Entscheidungsdatum
15.10.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W233 2180887-2/4E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.06.2020, Zl. 1083963506-191315427:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang
I.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 24.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2017, Zl. 1083963506-151168590, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
I.2. Am 23.12.2019 stellte der Beschwerdeführer unter Verwendung des vorgesehenen Formulars den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von fünf Jahren. Begründend führte er an, dass er weder einen österreichischen Fremdenpass, noch einen ausländischen Reisepass besitze. Er könne keinen Pass seines Herkunftsstaates erlangen, da er nicht zur afghanischen Botschaft gehen könne. Er habe weder Angehörige in Afghanistan noch in Iran. Ferner verfüge er über keine Geburtsurkunde.
Dem Antrag wurden folgende Unterlagen in Kopie beigelegt:
- Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.11.2018, Zl. 1083963506-151168590, mit welchem die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers bis zum 27.10.2020 verlängert wurde;
- Auszug aus dem Zentralen Melderegister;
- Karte für subsidiär Schutzberechtigte.
I.3. Im Verwaltungsakt befindet sich zudem die Niederschrift der Einvernahme von XXXX , dem Vater des Beschwerdeführers, welche im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24.05.2017 aufgenommen wurde (AS 9ff.). Der Niederschrift ist unter anderem zu entnehmen, dass der Vater des Beschwerdeführers dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Tazkira im Original vorlegte und diese zum Akt genommen wurde.
I.4. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 30.04.2020 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer unter Einräumung einer zweiwöchigen Frist zur Stellungnahme mit, dass beabsichtigt werde, seinen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses abzuweisen.
Begründend wurde im Wesentlichen und zusammengefasst ausgeführt, dass der Vater des Beschwerdeführers dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Tazkira im Original vorgelegt habe und der Beschwerdeführer bei der Beantragung eines afghanischen Reisepasses der Afghanischen Botschaft die Tazkira seines Vaters vorlegen müsse. Ferner sei der Behörde von der Staatendokumentation am 18.01.2018 mitgeteilt worden, dass nach einer Auskunft der Afghanischen Botschaft afghanischen Staatsangehörigen, die sich im Ausland aufhalten, ein Reisepass ausgestellt werde, wenn dem entsprechenden Antrag an die afghanische Botschaft ein gültiger afghanischer Personalausweis, also eine Tazkira, vorgelegt werde. Wenn der Antragsteller über keine Tazkira verfüge, so werde ihm die Botschaft ein Formular aushändigen. Das ausgefüllte Formular sei der Botschaft gemeinsam mit einem Passfoto zu retournieren. Die Botschaft leite es dann an die in Afghanistan zuständige Behörde weiter. Es werde empfohlen, eine Vertrauensperson in Afghanistan zu kontaktieren, die mit der zuständigen afghanischen Behörde Kontakt aufnehme, damit der Antrag schneller erledigt und die Tazkira an die afghanische Botschaft gesendet werde.
Diese Verständigung wurde dem Beschwerdeführer am 05.05.2020 zugestellt.
I.5. Am 09.06.2020 brachte der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen weiteren Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte ein.
I.6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.06.2020, Zl. 1083963506-191315427, wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 23.12.2019 gemäß § 88 Abs. 2a FPG abgewiesen, wobei der Behörde im Spruch des Bescheids ein offensichtlicher Tippfehler unterlaufen ist und als Datum der Antragstellung fälschlicherweise der 23.12.2020 angeführt wurde.
Die Behörde stellte im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer den Namen XXXX führe, am XXXX geboren und Staatsangehöriger Afghanistans sei. Ihm komme in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und sei ihm mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.11.2018 seine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.10.2020 verlängert worden. Laut der Einvernahme seines Vaters, XXXX , vom 24.05.2017 sei sein Vater im Besitz einer Tazkira im Original, welche dieser dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Zuge seiner Einvernahme vorgelegt habe.
