Entscheidungsdatum
13.10.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W171 2006576-4/2E
W171 2006578-4/2E
W171 2150124-3/3E
W171 2208264-3/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über den Antrag von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , 4.) mj. XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle StA Russische Föderation, auf Wiederaufnahme der mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.05.2019, Zl. XXXX , formell rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren beschlossen:
A)
Die Anträge auf Wiederaufnahme der mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.05.2019 formell rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren werden gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Erstwiederaufnahmewerber und die Zweitwiederaufnahmewerberin sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und verheiratet. Sie stellten am 13.12.2012 infolge illegaler Einreise Anträge auf Gewährung internationalen Schutzes. Am gleichen Tag wurden der Erstwiederaufnahmewerber und die Zweitwiederaufnahmewerberin vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt. Zum Grund seiner Flucht gab der Erstwiederaufnahmewerber an, dass ihn die Polizei nicht in Ruhe lasse. Er sei einige Male zuhause abgeholt und am Abend wieder freigelassen worden. Er sei geschlagen worden. Sein Bruder sei bereits vor einem Monat nach Österreich gekommen, da er von der Polizei gesucht werde. Ihm sei gesagt worden, dass er nicht in Ruhe gelassen werde, bis sein Bruder nach Tschetschenien zurückkehre. Er hätte deshalb auch an Ämtern und Behörden in Tschetschenien Schwierigkeiten erwartet.
Die Zweitwiederaufnahmewerberin gab an, dass ihr Mann die Ausreise beschlossen habe. Er habe irgendwelche Probleme, sie wisse aber keine Details darüber. Einmal habe sie mitbekommen, dass er von der Polizei abgeholt worden sei. Sie sei sofort zu ihren Großeltern gefahren. Ihr Mann habe ihr nicht gesagt, was die Polizei von ihm gewollt habe. Sie selbst sei nicht verfolgt worden.
2. Der Erstwiederaufnahmewerber und die Zweitwiederaufnahmewerberin wurden am 08.01.2014 jeweils im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich vor dem nunmehrigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.
3. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 27.02.2014 wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und die Anträge gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG wurden der Erstwiederaufnahmewerber und die Zweitwiederaufnahmewerberin in die Russische Föderation ausgewiesen.
4. Gegen diese Bescheide erhoben der Erstwiederaufnahmewerber und die Zweitwiederaufnahmewerberin fristgerecht Beschwerde.
5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.12.2015, XXXX und XXXX , wurden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen.
Begründend wurde ausgeführt, dass sich im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht herausgestellt habe, dass der Erstwiederaufnahmewerber der russischen Sprache nicht ausreichend mächtig sei. Die erstinstanzliche Einvernahme sei daher unter Beiziehung eines Dolmetschers für die tschetschenische Sprache zu wiederholen.
6. Bei einer Einvernahme vor dem BFA am 14.06.2016 gab der Erstwiederaufnahmewerber an, dass er mit seinen Brüdern in Kontakt stehe. Drei Brüder würden im Heimatort wohnen. XXXX wohne in Russland. Wo genau wisse er nicht, er sei dauernd woanders. XXXX habe immer Probleme mit den Behörden und dem FSB gehabt. Ein Freund von XXXX sei Widerstandskämpfer gewesen. XXXX sei deshalb immer wieder mitgenommen und geschlagen worden. Der Freund sei schließlich umgebracht und auf eine Müllhalde geworfen worden. XXXX habe ihn mit Freunden von dort geborgen und auf einem Friedhof begraben. Sein Bruder sei dann verraten worden und habe sich versteckt. Jemand habe erzählt, dass der Erstwiederaufnahmewerber auch bei der Beerdigung dabei gewesen sei, daher habe er Probleme bekommen. Er sei misshandelt worden und habe seither Rückenschmerzen.
