TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/7 I419 2132472-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.10.2020
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Entscheidungsdatum

07.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I419 2132472-1/28E
I419 2132472-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch RA Mag. Dr. Helmut BLUM LL.M., gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27.07.2016, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch RA Mag. Dr. Helmut BLUM LL.M., gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 08.07.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigtem erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem erstgenannten bekämpften Bescheid wies das BFA 2016 den Antrag des Beschwerdeführers betreffend den Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I), zuerkannte ihm jenen des subsidiär Schutzberechtigten und erteilte ihm eine Aufenthaltsberechtigung bis 27.07.2017 (Spruchpunkte II und III). Die dagegen erhobene Beschwerde richtet sich nur gegen die Nichtzuerkennung des Asylstatus, also Spruchpunkt I des Bescheids.

2. Mit dem anderen Bescheid aberkannte das BFA 2020 dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I). Unter einem entzog es ihm die 2016 erteilte Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II), wies seinen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 09.07.2019 ab (Spruchpunkt III), erteilte keinen Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ (Spruchpunkt IV), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V) und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak (Spruchpunkt VI) sowie die Frist für dessen freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VII).

3. In der Beschwerde gegen diesen zweiten Bescheid werden alle genannten Punkte bekämpft. Die Situation habe sich im Hinblick auf die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz nicht geändert, und zudem fühle sich der Beschwerdeführer auch keiner Religion mehr zugehörig, sodass er im Fall der Rückkehr mit weiteren Problemen zu rechnen habe.

4. An der Beschwerdeverhandlung nahm seitens der Parteien nur der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers teil. Der Beschwerdeführer war beim Versuch, ohne Reisepass im Auto über deutsches Staatsgebiet anzureisen, von den dortigen Behörden zurückgewiesen worden, worauf er in der Verhandlung vorbringen ließ, die Weiterfahrt sei ihm untersagt worden, weil die Gültigkeit seines Reisepasses abgelaufen gewesen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Ende 20, Staatsangehöriger Iraks, Sunnit und Araber. Er besuchte im Herkunftsstaat neun Jahre die Grundschule sowie das Gymnasium, ohne die Matura abzulegen, und arbeitete als Pizzakoch sowie als Taxifahrer.

Im Herkunftsstaat leben die Mutter des Beschwerdeführers, Anfang 40, seine drei Brüder, ca. 12 bis Mitte 20, sowie seine Großmutter. Er ist dort in der Provinz Diyala, der nördlich von Bagdad liegt, mit seiner Familie beim Großvater mütterlicherseits aufgewachsen, im Bezirk Muqdadiya, wo er in der Stadt Baquba den Schulbesuch begann. Der Bezirk Baquba der Provinz Diyala schließt dagegen südwestlich an den Bezirk Muqdadiya an und ist der Grenzbezirk von Diyala zu den westlich und südlich befindlichen Provinzen Salah ad-Din und Bagdad.

In Bagdad betrieb der Vater des Beschwerdeführers ab etwa 1995 ein Elektrogeschäft im Viertel Al-Baya (Baiyaa, Bayaa) im Bezirk Al Rashid. Ungefähr mit 11 Jahren zog der Beschwerdeführer mit Eltern und Geschwistern nach Bagdad, Anfangs wohnte die Familie im Viertel Al-Gazaliyah im zu Al Rashid benachbarten Bezirk Mansour, ab 2007 dann in Al Rashid selbst, im Viertel Al-Saydiya, welches an das Viertel Al-Baya angrenzt.

Seine Eltern haben sich Ende 2014/Anfang 2015 getrennt, etwa zugleich verkaufte der Vater das Elektrogeschäft. Dieser, Ende 50, mit dem außer der Mutter auch der Beschwerdeführer familiäre Probleme hatte, lebt nun in Jordanien, die Halbschwester, knapp 20, des Beschwerdeführers, Tochter der Zweitfrau des Vaters, von der dieser geschieden ist, in Syrien.

Die Mutter zog im Jänner 2015 mit dem Beschwerdeführer und dessen Geschwistern zurück nach Diyala in den Bezirk Baquba, in die Ortschaft Jadida (Al Jadidah, Aljededa) am Tigris, an der Westgrenze von Diyala, wo sie ein Haus mieteten. Die Mutter und der jüngste Bruder des Beschwerdeführers leben weiterhin im Bezirk Baquba, nun bei seiner Großmutter, die beiden älteren Brüder sind zu Freunden nach Erbil gezogen.

Er flog am 02.06.2015 vom Herkunftsstaat in die Türkei, von wo er in die EU gelangte. Am 26.06.2015 wurde er im Burgenland aufgegriffen und in ein Polizei-Anhaltezentrum gebracht, wo er tags darauf internationalen Schutz beantragte.

Er ist ledig, hatte 2015/16 etwa ein Jahr eine Lebensgefährtin mit österreichischer Staatsbürgerschaft und ist hier seinen Angaben nach seit September 2019 mit einer türkischen Staatsangehörigen verlobt, wobei die für März 2020 geplante Hochzeit bisher pandemiebedingt nicht möglich war. Er lebt in Oberösterreich und seit September 2020 mit einem aus Rumänien stammenden Ehepaar und dessen (Schwieger-) Mutter in einer Wohnung zusammen. Er hat Deutschkurse besucht, aber keine absolvierte Sprachprüfung nachgewiesen, und verfügt über einen Führerschein B.

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten in Österreich, ist arbeitsfähig und besucht regelmäßig ein Fitness-Studio. Bis Ende August 2020 war er als Arbeiter in einem Restaurant tätig. Er arbeitete seit 2017 mit Unterbrechungen bei verschiedenen Arbeitgebern, sodass er keine Grundversorgung benötigt. Er hat weder Kinder noch Sorgepflichten.

Der Beschwerdeführer hatte eine zuletzt mittels Bescheid vom 18.08.2017 des BFA bis 27.09.2019 verlängerte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter. Am 09.07.2019 beantragte er deren neuerliche Verlängerung.

