TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/2 G308 2191192-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.11.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G308 2191192-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Paul HECHENBERGER in 6020 Innsbruck, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2018, Zahl: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.10.2020, zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 17.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

Am 17.08.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers zu seinem Antrag auf internationalen Schutz statt.

Die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, fand am 24.01.2018 statt.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm
§ 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem Beschwerdeführer weiters eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Mit dem am 28.03.2018 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhob der Beschwerdeführer durch seine vormalige bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den ihn betreffenden Bescheid des Bundesamtes. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten, allenfalls des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu die Rückkehrentscheidung sowie den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung aufheben; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und das Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 03.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Am 13.08.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht seitens des Bundesamtes eine Meldung über eine Straftat des Beschwerdeführers gemäß § 30 Abs. 2 BFA-VG der LPD Tirol am 11.08.2018 übermittelt. Am 21.08.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht weiters der diesbezügliche vorläufige Rücktritt von der Verfolgung vom 20.08.2018 sowie die Mitteilung über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens vom 21.08.2018 ein.

Am 10.02.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Abschlussbericht der LPD Tirol vom 30.01.2020 über einen Raufhandel ein, an welchem der Beschwerdeführer (überwiegend als Opfer) beteiligt gewesen ist.

Mit Vollmachtsbekanntgabe vom 24.08.2020 wurde die Vertretungsvollmacht des nunmehrigen bevollmächtigten Rechtsvertreters bekannt gegeben.

Gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden vom Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020) in das Verfahren eingebracht.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.10.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Arabisch teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Das Bundesverwaltungsgericht führte im Zuge der mündlichen Verhandlung Länderberichte zur Lage hinsichtlich der COVID-19-Pandemie (UNOCHA vom 01.06.2020) in das Verfahren ein.

Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch (vgl. etwa Erstbefragung vom 17.08.2015, AS 9 ff; Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 167 ff; Kopie irakischer Personalausweis, AS 115 f; Kopie irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis, AS 117 f; Kopie irakische Meldekarte des Vaters, AS 119 f Verhandlungsprotokoll vom 08.10.2020, S 3 ff).

Der Beschwerdeführer ist ledig, führt aktuell keine Beziehung und hat keine Kinder. Geboren und aufgewachsen ist der Beschwerdeführer in Bagdad. Er hat dort zwölf Jahre die Schule besucht, die letzte Klasse jedoch nicht abgeschlossen. Er ging bisher im Irak keiner Erwerbstätigkeit nach und lebte von der finanziellen Unterstützung seiner Eltern. Die Familie ist gut situiert und hat keine wirtschaftlichen Probleme (vgl. Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 173 ff; Verhandlungsprotokoll vom 08.10.2020, S 4 ff und S 16).

Die Eltern sowie die beiden Schwestern leben nach wie vor in Bagdad im Irak. Die Mutter des Beschwerdeführers ist Landwirtschaftsarchitektin, war jedoch in einem Erdölunternehmen in Fachabteilungen für die Umwelt, zuletzt auch als Generaldirektorin der Abteilung, tätig, ist inzwischen aber bereits pensioniert. Der Vater war Ölingenieur und auch in der Erdölindustrie tätig. Zu den Eltern hat der Beschwerdeführer mindestens wöchentlich telefonisch oder über WhatsApp Kontakt. Eine der Schwestern hat Betriebswirtschaft, die zweite Qualitätsmanagement studiert. Die jüngere Schwester ist berufstätig, die ältere bereits verheiratet und Hausfrau. Der Bruder des Beschwerdeführers verließ den Irak bereits im Jahr 2006 und lebt mittlerweile in den USA, wo er als Materialwissenschaftler tätig ist. In Österreich oder der Europäischen Union hat der Beschwerdeführer keinerlei Familienangehörige (vgl. Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 170 ff; Verhandlungsprotokoll vom 08.10.2020, S 5, 10 und 14 f).

Der Beschwerdeführer reiste am 23.07.2015 legal auf dem Luftweg von Bagdad nach Istanbul/Türkei. Von Istanbul reiste der Beschwerdeführer mit dem Bus nach Izmir und weiter nach Bodrum. Dann reiste er schlepperunterstützt und illegal mit einem Schlauchboot nach Griechenland und von dort aus teils selbstständig (zu Fuß, mit dem Zug oder Bus), teils schlepperunterstützt, jedenfalls über Nordmazedonien und Serbien illegal bis nach Österreich, wo er am 17.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (Erstbefragung vom 17.08.2015, AS 19 ff; Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 172).

