TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/19 W103 2227059-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.2020
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Entscheidungsdatum

19.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch

W103 2227059-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.12.2019, Zl. 730561107-171403330, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 2, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 4, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1, 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer, einem damals minderjährigen Staatsangehörigen der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 11.02.2004 in Stattgabe eines durch seine Mutter und damalige gesetzliche Vertreterin infolge gemeinsamer illegaler Einreise am 11.02.2003 eingebrachten Asylerstreckungsantrags gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 durch Erstreckung (bezogen auf das Verfahren seines Vaters) in Österreich Asyl gewährt.

2. Infolge mehrfacher Straffälligkeit des Beschwerdeführers (siehe dazu die Feststellungen) führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 09.04.2018 eine Einvernahme des zwischenzeitig volljährigen Beschwerdeführers zur Prüfung der Aberkennung seines Asylstatus durch. Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst zu Protokoll, er sei im Jahr XXXX geboren worden und lebe seit 2002 in Österreich. Er sei gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern ins Bundesgebiet eingereist, welche sich unverändert in Österreich aufhielten. Der Beschwerdeführer habe in Österreich ein Polytechnikum besucht, eine Schlosserlehre begonnen und als Hilfsarbeiter gearbeitet. In Zeiten von Arbeitslosigkeit sei er durch seine Familie unterstützt worden. Welche Probleme er im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat haben würde, könne er nicht sagen. Angesprochen auf seine Straffälligkeit erklärte der Beschwerdeführer, er habe Dummheiten gemacht. Der Beschwerdeführer spreche nach wie vor Tschetschenisch. In Bezug auf die ihm zur Kenntnis gebrachte beabsichtigte Aberkennung des Asylstatus gab der Beschwerdeführer keine Stellungnahme ab.

Mit Schreiben vom 06.11.2019 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer, welcher sich zu diesem Zeitpunkt (neuerlich) in Untersuchungshaft befand, die in seinem Verfahren herangezogenen Länderberichte und gewährte ihm die Möglichkeit, hierzu sowie zur beabsichtigten Aberkennung seines Asylstatus und zu seinem aktuellen Familien- und Privatleben binnen Frist schriftlich Stellung zu beziehen.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 02.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer in Spruchteil I. der ihm mit Entscheidung vom 11.02.2004 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchteil II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weiters wurde ihm in Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG idgF erlassen, in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei und in Spruchpunkt VI. ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Zudem wurde in Spruchpunkt VII. gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z „0“ FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen.

Die Entscheidung über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland keine Gefährdungs- bzw. Bedrohungslage zu befürchten hätte. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung habe dieser nicht glaubhaft machen können. Seinem Vater, von welchem er den Asylstatus abgeleitet hätte, sei der Status mit seit 10.07.2017 rechtskräftiger Entscheidung des Bundesamtes aberkannt worden, nachdem dieser sich einen Reisepass der Russischen Föderation habe ausstellen lassen und wiederholt in den Herkunftsstaat zurückgereist wäre. Da dem Beschwerdeführer im Wege der Erstreckung Asyl gewährt worden wäre, sei hinsichtlich einer Aberkennung in rechtlicher Hinsicht darauf abzustellen, ob seine Bezugsperson aktuell einer Verfolgung in der Russischen Föderation ausgesetzt wäre. Da dem Vater des Beschwerdeführers der Asylstatus aberkannt worden wäre und dieser – zumal er gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel eingelegt hätte und wiederholt in den Herkunftsstaat gereist wäre – offensichtlich selbst von keiner Verfolgung mehr ausginge, stehe fest, dass der Bezugsperson des Beschwerdeführers keine Verfolgung mehr im Heimatland drohe und auch der Beschwerdeführer aufgrund seiner Angehörigeneigenschaft zu dieser keiner Gefahr unterliege. Darüberhinausgehende eigene Fluchtgründe habe der Beschwerdeführer nie vorgebracht.

Der Beschwerdeführer könnte seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation als gesunder Mann im erwerbsfähigen Alter mit Schulbildung und Berufserfahrung bestreiten und er würde ebendort Arbeitsmöglichkeiten und Unterstützung durch Verwandte vorfinden. Dieser beherrsche unverändert Tschetschenisch und sei mit den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut, sodass eine Wiedereingliederung ohne größere Schwierigkeiten möglich sein werde.