Der Beschwerdeführer wurde strafgerichtlich verurteilt, und zwar am 13.07.2018 vom LG Wels wegen der Vergehen der Vorbereitung des Suchtgifthandels nach § 28 Abs. 1 SMG und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 f SMG zu sechs Monaten bedingt nachgesehener Freiheitsstrafe, weil er am 28.09.2018 als Fahrer einen weiteren Täter mit

einem Kilogramm Cannabiskraut befördert und von November 2016 bis 28.04.2018 Cannabiskraut zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen hatte, sowie vom BG Vöcklabruck am 06.02.2020 wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe von 60 Tagsätzen, weil er am 16.09.2019 zusammen mit einem weiteren Täter in einem Selbstbedienungsgeschäft versucht hatte, zwei Hüllen für Mobiltelefone im Wert von gesamt € 154,-- zu stehlen, wobei kein Schaden entstand.

Bei der ersten Strafbemessung wurden als mildernd die Unbescholtenheit und das Geständnis des Beschwerdeführers berücksichtigt, erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, bei der zweiten das Geständnis und der Umstand, dass es beim Versuch blieb, als mildernd, erschwerend dagegen die Vorverurteilung.

1.2 Zur Situation im Herkunftsstaat:

Im zweiten angefochtenen Bescheid wurde das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak auf Stand 17.03.2020 zitiert. Im gegebenen Zusammenhang sind davon die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Islamischer Staat (IS)

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl. Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN

General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungsziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wiederaufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).


Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

1.2.2 Sicherheitslage Nord- und Zentralirak

Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019).

In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt (Rudaw 31.5.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (Crisis Group 14.12.2018). Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (Crisis Group 14.12.2018). […]

Gouvernement Diyala

Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019) und ist weiterhin ein Kerngebiet des IS (Joel Wing 3.2.2020). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den schwer zugänglichen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.12.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019).

1.2.3 Atheismus, Agnostizismus, Kritik an konfessioneller Politik

Das irakische Strafgesetzbuch enthält keine Artikel, die eine direkte Bestrafung für Atheismus vorsehen. Es gibt auch keine speziellen Gesetze, die Strafen für Atheisten vorsehen. (Al-Monitor 1.4.2018). Atheismus ist im Irak zwar nicht illegal (NBC 5.4.2019), aber die irakische Verfassung garantiert Atheisten nicht die freie Glaubensausübung (USDOS 21.6.2019; vgl. EASO 3.2019).

Staatliche Akteure setzen Atheismus typischerweise mit Blasphemie gleich (UKHO 10.2019). Atheisten wurden Berichten zufolge wegen „Schändung von Religionen“ und damit zusammenhängenden Anklagen verfolgt (UNHCR 5.2019; vgl. Al Monitor 1.4.2018). Im März 2018 wurden in Dhi Qar Haftbefehle gegen vier Iraker aufgrund von Atheismus-Vorwürfen erlassen. Einer wurde verhaftet, während die übrigen drei geflohen sind (Al-Monitor 1.4.2018; vgl. USCIRF 4.2019). Ende 2018 wurde ein atheistischer Buchhändler im südirakischen Gouvernement Nasriyah verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen Atheismus verbreiten zu wollen (AW 20.7.2019; vgl. NBC 5.4.2019).

Atheisten im Irak sind eine wachsende Minderheit (AW 20.7.2019). Berichten zufolge gibt es auch eine kleine, wachsende Bewegung von Agnostikern im Irak (NBC 5.4.2019).

Offener Atheismus ist im Irak äußerst selten, da die gesellschaftliche Toleranz gegenüber Atheisten sehr begrenzt ist, wie die öffentliche Rhetorik einiger Politiker und religiöser Führer zeigt. Atheisten halten ihre Ansichten oft geheim, aus Furcht vor Diskriminierung und Gewalt durch die eigene Familie, Milizen oder auch religiös-konservative Gruppen (UKHO 10.2019). Milizen sollen Mittel haben, um die Personen hinter Social Media-Einträgen ausfindig zu machen. Angeblich werden Atheisten ins Visier genommen (NBC 5.4.2019).

Personen, die gegen die strenge Auslegungen der islamischen Regeln in Bezug auf Kleidung, soziales Verhalten und Berufe verstoßen, einschließlich Atheisten und säkular gesinnte Personen, Frauen und Angehörige religiöser Minderheitsgruppen, sind Berichten zufolge mit Entführungen, Schikanen und körperlichen Angriffen durch verschiedene extremistische bewaffnete Gruppen und Milizen konfrontiert (UNHCR 5.2019).

Obwohl in der Bevölkerung verschiedene Grade der Religiosität vertreten sind, und ein Segment der Iraker eine säkulare Weltanschauung vertritt, ist es dennoch selten, dass sich jemand öffentlich zum Atheismus bekennt. Die meisten Atheisten verstecken ihre Identität und behaupten Muslime zu sein (EASO 3.2019).

Viele Geistliche, die islamischen politischen Parteien nahestehen, haben missverständliche Vorstellungen zu dem Thema und bezeichnen z.B. oft den Säkularismus als Atheismus (Al-Monitor 1.4.2018).

An den Wahlen von 2018 nahm auch eine Reihe eher säkularer Parteien teil (FH 4.3.2020).

1.2.4 Ausländische Flüchtlinge

Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl vor, und die Regierung hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet (USDOS 11.3.2020). Unter den etwa 335.000 ausländischen Flüchtlingen sind etwa 249.000 Syrer und ca. 40.000 Flüchtlinge aus anderen Gebieten, sowie knapp 50.000 Staatenlose. Ihren Status regelt das „Gesetz über politische Flüchtlinge“, Nr. 51 (1971). Der Entwurf einer Novellierung des Gesetzes wurde bislang nicht verabschiedet. Die Flüchtlinge befinden sich überwiegend in und um Bagdad sowie unmittelbar im Grenzbereich zu Syrien und Jordanien (AA 12.1.2019). Die Regierung arbeitet im Allgemeinen mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen im Land Schutz und Unterstützung zu bieten (USDOS 11.3.2020). [...]