Er hält sich seit seiner Asylantragsstellung ununterbrochen im Bundesgebiet auf und verfügt hier seit 24.08.2015 über durchgehende Meldungen von Hauptwohnsitzen (vgl. Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 16.10.2020). Er ist strafgerichtlich unbescholten (vgl. Auszug aus dem Strafregister vom 16.10.2020).

Das gegen den Beschwerdeführer im August 2018 eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen des Vorfindens von Anhaftungen von Cannabiskraut (ca. 0,1 mg) im Zuge einer Kontrolle wurde mit 21.08.2018 eingestellt und bereits am 20.08.2018 von der diesbezüglichen strafrechtlichen Verfolgung vorläufig zurückgetreten (vgl. Meldung über eine Straftat eines Fremden der LPD XXXX am 11.08.2018, AS 5 f Gerichtsakt; Verständigung der Behörde vom Rücktritt der Verfolgung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 20.08.2018, AS 11 Gerichtsakt; Verständigung der Behörde von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens vom 21.08.2018, AS 17 Gerichtsakt).

Der Beschwerdeführer war weiters als Opfer an einem Raufhandel am 31.12.2019 beteiligt. Das diesbezügliche Verfahren wurde ohne Gerichtsverhandlung eingestellt (vgl. Abschluss-Bericht der LPD XXXX vom 30.01.2020, AS 21 ff Gerichtsakt; Verhandlungsprotokoll vom 08.10.2020, S 6 f).

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen im Endstadium, die im Irak nicht behandelbar wären (vgl. Erstbefragung vom 17.08.2015, AS 13; Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 169; Verhandlungsprotokoll vom 08.10.2020, S 3).

Der Beschwerdeführer lebte seit seiner Asylantragstellung von der Grundversorgung sowie von der finanziellen Unterstützung seiner Eltern aus dem Irak und ging bisher keiner sozialversicherten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nach. Er konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen undatierten, unbefristeten Arbeitsvertrag als Küchenhilfe für 40 Wochenstunden und einem Brutto-Monatslohn in Höhe von EUR 1.600,00 (netto ca. EUR 1.306,33) vorlegen (vgl. Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdatenauszug vom 16.10.2020; Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 176; Verhandlungsprotokoll vom 080.10.2020 sowie vorgelegter Arbeitsvertrag).

Der Beschwerdeführer hat zahlreiche Deutschkurse auf Niveau A1/A2 besucht und am 04.10.2018 ein ÖSD-Deutschsprachzertifikat auf Niveau A2 erfolgreich abgeschlossen. Er hat weiters mehrere Deutschkurse auf Niveau B1 und B2 besucht (vgl. aktenkundiges Konvolut von Deutschkursbestätigungen, etwa AS 135 ff; im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegte Sprachkursbestätigungen sowie das ÖSD-Sprachzertifikat A2 vom 04.10.2018). Der Beschwerdeführer konnte sowohl vor dem Bundesamt als auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht die auf Deutsch an ihn gerichteten Fragen verstehen und auch auf Deutsch beantworten. Er verfügt über gute Deutschkenntnisse (vgl. etwa Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 176; Verhandlungsprotokoll vom 08.10.2020, S 5 f). Er hat sich für das Studienjahr 2017/2018 für ein Bachelor-Studium Pharmazie an der Universität XXXX registriert, dieses aber ganz offenbar bis dato nicht begonnen (vgl. Registrierungsbestätigung vom 08.03.2017, AS 133). Er hat am 28.06.2017 an einem Vortrag für präventive Werte-, Verhaltens- und Rechtsvermittlung für Asylwerber teilgenommen (vgl. Bestätigung, AS 159) und einen Erste-Hilfe-Kurs beim Österreichischen Roten Kreuz absolviert (vgl. Bestätigung, AS 161).

Der Beschwerdeführer absolviert auch immer wieder ehrenamtliche Hilfstätigkeiten, wie etwa in der Winternotschlafstelle der XXXX Soziale Dienste (vgl. aktenkundige Bestätigungen, AS 157 und 163), bei der Reinigung seines Wohnheimes (vgl. aktenkundige Bestätigung vom 16.04.2019) oder auch in der Stationsküche einer Pflegestation (vgl. aktenkundige Bestätigung vom 11.02.2019). Zuletzt war der Beschwerdeführer vom 21.01.2020 bis 06.09.2020 wöchentlich samstags und sonntags für insgesamt 17 Wochenstunden auf einer Pflegestation eines Wohnheims gemeinnützig tätig (vgl. Bestätigung vom 28.09.2020).

