TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/25 W274 2191020-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.2020
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Entscheidungsdatum

25.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W274 2191011-1/12E
W274 2191020-1/11E
W274 2191015-1/8E

W274 2191023-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerden der 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX und 4.) mj. XXXX , geb. XXXX , 3.) und 4.) vertreten durch 1.) Und 2.), alle iranische Staatsbürger, XXXX , alle vertreten durch Dr. Helmut BLUM, Rechtsanwalt, Mozartstraße 11/6, 4020 Linz, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, je vom 28.02.2018, zu 1.) Zl. 1123790903-161023645/BMI-BFA_Stm_RD, zu 2.) Zl. 1110449103-160482269/BMI-BFA_Stm_RD, 3.) Zl. 1120577602-160901881/BMI-BFA_Stm_RD und zu 4.) Zl. 1178862701-180044568/BMI-BFA_Stm_RD, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:

Der Beschwerden wird Folge gegeben und der Zweitbeschwerdeführerin XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie dem Erstbeschwerdeführer ( XXXX ), dem Drittbeschwerdeführer ( XXXX ) und der Viertbeschwerdeführerin (mj. XXXX ) gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass somit XXXX , XXXX , XXXX und mj. XXXX gemäß kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Bei den 1.-BF bis 4.-BF handelt es sich um eine iranische Familie, wobei die 4.-BF am XXXX bereits in Österreich nachgeboren ist. Die Familie, damals bestehend aus den 1.- bis 3.-BF, verließ den Iran Anfang 2016 und gelangte zunächst in die Türkei und nach Griechenland.

Zunächst gelangte die 2.-BF ohne gültige Reisepapiere um den 05.04.2016 nach Österreich, wobei nicht festgestellt werden konnte, auf welche Weise. Der 1.-BF und der 3.-BF verblieben zwischenzeitig in Athen.

In weiterer Folge gelangte der mj. 3.-BF schlepperunterstützt mit dem Flugzeug ohne gültige Reisepapiere um den 28.06.2016 nach Österreich, wo er in Wien seiner Mutter, der 2.-BF übergeben und zu dieser nach XXXX gebracht wurde.

Zuletzt gelangte der 1.-BF schlepperunterstützt ohne gültige Reisepapiere per Flug nach Wien, wo er um den 23.07.2016 ankam. Weder der 3.-- noch der 1.-BF wurden offenbar im Zuge deren Einreise per Flugzeug ohne auf sie lautende gültige Reisepapiere angehalten und in diesem Zusammenhang verwaltungsrechtlich bzw. strafrechtlich belangt.

Die 2.-BF beantragte am 04.04.2016 vor der Polizeiinspektion Marchegg internationalen Schutz und gab zum Fluchtgrund an, sie habe ihre Religion gewechselt, darauf stehe im Iran die Todesstrafe. Sie habe fliehen müssen, um dem Tod zu entgehen. Sie habe ihr Land einige Tage vor ihrem Mann und ihrem Sohn verlassen. Die beiden seien dann nachgereist und befänden sich derzeit glaublich in Athen. Sie würden nach Österreich nachkommen.

Die zunächst für XXXX anberaumte Ladung zum Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) musste aufgrund der Geburt der Viertbeschwerdeführerin an diesem Tag (Kaiserschnitt) abberaumt werden.

Die (gemeinsame) Vernehmung der 2.-BF (und ihres Mannes) erfolgte sodann am 12.02.2018. Dabei gab die 2.-BF zusammengefasst an, sie habe eine sehr gute Freundin im Iran gehabt, die Armenierin gewesen sei. Diese habe sie und ihren Ehemann zu einer kirchlichen Sitzung eingeladen. Diese Sitzungen hätten im Dezember 2013 begonnen und bis zum Dezember 2014 stattgefunden. Am 28.12.2014 habe sie ihre Freundin ( XXXX ) angerufen und gesagt, dass zwei Teilnehmer des Kurses mitgenommen worden seien und sie nicht zu Hause bleiben sollten. Sie seien zum Anwesen des Teilhabers ihres Mannes gegangen und hätten sich dort ca. 20 Tage lang aufgehalten. Die BF hatten sodann festgestellt, dass sie „die Leute“ nicht mehr hätten erreichen können und hätten sich entschlossen, das Land zu verlassen. Nach ihrer Einreise nach Österreich habe sich die 2.-BF mit dem Christentum, mit dem sie sich schon zwei Jahre im Iran beschäftigt habe, weiterbeschäftigt.

