TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/10 W154 2139769-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.11.2020
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Entscheidungsdatum

10.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W154 2139769-1/36E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2016, Zl. 1074416908/150707018/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_02, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 20.6.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung fand am selben Tag statt, die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) am 19.7.2016.

1.1. Im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zunächst, aus der Provinz Baghlan zu stammen, ledig und moslemschen Glaubens zu sein sowie der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören In Baghlan habe er 12 Jahre die Schule besucht und zudem vier Jahre auf der Universität in Badakhshan studiert. Zuletzt sei er Angestellter einer Telekommunikationsfirma gewesen. Als Wohnadresse im Herkunftsland nannte der Beschwerdeführer ein Wohnviertel in der Stadt Kabul. In der Heimat befänden sich noch ein Bruder und eine Schwester sowie die Mutter. Der Vater und ein weiterer Bruder wären verstorben.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Vater und Bruder getötet worden wären, als der Beschwerdeführer noch jung gewesen sei. Der Vater sei politisch aktiv gewesen und auch der Beschwerdeführer habe vor allem in den letzten Jahren als heranwachsender Mann immer wieder Probleme mit Leuten gehabt, die ihn bedroht und vorgehabt hätten, ihn zu entführen. Es seien immer wieder Personen bei ihnen Zuhause eingedrungen oder hätten dem Beschwerdeführer vor der Schule aufgelauert. In letzter Zeit sei die Lage immer schlimmer geworden und weil sich die politische Lage in Afghanistan verschlechtert habe, sei der Beschwerdeführer geflüchtet.

1.2. Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde erklärte der Beschwerdeführer zunächst, gesund zu sein, der sunnitischen Religion sowie der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören und legte folgende Dokumente vor:

Eine Abschlussurkunde einer Universität im Fach Pädagogik, ausgestellt im Jahr 2012 in der Provinz Badakhshan; einen bis 2013 gültigen Universitätsausweis; eine Tazkira; einen Drohbrief auf Pashtu samt dazugehöriger Behördenbestätigung.

Zum Drohbrief erklärte er, im Büro in seiner Firma gewesen zu sein, als die Taliban diesen ohne Kuvert beim Portier abgegeben hätten. Nachdem er ein bis zwei Monate in Österreich gewesen sei, habe ihn sein Bruder aus Kabul per Post nachgeschickt. Die Bestätigung habe der Beschwerdeführer später erhalten, das Kuvert jedoch weggeworfen.

Geboren sei er in einem näher genannten Dorf in der Provinz Baghlan, Distrikt Khost Wa Firing, habe im Zentrum von Firing zwölf Jahre die Schule besucht und danach vier Jahre an der pädagogischen Universität in der Provinz Badakhshan Lehramt Chemie studiert. Zwischen Oktober und Dezember 2014 habe er die Universität abgeschlossen. Ab dem zweiten Studienjahr sei er bei einer privaten Kommunikationsfirma tätig gewesen. Er sei ledig und kinderlos.

In Afghanistan lebe noch seine Mutter, zu der er jedoch nicht mehr in Kontakt stehe. Bei seiner Ausreise habe sie in Firing gelebt. Als er entschieden habe das Land zu verlassen, habe der Beschwerdeführer das familieneigene Grundstück verkauft und ihr Geld gegeben. Wovon die Mutter nun lebe, wisse er nicht, vielleicht helfe die Schwester oder der ebenfalls in Firing lebende Onkel. Die Schwester sei in Kabul, wo sich sein überlebender Bruder befinde, wisse der Beschwerdeführer ebenfalls nicht, er habe nun keinen Kontakt mehr. Beim letzten Kontakt, drei bis vier Monate nach der Ankunft des Beschwerdeführers in Österreich, hätte jener gesagt, er würde aus dem Iran abgeschoben und wieder dorthin zurückkehren. Es gebe einen Onkel väterlicherseits und zwei mütterlicherseits, alle in Firing, sowie eine Tante mütterlicherseits und zwei Tanten väterlicherseits.

Sein älterer Bruder sei getötet worden, als der Beschwerdeführer acht Jahre alt, sein Vater, als er vier gewesen sei.

Ausgereist sei der Beschwerdeführer, weil sein Leben in Gefahr gewesen wäre. Nachdem sein Vater und Bruder getötet worden seien, hätten sie auch den Beschwerdeführer mit dem Tode bedroht. Damit meine er drei Nachbarn in ihrem Heimatort oder dass die Frau seines Bruders seinen Vater vergiftet habe. Als der Beschwerdeführer in Badakhshan studiert habe, sei es für ihn gefährlich gewesen, in seinen Heimatdistrikt zurückzukehren.

Er habe angefangen, politisch aktiv zu werden. „Wir“ Studenten seien gegen alles gewesen, was „wir“ schlecht gefunden hätten, von den Taliban und dem afghanischen Staat. Sie hätten Demonstrationen organisiert.

Die Taliban hätten gewollt, dass er bei ihnen mitmache und ihn immer telefonisch oder über Facebook eingeladen. Im vierten Studienjahr habe sich der Beschwerdeführer nicht so frei bewegen können und immer mit dem Auto zur Universität fahren müssen. Einmal sei er in der Klasse gewesen, als einige Leute, er glaube von den Taliban, gekommen wären und ihn hätten mitnehmen wollen, was jedoch von anderen Studenten verhindert worden sei, indem sie ihn in ein Zimmer gebracht hätten. Daraufhin wären die Taliban-Leute weggegangen. Wann genau das stattgefunden habe, wisse der Beschwerdeführer nicht, es sei im vierten Studienjahr bei den letzten Prüfungen gewesen.