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation wäre.

Insgesamt liegen jedoch keine besonders berücksichtigungswürdigen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht vor.

Der Beschwerdeführer ist im Irak nicht vorbestraft, hat keinerlei Probleme mit irakischen Behörden, Gerichten, der Polizei oder der Regierung. Gegen ihn besteht weder eine Fahndung, ein Haftbefehl noch eine Strafanzeige im Irak und wurde er auch nicht von staatlichen Behörden oder der Polizei festgenommen. Er war bisher niemals politisch tätig oder Mitglied einer politischen Partei und wurde weder wegen seiner politischen Gesinnung, Volksgruppen- noch Religionszugehörigkeit persönlich seitens des irakischen Staates verfolgt oder bedroht (vgl. insbesondere Niederschrift Bundesamt vom 24.01.2018, AS 173 f).

Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer generellen Verfolgungsgefahr oder Bedrohung durch schiitische Milizen, den IS oder von staatlicher Seite ausgesetzt ist.

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht mit der Ladung zur mündlichen Beschwerdeverhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich das Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation vom 17.03.2020 sowie die im Zuge der mündlichen Verhandlung eingeführten Länderberichte zur Lage im Irak bzgl. der COVID-19-Pandemie vom 01.06.2020 auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.

Dazu werden ergänzend die aktuelleren Länderberichte zur Lage bezogen auf die COVID-19-Pandemie im Irak (Kurzinformation der BFA-Staatendokumentation vom 14.08.2020 zur Lage betreffend COVID-19 im Nahen Osten, sowie der WHO-Bericht zu COVID-19 im Irak vom 16.08.2020) zum entscheidungsrelevanten und endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben:

Zur COVID-19 Lage im Irak ergibt sich aus der Kurzinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes vom 14.08.2020, dass es bis zum 05.08.2020 im Irak 134.722 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 5.017 Todesfällen (WHO 5.8.2020A; vgl. UNHCR 04.08.2020) gab. 96.103 Personen sind wieder genesen (UNHCR 04.08.2020). Der höchste Anstieg an Infektionszahlen wurde in Bagdad gemessen, gefolgt von Basra und Sulaymaniyah in der Kurdischen Region im Irak (KRI) (UNHCR 04.08.2020).

Aufgrund der weiterhin stark steigenden Infektionszahlen hat die irakische Regierung für 30.7. bis 9.8.2020 eine neuerliche komplette Ausgangssperre beschlossen (BMEIA 06.08.2020; vgl. GoI 27.7.2020; UNHCR 04.08.2020). Diese Einschränkungen gelten nicht für die KRI (BMEIA 06.08.2020).

Bereits im Juli 2020 gab das Gesundheitsministerium bekannt, dass die Krankenhäuser fast vollständig ausgelastet sind (IRC 02.07.2020). Es herrschen Engpässen bei der Versorgung mit Sauerstoff und mit Schutzausrüstungen (MEMO 03.08.2020).

Nachdem private Kliniken im Juli temporär geschlossen wurden (GoI 07.07.2020), erlaubt die irakische Regierung deren Wiedereröffnung, sofern sie die vom Gesundheitsministerium und dem irakischen Ärzteverband festgelegten Bedingungen erfüllen (GoI 27.07.2020).

Die Sicherheitskräfte sind angewiesen, die Richtlinien zur Schutzmaskenpflicht, zur sozialen Distanzierung und weitere umzusetzen, einschließlich der Verhängung von Geldstrafen und der Beschlagnahme von Fahrzeugen derjenigen, die gegen die Regeln verstoßen (GoI 27.07.2020; vgl. MEMO 03.08.2020).

Seit dem 23.7.2020 sind die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra wieder für kommerzielle Linienflüge geöffnet. Sämtliche Flughäfen wurden zuvor am 17.03.2020 geschlossen (Al Jazeera 23.07.2020; vgl. Rudaw 01.08.2020). Passagiere müssen vor dem Boarding einen negativen Covid-19 Test vorweisen (Al Jazeera 23.07.2020). Mit der Wiedereröffnung des Internationalen Flughafens Erbil (KRI) ab 01.08. wird es auch wieder eine Luftverbindung zwischen Bagdad und Erbil geben (Rudaw 01.08.2020).

Seit Beginn des COVID-19-Ausbruchs im Irak im März 2020 gehören vertriebene Familien zu den am stärksten betroffenen Personen, auch durch sekundäre Auswirkungen, wie mangelnde Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu verdienen und sozioökonomische Folgen davon (UNHCR 04.08.2020).

