Entscheidungsdatum
06.11.2020Norm
AsylG 2005 §55 Abs2Spruch
W182 2013324-3/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über den Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2020, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.04.2020, Zl. W182 2013324-2/22E, formell rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens beschlossen:
A) Der Antrag wird gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerde der chinesischen Staatsangehörigen XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2017, Zl. 1032276805/170470195, wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.04.2020, Zl. W182 2013324-2/22E, hinsichtlich der Spruchpunkte I. und IV. des bekämpften Bescheides gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, als unbegründet abgewiesen. Im Übrigen wurde der Beschwerde stattgegeben, die Spruchpunkte II. – III. des bekämpften Bescheides behoben und festgestellt, dass XXXX gemäß § 55 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" auf die Dauer von 12 Monaten erteilt wird.
Dem Erkenntnis wurden u.a. folgende Feststellungen zur Person der BF zugrunde gelegt:
„Die BF ist Staatsangehörige der VR China. Ihre Identität steht nicht fest. Sie ist etwa im Oktober 2014 illegal ins Bundesgebiet eingereist, hat am 02.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei das Verfahren rechtskräftig mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.08.2016, Zl. W171 2013324-1/8E, mit dem Ergebnis abgeschlossen wurde, dass der Antrag als unbegründet abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung gegen die BF ausgesprochen wurde.
Die BF ist trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung illegal im Bundesgebiet verblieben und hat beim Bundesamt am 19.04.2017 den verfahrensgegenständlichen Antrag gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 gestellt.
Die unbescholtene BF hält sich seit über fünf Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Sie leidet gesundheitlich an teilweise schweren (Vor-)Erkrankungen im Kopf/Gehirnbereich XXXX ) und bedarf entsprechender medizinischer Kontrollen und Behandlungen. Sie ist grundsätzlich arbeitsfähig.
Sie hat im Herkunftsland die Schule besucht, verfügt über eine Schulausbildung und war im Herkunftsstaat als Näherin tätig. Im Herkunftsland hält sich zumindest eine erwachsene Tochter der BF auf, zu der Kontakt besteht.
Die BF hat nahezu keine Leistungen aus der Grundversorgung bzw. sonstige staatlichen Leistungen in Österreich bezogen, ist selbstständigen Erwerbstätigkeiten im Rotlichtmilieu nachgegangen, ist seit 2015 krankenversichert, wobei bei Erteilung eines Aufenthaltstitels von einer Selbsterhaltungsfähigkeit auszugehen sein wird.
Sie konnte keine abgeschlossene Deutschprüfung nachweisen, verfügt aber über entsprechende Grundkenntnisse und kann sich auf einfachem Niveau auf Deutsch verständigen.
Seit 2015 besteht eine Lebensgemeinschaft mit einem österreichischen Staatsangehörigen.
Ihr Vorbringen beim Bundesamt, sich vergeblich bei ihrer Vertretungsbehörde in Österreich um die Ausstellung von Personaldokumenten bemüht zu haben, hat sich als nicht glaubhaft erwiesen.“
In der rechtlichen Begründung wurde zur Entscheidung über die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels u.a. ausgeführt:
„Die BF hält sich seit Anfang Oktober 2014 – also deutlich über fünf Jahre - ununterbrochen in Österreich auf. Sie war zum Aufenthalt in Österreich anfangs nur auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz, der sich als nicht begründet erwiesen hat, berechtigt. Seit rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens Ende August 2016 ist die BF trotz durchsetzbarer Rückkehrentscheidung illegal im Bundesgebiet verblieben.
Die BF konnte keine abgeschlossene Deutschprüfung nachweisen, verfügt aber über Deutschgrundkenntnisse, die es ihr erlauben sich auf einfachem Niveau zu verständigen.
Der unbescholtenen BF ist zugute zu halten, dass sie über ihren gesamten Aufenthalt nahezu keine Leistungen aus der Grundversorgung bezogen hat, aus eigenem krankenversichert ist und ihren Lebensunterhalt bis zum rechtskräftigen Abschluss ihres Asylverfahrens durch legale selbständige Erwerbstätigkeit im Rotlichtmilieu bestritten hat (vgl. dazu grundsätzlich VfGH 19.09.2014, Zl. U2377/2012). Es wird auch davon auszugehen sein, dass die BF bei Erteilung eines Aufenthaltstitels die Selbsterhaltungsfähigkeit aufgrund legaler selbstständiger Erwerbstätigkeit grundsätzlich wiedererlangen wird.