Zudem habe er vorgehabt, zur Polizei zu gehen und eine dreimonatige Ausbildung als Offizier zu machen. Als die Taliban dies bemerkt hätten, hätten sie Drohbriefe geschrieben. Schriftlich habe er einen erhalten, und zwar im elften Monat 1393, auf Facebook mehrere, auch telefonisch. Als er die Briefe gesehen habe, habe der Beschwerdeführer entschieden, das Land zu verlassen, sei in seinen Heimatdistrikt gefahren, um Landbesitz zu verkaufen und Geld für die Reise zu haben. Dort sei er zu einem Freund gegangen, Taliban hätten das Haus des Beschwerdeführers aufgesucht, jedoch sei nur seine Mutter zu Hause gewesen. Die Taliban hätten ihn mit dem Auto verfolgt, weshalb der Beschwerdeführer über den Nachbardistrikt und Kabul, wo er sich zwei Tage aufgehalten habe via Pakistan die Heimat verlassen habe.

Ein weiterer Fluchtgrund seien sein Vater und sein Bruder. Die drei zuvor genannten Personen hätten sie immer schikaniert. Als der Beschwerdeführer klein gewesen sei, hätten sie ihn geschlagen und sogar seinen Onkel mütterlicherseits unter Druck gesetzt, damit die Mutter die Familie verlasse. Grund für die Tötung seines Vaters sei gewesen, dass dieser unter seiner Obhut zwei Neffen gehabt habe. Als diese getötet worden wären, habe man seinen Vater wegen der Neffen getötet. Diese seien hochrangige Mudschahedin gewesen. Nachgefragt, was sein Vater mit dem Tod der beiden zu tun gehabt habe, antwortete der Beschwerdeführer, diese drei Nachbarn hätten nicht gewollt, dass sein Vater alles, was die beiden gehabt hätten, übernehme. Weiters nachgefragt, was sein Vater hätte übernehmen wollen, erwiderte der Beschwerdeführer: „Eigentlich nichts“. Er habe auch nichts übernommen. Nachgefragt, warum er dann getötet worden sei, brachte der Beschwerdeführer nunmehr vor, dass in ihrem Gebiet ein Machtkampf zwischen seinem Vater und diesen drei Personen gewesen wäre. Den Rang seines Vaters wisse der Beschwerdeführer nicht, er sei damals vier Jahre alt gewesen. Zu dem Machtkampf könne er nicht viel angeben, aber vermutlich hätte jeder im Gebiet etwas zu sagen haben wollen. Ausdrücklich erklärte der Beschwerdeführer, sein Vater habe zu jener Zeit keine Tätigkeit ausgeübt, sei zu Hause gewesen und habe keine Arbeit gehabt. Die Frage, ob er beim Militär oder Kommandant gewesen sei, verneinte der Beschwerdeführer ausdrücklich.

Bezüglich seines Bruders brachte der Beschwerdeführer vor, jener sei nach dem Tod des Vaters nach Pakistan gegangen, zurückgekehrt und nach drei Monaten getötet worden. Sie wüssten nicht, von wem.

Nachgefragt, ob die genannten drei Personen auch den Beschwerdeführer bedroht hätten, antwortete dieser, als er klein gewesen wäre, schon. Als Grund nannte er, sie hätten immer gefordert, dass die Mutter die Familie verlasse. Sie hätten nicht gewollt, dass sie („wie“) ein Leben hätten, zur Schule gingen und studierten.

Zu konkreten Bedrohungen in den letzten drei Jahren erklärte der Beschwerdeführer zunächst, selbst die Kinder dieser Personen hätten ihn töten wollen. Sie hätten ihm seinem Vater in Erinnerung gebracht und gedroht, den Beschwerdeführer umzubringen, wenn der Zeitpunkt gekommen sei. In den letzten drei Jahren hätten ihn die Taliban und die drei Personen bedroht, nachgefragt, auf welche Art ihn die beiden Personen bedroht hätten, wiederholte der Beschwerdeführer die vorherige Antwort.

Zu den Demonstrationen, die er auf der Universität organisiert haben wollte, gab der Beschwerdeführer an, er sei im ersten Studienjahr gewesen und wenn man nicht in eine Partei eingetreten sei, habe man nicht studieren können. Sie hätten gegen alles, was sie nicht richtig gefunden hätten, demonstriert. Zum Beispiel gegen die Taliban oder gegen das ungeschriebene Gesetz, dass nur Parteimitglieder studieren könnten. Nachgefragt, ob sämtliche Studenten Parteimitglieder gewesen seien, antwortete der Beschwerdeführer, einige hätten sich nach ihren Demonstrationen davon befreien können. Er selbst sei niemals Mitglied einer Partei gewesen. Vorgehalten, er habe zuvor angegeben, man müsse Parteimitglied sein, um studieren zu können, antwortete er, das sei eines seiner Anliegen gewesen. Vorgehalten, er habe also kein Parteimitglied sein müssen, um studieren zu können, antwortete er, man habe immer gesagt, man müsse Parteimitglied sein, aber er sei von Anfang an dagegen gewesen. Weiters vorgehalten, er habe vier Jahre studiert ohne Parteimitglied zu sein, aber für Zugänge ohne Parteimitgliedschaft demonstriert, bejahte er das.

