TE Bvwg Beschluss 2020/10/21 I419 1437487-4

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Veröffentlicht am 21.10.2020
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Entscheidungsdatum

21.10.2020

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I419 1437487-4/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch Verein LegalFocus, gegen den Bescheid des Bundeamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 15.10.2020, Zl. XXXX :

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 rechtmäßig.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der im Spruch genannte Fremde stellte 2013 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz, den das BAA am 14.08.2013 abwies, was dieses Gericht bestätigte (28.10.2015, I408 1437487-1/9E), wobei es die zugleich ausgesprochene Ausweisung aufhob und die Angelegenheit zur Prüfung einer Rückkehrentscheidung zurückverwies.

Die am 21.12.2017 ergangene Rückkehrentscheidung des BFA samt Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria bestätigte dieses Gericht (28.02.2018, I414 1437487-2/3E), wobei es die Dauer des zugleich verhängten Einreiseverbots auf 5 Jahre halbierte.

2. Der Beschwerdeführer verblieb im Inland und stellte einen Folgeantrag, den das BFA wegen entschiedener Sache zurückwies, was dieses Gericht am 13.11.2018 bestätigte (I415 1437487-3/2E).

3. Am 21.09.2020 stellte der Beschwerdeführer in Schubhaft den zweiten Folgeantrag, worauf das BFA mit dem im Spruch genannten Bescheid gegenüber dem Fremden den faktischen Abschiebeschutz aufhob, begründet damit, dass der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen sein werde, da keine wesentliche Änderung des Sachverhalts erkennbar sei. Die Rückkehrentscheidung sei aufrecht, und dem Beschwerdeführer drohe kein Eingriff in die durch Art. 2, 3 und 8 EMRK geschützten Rechte.

4. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer habe aufgrund seiner politischen Einstellung und Aktivitäten für die Biafra-Bewegung Probleme und sei im Inland exilpolitisch tätig. Die Asylbehörde müsse sich mit dem Vorbringen der politischen Probleme beschäftigen, „wenn auch die Verwirklichung dieser Ereignisse chronologisch in die Zeit vor der Rechtskraft des ersten Asylverfahrens“ falle. Selbst wenn sie einen glaubhaften Kern bezüglich des Vorbringens der politischen Verfolgung verneine, könne das nicht die Verpflichtung zur Umsetzung des Art. 40 Abs. 2 f Verfahrens-RL ändern.

Der Beschwerdeführer fürchte ferner eine Gefährdung seiner Gesundheit wegen der Pandemie-Lage, die im Herkunftsstaat so ernst sei, dass dieser weiterhin alle Grenzen, auch am Luftweg, geschlossen halte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I geschilderte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Anfang 40, Raucher, ledig, Staatsangehöriger von Nigeria, Christ, arbeits- und haftfähig. Manchmal hat er Kopfschmerzen oder schläft schlecht. Nach eigenen Angaben bekam er in der Schubhaft Tabletten gegen Bluthochdruck, die er noch nimmt. Deren Namen wisse er nicht. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte und – von den Zeiten der Strafhaft abgesehen – weder über Arbeit noch über längere Sozialkontakte, die über alltägliche Verrichtungen hinausgingen.

Bis zu seiner ersten Inhaftierung bezog er Leistungen der staatlichen Grundversorgung. Er weist keinerlei sprachliche, soziale oder integrative Verfestigung in Österreich auf. Seine Abschiebung am 24.06.2020 scheiterte pandemiebedingt wegen Flugstreichung. Ein Heimreisezertifikat des Herkunftsstaats von 2019 wurde 2020 erneuert. Eine weitere Erneuerung ist laut BFA möglich.

In Nigeria lebt nach wie vor die Familie des Beschwerdeführers, bestehend aus seinen Eltern, seinem Bruder, seinen beiden Kindern und der Mutter seiner Kinder, 9 und 11. Dort verdiente er sich seinen Lebensunterhalt im Handel mit Tonträgern. Er spricht Igbo als Muttersprache und Englisch.

Der Beschwerdeführer hält sich seit 2013 im Inland auf und wurde wie folgt strafgerichtlich verurteilt:

- Vom LGS Wien am 09.05.2014 wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften in Form des versuchten Überlassens zu 9 Monaten Freiheitsstrafe, davon 6 bedingt nachgesehen,

- vom BG Leopoldstadt am 11.04.2016 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften in den Formen des Besitzens und des Überlassens zu 4 Monaten Freiheitsstrafe, wobei die Probezeit der ersten Verurteilung auf 5 Jahre verlängert wurde,

- vom LGS Wien am 18.08.2016 Vergehens des gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften in Form des Überlassens zu 16 Monaten Freiheitsstrafe, wobei die bedingte Nachsicht aus der ersten Verurteilung wiederrufen wurde, und

- nochmals vom LGS Wien am 28.06.2018 wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften in den Formen des Erwerbens und des Besitzens, des gewerbsmäßen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften in Form des Überlassens, des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt sowie der versuchten schweren Körperverletzung zu 18 Monaten Freiheitsstrafe, wobei die bedingte Entlassung aus der vorigen Freiheitsstrafe widerrufen wurde.