1.2.5 Bewegungsfreiheit

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen (USDOS 11.3.2020).

Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der Islamische Staat (IS) richtet falsche Checkpoints an Straßen zur Hauptstadt ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (AI 26.2.2019; vgl. Zeidel/al-Hashimis 6.2019).

Der offizielle Wohnort wird durch die Aufenthaltskarte ausgewiesen. Bei einem Umzug muss eine neue Aufenthaltskarte beschafft werden, ebenso bei einer Rückkehr in die Heimatregion, sollte die ursprüngliche Bescheinigung fehlen (FIS 17.6.2019). Es gab zahlreiche Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) aus ethno-konfessionellen Gründen Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, selektiv umgesetzt haben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken (USDOS 11.3.2020).

Angesichts der massiven Vertreibung von Menschen aufgrund der IS-Expansion und der anschließenden Militäroperationen gegen den IS, zwischen 2014 und 2017, führten viele lokale Behörden strenge Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen ein, darunter unter anderem Bürgschafts-Anforderungen und in einigen Gebieten nahezu vollständige Einreiseverbote für Personen, die aus ehemals vom IS kontrollierten oder konfliktbehafteten Gebieten geflohen sind, insbesondere sunnitische Araber, einschließlich Personen, die aus einem Drittland in den Irak zurückkehren. Die Zugangs- und Aufenthaltsbedingungen sind nicht immer klar definiert und/oder die Umsetzung kann je nach Sicherheitslage variieren oder sich ändern. Bürgschafts-Anforderungen sind in der Regel weder gesetzlich verankert noch werden sie offiziell bekannt gegeben (UNHCR 11.2019). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 4.3.2020). […]

Für die Niederlassung in den verschiedenen Gouvernements existieren für Personen aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten unterschiedliche Regelungen. Für eine Ansiedlung in Bagdad werden zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar (Anm.: etwa Dorf-, Gemeindevorsteher). Für die Ansiedlung in Diyala, sowie in den südlichen Gouvernements Babil, Basra, Dhi-Qar, Kerbala, Maysan, Muthanna, Najaf, Qadisiya und Wassit sind ein Bürge und ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar erforderlich. Eine Ausnahme stellt der Bezirk Khanaqin dar, in dem Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar, des nationalen

Sicherheitsdiensts (National Security Service, NSS), und des Nachrichtendienstes notwendig sind. Für die Ansiedlung in der Stadt Kirkuk wird ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar benötigt (UNHCR 11.2019).

1.3 Zum Fluchtvorbringen:

1.3.1 Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, wegen unterstützender Tätigkeiten für Flüchtlinge aus dem Herkunftsstaat und aus Syrien, die wie er in Baquba anwesend gewesen seien, allerdings ohne Unterkunft und Essen, schriftlich von Unbekannten bedroht und zur Aufgabe seines Wohnsitzes gedrängt worden zu sein. Ferner fühle er sich keiner Religion mehr zugehörig.

1.3.2 Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Baquba oder anderswo im Herkunftsstaat wegen Unterstützung von Flüchtlingen bedroht oder vertrieben worden wäre. Er hat dies nicht glaubhaft gemacht. Wenn er von jemandem aus diesem Grund bedroht worden wäre, hätte ihn der Staat schützen können und wollen.

1.3.3 Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer aus anderen, sei es auch unterstellten, Gründen der politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Herkunftsstaat staatliche Verfolgung oder eine private Verfolgung drohen würde, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könnte oder wollte. Er hat auch dann nicht schon deshalb Verfolgung zu befürchten, wenn er sich keiner Religion mehr zugehörig fühlt.

1.3.4 Zusätzlich zu den Feststellungen zu Diyala in 1.2.1 und 1.2.2 ergibt sich aus den auch dort zitierten periodischen Berichten des „Armed Conflict Location & Event Data Project“ ACLED in der Staatendokumentation des BFA Folgendes:

Die Kurzübersichten über Konfliktvorfälle aus dem ACLED, die es bereits 2017 gab, berichten für die Provinz Diyala von 106 Vorfällen im ersten Quartal 2020, davon 54 mit 84 Toten. Im 4. Quartal 2019 waren es 165, davon 66 mit 151 Todesopfern. Das waren mehr als im 3. Quartal, wo 103 Vorfälle berichtet wurden, davon 49 mit 113 Todesopfern. Im gesamten Jahr 2019 waren es 448 Vorfälle, davon 223 mit 474 Toten. In allen Berichten ist Baquba jeweils unter den Orten dieser Vorfälle, 2019 auch Al Jadida.

(www.ecoi.net/en/file/local/2025387/2019q3Iraq_de.pdf www.ecoi.net/en/file/local/2031973/2019q4Iraq_de.pdf www.ecoi.net/en/file/local/2031969/2019yIraq_de.pdf www.ecoi.net/en/file/local/2031975/2020q1Iraq_en.pdf)

Demnach und nach den Jahresberichten 2017/18 kam es in der Provinz Diyala zu folgenden Vorfällen pro Quartal betrachtet bzw. berechnet:

- 2017 im Durchschnitt 152, davon 91 mit Todesopfern, wobei 305 Menschen starben,
- 2018 im Durchschnitt 122, davon 60 mit Todesopfern, wobei 137 Menschen starben,
- 2019 im Durchschnitt 112, davon 56 mit Todesopfern, wobei 119 Menschen starben,
- 2019 im dritten Quartal 103, davon 49 mit Todesopfern, wobei 113 Menschen starben,
- 2019 im vierten Quartal 165, davon 66 mit Todesopfern, wobei 151 Menschen starben,
- 2020 im ersten Quartal 106, davon 54 mit Todesopfern, wobei 84 Menschen starben.