Die Facebook-Anwerbungen der Taliban könne der Beschwerdeführer nicht vorlegen, weil er sie gelöscht habe. Vielleicht habe er sie deshalb vernichtet, weil er nicht gewollt habe, dass die Taliban seine Facebookadresse finden. Vorgehalten, diese hätten seine Adresse schon gehabt, fragte der Beschwerdeführer, wofür er das hätte behalten sollen.

Die Taliban hätten ihn deshalb verfolgt, weil es ca. 4000 Studenten gegeben habe und der Beschwerdeführer als Studentenvertreter aktiv gewesen sei. Sie hätten ihn als Mitarbeiter gewollt. Ab dem zweiten Jahr hätten sie ihn erstmals aufgesucht. Sie seien in der Klasse gewesen, als drei mit Messern bewaffnete Taliban gekommen wären und ihn mitnehmen wollten. Als die anderen Studenten dies gesehen hätten, seien sie aufgestanden und hätten versucht, den Beschwerdeführer zu retten, indem sie die Taliban, welche mit Messern und Pistolen bewaffnet gewesen wären, geschlagen hätten. Bei dem Vorfall sei niemand ums Leben gekommen. Dieser Vorfall sei im vierten Studienjahr kurz vor seinen Prüfungen gewesen, ca. 20 Tage vor Studienende. Zudem hätten ihn die Taliban mehrmals am Handy kontaktiert, wie oft konkret, wisse er nicht mehr. Auch könne er sich nicht daran erinnern, was sie beim letzten Anruf gesagt hätten, aber jedes Mal hätten sie gewollt, dass er sie besuche. Sie hätten immer gesagt, sie würden jemanden schicken, der ihn zu Ihnen bringen würde. Der Beschwerdeführer hätte geantwortet, er würde bei Ihnen nicht mitmachen, weil sie gegen Menschenrechte und Mörder seien. Das Handy, auf dem sie ihn kontaktiert hätten, besitze der Beschwerdeführer nicht mehr.

Der Beschwerdeführer sei deshalb wegen seiner Probleme nicht früher geflüchtet, weil er immer Hoffnung gehabt habe, dass sich die Situation in Afghanistan bessere.

Vorgehalten, er habe anlässlich der Erstbefragung eine Wohnsitzadresse in Kabul genannt, erwiderte der Beschwerdeführer, er hätte nur gesagt, dass seine Schwester in Kabul lebe.

Zu seiner Integration in Österreich legte der Beschwerdeführer Deutschkursbestätigungen, Bestätigungen eines Sprachcafés und einer Summer School vor.

2. Mit dem gegenständlichen, im Spruch genannten, Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde, in der er im Wesentlichen vorgebracht wurde, er habe plausibel und leicht nachvollziehbar geschildert, aufgrund seiner Tätigkeit, aber auch der seiner Familie und generell, wegen seiner westlichen Orientierung und Ausbildung von den Taliban bedroht worden zu sein.

4. Am 11.11.2016 erstattete die belangte Behörde eine Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen.

5. Am 21.10.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, 27 Abs. 3, 27 Abs. 2a SMG in Untersuchungshaft genommen.

6. Mit Beschluss vom 18.1.2019, GZ W154 2139769-1/15E, wurde das Beschwerdeverfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG eingestellt, weil der Beschwerdeführer zu der am 2.5.2017 anberaumten Verhandlung nicht erschienenen und laut Meldeauskunft des Zentralen Melderegister vom 11.12.2018 von der letzten bekannten Adresse am 3.12.2018 abgemeldet worden war. Durch eine neuerliche Meldeanfrage beim Zentralmelderegister am 17.1.2019 habe ebenfalls keine aktuelle Meldeadresse eruiert werden können.

7. Am 28.8.2019 wurde das Bundesverwaltungsgericht seitens der belangten Behörde dahingehend informiert, dass der Beschwerdeführer am selben Tag von Frankreich nach Österreich überstellt worden sei.

8. Mit Beschluss vom 9.9.2019, GZ W154 2139769-1/19Z, wurde das gegenständliche Verfahren gemäß § 24 AsylG fortgesetzt.

9. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 29.1.2020 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 zweiter und achter Fall SMG nach dem § 27 Abs. 1 SMG unter Bedachtnahme auf § 28 StGB zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 160 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall zu 80 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.2.2020 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und eines länderkundigen Sachverständigen für Afghanistan eine mündliche Verhandlung durch.

Dabei brachte der Beschwerdeführer zunächst im Wesentlichen vor, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören und in der Provinz Baghlan in Distrikt Khoste-Fering im Teil Fering geboren und aufgewachsen zu sein. Von Geburt an bis zur zwölften Klasse habe er in seinem Heimatdistrikt gelebt, weitere vier Jahre in Badakhshan, wo er die Universität besucht habe. In Kabul habe er sich im Jahr 2015 vor seiner Ausreise ca. eine Woche lang aufgehalten.

Zwölf Jahre lang habe er die Schule in seinem Heimatdistrikt besucht und anschließend in Badakhshan vier Jahre lang an der Universität Lehramt für das Fach Chemie studiert und die Universität abgeschlossen. Zudem habe er während seiner Studienzeit von 2010 bis 2014 vier Jahre lang als Security für ein Kommunikationsunternehmen gearbeitet und so sein Einkommen verdient. Waffen habe er dabei keine getragen. Mit den Taliban habe er in dieser Funktion nichts zu tun gehabt.