Aufgrund dessen verbrachte der Beschwerdeführer die Zeiten 29.03. bis 27.06.2014, 13. und 14.01.2016, 11.05.2016 bis 09.01.2018 und 22.04.2018 bis 21.04.2020 in Justizanstalten, anschließend befand er sich in Schubhaft, aus der er am 12.10.2020 entlassen wurde. Einen gemeldeten Wohnsitz weist er seit 25.05.2020 nicht mehr auf.

Im Schubhaftverfahren hat dieses Gericht festgestellt, dass für Oktober 2020 eine Abschiebung des Beschwerdeführers geplant und dieser ausreiseunwillig ist. (16.09.2020, W279 2233921-2/4E)

1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat

Im angefochtenen Bescheid wurde das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria auf Stand 20.05.2020 zitiert. Im Beschwerdeverfahren sind keine entscheidenden Änderungen der Sachverhaltselemente bekannt geworden.

Aus einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen („EASO Special Report: Asylum Trends and COVID-19“) ergibt sich zwar betreffend Nigeria, dass die Zahl der bisher gemeldeten COV-Fälle die tatsächliche Verbreitung des Virus unterschätzen könnte, insbesondere in Bundesstaaten, die keine Labors haben, andererseits zeigt das Verhältnis der Zahl Infizierter (ohne Verstorbene und Geheilte), 3.704 per 19.10.2020, davon 1.009 in Lagos, 4 in Borno und 27 in Anambra State, zur Zahl durchgeführter Tests (578.481 bei ca. 200 Mio. Einwohnern oder 2.892 pro Million), dass auch eine Hochrechnung auf die Testquote Österreichs (219.010 pro Mio. Einwohner) keine gravierende Zahl dieser Infizierten ergäbe, nämlich 0,28 Mio. oder 0,14 % der Bevölkerung, also weniger als in Österreich (das bei 0,16 % liegt). Dem Bericht ist ferner zu entnehmen, dass Lagos die beste Abdeckung durch Labors aufweist.

Daraus folgt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zwangsläufig in eine ausweglose Situation geriete.

Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Nordnigeria – Boko Haram

Boko Haram ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit tausenden von Todesopfern verantwortlich (AA 24.5.2019a). Im August 2016 spaltete sich Boko Haram als Folge eines Führungsstreits in Islamic State West Africa (ISIS-WA) und Jama’atu Ahlis Sunna Lidda’awati wal-Jihad (JAS) auf (EASO 11.2018a).

Dem Konflikt fielen bisher unterschiedlichen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 30.000 Menschen zum Opfer (AA 24.5.2019a; vgl. HRW 14.1.2020; EASO 11.2018a). Milizen der Boko Haram und der an Einfluss gewinnende ISIS-WA terrorisieren die Zivilbevölkerung weiterhin durch Mord, Raub, Zwangsverheiratungen, Vergewaltigung und Menschenhandel (AA 16.1.2020).

Diese Gruppen sind auch weiterhin für Tötungen, Bombenanschläge und Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Nordnigeria verantwortlich (USDOS 1.11.2019).

Seit der Angelobung von Präsident Buhari im Mai 2015 wurden effektivere Maßnahmen gegen die Aufständischen ergriffen (ACCORD 17.4.2020). Die von Boko Haram betroffenen Staaten (v.a. Kamerun, Tschad, Niger, Nigeria) haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer circa 10.000 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AU-EU o.D.). In den vergangenen Jahren wurde die Militärkampagne gegen die Islamisten auf Druck und unter Beteiligung der Nachbarstaaten intensiviert und hat laut Staatspräsident Buhari zu einem von der Regierung behaupteten „technischen Sieg“ geführt (ÖB 10.2019). Tatsächlich gelang es dem nigerianischen Militär und Truppen aus den Nachbarländern Tschad, Niger und Kamerun, Boko Haram aus einigen Gebieten zu verdrängen (GIZ 3.2020). Nach dem Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sogenannten Islamischen Staat ist Boko Haram mittlerweile zu ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen oft auch durch Attentäterinnen zurückgekehrt (ÖB 10.2019; vgl. ACCORD 17.4.2020).