Die 2.BF sei etwa Anfang März 2016 nach Österreich eingereist und habe ihren Asylantrag etwa einen Monat später gestellt (BFA S 5). Sie habe in Österreich festgestellt, dass der katholische Zweig eine vollere Religion sei. Das Leben im Iran sei durch den Zwang und die Gebräuche des Islam, die ihr durch ihren Schwiegervater auferlegt worden seien, zerstört worden. Sie selbst sei in einer freien Familie aufgewachsen. Ihre Scheidung habe dazu geführt, dass sie den Islam gehasst habe.

Nach Vorlage mehrerer Urkunden erfolgte eine Stellungnahme vom 22.02.2018. Darin führte sie vor allem aus, sie sei in der Gemeinde XXXX sehr gut integriert. Auch beim Verein XXXX sei sie eine aktive Stütze, insbesondere bei Festen und Benefiz-Veranstaltungen. Dem XXXX sei es eine große Freude gewesen, die 2.-BF und ihre Familie bei der festlich begangenen Taufe 2017 nach XXXX zu begleiten, wo unter den zahlreichen Ehrengästen auch der XXXX Bürgermeister anwesend gewesen sei. Die 2.-BF lerne eifrig Deutsch.

Der mj. 3.-BF beantragte, vertreten durch die 2.-BF, am 28.06.2016 vor der Polizeiinspektion Halbenrain (Südoststeiermark) internationalen Schutz und gab als Fluchtgrund an „aus religiösen Gründen“. Er glaube, da passiere was Schlimmes. Als Religionszugehörigkeit gab er an, zurzeit o.B., er wolle zum Christentum konvertieren.

Der 1.-BF beantragte am 23.07.2016 vor der PI Traiskirchen internationalen Schutz und gab als Fluchtgrund an, vor ca. zwei Jahren sei er zum Christentum konvertiert. Bislang habe er im Iran keine Möglichkeit gehabt, sich taufen zu lassen. Seine Frau und er seien ca. zweimal pro Woche in eine inoffizielle Kirche gegangen. Da sie Angst gehabt hätten, verhaftet zu werden, hätten sie das Land verlassen. Durch organisierte, gefälschte Reisedokumente sei er von Athen mit dem Flugzeug nach Wien gereist. Den Reisepass habe er am Flughafen Schwechat weggeworfen. Als Religionszugehörigkeit gab er an, katholische Kirchen.

Der 1.-BF befand sich bereits ihm griechischen Asylverfahren und verfügte über einen griechischen Asylausweis vom 07.07.2016 (AS 13).

Nach Vorlage von Urkunden wurde der 1.-BF am 12.02.2018 vor dem BFA vernommen und gab zum Fluchtgrund an, er habe 1380 (ca. 2001) seine Frau (die 2.-BF) geheiratet. Sein Vater sei ein sehr religiöser Bediensteter beim Militär. Er habe gefordert, dass sich seine Frau an die islamischen Gebräuche halte, wodurch die Beziehung zu dieser abgekühlt sei. Cirka Mitte 1387 (etwa 2008) sei diese ausgezogen und der 1.-BF habe sich von der 2.-BF einvernehmlich scheiden lassen. Kurz darauf habe er die von seinem Vater bestimmte Frau geheiratet. Von dieser habe er sich im 5. Monat 1392 (etwa im August 2013) scheiden lassen. Ein paar Tage später, zum Geburtstag der 2.-BF, habe er mit dieser wieder Kontakt aufgenommen und ca. ein Jahr eine geheime Beziehung zu ihr unterhalten. Bei einem Essen mit der 2.-BF habe diese ihre armenische Freundin XXXX mitgenommen und ihn eingeladen, an einer kirchlichen Sitzung teilzunehmen. Sie hätten dann auch noch zwei weitere Sitzungen besucht und danach erneut geheiratet. Sie seien dann zusammengezogen und er habe den Kontakt zu seiner Familie auf ein Minimum reduziert. Die letzte Sitzung habe im 10. Monat 1394 (etwa Jänner 2016) stattgefunden.