Zu seinen Familienangehörigen führte der Beschwerdeführer aus, dass sich in der Heimat seine Mutter und eine Schwester befänden. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise habe die Mutter im Heimatdistrikt gelebt, seine Schwester sei in Kabul, er habe keinen Kontakt zu ihnen. Ein Bruder sei in den Iran ausgereist und später in die Türkei. Er habe nach Europa gewollt aber der Beschwerdeführer wisse nicht, wo er sich derzeit befinde.

Sein älterer Bruder sei nach dem Tod des Vaters nach Pakistan ausgewandert, habe dort als Flüchtling gelebt und sei für eine Zeit nach Kabul zurückgekehrt, wo er nach ein bis zwei Monaten umgebracht worden wäre. Vier Monate später habe die Familie davon erfahren, den Leichnam aber nie gesehen. Sie wüssten nicht, wie er getötet worden sei, ob man ihn vergiftet oder erschossen habe. Vermutlich wären das die Feinde seines Vaters gewesen. Zum Zeitpunkt der Ermordnung seines Bruders sei der Beschwerdeführer wahrscheinlich neun oder zehn Jahre alt gewesen und könne sich nicht mehr erinnern. Der Bruder selbst sei zum Zeitpunkt seines Todes 35 oder 40 Jahre alt gewesen. Gearbeitet habe er als Bodyguard eines Politikers aus Kabul. Dieser habe mit seinem Vater nichts zu tun gehabt, sondern nur mit dem Bruder. Mehr könne der Beschwerdeführer dazu nicht angeben.

Als der Beschwerdeführer vier Jahre alt gewesen sei, sei sein Vater in ihrem Wohnort ein Kommandant neben vielen anderen gewesen. In einer Auseinandersetzung mit dem Dorfältesten darüber, wessen Wort zähle, sei er getötet worden. Der Vater habe zur Jamiat-e Islami gehört.

Seitens des länderkundigen Sachverständigen vorgehalten, dass der Arbeitgeber seines Bruders Kommandant der Hezb-er Islami in Baghlan und somit der Gegenpartei der Partei des Vaters gewesen sei, erwiderte der Beschwerdeführer, er wisse auch nicht, wie es dazu gekommen sei, dass der Bruder für die Gegenpartei gearbeitet habe.

In weiterer Folge wurden dem Beschwerdeführer seitens des länderkundigen Sachverständigen konkrete Fragen zu zu seinem Heimatdistrikt gestellt.

Zu seiner Rückkehrbefürchtung erklärte der Beschwerdeführer, dass diejenigen, die mit seinem Vater Probleme gehabt hätten, ihn im Falle einer Rückkehr nicht am Leben lassen würden. Weiters würden die Taliban nur darauf warten, dass der Beschwerdeführer in Ihre Hände gerate.

Sein Vater sei wegen dem Dorfältesten und den Weißbärtigen Männern getötet worden. In Afghanistan sei es üblich, wenn zwei Personen einer Fraktion angehörten und beide bewaffnet seien, dann hätten sie keine Wahl, als sich untereinander zu bekriegen. Auslöser des Streites sei ein Kampf um die Position des Leiters gewesen, der Vater sowohl ein Dorfvorsteher als auch ein Subkommandant (Gruppenleiter) gewesen. Die bereits genannten Personen hätten alles getan, was andere Menschen dieser Gegend schade, die Einwohner sowie die Armen belästigt. Der Vater des Beschwerdeführers habe dies verhindern wollen, weshalb es zu dieser Auseinandersetzung gekommen sei, in deren Zuge man ihn getötet habe. Sie hätten dem Vater eine Falle gestellt und ihn erschossen.

Sowohl die Großväter als auch ein Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits wären getötet worden.

11. Mit Berufungsurteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 24.8.2020 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall, 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall Suchtmittelgesetz rechtskräftig verurteilt.

12. Am 23.9.2020 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fortgesetzt.

Eingangs gab der Beschwerdeführer an, sich gesund zu fühlen und wurde durch den länderkundigen Sachverständigen zu seinem Heimatort befragt. Dazu erklärte der Sachverständige, dass der Beschwerdeführer seinen Angaben entsprechend aus der geschilderten Gegend und zwar aus dem Teil Fering stamme.

Weiters brachte der Beschwerdeführer vor, nach der zwölften Klasse an der Universität in Badakhshan Bildung und Erziehung studiert und das Studium abgeschlossen zu haben.

Zu seiner Rückkehrbefürchtung gefragt, gab der Beschwerdeführer an, die Personen, die seinem Vater Schaden zugefügt hätten, würden ihn finden und könnten auch ihm Probleme machen. Zudem habe er Angst vor den Taliban.

Als sein Vater getötet worden wäre, sei er selbst vier Jahre alt gewesen. Sein Vater habe die Position eines regionalen Kommandanten innegehabt, drei näher genannte Personen hätten damals die Leute unter Druck gesetzt. Sein Vater habe sich gewehrt und dann hätten sie ihn getötet. Der Bruder sei nach Pakistan geflüchtet, die Kinder der genannten Personen hätten den Beschwerdeführer immer auf dem Schulweg angehalten und geschlagen. Sie hätten gewollt, dass er die Schule abbreche und auch die Mutter unter Druck gesetzt, damit sie die Familie verlasse. Nach der zwölften Klasse habe der Beschwerdeführer nicht aus Badakhshan nach Hause zurückgekommen können und sein Leben sei in Gefahr gewesen.

