TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/12 W214 2203353-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.11.2020
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Entscheidungsdatum

12.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W214 2203353-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Perser, stellte am XXXX .11.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am selben Tag gab der Beschwerdeführer zunächst zu seinem Gesundheitszustand befragt an, dass er der Einvernahme problemlos folgen könne, er leide aber am Parkinson Syndrom, weshalb er Medikamente nehmen müsse. Zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er vor 20 Jahren erstmals auf das Christentum aufmerksam geworden sei. Er habe die Bibel gelesen, mit der Zeit sei sein Interesse immer größer geworden, nun habe er den Weg zu Jesus Christus, dem Retter gefunden. Im Iran würden Moslems, die zum Christentum konvertieren, misshandelt und zum Tode verurteilt, er sei aus Angst um sein Leben aus dem Iran geflüchtet. Im Iran sei er von staatlichen Organen mit dem Tod bedroht worden. Er sei nach Österreich gekommen, um hier seine Religion ausüben und ein sicheres Leben führen zu können.

Im Zuge der Erstbefragung legte der Beschwerdeführer seinen iranischen Reisepass im Original vor.

Am XXXX .06.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Kopie seines Staatsbürgerschaftsnachweises und seiner ID-Karte sowie seinen Führerschein vor. Weiters legte der Beschwerdeführer diverse medizinische Befunde des Krankenhauses XXXX aus 2017 und 2018 und ein Empfehlungsschreiben des Priesters Dr. habil. XXXX des Stiftes XXXX vom 10.06.2018 vor.

Befragt nach seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, dass er seit 12 oder 13 Jahren an Parkinson leide, er müsse ständig Medikamente einnehmen. Er sei im Iran von einem sehr guten Arzt medizinisch behandelt worden. Die Einvernahme könne aber durchgeführt werden.

Der Beschwerdeführer gab an, verheiratet zu sein, wobei seine Ehegattin sich derzeit im Nord-Iran versteckt halte. Die beiden hätten nicht genug Geld gehabt, dass auch sie nach Österreich kommen habe können. Er stehe jedoch mit ihr in Kontakt. In Österreich lebe sein Sohn als Asylwerber, es bestehe ein gemeinsamer Wohnsitz. Im Iran würden noch seine Geschwister leben. In Österreich gehe er keiner Erwerbstätigkeit nach, er sei schon im Pensionsalter.

Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er sich im Jahr 1974 in ein christliches Mädchen verliebt habe. Er habe mit diesem Mädchen oft über das Christentum gesprochen und gesehen, dass dieser Weg der Freundlichkeit, Liebe und Unterstützung der richtige Weg für ihn sei. Das, was er von ihr gelernt habe, habe er seiner Familie und Freunden erzählt, er habe sozusagen missioniert. Von diesem Zeitpunkt an hätten die Probleme mit seiner Familie, vor allem mit einer seiner Schwestern und einem seiner Brüder begonnen, die ihm gesagt hätten, dass er „murtat“ (ungläubig) geworden sei und aufgehängt werden müsse. Er habe auch an seinem Arbeitsplatz in der Bank mit Kunden und Angestellten über das Christentum gesprochen und deswegen Schwierigkeiten bekommen. Er habe einen „ganz kleinen“ Arbeitsplatz bekommen, sodass er beruflich nicht mehr weitergekommen sei. In der Bank sei er gehasst und bedroht worden, dass er „murtat“ sei und getötet werden müsse. Im Jahr 1978 sei er von der „Kumita“ (Geheimpolizei) aufgesucht worden, er habe sich für 48 Stunden versteckt, sodass sie ihn nicht habe finden können. Im Jahr 2000 sei er für zwei Wochen in eine Psychiatrie gebracht worden, ihm seien viele Medikamente verabreicht und er mit Strom bearbeitet worden. Das Krankenhaus habe ihm daraufhin eine Bestätigung ausgestellt, dass er arbeitsunfähig sei, woraufhin er von der Bank gekündigt worden sei. Auch seine Frau habe bei einer Bank gearbeitet, im Jahr 2002 sei sie ebenfalls festgenommen und 35 Tage in einer Einzelzelle im XXXX -Gefängnis festgehalten worden. Danach seien sie oft nur zu Hause geblieben, wenn sie rausgegangen seien, seien sie von Leuten beleidigt worden. Im selben Jahr habe er vom Stellvertreter der Geheimpolizei einen Anruf bekommen, dieser habe ihn bedroht, der Beschwerdeführer solle aufhören mit dem, was er mache.

