3.2020). Die lokale Rechtsprechung sieht sich Einflüssen von außen, v.a. seitens der Exekutive, ausgesetzt und sorgt nicht immer für faire Prozesse (FH 4.2.2019).
Im Laufe des Jahres 2019 förderte das Justizministerium Änderungen eines Gesetzes von 2010 über die disziplinarische Verantwortung von Richtern und Staatsanwälten, mit denen die Unparteilichkeit des kosovarischen Justizwesens erreicht werden sollte (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus wurden Register zur Erfassung von Beschwerden gegen Richter auf Ebene der Gerichte und des KJC, des „kosovarischen Justizrates“, fertiggestellt und allen Gerichten zur Überprüfung übergeben. Im Einklang mit der Disziplinarordnung wählte die KJC 70 von den Gerichtspräsidenten empfohlene Richter für die Mitgliedschaft in Gremien aus, die für die Untersuchung von Disziplinarbeschwerden zuständig sind. Ihr Mandat ist gestaffelt, um Kontinuität zu gewährleisten: 25 Richter wurden nach dem Zufallsprinzip für eine Amtszeit von einem Jahr, 23 für eine zweijährige und 22 für eine dreijährige Amtszeit ausgewählt. Jährlich sollen neue Mitglieder ausgewählt werden, um eine volle Besetzung von 70 zu gewährleisten. Seit Inkrafttreten des neuen Disziplinarverfahrens sind bei den Gerichtspräsidenten als den zuständigen Behörden 75 Beschwerden gegen Richter eingegangen; der kosovarische Justizrat setzte ein entsprechendes Untersuchungsgremium ein (USDOS 11.3.2020).
Manchmal versäumen es die Behörden, gerichtlichen Anordnungen u.a. auch des Verfassungsgerichts nachzukommen, insbesondere wenn die Urteile Minderheiten begünstigen, wie in zahlreichen Fällen der Rückgabe von Eigentum an Kosovo-Serben. Keiner der Beamten, die 2019 an der Nichtumsetzung von Gerichtsbeschlüssen beteiligt waren, wurde sanktioniert (USDOS 11.3.2020).
Das Gesetz sieht faire und unparteiische Verfahren vor und trotz gravierender Mängel im Justizsystem wie etwa politischer Einmischung, wird das Recht im Allgemeinen umgesetzt. Die Prozesse sind öffentlich, die Angeklagten haben ein Recht auf die Unschuldsvermutung, auf unverzügliche Information über die gegen sie erhobenen Anklagen und auf ein faires, öffentliches Verfahren, bei dem sie sich in ihrer Muttersprache an das Gericht wenden können. Sie haben das Recht, zu schweigen oder sich der Aussage zu entschlagen, Beweise einzusehen, einen eigenen Rechtsbeistand zu haben und gegen Urteile zu berufen. Das Kosovo wendet keine Geschworenenprozesse an (USDOS 11.3.2020).
Die "Free Legal Aid Agency“ (FLAA) ist von der Regierung beauftragt, Personen mit niedrigem Einkommen kostenlosen Rechtsbeistand zu gewähren und führt entsprechende Kampagnen durch, die sich an benachteiligte und marginalisierte Gemeinschaften richteten. Im Mai 2019 finanzierten die Vereinten Nationen das Zentrum für Rechtshilfe, welches über NGOs Frauen kostenlosen Rechtsbeistand in Fällen wie der Überprüfung von Eigentumsrechten, Klagen wegen sexueller Gewalt und Rentenansprüchen aus Serbien garantiert (USDOS 11.3.2020).
Kosovo befindet sich in einem Frühstadium in Bezug auf die Anwendung des aquis communautaire und europäischer Standards im Justizbereich. Ein gewisses Ausmaß an Fortschritt wurde erreicht, unter anderem bei der Untersuchung hochrangiger Korruptionsfälle. Korruption ist dennoch weit verbreitet und bleibt ein problematischer Themenbereich. Die Verabschiedung verschiedener Rechtsdokumente im Bereich Korruptionsbekämpfung stellt einen wichtigen Schritt dar, wesentlich ist nun die konsequente Umsetzung (EC 29.5.2019).