(w. o. und www.ecoi.net/en/file/local/2025356/2018yIraq_de.pdf, www.ecoi.net/en/file/local/2002486/2017yIraq_de.pdf)

1.3.5 Das BFA hat am 27.07.2016 festgestellt, es könne „nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass [dem Beschwerdeführer] im Fall einer Rückkehr eine Gefahr iSd Art. 3 MRK droht bzw. zumindest drohen könnte“. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine Rückkehr für diesen „als Zivilperson eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit sich bringen würde bzw. könnte“. Dies ergebe sich aus der allgemeinen Lage und Situation im Herkunftsstaat auf Basis der Länderfeststellungen. (Bescheid 1 AS 161, 173)

1.3.6 Am 08.07.2020 hat das BFA festgestellt, seit der Schutzgewährung (am 27.07.2016) habe sich die Situation im Herkunftsstaat nachhaltig geändert. Die Voraussetzungen für diese lägen nicht mehr vor. Aufgrund „durchgeführter Recherchen, insbesondere durch die Heranziehung der Länderinformationsblätter des BFA“, habe festgestellt werden können, dass sich die allgemeine Lage und Situation im Herkunftsstaat „in weiten Teilen des Landes, vor allem im Norden, nachhaltig gebessert“ habe. (Bescheid 2 AS 23, 72 f)

1.3.7 Der Beschwerdeführer hat zuletzt in der Provinz (Gouvernement) Diyala gelebt, nämlich in Al Jadidah (Jadida) an deren Westgrenze, und zwar im Bezirk Baquba, der südwestlich des Bezirks Muqdadiya und der dort befindlichen Stadt Baquba liegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Gefahr einer Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Beschwerdeführers als Zivilperson in der Provinz Diyala seit Erteilung seiner jüngsten Aufenthaltsberechtigung am 18.08.2017 maßgeblich gesunken oder seither das reale Risiko für ihn entfallen wäre, Opfer von Gewalt im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts zu werden.

1.3.8 Aufgrund der Feststellungen oben, besonders zu Diyala in 1.2.1, 1.2.2 und 1.3.4, ist allerdings von einer weiterhin sehr instabilen Sicherheitslage in Diyala und verstärkten Aktivitäten des Daesh auszugehen, sodass dort deswegen eine reale Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers, unabhängig von seiner Haltung gegenüber den Konfliktparteien oder deren Haltung ihm gegenüber, besteht.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben im Rahmen der Verhandlung, wo der Beschwerdeführer (aus eigenem Verschulden, weil ohne erforderliches Reisedokument nach Deutschland gereist) trotz ordnungsgemäßer Ladung abwesend, aber anwaltlich vertreten war, und durch die Einsichtnahme in die Akten des BFA unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers, ferner in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Gewerbeinformationssystem und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) sowie der deutschen Polizei wurden ergänzend eingeholt.

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem vorgelegten Inhalt der Akten des BFA und dem der Gerichtsakten. Dem zweiten angefochtenen Bescheid war zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer am 09.07.2019 einen Verlängerungsantrag gestellt hat, auch wenn dieser Antrag nicht im vorgelegten Akt enthalten ist.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit sowie seiner Familie gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und die Feststellungen der bekämpften Bescheide, ebenso zur Ausbildung und Tätigkeit des Beschwerdeführers, jeweils aktualisiert durch Registerabfragen aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Datenbank der Sozialversicherung und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS), durch welche die jüngsten Angaben des Beschwerdeführers ergänzt werden konnten. Bei der Verhandlung hat sein Vertreter kein neues Vorbringen erstattet, anschließend noch die Staatsangehörigkeit der Verlobten ergänzt, sodass kein Anlass besteht, an der Aktualität der vorliegenden Beweismittel zu zweifeln.

2.3 Zum Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie z. B. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstands, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer hat mit der Ladung zur Verhandlung die Länderfeststellungen übermittelt bekommen und dazu nicht Stellung genommen. Damit ist er ihnen nicht qualifiziert entgegengetreten.

2.4 Zum Fluchtvorbringen und zur Rückkehrperspektive

2.4.1 Wie bereits beim BFA vermochte der Beschwerdeführer auch im Beschwerdeverfahren kein plausibles Verfolgungsszenario seine Person betreffend darzulegen, das ihn zur Flucht veranlasste. Das Gericht konnte nachvollziehen, dass das BFA (AS 172) im Asylverfahren schon betreffend die Angaben über den Erhalt des Drohbriefs in der Einvernahme Widersprüche aufzeigte (31.[sic] 04., AS 101 aE, 105 aA versus vorgelegte Bestätigungen von 31.05. und 01.06., AS 121 ff, Ausreise 02.05., AS 101, versus Bestätigungen) und auch feststellte, der Beschwerdeführer habe sich seinen Angaben nach an die Polizei wenden können. Die Beschwerde bezieht sich abweichend davon auf die Erstbefragung, wo es maximal „einen Versprecher“ gegeben habe.

Das BFA ging in seiner betreffend den Asylstatus ablehnenden Entscheidung aber auch davon aus, dass der Beschwerdeführer den Herkunftsstaat wegen der schlechten Wirtschafts- und Sicherheitslage verlassen habe, zumal er angegeben hatte, er habe dort nicht mehr leben können, weil es keine Arbeit, keine Beschäftigung gebe. Auch dies erscheint gut nachvollziehbar, auch mit Blick auf die Veränderung der familiären Situation ab Ende 2014, speziell die Übersiedlung mit der Mutter nach der Trennung der Elternteile und zusammen mit den Vollgeschwistern, und unabhängig davon, ob kurz davor auch noch eine Entführung des jüngsten Bruders stattfand, wie der Beschwerdeführer angab.

2.4.2 Schon deshalb stimmt das Gericht dem BFA in dessen Beweiswürdigung (AS 172 f) zu, dass die Bedrohung wie sie der Beschwerdeführer behauptet, nicht feststellbar ist.