Sein Bruder sei geladen worden und er sei an seiner statt hingegangen. Er sei dort bedroht und misshandelt worden. Er sei mehrmals mitgenommen worden. Viele seien misshandelt worden, jeder könne einfach so umgebracht werden.
XXXX habe seinen Freund etwa zwischen Februar und Mai begraben. Er sei dann zwei Mal mitgenommen worden. Beim ersten Mal sei er von zuhause abgeholt und in einem Bus geschlagen worden. Dann hätten sie ihn irgendwo hingeworfen und weiter geschlagen. Er könne nicht sagen, wann oder wo dies passiert sei.
Der zweite Vorfall habe sich genauso ereignet. Er sei mitgenommen und in dem Bus geschlagen worden. Er sei gefragt worden, weshalb er den Widerstandskämpfer begraben habe und wer dabei gewesen sei. Jemand müsse behauptet haben, dass er bei dem Begräbnis dabei gewesen sei. Er vermute, dass es daran liege, dass er sehr oft mit XXXX zusammen gewesen sei, auch in der Arbeit.
Auf die Vorladungen angesprochen, die er vorgelegt habe, gab der Erstwiederaufnahmewerber an, sich an nichts erinnern zu können. Er wisse auch nicht, ob seine Frau von beiden Vorfällen Kenntnis habe, oder ob diese zuhause gewesen sei.
Er sei statt seines Bruders zur Behörde gegangen, als dieser eine Ladung erhalten habe. Dort sei ihm gedroht worden, dass sie nicht in Ruhe gelassen würden, bis XXXX zurückkehre. Er sei in mehreren Abteilungen in XXXX und XXXX gewesen. Das Gespräch habe ca. eine Stunde gedauert. Er sei auch wegen anderer Probleme zu den Behörden gegangen. Um welche Probleme es sich gehandelt habe, könne er nicht sagen. Es sei dabei auch um Probleme aus seiner Jugendzeit gegangen.
Die Zweitwiederaufnahmewerberin gab in ihrer Einvernahme am selben Tag an, dass sie nach ihrer Hochzeit bis zu ihrer Flucht etwa sechs Monate im Haus ihres Mannes gelebt habe. Ihr Mann sei einmal mitgenommen worden. Sie habe in dem Moment so viel Stress gehabt, dass sie zu ihren Eltern gegangen sei. Aus diesem Grund habe sie auch gesundheitliche Probleme. Sie sei bei ihrer Heirat erst 15 oder 16 Jahre alt gewesen. Nach der Hochzeit habe sie einen Monat bei ihrer Mutter gelebt. Deswegen wisse sie nicht, was in dieser Zeit passiert sei. Zu den Problemen ihres Mannes wisse sie nur, dass es mit seinem Bruder XXXX zu tun habe.
7. Mit Bescheiden des BFA vom 29.08.2016 wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 erneut abgewiesen, gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt und gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Erstwiederaufnahmewerber und die Zweitwiederaufnahmewerberin Tschetschenien bzw. die Russische Föderation aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten. Die Angaben der BF seien widersprüchlich und unplausibel. Das Beweisverfahren habe nicht ergeben, dass der Erstwiederaufnahmewerber und die Zweitwiederaufnahmewerberin bei einer allfälligen Rückführung in seinen Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 oder der Protokollnummer 6 oder Nummer 13 zur Konvention der Europäischen Menschenrechte oder einer sonstigen ernsthaften Bedrohung unterliegen würde.
8. Gegen diese Bescheide wurden mit Schriftsatz vom 14.09.2016 Beschwerden erhoben.
9. Der Drittwiederaufnahmewerber wurde am 19.11.2016 im Bundesgebiet geboren. Der Erstwiederaufnahmewerber und die Zweitwiederaufnahmewerberin stellten für ihn als gesetzliche Vertreter am 06.12.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
10. Mit Bescheid des BFA vom 23.02.2017 wurde der Antrag des Drittwiederaufnahmewerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen, gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt und gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
11. Der Viertwiederaufnahmewerber wurde am 31.03.2018 Bundesgebiet geboren. Der Erstwiederaufnahmewerber und die Zweitwiederaufnahmewerberin stellten für ihn als gesetzliche Vertreter am 09.04.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.