Am 8.6.2018 hat der Rat beschlossen, das Mandat der Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, EULEX Kosovo, neu auszurichten. Die Mission hatte seit ihrer Einrichtung vor 10 Jahren zwei operative Ziele: das Ziel der Beobachtung, Anleitung und Beratung durch Unterstützung der Rechtsstaatlichkeitsinstitutionen des Kosovo und des Dialogs zwischen Belgrad und Pristina und zweitens ein exekutives Ziel, nämlich die Unterstützung verfassungs- und zivilrechtlicher gerichtlicher Entscheidungen sowie strafrechtlicher Ermittlungen und gerichtlicher Entscheidungen in ausgewählten Strafsachen. Mit dem Beschluss wird der justizielle exekutive Teil des Mandats der Mission beendet und das Kosovo nimmt nun die Verantwortung für alle übertragenen Ermittlungen, Strafverfolgungen und Gerichtsverfahren wahr. Seit dem 14.6.2018 konzentrierte sich EULEX darauf, ausgewählte Fälle und Gerichtsverfahren in den Straf- und Zivilrechtsinstitutionen des Kosovos zu beobachten, den Justizvollzugsdienst des Kosovos zu beobachten, anzuleiten und zu beraten und die operative Unterstützung für die Umsetzung der von der EU geförderten Dialogvereinbarungen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo fortzusetzen. Der Ratsbeschluss sieht vor, dass das überarbeitete Mandat bis zum 14.6.2020 gilt (REU 8.6.2018).
Q uellen:
- BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Kosovo, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RKS.pdf, Zugriff 4.5.2020
- EC - Europäische Kommission (29.5.2019): Kosovo* 2019 Report, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20190529-kosovo-report.pdf, Zugriff 7.4.2020
- FH - Freedon House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Kosovo, https://www.ecoi.net/en/document/2015997.html, Zugriff 7.4.2020
- REU - Rat der Europäischen Union (8.6.2019): EULEX Kosovo: neue Rolle für die Rechtsstaatlichkeitsmission der EU, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2018/06/08/eulex-kosovo-new-role-for-the-eu-rule-of-law-mission/#, Zugriff 23.12.2019
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Kosovo, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026405.html, Zugriff 17.4.2020
3.1.Der Kanun / Blutrache
Letzte Änderung: 11.5.2020
Historisch bedingt existierte in der kosovarischen Gesellschaft eine grundsätzliche Distanz gegenüber staatlichen Strukturen. Dies führte zur Ausbildung umfangreicher Prozesse der Gemeinschaftsbildung, welche u. a. in der Entwicklung von Stämmen, Clans, Patenschaften und Blutsverwandtschaft Ausdruck fand. Insbesondere in der albanischen Bergwelt basierte die Ordnung auf mündlich tradiertem Gewohnheitsrecht. Diese sogenannten Kanune variierten regional, wobei die bekannteste dieser Rechtsordnungen der Kanun Lekë Dukagjini ist. Die grundlegende soziale Einheit, auf der der Kanun basiert, ist die Großfamilie unter Führung des männlichen Familienältesten (Senioritätsprinzip). Der Kanun ist ein umfassendes Regelwerk und befasst sich mit weiten Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens wie Kirchen-, Ehe-, Erb-, Schuld-, Handels- und Strafrecht. Zentral für dieses Rechtsverständnis ist der Begriff der Ehre, was sich u.a. in der Bedeutung der Blutrache, aber auch des umfassenden Gastrechts ausdrückt. Die Rolle der Frauen im Kanun ist eine nachgeordnete und charakterisiert die marginale Stellung der Frau in der traditionellen albanischen (Hochland-)Gesellschaft (GIZ 3.2020b).
Die Blutrache, die teils Ausdruck Jahrzehnte alter Konflikte ist, war bis in die 1980er Jahre ein weit verbreitetes Phänomen in Albanien und im Kosovo. 1990 nahmen unter Führung von Anton Çetta, einem Professor für Ethnologie, ca. 100.000 Personen aus dem Kosovo, aus Albanien, Mazedonien und Montenegro an einer großen Aussöhnung von Familien teil, bei der ca. 2.000 Fälle der Blutrache versöhnt wurden. Obwohl er zunehmend an Bedeutung verliert, spielt der Kanun in entlegenen Regionen bis heute eine Rolle bei der Rechtsinterpretation. Nach dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Albanien 1997 kam es zu einer Renaissance der Blutrache, allerdings nicht nach den Regeln des Kanuns. Waren traditionell Frauen und Kinder vor der Blutrache geschützt, sind heute auch diese Personengruppen von der Verfolgung betroffen. Bei der Bewertung krimineller Handlungen bzw. Formen der organisierten Kriminalität (in der Diaspora) spielen Aspekte des Gewohnheitsrechts aktuell eine Rolle (GIZ 3.2020b).