Daneben ist – ebenso mit dem BFA – anhand der Länderberichte nicht zu sehen, dass der Staat bei derartigen (nicht festgestellten) Bedrohungen nicht fähig oder nicht willens wäre, Schutz zu gewähren.

Schließlich wird in der Beschwerde (im Gegensatz zu AS 105) auch behauptet, es habe mehrere Drohbriefe gegeben, deren Echtheit nicht geprüft worden sei, womit allenfalls die vorgelegten Anzeige- und weiteren Bestätigungen (AS 75 ff, 121 ff) gemeint sind, in denen – insofern eindeutig – von einem einzigen Brief die Rede ist, wie auch auf AS 105. Als Neuerung wird ferner angeführt, dass der Beschwerdeführer vonseiten des Daesh und der Milizen „individuell“ bedroht worden sei (versus „Ich weiß es nicht.“, AS 103).

2.4.3 Nach all dem kann nicht festgestellt werden, dass es glaubhaft wäre, die Abläufe hätten dem Geschilderten entsprochen.

Es kommt dabei nicht mehr darauf an, dass außer den vom BFA aufgezeigten Ungereimtheiten auch die nicht mit dem Fluchtvorbringen verknüpften Widersprüche dessen Glaubhaftigkeit undienlich sind, wie bei den Angaben zum Ort des Schulbesuchs (AS 1, 55 versus 99 f), zum Verbleib des Reisepasses (AS 7 versus 53) oder zur Täterschaft bei der angeblichen Entführung des Bruders („unbekannt, niemand weiß das“, AS 105, versus „von den Milizen“ in der Beschwerde, AS 185), und bei einer Datierung des Vorfalls gemäß den Urkunden (am 31.05.), dass die Organisation und Finanzierung der Ausreise (02.06.) einschließlich Autoverkauf und Vorsprache bei Gericht binnen zweier Tage erfolgt wären (AS 103, 63).

Unter Berücksichtigung all dessen ist es dem Beschwerdeführer wie bereits beim BFA nicht gelungen, substantiiert und nachvollziehbar darzutun, dass ihm im Fall seiner Rückkehr die Unterstützung von Flüchtlingen vorgeworfen würde, und auch nicht, dass er deshalb bedroht oder zur Aufgabe seines Wohnsitzes gedrängt worden wäre.

Die Schutzwilligkeit und -fähigkeit des Staates gegenüber derartigen Bedrohungen ergibt sich aus dem Fehlen gegenteiliger Hinweise in den Länderfeststellungen sowie im Vorbringen des Beschwerdeführers beim BFA, der nicht nur angab, Anzeige erstattet zu haben, sondern auch, dass diese einem Gericht vorgelegt worden und ihm bei diesem mitgeteilt worden sei, der Sache werde nachgegangen. (AS 103)

Aus den Länderfeststellungen (1.2.4) ergibt sich ferner, dass die Regierung bei der Hilfe für Flüchtlinge im Land mit Nichtregierungs-Organisationen zusammenarbeitet, sodass nicht zu sehen ist, warum sie den Beschwerdeführer wegen ähnlicher Aktivitäten ohne Schutz lassen sollte. Die Beschwerde bringt zwar vor, es sei eine „reine Mutmaßung“, dass die Polizei hilfswillig wäre, führt aber ihrerseits nicht aus, was dagegenspräche, zumal auch die (weitere) Neuerung, man habe den Beschwerdeführer („uns“) verletzt (AS 189), angesichts der Angaben, wonach die Narben, die er aufweise, alle aus dem Jahr 2011 stammen (AS 53), keinen Zusammenhang zum Fluchtgeschehen herstellt.

2.4.4 Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer eine Verfolgung nicht schon droht, wenn er sich, wie zuletzt vorgebracht, keiner Religion mehr zugehörig fühlt (1.3.3), beruht zunächst auf den Länderfeststellungen (1.2.3), nach denen eine Bedrohung oder Verfolgung sogar bei einem Atheisten erst zu befürchten wäre, wenn dessen Einstellung bekannt wird. Demgegenüber hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht, Atheist zu sein (oder auch nur Agnostiker), auch nicht, den Glauben an Gott verloren zu haben, sondern sein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Religionsgemeinschaft. Auch eine Austrittserklärung gegenüber der österreichischen Bezirksverwaltungsbehörde wurde nicht behauptet. Auf Atheismus oder gar eine zu erwartende Glaubensausübung eines Atheismus (z. B. im Sinn von öffentlichem Bekenntnis oder Missionierung) liegt demnach kein Hinweis vor.

2.4.5 Die Negativfeststellung betreffend ein maßgeblich gesunkenes oder entfallenes reales Risiko für den Beschwerdeführer, als Zivilperson in der Provinz Diyala Opfer von Gewalt im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts zu werden, beruhen auf den Feststellungen des Länderinformationsblatts und den spezifischen Länderfeststellungen in 1.3.4 wie folgt:

Nach den Feststellungen aus dem Länderinformationsblatt (oben 1.2.1 und 1.2.2) war zu beachten, dass der Beschwerdeführer, wenn er sich wieder in Diyala niederlässt, in einem Gebiet zurechtkommen müsste, das regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt, als die gewalttätigste Region des Irak gilt sowie weiterhin ein Kerngebiet des Daesh ist, der Ende 2019 und Anfang 2020 seinen Fokus nach Muqdadiya und in den Westen der Provinz verlegte, also dahin, wo der Bezirk Baquba liegt.

Auch das BFA räumt im zweiten bekämpften Bescheid in Zuge der (mit 1.2.2 übereinstimmenden) Feststellungen ein (AS 36), dass der Daesh in Diyala seine Aktivitäten zusehends nach Muqdadiya und in den Westen der Provinz verlagert (somit dorthin, wo der Beschwerdeführer herkommt), schlussfolgert dann aber beweiswürdigend (AS 72), dass „insbesondere durch die […] Länderinformationsblätter“ festgestellt werden habe können, dass sich die allgemeine Lage und Situation im Herkunftsstaat „vor allem im Norden“ nachhaltig gebessert habe. Ein Zusammenhang zur Provinz Diyala wird dabei nicht hergestellt und auch nicht darauf eingegangen, welche Daten die im Länderinformationsblatt zitierten ACLED-Berichte zu Diyala beinhalten.