Der Vater sei Mitglied der Jamiat Partei gewesen. Die genannten Personen hätten Menschen in der Region unter Druck gesetzt, Grundstücke weggenommen und sie auch auf dem Weg angehalten. Der Vater habe sich aber dagegen gewehrt. Zum Zeitpunkt seines Todes sei sein Vater ca. 65 Jahre alt gewesen und habe ca. 10 bis 20 Personen unter seinem Befehl gehabt. Diese Personen hätten seine Mutter aufgefordert, zu ihrem Vater zu gehen, damit sie die Familie verlasse. Sie hätten gewollt, dass die Kinder woanders aufwachsen und arbeiten. Damit meine der Beschwerdeführer sich, seine Schwester und den anderen Bruder. Seitens des länderkundigen Sachverständigen wurde vorgehalten, dass der Großvater mütterlicherseits nicht zugelassen hätte, dass die Mutter von ihren Kindern getrennt werde und die Kinder auf der Straße blieben. Der Sachverständige sei der Ansicht, dass der Vater zwar ein Kommandant oder Subkommandant gewesen sein könnte, aber dessen Tötung unter Verbleib des Beschwerdeführers im Heimatdorf passe nicht zusammen.

Dass der Beschwerdeführer seinen Schilderungen nach anschließend mit seiner Mutter alleine geblieben wäre und trotzdem zwölf Jahre Schule geschafft habe, versuchte dieser damit zu erklären, diese Personen hätten geglaubt, sie könnten ihn jederzeit umbringen, weshalb sie ihm anscheinend nichts angetan hätten. Auch hätten sie wahrscheinlich nicht damit gerechnet, dass der Beschwerdeführer ausreise. Zudem hätten sie geglaubt, dass sich der Beschwerdeführer wegen des Todes seines Vaters rächen würde.

Der Bruder des Beschwerdeführers sei ein oder zwei Monate nach seiner Rückkehr nach Kabul getötet worden, was die Familie aber erst nach vier Monaten erfahren habe. Sie wüssten nicht genau, wie und wo er umgebracht worden sei. Soweit der Beschwerdeführer wisse, sei er ein Leibwächter eines näher genannten Politikers der Hezb-e Islami gewesen.

Der Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers sei längst gestorben, ebenso einer der beiden Onkel mütterlicherseits. Der zweite Onkel mütterlicherseits sei unterwegs mit dem Auto in die Luft gesprengt worden. Dabei wären 11 bis 12 Personen ums Leben gekommen, wie der Beschwerdeführer aus den Medien erfahren habe.

In weiterer Folge erstattete der länderkundige Sachverständige folgende gutachterliche Stellungnahme:

„Zur Herkunft und Familie des BF:

Die Angaben des BF, dass er aus Khost-e Fering aus der Provinz Baghlan stammen würde, stimmen mit der Wirklichkeit der Provinz Baghlan überein. Der BF hat seinen Heimatdistrikt und Dörfer mit deren Bedeutungen ohne Zögern richtig beantwortet. Er hat die Persönlichkeiten seiner Region genannt, die mir bekannt sind und sie sind gebildete Personen und haben im afghanischen Staat bedeutende Stellungen gehabt.

Die Angaben des BF zu seinem Aufenthalt in seiner Heimatregion und in Badachschan stimmen teilweise überein. Der BF ist eine gebildete Person, er kann seine Region beschreiben, aber ich gehe nicht davon aus, dass er bis zur 12. Klasse nur in seinem Heimatdistrikt gelebt hat. Außer dem Studium in Badachschan muss der BF im Zentrum von Baghlan und möglicherweise auch in anderen Provinzen des Landes gelebt haben. Er hat eine ausführliche Information über das Land und kennt auch die geographische Lage des Landes.

Zum Bruder des BF als Wachmann von […]:

Die Angaben des BF, dass sein Bruder ein Wachmann von […] war und dabei getötet worden ist, ist verständlich […] ist eine bedeutende Persönlichkeit der fundamentalistischen Mujaheddin Partei „Hezb e Islami Afghanistan“ unter Führung von Hekmatyar. Da er eine Konfliktsperson und Politiker ist, war er Angriffsziel seiner Feinde, aber auch der Taliban. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Bruder des BF als Wachmann von […] bei einer dieser Kämpfe ums Leben gekommen ist. Dies deutet aber nicht darauf hin, dass der Bruder eine Feindschaft hätte, und dass seine Feinde ihn auf der Reise von […] aufgelauert und getötet hätten.

Betreffend sein Fluchtvorbringen:

Das Vorbringen des BF, dass sein Vater als Subkommandant der Jamiat-e-Islami (eine tadschikische Mujaheddin Partei) die Personen, die die Bevölkerung schikanierten, davon abgehalten hätte, und daraufhin diese Personen seinen Vater getötet hätten, sind nicht authentisch. Ohne eine vorausgehende Feindschaft zwischen Familien ist die Tötung eines Subkommandanten, der auch ein alter Mann war (65 Jahre), unter den Voraussetzungen, die der BF nennt, nicht vorstellbar. Der BF gibt an, dass sein Vater diese Leute daran hindern wollte, die Bevölkerung zu schikanieren und sie hätten aus diesem Grund seinen Vater getötet. Eine solche Vorgangsweise vor dem Hintergrund der Bedeutung der Großfamilie des BF ist es nicht vorstellbar, dass ein paar Vagabunden einen alten Mann mit 65 Jahren, einen Dorfältesten, töten, damit sie ihr Treiben fortsetzen können. Umgekehrt werden solche Personen von der Bevölkerung aber auch von der Partei Hezb e Islami verfolgt und vernichtet. Die Familie des BF bestand aus mehreren Personen, außerdem zählt die Familie seiner Mutter auch zu seiner Großfamilie. So ist es nicht vorstellbar, dass einige Diebe und Plünderer den Vater des BF töten. Nach meiner Schätzung kommt der BF aus einer gebildeten Familie. Die Tötung der Ältesten einer solchen Familie hat Folgen für diese Personen, die angeblich seinen Vater getötet haben. Das müsste diesen Personen bewusst sein in der Region. Nach den Angaben des BF gab es keine Feindschaft zwischen den Personen und seinem Vater. Auch deshalb ist es nicht den Tatsachen entsprechend, dass sein Vater von diesen Personen getötet worden wäre, es sei denn, der Vater war im Krieg involviert und hätte Feindschaften provoziert und die Feinde hätten sich für seine Taten an ihm gerächt und die Feinde hätten ihn getötet. Aber die Erzählungen des BF zur Tötung seines Vaters beinhalten nicht einen solchen Hintergrund.

Betreffend präventiver Blutrache:

Der BF macht eine präventive Blutrache geltend und meint, dass die Mörder seines Vaters ihn verfolgen und töten würden, damit er sich für die Tötung seines Vaters an diesen Personen nicht mehr rächen kann.

Der BF hat einen Bruder, eine Schwester und seine Mutter, die am Leben sind. Bei der Blutrache überlegt sich die rächende Person, dass er vom nächsten Familienmitglied seines Opfers auch verfolgt werden kann. Eine Blutrache wird nach dem Prinzip der Erbfolge zur Geltung gebracht. Immer die nächsten Erbfolgen sind berechtigt, sich für die Tat der Mörder zu rächen. Daher ist der Bruder des BF, die Schwester, mit der Hilfe ihres zukünftigen Mannes und seine Mutter, mit der Hilfe ihrer Kernfamilie, als Erbfolgen berechtigt, sich an den Tätern zu rächen. Aus diesem Grund sind die Angaben des BF, dass er im Falle seiner Rückkehr Opfer einer präventiven Blutrache sein wird, nicht den Tatsachen entsprechend. Die Täter könnten, wenn sie sich präventiv schützen wollten, den lebenden Bruder des BF töten.

Die Angaben des BF, dass die Mörder seines Vaters, seine Mutter aufgefordert hätten, ihre Kinder zu verlassen, damit sie dort Kinderarbeit leisten und den Schikanen von anderen ausgesetzt sind, entsprechen überhaupt nicht den afghanischen Tatsachen. Die Mutter des BF hat ihre Eltern gehabt und die Eltern, also die Großeltern des BF, hätten auf keinen Fall ihre Enkelkinder alleine gelassen und hätten sie mit ihrer Mutter nachhause mitgenommen bzw. dort, wo sie gewohnt haben, unter ihren Schutz gestellt.

Die Angaben des BF, dass der BF in ganz Afghanistan verfolgt werden würde, weil die Feinde seines Vaters überall in Afghanistan Macht hätten, stimmen nicht mit den Tatsachen überein, wenn man die Angaben des BF in Betracht zieht, dass diese Leute die Menschen schikanieren und laut BF haben sich von niemanden in ihrem Treiben bändigen lassen. Daher gehe ich nicht davon aus, dass diese Personen mächtige Personen sind und in ganz Afghanistan ihre Personen beseitigen, die diesen nichts angetan, sondern umgekehrt, wie der BF angibt, angegriffen und den Vater des BF angeblich getötet hätten.

Wenn eine Blutrache zwischen zwei Familien besteht, dann ist nicht ausgeschlossen, dass die Opferfamilie die Täterfamilie belangt, wo sie sie in Afghanistan erwischen, wenn aber ein paar Personen als schlechte Personen der Gesellschaft einen Dorfältesten töten, würden sie sich eher schützen und nicht mehr der Opferfamilie und der Bevölkerung, die unter dem Schutz der Opferfamilie gestanden ist, zeigen. Wie gesagt, es gab in Ausnahmefällen, in Bürgerkriegsjahren „präventive Maßnahmen“ seitens der fundamentalistischen Kommandanten, in dem sie den Sohn eines Mannes getötet haben oder die ganze Familie vernichtet haben, damit sie an den Kommandanten keine Blutrache ausüben können. Aber seit dem Ende des Bürgerkriegs unter den Mujaheddin 1996 bzw. 1998, habe ich von präventiven Blutrachen keine Aufzeichnungen in Erfahrung bringen können.“

Der Beschwerdeführer erhielt die Möglichkeit, sich dazu zu äußern und erklärte nur, dass sein Bruder im Jahr 2016 nach Europa habe reisen wollen und seitdem verschollen wäre. Im Jahr 2017 wäre die Mutter mit der Schwester und dem Schwager in den Iran geflüchtet und der Beschwerdeführer hätte von einem Cousin aus der Türkei erfahren, dass die Mutter an Corona erkrankt und verstorben wäre.