Der 1.-BF wurde an diese Stelle unterbrochen und untersucht, seine Fluchtgründe zu schildern:

Er gab sodann an, vier oder fünf Tage nach der letzten Sitzung habe XXXX angerufen und mitgeteilt, dass Beamte die Wohnung der Priesterin, bei der die Sitzungen stattgefunden hätten, gestürmt und durchsucht hätten und ein Teilnehmer der Gruppe bei ihr gewesen sei. Die Beamten würden alle Namen kennen. Ihnen sei empfohlen worden, nicht zu Hause zu bleiben. Er habe sich mit seiner Frau sodann 19 bzw. 21 Tage in einem Anwesen seines Teilhabers aufgehalten und sei dann mit seinem Sohn mit Hilfe eines Schleppers geflüchtet. Seine Frau sei per Flugzeug mit Hilfe eines Schleppers geflüchtet. Nachdem der 3.-BF keinen Reisepass gehabt habe, habe er seinen Sohn mitgenommen und sei mit diesem über den Landweg geflüchtet. Die 2.-BF sei geflogen.

Er habe den Islam gehasst, weil sein Vater ihn gezwungen habe, eine andere Frau zu heiraten. Er bekenne sich nunmehr zum katholischen Zweig des Christentums, weil die 2.-BF am ersten Tag nach ihrer Einreise in Österreich eine Farsi-sprechende Pfarrerin kennengelernt habe, die katholisch gewesen sei. In Athen habe er protestantische Kurse besucht. Er besuche samstagnachmittags und sonntags früh die Kirche, bete zu Hause und lese die Bibel.

Nach Urkundenvorlagen legte auch der 1.-BF die Stellungnahme vom 22.02.2018 vor (oben bei der 2.-BF dargestellt).

Die mj. 4.-BF stellte schriftlich, vertreten durch den 1.-BF und die 2.-BF am 08.01.2018 gegenüber dem BFA einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005.

Mit den angefochtenen, getrennt erlassenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich Asyl und Subsidiärschutz ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ Rückkehrentscheidungen (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.) und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).

Betreffend den 1.-BF führte die belangte Behörde begründend aus, dessen Identität stehe fest. Er sei in Österreich getauft worden und nun katholischer Christ. Nicht festgestellt werden habe können, dass er aus religiösen Gründen bzw. als Christ im Iran verfolgt worden sei. Der 1.-BF sei nicht in der Lage gewesen, eine einzige, konkret gegen ihn gerichtete Bedrohungs- oder Verfolgungssituation zu schildern. Er habe auf die diesbezügliche Frage lange und ausführlich seine angeblichen privaten Probleme vorgebracht, ohne auf den eigentlichen Grund für das Verlassen des Herkunftslandes einzugehen. Erst auf Ersuchen auf den Punkt zu kommen, habe er angegeben, dass sie aufgrund eines einzigen Anrufes einer Freundin seiner Ehefrau, wonach Beamte die Wohnung einer Frau namens Farah gestürmt hätten, das Land verlassen hätten. Dieser Telefonanruf sei, wie im Asylverfahren der 2.-BF ausführlich festgehalten, keineswegs glaubhaft, da sich die 2.-BF in Widersprüche verstrickt habe. Keineswegs nachvollziehbar sei es auch, weshalb sich der 1.-BF in Österreich plötzlich zum katholischen Zweig bekenne. Der 1.-BF habe sich in seinem Herkunftsland niemals ernsthaft mit dem Christentum beschäftigt bzw. daran gedacht, zu konvertieren. Mit der in Österreich erfolgten Taufe habe er versucht, sich Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen. Er habe sein Herkunftsland mit dem Wunsch nach Migration verlassen. Das gehe schon aufgrund der Angabe hervor, dass sein Ziel England gewesen sei.