Einige Gebiete stehen immer noch unter der Kontrolle der verschiedenen Fraktionen der Gruppe. JAS scheint im Nordosten in Richtung Kamerun am aktivsten zu sein, während ISIS-WA hauptsächlich in der Nähe der Grenze zu Niger operiert (EASO 2.2019). Boko Haram kontrolliert einige Dörfer nahe des Tschad-Sees (ICG 16.5.2019). Im Jahr 2019 führten Boko Haram und ISIS-WA Angriffe auf Bevölkerungszentren und Sicherheitskräfte im Bundesstaat Borno durch. Boko Haram führte zudem in eingeschränktem Ausmaß Anschläge im Bundesstaat Adamawa durch, während ISIS-WA Ziele im Bundesstaat Yobe angriff. Boko Haram kontrolliert zwar nicht mehr so viel Territorium wie zuvor, jedoch ist es beiden Gruppen im Nordosten des Landes weiterhin möglich, Anschläge auf militärische und zivile Ziele durchzuführen (ACCORD 17.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Im Nordosten hat sich die Sicherheitslage nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 also wieder verschlechtert. Die nigerianischen Streitkräfte sind nicht in der Lage, ländliche Gebiete zu sichern und zu halten und beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno (AA 16.1.2020).

Allein im Jahr 2019 sind ca. 640 Zivilisten bei Kämpfen zwischen Sicherheitskräften und Boko Haram getötet worden. Außerdem entführte die Gruppe mindestens 16 Menschen (HRW 14.1.2020). Laut einer anderen Quelle wurden bei mindestens 31 bewaffneten Angriffen der Boko Haram im Jahr 2019 mindestens 378 Zivilpersonen getötet (AI 8.4.2020). IOM zählt etwa 1,6 Millionen IDPs, ca. 200.000 nigerianische Flüchtlinge befinden sich in den Nachbarländern (AA 24.5.2019a). Andere Quellen berichten von circa zwei Millionen IDPs und mehr als 240.000 nigerianischen Flüchtlingen in den angrenzenden Staaten (USDOS 11.3.2020). Im Jahr 2018 kamen beim Konflikt im Nordosten zumindest 1.200 Personen ums Leben, knapp 200.000 Personen wurden intern vertrieben (HRW 17.1.2019).

Auch wenn die zivile Bürgerwehr Civilian Joint Task Force stellenweise recht effektiv gegen Boko Haram vorging, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 16.1.2020).

1.2.2 Opposition inkl. MASSOB und IPOB

Verfassung und Gesetze erlauben die freie Bildung politischer Parteien, Gewerkschaften
oder Interessengruppen. Es liegen keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung vor. Auch in Nigeria kann sich die politische Opposition grundsätzlich frei betätigen. Das gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition, sondern auch für außerparlamentarische Parteien und Gruppen. Bislang sind auch – meist marginale – Gruppen mit sezessionistischen Zielen (etwa Biafra) weitgehend toleriert worden (AA 16.1.2020).

Mit Verbot der Indigenous People of Biafra (IPOB) im September 2017 und der schiitischen Islamischen Bewegung Nigerias (IMN) im August 2019 sind jetzt aber klare Grenzen markiert worden (AA 16.1.2020). Neben der IPOB ist im Südosten Nigerias als zweite sezessionistische Bewegung das Movement for the Actualization of the Sovereign State of Biafra (MASSOB) aktiv (EASO 2.2019; vgl. ÖB 10.2019). Beide werden von der Igbo-Volksgruppe beherrscht, konkurrieren aber miteinander (ÖB 10.2019).

Nach der vorübergehenden Freilassung des seit Herbst 2015 inhaftierten Anführers der
IPOB, Nnamdi Kanu, im Frühjahr 2017 spitzte sich die Lage rund um den 50. Jahrestag des Beginns des Biafra-Kriegs [Anm.: 6.7.2017] neuerlich zu. Zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurden Truppen entsandt (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020) und die IPOB zur terroristischen Organisation erklärt (ÖB 10.2018; vgl. AA 16.1.2020). Die Polizei geht gegen Mitglieder der IPOB und der IMN mittels Inhaftierungen vor (HRW 17.1.2019). Die Sicherheitskräfte nahmen im Verlauf des Jahres 2019 mindestens 200 Mitglieder und Unterstützer der IPOB fest, zehn Personen wurden getötet (AI 8.4.2020). In Abia wurden mutmaßliche IPOB-Mitglieder etwa wegen Mordes, Brandstiftung und anderen Verbrechen verhaftet. Seither hat es seitens IPOB und MASSOB nur noch vereinzelt Versuche gegeben, in der Öffentlichkeit für die (verfassungswidrige) Unabhängigkeit eines fiktiven Staates „Biafra“ zu werben. Diese wurden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden. Insgesamt können diese Bewegungen als relativ unbedeutende Randgruppen angesehen werden (ÖB 10.2019).