Nicht erkannt werden kann, dass die BF den Bezug zum Herkunftsland, wo sich eine erwachsene Tochter aufhält, zwischenzeitig verloren hat.
Hinsichtlich ihres illegalen Verbleibens im Bundesgebiet nach rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens Ende August 2016 ist aber insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die BF, die ihre Krankenversicherung in Österreich aus eigenen Mitteln finanziert hat, in zeitlicher Nähe wegen einer schwerwiegenden Erkrankung (Tumor), die bereits zuvor bestand, behandelt werden musste. Hierzu ist weiter festzustellen, dass im Laufe der Zeit noch weitere schwere Erkrankungen (Hirnstamminfarkt) hinzugetreten sind, sodass der aktuelle Gesundheitszustand der BF durch schwere Vorerkrankungen und damit im Zusammenhang stehende aktuelle Krankheitsbilder, die das Risiko einer neuerlichen schwerwiegenden Erkrankung begünstigen, gekennzeichnet ist. Um ihren Gesundheitszustand stabil zu halten, ist die BF auf entsprechende medikamentöse Therapien und regelmäßige Kontrollen angewiesen. Dies konnte sich auch durch die Vorlage entsprechender Befunde nachweisen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen zur Gesundheitsversorgung im Herkunftsstaat wird davon auszugehen sein, dass eine indizierte Behandlung auch in China grundsätzlich möglich sein wird, jedoch geht aus den Feststellungen ebenso hervor, dass bei untere Einkommensschichten oder bei chronischen Krankheiten die Behandlung enorme, häufig existenzbedrohende finanzielle Belastungen mit sich bringt. Im Hinblick auf psychische Erkrankungen bestehen zudem strukturelle Versorgungsengpässe.
In Österreich führt die BF trotz ihres unsicheren Aufenthaltstatus seit etwa 2015 eine Beziehung mit einem österreichischen Staatsangehörigen, wobei sie – trotz einer abweichenden Wohnsitzmeldung – über die Hälfte der Woche mit diesem im gemeinsamen Haushalt verbringt. Die Beziehungsintensität entspricht im Wesentlichen einer Lebensgemeinschaft. Dafür spricht auch der Umstand, dass der Lebensgefährte der BF sich zu ihrer materiellen Absicherung im Rahmen einer Patenschaftserklärung selbst verpflichtet hat. Zwar wurde die Beziehung zu einem Zeitpunkt begründet, zu dem sich die BF ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, andererseits ist der Bindung insbesondere aufgrund der gesundheitlich labilen Situation der BF zusätzliches Gewicht beizumessen.
Unter Abwägung aller angeführten Umstände war in der vorliegenden besonderen Konstellation – insbesondere im Hinblick auf das Familienleben vor dem Hintergrund ihres Gesundheitszustandes - in Summe letztlich dem privaten Interesse der BF am Verbleib im Bundesgebiet Vorzug gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung zu geben. Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung im konkreten Einzelfall zum Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen die BF unzulässig ist. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die drohende Verletzung des Familien- und Privatlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind und es ist daher gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung gegen die BF auf Dauer unzulässig ist.“
Das Erkenntnis wurde der BF am 07.05.2020 zugestellt und rechtskräftig.
2. Der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.04.2020, Zl. W182 2013324-2/22E, formell rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die BF unter Vorlage eines chinesischen Reisepasses lautend auf XXXX , geb. XXXX das Bundesamt mit Schreiben vom 20.05.2020 (beim Bundesamt eingelangt am 27.05.2020) um Berichtigung ihren Namen und ihr Geburtsdatums ersucht hat. Die BF habe weder besondere Gründe für die Namensberichtigung angegeben noch liegen Anhaltspunkte für einen offenkundigen Schreibfehler vor. Die BF habe sohin bewusst eine falsche Identität angegeben und weise dieser Sachverhalt unter Umständen eine strafrechtliche Relevanz auf.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen und Beweiswürdigung:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen, die sich zweifelfrei aus den hg. Akt zur Zl. W182 2013324-2/22E, sowie den gegenständlichen Antrag vom 08.06.2020 ergeben, werden als relevanter Sachverhalt der rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt.