Der Beschwerdeführer sei im Jahr 2003 als Zwölfjähriger mit seinen Eltern und Geschwistern nach Österreich gereist, welche sich unverändert hier aufhielten. Der Beschwerdeführer sei ledig, habe keine Kinder, spreche Deutsch und habe in Österreich die Schule besucht. Er sei eineinhalb Monate als Lehrling tätig gewesen und danach nur ca. 20 Monate beschäftigt gewesen, wobei die längste zusammenhängende Beschäftigungsdauer sechs Monate im Jahr 2010 betragen hätte. Ansonsten habe der Beschwerdeführer von staatlicher Unterstützung gelebt, sodass angesichts seines Alters von bereits 28 Jahren auch in Zukunft nicht damit zu rechnen sei, dass er seinen Lebensunterhalt in Österreich selbständig bestreiten werde können. Der Beschwerdeführer sei zwischen 2010 und 2016 insgesamt sechsmal wegen Körperverletzung, Diebstahl durch Einbruch oder mit Waffen, qualifizierter gefährlicher Drohung, falscher Beweisaussage, versuchter schwerer Nötigung sowie schwerer Körperverletzung verurteilt worden. Zuletzt habe er sich wegen des Verdachts der Nötigung und Körperverletzung neuerlich in Untersuchungshaft befunden und sei aufgrund eines in der Haft begangenen Delikts abermals verurteilt worden. Aufgrund der kontinuierlichen Straffälligkeit des Beschwerdeführers, der nicht vorhandenen positiven Zukunftsprognose und der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit erwiesen sich eine Rückkehrentscheidung und ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot trotz der bereits langen Aufenthaltsdauer und der im Bundesgebiet aufhältigen Angehörigen als gerechtfertigt. Insbesondere die Aggressivität und Bereitschaft des Beschwerdeführers, Gewalt anzuwenden bzw. mit solcher zu drohen, ließen eine geringere Dauer des Einreiseverbotes nicht zu. Der Beschwerdeführer habe durch sein strafbares Verhalten gezeigt, dass er eine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle und nicht gewillt sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten.

4. Mit am 19.12.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch den nunmehr bevollmächtigten Rechtsanwalt fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Aberkennung des Asylstatus werde im angefochtenen Bescheid ausschließlich auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 gestützt, wobei sich dem Bescheid jedoch nicht explizit entnehmen lasse, von welchem der abschließenden „Beendigungsklauseln“ des Art. 1 Abschnitt C Z 1 bis 6 GFK die belangte Behörde ausginge. Soweit die Behörde auf den Wegfall der Flüchtlingseigenschaft bei der Bezugsperson abstelle, unterliege sie einem rechtlichen Irrtum, zumal bei der Aberkennung keine Familiengleichbehandlung vorgesehen wäre. Auch in Bezug auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Rückkehrentscheidung und die Abschiebung habe die Behörde die notwendigen Ermittlungen nicht durchgeführt und eine einzelfallbezogene Interessenabwägung der Gesamtumstände nicht vorgenommen. Hinsichtlich der Gefährdungsprognose habe die Behörde die notwendigen Begründunganforderungen ebenfalls missachtet.

5. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 30.12.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 20.08.2019, XXXX wurde der Beschwerdeführer mehrerer Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 und 3, Abs. 2 Z 1, 12 3. Fall StGB, der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 1 StGB, des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs. 1 StGB, der Nötigung nach §§ 15, 105 StGB, der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB sowie der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und hierfür zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.

Mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom 26.05.2020 wurde einer Berufung (dahin) Folge gegeben, dass über den Beschwerdeführer die Freiheitsstrafe von sieben Jahren und vier Monaten verhängt wird.

6. Mit Schreiben vom 14.10.2020 wurde mitgeteilt, dass der BF am 13.10.2020 bei der STA Graz angezeigt wurde, da er am 21.06.2020 in der Justizanstalt XXXX einen Justizwachebeamten mit den Worten „Ich steche dich ab, ich erwische dich schon noch hier drinnen, du Sau“ gefährlich bedroht habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 2003 gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern illegal in das Bundesgebiet ein und stellte durch seine gesetzliche Vertreterin am 11.02.2003 einen Antrag auf Asylerstreckung, dem mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 11.02.2004 stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 durch Erstreckung (bezogen auf das Verfahren seines Vaters) in Österreich Asyl gewährt wurde.

Der Status des Asylberechtigten des Vaters des Beschwerdeführers wurde mit seit 10.07.2017 rechtskräftiger Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl aberkannt, nachdem dieser sich einen russischen Reisepass hatte ausstellen lassen und wiederholt in die Russische Föderation zurückgereist war. Der Vater des Beschwerdeführers unterliegt zum Entscheidungszeitpunkt keiner Gefährdung mehr im Herkunftsstaat.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer ist aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu seinem Vater keiner Verfolgung durch die Behörden seines Herkunftsstaates ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat im Kindesalter verlassen, war nie einer individuellen Verfolgung ausgesetzt und hat im nunmehrigen Verfahren keine substantiierten Befürchtungen für den Fall seiner Rückkehr geäußert.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau und hat nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat, von deren Seite er im Bedarfsfall Unterstützung erfahren könnte. Der Beschwerdeführer, welcher sein Heimatland im Alter von zwölf Jahren verlassen hat, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen.