Der IPOB-Führer Nnamdi Kanu, der seit September 2017 spurlos verschwunden gewesen war, trat überraschend im Oktober 2018 in Jerusalem wieder öffentlich in Erscheinung (ÖB 10.2019; vgl. BBC 22.10.2018). Seit Anfang 2019 hielt er sich in Großbritannien auf (AFP 17.2.2019). Aufgrund einer umstrittenen Äußerung Kanus bei einem Interview distanzierte sich die IPOB in der Folge von ihrem (ehemaligen) Anführer (ÖB 10.2018). Der Federal High Court in Abuja erließ am 28.3.2019 einen Haftbefehl gegen ihn. Gleichzeitig widerrief das Gericht die Kanu im April 2017 aus gesundheitlichen Gründen gewährte Freilassung auf Kaution, da er seither mehreren Vorladungen des Gerichts nicht Folge geleistet hatte (BAMF 1.4.2019). Im September 2019 kündigte Kanu an, eine IPOB-Delegation zur Generalversammlung der UNO führen zu wollen, und beschuldigte Nigeria in einer Petition an die UNO in Genf der Menschenrechtsverletzungen gegen die Unterstützer der Biafra-Bewegung (ÖB 10.2019). In Nigeria selbst ist IPOB derzeit nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020). […]

1.2.3 Meldewesen

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; EASO 24.1.2019), wie u. a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2019).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2019).

1.2.4 Medizinische Versorgung

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 3.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 2.4.2020).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. AA 2.4.2020; ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).

In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).

Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 3.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019). […]

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen der 180 Millionen Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).

Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 3.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, sofern vorhanden (ÖB 10.2019). Eine basale Versorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).

Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen. In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).

Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 3.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).

1.2.5 Rückkehr

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

1.3 Zum Fluchtvorbringen

1.3.1 Der Beschwerdeführer hat im Erstverfahren 2013 beim BFA angegeben, aus Anambra State zu stammen, dort in Lilu geboren und in Onitsha in die Schule gegangen zu sein. Dann sei er nach Banga (in Zamfara State, Anm.) gezogen, wo er seit einigen Jahren lebe. Er habe nie Probleme mit den Heimatbehörden gehabt, sei kein Mitglied einer politischen Partei
oder sonstigen Gruppierung und auch kein solches gewesen und habe keine politischen Interessen.

Er hat mit 25 in Lagos einen Führerschein erhalten und in der Beschwerdeverhandlung im Erstverfahren 2015 behauptet, zuletzt in Maiduguri (Borno State) gelebt zu haben, wohin ihn sein Vater nach der Volksschule geschickt habe. In derselben Verhandlung gab er an, in Maiduguri geboren und in Anambra State aufgewachsen zu sein. Er habe einen Laden am Markt von Baga (Borno State) gehabt, sei dort als Christ und Leiter des Mittagsgebets bedroht worden und fürchte, von Boko Haram getötet zu werden. In Österreich sei er bei keinem Verein und keiner anderen Organisation Mitglied.

1.3.2 Zum ersten Folgeantrag gab er beim BFA zunächst erstbefragt an, im Jänner 2012 habe es einen Bombenangriff auf den Markt gegeben, wo er als Leiter einer katholischen Gruppe „Charismatische Erneuerung“ immer die Gebetstunde abgehalten habe. Der Anschlag sei gegen die Christen gerichtet gewesen, und nach ihm habe man mit Plakaten gesucht.

In Österreich sei er bei keinem Verein Mitglied, spiele mit einer Gruppe Fußball und singe gerne in der Kirche. Seine Fluchtgründe seien dieselben wie im ersten Verfahren.

1.3.3 Zu seinem neuen Folgeantrag erklärte er bei der Polizei, seine alten Gründe blieben aufrecht. Er sei im Herkunftsstaat Mitglied der Bewegung „Biafra“, der Partei „IPOB“, und habe für die Unabhängigkeit „Ost Nigerias“ (englisch wohl die - bis 1967 - Verwaltungseinheit „Eastern Region“) protestiert: „Wir wollen ein eigenes Land sein.“ Die Regierung des Herkunftsstaats sei gegen diese Bewegung und töte die Menschen Haus für Haus. Deshalb sei er vom „Osten Nigerias“ in den „Norden in Nigeria“ (s. oben, „Northern Region“) gezogen, wo er auch Anführer einer christlichen Gruppe gewesen und von Moslems angegriffen worden sei, die den Markt in Brand gesteckt hätten. Sein religiöser Anführer habe ihm geholfen, zu flüchten.

Nach Rechtsberatung gab er beim BFA an, er habe ein T-Shirt mit IPOB-Emblem und auch eine Mitgliedskarte der IPOB besessen. Diese befänden sich in Lilu. Seit er in Österreich sei, habe er die Politik des Herkunftsstaats und die Ereignisse dort nicht verfolgt, und auch kein Interesse daran. Das Einzige, was ihn interessiere, sei sein Land Biafra.