Im Iran hätten sie jedes Jahr die Geburt von Jesus gefeiert und einen Baum und Geschenke gekauft. Im Jahr 2006 habe er seinen Sohn, er auch die Liebe von Jesus gefunden habe, nach Zypern geschickt. Er habe dort acht Jahre studiert und sei danach für ein Jahr in den Iran zurückgekehrt. Sie hätten eine Möglichkeit gesucht, dass er so schnell wie möglich den Iran wieder verlasse und sei dieser mit einem Visum nach Österreich gekommen. Danach habe der Beschwerdeführer den Iran verlassen.

Weiters wurden dem Beschwerdeführer einige Wissensfragen zum Christentum gestellt, die er teilweise korrekt beantworten konnte.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.) und setzte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Entscheidung (Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde stellte neben allgemeinen herkunftsbezogenen Länderfeststellungen und der Identität des Beschwerdeführers fest, dass er iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der persischen Volksgruppe sei. Er gehöre derzeit noch dem Islam an und wolle sich in Österreich taufen lassen, um der römisch-katholischen Kirche anzugehören. Im Iran habe er in der Stadt XXXX gelebt. Nicht festgestellt werden habe können, dass dem Beschwerdeführer im Iran als Sympathisant des Christentums staatliche Verfolgung gedroht habe. Ferner habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Iran verfolgt würde, weil er sich in Österreich taufen lassen wolle.

Es hätten weiters keine stichhaltigen Gründe festgestellt werden können, die gegen eine Rückkehr in den Iran sprechen würden, er habe im Iran mehrere nahe Verwandte, von denen er im Bedarfsfall Unterstützung erwarten könne, zu dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers werde festgestellt, dass dieser an Parkinson leide, nicht festgestellt werden habe könne, dass eine Rückkehr vor dem Hintergrund dieser Beeinträchtigung einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkomme.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer den Eindruck einer Scheinkonversion nicht habe ausräumen können, es sei ihm nicht gelungen, überzeugend dazulegen, weshalb man ihn im Iran für sein Interesse am Christentum nicht strafrechtlich belangen hätte können, obwohl es mehrere eindeutige Beweise (Gespräche mit Kunden in der Bank, jährliches Feiern des Weihnachtsfestes, die Bekanntschaft mit einem christlichen Mädchen) vorgelegen hätten. In diesem Zusammenhang sei auch nicht schlüssig gewesen, weshalb die Geschwister des Beschwerdeführers – mit welchen er kein gutes Auskommen gehabt hätte – ihn nicht bei den Behörden verraten hätten. Ferner sei nicht schlüssig gewesen, weshalb man dem Beschwerdeführer, einem angeblichen Regimefeind, einen Reisepass hätte ausstellen sollen, sodass ihm ein legales Verlassen des Iran möglich gewesen sei. Ebenfalls habe nicht nachempfunden werden können, weshalb der Beschwerdeführer nicht bereits in Schweden Ende 2015/2016 oder bei seinem erstmaligen Aufenthalt in Österreich im Februar 2016 um internationalen Schutz angesucht habe. Zudem sei für die belangte Behörde nicht erklärlich gewesen, weshalb der Beschwerdeführer den Iran nicht schon weit früher verlassen habe, hätten doch seine Probleme bereits in den 70er Jahren begonnen. Auffällig sei auch gewesen, dass der Beschwerdeführer nur oberflächlich Kenntnisse über das Wesen der römisch-katholischen Kirche aufweise, obwohl er ein mehrjähriges Bestreben, Christ zu werden, angegeben habe. Die Beschreibung über die innere Überzeugung, aus der heraus er sich für eine Konversion entschlossen habe, sei zu vage gewesen, um auf eine ernsthafte innere Überzeugung rückzuschließen.