Betreffend die 2.-BF führte die belangte Behörde aus, auch deren Identität stehe fest. Sie sei in Österreich getauft worden und nun katholische Christin. Nicht festgestellt werden habe können, dass sie aus religiösen Gründen bzw. als Christin im Iran verfolgt worden sei bzw. im Falle einer Rückkehr verfolgt oder bedroht werde. Auch sie habe keine einzige konkret gegen sie gerichtete Bedrohungs- oder Verfolgungssituation geschildert, sondern lediglich angegeben, das Land ca. 20 Tage nach einem angeblichen Anruf ihrer Freundin XXXX verlassen zu haben, wobei ihr mitgeteilt worden sei, nicht zu Hause zu bleiben, da zwei Teilnehmer an einer kirchlichen Sitzung, an der angeblich auch sie regelmäßig teilgenommen habe, mitgenommen worden sein. Dieser Anruf sei nicht glaubhaft. Die 2.-BF habe angegeben, das Datum des Anrufes genau zu wissen, da die Sitzungen immer freitags gewesen seien. Der Anruf sei fünf Tage darauf erfolgt. Demzufolge müsste dieser an einem Mittwoch erfolgt sein. Nach iranischem Kalender sei nach den Angaben dieser aber am 07.10.1393 (28.12.2014) gewesen, was ein Sonntag sei. Es sei auch nicht nachvollziehbar und plausibel, weshalb die Freundin erst fünf Tage nach der angeblichen Mitnahme der Teilnehmer angerufen habe und diese nicht sofort nach dem Vorfall gewarnt haben sollte. Nach den Datumsangaben der 2.-BF müsste ihre Ausreise ca. 20 Tage nach dem 28.12.2014 erfolgt sein, somit im Jänner 2015. Nach den weiteren Angaben der 2.-BF hätte der Asylantrag im März oder April 2015 erfolgt sein müssen. Tatsächlich sei dieser im April 2016 erfolgt. Weiters habe sie nicht angeben können, was sie am Christentum fasziniert habe. Wäre die BF mit den von ihr geschilderten Problemen und Bedrohungen konfrontiert gewesen, hätte sie nicht ein bestimmtes Zielland (England) ausgewählt, sondern den erstmöglichen Schutz in Anspruch genommen. Auch eine innere Konversion in Österreich sei nicht anzunehmen, zumal die 2.-BF selbst angegeben habe, vom Inhalt der Heiligen Messe wenig zu verstehen.

Auch betreffend den 3.-BF wurde begründend ausgeführt, nicht festgestellt habe können, dass dieser in seinem Herkunftsland aus religiösen Gründen einer gegen ihn gerichteten Bedrohung oder Gefahr ausgesetzt sei oder im Falle einer Rückkehr wäre. Er sei in Österreich getauft und nun katholischer Christ. Weiters wurde begründend auf die Bescheide der gesetzlichen Vertreter verwiesen. Es seien von diesen keine eigenen Gründe für den 3.-BF geltend gemacht worden.

Betreffend die 4.-BF wurde ausgeführt, nicht festgestellt werden habe können, dass sie nach ihrer Rückkehr in den Iran aus religiösen Gründen verfolgt oder bedroht werde. Im Übrigen werde auf die Feststellungen in den Asylbescheiden der Eltern verwiesen. Auch durch die gesetzlichen Vertreter habe keine Verfolgungssituation glaubhaft gemacht werden können. Dass die 4.-BF schon aufgrund ihres Vornamens im Iran mit Problemen konfrontiert sein könnte, sei nicht plausibel und fern jeglicher Realität. Den Eltern sei eine Rückkehr in den Iran jedenfalls zuzumuten. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die 4.-BF als Familienmitglied in eine ausweglose Situation geraten würde.

Gegen diese Bescheide richten sich die anwaltlich durch Rechtsanwälte Reif und Partner erhobenen Beschwerden des 1.-BF sowie der 2.-BF auch für den 3.-BF und die 4.-BF, jeweils wegen unrichtiger und unvollständiger Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den primären Anträgen, den Beschwerdeführern Asyl zuzuerkennen.

