TE Bvwg Beschluss 2020/9/29 L507 2140695-2

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Entscheidungsdatum

29.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L507 2140695-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.08.2020, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

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Text


Begründung:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 14.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 31.10.2016,
Zl. 1091265708-151555577, wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 09.09.2019, Zl. I408 2140695-1/13E, (mündliche Verkündung; schriftliche Ausfertigung vom 11.11.2019) betreffend Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen (Spruchteil A) I.). Im Übrigen wurde der Beschwerde stattgegeben und ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig sei. Dem Beschwerdeführer wurde der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt (Spruchteil A) II.).

Der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revision des BFA wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 27.02.2020, Zl. Ra 2019/01/0471-6, stattgegeben und das angefochtene Erkenntnis im Umfang des Spruchteiles A) II. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im fortgesetzten Verfahren wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des BFA vom 31.10.2016 mit hg. Erkenntnis vom 11.05.2020, Zl. I408 2140695-1/22E, betreffend Spruchpunkte III. und IV. als unbegründet abgewiesen.

Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 14.07.2020, Zl. E 2118/2020-6, abgelehnt.

2. Mit einem als „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ bezeichneten Schreiben des BFA vom 09.06.2020 wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt im Hinblick auf die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

In der am 23.06.2020 beim BFA eingelangten schriftlichen Stellungnahme wurde vom Beschwerdeführer unter anderem Folgendes ausgeführt:

„3) Generell bin ich nicht ausgereist, weil mein Anwalt zu diesem Zeitpunkt an einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gearbeitet hat und diese mittlerweile eingereicht ist. Außerdem verschärft sich die Covid19-Situation im Irak täglich und zum gesundheitlichen Risiko kommt, dass der IS das durch die Pandemie entstandene Machtvakuum nutzt, wieder präsenter und noch stärker zu werden.

Warum ich ansonsten nicht ausgereist bin? Weil ich gar nicht wüsste wie, denn seit ich acht Jahre alt bin, bin ich nicht mehr längerfristig im Irak gewesen. Dementsprechend kenne ich dort niemanden mehr, ich habe keine Möglichkeit, jemanden von dort zu kontaktieren geschweige denn dort zu wohnen (unser Haus wurde verkauft), ich wüsste nicht, wie das möglich wäre. Niemand würde mir dort Schutz bieten, weil er sich damit automatisch selbst gefährden würde. Niemand würde mich aufnehmen oder bei sich schlafen lassen, ich könnte keiner Beschäftigung und keinem Arbeitsverhältnis nachgehen, da ich dort keine Ausbildung habe und auch nicht machen möchte, da ich das radikal-religiöse System dort nicht unterstützen möchte. Des Weiteren könnte ich auch wenn ich wollen würde keine Ausbildung dort machen, da mich kein Ausbildungsleiter und kein Arbeitgeber akzeptieren oder freiwillig einstellen würde, da das wiederum eine Selbstgefährdung bedeuten würde. Die Menschen dort sind außerdem dermaßen in das religiöse System und Denken verstrickt, dass sie mich allein schon aus Prinzip nicht einstellen würden. Dementsprechend könnte ich im Irak tatsächlich nicht leben – denn was wäre das für ein Leben, so ohne Haus, ohne Arbeit, ohne soziale Kontakte und ohne die Möglichkeit, mein Haus (welches auch immer) zu verlassen und dabei nicht gefährdet zu sein. Meine Familie wohnt seit 2005 in Syrien, wohin ich aus Kriegsgründen gar nicht reisen könnte. Zudem ist mein Pass zum Teil verbrannt (bereits 2015), außerdem bereits abgelaufen, weshalb ich ebenfalls nicht ausreisen könnte.

4) Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich in den Irak zurückreisen würde, hätte ich keine Chance, mir aus dem Nichts ein Leben aufzubauen, da ich dort (ebenso wie in allen anderen radikal-muslimischen Ländern) aufgrund meines Aussehens und meines atheistischen Lebensstils niemals akzeptiert werden würde. Was ich hierbei nicht verstehe: Wieso erhalten Personen mit christlichem Glauben meist relativ schnell Schutz in europäischen Ländern, wohingegen die religiöse Verfolgung von Atheisten oder Apostaten weniger Beachtung findet oder Relevanz zu haben scheint? Ich würde genauso verfolgt und ausgestoßen, wenn nicht sogar unbegründet umgebracht werden, wie Personen mit christlichem, hinduistischem, buddhistischem oder jeglichem anderen Glauben. Das Argument, dass ich der irakischen Bevölkerung ja nicht von meinem Glauben berichten müsse, scheint mir insofern nicht sehr kräftig, als dass frei gelebter Glaube (oder eben nicht-glaube) doch rein menschenrechtlich jedem gewährleistet werden sollte. Hinzu kommen mein Aussehen, meine langen Haare, meine Tattoos und meine Piercings. Viele wurden bereits getötet, weil sie einfach anders aussehen. In meinem Fall ist das „anders-Aussehen“ etwas extremer, weshalb ich in einem muslimischen Land sofort als Ungläubiger oder „keiner von uns“ identifiziert werden könnte. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem ich das Haus theoretisch nie verlassen dürfte, wenn ich überleben möchte und selbst wenn ich es irgendwie bis nach Syrien schaffen sollte, möchte ich auch dort meine Familie nicht mit meiner Einstellung und meinem Aussehen in Gefahr bringen.“