Er sei seit 2009 IPOB-Mitglied gewesen, 2012 habe er die Mitgliedskarte bekommen und sei einer der Anführer geworden. Mit drei anderen Personen habe er im Sommer 2012 Demonstrationen geleitet. Als zwei davon im August 2012 getötet worden seien, und man nach ihm gesucht habe, sei er nach Maiduguri gegangen.

Die Nachrichten zu Biafra habe er in Österreich verfolgt und sei „auch zu den Treffen im Rathaus“ gegangen. Auf die Nachfrage, welches Rathaus er meine, gab er den Namen einer Straße im Bezirk Wien-Landstraße an, die Hausnummer wisse er nicht. Befragt, welche Organisation sich dort getroffen habe, gab er an: „Wir, die Biafraorganisation.“ Nochmals gefragt, antwortete er: „IPOB.“ Zur Bedeutung der Abkürzung gab er an: „I ist für Ibo, B ist für Biafra, O ist für Organisation. Biafra Unity.“ Zum Anführer der IPOB, Nnamdi Kanu, gab er mehrfach an, dieser sei 2017 getötet worden.

1.3.4 Der Beschwerdeführer hat kein substantiiertes neues Vorbringen erstattet. Beweise legte er weder vor noch bot er welche an. Die geltend gemachten Gründe hätten zudem bereits vor Abschluss des ersten Asylverfahrens vorgelegen.

Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation im Herkunftsstaat ist seit der Rückkehrentscheidung nicht eingetreten, insbesondere nicht auf das Vorbringen bezogen. Es existieren keine Umstände, die der Zulässigkeit einer Abschiebung entgegenstünden.

Nach all dem wird das BFA aller Voraussicht nach feststellen, dass keine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts eingetreten ist. Der Folgeantrag wird daher voraussichtlich vom BFA zurückzuweisen sein.

Der Beschwerdeführer war im dritten Beschwerdeverfahren (d. h. dem zum ersten Folgeantrag) vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, im zweiten Beschwerdeverfahren (dem betreffend Rückkehrentscheidung, Abschiebung und Einreiseverbot) vom MigrantInnenverein St. Marx, und wurde im ersten Beschwerdeverfahren (betreffend die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz) von einer Rechtsberaterin des Vereins Menschenrechte Österreich beim Verfassen der Beschwerde unterstützt.

Im Verfahren über den zweiten Folgeantrag hat er vorgebracht, dass er den nun erstmals angeführten Fluchtgrund bisher nicht angegeben habe, weil sein Leben im Herkunftsstaat „deswegen wirklich in Gefahr“ sei. Er habe Angst gehabt, dass er zurückgeschickt würde, wenn er das angebe.

Der Beschwerdeführer hat den zweiten Folgeantrag gestellt, um seine Verbringung in den Herkunftsstaat hinauszuzögern.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich zunächst aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie des vorliegenden Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichtes und der Akten der vorangegangenen Beschwerdeverfahren, speziell den angeführten Erkenntnissen. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt, ferner der Gerichtsakt des zweiten Schubhaftverfahrens und dessen Erkenntnis (W279 2233921-2/4E) eingesehen.

2.1 Zur Person des Fremden

Die Lebensumstände des Beschwerdeführers samt Ausbildung, Arbeitsmarkterfahrung sowie Privat- und Familienleben ergaben sich aus den bisherigen Feststellungen, seinen Angaben, speziell zuletzt vor dem BFA, und den Abfragen des Registers der Grundversorgung und des ZMR. Das Gericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer in den bisherigen Verfahren auch andere Angaben zur Existenz seines Vaters (der verstorben sei) und betreffend das Vorhandensein eines Bruders (es gäbe nur Schwestern) gemacht hat, indes erscheinen die zuletzt genannte Familiengröße und das Fortleben beider Eltern mit Blick auf das Alter des Beschwerdeführers und die im Herkunftsstaat notorisch höhere Kinderzahl im Vergleich zu Mitteleuropa besser zu diesen Fakten passend und damit lebensnäher als die früheren Angaben.

Den Angaben des Beschwerdeführers betreffend die angebliche Einnahme von Tabletten gegen hohen Blutdruck konnten keine genaueren Feststellungen folgen, da dieser keinerlei Befunde oder sonstige Beweismittel vorlegte, und auch die Beschwerde das Thema nicht behandelt. Auch in der Anhaltedatei des BMI scheint zum Thema Gesundheit (außer dem Vermerk „Raucher“, der Verweigerung einer ärztlichen Kontrolle und der dreifachen Verweigerung eines Röntgens) nichts auf. Mit Blick auf die Länderfeststellungen zur Verfügbarkeit von Bluthochdruck-Medikamenten (1.2.4) und die offenkundige Mobilität des Beschwerdeführers bestand aber kein Grund, dem weiter nachzugehen, zumal auch im zweiten Schubhaftverfahren vor rund einem Monat noch festgestellt wurde: „Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers sind nicht aktenkundig. […] Anzeichen für eine Haftunfähigkeit oder eine COVID-19 Risikogruppe sind nicht hervorgekommen.“

Die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers folgt außerdem auch daraus, dass er laut Anhaltedatei von der Justizanstalt mit rund € 10.850,-- aus der Strafhaft entlassen wurde.