Das Gericht hat daher spezifische Daten zur Lage in Diyala herangezogen, wie in 1.3.4 zitiert, und vermag auf deren Basis keine nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage in dieser Provinz festzustellen. Wenngleich die Zahl der Konfliktvorfälle anscheinend seit 2017 tendenziell zurückging, ist bemerkenswert, dass die Zahlen der Vorfälle insgesamt und der Vorfälle mit Todesopfern in den zwei jüngsten berichteten Quartalen jeweils höher lagen als in dem diesen beiden vorangegangen dritten Quartal 2019, und nur die Zahl der Todesopfer geringer war.

Die Zahl der Vorfälle stieg nämlich, wie 1.3.4 zu entnehmen ist, im zweiten Halbjahr 2019 von 103 im dritten Quartal auf 165 im vierten, die jener mit Todesfällen von 49 auf 66. Die Zahl der Todesopfer erhöhte sich von 113 auf 151. Im ersten Quartal 2020 lag die Gesamtzahl der Vorfälle mit 106 dazwischen, die Zahl jener mit Todesopfern stieg auf 54, die Zahl dieser Opfer sank auf 84.

Die Feststellungen zur jüngsten Entwicklung betreffend den Daesh („IS“ bei 1.2) harmonieren mit diesem Befund. Auch die Anzahl der Todesopfer erreicht nach wie vor etwa die bisherige Dimension, nämlich verglichen mit dem Durchschnittsquartal von 2018 einmal 10 % mehr (4. Quartal 2019) und einmal 39 % weniger (1. Quartal 2020).

Nach all dem konnte nicht festgestellt werden, dass die Gefahr einer Bedrohung des Beschwerdeführers als Zivilperson in der Herkunftsregion seit August 2017 maßgeblich gesunken wäre oder seither das reale Risiko für ihn entfallen wäre, Oper von Gewalt im Rahmen des innerstaatlichen Konflikts zu werden.

2.4.6 Auf Basis der festgestellten Zahlen (1.3.4) und der Sicherheitslage laut Länderbericht (1.2.1, 1.2.2) sind eine weiterhin sehr instabile Sicherheitslage in Diyala und verstärkte Aktivitäten des Daesh dort anzunehmen. Das Gericht ging daher davon aus (1.3.8), dass der Beschwerdeführer gegenwärtig auch ungeachtet der in der in der Beschwerde behaupteten Zugehörigkeit zu einer nicht näher bezeichneten Gruppe, die „keineswegs erwünscht ist“, in Gefahr wäre, ernsthaften körperlichen Schaden zu erleiden, weshalb festzustellen war, dass dort eine reale Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des Beschwerdeführers besteht.

2.4.7 Als soziale Gruppen, deren Hilfstätigkeiten für Flüchtlinge bei einer Konfliktpartei allenfalls nicht „erwünscht“ ist, werden fallweise Gesundheitsfachkräfte und –dienste sowie Personen genannt, die für UN-Organisationen oder nationale und internationale humanitäre Nichtregierungsorganisationen arbeiten. (UNHCR, Internationale Schutzüberlegungen in Bezug auf Menschen, die aus der Republik Irak fliehen, Mai 2019, 85; EASO „Irak Gezielte Gewalt gegen Individuen“, März 2019, 99). Nicht berichtet wird aber, dass private individuelle Hilfstätigkeiten wie sie der Beschwerdeführer geschildert hat, etwa das Sammeln von Geld, Decken oder Lebensmitteln für Flüchtlinge (AS 103), irgendwelche Verfolgungen nach sich ziehen. Schon gar nicht wird berichtet, dass der Staat bei Angriffen auf private Helfer nicht dagegen vorgehen wollte oder könnte.

Demnach konnte in 1.3.3 ferner nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer aus anderen, sei es auch unterstellten, Gründen der politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Herkunftsstaat staatliche Verfolgung oder eine private Verfolgung drohen würde, gegen die der Staat keinen Schutz bieten könnte oder wollte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 45 Abs. 2 VwGVG hindert das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses. Nur das Vorliegen eines der im § 19 Abs. 3 AVG genannten Gründe („Krankheit, Behinderung oder sonstige begründete Hindernisse“) hätte das Nichterscheinen rechtfertigen können, weil dann nicht mehr von einer „ordnungsgemäßen Ladung“ gesprochen werden könnte. (VwGH 17.02.2016, Ra 2015/08/0006)

Zu einer „urlaubsbedingten“ Verhinderung hat der VwGH ausgesprochen, dass diese nur dann ein begründetes Hindernis im Sinne des § 19 Abs. 3 AVG zu bilden vermag, wenn sie nicht durch zumutbare Dispositionen hätte beseitigt werden können, ebenso zu einer berufsbedingten Behinderung, dass sie nur dann unter den Begriff der „sonstigen begründeten Hindernisse“ im Sinn des § 19 Abs. 3 AVG fallen kann, wenn sie so zwingend ist, dass sie nicht etwa durch entsprechende rechtzeitige Dispositionen beseitigt werden kann. (25.06.2013, 2012/08/0031)

Zu einer Nichtteilnahme an der Verhandlung wegen Staus („Werktagsverkehr in der Morgenzeit zwischen 08.25 und 09.25 Uhr und schlechte Witterungsverhältnisse“) hat der VwGH klargestellt, dass damit kein anerkannter Grund geltend gemacht wurde, der das Fernbleiben von der Verhandlung rechtfertigen würde. (12.12.2005, 2005/17/0090)

Mit Blick auf diese Rechtsprechung vermag das Verwaltungsgericht auch in den festgestellten Umständen (versuchte Fahrt im Auto über das „Deutsche Eck“ ohne Reisepass misslang infolge Einschreitens der deutschen Polizei) keinen der im § 19 Abs. 3 AVG genannten Gründe zu erkennen, zumal der Beschwerdeführer durch entsprechende Disposition auf legalem Wege anreisen hätte können und müssen (z. B. auf inländischen Strecken). Mit einer Verhinderung seiner Transitfahrt mangels Reisedokument hätte er jedenfalls auch im Fall von Stichproben rechnen müssen, also selbst ohne die notorischen Kontrollen infolge der Reisewarnung aufseiten Deutschlands.