In der Kurdischen Region im Irak (KRI) wurden bis zum 05.08.2020 15.577 bestätigte Fälle von COVID-19 verzeichnet. Davon sind 9.711 wieder genesen und 597 Personen verstorben (Gov.KRD 05.08.2020).

Es gilt Schutzmaskenpflicht für sämtliche öffentliche Orte, wie Märkte, Restaurants und andere kommerzielle Einrichtungen, wie Firmen. Bei zuwiderhandeln drohen den Inhabern Geldstrafen und temporäre Zwangsschließungen. Auch Beerdigungen, Hochzeitsfeiern und andere gesellschaftliche Veranstaltungen sind unter Androhung von Geldstrafen verboten (Gov.KRD 05.08.2020; vgl. Rudaw 03.08.2020A). Kliniken und Labore bleiben per Verordnung für 14 Tage geschlossen (Gov.KRD 05.08.2020). Um den steigenden Infektionszahlen im Gouvernement Erbil entgegenzuwirken wurden mittlerweile vier Krankenhäuser als alleinige Covid-19 Behandlungszentren deklariert (Rudaw 03.08.2020B).

Aktuelle Maßnahmen umfassen weiterhin ein Reiseverbot zwischen den kurdischen Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Dohuk und Halabja, sowie ein Reiseverbot innerhalb derselben, ausgenommen bei Notfällen und mit Sondergenehmigungen (Gov.KRD 05.08.2020; vgl. Rudaw 03.08.2020A; UNHCR 04.08.2020).

Der Grenzübergang Ibrahim Khalil zur Türkei wurde für den Zeitraum vom 4. bis zum 11. August Covid-19-anlassbezogen für den Personenverkehr geschlossen (Gov.KRD 05.08.2020; vgl. Garda 04.08.2020). Die Grenzübergänge Haji Omaran und Bashmakh zum Iran sind für Bürger der KRI, die heimkehren wollen geöffnet (Gov.KRD 05.08.2020).

Am 01.08.2020 nahmen die internationalen Flughäfen in Erbil und Sulaymaniyah wieder ihren Betrieb auf (Gov.KRD 05.08.2020; vgl. Rudaw 01.08.2020). Personen, die über die Flughäfen einreisen müssen jedoch auf eigene Kosten einen Covid-19-Test machen und sich zur Selbstquarantäne verpflichten, bei deren Verstoß sie mit einem Bußgeld bestraft werden. Personen, die positiv auf Covid-19 getestet wurden und die die Quarantäne missachten müssen alle anfallenden medizinischen Kosten für evtl. infizierte Personen übernehmen und werden strafrechtlich verfolgt (Artikel 368-369 des geänderten Gesetzes 111 von 1969) (Gov.KRD 05.08.2020) (vgl. Kurzinformation der Staatendokumentation vom 14.08.2020 zur COVID-19 Lage im Nahen Osten, S 2 ff).

Aus dem WHO-Bericht zu COVID-19 vom 16.08.2020 ergibt sich zusammengefasst, dass obwohl die Infektionszahlen im Irak exponentiell auf ein alarmierendes und besorgniserregendes Level ansteigen, der Irak noch immer in der Lage sei, die Pandemie zu bewältigen, wenn sie weiterhin die Präventivmaßnahmen einhalten, wie etwa selbstdiszipliniertes Vermeiden von Massenveranstaltungen, dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes oder etwa dem Üben von Social Distancing. Die Pandemie stelle eine Herausforderung für das gebrechliche irakische Gesundheitssystem dar. Trotz der Einschränkungen sei die rasche und effektive Reaktion auf die Pandemie durch die Gesundheitsbehörden lobenswert. Dennoch habe sich die Situation aufgrund unterschiedlicher Faktoren, darunter auch die Lockerung von Maßnahmen bzw. die Nichtbefolgung von Maßnahmen, wieder verschlechtert.

Mit Stand 15.10.2020 gab es im Irak 413.215 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 10.021 Todesfälle (vgl. https://covid19.who.int/region/emro/country/iq, Zugriff am 16.10.2020).

Aus dem Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation vom 17.03.2020 ergibt sich auszugsweise:

„[…] 1  Politische Lage

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020
1.1          Parteienlandschaft

Letzte Änderung: 17.3.2020

Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019).

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018).

Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).