Betreffend den 1.-BF wurde auf die Taufe verwiesen, ebenso auf das Tatsachenvorbringen betreffend kirchliche Sitzungen bereits im Iran und dem diesbezüglich Bekanntwerden der Namen der BF. Der 1.-BF sei ernsthaft und mit innerer Überzeugung vom islamischen Glauben zum Christentum konvertiert. Die BF hätten nunmehr alle zusätzliche christliche Taufnamen. Die 4.-BF habe einen christlichen Vornamen erhalten. Im Falle einer Rückkehr wäre es dem 1.-BF nicht möglich, den christlichen Glauben zu verfolgen, zumal ein Abgehen von den islamischen Werten innerhalb der Familie des 1.-BF nicht akzeptiert würde. Der Vater des 1.-BF sei Militärbediensteter und habe Kontakt zu den ranghöchsten Polizeigenerälen.

Auch die 2.-BF verwies darauf, ernsthaft und mit Überzeugung vom islamischen Glauben zum Christentum konvertiert zu sein. Verwiesen werde auf die Fluchtgründe des 1.-BF, insbesondere betreffend den Schwiegervater.

Die belangte Behörde legte die Beschwerden dem Bundesverwaltungsgericht am 27.03.2018 vor. Sie kamen der Gerichtsabteilung W274 am 02.10.2018 zu.

Nunmehr vertreten durch Rechtsanwalt Dr. BLUM folgte eine Beschwerdeergänzung vom 22.10.2018, wonach die BF (1.- und 2.-BF) 2001 geheiratet hätten. Von Anfang an hätte es Schwierigkeit mit dem mächtigen Vater des 1.-BF gegeben, der mit seiner Schweigertochter nicht einverstanden gewesen sei und für seinen Sohn eine andere Frau ausgesucht habe. Nach der Geburt des Sohnes XXXX habe das Ehepaar für ein Jahr getrennt gelebt, bevor es zur Scheidung gekommen sei. Während dieses Jahres habe XXXX bei der Mutter gelebt, sei aber vom Großvater für einen Monat versteckt worden. Nach der Scheidung habe der 1.-BF die vom Vater ausgesuchte Frau geheiratet im Alter von sieben Jahren habe XXXX nach iranischem Recht zum Vater ziehen müssen und sei mit polizeilichen Befehl der Mutter entzogen worden, die ihn ab sofort nur mehr an einem Tag der Woche habe sehen dürfen. Die 2.-BF sei sehr verzweifelt gewesen und habe Angst gehabt, ihren Sohn zu verlieren. Während dieser Zeit habe sie eine armenische Kundin, die ihr zur Freundin geworden sei, kennengelernt. Diese habe sie in einen christlichen Glaubenszirkel eingeführt. Vier Jahre nach der Scheidung habe sich der 1.-BF wieder bei ihr gemeldet und ihr mitgeteilt, dass er sich von der zweiten Frau scheiden habe lassen. Die 2.-BF habe den 1.-BF zu den religiösen Treffen mitgenommen. Acht Monate später hätten beide neuerlich heimlich geheiratet und seien zusammengezogen. Es sei dann zum Verschwinden der Freunde und in der Folge zur Flucht gekommen. Die 2.-BF sei vor dem BFA noch sehr misstrauisch gewesen. Jedenfalls liege ein glaubhafter Religionswechsel vor. Im Übrigen habe der Vater des 1.-BF über die Schwester des 1.-BF eine Todesdrohung an seinen Sohn und dessen Familie übermitteln lassen.

Am 09.03.2020 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der 1.-BF, die 2.-BF und der 3.-BF sowie die Zeugin XXXX und der Zeuge XXXX vernommen wurden. Weiters wurden weitere Urkunden vorgelegt.

Aufgrund der Inhalte der Aktenzusammenhalt mit den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung steht folgender Sachverhalt fest:

Die für den Fall derzeit relevante Situation im Iran stellt sich wie folgt dar:

Politische Lage

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wieder gewählt (ÖB Teheran 10.2019). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 2.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2019). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 2.2020a). Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten (ÖB Teheran 10.2019), drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a, FH 4.3.2020, BTI 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2.2020). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 2.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 2.2020a).

