TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/29 W150 2203320-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.10.2020
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Entscheidungsdatum

29.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W150 2203320-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1965, StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 07.07.2018, Zl. XXXX /BMI-BFA_STM_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.10.2020, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“), ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, welcher der ethnischen Gruppe der HAZARA sowie dem schiitischen Islam angehört, stellte am 01.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab dieser zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, wonach er bereits vor Jahren zusammen mit seiner ebenfalls im Verfahren befindlichen Gattin und den gemeinsamen Kindern aufgrund persönlicher Konflikte mit Vertretern der sunnitischen Glaubensrichtung in den Iran geflohen sei.

Konkret hätten Letztgenannte schon früher regelmäßig Probleme verursacht und habe sich auch später nichts daran geändert, obwohl sein Vater diesen ein Grundstück überlassen hätte. „Auslöser ist der Tod eines sunnitischen Kindes, wofür die Sunniten mich verantwortlich machten und ich um mein Leben fürchten musste. Deshalb flüchteten wir illegal in den Iran (Seite 13 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“

Der Aufenthalt in selbigem Nachbarland wäre aber stets von einer potentiellen Abschiebung in das Heimatland respektive einer Zwangsrekrutierung für Kampfeinsätze in Syrien überschattet gewesen. „Da wir im Iran illegal lebten und keine Möglichkeiten für ein besseres Leben hatten, beschlossen wir, dass wir nach Europa/Deutschland flüchten (Seite 13 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“

Im Falle seiner Rückkehr fürchte der BF um sein Leben und um jenes seiner Familie, insbesondere seitens des IS und der Taliban. „Auch gibt es viele Selbstmordattentäter, die gegen die Schiiten vorgehen (Seite 15 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“

2. Am 03.07.2018 wurde der Genannte vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: „BFA“ oder „belangte Behörde“) für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Wenngleich aktuell aufgrund von Rückenschmerzen sowie seines Schnarchens in ärztlicher Behandlung, sei er prinzipiell gesund und verhandlungsfähig.

Ebenso wie seine in jeweiligen Parallelverfahren befindliche Ehefrau und Kinder wäre auch der BF afghanischer Staatsbürger, zähle zur ethnischen Gruppe der HAZARA sowie jener des schiitischen Islams.

Ursprünglich in der Provinz MAIDAN WARDAK, Distrikt JALIZ, im Dorf DEUGAN geboren, könne er bildungsmäßig auf keinerlei regulären Schulbesuch verweisen. Vielmehr gehöre er formal der Gruppe der Analphabeten an, obgleich der Beschwerdeführer laut eigener Aussage durchaus dazu in der Lage sei, persische Zeitungen zu lesen.

Seinen Lebensunterhalt habe der Genannte in seinem Herkunftsland gemeinsam mit Vater und Brüdern mit seiner eigenen Landwirtschaft bestritten, welche unter anderem diverse Esel, Rinder, Schafe und Hühner aber auch Obstgärten, Kartoffeläcker und Weizenfelder umfasst hätte. Über eine anerkannte Berufsausbildung verfüge er jedoch nicht.

Drei Jahre nach der Ausreise in den Iran im Jahre 2007 sei zunächst der Vater des Beschwerdeführers verstorben, eineinhalb Jahre später dann auch dessen Mutter. Der aktuelle Aufenthaltsort seiner drei Brüder wäre ihm nicht bekannt. Abgesehen von einem Onkel mütterlicherseits, dessen Schicksal ebenfalls nicht geklärt wäre, seien ansonsten keine familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan mehr vorhanden.

Demgegenüber seien sowohl seine Gattin als auch die vier gemeinsamen Kinder mit dem BF zusammen zunächst in den Iran und nunmehr nach Österreich gegangen.

Fluchtauslösend wäre ein Zwischenfall gewesen, in dessen Verlauf der BF in DEUGAN einen Angehörigen der KUCHI getötet habe. Konkret hätten Vertreter dieser Gruppe schon früher jedes Jahr versucht, ihr Vieh auf dem Land seiner Familie weiden zu lassen, was standardmäßig einen Ernteschaden im Ausmaß von 50% verursacht habe. Im Jahr 2007 sei dann eines Tages der Dauerkonflikt schließlich endgültig eskaliert. Als neuerlich eine Gruppe von knapp 20 KUCHI ihr Weidevieh über die Liegenschaften des Genannten geleitet hätte, wäre es zunächst zu einem aggressiven Wortgefecht gekommen, in dessen Verlauf die Stimmung immer mehr gekippt sei. Einer der Schafhirten hätte plötzlich die Nerven verloren und den BF mit seinen Fäusten attackiert. In einer Abwehrbewegung habe er den Angreifer zurückgestoßen und wäre dieser daraufhin gestolpert. „Ich habe diesen Mann von mir weggestoßen, dieser fiel und schlug mit seinem Kopf auf einen Stein (Seite 99 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Er sei sofort davongelaufen; im Krankenhaus wäre sein Kontrahent sodann verstorben. Als in weiterer Folge hätten dann verschiedene Leute versucht, den BF an seiner Wohnadresse anzutreffen, jedoch sei dieser zu jenem Zeitpunkt bereits vorsorglich geflohen gewesen. Zwar hätten die KUCHI das Haus der Familie umzingelt und wären die Emotionen hochgegangen, aber sei es den anwesenden Dorfältesten gelungen, die Situation zu beruhigen und die Verbündeten des Opfers zum Abzug zu bewegen. „So gelang es meiner Familie sich mir anzuschließen (Seite 101 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“

Zunächst habe der Genannte zusammen mit Frau und Kindern bei seinem nicht weit entfernt in einem nahegelegenen Dorf lebenden Vater von Hashem Zuflucht gesucht. Am nächsten Morgen wäre er dann gemeinsam mit seiner Familie nach KABUL und drei Tage später über HERAT in den Iran gelangt.

Wenngleich der Genannte in bloßer Notwehr gehandelt habe, würden die übrigen Mitglieder der KUCHI dennoch nunmehr nach ihm suchen, um ihn zu töten. Die staatlichen Behörden seien hingegen nicht auf der Suche nach dem BF. Seine ebenfalls im Verfahren befindliche Gattin und die gemeinsamen Söhne „sind wegen meines Problems geflüchtet. Sie haben keine eigenen Gründe, aber die KUCHI hätten auch meine Kinder getötet, wenn sie geblieben wären (Seite 101 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“

Belegen könne der BF zwar sein Vorbringen nicht und hätte er sich auch nicht an die heimischen Behörden mit seinem Problem gewandt, jedoch würden immerhin die Dorfbewohner Bescheid wissen.

Im Falle seiner Rückkehr sei der BF davon überzeugt, wonach ihn die KUCHI auch in jeder anderen Provinz – trotz fehelenden Meldewesens – finden und umbringen würden. Dies wäre ihm auch von Vater und Brüdern glaubhaft versichert worden.

In Österreich habe er bislang einige Deutschkurse besucht und auf Veranstaltungen afghanische Gerichte zubereitet. Zudem hätte ihm ein Verein ein Grundstück zur Verfügung gestellt, auf dem er 20 Hühner halte sowie Kräuter und Gemüse anbaue. Gearbeitet habe er hingegen noch nie in Österreich und würden er wie auch seine Frau und Kinder von Leistungen der öffentlichen Hand ihren Lebensunterhalt bestreiten.

3. In einer schriftlichen Stellungnahme vom 06.07.2018 brachte der BF über seine rechtsfreundliche Vertretung vor, wonach sich dessen Vorbringen – ebenso wie jene seiner Gattin und Kinder – schlüssig, widerspruchsfrei, konkret und lebensnah darstelle. Der BF sei individuell und konkret der privaten Verfolgung durch Angehörige der KUCHI ausgesetzt und könne der afghanische Staat derzeit keinen effektiven Schutz gegen diese Risiken bieten. Das Vorbringen des Genannten müsse in seiner Gesamtheit als glaubwürdig qualifiziert werden und diesem daher der Asylstatus zuerkannt werden. Die allgemeine Sicherheitslage hätte sich zwischenzeitlich wieder verschlechtert und wäre daher im Falle einer Abschiebung des BF das reale Risiko einer Verletzung gemäß Art. 3 EMRK zu befürchten. Ansonsten wurde primär auf eine angebliche westliche Orientierung der Ehefrau des BF verwiesen und die daraus resultierenden angeblich negativen Folgen im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan.

4. Mit Bescheid vom 07.07.2018, Zl. XXXX /BMI-BFA_STM_AST_01, wies die Erstinstanz den Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, wonach der Genannte keinerlei asylrelevante Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht habe. Im vorliegenden Fall hätte keine individuelle Gefährdungslage in Bezug auf den Asylwerber festgestellt werden können und stünde eine seine Person betreffende Verfolgungshandlung auch nicht für die Zukunft zu befürchten.

Insgesamt sei die behauptete Fluchtgeschichte schon allein deshalb absolut unglaubwürdig, zumal die diesbezüglichen Angaben weder schlüssig noch nachvollziehbar zu bewerten wären. Zudem stünden die nunmehr vor dem BFA präsentierten Behauptungen in gravierendem Widerspruch zu jenen im Rahmen der Erstbefragung ins Treffen geführten Angaben. So habe der BF ursprünglich als Auslöser für seine Flucht den angeblichen Tod eines sunnitischen Kindes angeführt, während er demgegenüber nunmehr die unbeabsichtigte Tötung eines erwachsenen männlichen KUCHI im Zuge einer Notwehrhandlung behauptet hätte. Entgegen den Ausführung in der schriftlichen Stellungnahme vom 06.07.2018 erweise sich das Fluchtvorbringen in seiner Gesamtheit weder als schlüssig noch als widerspruchsfrei, konkret oder lebensnah.

Eine intensive respektive exzessive Verfolgung seitens der KUCHI habe ebensowenig festgestellt werden können wie das potentielle Vorliegen eigener Fluchtgründe der im selben Rechtsgang befindlichen Ehefrau und Kinder. Weder hätte der Genannte den Schutz seines Heimatstaats gesucht noch den Versuch der Nutzung einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Die seitens der rechtsfreundlichen Vertretung versuchte Kreation einer angeblich westlichen Lebensweise sei vor der Erstinstanz in keiner Weise erkennbar gewesen und wäre eine solche seitens der restlichen Familienmitglieder einschließlich dem BF auch nie behauptet worden.

Im Ergebnis habe somit eine allfällige asylrelevante Verfolgung maßgeblicher Intensität nicht festgestellt werden können. Auch aus er allgemeinen Lage in Afghanistan könne keinerlei könne keinerlei Begründung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten hergeleitet werden.

Subsidiärer Schutz würde ihm ebensowenig zuerkannt, da im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes auf Grund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe.

Als arbeitsfähigem, arbeitswilligen gesunden Mann mit Berufserfahrung könne dem BF grundsätzlich eine Teilnahme am lokalen Erwerbsleben prinzipiell zugemutet werden; als innerstaatliche Schutzalternativen würden sowohl HERAT, MAZAR-E-SHARIF und KABUL unter Berücksichtigung des Nichtvorhandenseins eines Meldewesens und der persönlichen Umstände des BF zumutbar zur Verfügung stehen. Die Erreichbarkeit der eben genannten Städte sei über diverse Flughäfen jeweils problemlos gegeben. Darüber hinaus wären ihm sowohl Landessprache als auch kulturelle Gepflogenheiten in Afghanistan bekannt. In einer Gesamtschau könnten daher vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte keinerlei Anhaltspunkte dahingehend erkannt werden, die eine ernsthafte Gefahr für Leben oder Unversehrtheit des Asylwerbers nahelegen würden.

Die zusammen mit dem Genannten im Bundesgebiet befindlichen Familienmitglieder wären mit zeitgleich ergehenden Bescheiden von denselben aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen wie der BF selbst. Es liege keine berücksichtigungswürdige Eingliederung in die österreichische Gesellschaft vor, es seien lediglich vereinzelte Integrationsschritte gesetzt worden, wie etwa dem rudimentären Erlernen marginaler Deutschfertigkeiten.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Genannte über seinen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde und brachte dabei im Wesentlichen vor, demzufolge das Bundesamt nicht ausreichend auf das konkrete Vorbringen des BF oder dessen ebenfalls im Verfahren befindliche Angehörige eingegangen wäre. Insbesondere die westliche Orientierung der Gattin sei nicht in entsprechender Weise erkannt beziehungsweise berücksichtigt worden. In diesem Zusammenhang wurde auf die Problematik von Zwangsehen, Ehrenmorde, geschlechtsspezifische Verbrechen und Diskriminierungen ausführlich hingewiesen.

5. Am 27.10.2020 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden die Fluchtgründe, die maßgebliche Lage in Afghanistan, das Privat- und Familienleben des BF und seine Integrationsschritte erörtert.

Der rechtsfreundlich vertretene BF erklärte, dass er gesund und verhandlungsfähig sei. Weiters, dass er anlässlich der Vernehmungen durch Organwalter der LPD Stmk und des BFA 2015 bzw. 2018 immer „nur die Wahrheit gesagt“ habe.

Mit dem Widerspruch zweier unterschiedlicher Fluchtgeschichten:

„Auslöser ist der Tod eines sunnitischen Kindes, wofür die Sunniten mich verantwortlich machten und ich um mein Leben fürchten musste. Deshalb flüchteten wir illegal in den Iran“ (Seite 13 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes, Vernehmung durch Organwalter der LPD Stmk 2015) und

der Schilderung einer Konfrontation mit 20 Kuchi Viehhirten, die ihr Weidevieh über die Liegenschaften des BF hätten treiben wollen und einer der Schafhirten den BF plötzlich attackiert hätte „Ich habe diesen Mann von mir weggestoßen, dieser fiel und schlug mit seinem Kopf auf einen Stein“ (Seite 99 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes, Vernehmung durch Organwalter des BFA 2018) konfrontiert, führten der BF und seine rechtsfreundliche Vertreterin aus wie folgt:

„BF1: Das hat wahrscheinlich der/die Dolmetscher/in falsch übersetzt. Bei der ersten Einvernahme habe ich keine Rückübersetzung gehabt. Man hat mir das wortwörtlich nicht übersetzt. Ich wusste nicht, dass solche Unterschiede rauskommen.

RI: Der D war ein Bachelor of Arts.

BFV: Das gab es damals viele Probleme. Es waren damals D von einer Firma tätig, diese waren aber sehr untauglich.

RI: Sie haben aber angegeben Verstehen Sie den D „JA“ zu Beginn und am Ende bei Gab es Verständigungsprobleme "Nein“ und es wurde mir rückübersetzt, das haben Sie unterschrieben.

BF1: Es wurde nicht Rückübersetzt. Man hat gesagt, dass man keine Zeit habe und es wird nicht rückübersetzt werden. Was meine Unterschrift betrifft, ich wusste nicht, dass solch ein Unterschied herauskommt.

RI: Das haben jetzt Sie und Ihre Vertretung fast 5 Jahre lang nicht thematisiert?

BF1: Ich habe diese Sache bei meiner Einvernahme beim BFA Auch wortwörtlich gesagt, dass solche Sachen passiert sind.

BFV: Auf der Seite 4 hat der BF das angegeben.“

Als der BF hinsichtlich seiner Deutschkenntnisse ohne Dolmetsch langsam und deutlich direkt auf Deutsch angesprochen wurde, gestaltete sich Einvernahme wir folgt:

„RI (auf Deutsch): Erzählen Sie mir doch bitte, wie ein normaler Tag in Österreich bei Ihnen abläuft:

BF1 (auf Deutsch): Mein Name XXXX . Nachname XXXX Familienname XXXX .“

Bezüglich des Familienlebens in Österreich gab der BF an:

„BF: Ich kann normalerweise ein bisschen Deutsch. Ich verstehe auch ganz gut, aber ich stehe unter Stress. Um halb 7 wache ich auf und koche einen Tee. Ich bereite das Frühstück vor und die Kinder gehen dann zur Schule. Nachher gehe ich zu meinen Hühnern und ca. 50 davon habe ich. Ich gebe ihnen Kerne usw. Ich mache sauber. Dann komme ich zu meinem Feld, wie gesagt, dort bin ich tätig. Ja je nach dem was notwendig ist, ob es zu bewässern ist. Ich beschäftige mich dort am Feld. Ich säe die Körner am Feld. Öfters schneide ich direkt vom Feld Gemüse und das benutzen wir auch frisch. Z.B: Radieschen und etwas Ähnliches wie Lauch, das gibt es aber nicht in Österreich.

[…]

RI: Haben Sie ein eigenes Bankkonto?

BF1: Nein.

RI: Wie bekommen Sie monatlich Ihr Geld?

BF1: Das macht alles meine Frau. Sie hat auch eine Banknummer. Das Geld verwaltet sie.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der HAZARA. Seine Muttersprache ist DARI. Konfessionell dem schiitischen Islam zugehörig, ist der BF traditionell verheiratet und Vater von vier zum Teil bereits erwachsenen Söhnen. Sowohl die Gattin als auch die gemeinsamen Kinder (alle zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig) haben in Österreich parallel zum BF Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Die Ehe wurde bereits im Heimatland geschlossen und bestand daher bereits vor der Einreise in das Bundesgebiet. Demgegenüber kann die Identität des Genannten mangels Vorlage unbedenklicher Urkunden oder Dokumente nicht positiv festgestellt werden. Der BF verfügt über keinerlei Schul- oder Berufsausbildung und arbeitete bis zu seiner Ausreise in der familieneigenen Landwirtschaft, welche sowohl von ihm als auch seinen drei Brüdern und seinem Vater gewerbsmäßig betrieben wurde. Neben einen umfassenden Viehbestand umfasste der Betrieb des Weiteren auch noch Obstbaumplantagen, Erdäpfeläcker und Getreidefelder. Bis zu seiner Ausreise hat er mit seiner Kernfamilie (Gattin, Kinder, Eltern plus Geschwister) im gleichen Haushalt gewohnt. Der Genannte verfügt im Heimatland über familiäre Anknüpfungspunkte zumindest in Form diverser Geschwister sowie eine Vielzahl Verwandte seiner Gattin. Uneingeschränkt gesund und arbeitsfähig, sind keine Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten des Asylwerbers im Verfahren hervorgetreten und wurden solche auch nicht behauptet. Der Ehefrau des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag der Status der Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der BF ist mit Frau und Kindern unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich zumindest seit dem 01.11.2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Aktuell verfügt der Genannte über äußerst bescheidene Kenntnisse der deutschen Sprache, die ihm die Kommunikation über Dinge des täglichen Lebens zumindest rudimentär ermöglichen. Offiziell hat der BF an zwei Deutsch- sowie einem Wertekurs teilgenommen, jedoch keine Sprachprüfung absolviert. Seit seiner illegalen Einreise ausschließlich von Leistungen der Grundversorgung abhängig, ging der BF bislang keiner legalen Erwerbstätigkeit nach.

Im österreichischen Bundesgebiet verfügt der Asylwerber an Kernfamilienmitgliedern über seine ebenfalls im Verfahren befindliche Ehefrau sowie vier zum Teil bereits erwachsene Söhne.

Seine Zeit in Österreich verbringt der Genannte vorwiegend mit Spaziergängen, Gärtnerei, Hühnerhaltung, Einkäufen, Kochen.

Zum Entscheidungszeitpunkt erweist sich der BF als unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Das vom Asylwerber ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen, er sei wegen einer Notwehrhandlung mit tragischem Ausgang von Vertretern der KUCHI bedroht, kann aus nachfolgend im Detail ausgeführten Gründen nicht festgestellt werden.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen. Es kann nicht festgestellt werden, dass er in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten könnte. Im Falle einer Verbringung des Genannten in seinen Herkunftsstaat droht diesem daher kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Information 21.07.2020 - Anm.: die Quellenangaben finden sich in den Länderberichten selbst):

Neueste Ereignisse:

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, dieTaliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a). Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u. a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019). Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b). Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019).

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten.

Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019). Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen.

Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen USVertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019). Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Herat

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere „temporäre“ Distrikte – Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) –, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).

2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).

Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Herat gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):
2018         2019 (bis 30.9.)
GIM

Vorfälle ACLED

Vorfälle (>= 1 Tote)         ACLED

Tote    GIM

Vorfälle ACLED

Vorfälle (>= 1 Tote)         ACLED

Tote

Adraskan 3        6        23       1        11       24

Chishti Sharif 12       14       73       3        4        18

Enjil      1        1                2        3

Fersi   3        5        25              5        34

Ghoryan  5        28       3        17       53

Gulran  1        4        28       1        11       48

Guzera    6        24              12       92

Herat   92       24       100      53       29       69

Karrukh     4        27

Koh-e-Zore* k.A.    k.A.     k.A.    k.A.    k.A.    k.A.

Kohsan    3        11       1        12       30

Kushk      12       56              19       96

Kushk-i-Kohna  4        10              8        40

Obe      2        15       80              20       129

Pashtun Zarghun 4        15       84       7        22       124

Poshtko* k.A.    k.A.     k.A.    k.A.    k.A.    k.A.

Shindand 24       51       327      9        91       352

Zawol*  k.A.    k.A.     k.A.    k.A.    k.A.    k.A.

Zendahjan  1        1        1        4        19

Zerko*  k.A.    k.A.     k.A.    k.A.    k.A.    k.A.

Insg.   141      166      871      79       271      1158

*temporäre Distrikte. Sicherheitsrelevante Vorfälle in diesen Distrikten werden dem Distrikt Shindand zugerechnet. (ACLED 5.10.2019; ACLED 12.7.2019; GIM o.D.)

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).

Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).

IDPs – Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).[…]

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Dist

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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