Auch das Erfordernis der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde von der belangten Behörde verneint, im Fall des Beschwerdeführers seien keine Gründe ersichtlich, dass er im Falle einer Rückkehr in den Iran in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse einer lebensbedrohenden Gefährdung iSd Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt wäre. Der Beschwerdeführer könne auch im Iran medizinisch versorgt werden. Die aktuelle Lage im Iran stelle sich derzeit nicht so dar, dass bereits ein generelles Abschiebehindernis bzw. eine generelle Gefährdung aus Sicht der EMRK gegeben sei.

Da die Gründe für eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 nicht vorlägen, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen ebenfalls nicht erteilt.

Weiters erließ die belangte Behörde eine Rückkehrentscheidung und führte hierzu aus, dass diese trotz privater Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich (seit Oktober 2017 Aufenthalt in Österreich, Aufenthalt volljähriger Sohn, Besuch von Gottesdiensten und eines Taufkurses) zur Erreichung des Ziels des öffentlichen Interesses an der Außerlandesbringung und jenes, welches in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannt sei, gerechtfertigt sei.

Die Abschiebung in den Iran sei auch zulässig, da keine Hinderungsgründe des § 50 FPG vorlägen und habe die Ausreise des Beschwerdeführers binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides zu erfolgen (§ 55 FPG).

Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 08.08.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und führte (nach Wiederholung des Sachverhalts und des Vorbringens bei der Einvernahme vor der belangten Behörde) aus, dass ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorliege, da die belangte Behörde es verabsäumt habe, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt amtswegig zu ermitteln. Schon aus den Länderberichten der Staatendokumentation der belangten Behörde selbst gehe hervor, dass im Iran eine Konvertierung vom Islam zum Christentum streng geahndet werde. Der Beschwerdeführer habe konkret und mit Tatsachen belegt geschildert, was ihn zum Glaubenswechsel bewogen habe und ausführlich und emotional dargelegt, wie er auf das Christentum aufmerksam geworden sei. Die belangte Behörde verkenne in ihrer Würdigung, dass sich der Beschwerdeführer seit vielen Jahren mit dem christlichen Glauben beschäftigte und trotz der Bedrohungen im Iran nicht davon abgewichen sei. Zum Beweis dafür könne er seine Bibel in der Sprache Farsi aus dem Jahr 1983 im Original jederzeit vorlegen. Der Beschwerdeführer habe auch bereits im Iran Kirchen besucht. Die belangte Behörde könne – als theologischer Laie – kaum prüfen, ob ein Religionswechsel aus innerster Überzeugung erfolgt sei. In diesem Zusammenhang werde auf die bereits vorgelegte Bestätigung von Pastor Dr. habil. XXXX vom 10.06.2018 hingewiesen, die von der belangten Behörde komplett ungewürdigt geblieben sei, und dessen Einvernahme beantragt. Der Beschwerdeführer habe auch angegeben, dass er gemeinsam mit dem Priester bete, über christliche Themen diskutiere und über den Christlichen Glauben lehre. Die sprachlichen Unterscheide der religiösen Bezeichnungen der Feiertage könne dem Beschwerdeführer nicht zur Last gelegt werden. Auch die weitere Begründung der belangten Behörde für die Abweisung des Antrages sei nicht nachvollziehbar: Der Beschwerdeführer habe angegeben, im Iran nicht strafrechtlich verfolgt worden zu sein, da es für seine Konversion keine Beweise gegeben habe, weshalb ihm auch die Ausstellung eines Reisepasses nicht verweigert worden sei. Hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer näher befragt, hätte sie aufgrund seiner Angaben zu der Feststellung gelangten können, dass der Beschwerdeführer vermute, dass seine Geschwister dafür mitverantwortlich seien, dass er ins Visier der Geheimpolizei geraten sei. Die Frau des Beschwerdeführers halte sich im Iran versteckt, aus Geldmangel habe sie nicht mit ihm flüchten können. Der Beschwerdeführer sei im Jahr 2016 auch deswegen von Schweden wieder in den Iran zurückgekehrt, weil er seine Ehefrau in Sicherheit wissen habe wollen. Komplett unberücksichtigt habe die belangte Behörde auch den Umstand lassen, dass sich der Sohn des Beschwerdeführers in Österreich aufhalte und angegeben habe, dass die Familie kaum den muslimischen Glauben praktiziert habe und der Beschwerdeführer ihn mit einem Weihnachtsbaum überrascht habe.