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (ÖB Teheran 10.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2019). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA).

Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer Situation befassen, dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ für schuldig erklären (US DOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

-        Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

-        Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

-        Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

-        Spionage für fremde Mächte;

-        Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

-        Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom

„Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab- Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (US DOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2019).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BTI 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU- Menschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2020).

Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 11.3.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger, nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierender Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 10.2019).

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020, DIS 7.2.2020). Dies betrifft vorrangig nicht registrierte Gefängnisse, aber auch „offizielle“ Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020). Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt (AI 18.2.2020; vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.3.2020). Zahlreiche Personen wurden wegen Diebstahls oder Überfällen zu Peitschenhieben verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche Beziehungen, Alkoholkonsum oder Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Frauen als auch Männer anwesend waren. (AI 18.2.2020).

Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 10.2019). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 12.2018; vgl. US DOS 11.3.2020).

Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase (HRC 8.2.2019; vgl. DIS 7.2.2020), um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidigern und jugendlichen Straftätern (HRC 8.2.2019). Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen (HRC 8.2.2019; vgl. HRC 28.1.2020). Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich (HRC 8.2.2019; vgl. HRW 14.1.2020, HRC 28.1.2020). Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 4.3.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene „Hohe Rat für Menschenrechte“ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten „Pariser Prinzipien“ (AA 26.2.2020).

Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:

-        Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

-        Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

-        Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung

-        Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht)

-        Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie

-        Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

-        Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

-        UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen

-        Konvention über die Rechte behinderter Menschen

-        UN-Apartheid-Konvention

-        Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 26.2.2020) Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:

-        Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

-        Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention

-        Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe

-        Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

-        Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen

-        Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (AA 26.2.2020).

Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Lage der Menschenrechte, die jedoch besser ist als in der Mehrzahl der Nachbarländer (ÖB Teheran 10.2019). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition (GIZ 2.2020a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der "schwersten Verbrechen" entsprechen und ohne einen fairen Prozess, zahlreiche Berichte über rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, systematische Inhaftierungen, einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen (US DOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre, erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets, einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigter Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, wie z.B. die restriktiven Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGO); Einschränkungen der Religionsfreiheit, Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung, weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen, rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, Menschenhandel, Gewalt gegen ethnische Minderheiten, strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten, Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten, Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten, und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, HRW 14.1.2020). Die Regierung unternahm wenige Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 11.3.2020).

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB sowie Staatsschutzdelikte, insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 10.2019). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (HRW 14.1.2020; vgl. BTI 2020).

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt. Berichten zufolge kommt es auch vor, dass bei Überbelegung der Zellen Häftlinge im Freien untergebracht werden (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020, FH 4.3.2020), oder sie müssen auf Gängen oder am Boden schlafen. Geschätzt gibt es ca. eine Viertelmillion Häftlinge (US DOS 11.3.2020). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung und Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung, in Einzelfällen mit tödlichen Folgen. Auch ist von mangelnder Hygiene auszugehen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020, FH 4.3.2020, HRW 14.4.2020).

In den Gefängnissen wird auch von physischer und psychischer Folter berichtet. Dies gilt auch und gerade im Zusammenhang mit Häftlingen, die unter politischem Druck stehen, zu intensive Kontakte mit Ausländern pflegen, etc. Neben Elektroschocks werden u.a. Schläge, Verbrennungen, Vergewaltigungen, Scheinhinrichtungen, Verhaftung der Familie, Einzelhaft und Schlafentzug verwendet. Dazu kommt vielfach der nicht oder nur ganz selten mögliche Kontakt mit der Außenwelt. Oft ist es Angehörigen während mehrerer Wochen oder Monate nicht möglich, Häftlinge zu besuchen. Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 10.2019).

Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse. Es kommt regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen (AA 26.2.2020). Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran manchmal fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in „sichere Häuser“ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen, wo sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten werden. Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 10.2019). Von Hungerstreiks in iranischen Gefängnissen wird des Öfteren berichtet, in der Regel entschließen sich politische Häftlinge dazu (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020).