1.3. Der Beschwerdeführer weist die folgenden rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

1)        XXXX vom XXXX

§ 83 (1) StGB

Geldstrafe von 90 Tagsätzen zu je 2,00 EUR (180 EUR), im Nichteinbringungsfall 45 Tage Ersatzfreiheitsstrafe (Jugendstraftat)

2)       Landesgericht XXXX

§§ 127, 129 Z 2 StGB

Freiheitsstrafe zehn Monate, bedingt, Probezeit drei Jahre

3)       Landesgericht XXXX

§§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (2), 27 (4) Z 1 SMG

Freiheitsstrafe fünf Monate, bedingt, Probezeit drei Jahre

4)       Landesgericht XXXX

§ 12 3. Fall StGB §§ 127, 129 Z 1 StGB

Freiheitsstrafe 12 Monate, davon Freiheitsstrafe neun Monate bedingt, Probezeit drei Jahre

5)       Landesgericht XXXX

§ 107 (1 u 2) StGB

§ 288 (1) StGB

§§ 105 (1), 106 (1) Z 1 StGB 15 StGB

§§ 83 (1), 84 (1) StGB

Freiheitsstrafe 3 Monate

6)       Landesgericht XXXX

§ 105 (1) StGB

Freiheitsstrafe 4 Monate

7)       Landesgericht XXXX

§ 107 (1) StGB

§ 115 (1), § 117 (2) StGB

Freiheitsstrafe 5 Monate

8. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX wurde der Beschwerdeführer mehrerer Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 und 3, Abs. 2 Z 1, 12 3. Fall StGB, der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 1 StGB, des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs. 1 StGB, der Nötigung nach §§ 15,105 StGB, der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB sowie der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und hierfür zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.

Im Zuge der Strafbemessung als mildernd wurden die teilweise Beitragstäterschaft sowie die lange Verfahrensdauer gewertet, als erschwerend hingegen das Zusammentreffend von sieben Verbrechen und neun Vergehen, vier einschlägige Vorstrafen, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 StGB, die Tatbegehung während eines laufenden Verfahrens, der rasche Rückfall nach Vollzug XXXX der lange Tatzeitraum sowie die brutale Vorgehensweise gegenüber dem geistig und körperlich offensichtlich unterlegenen Opfer.

Mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom XXXX wurde einer Berufung (dahin) Folge gegeben, dass über den Beschwerdeführer die Freiheitsstrafe von sieben Jahren und vier Monaten verhängt wird.

Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Gebiet der Mitgliedstaaten würde eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen, zumal auf Grundlage seines bisher gesetzten Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit zu prognostizieren ist. Ein Wegfall der von seiner Person ausgehenden Gefährdung kann zum Entscheidungszeitpunkt frühestens nach einem Ablauf von zehn Jahren prognostiziert werden.

1.4. Der ledige und kinderlose Beschwerdeführer hat sich während seines langjährigen Aufenthaltes Deutschkenntnisse angeeignet und hier die Pflichtschule absolviert. Seit Erreichen der Volljährigkeit vor rund zehneinhalb Jahren befand sich dieser lediglich für rund eineinhalb Jahre in Beschäftigungsverhältnissen und war ansonsten auf den Bezug staatlicher Unterstützungsleistungen angewiesen. Die längste durchgehende Beschäftigungsdauer betrug sechs Monate. Eine nachhaltige Integration am österreichischen Arbeitsmarkt ist nicht erfolgt. Der Beschwerdeführer hat außerhalb seiner Herkunftsfamilie keine engen Bindungen zur österreichischen Gesellschaft aufgebaut und auch sonst keine maßgebliche Bemühung um eine Integration erkennen lassen. Seit Juli 2019 befand dieser sich neuerlich in Justizhaft.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

Bewegungsfreiheit bzw. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens.

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

- ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Rechtsschutz / Justizwesen

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

- ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertigesamt. de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

-        BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

-        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.