Insbesondere außerhalb der größeren Städte sind nicht selten Racheakte aus verschiedenen Gründen zu beobachten. Diese werden landläufig als „Blutrache“ bezeichnet und ohne Beachtung der einschränkenden Regeln des Kanun - der Eröffnung, Ablauf und Beendigung regelt - beharrlich betrieben, zum Teil mit blutigen bzw. tödlichen Folgen. Bei diesen Racheakten ist die Hemmschwelle, eine Schusswaffe zu benutzen, oft sehr niedrig. Beteiligte an solchen Taten werden verfolgt, angeklagt und verurteilt (AA 21.3.2019).
Blutrache stellt im Westen des Kosovo (und im Norden Albaniens) nach wie vor ein Problem dar und wird infolge der Migrationsbewegung von Albanern und Kosovo-Albanern hin und wieder auch ins Ausland getragen. Eine Grundregel ist, dass eine Ehrverletzung mit Blut vergolten werden muss – sonst werden der Geschädigte und seine Familie von der Dorfgemeinschaft geächtet, was den gesellschaftlichen Tod bedeutet. Dieser gesellschaftliche Zwang ist ein Grund, weshalb sich die Blutrache in einigen Gegenden von Albanien und Kosovo zäh halten kann. Da eine Tötung stets die Revanche der anderen Familie herausfordert, können sich die Kettentötungen einer Blutfehde über Jahrzehnte hinziehen und ganze Familien auslöschen. Ursprünglich verlangte der Ehrenkodex des Kanuns, dass nur an männlichen Familienmitgliedern Blutrache geübt werden darf – doch heute sind in Nordalbanien durchaus auch Frauen gefährdet. Nur innerhalb des eigenen Hauses sind betroffene Familien vor der Blutrache sicher. Eine Blutfehde kann aber durch Verhandlungen und ein Sühnegeld beendet werden, wenn die (zuletzt) geschädigte Familie einwilligt. Diese Sühne wird im albanische Kanun Blutgeld genannt (GRA 2015).
Es bestehen keine Zufluchtsmöglichkeiten in anderen Landesteilen oder größeren Städten. Wegen der geringen Größe des Kosovo ist es leicht möglich, eine Person auch in größeren Städten sehr schnell zu finden, zumal Neuankömmlinge meist in einen Stadtteil ziehen, in dem bereits andere Personen aus ihrem Dorf oder Clan leben. Die größeren Städte setzten sich daher sozusagen aus “ethnischen“ Vierteln zusammen, in denen Familien Verwandtschaftsbeziehungen zu ihrem Heimatort und ihrem patrilinearen Clan bewahrten. Ferner ist es nicht möglich, von einem in einen anderen Landesteil zu ziehen und einfach unterzutauchen, da jede kosovo-albanische Person ihre Herkunft auf einen der zwölf Gründungsclans der Albaner in Kosovo zurückführen kann. Eine falsche Identität zu erfinden, die einer Überprüfung standhalten würde, ist daher kaum möglich. Zusätzlich werden Neuankömmlinge stets in einem Kontext sozialer Beziehungen eingeordnet, und Höflichkeitsnormen schreiben vor, sich bereits bei der ersten Begegnung nach Herkunft, Familienbeziehungen und Freunden einer Person zu erkundigen. Auch die Ombudsperson des Kosovo bestätigt, dass es kaum möglich ist, in anderen Landesteilen oder größeren Städten vor Blutrache Schutz zu finden (SFH 1.7.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 14.4.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Kosovo - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kosovo/gesellschaft/, Zugriff 5.5.2020
- GRA – Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (o.D.): Belastete Begriffe. Blutrache/Vendetta, https://www.gra.ch/bildung/gra-glossar/begriffe/belastete-begriffe/blutrache-vendetta/, Zugriff 5.5.2020
- SFH – Schweizer Flüchtlingshilfe (1.7.2016): Kosovo. Blutrache, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/kosovo/160701-kos-blutrache.pdf, Zugriff 14.4.2020
4.Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 11.5.2020
Die innere Sicherheit der Republik Kosovo beruht auf drei Komponenten: der Kosovo Polizei (KP), den unterstützenden internationalen EULEX-Polizeikräften (EU-Rechtstaatlichkeitsmission, Anm.) und den KFOR-Truppen (mit 3.500 Soldaten) (AA 21.3.2019).