Demnach wurde die Verhandlung entsprechend § 45 Abs. 2 VwGVG ohne den (dort rechtskundig vertretenen) Beschwerdeführer durchgeführt.

Zu I. A) Abweisung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 27.07.2016:

3.1 Zum Status des Asylberechtigten

3.1.1 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass das Geschilderte soweit es die Bedrohung des Beschwerdeführers vor der Ausreise und die Fluchtgründe betrifft - wie es bereits das BFA sah - als unglaubwürdig, wenig wahrscheinlich und damit in seiner Gesamtheit als konstruiertes Vorbringen erscheint, das im Laufe des Verwaltungsverfahrens auch noch variiert wurde.

Dazu kommt, dass eine Verfolgung aufgrund der behauptetermaßen mittlerweile gefühlten religionsbezogenen Entfremdung mit dem Behaupten von „weiteren Problemen“ nicht substantiiert vorgebracht wurde.

Wie die Feststellungen zeigen, hat der Beschwerdeführer damit also keine Verfolgung oder Bedrohung glaubhaft gemacht, die asylrelevante Intensität erreicht. Da auf eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers auch sonst nichts hinweist, ist nicht davon auszugehen, dass ihm eine Verfolgung aus in den in der GFK genannten Gründen droht.

Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, sind ebenso wie persönliche und wirtschaftliche Gründe keine Verfolgung im Sinne der GFK.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des ersten angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

Zu II. A) Stattgebung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 08.07.2020:

3.2 Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt I):

3.2.1 Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn der Antrag in Bezug auf den Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

3.2.2 Nach § 9 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen (u. a. dann) abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Status nicht oder nicht mehr vorliegen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH sind bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z. 1 zweiter Fall AsylG 2005 nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (21.04.2020, Ra 2019/19/0466 mwN).

Allerdings ist es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden grundsätzlich nicht zulässig, die Aberkennung des subsidiären Schutzes auszusprechen, obwohl sich der maßgebliche Sachverhalt seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat. (VwGH 29.06.2020, Ra 2020/01/0182, 17.10.2019, Ro 2019/18/0005 mwN)

Der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 setzt somit voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 geändert hat. Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht. (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/19/0309, mwN).

Das BFA hat im zweiten angefochtenen Bescheid begründend ausgeführt, seit der Schutzgewährung (d. h. 2016) habe sich die Situation im Irak „nachhaltig geändert“, „vor allem im Norden“ habe sich die „allgemeine Lage und Situation“ „nachhaltig gebessert“, was sich aus nicht näher spezifizierten „Recherchen“, insbesondere den Länderinformationsblättern ergebe. (AS 23, 72)

Demgegenüber zeigen die in 1.2 und 1.3 getroffenen Feststellungen zur Sicherheitslage in der im nördlichen Irak (wenngleich nicht ganz im Norden) gelegenen Herkunftsprovinz Diyala, dass das jedenfalls gegenwärtig – und richtigerweise im Vergleich mit August 2017 – nicht auf diese Provinz zutrifft. Die vergleichsweise geringen Verbesserungen in manchen Aspekten dort (z. B. Zahl der Todesopfer) weisen auch nicht die geforderte Nachhaltigkeit auf. Auf diese Weise ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten also nicht zu begründen.

3.2.3 Wenn das BFA in diesem Zusammenhang ferner anführt, dass sich „in weiten Teilen des Landes“ die „allgemeine Lage und Situation“ nachhaltig gebessert habe, zeigt es auch damit keine innerstaatliche Alternative für eine Ansiedlung des Beschwerdeführers auf. Zumal das BFA keine konkrete geografische Angabe zu einem allfälligen Ansiedlungsort macht, auf den das zuträfe, kann auch keine solche Alternative geprüft werden. Im vorliegenden Fall ist daher nicht davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Irak eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Dem BFA konnte demnach keine entscheidungsrelevante Änderung der Sachlage in Bezug auf die Rückkehrsituation des Beschwerdeführers als Grundlage für die ausgesprochene Aberkennung heranziehen. Änderungen in dessen Person oder subjektiven Lage wurden nicht behauptet. Demnach ist Spruchpunkt I des zweiten angefochtenen Bescheids ohne das rechtliche Erfordernis ergangen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach dem Zeitpunkt der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 entfallen wären.

Das BFA erwähnt die beiden strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers, unterstellt aber nicht, dass diese einen Grund für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 bilden würden. Im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung in Spruchpunkt V des Bescheids führt das BFA aus, die „Vergehen bzw. Verbrechen“ des Beschwerdeführers seien ein besonders schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtsprinzipien Österreichs, und das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit überwiege das persönliche des Beschwerdeführers am Verbleib.