-        724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/ russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017). Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

?        Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

?        Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel. eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

?        DW – Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018

?        ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017). Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

-        Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

-        Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkazuzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativund Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018). In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer

Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung

bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018). Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer „nichtgenehmigten“ friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die „Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen“. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018). Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von „Geständnissen“ (AA 21.5.2018). Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 – The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussia- state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-        ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-        US DOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 – Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition. Das

Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat- Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art „alternativer Justiz“. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017). Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 21.5.2018). Der Konflikt im Nordkaukasus zwischen Regierungskräften, Aufständischen, Islamisten und Kriminellen führt zu vielen Menschenrechtsverletzungen, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen und daher auch zu einem generellen Abbau der Rechtsstaatlichkeit. In Tschetschenien werden Menschenrechtsverletzungen seitens der Sicherheitsbehörden mit Straffreiheit begangen (US DOS 20.4.2018, vgl. HRW 7.2018, AI 22.2.2018).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 – The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

-        EASO – European Asylum Support Office (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautentführung; Waisenhäuser), http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf, S. 9, Zugriff 2.8.2018

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussia- state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-

-        01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        HRW – Human Rights Watch (7.2018): Human Rights Watch Submission to the United Nations Committee Against Torture on Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1439255/1930_1532600687_int-cat-css-rus-31648-e.docx, Zugriff 2.8.2018

-        ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam [vergriffen; liegt in der Staatendokumentation auf]

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swpberlin. org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        US DOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 – Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB, das Untersuchungskomittee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 20.4.2018).

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 20.4.2018). Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen „fremdländischen“

Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 21.5.2018).

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnenderweise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramzan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramzan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017). Vor allem tschetschenische Sicherheitsbehörden können Menschenrechtsverletzungen straffrei begehen (HRW 7.2018). Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Von Seiten des tschetschenischen MVD [Innenministerium] sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Einrichtung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hatte angeblich 9.000 Angehörige. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramzan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ersuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch „ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden „unantastbaren Polizeieinheiten“ zu tun haben“ (EASO 3.2017).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        HRW – Human Rights Watch (7.2018): Human Rights Watch Submission to the United Nations Committee Against Torture on Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1439255/1930_1532600687_int-cat-css-rus-31648-e.docx, Zugriff 2.8.2018

-        Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In:Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 2.8.2018

-        US DOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 – Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische

Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. EASO 3.2017).

Auch 2017 gab es Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land. Die Art und Weise, wie Gefangene transportiert wurden, kam Folter und anderen Misshandlungen gleich und erfüllte in vielen Fällen den Tatbestand des Verschwindenlassens. Die Verlegung in weit entfernte Gefängniskolonien konnte monatelang dauern. Auf dem Weg dorthin wurden die Gefangenen in überfüllte Bahnwaggons und Lastwagen gesperrt und verbrachten bei Zwischenstopps Wochen in Transitzellen. Weder ihre Rechtsbeistände noch ihre Familien erhielten Informationen über den Verbleib der Gefangenen (AI 22.2.2018). Laut Amnesty International und dem russischen „Komitee gegen Folter“ kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig. Untersuchungen von Foltervorwürfen bleiben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene “Geständnisse“ werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt (AA 21.5.2018).

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung.

Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 20.4.2018). Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. außergerichtlichen Tötungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen (FH 1.2018). In der ersten Hälfte des Jahres 2017 wurden die Inhaftierungen und Folterungen von Homosexuellen in Tschetschenien publik (HRW 18.1.2018). Der Umfang der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien ist bis heute unklar. Bis zu 100 Opfer, darunter auch mehrere Tote, werden genannt. Viele der Verfolgten sind aus Tschetschenien geflohen [vgl. hierzu Kapitel19.4 Homosexuelle] (Standard.at 3.11.2017).

Ein zehnminütiges Video der Körperkamera eines Wächters in der Strafkolonie Nr. 1 in Jaroslawl, zeigt einen Insassen, wie er von Wächtern gefoltert wird. Das Video vom Juni 2017 wurde am 20.07.18 von der unabhängigen russischen Zeitung „Novaya Gazeta“ veröffentlicht. Das Ermittlungskomitee leitete ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch mit Gewaltanwendung ein. Verschiedenen Medienberichten zufolge sollen fünf bis sieben an der Folter beteiligte Personen festgenommen und 17 Mitarbeiter der Strafkolonie suspendiert worden sein. Das Video hatte in der russischen Öffentlichkeit große Empörung ausgelöst.

Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von Misshandlungen und Folter im russischen Strafvollzug (NZZ 23.7.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 – The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussia- state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 3.8.2018

-        HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html, Zugriff 3.8.2018

-        ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (23.7.2018): Ein Foltervideo setzt Ermittlungen gegen Russlands Strafvollzug in Gang, https://www.nzz.ch/international/foltervideo-setztermittlungen- gegen-russlands-strafvollzug-in-gang-ld.1405939, Zugriff 2.8.2018

-   

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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