2. Rechtliche Beurteilung:
2.1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Mit Fuchs (in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2 § 32 VwGVG Anm. 13, Stand 1.10.2018, rdb.at) ist der Systematik des VwGVG folgend anzunehmen, dass sämtliche Entscheidungen über Wiederaufnahmeanträge - als selbstständige Entscheidungen - in Beschlussform zu erfolgen haben (ebenso Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahren der Verwaltungsgerichte 2, 2017, § 32 VwGVG K 29).
2.2. Zu Spruchpunkt A) I.:
1. Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruches anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten; dabei kommt es auf den Ablauf der Revisionsfrist nicht an (VfGH 13.12.2016, G 248/2016-9, G 337/2016-10, G 383/2016-5; vgl. zuvor schon VwGH 28.04.2016, Ro 2016/12/2007).
Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller geltend zu machen.
Abs. 3 leg. cit. lautet: Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 stattfinden.
Ausgehend von den glaubwürdigen Angaben zur Rechtzeitigkeit im gegenständlichen Antrag und in Zusammenschau mit der mit 18.02.2019 datierten mongolischen Bestätigung erscheint die in § 32 Abs. 2 VwGVG geforderte Frist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung des Wiederaufnahmegrundes erfüllt und sind somit die Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens als rechtzeitig eingebracht anzusehen.
2. In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1-3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.
Auch der Verwaltungsgerichtshof sprach in seinem Beschluss vom 28.06.2016, Ra 2015/10/0136, aus, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann.
Die gegenständlichen Anträge zielen darauf ab, die mit den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.01.2019 rechtskräftig abgeschlossenen vorangegangenen Verfahren der Wiederaufnahmewerber aufgrund neuer Tatsachen, beziehungsweise Beweismittel im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wieder aufzunehmen.
Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG nur auf solche Tatsachen, das heißt Geschehnisse im Seinsbereich (vgl. VwGH 15.12.1994, 93/09/0434; 04.09.2003, 2000/17/0024) oder Beweismittel, das heißt Mittel zur Herbeiführung eines Urteiles über Tatsachen (vgl. VwGH 16.11.2004, 2000/17/0022; 24.04.2007, 2005/11/0127), gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten.
Neu entstandene Tatsachen, also Änderungen des Sachverhalts nach Abschluss des Verfahrens, erübrigen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, weil in diesem Fall einem Antrag auf der Basis des geänderten Sachverhaltes die Rechtskraft des bereits erlassenen Bescheides nicht entgegensteht. Bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung über einen Asylantrag eingetreten sind, ist kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag (auf internationalen Schutz) zu stellen (vgl. dazu VwGH 17.02.2006, 2006/18/0031; 07.04.2000, 96/19/2240, 20.06.2001, 95/08/0036; 18.12.1996, 95/20/0672; 25. 11. 1994, 94/19/0145; 25.10.1994, 93/08/0123; 19.02.1992, 90/12/0224 u.a.).
Diesbezüglich führte der Verwaltungsgerichtshof etwa im Erkenntnis vom 08.09.2015, Zl. Ra 2014/18/0089, aus: "Gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG 2014 rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des VwGH für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht ebenfalls erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (Hinweis E vom 19. April 2007, 2004/09/0159). Hingegen ist bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht entgegensteht (vgl. zu dieser Abgrenzung zwischen Wiederaufnahme und neuem Antrag das E vom 24.08.2004, 2003/01/0431, mwH; die zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergangene hg. Judikatur zur Wiederaufnahme ist auf den nahezu wortgleichen § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG 2014 übertragbar)."