In weiterer Folge erläuterte der Sachverständige, dass nach seiner Sachkenntnis solche Personen, die gegen Dorfvorsteher kämpften, um Dorfbewohner zu schikanieren oder terrorisieren, als Vagabunden oder Diebe bezeichnet würden. Die Äußerung des Beschwerdeführers, dass diejenigen, die seinen Vater getötet hätten, seine Mutter aufgefordert hätten, ihre Kinder zu verlassen, damit diese verelenden, sei nicht authentisch. Der Großvater lasse seine Kinder nicht alleine. Wenn es tatsächlich eine Feindschaft gegeben hätte, hätten die Feinde des Beschwerdeführers ihn bereits vor zwölf Jahren umgebracht. Zudem sei die Provinz Badakhshan nicht weit von der Heimatsprovinz des Beschwerdeführers entfernt und hätten die Feinde ihn während des Studiums dort auch erwischen können. Den Begriff Krieg habe der Sachverständige deshalb verwendet, weil nach den Angaben des Beschwerdeführers seien Vater während des Krieges ums Leben gekommen sei. Es habe aber nicht unbedingt mit dem Krieg zu tun.

Der Beschwerdeführer erklärte, er vermute eine Beteiligung seines Vaters im Krieg, habe dazu aber keine Information.

Weiters gab der Beschwerdeführer an, an keiner lebensbedrohlichen Krankheit zu leiden.

In Österreich arbeite er für € 80 monatlich 15 Tage in der Küche in der Asylunterkunft, diese Arbeit sei jedoch nicht angemeldet, die Grundversorgung aber informiert. Vor seiner Reise nach Frankreich habe der Beschwerdeführer viele Sprachkurse besucht, wie A1, den Werte- und Orientierungskurs, ÖIF und auch ein Sprachcafé. Die A1 Prüfung habe er 2016 abgelegt, die Dokumente jedoch zurückgelassen als er nach Frankreich gereist sei. Vorgelegt wurde eine Bestätigung seiner Asylpension.

Der Beschwerdeführer lebe in keiner Partnerschaft, habe aber Freunde aus dem Iran, arabischen Ländern und aus seiner Wohnunggemeinde. Über die Gemeinde arbeite er bei der Kirche als Reinigungskraft und ein- bis zweimal im Monat in einem Altenheim. In Vereinen sei er nicht tätig.

13. Am 7.10.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde im Distrikt Khost-e Fering in der Provinz Baghlan geboren, wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern auf und besuchte zwölf Jahre lang die Schule. Anschließend studierte er in Badakhshan auf der Universität Lehramt für Chemie und verdiente sich sein Studium als Angestellter einer Telekommunikationsfirma selbst.

Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1.  Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan jemals von den Taliban oder von anderen Personen aufgesucht oder von diesen bedroht.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Der Beschwerdeführer wurde weder von den Taliban noch von angeblichen Feinden seines Vaters, Nachbarn oder Personen, die die Dorfbevölkerung schikaniert haben sollen, bedroht oder niedergeschlagen. Der Beschwerdeführer hatte keinen Kontakt zu den Taliban, er wird von diesen auch nicht gesucht.

Er wurde auch nicht aufgefordert mit den Taliban zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban weder angesprochen noch angeworben. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban.

Der Beschwerdeführer wurde auch nicht als Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken bedroht oder angegriffen.

Der Beschwerdeführer ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan exponieren würde.

1.2.2.  Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur zur Volksgruppe der Tadschiken konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

1.3.    Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 20.6.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG rechtmäßig aufhältig, wobei er nach seinem negativen Asylbescheid das Bundesgebiet verlassen hatte und am 28.8.2019 aus Frankreich rücküberstellt wurde.

Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse auf Niveau A1 und nahm in den Jahren 2015 und 2016 an Deutschkursen sowie einem Sprachcafe teil.

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung, er ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert und verfügt über keine Arbeitszusage.

Für € 80 monatlich hilft er 15 Tage in der Küche in der Asylunterkunft sowie über die Gemeinde bei der Kirche als Reinigungskraft und ein- bis zweimal im Monat in einem Altenheim. In Vereinen ist er nicht aktiv.

Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Freundschaften zu anderen Asylwegbern und Personen aus seiner Gemeinde knüpfen. Der Beschwerdeführer verfügt jedoch weder über nähere Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen, wie Ehefrau oder Kinder in Österreich.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 29.1.2020 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 zweiter und achter Fall SMG nach dem § 27 Abs. 1 SMG unter Bedachtnahme auf § 28 StGB zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 160 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall zu 80 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt. Mit Berufungsurteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 24.8.2020 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall, 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall SMG unter Herabsetzung des für verfallen erklärten Geldbetrages rechtskräftig verurteilt.

1.4.    Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz Baghlan aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Der Beschwerdeführer hat zumindest noch seine Mutter im Heimatdistrikt sowie eine Schwester in Kabul. Es ist nicht glaubwürdig, dass die beiden mit dem Schwager im Jahr 2017 geflohen seien und die Mutter an Corona verstorben wäre.

Der Beschwerdeführer kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und auch bei einer (alternativen) Ansiedelung in der Stadt Herat/Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat/Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat/Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Erstbefragung zur eigenen Wohnadresse im Herkunftsland ausdrücklich ein Viertel in Kabul nannte und erst später im Verfahren zu relativieren versuchte, er hätte sich nur zuletzt auf der Flucht dort aufgehalten und lediglich erkärt, seine Schwester lebe in Kabul.