In der Beweiswürdigung wurde zu den Gründen für die Versagung des Fremdenpasses ausgeführt, aus dem Akteninhalt gehe hervor, dass der Vater des Beschwerdeführers eine Tazkira im Original besitze. Bei der Antragstellung habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er keine Tazkira besitze und er keine Verwandten in Afghanistan oder Iran habe. Laut Auskunft der afghanischen Botschaft in Wien und Rücksprache mit dem afghanischen Konsul würden grundsätzlich für afghanische Staatsbürger Reisepässe ausgestellt werden. Dem Bundesamt sei weiter mitgeteilt worden, dass alle afghanischen Staatsbürger unter Vorlage der notwendigen Unterlagen oder - im Fall, dass keine entsprechenden Unterlagen vorhanden sind - unter Einhaltung eines bestimmten Prozederes einen afghanischen Reisepass beantragen könnten.
Der Antragsteller habe sich hierfür einem Prüfungsverfahren zu unterziehen und habe alle vorhandenen Unterlagen, wie beispielsweise eine Tazkira oder eventuell bereits ausgestellte afghanische Dokumente, bei der Antragstellung vorzulegen.
Da der Vater des Beschwerdeführers im Besitz einer Geburtsurkunde (Tazkira) sei, sei es für den Beschwerdeführer möglich, unter Vorlage derselben ebenfalls eine Tazkira zu erlangen und in weiterer Folge die Ausstellung eines Reisepasses zu beantragen.
Am 05.05.2020 sei dem Beschwerdeführer eine Mitteilung über das Ergebnis der Beweisaufnahme zugestellt worden. Die zweiwöchige Frist zur Stellungnahme habe er jedoch ungenützt verstreichen lassen und sei auch bis zum Entscheidungszeitpunkt keine Stellungnahme eingelangt.
Rechtlich wurde erwogen, dass Österreich mit der Ausstellung eines Fremdenpasses dem Inhaber die Möglichkeit zu reisen eröffne und damit auch eine Verpflichtung gegenüber Gastländern übernehme. Diese an sich nur gegenüber Staatsbürgern einzunehmende Haltung erfordere einen restriktiven Maßstab. Dementsprechend sei der Antrag gemäß § 88 Abs. 2a FPG mangels Erfüllung der Voraussetzungen abzuweisen gewesen.
I.7. Mit Schriftsatz vom 22.07.2020 erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid im Wege seiner ausgewiesenen Vertreterin fristgerecht Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens.
Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensgangs im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei im Alter von sieben Jahren gemeinsam mit seinen Eltern von Afghanistan nach Iran geflüchtet und habe nie eine afghanische Tazkira besessen. Lediglich sein Vater habe dem Bundesamt eine Tazkira im Original vorgelegt. Es sei richtig, dass es bei Einhaltung eines gewissen Prozederes dem Beschwerdeführer möglich wäre, eine Tazkira und in weiterer Folge einen afghanischen Reisepass zu erlangen.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen XXXX vom 22.08.2017 sowie der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation „Afghanistan, Ausstellung von Tazkiras“ vom 01.09.2016 sei die Vorlage einer echten Tazkira für die Ausstellung eines Reisepasses erforderlich und würden von der Afghanischen Botschaft in Wien keine Tazkiras ausgestellt werden. Es bestehe die Möglichkeit eine Tazkira im Herkunftsstaat zu beantragen, allerdings sei eine Vertrauensperson in Afghanistan für eine positive Erledigung eines solchen Antrags zwingend erforderlich. Die Botschaft habe ein Antragsformular für afghanische Staatsbürger, die eine Tazkira beantragen wollen. Dieses Antragsformular werde vom Antragsteller mit Unterstützung der Botschaftsangestellten ausgefüllt. Hierfür müsse der Antragsteller eine Kopie der Tazkira seines Vaters, seines Bruders oder seiner Schwester der Botschaft vorlegen. Das ausgefüllte Formular werde von der Botschaft abgestempelt und dem Antragsteller wieder ausgehändigt. Dieser müsse in weiterer Folge selbst das Formular nach Afghanistan zu einem Verwandten oder Bekannten schicken, damit dieser den Antrag dem Registeramt im Innenministerium vorlege. Gleichzeitig übermittle die Botschaft in Wien eine Kopie des von ihr beglaubigten Antragsformulars per E-Mail an das Innenministerium in Kabul. Das Innenministerium überprüfe dann im Registerbuch und auch, wenn es notwendig sei, in der Herkunftsregion die Identität des Antragstellers. Wenn die Identität feststehe, stelle die Behörde eine Tazkira in Abwesenheit des Antragstellers aus, händige sie dem Vertreter aus und benachrichtige in der Folge die Botschaft.