2.2 Zur Lage im Herkunftsland

Die Länderfeststellungen, welche der Entscheidung des BFA zu Grunde zu legen waren, sind aktuell (20.05.2020). Es ist daher und auch betreffend die Pandemie keine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation eingetreten.

Das BFA hat dem Beschwerdeführer die Länderfeststellungen vorgelegt und ihm deren Übersetzung angeboten. Dieser hat dazu bemerkt, er habe überhaupt kein Interesse an irgendetwas, was den Herkunftsstaat betreffe. Europa solle Biafra helfen, unabhängig zu werden. Damit ist er den Feststellungen nicht substantiiert entgegengetreten.

Die weiteren Feststellungen dazu entstammen der genannten Veröffentlichung der EU-Agentur EASO (www.easo.europa.eu/publications/easo-special-report-asylum-trends-and-covid-19-issue-2) und des „Centre for Disease Control“ des Herkunftsstaats (covid19.ncdc.gov.ng). Die inländischen Zahlen sind die des BMSGPK (www.derstandard.at/story/2000120049733/aktuelle-zahlen-coronavirus-oesterreich-corona-ampel-in-ihrem-bezirk) mit Stand 19.10.2020, 09:30 h.

2.3 Zu den Fluchtmotiven des Fremden

Der Beschwerdeführer behauptet im vorliegenden Folgeverfahren weiterhin Gegnerschaft der Boko Haram und nun darüber hinaus, bereits seit 2009 Mitglied der IPOB und deshalb seit 2012 als einer der lokalen Anführer auch staatlich verfolgt und deshalb in den Norden gezogen zu sein.

Damit wurde kein Sachverhalt geltend gemacht, der nach Eintritt der Rechtskraft der vorigen Entscheidung entstanden wäre. Der unerklärt späte Zeitpunkt des Vorbringens belastet auch dessen Glaubhaftigkeit. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass kein Asylwerber eine Gelegenheit ungenützt ließe, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer mit dem neuen Vorbringen seinem bisherigen in mehreren Punkten widerspricht, nicht nur darin, dass er bisher stets angab, keine Probleme mit dem Staat zu haben, keiner Organisation anzugehören und sich nicht für Politik zu interessieren. Er hat bisher auch angegeben, bereits nach der Volksschule nach Norden geschickt worden zu sein, 2012 aber wäre er bereits Anfang 30 gewesen. Ferner hat er früher ausgesagt, bereits 7 Jahre dort gewesen zu sein, bevor er den eigenen Laden eröffnete, was mit dem Eintreffen 2012 und der Flucht 2013 nicht zusammenstimmt.

Für ein nachträglich mit dem Zweck einer Verzögerung der Abschiebung erstelltes Konstrukt spricht auch, dass dem Beschwerdeführer offenbar fast jedes Wissen betreffend Biafra und IPOB fehlt, sogar die mit „IPOB“ abgekürzten Wörter waren ihm kein bekannter Begriff, und den Anführer Kanu hielt er für seit 2017 tot.

Betreffend die Motivation für die nunmehrige Antragstellung ist auch ins Treffen zu führen, dass der Folgenantrag gestellt wurde, als sich der Beschwerdeführer in Schubhaft befand. Angesichts der Umstände der bisherigen Rechtsberatung bzw. -vertretung und des festgestellten Unwillens, auszureisen, sowie der bevorstehenden Abschiebung und des nunmehrigen Untertauchens des Beschwerdeführers seit der Haftentlassung erweist sich der zweite Folgeantrag als mit Verzögerungsabsicht gestellt.

Schließlich erscheint das Vorbringen auch als Versuch einer Steigerung des bisherigen, wenn die Übersiedlung nach Norden (Borno State) als Reaktion auf angebliche Ereignisse im Sommer 2012 im Süden (Ambara) dargestellt werden, der aber misslingt, weil der Beschwerdeführer zum ersten Folgeantrag angab, bereits im Jänner 2012 einem Angriff in Borno State ausgesetzt gewesen zu sein. Er hat demnach kein substantiiertes neues Vorbringen erstattet.

Es war daher auch nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria eine reale Gefahr einer konventionsrelevanten Verfolgung mit sich bringen würde.

Die Feststellung, dass der Folgeantrag voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird, ergibt sich daraus, dass der vorgebrachte angebliche Sachverhalt bereits vor Abschluss des vorigen Asylverfahrens vorgelegen hätte und dem Beschwerdeführer bekannt gewesen wäre.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes.

3.1 Nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA unter anderem dann den faktischen Abschiebeschutz eines Fremden aufheben, der einen Folgeantrag gestellt hat, wenn dieser voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z. 2), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z. 3).

Weiter ist vorausgesetzt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht (Z. 1).

3.2 Die angeführte Rückkehrentscheidung ist seit Erlassung des Erkenntnisses dieses Gerichts vom 28.02.2018 rechtskräftig.

3.3 Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z. 2 AsylG 2005 („wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist“) hat der VwGH festgehalten, dass das gesetzlich angestrebte Ziel beachtet werden muss, den faktischen Abschiebeschutz nur für klar missbräuchliche Anträge beseitigen zu wollen. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtige daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es müsse sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichne. Nur dann könne angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolge, die Durchsetzung einer rechtskräftigen, mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen Vorentscheidung zu verhindern. Auf solch einen missbräuchlichen Zweck deute etwa die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zu Grunde liegen. Möglich seien aber auch andere Umstände, die den Schluss zuließen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte. (07.02.2020, Ra 2019/18/0487 mwN)

3.4 Zwar lässt die RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Verfahrens-RL) den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Regelung des Bleiberechts bei Folgeanträgen einen weiteren Spielraum, bei einem ersten Folgeantrag zufolge ihres Art. 41 Abs. 1 lit. a aber nur dann, wenn der Antrag von der betreffenden Person in Missbrauchsabsicht („nur zur Verzögerung oder Behinderung der Durchsetzung einer Entscheidung, die zu ihrer unverzüglichen Abschiebung aus dem betreffenden Mitgliedstaat führen würde“) gestellt wurde. (VwGH 24.10.2019, 2019/21/0198, Rz 19 mwN).

Das BVwG hat bereits früher über den ersten Folgeantrag des Beschwerdeführers entschieden, sodass nun weder darauf eingegangen werden muss, ob bereits dieser missbräuchlich gestellt worden war, noch darauf, ob der nunmehrige nur (d. h. ausschließlich) zur Verzögerung der Abschiebung gestellt wurde, weil es sich bereits um den zweiten Folgeantrag handelt. Die Missbrauchsabsicht liegt damit den Umständen nach (und mangels der in 3.3 angeführten Inhalte des Vorbringens) ungeachtet der Ausschließlichkeit des Motivs vor.

3.5 Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz ist es ständige Rechtsprechung des VwGH, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme. Eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt.

Wenn das BFA einen verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist „Sache des Beschwerdeverfahrens“ die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Verwaltungsgericht hat dann zu prüfen, ob das BFA auf Grund des zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zum Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe zu erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden.

Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Folgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung entgegensteht.

Behauptete Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch in diesem nicht vorgebracht hat, sind von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst (VwGH 18.12.2019, Ro 2019/14/0006 mwN).

3.6 In der vorliegenden Beschwerde wird vorgebracht, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sei fallbezogen insbesondere mit Blick auf das Vorabentscheidungsersuchen des VwGH vom 18.12.2019 (2019/14/0006) problematisch, weil der Beschwerdeführer erst jetzt eine politische Verfolgung vorbringe. Aus diesem Beschluss ergibt sich unter anderem Folgendes:

3.7 Die Verfahrens-RL sieht in Art. 40 Abs. 2 vor, dass Folgeanträge zur Entscheidung über ihre Zulässigkeit zunächst daraufhin geprüft werden, ob zur Frage, ob der Antragsteller als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vorgebracht worden sind. Wenn das Ergebnis ist, dass neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass er als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, wird nach Abs. 3 der Antrag weiter geprüft.

In Abs. 4 ist schließlich festgelegt, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, Anträge nur dann weiter zu prüfen, wenn der Antragsteller ohne eigenes Verschulden nicht in der Lage war, die in den Abs. 2 f dargelegten Sachverhalte im früheren Verfahren insbesondere durch Wahrnehmung seines Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubringen. Anträge, die nicht weiter geprüft werden, gelten nach Abs. 5 als unzulässig.

Der VwGH hat dem EuGH (C-18/20) dazu (1.) die Frage vorgelegt, ob neue Elemente oder Erkenntnisse, die „zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind“, auch solche Umstände erfassen, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren. Für den Fall, dass dem so ist, wurden ferner die Fragen vorgelegt, (2.) ob bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln, die hervorkommen und im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, die Möglichkeit ausreicht, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu verlangen, und (3.) ob dann, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Verfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm unterbleiben darf, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, obwohl der Mitgliedstaat Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrens-RL mangels Erlassung von Sondernormen nicht ordnungsgemäß umgesetzt und deswegen auch nicht ausdrücklich von der in Abs. 4 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung vorzusehen.

Weil die unmittelbare Anwendung einer Richtlinie, deren vollständige Umsetzung in nationales Recht unterblieben bzw. die fehlerhaft umgesetzt ist, nur zu Lasten eines Einzelnen oder zur Vorenthaltung von Rechten eines Einzelnen schon von vornherein nicht in Frage komme, sei entscheidend, ob der nationale Gesetzgeber ausdrücklich Anordnungen für Folgeanträge im Sinn eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zu treffen habe (generelle Prüfpflicht, die ausnahmsweise bei verschuldet verspätetem Vorbringen entfällt), wenn er von der Möglichkeit des Art. 40 Abs. 4 Verfahrens-RL Gebrauch machen will. Dies wiederum würde voraussetzen, dass der nationale Gesetzgeber zunächst Vorschriften zu erlassen hat, die den Vorgaben des Art. 40 Abs. 2 f Verfahrens-RL entsprechen, und erst daran anknüpfend eine Ausnahme im Sinn ihres Art. 40 Abs. 4 vorsehen darf. (VwGH 18.12.2019, 2019/14/0006 Rz 67 ff)

3.8 Der VwGH hat in diesem Zusammenhang jedoch auch entschieden, dass eine mit der des Vorabentscheidungssachverhalts nicht vergleichbare Konstellation vorliegt, wenn keine neuen Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht wurden, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit hätten beitragen können, dass dieser als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen wäre. (28.01.2020, Ra 2020/14/0014)

Wie festgestellt, hat der Beschwerdeführer kein substantiiertes neues Vorbringen erstattet und Beweise weder vorgelegt noch angeboten, sondern eine Unkenntnis betreffend IPOB dokumentiert, die nicht einmal eine Person hätte, deren Wissen lediglich die Länderfeststellungen umfasst. Wie auch bereits dargetan, ist damit kein neues Vorbringen erstattet worden, von dem anzunehmen ist, dass es beachtlich im Sinne einer materiellen Erledigung anstelle einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache wäre.

Es fehlt daher auch ein Vorbringen, das erheblich zu der Wahrscheinlichkeit hätten beitragen können, dass der Beschwerdeführer als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen wäre.

3.9 Nach § 68 AVG hat die Behörde Anbringen von Beteiligten, die eine Abänderung eines der formell rechtskräftigen Bescheides begehren, grundsätzlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Ausnahmen dazu bilden die Fälle der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 69 und 71 AVG sowie die in § 68 Abs. 2 bis 4 AVG vorgesehenen Arten von Abänderungen und Behebungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.

Die vorgesehenen Ausnahmen kommen nach dem Inhalt der Akten im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, insbesondere handelt es sich bei den vorgebrachten Tatsachenbehauptungen weder um glaubhafte nachträglich eingetretene Änderungen noch um nachträglich hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen.

Daher ist davon auszugehen, dass die in § 68 AVG grundsätzlich vorgesehene Zurückweisung als Erledigung des BFA zu erwarten ist.

3.10 Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer einen Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005 gestellt hat, und die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 vorliegen, weil dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat droht. Nach all dem wird der Folgeantrag des Beschwerdeführers voraussichtlich zurückzuweisen sein, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist.

Es gibt nämlich auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, keine Anhaltspunkte, zumal der Beschwerdeführer für Arbeitstätigkeiten ausreichend gesund und daher erwerbsfähig ist.

Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt nach seiner Rückkehr nicht bestreiten können sollte, selbst wenn ihn Angehörige nicht unterstützen, sei es mit einer der beiden bereits ausgeübten oder einer anderen Tätigkeit. Zudem besteht ganz allgemein in Nigeria keine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass für den Beschwerdeführer ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenen Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Der Beschwerdeführer führt in Österreich kein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben und hat keine über die Aufenthaltszeit selbst hinausgehenden – z. B. sprachlichen, kulturellen, beruflichen oder sozialen – privaten Integrationsmerkmale.

Somit sind die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 gegeben, sodass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtswidrig ist. Damit hatte das Gericht wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung war mit Beschluss zu treffen, da § 22 Abs. 10 AsylG 2005 dies so vorsieht. Nach § 22 Abs. 1 BFA-VG hatte auch keine Verhandlung stattzufinden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum faktischen Abschiebeschutz und den Voraussetzungen seiner Aufhebung in Folgeverfahren oder zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache und zur Beurteilung gesteigerten Vorbringens in Folgeverfahren. Weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung faktischer Abschiebeschutz faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag Identität der Sache Privat- und Familienleben real risk reale Gefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.1437487.4.00

Im RIS seit

21.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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