12. Mit Bescheid des BFA vom 24.09.2018 wurde der Antrag des Viertwiederaufnahmewerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen, gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt und gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
13. In einer vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.03.2019 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des Erstwiederaufnahmewerbers und der Zweitwiederaufnahmewerberin, Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und durch Einsicht in den Akt des Bundesverwaltungsgerichts.
Der Erstwiederaufnahmewerber gab an, dass in Tschetschenien noch drei Brüder, eine Schwester und eine Tante lebten. Sein Bruder XXXX lebe irgendwo in der Russischen Föderation. Seine Brüder seien berufstätig. Er spreche mit ihnen nicht über etwaige Probleme. Er habe Angst um seine Geschwister. Er vermute, dass alles überwacht und kontrolliert werde.
Sein Bruder XXXX sei bereits in Österreich gewesen, als er angekommen sei. Er habe ihm mitgeteilt, dass seine Ehefrau von den Behörden abgeholt worden sei, daraufhin sei er nach Tschetschenien zurückgekehrt. Weder er selbst, noch einer seiner Brüder seien jemals Widerstandkämpfer gewesen. Er sei im Jahr 2012 einmal von einem Auto abgeholt und ganz schrecklich misshandelt worden. Insgesamt sei er zwei Mal mitgenommen und einmal aufgrund einer Ladung für seinen Bruder zur Behörde gegangen. Er wisse nicht, ob er zuerst abgeholt worden oder zuerst die Ladung gekommen sei. Er sei aufgrund der Ladung zur Behörde nach XXXX gefahren. Man habe ihm dort gesagt, dass XXXX jedenfalls gefunden werde und dass sie beide keine Ruhe haben würden, bis er wieder zurückgekehrt sei. Er sei bei der Behörde nicht misshandelt, lediglich unsanft angefasst worden. Als er zum ersten Mal mitgenommen worden sei, sei er vermutlich nach XXXX zur Abteilung Nr. 9 gebracht worden. Dort seien einige Männer uniformiert und auch in Zivil gewesen.
Auf Vorhalt der Angaben vom 14.06.2016, wonach er beim Transport in einem Bus geschlagen worden sei, gab er an, dass er heute den ersten Fall geschildert habe. Er könne sich nicht genau erinnern. Er wisse nur noch, dass er sicher beide Male geschlagen worden sei.
Auf die Frage, weshalb seine drei Brüder nicht dem Vorwurf ausgesetzt seien, bei dem Begräbnis teilgenommen zu haben, gab er an, dass sein Bruder und er immer viel zusammen gewesen seien. Sie seien einander näher gewesen als die anderen Brüder. Sein Name sei gezielt von jemandem genannt worden.
Ein Freund bei der Miliz habe ihm gesagt, dass er untertauchen solle. Er habe sich daher bei seiner Schwester versteckt. Bei seiner Schwester sei er nicht gesucht worden. Wie lange er bei seiner Schwester gewesen sei, könne er nicht sagen.
Die Zweitwiederaufnahmewerberin gab in der Verhandlung an, dass ihr Mann ihr nichts über die Gründe für die Ausreise erzählt habe, nur, dass er große Probleme habe. Sie sei einmal dabei gewesen, als ihr Mann abgeholt worden sei. Sie sei damals umgefallen und habe geblutet. Sie habe daraufhin eine Fehlgeburt erlitten. Sie sei gleich nach diesem Vorfall in ihr Elternhaus zurückgekehrt und habe dann nicht mehr mit ihrem Mann im gleichen Haushalt gelebt.
Auf Vorhalt einer früheren Aussage, wonach sie nach der Hochzeit immer bei ihrem Mann gelebt habe, gab sie an, dass sie aufgrund der Fehlgeburt für etwa eine Woche in ihr Elternhaus zurückgekehrt sei. Im Elternhaus ihres Mannes hätte sie arbeiten müssen, bei ihren Verwandten sei mehr Rücksicht auf ihre Fehlgeburt genommen worden.
14. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.05.2019, Zl. XXXX , wurden die Beschwerden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
Beweiswürdigend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass dem Erstwiederaufnahmewerber und der Zweitwiederaufnahmewerberin aufgrund massiv widersprüchlicher und ungenauer Angaben keine Glaubwürdigkeit zugesprochen werden konnte. Besonders der Erstwiederaufnahmewerber konnte zentrale Ereignisse nicht zeitlich einordnen und stellte sie widersprüchlich dar. Zum Bruder des Erstwiederaufnahmewerbers, XXXX , wurde beweiswürdigend mit einbezogen, dass eine Person dieses Namens im Jahr 2012 in Österreich einen Asylantrag stellte, dieses Verfahren jedoch schon kurze Zeit später eingestellt wurde. Laut Angaben des Erstwiederaufnahmewerbers kehrte XXXX freiwillig in die Russische Föderation zurück.
Die Entscheidungen wurden der zustellbevollmächtigen Vertretung der Wiederaufnahmewerber zugestellt und erwuchsen in Rechtskraft.
15. Gegen diese Entscheidung erhoben die Wiederaufnahmewerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 23.09.2019 ablehnte.
16. Am 06.12.2019 stellten die Wiederaufnahmewerber jeweils einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 32 VwGVG. Begründend wurde ausgeführt, dass den Wiederaufnahmewerbern nunmehr am 28.11.2019 die Sterbeurkunde des Bruders des Erstwiederaufnahmewerbers, verstorben am 14.04.2019, übermittelt worden sei. Die Umstände des Todes seien bis dato ungeklärt. Die Wiederaufnahmewerber befürchteten für den Fall der Rückkehr Widrigkeiten gegen Leib und Leben.
17. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.05.2020, XXXX wurde der Antrag auf Wiederaufnahme als verspätet zurückgewiesen.
18. Am 15.07.2020 brachten die Wiederaufnahmewerber den gegenständlichen zweiten Antrag auf Wideraufnahme der Verfahren ein. Begründend wurde auf ein beiliegendes Schreiben des Rechtsschutzzentrums „Memorial“ verwiesen, aus dem hervorgehe, dass der Erstwiederaufnahmewerber aufgrund eines Abwesenheitsurteils vom 09.04.2019 und Ladungen der Abteilung für Innere Angelegenheiten weiterhin einer Gefährdung ausgesetzt sei.
19. Am 19.08.2020 wurde ein ärztliches Attest betreffend den Drittwiederaufnahmewerber nachgereicht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Abweisung des Wiederaufnahmeantrages:
§ 32 VwGVG lautet:
§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn
1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder
3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.
(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
§ 32 Abs. 2 VwGVG sieht vor, dass ein Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen ist. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem der Antragsteller vom Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt. Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit des Wiederaufnahmeantrags trägt iSd ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 69 Abs. 2 AVG der Antragsteller (zB VwGH vom 14.11.2006, 2005/05/026, VwGH vom 12.09.2012, 2010/08/0098).
Das gegenständlich als Wiederaufnahmegrund vorgelegte Dokument ist mit 09.07.2020 datiert. Der mit 15.07.2020 eingebrachte Antrag auf Wideraufnahme ist daher rechtzeitig.
Der Antrag ist jedoch aus inhaltlichen Gründen iSd § 32 Abs. 1 Zi. 2 VwGVG nicht geeignet, eine andere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts herbeizuführen, dies aus folgenden Gründen:
Das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweise allein genügt nicht, um das Verfahren wiederaufzunehmen. Es handelt sich bei diesem "Neuerungstatbestand" nämlich um einen relativen Wiederaufnahmegrund und ist für eine Wiederaufnahme weiters erforderlich, dass die neuen Tatsachen und Beweise voraussichtlich auch zu einem anderen Verfahrensergebnis führen würden (vgl. VwGH 14. 6. 1993, 91/10/0107; 27. 9. 1994, 92/07/0074; 22. 2. 2001, 2000/04/0195). Die neuen Tatsachen müssen die Richtigkeit des angenommenen Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen (nova reperta). Neue Beweismittel dürfen nur geltend gemacht werden, wenn die zu beweisende Tatsache im abgeschlossenen Verfahren geltend gemacht wurde, die in Rede stehenden Beweismittel aber erst nach Abschluss des Verfahrens hervorkamen (Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 § 69 Rz 7). Es muss sich also um neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel handeln, die den Sachverhalt betreffen und die, wenn sie schon im wiederaufzunehmenden Verfahren berücksichtigt worden wären, zu einer anderen Feststellung des Sachverhaltes und voraussichtlich zu einem im Hauptinhalt des Spruchs anderslautenden Bescheid geführt hätten (VwGH 30.06.1998, 98/05/0033; 20.12.2005, 2005/12/0124; Mannlicher/Quell AVG § 69 Anm 6).
Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) generell nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das VwG entweder die den Gegenstand der des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; 18.01.2017, Ra 2016/18/0197; siehe auch Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 (2018) § 32 Anm 9 mwN). Dazu ist jedoch dem Antrag keinerlei Hinweis zu entnehmen.
Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikaur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht ebenfalls erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 19. April 2007, Zl. 2004/09/0159). Hingegen ist bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht entgegensteht (vgl. zu dieser Abgrenzung zwischen Wiederaufnahme und neuem Antrag das hg. Erkenntnis vom 24. August 2004, Zl. 2003/01/0431, mwH; die zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergangene hg. Judikatur zur Wiederaufnahme ist auf den nahezu wortgleichen § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG übertragbar).
Das gegenständliche Dokument wurde am 09.07.2020 und damit nach Abschluss des Asylverfahrens am 13.05.2019 ausgestellt. Es handelt sich also um ein neu entstandenes Beweismittel, das sich jedoch inhaltlich auf vor Abschluss des Verfahrens entstandene Sachverhalte (insbesondere eine Verurteilung des Erstwiederaufnahmewerbers am 09.04.2019) stützt.
Verfahrensgegenständlich hätten die vorgelegten Beweismittel jedoch weder allein, noch in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich eine im Hauptinhalt des Spruches anderslautende Entscheidung herbeigeführt.
Bei dem vorgelegten Schriftstück handelt es sich um eine Kopie eines Schreibens der Internationalen Organisation „Memorial“, aus dem hervorgeht, dass die Organisation aufgrund des Antrags des Bruders des Erstwiederaufnahmewerbers bezeuge, dass sich die illegale Verfolgung, regelmäßige Drohungen und Hausbesuche durch die Strafverfolgungsbehörden hinsichtlich des Erstwiederaufnahmewerbers weiterhin fortsetzen würden. Zur Bestätigung des oben gesagten habe der Bruder schriftliche Beweismittel vorgelegt, darunter ein Abwesenheitsurteil vom 09.04.2019 und Ladungen der Abteilung für Innere Angelegenheiten. Die Organisation „Memorial“ sei daher der Ansicht, dass die Lage der Wiederaufnahmewerber dem Begriff „Flüchtling“ nach der Genfer Flüchtlingskonvention entspreche.
Das Schreiben weist das Logo der Internationalen Organisation „Memorial“ auf, darunter ist die Adresse „ XXXX “ angeführt. Eine Recherche des Bundesverwaltungsgerichts ergab jedoch, dass die Organisation „Memorial“ in Tschetschenien weder ein Büro noch eine Außenstelle besitzt (die Büros der Organisation sind unter https://www.memo.ru/en-us/memorial/departments/?country=1#list aufgelistet). Auch auf einem Online-Stadtplan von XXXX konnte kein Büro von „Memorial“ in der XXXX gefunden werden.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass es sich bei dem Schriftstück (das nur in Kopie vorgelegt wurde) um eine Fälschung handelt.
Weiters ist auch aus dem Inhalt des Schreibens kein Grund für eine Wiederaufnahme der Verfahren ableitbar. Aus dem Schreiben geht hervor, dass dem Bruder des BF auf Verlangen dieses Schreiben ausgestellt worden sei, nachdem er schriftliche Beweismittel vorgelegt habe. Diese Beweismittel, insbesondere das angeführte Abwesenheitsurteil gegen den Erstwiederaufnahmewerber vom 09.04.2019 oder Ladungen der Abteilung für innere Angelegenheiten, wurden dem Gericht im Rahmen des Wiederaufnahmeantrags jedoch nicht vorgelegt, obwohl der Bruder des Erstwiederaufnahmewerbers im Besitz dieser Beweismittel sein soll. Das Schriftstück, das auf Verlangen des Bruders des Erstwiederaufnahmewerbers ausgestellt wurde und lediglich auf weitere Beweismittel Bezug nimmt, ist daher für sich allein nicht geeignet, die Richtigkeit des im abgeschlossenen Verfahren angenommenen Sachverhalts als zweifelhaft erscheinen zu lassen. Hierzu ist auf die Beweiswürdigung im Erkenntnis vom 13.05.2019 zu verwiesen, aus der hervorgeht, dass dem Erstbeschwerdeführer aufgrund massiv widersprüchlicher und vager Angaben keine Glaubwürdigkeit zugesprochen werden konnte.
Der Erstwiederaufnahmewerber hat darüber hinaus weder im abgeschlossenen Verfahren noch im ersten Antrag auf Wiederaufnahme am 06.12.2019 eine Verurteilung in Abwesenheit am 09.04.2019 oder „regelmäßige Drohungen und Hausbesuche seitens der Strafverfolgungsbehörde“ gegen seine noch in Tschetschenien lebenden Brüder vorgebracht. Das Vorbringen im Wiederaufnahmeantrag entfernt sich daher vom Vorbringen im bereits abgeschlossenen Verfahren und ist der Antrag daher auch aus diesem Grund abzuweisen.
Zum nachgereichten ärztlichen Attest betreffend den Drittwiederaufnahmewerber ist festzuhalten, dass dieses dem Bundesverwaltungsgericht ohne weitere Erläuterungen übermittelt wurde und daher nicht ersichtlich ist, aus welchen Gründen es sich bei dem Attest um einen Wiederaufnahmegrund iSd § 32 Abs. 1 Zi. 2 VwGVG handeln sollte.
Da es sich gegenständlich um einen Wiederaufnahmeantrag handelt, welcher grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 EMRK fällt, konnte von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden (vgl. VwGH 29.05.2017, Ra 2017/16/0070). Dies auch deshalb, weil von der mündlichen Erörterung des gegenständlichen Antrages keine weitere Klärung der Rechtsfrage zu erwarten ist, welche durch die Rechtsprechung des VwGH umfassend judiziert wurde. (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren² (2018) § 24 VwGVG Anm 13 zu Civil rights).
Da der vorliegende Antrag sich somit insgesamt als unbegründet erweist war diesem Antrag nicht stattzugeben und die Wiederaufnahme des Verfahrens zu versagen.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen wiedergegeben.
Schlagworte
Familienverfahren Glaubwürdigkeit mangelnder Anknüpfungspunkt Voraussetzungen WiederaufnahmeantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2006576.4.00Im RIS seit
21.01.2021Zuletzt aktualisiert am
21.01.2021