Das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweise allein genügt jedoch nicht, um das Verfahren wieder aufzunehmen. Es handelt sich bei diesem "Neuerungstatbestand" nämlich um einen relativen Wiederaufnahmegrund und ist für eine Wiederaufnahme weiters erforderlich, dass die neuen Tatsachen und Beweise voraussichtlich auch zu einem anderen Verfahrensergebnis führen würden (vgl. VwGH 14.06.1993, 91/10/0107; 27.09.1994, 92/070074; 22.02.2001, 2000/04/0195).
Neu hervorgekommene Beweismittel rechtfertigen - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur dann, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen (vgl. VwGH vom 21.09.2000, 98/20/0564). Im Zuge des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens vorgelegte Beweismittel können daher nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens darstellen, wenn sie alleine oder in Verbindung mit einem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich eine im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Entscheidung herbeigeführt hätten. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. VwGH 18.01.2017, Zl. Ra 2016/18/0197, mit Hinweis auf E 19.04.2007, Zl. 2004/09/0159).
Für die Beurteilung der Frage, ob einem Wiederaufnahmeantrag stattzugeben ist, sind allein die innerhalb der Frist des § 69 Abs. 2 AVG vorgebrachten Wiederaufnahmegründe maßgebend (VwGH 23.04.1990, Zl. 90/19/0125; 31.03.2006, Zl. 2006/02/0038; 14.11.2006, Zl. 2005/05/0260).
3. Die vom Bundesamt angeführten Gründe bzw. vorgelegten Beweismittel erfüllen diese Voraussetzung nicht.
Das Bundesamt stützte seinen Antrag im Wesentlichen auf den Umstand, dass die BF im Verfahren bisher eine falsche Identität angegeben hat, um einer Abschiebung zu entgehen.
Hierbei wurde seitens der Behörde aber übersehen, dass die rechtskräftige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes diesen Umstand bereits insofern (mittelbar) berücksichtigt hat, als es in den Feststellungen explizit davon ausging, dass die Identität der BF nicht feststehe und auch ihrer Behauptung, sich vergeblich bei ihrer Vertretungsbehörde in Österreich um die Ausstellung von Personaldokumenten bemüht zu haben, zurecht – wie sich nunmehr auch bestätigte - keinen Glauben schenkte. Trotz dieser offenbar zur Verhinderung einer Abschiebung erfolgten Verfehlungen hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Interessensabwägung insbesondere „im Hinblick auf das Familienleben vor dem Hintergrund ihres Gesundheitszustandes“ letzterem Umstand im Ergebnis mehr Gewicht beigemessen. Diesbezüglich vermögen die vom Bundesamt aufgezeigten, neu hervorgekommenen Gründe im Ergebnis keine entscheidungsrelevante Verschiebung der in der rechtskräftigen Entscheidung vorgenommenen Gewichtung herbeiführen.
Die vom Bundesamt dargetanen Gründe erweisen sich daher bereits in einer Grobprüfung als ungeeignet, eine entscheidungsrelevante Änderung der Interessensgewichtung im Rahmen einer Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK herbeizuführen.
Der Vollständigkeit halber ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die BF nach wie vor unbescholten ist.
Es kann daher ausgeschlossen werden, dass die neuen Gründe die entscheidungsrelevanten Umstände derart betreffen, dass sie, wären sie seinerzeit berücksichtigt worden, voraussichtlich zu einer anderen als der tatsächlichen getroffenen Entscheidung geführt hätten und daher auch im wieder aufgenommenen Verfahren führen werden.
Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG sind somit nicht erfüllt und der gegenständliche Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens war daher spruchgemäß abzuweisen. Aus den eben dargelegten Erwägungen war auch für eine amtswegige Wiederaufnahme der gegenständlichen Verfahren kein Raum.
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage als geklärt anzusehen war und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl. VwGH 19.04.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm. 9), konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm. § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; VfGH 14.03.2012, U 466/11 ua.).
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben (vgl. dazu insbesondere die unter den Punkten II.2.2. und II.2.3. zitierte Judikatur).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Beweismittel Interessenabwägung nova reperta Voraussetzungen Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag WiederaufnahmegrundEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W182.2013324.3.00Im RIS seit
21.01.2021Zuletzt aktualisiert am
21.01.2021