[Grafik gelöscht, Anm]

Quellen:

- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 13.3.2020

- RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954, Zugriff 13.3.2020

- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020
1.2          Kurdische Region im Irak (KRI) / Autonome Region Kurdistan

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die Kurdische Region im Irak (KRI) wird in der irakischen Verfassung, in Artikel 121, Absatz 5 anerkannt (Rudaw 20.11.2019). Die KRI besteht aus den Gouvernements Erbil, Dohuk und Sulaymaniyah. sowie aus dem im Jahr 2014 durch Ministerratsbeschluss aus Sulaymaniyah herausgelösten Gouvernement Halabja, wobei dieser Beschluss noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde. Verwaltet wird die KRI durch die kurdische Regionalregierung (KRG) (GIZ 1.2020a).

Das Verhältnis der Zentralregierung zur KRI hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der KRI und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil „umstrittener Gebiete“ ab dem 25.9.2017 deutlich verschlechtert. Im Oktober 2017 kam es sogar zu lokal begrenzten militärischen Auseinandersetzungen (AA 12.1.2019). Der langjährige Präsident der KRI, Masoud Barzani, der das Referendum mit Nachdruck umgesetzt hatte, trat als Konsequenz zurück (GIZ 1.2020a).

Der Konflikt zwischen Bagdad und Erbil hat sich im Lauf des Jahres 2018 wieder beruhigt, und es finden seither regelmäßig Gespräche zwischen den beiden Seiten statt. Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind jedoch weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der KRI (AA 12.1.2019).

Die KRI ist seit Jahrzehnten zwischen den beiden größten Parteien geteilt, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), angeführt von der Familie Barzani, und deren Rivalen, der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die vom Talabani-Clan angeführt wird (France24 22.2.2020; vgl. KAS 2.5.2018). Die KDP hat ihr Machtzentrum in Erbil, die PUK ihres in Sulaymaniyah. Beide verfügen einerseits über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im Irakischen Parlament und gewannen andererseits auch die meisten Sitze bei den Wahlen in der KRI im September 2018 (CRS 3.2.2020). Der Machtkampf zwischen KDP und PUK schwächt einerseits inner-kurdische Reformen und andererseits Erbils Position gegenüber Bagdad (GIZ 1.2020a). Dazu kommen Gorran („Wandel“), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert (KAS 2.5.2018; vgl. WI 8.7.2019), sowie eine Reihe kleinerer islamistischer Parteien (KAS 2.5.2018).

Auch nach dem Rücktritt von Präsident Masoud Barzani teilt sich die Barzani Familie die Macht. Nechirvan Barzani, langjähriger Premierminister unter seinem Onkel Masoud, beerbte ihn im Amt des Präsidenten der KRI. Masrour Barzani, Sohn Masouds, wurde im Juni 2019 zum neuen Premierminister der KRI ernannt (GIZ 1.2020a) und im Juli 2019 durch das kurdische Parlament bestätigt (CRS 3.2.2020).

Proteste in der KRI gehen auf das Jahr 2003 zurück. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind dabei gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018). Insbesondere in der nordöstlichen Stadt Sulaymaniyah kommt es zu periodischen Protesten, deren jüngste im Februar 2020 begannen (France24 22.2.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- CRS - Congressional Research Service (3.2.2020): Iraq and U.S. Policy, https://fas.org/sgp/crs/mideast/IF10404.pdf, Zugriff 13.3.2020

- France24 (22.2.2020): Iraqi Kurds rally against 'corruption' of ruling elite, https://www.france24.com/en/20200222-iraqi-kurds-rally-against-corruption-of-ruling-elite, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Rudaw (20.11.2019): Will the Peshmerga reform – or be integrated into the Iraqi Army?, https://www.rudaw.net/english/analysis/201120191, Zugriff 13.3.2020

- WI - Washington Institute (8.7.2019): Gorran and the End of Populism in the Kurdistan Region of Iraq, https://www.washingtoninstitute.org/fikraforum/view/gorran-and-the-end-of-populism-in-the-kurdistan-region-of-iraq, Zugriff 13.3.2020
2          Sicherheitslage

Letzte Änderung: 17.3.2020

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.1          Islamischer Staat (IS)

Letzte Änderung: 17.3.2020

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).

Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020

- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 13.3.2020

- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Baquba. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020

- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020

- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.2          Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Letzte Änderung: 17.3.2020

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).

[Grafik gelöscht, Anm]

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).

[Grafik gelöscht, Anm]

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).

[Grafik gelöscht, Anm]

Quellen:

- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
2.3          Sicherheitslage Bagdad

Letzte Änderung: 17.3.2020

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten