TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/20 G304 2231523-3

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Veröffentlicht am 20.10.2020
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Entscheidungsdatum

20.10.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch

G304 2231523-3/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX, geb. am XXXX, StA.: Afghanistan, vertreten durch Mag. Thomas KLEIN, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Zl. XXXX, zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Mandatsbescheid vom 25.05.2020, XXXX wurde über den betroffene Fremden (im Folgenden: so oder kurz: BF) gemäß § 76 Abs. 2 Z2 FPG iVm § 57 Abs 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Dagegen richtete sich seine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, die mit Erkenntnis vom 10.06.2020 abgewiesen wurde.

2. Am 19.06.2020 wurde der BF der afghanischen Botschaft in Wien vorgeführt, wobei er positiv identifiziert wurde. Die afghanische Botschaft stimmte der Ausstellung eines Heimreisezertifikats (im Folgenden: so oder kurz: HRZ) für den BF und der Ausstellung eines HRZ seitens der afghanischen Botschaft zugestimmt wurde.

3. Beginnend mit 25.05.2020 erfolgten seitens des BFA Schubhaftprüfungen gemäß § 80 Abs. 6 FPG, wobei jeweils festgestellt wurde, dass die Schubhaftgründe sowie die Rechtmäßigkeit unverändert vorliegen.

4. Mit 16.09.2020 erfolgte gem. § 22a Abs. 4 BFA-VG die erste Aktenvorlage an das Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung des BF in Schubhaft.

Mit Erkenntnis vom 21.09.2002, GZ: G308 2231523-2/4E, wurde die Anhaltung des BF in Schubhaft als verhältnismäßig und zielführend erkannt.

5. Am 13.10.2020 erfolgte gemäß § 22 Abs 4 BFA-VG die zweite Aktenvorlage an das Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung gemäß § 76 Abs 2 Z. 2 FPG iVm § 22a Abs 4 BFA-VG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.Der BF reiste im Jahr 2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle in Österreich ein und stellte am 06.02.2015 einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: so oder kurz: BFA) vom 30.06.2017 wurde dieser Antrag in allen Spruchpunkten abgewiesen und dem BF ein Aufenthaltstitel versagt.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 24.03.2020, Zl.

W201 2165490-1/17E rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Seit Rechtskraft dieses Erkenntnisses verfügt der BF auch über kein Aufenthaltsrecht in Österreich. Die ihm zur freiwilligen Ausreise aus dem Bundesgebiet eingeräumte Frist endete am 09.04.2020. Ungeachtet dessen hält er sich weiterhin im Bundesgebiet auf.

1.2. Bis zum 06.05.2020 war er mit Hauptwohnsitz zwar in XXXX (einer Unterkunft für Asylwerber) gemeldet; doch nahm er dort nie Unterkunft. Nachdem ihm die abweisende Asylentscheidung des BVwG zugestellt worden war, verließ er die letzte behördlich bekannte Unterkunft und tauchte unter, indem er sich nirgendwo mehr mit Haupt- oder Nebenwohnsitz im Bundesgebiet nach den Bestimmungen des Meldegesetzes mehr anmeldete.

1.3. Mit Bescheid des BFA vom 28.04.2020 wurde ihm gem. § 57 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG aufgetragen, bis zur Ausreise durchgängig Unterkunft in der Rückkehrbetreuungseinrichtung (RÜBE) Tirol, in XXXX, zu nehmen.

Dieser Bescheid konnte ihm (durch die Polizei) nicht zugestellt werden, da er zu diesem Zeitpunkt bereits untergetaucht war. In der Folge wurde die amtliche Abmeldung an der Anschrift des letzten Hauptwohnsitzes (XXXX) veranlasst und durchgeführt.

1.4. Am 06.05.2020 wurde der BF vom ho. Amt gem. § 34 Abs. 3 Z. 1 BFA-VG zur Festnahme ausgeschrieben.

1.5. Am 24.05.2020 um 11:11 Uhr wurde er anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung in XXXX angetroffen und einer fremdenrechtlichen Kontrolle unterzogen. Dabei wurde er gemäß § 34 Abs. 3 Z. 1 BFA-VG festgenommen und in der Folge ins PAZ XXXX verbracht.

1.6. Am 25.05.2020 um 09:37 Uhr wurde der BF zur möglichen Schubhaftverhängung im PAZ XXXX durch die Polizei niederschriftlich einvernommen. Aufgrund dieser niederschriftlichen Dokumentation steht nachstehendes fest:

Seit seinem Verschwinden aus der Unterkunft für Asylwerber war der BF unsteten Aufenthalts. Bis zu seinem Aufgriff durch die Fremdenpolizei hielt er sich bei XXXX auf, den der BF als seinen Freund bezeichnete und der ihn auch finanziell unterstützte. Im Zeitpunkt des Aufgriffs verfügte der BF weder über ein nennenswertes Barvermögen, noch über Immobilienbesitz in Österreich.

Der BF ist absolut rückkehrunwillig und hat dezidiert angegeben, Österreich nicht verlassen zu wollen.

Er hat im Bundesgebiet keine Familienangehörigen.

1.7. Das BFA war gewillt, „stufenweise“ vorzugehen, bevor als ultima ratio die Schubhaft verhängt wurde.

1.8. Der BF ist bislang nicht freiwillig aus dem Bundesgebiet ausgereist und ist absolut unwillig, freiwillig aus dem Bundesgebiet auszureisen.

1.9. Er ist - wie schon oben festgestellt - erklärtermaßen rückkehrunwillig.

Von der niederschriftlichen Einvernahme durch die Fremdenpolizei abgesehen, gab er auch anlässlich einer am 25.05.2020 stattgehabten niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA an, nicht ausreisewillig zu sein.

Anlässlich einer am 10.06.2020 stattgehabten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er ebenfalls an, dass er nicht ausreisewillig sei. In dieser Verhandlung gab er zudem an, dass er deshalb untergetaucht sei, weil er vor einer Abschiebung und Schubhaftverhängung „Angst“ gehabt hätte.

1.10. Seit dem 25.05.2020 befindet er sich durchgehend in Schubhaft.

1.11. Am 19.06.2020 wurde der BF der afghanischen Delegation vorgeführt, woraufhin er als afghanischer Staatsbürger identifiziert wurde.

1.12. Die Charterabschiebung des BF ist für Anfang November geplant und fixiert.

1.13. Der BF hat in Österreich keine familiäre oder sonstige soziale Anbindung, keinen gesicherten Wohnsitz und keine Existenzmittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes.

Er ist gesund und haftfähig. Gründe, die seine Haftfähigkeit in Zweifel ziehen würden, sind nicht hervorgekommen.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt den vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

2.1. Die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum), die angeführte Staatsangehörigkeit sowie der Nichtbesitz der österreichischen Staatsangehörigkeit beruhen auf den von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen seitens des BF nicht entgegengetreten wurde.

Die Feststellungen hinsichtlich seiner Einreise und seines Aufenthaltes im Bundesgebiet, zum fehlenden Besitz von Identitätsurkunden sowie zu den ihn betreffenden asyl- und fremdenrechtlichen Entscheidungen beruhen auf einer Abfrage des Zentralen Fremdenregisters, einer Ausfertigung der oben zitierten Erkenntnisse des BVwG und auf den Feststellungen des Bescheides der belangten Behörde, denen er nicht entgegengetreten ist.

Die Feststellung, dass der BF bislang nicht freiwillig aus dem Bundesgebiet ausgereist ist und auch keine ernsthafte Bereitschaft zeigt, aus diesem auszureisen, sowie die fehlenden sozialen Bindungen beruht auf den Feststellungen im Bescheid als auch auf den niederschriftlich dokumentierten Angaben des BF vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen, dass der BF über keine privaten, familiären oder beruflichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet sowie über kein Einkommen und kein Vermögen verfügt, gründen auf den in den zitierten Niederschriften der Fremdenpolizei, des BFA und des Bundesverwaltungsgerichtes gemachten Angaben des BF. Die Konstatierung zu seinem Untertauchen und zu den damit in Zusammenhang stehenden Beweggründen gründen ebenfalls auf den niederschriftlich dokumentierten Angaben des BF.

2.2. Auf Grund des bisherigen Gesamtverhaltens tritt das erkennende Gericht im Ergebnis der Beurteilung der belangten Behörde bei, dass sich der BF bislang als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat:

Der BF hat durch sein Verhalten, sowie das wiederholte Nichtnachkommen behördlicher Anordnungen (Untertauchen), gezeigt, dass er nicht dazu bereit ist, seinen Lebenswandel dem österreichischen Recht entsprechend zu gestalten, somit seinen Unwillen, sich an österreichische Rechtsnormen zu halten und damit einhergehend die fehlende Bereitschaft zur Integration in Österreich, unter Beweis gestellt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Zuständigkeit:

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet:

㤠22a. (...)

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(...).“

3.2. Relevante Rechtsvorschriften und Judikatur:

3.2.1. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), lautet:

㤠76. (...).

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1.       (…),

2.       dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

(...).

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1.       ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a.     ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2.       ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3.       ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4.       ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5.       ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

(…);

8.       ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9.       der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.“

Der mit „Dauer der Schubhaft“ betitelte § 80 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG),

lautet:

„§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1.       (...);

2.       sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) (...).

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1.       die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.       (...),

3.       (...), oder

4.       die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(…).

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(...).“

3.2.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist oder wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-VO vorliegen (§ 76 Abs. 2 FPG). Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH vom 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH vom 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647 und vom 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH vom 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH vom 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; vom 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301 und vom 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis VwGH vom 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542 und vom 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis VwGH vom 28.05.2008, Zl. 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH vom 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114 und vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. VwGH vom 22.05.2007, Zl. 2006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085 und vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512 und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

3.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Mit Bescheid des BFA vom 25.05.2020 wurde zwecks Sicherung der Abschiebung über den BF die Schubhaft angeordnet.

Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG darf die Schubhaft nur dann angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder, wie im gegenständlichen Fall, der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.

Gegenständlich liegt auch eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme, nämlich eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG vor.

Der BF verfügt über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Finanzierung seines Unterhaltes und über keinen aufrechten Wohnsitz. Es wurden keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt und bestehen im Bundesgebiet keine feststellbaren familiären Beziehungen. Damit ist auch § 76 Abs. 3 Z 9 FPG erfüllt.

Selbst wenn dem BF ein Auslandsaufenthalt nicht vorwerfbar ist, so hat er sich der behördlichen Verfügungsgewalt entzogen, indem er dieser seinen aktuellen Wohnort nach Aufgabe des letzten ordentlichen Wohnsitzes nicht mitgeteilt hat.

Für die Verhängung der Schubhaft ist es nicht unabdingbare Voraussetzung, dass der BF ein strafrechtlich relevantes Verhalten gesetzt hat, um von einer Fluchtgefahr auszugehen. Die Anwendung eines gelinderen Mittels scheidet aus, weil vor dem Hintergrund des Untertauchens des BF eben nicht davon ausgegangen werden kann, er sei zuverlässig genug, sich in periodischen Abständen in einer Polizeiinspektion zu melden oder in von der Behörde bestimmten Räumlichkeiten Unterkunft zu nehmen. Verstärkt wird die Gefahr einer fehlenden Greifbarkeit im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft durch seine bereits mehrmals getätigte Aussage, nicht aus eigenem Antrieb nach Afghanistan zurückkehren zu wollen. Dass eine Abschiebung nach Afghanistan voraussichtlich zu einem bereits feststehenden Zeitpunkt im November 2020 stattfinden wird können, vermag an der Aufrechterhaltung der Schubhaft nichts zu ändern, weil sich die Schubhaft in einem frühen Stadium befindet. Im vorliegenden Vorlagebericht hat das BFA jedoch darauf hingewiesen, dass die Abschiebung aufgrund der aktuellen Corona-Situation nicht mehr als gesichert angesehen werden könne. Über Konsultation teilte die HRZ-Abteilung der belangten Behörde mit, dass HRZ ausgestellt werden, bis eine Charterabschiebung durchgeführt werden kann.

Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die Fortsetzung der seit 25.02.2020 andauernden Schubhaft wegen Vorliegens von Fluchtgefahr weiterhin als erforderlich und die Anhaltung in Schubhaft wegen Überwiegens des öffentlichen Interesses an der Sicherung der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Vergleich zum Recht des betroffenen Fremden auf persönliche Freiheit auch als verhältnismäßig.

Aus den dargelegten Erwägungen war gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen (Spruchpunkt A.), die Schubhaft kann daher fortgesetzt werden.

Unter Berücksichtigung dieser nach wie vor vorliegenden Umstände und der sich konkretisierenden Außerlandesbringung kann von einem verstärkten Sicherungsbedarf ausgegangen werden.

Die Annahme, wonach es sehr wahrscheinlich ist, dass im Fall der Beendigung der Schubhaft und Freilassung letztlich eine Rückführung des rückkehrunwilligen BF durch Untertauchen vereitelt oder erschwert werden könnte, erweist sich unter Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens des BF, der mangelnden Vertrauenswürdigkeit sowie seiner fehlenden sozialen Verankerung in Österreich nach wie vor als begründet.

3.4. Voraussetzung für die Fortsetzung der Schubhaft ist, dass nach wie vor die Aussicht besteht, dass für den BF ein Heimreisezertifikat erlangt werden kann (vgl VwGH vom 11.05.2017, Ra 2016/21/0144).

Das Verfahren hinsichtlich einer Ausstellung eines Heimreisezertifikates wird seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl effizient und nachhaltig geführt, so wurde die Ausstellung eines Heimreisezertifikats von der Botschaft bereits zugesagt und ein Termin für die Abschiebung fixiert.

3.5. Ein gelinderes Mittel iSv § 77 FPG kam für den BF nicht in Betracht, da er aufgrund seines Verhaltens unter Beweis gestellt hat, dass er nicht bereit bzw. willens ist, sich an einer bestimmten Adresse für die belangte Behörde bereitzuhalten.

Die Anordnung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles nicht geeignet, um den erforderlichen Sicherungszweck (Durchführung der Abschiebung) zu erreichen. Der Zweck der Schubhaft kann auch nicht durch Anwendung eines gelinderen Mittels erreicht werden, zumal der BF mittellos ist und keine Unterkunftsmöglichkeit besteht. Daran hat sich seit der letzten Schubhaftüberprüfungsverhandlung nichts geändert.

Die in § 80 Abs. 4 Z 1 und Z 2 FPG vorgesehene Höchstdauer der Anhaltung in Schubhaft im Ausmaß von 18 Monaten wurde zum Entscheidungszeitpunkt bei weitem nicht überschritten.

Die andauernde Schubhaft kann daher - auch unter Berücksichtigung der gesetzlich festgelegten Höchstdauer der Anhaltung - fortgesetzt werden, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Im vorliegenden Fall geht der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage klar hervor, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G304.2231523.3.00

Im RIS seit

21.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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