Vor dem Hintergrund, dass an der Verhinderung des Suchtgifthandels generell ein besonderes öffentliches Interesse besteht, worauf die Rechtsprechung laufend hinweist, hat der VwGH im Speziellen zur Aberkennung ausgesprochen, dass ein Fremder jedenfalls dann eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinn des § 9 Abs. 2 Z. 2 AsylG 2005 darstellt, wenn sich diese Gefahr aufgrund besonders qualifizierter strafrechtlicher Verstöße prognostizieren lässt, als welche „insbesondere qualifizierte Formen der Suchtgiftdelinquenz (wie sie beispielsweise in § 28a SMG unter Strafe gestellt werden) in Betracht“ kommen. (30.08.2017, Ra 2017/18/0155)

Demgegenüber bilden die mit einer gänzlich bedingt nachgesehenen Strafe geahndete, wenn auch mehrfache Suchtgiftdelinquenz des Beschwerdeführers vor mehr als zwei Jahren, und der versuchte Ladendiebstahl vor mehr als einem Jahr, dem eine Geldstrafe folgte, keine besonders qualifizierten strafrechtlichen Verstöße in diesem Sinn, aus denen sich eine Prognose ableiten ließe, nach der unter den gegebenen Umständen – Selbsterhaltungsfähigkeit, grundsätzliche Berufstätigkeit, Anknüpfen familiärer Beziehungen – die Annahme gerechtfertigt wäre, der Beschwerdeführer stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. (Vgl. VwGH 20.08.2020, Ra 2019/19/0522)

Der Beschwerde war daher stattzugeben und Spruchpunkt I des zweiten angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben. Dem Beschwerdeführer kommt aufgrund der Behebung dieses Spruchpunktes weiterhin der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zu.

3.3 Zur Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II):

Im Spruchpunkt II des zweiten angefochtenen Bescheids sprach das BFA aus, dass es dem Beschwerdeführer die diesem mit dem ersten angefochtenen Bescheid am 27.07.2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung entziehe.

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist nach § 9 Abs. 4 AsylG 2005 mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Nach der Rechtsprechung kann § 9 Abs. 4 AsylG 2005 nur auf Fälle Anwendung finden, in denen im Zeitpunkt der Entscheidung die befristete Aufenthaltsberechtigung noch gilt. (VwGH 30.10.2019, Ro 2019/14/0007)

Nach den Feststellungen galt die 2016 erteilte Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers bis 27.07.2017 und wurde dann bis 27.09.2019 verlängert. Mit der neuerlichen Antragstellung auf Verlängerung 09.07.2019, also vor diesem Zeitpunkt, trat die Folge des § 8 Abs. 4 AsylG 2005 letzter Satz ein, wonach die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts besteht, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Eine Anwendung des § 9 Abs. 4 AsylG 2005 scheidet aber dennoch aus, da mit der Aufhebung von Spruchpunkt I des Bescheids vom 08.07.2020 die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten entfällt, womit auch der Entzug der Aufenthaltsberechtigung die Rechtsgrundlage fehlt.

Demgemäß hat auch Spruchpunkt II des Bescheids ersatzlos zu entfallen.

3.4 Zur Abweisung des Verlängerungsantrags (Spruchpunkt III), Erteilung der Verlängerung:

Das BFA hat mit diesem weiteren Spruchpunkt den Antrag des Beschwerdeführers vom 09.07.2019 auf (neuerliche) Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung abgewiesen. Nach § 8 Abs. 4 zweiter Satz AsylG 2005 gilt die Aufenthaltsberechtigung eines subsidiär Schutzberechtigten ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über dessen Antrag vom BFA für jeweils zwei weitere Jahre verlängert.

Nach der Rechtsprechung hätte es im vorliegenden Fall, in dem der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vor Ablauf der bisher ausgesprochenen Gültigkeit eingebracht worden war, gesondert formulierter Spruchpunkte nicht bedurft, mit denen die Entziehung der Aufenthaltsberechtigung und die Abweisung des Verlängerungsantrages ausgesprochen wird, weil die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung - selbst wenn deren weitere Existenz nur auf § 8 Abs. 4 letzter Satz AsylG 2005 zurückzuführen ist - auch die Abweisung eines allfällig gestellten Antrages auf Verlängerung dieser Aufenthaltsberechtigung mitumfasst, zumal eine solche Verlängerung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 nur in jenem Fall in Betracht kommen kann, in dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach wie vor aufrecht zuerkannt ist. Andererseits ist es der Behörde im Hinblick auf die von ihr nach dem Gesetz zu treffende Entscheidung aber auch nicht untersagt, diese in der hier gewählten Weise zum Ausdruck zu bringen. (VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0453 mwH)

Dennoch war der Spruchpunkt zu beheben, und das Verwaltungsgericht hatte eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu erteilen, weil mit Erlassung des vorliegenden Erkenntnisses und mangels eines Aberkennungsgrundes nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 das Tatbestandsmerkmal des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen bejaht wird, sodass eine Verlängerung stattzufinden hat.

Die Verlängerung hatte auf zwei Jahre und ohne Nennung eines Beginn- oder Endzeitpunkts zu erfolgen, weil die Gültigkeitsdauer der verlängerten Aufenthaltsberechtigung mit der Erlassung des vorliegenden Erkenntnisses beginnt, und somit datumsmäßig erst mit dessen Zustellung feststeht. (Vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281)

3.5 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt IV):

Im Spruchpunkt II des zweiten angefochtenen Bescheids sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt werde. Damit war nach der Bescheidbegründung (S. 60, AS 76) das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemeint.

Nach § 58 Abs. 1 Z. 4 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird.

Da diese Voraussetzung mit dem Wegfall des Spruchpunkts I lautend auf Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegt, war auch Spruchpunkt IV des zweiten angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben.

3.6 Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt V):

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 5 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und in den Fällen der Z. 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

Mit dem Entfall von Spruchpunkt I liegt daher, weil der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht aberkannt wird, diese Voraussetzung der Rückkehrentscheidung nicht vor, sodass auch Spruchpunkt V ersatzlos aufzuheben war.

3.7 Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt VI):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist.

Weil mit der vorliegenden Entscheidung diese Voraussetzung wegfällt (siehe zu 3.6), entfällt auch die Grundlage für den Ausspruch über die Abschiebung, sodass Spruchpunkt VI ebenfalls ersatzlos zu beheben war.

3.8 Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII):

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Wie zu 3.6 ausgeführt, hatte die Rückkehrentscheidung zu entfallen, weshalb auch keine Ausreisefrist festzulegen ist.

Demnach war Spruchpunkt VII wie geschehen ebenso ersatzlos aufzuheben.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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