Es ist nach wie vor üblich, Inhaftierte zu foltern und anderweitig zu misshandeln, z. B. in Form von Einzelhaft über lange Zeiträume hinweg. Die größte Gefahr droht Inhaftierten bei Verhören. Die Behörden gingen Foltervorwürfen grundsätzlich nicht nach und zogen die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft. Folter soll zu mehreren Todesfällen in Gewahrsam geführt oder dazu beigetragen haben (AI 18.2.2020).

Todesstrafe

Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren

Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, „Moharebeh“ („Waffenaufnahme gegen Gott“) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. HRW 14.4.2020, AA 26.2.2020). Des weiteren terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslimen mit einer Muslimin (AA 26.2.2020). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2019). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 26.2.2020).

Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt mittlerweile auf Verurteilungen wegen Mord (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020) und Sexualdelikten. Die Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießen, z.T. öffentlich durchgeführt (ÖB Teheran 10.2019) und auch (selten) gegen zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 10.2019; vgl. AA 26.2.2020, HRW 14.4.2020, FH 4.3.2020, HRC 28.1.2020, AI 18.2.2020). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei 9 Jahren (ÖB Teheran 12.2018; vgl. AA 26.2.2020) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2018 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter/innen hingerichtet. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht aktuell die Hinrichtung. 2019 wurden erstmals auch zwei zum Zeitpunkt der Hinrichtung Minderjährige verzeichnet (AA 26.2.2020). In der Vergangenheit konnten einige Hinrichtungen von Jugendlichen aufgrund von großem internationalen Druck (meist in letzter Minute) verhindert werden (ÖB Teheran 10.2019). Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen, die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 26.2.2020). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 4.3.2020).

Im Jänner 2018 trat eine Gesetzesänderung zur Todesstrafe bei Drogendelikten in Kraft. Wer Drogenstraftaten aufgrund von Armut oder Arbeitslosigkeit begeht, wird nicht mehr zum Tode verurteilt. Über gewalttätige Drogenstraftäter und solche, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 10.2019). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 4.3.2020) und die Anzahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen sank (AI 10.4.2019; vgl. HRW 14.1.2020, FH 4.3.2020, HRC 8.2.2019). Das neue Gesetz gilt rückwirkend, sodass dadurch etwa 2.000 bis 5.000 bereits zum Tode Verurteilte von der Todesstrafe verschont bleiben könnten (AA 26.2.2020). Nichtsdestotrotz hat Iran im Laufe des Jahres 2019 fast 300 Menschen hingerichtet, darunter mindestens zwei jugendliche Straftäter (FH 4.3.2020).

Viele Todesurteile werden nach internationalen Verfahrensstandards widersprechenden Strafverfahren gefällt: Es wird immer wieder von durch Folter erzwungenen Geständnissen oder fehlenden Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Verteidiger bzw. fehlender freier Wahl eines Verteidigers berichtet, insbesondere bei „politischen“ oder die „nationale Sicherheit“ betreffenden Fällen. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom

„Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Zwar wurde im Jahr 2002 ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, jedoch wurde dies im Jahr 2009 vom damaligen Justizsprecher für nicht bindend erklärt. Es befinden sich noch mehrere Personen beiderlei Geschlechts auf der „Steinigungsliste“. Seit 2009 sind jedoch keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019).

Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 26.2.2020; vgl. ÖB Teheran 10.2019).

Anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen

–        werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha‘i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 10.2019). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA Analyse 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA Analyse 23.5.2018; vgl. FH 4.3.2020) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 4.3.2020).

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 10.2019).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 18.2.2020).

Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Farsi sind verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 26.2.2020).

Schiitische Religionsführer, welche die Regierungspolitik nicht unterstützen, sind weiterhin Einschüchterungen und Verhaftungen ausgesetzt (US DOS 21.6.2019).

Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ waren 2018 mindestens 272 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion inhaftiert, 165 Gefangene wegen „Feindschaft gegen Gott“, 34 wegen „Beleidigung des Obersten Führers und Ayatollah Khomeini“ und 20 wegen „Korruption auf Erden“ (US DOS 21.6.2019).

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, können willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie laufen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 18.2.2020). In der

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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