1.5.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, letzte Kurzinformation vom 21.7.2020 (Auszug):

COVID-19 Stand 21.7.2020

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

Quellen:

-        AnA – Andolu Agency (19.7.2020): Turkey suspends Iran and Afghanistan flights, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/turkey-suspends-iran-and-afghanistan-flights-/1915627, Zugriff 20.7.2020

-        AnA – Andolu Agency (18.7.2020): Afghanistan: Virus cases hit low as testing declines, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/afghanistan-virus-cases-hit-low-as-testing-declines/1914895, Zugriff 20.7.2020

-        Arab News (10.7.2020): Coronavirus-hit Afghanistan gets $200 million World Bank grant, https://www.arabnews.com/node/1702656/world, Zugriff 20.7.2020

-        BBC – News (30.6.2020): Coronavirus overwhelms hospitals in war-ravaged Afghanistan, https://www.bbc.com/news/world-asia-53198785, Zugriff 20.7.2020

-        DS – Daily Sabah (19.7.2020): Turkey suspends flights to Iran, Afghanistan amid COVID-19 outbreak, https://www.dailysabah.com/business/transportation/turkey-suspends-flights-to-iran-afghanistan-amid-covid-19-outbreak, Zugriff 20.7.2020

-        FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (16.7.2020): Afghanistan Revised humanitarian response Coronavirus disease 2019 (COVID-19) May–December 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-revised-humanitarian-response-coronavirus-disease-2019-covid-19-may, Zugriff 20.7.2020

-        JHU - John Hopkins Universität (20.7.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 20.7.2020

-        Mangalorean (19.7.2020): Afghanistan launches new COVID-19 relief package, https://www.mangalorean.com/afghanistan-launches-new-covid-19-relief-package/, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (16.7.2020): Strategic Situation Report COVID-19, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Afghanistan%20-%20Strategic%20Situation%20Report%20-%20COVID-19%2C%20No.%2062%20%2816%20July%202020%29.pdf, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (15.7.2020): COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 15 July 2020, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/operational_sitrep_covid-19_15_july_2020.pdf, Zugriff 20.7.2020

-        OCHA – United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (8.7.2020): Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response Operational Situation Report, 8 July 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-covid-19-multi-sectoral-response-operational-situation-report-8-july, Zugriff 20.7.2020

-        PT – Pakistan Today (17.9.2020): Trade with Afghanistan increased 25pc despite Covid-19, NA told, https://profit.pakistantoday.com.pk/2020/07/17/trade-with-afghanistan-increased-25pc-despite-covid-19-na-told/, Zugriff 20.7.2020

-        RA KBL – Rechtsanwalt in Kabul (16.7.2020): Antwortschreiben, per Mail

-        TN – Tolonews (19.7.2020): Afghan Goods Enter India Through Wagah Border, https://tolonews.com/business/afghan-goods-enter-india-through-wagah-border, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (18.7.2020a): Afghan Govt Launches New COVID-19 Relief Package, https://tolonews.com/afghanistan/afghan-govt-launches-new-covid-19-relief-package, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (18.7.2020b): Health Ministry’s COVID-19 Strategy Questioned, https://tolonews.com/health/health-ministry%E2%80%99s-covid-19-strategy-questioned, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (12.7.2020): Afghanistan Faces Catastrophe if Health Measures Not Heeded: AIMA, https://tolonews.com/health/afghanistan-faces-catastrophe-if-health-measures-not-heeded-aima, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (14.7.2020): Herat Health Dept Warns of Second Wave of COVID-19, https://tolonews.com/afghanistan/herat-health-dept-warns-second-wave-covid-19, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolonews (20.7.2020): Turkey Suspends Flights to Afghanistan and Iran, https://tolonews.com/business/turkey-suspends-flights-afghanistan-and-iran, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolo News (5.4.2020): 300-Bed Hospital Opened for COVID-19 Patients in Herat, https://tolonews.com/health/300-bed-hospital-opened-covid-19-patients-herat, Zugriff 20.7.2020

-        TN – Tolo News (19.3.2020): Govt Builds 100-Bed Hospital in Herat for COVID-19 Patients, https://tolonews.com/health/govt-builds-100-bed-hospital-herat-covid-19-patients, Zugriff 20.7.2020

-        WB – World Bank (10.7.2020): World Bank: $200 Million for Afghanistan to Protect People, Support Businesses Amid COVID-19, https://reliefweb.int/report/afghanistan/world-bank-200-million-afghanistan-protect-people-support-businesses-amid-covid, Zugriff 20.7.2020

-        WFP – World Food Programme (15.7.2020): Afghanistan: Countrywide Weekly Market Price Bulletin, Issue 9 (Covering 2nd week of July 2020), https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-countrywide-weekly-market-price-bulletin-issue-9-covering-2nd-week, Zugriff 15.7.2020

-        WFP – World Food Programme (5.2020): WFP Afghanistan Country Brief May 2020, https://docs.wfp.org/api/documents/WFP-0000116792/download/, Zugriff 20.7.2020

-        WHO – World Health Organization (20.7.2020): Coronavirus disease (COVID-19) Dashboard, https://covid19.who.int/?gclid=EAIaIQobChMIjryr5qHb6gIVkakYCh3mbwOQEAAYASABEgIpyPD_BwE, Zugriff 20.7.2020

-        WHO – World Health Organization (o.D.): Afghanistan - Hospital and laboratory services http://www.emro.who.int/afg/programmes/hospital-and-laboratory-services.html, Zugriff 20.7.2020

-        UNICEF (19.4.2020): Female-headed households bear the brunt of Covid-19 as livelihood gaps increase, https://www.unicef.org/afghanistan/stories/female-headed-households-bear-brunt-covid-19-livelihood-gaps-increase, Zugriff 20.7.2020

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafü

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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