4. Die Beschwerde wurde von der belangten Behörde – ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen – dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

5. Am 15.10.2018 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht eine ärztliche Bestätigung vom 11.10.2018 aus welcher hervorgeht, dass der Beschwerdeführer an Morbus Parkinson, Depressionen und Panikattacken leide und daher in regelmäßiger Behandlung sei.

6. Zum Beweis seiner Konversion zum Christentum legte der Beschwerdeführer am 07.11.2019 ein Schreiben des Erzbischofs XXXX , vom 31.01.2018 vor, in welchem dieser bestätigt, den Beschwerdeführer zu den Sakramenten der Eingliederung zugelassen zu haben sowie am 04.02.2019 seinen Taufschein vom XXXX .01.2019.

7. Am 19.03.2019 legte der Beschwerdeführer ein Empfehlungsschreiben der VHS XXXX vom selben Tag vor.

8. Mit Schreiben vom 25.11.2019 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX .09.2019, Zl. XXXX seinem Sohn der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei.

9. Am 30.09.2020 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, dessen rechtlicher Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi statt.

Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer seine Fluchtgeschichte inhaltlich gleichlautend wie in der Erstbefragung und vor der belangten Behörde an. Er habe sich bereits im Iran für das Christentum interessiert und habe deswegen Schwierigkeit vor allem seitens seines Bruders, seiner Schwester und seines Arbeitgebers bekommen.

In Österreich habe er nach seiner Ankunft begonnen, die Kirche in XXXX zu besuchen. Der Beschwerdeführer gehe regelmäßig samstags zu den Gottesdiensten der genannten katholischen Kirche, sonntags gehe er in den XXXX . Überdies helfe er in der Kirche auch beim Putzen und beim Aufräumen. Er lese regelmäßig die Bibel, bete und versuche auch andere Menschen vom christlichen Glauben zu überzeugen.

Dem Beschwerdeführer wurden weiters einige Wissensfragen zum Christentum gestellt, welche er zu einem großen Teil korrekt beantworten konnte.

In der mündlichen Verhandlung wurde auch der Pastor der Kirche XXXX , Dr. habil. XXXX , als Zeuge einvernommen. Dieser gab an, den Beschwerdeführer aus der Katechese-Bibel-Gruppe, die sich jeden Samstag treffe, zu kennen. Wahrscheinlich sei der Beschwerdeführer vor Februar 2018, vielleicht auch schon Ende 2017, zur Kirche gekommen. Der Zeuge habe den Beschwerdeführer auch auf die Taufe vorbereitet, wobei dieser auch nach der Taufe weiterhin zur Bibelgruppe gekommen sei. Nach dem Besuch eines etwa einjährigen Taufvorbereitungskurses sei der Beschwerdeführer getauft worden. Der Beschwerdeführer sei regelmäßig in der Bibelrunde sowie in den Messen der „ XXXX “ in der Kapelle des XXXX anwesend, lese Bibelstellen vor und beteilige sich auch aktiv an Diskussionen. Brüche in der Entwicklung habe es beim Beschwerdeführer hingegen nicht gegeben.

Weiters wurde in der mündlichen Verhandlung XXXX , als Zeuge einvernommen. Er führte aus, den Beschwerdeführer im März 2018 kennengelernt zu haben. Der Beschwerdeführer sei immer beim Religionsunterricht bzw. bei Katechumenat in XXXX gewesen und weiters habe sich der Beschwerdeführer öfters mit dem Zeugen in Glaubensfragen ausgetauscht und halte ihn für einen gläubigen Menschen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang wird als maßgeblich festgestellt.

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der persischen Volksgruppe. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und das im Spruchkopf genannte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist verheiratet, hat zwei volljährige Kinder und war im Iran zuletzt in der Stadt XXXX wohnhaft. Er hat im Iran bis zum Jahr 2000 als Bankangestellter gearbeitet, danach wurde er für arbeitsunfähig erklärt.