Vor diesem Hintergrund wurde in Bezug auf die Situation des Beschwerdeführers ausgeführt, der Beschwerdeführer könne bei der Botschaft mit der Kopie der Tazkira seines Vaters einen Antrag auf Ausstellung einer Tazkira stellen. Das Formular müsse aber von ihm an eine Vertrauensperson, einen Verwandten oder einen Freund in Afghanistan geschickt werden, damit dieser den Antrag beim afghanischen Innenministerium abgebe. Zwar habe sich die Schwester des Beschwerdeführers in XXXX , Ghazni, befunden, als er geflüchtet sei; er habe allerdings keinen Kontakt mehr zu ihr. Überdies wäre sie nicht in der Lage, von Ghazni nach Kabul zu fahren, zumal Ghazni eine hochgefährliche Region sei und eine Reise von Ghazni nach Kabul in Hinblick auf die Sicherheitslage weder möglich noch zumutbar sei. UNHCR stelle fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der in der Stadt bestehenden allgegenwärtigen Gefahr zu werden.
Folglich sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage, sich von Österreich aus eine Tazkira zu beschaffen. Diese sei aber für die Erlangung eines afghanischen Reisepasses durch die afghanische Botschaft notwendig. Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass sämtlichen Familienmitgliedern des Beschwerdeführers, welche ebenfalls in Österreich subsidiären Schutz erlangt haben, ein Fremdenpass ausgestellt worden sei.
I.8. Am 23.07.2020 langte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen und Beweiswürdigung
Die unter Pkt. I als Verfahrensgang dargelegten Ausführungen werden als Feststellungen der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt. Diese ergeben sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt.
II.2. Rechtliche Beurteilung
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter. Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde wurde am 22.07.2020 beim Bundesamt eingebracht, ist nach Vorlage am 23.07.2020 beim BVwG eingegangen und zunächst der Gerichtsabteilung W239 zugewiesen worden. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 28.09.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W233 neu zugewiesen.
Zu A)
II.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg. cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
II.2.2. Der Beschwerdeführer stellte am 23.12.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 88 Abs. 2a FPG und führte begründend aus, er könne keinen afghanischen Reisepass erlangen, da er nicht zur afghanischen Botschaft gehen könne, keine Verwandten in Afghanistan oder Iran habe und über keine Geburtsurkunde verfüge.
Der verfahrensgegenständliche Bescheid vom 22.06.2020, mit welchem dieser Antrag abgewiesen wurde, leidet unter dem Mangel, dass sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit der Frage, ob es dem Beschwerdeführer aufgrund der von ihm genannten Umstände tatsächlich nicht möglich ist, einen afghanischen Reisepass zu beschaffen, nicht in gehöriger Weise auseinandergesetzt hat. Das Bundesamt hat die Voraussetzungen für die Ausstellung eines afghanischen Reisepasses durch eine afghanische Vertretungsbehörde im Ausland nicht hinreichend ermittelt und wurde in der Begründung des angefochtenen Bescheides insgesamt (Feststellungen, Beweiswürdigung, rechtliche Würdigung) – mangels entsprechender Ermittlungsergebnisse - nicht ausreichend auf den notwendigen Sachverhalt eingegangen.
II.2.2.1. Zwar übermittelte die Behörde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 30.04.2020 eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme, allerdings erweisen sich die darin angeführten Ermittlungsergebnisse als völlig unzureichend.
Eingangs wurde festgehalten, die Ermittlungen hätten ergeben, dass der Vater des Beschwerdeführers, XXXX , über eine Tazkira im Original verfüge und müsse der Beschwerdeführer bei der Beantragung eines afghanischen Reisepasses die Tazkira seines Vaters vorlegen. Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Erteilung eines gültigen afghanischen Reisepasses hielt das Bundesamt weiter fest, dass laut einer Auskunft der Staatendokumentation vom 18.01.2018 afghanische Vertretungsbehörden im Ausland nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen zur Ausstellung von afghanischen Reisepässen verpflichtet seien. Neben einem entsprechenden Antrag an die Afghanischen Botschaft sei die Vorlage einer Tazkira, sohin eines gültigen afghanischen Personalausweises, erforderlich. Zur Ausstellung einer Tazkira könne bei der Afghanischen Botschaft ein Formular ausgefüllt werden, welches in weiterer Folge von der Botschaft an die afghanischen Behörden weitergeleitet werde. Es werde empfohlen, eine Vertrauensperson in Afghanistan zu ersuchen, mit der zuständigen afghanischen Behörde Kontakt aufzunehmen, um die Ausstellung zu beschleunigen, zwingende Voraussetzung sei dies jedoch nicht.
Aus diesen Erwägungen geht implizit hervor, dass die Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er keine Tazkira habe, die Vorlage einer solchen jedoch zwingende Voraussetzung für die Ausstellung eines afghanischen Reisepasses sei, als glaubhaft erachtet. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers meint das Bundesamt jedoch, dass sich seinen Informationen zufolge der Beschwerdeführer auch von Österreich aus eine Tazkira ausstellen lassen könne. Diese Informationen betreffend die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Tazkira im österreichischen Bundesgebiet beziehe die Behörde nach ihren eigenen Ausführungen von der Staatendokumentation. Allerdings liegt eine entsprechende Information der Staatendokumentation im Verwaltungsakt nicht auf und ist es sohin für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, auf welche konkreten Ermittlungsergebnisse die Behörde ihre Erwägungen stützt. Es bestehen im Übrigen auch keine Hinweise darauf, dass dem Beschwerdeführer eine allfällig vorhandene Auskunft der Staatendokumentation (samt Quellenverweisen) zur Kenntnis gebracht wurde.
Ferner erschließt sich aus der Verständigung des Bundesamtes vom 30.04.2020 nicht, aufgrund welcher Ermittlungsergebnisse die Behörde davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer zur Ausstellung eines afghanischen Reisepasses die Tazkira seines Vaters vorlegen müsse, führt sie doch in weiterer Folge lediglich aus, der Beschwerdeführer müsse seinem ausgefüllten Antragsformular lediglich ein Passfoto beilegen. Andere Erteilungsvoraussetzungen, wie etwa die Vorlage der Tazkira eines Angehörigen, werden in diesem Zusammenhang hingegen nicht erwähnt. Inwieweit sohin das Ermittlungsergebnis, dass der Vater des Beschwerdeführers über eine Tazkira verfügt, für den gegenständlichen Fall von Bedeutung ist, wird von der Behörde in der Verständigung vom 30.04.2020 nicht präzisiert.
II.2.2.2. Auch aus dem angefochtenen Bescheid vom 22.06.2020 geht nicht hervor, dass die Behörde adäquate Ermittlungsschritte gesetzt und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt hinreichend ermittelt hat. In der Bescheidbegründung führte die Behörde zusammengefasst aus, dass afghanischen Staatsangehörigen laut Auskunft der Afghanischen Botschaft Wien sowie des afghanischen Konsuls grundsätzlich Reisepässe des Herkunftsstaates ausgestellt werden. Der Behörde sei zudem mitgeteilt worden, dass die Beantragung eines afghanischen Reisepasses unter Einhaltung eines bestimmten Prozederes auch dann möglich sei, wenn der Antragsteller nicht über alle erforderlichen Unterlagen verfüge. Der Antragsteller habe sich einem Prüfungsverfahren zu unterziehen und alle vorhandenen Unterlagen, wie beispielsweise eine Tazkira oder eventuell bereits vorhandene ausgestellte afghanische Dokumente in Vorlage zu bringen. Da der Vater des Beschwerdeführers eine Tazkira habe, sei es für den Beschwerdeführer unter Vorlage derselben möglich, auch selbst eine Tazkira, welche in weiterer Folge für die Ausstellung eines Reisepasses erforderlich sei, zu erlangen.
Eine schriftliche Stellungnahme oder ein Aktenvermerk über eine telefonische Auskunft der Afghanischen Botschaft Wien ist dem Akteninhalt allerdings nicht zu entnehmen und wird eine solche auch in der im Bescheid enthaltenen Auflistung der zur Beurteilung des Sachverhalts herangezogenen Beweismittel nicht genannt. Folglich entbehren die von der Behörde getroffenen Feststellungen einer konkreten Grundlage in den Ermittlungsergebnissen.
Zudem verabsäumt es die Behörde im angefochtenen Bescheid das konkrete „Prozedere“, welches für die Ausstellung einer Tazkira durch die afghanische Vertretungsbehörde im Ausland erforderlich ist, nachvollziehbar darzulegen. So erwähnt sie zwar, dass die Vorlage der Tazkira des Vaters des Beschwerdeführers hierfür relevant ist, führt jedoch nicht aus, woher sie diese Informationen bezieht und ob noch weitere Voraussetzungen für die Erteilung einer Tazkira erfüllt sein müssen.
Zusammengefasst geht sohin weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus der Verständigung vom 30.04.2020 über das Ergebnis der Beweisaufnahme oder dem sonstigen Akteninhalt nachvollziehbar hervor, welche konkreten Voraussetzungen der Beschwerdeführer erfüllen muss, um zunächst eine Tazkira und in weiterer Folge einen afghanischen Reisepass zu erlangen. Folglich kann nicht überprüft werden, ob es dem Beschwerdeführer konkret möglich ist, ein Reisedokument seines Herkunftsstaates zu beschaffen.
II.2.2.3. In einer Gesamtschau erweist sich der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren in besonders gravierender Weise als mangelhaft. Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender Ermittlungen – auch in Verbindung mit der Beschwerde – als ungeklärt dar. Der Behörde ist zwar insoweit zuzustimmen, als bei der Beurteilung der Frage, ob einem subsidiär Schutzberechtigten ein Fremdenpass zu erteilen ist, ein restriktiver Maßstab anzulegen ist; dies entbindet sie jedoch keineswegs von ihren Ermittlungspflichten. Indem das Bundesamt die erforderlichen Ermittlungsschritte zu den Voraussetzungen für die Erteilung einer Tazkira sowie eines Reisepasses durch die afghanische Vertretungsbehörde in Österreich unterlassen hat, erweist sich das Ermittlungsverfahren als völlig unzureichend, um die Beweiswürdigung des Bundesamtes zu stützen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, da eine ernsthafte Prüfung eines Antrags auf Erteilung eines Fremdenpasses nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.
Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichtes gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So sind keine Anhaltspunkte dahingehend ersichtlich, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mithilfe der bei ihm eingerichteten Staatendokumentation die notwendigen Ermittlungen betreffend den Herkunftsstaat wesentlich rascher und effizienter nachholen oder die von ihr erwähnten Informationen der Staatendokumentation sowie der Afghanischen Botschaft in das Verfahren einbringen kann. Aus der Aktenlage ergeben sich weiters auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.
Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt zurückzuverweisen.
II.2.2.4. Im fortgesetzten Verfahren hat die belangte Behörde Ermittlungen zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die afghanische Vertretungsbehörde in Österreich afghanischen Staatsangehörigen einen Reisepass ausstellt, durchzuführen. Insbesondere wird zu klären sein, ob die Vorlage einer Tazkira hierfür zwingende Voraussetzung ist und gegebenenfalls, unter welchen Bedingungen einem afghanischen Staatsangehörigen, der sich im Ausland befindet, eine Tazkira ausgestellt wird. In diesem Zusammenhang wird sich die Behörde auch mit den in der Beschwerde zitierten Länderinformationen auseinanderzusetzen und deren Aktualität zu prüfen haben. In der Folge wird zu klären seien, ob der Beschwerdeführer in der Lage ist, diese Voraussetzungen zu erfüllen.
Die Behörde wird dem Beschwerdeführer ferner Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme zu allen entscheidungsrelevanten Fragen einzuräumen haben.
Sollte die Behörde zu dem Ergebnis kommen, dass der Beschwerdeführer – wie in der Beschwerde behauptet - lediglich mithilfe einer Vertrauensperson einen afghanischen Reisepass erlangen kann, so wird sie zu klären haben, ob er Bekannte oder Verwandte im Herkunftsstaat hat, welche willens und in der Lage sind, die erforderlichen Behördengänge für ihn durchzuführen. Bei dieser Beurteilung wird die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan sowie die individuelle Situation der Vertrauensperson zu berücksichtigen sein.
II.2.3. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der angefochtene Bescheid aufzuheben waren.
II.2.4. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Aus-spruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die unter Punkt II.2. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen, die bei den jeweiligen Erwägungen wiedergegeben wurde. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
II. 4. Daher war spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Fremdenpass Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W233.2180887.2.00Im RIS seit
21.01.2021Zuletzt aktualisiert am
21.01.2021