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 18.08.2020, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen. Gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

In diesem Bescheid wurde auf Seite 104 unter anderem Folgendes ausgeführt:

„Betreffend die Feststellungen zur Lage in ihrem Herkunftsstaat:

Wie bereits im Bescheid des Bundesamtes ausgeführt, sind keine Umstände amtsbekannt, die darauf hinweisen, dass in ihrem Herkunftsstaat eine solche extreme Gefährdungslage besteht, dass bei einer Rückkehr eines Staatsbürgers dorthin eine Gefährdung im Sinn des Art. 2 und 3 EMRK bestehen würde.

Aus den der Behörde zur Verfügung stehenden Länderinformationsblätter, welche im Zuge des Verfahrens als Grundlage herangezogen wurden, ergeben sich keine Hinweise darauf, dass eine Rückkehr im Hinblick auf Art. 2 oder 3 EMRK verunmöglicht wäre und ergeben sich auch im Hinblick auf ihre Person keine Hinweise darauf, dass ein in ihrer Person gelegenes Rückkehrhindernis bestehen würde.

Weder ist eine maßgebliche Veränderung der Lage in ihrem Herkunftsstaat amtsbekannt, noch hat sich eine Veränderung der Situation im Hinblick auf ihre Person ergeben.“

In der rechtlichen Begründung des angefochtenen Bescheides wurde auf Seite 112 unter anderem Folgendes ausgeführt:

„Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zu Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Weder aus den Feststellungen zur Lage im Zielstaat, noch ihrem Vorbringen ergibt sich eine derartige Gefährdung. So wurde die Zumutbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie Abschiebung im Zuge ihres Asylverfahrens ausführlich geprüft. Der rechtskräftige Abschluss ihres Asylverfahrens liegt ca. drei Monate zurück. Die zu diesem Zeitpunkt angestellten Überlegungen sind nach wie vor gültig, weil es zu keiner maßgeblichen Änderung der Situation in ihrem Herkunftsstaat kam und sie auch keine weiteren Gründe geltend gemacht haben, die gegen eine Abschiebung sprechen würden.“

3. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 21.08.2020 zugestellten Bescheid wurde am 15.09.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt. Gemäß
§ 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als – eine – Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern – auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt – auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

3.1. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als höchst mangelhaft:

Mit dem oben unter Punkt I.2. dargestellten, im Zuge des Verfahrens vor dem BFA erstatteten Vorbringens hat der Beschwerdeführer ausreichend deutlich geltend gemacht, dass ihm bei einer Rückkehr in den Irak eine insbesondere Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohe. Dieses nicht gänzlich unsubstantiierte Vorbringen hätte nicht ohne Einvernahme des Beschwerdeführers für unglaubwürdig bzw. unbeachtlich erachtet werden dürfen.

Unabhängig davon wäre aber das BFA verpflichtet gewesen mit dem Beschwerdeführer im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme zu erörtern, ob er ausgehend von dem vorgebrachten Gefährdungsszenario die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz beabsichtige, zumal es nicht Aufgabe des BFA – oder im Beschwerdeverfahren des BVwG – ist, im Verfahren zur Erlassung einer fremdenpolizeilichen Maßnahme ein Verfahren durchzuführen, das letztlich der Sache nach einem Verfahren über einen Antrag auf internationale Schutz gleichkommt (vgl. dazu VwGH 23.01.2020, Ra 2019/21/0228, Rn. 9; VwGH 04.03.2020, Ra 2019/21/0316-9, Rn. 7).

Infolge gänzlicher Unterlassung dieser Ermittlungen und entsprechender Feststellungen dazu erweist sich der angefochtene Bescheid als massiv mangelhaft.

Insgesamt gesehen hat die belangte Behörde im gegenständlichen Verfahren im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht erstmals vorgenommen werden müssten.

Da im gegenständlichen Verfahren aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes Ermittlungen zur Feststellung des Sachverhaltes für die abschließende Beurteilung, ob gegen den Beschwerdeführer überhaupt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist, gänzlich unterlassen wurden und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war der angefochtene Bescheid zu beheben und das Verfahren zur neuerlichen Durchführung und Erlassung eines Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Einvernahme Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L507.2140695.2.00

Im RIS seit

21.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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