Als eine ihrer Operationslinien unterstützt die KFOR Aufbau und Training der multiethnischen und zivil kontrollierten, leicht bewaffneten Sicherheitskräfte „Kosovo Security Force“ (KSF), die nach dem bisherigen Gesetzesrahmen nicht mehr als 2.500 Mitglieder und maximal 800 Reservisten hatten. Die KSF übernimmt derzeit primär zivile Aufgaben wie Krisenreaktion, Sprengmittelbeseitigung und Zivilschutz. Das am 14.12.2018 mit überwältigender parlamentarischer Mehrheit verabschiedete Gesetzespaket zur Transition in reguläre, defensiv ausgerichtete Streitkräfte unterwirft die KSF einem 10-jährigen Übergangsprozess, an dessen Ende ca. 5.000 leicht bewaffnete Defensivkräfte stehen sollen. Die kosovarische Regierung hat der NATO gegenüber schriftlich die volle Transparenz des Prozesses, die Bewahrung des multiethnischen Charakters der KSF sowie das Festhalten an den Bedingungen von UNSCR 1244 und dem KFOR-Mandat bekundet (AA 21.3.2019).
Die Polizei (Kosovo Police, KP) hat derzeit eine Stärke von ca. 9.000 Personen. Der Frauenanteil in der KP beträgt 14%; der Anteil der Angehörigen von Minderheiten liegt bei 16%. EULEX-Polizisten beraten und unterstützen Polizeidienststellen im gesamten Land. Für die parlamentarische Kontrolle der Sicherheitskräfte ist im Parlament der Ausschuss für Inneres, Sicherheitsfragen und Überwachung der KSF zuständig (AA 21.3.2019). Weiterhin sollen die Polizeistrukturen im Kosovo vereinheitlicht und Mitglieder serbischer Sicherheitskräfte in die kosovarische Polizei integriert werden. Die Polizeikräfte im serbischen Norden sollen die Bevölkerungsverhältnisse widerspiegeln und unter Führung eines kosovo-serbischen Regionalkommandanten stehen (GIZ 3.2020a). Es gibt 436 Polizeibeamte (Angehörige der KP) pro 100.000 Einwohner. Dies übertrifft den EU-Durchschnitt, der sich im Jahr 2016 gemäß Eurostat auf 318 Beamte belief. Die Polizei ist relativ gut ausgebildet und ausgerüstet. Sie verfügt über moderne IT-Infrastruktur. Die „Kosovo Academy for Public Safety“ gewährleistet eine gute Ausbildung für Polizeibeamte und andere Angehörige des Sicherheitsapparats (Zollbeamte, Beamte des Strafvollzugs) sowohl im Bereich der Grundausbildung als auch im Bereich der berufsbegleitenden Weiterbildung. Die Kapazität der Polizei zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist gut, jedoch unterliegt die Polizei immer noch Korruption und politischem Druck (EC 29.5.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (21.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005251/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Kosovo_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylG_%28Stand_Januar_2019%29%2C_21.03.2019.pdf, Zugriff 10.4.2020
- EC - Europäische Kommission (29.5.2019): Kosovo 2019 Report, S33 u. S35, https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20190529-kosovo-report.pdf, Zugriff 27.11.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/ , Zugriff 5.5.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2018a): Kosovo - Geschichte/Staat, https://www.liportal.de/kosovo/geschichte-staat/ , Zugriff 23.12.2019
5.Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 11.5.2020
Das Verbot der Folter sowie der grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe wird im Artikel 27 der kosovarischen Verfassung verankert. Artikel 199 des Strafgesetzbuches kriminalisiert Folter in voller Übereinstimmung mit internationalen Menschenrechtsnormen (AA 21.3.2019). Die Gesetze werden aber uneinheitlich umgesetzt und es gab anhaltende Vorwürfe, dass Gefangene von der Polizei und in geringerem Maße auch vom Personal des Strafvollzugsdienstes gefoltert und misshandelt wurden (UDOS 11.3.2020). Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nahm in seinem letzten Bericht über den Besuch in Serbien und Kosovo mit großer Besorgnis zahlreiche Anschuldigungen wegen Folter und Misshandlungen durch die Polizei zur Kenntnis (AA 21.3.2019; vgl. UN 25.