Der Beschwerdeführer ist am XXXX .10.2017 legal im Besitz eines Visums mit dem Flugzeug in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am XXXX .11.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Im Herkunftsstaat leben noch die Ehefrau, die Tochter und die Geschwister des Beschwerdeführers. Die Ehefrau des Beschwerdeführers hält sich aktuell in der Stadt XXXX in der Provinz XXXX auf; der Beschwerdeführer steht mit ihr in Kontakt. Zu seiner Tochter hingegen hat er keinen Kontakt.

In Österreich lebt der volljährige Sohn des Beschwerdeführers, XXXX , geb. XXXX , welchem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX .09.2019, Zl. XXXX wegen seiner Konversion der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Die religiösen Aktivitäten des Sohnes sind teilweise über soziale Netzwerke verbreitet worden. Der Beschwerdeführer lebt mit seinem Sohn in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt und ist auf seine Hilfe angewiesen.

Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Seit der Antragstellung befand sich der Beschwerdeführer lediglich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes.

Der Beschwerdeführer leidet an Morbus Parkinson, Depressionen und Panikattacken. Im Iran wurde er aufgrund seiner Parkinson-Krankheit medizinisch behandelt.

Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse auf A2 Niveau besucht.

Als maßgeblich wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer ursprünglich muslimisch-schiitischen Glaubens war und zum Christentum konvertiert ist.

Der Beschwerdeführer hat bereits im Iran über eine armenische Christin, die er heiraten wollte, Interesse am Christentum entwickelt und später mit seinem Sohn zu Hause auch christliche Feste gefeiert. Der Beschwerdeführer wurde aufgrund seiner Geisteshaltung und (jedenfalls vermeintlichen) religiösen Einstellung von seinen Arbeitskollegen und Vorgesetzten und seinen Geschwistern angefeindet.

In Österreich hat der Beschwerdeführer nach seiner Ankunft begonnen die katholische Kirche XXXX zu besuchen. Er hat dort ca. ein Jahr lang einen Glaubens-/Taufvorbereitungskurs absolviert und wurde in der Folge am XXXX .01.2019 getauft. Der Beschwerdeführer besucht regelmäßig den Gottesdienst sowie den Bibelkurs, nimmt an religiösen Veranstaltungen teil, hilft beim Putzen und beim Aufräumen in der Kirche. Zudem spricht er täglich persönliche Gebete, liest regelmäßig die Bibel und tauscht sich mit anderen Menschen über das Christentum aus.

Der Beschwerdeführer ist vom christlichen Glauben überzeugt. Er hätte das Bedürfnis, den christlichen Glauben auch bei seiner Rückkehr in den Iran innerlich und äußerlich auszuleben. Im Falle einer Rückkehr in den Iran wäre der Beschwerdeführer aufgrund seiner Eigenschaft als mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Verhaftung und Folter durch die iranischen Behörden ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Es liegen keine Asylausschlussgründe vor.

1.2 Zur hier relevanten Situation im Iran

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran, Stand 19.06.2020

1. Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 2.2020a; vgl. BTI 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wieder gewählt (ÖB Teheran 10.2019). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 2.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2019). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 2.2020a). Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten (ÖB Teheran 10.2019), drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a, FH 4.3.2020, BTI 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2.2020). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 2.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 2.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 2.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahekommen (GIZ 2.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (ÖB Teheran 10.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (4.3.2020a): Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (4.3.2020b): Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

- DW – Deutsche Welle (23.2.2020): Konservative siegen bei Parlamentswahl im Iran, https://www.dw.com/de/konservative-siegen-bei-parlamentswahl-im-iran/a-52489961, Zugriff 7.4.2020

- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (2.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 7.4.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020

- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

2. Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 4.5.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 4.5.2020; vgl. AA 4.5.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 4.5.2020b).

In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.5.2020). In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 4.5.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 4.5.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.5.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 4.5.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 4.5.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (4.5.2020b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 4.5.2020

- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.5.2020): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 4.5.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 4.5.2020

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2019). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer Situation befassen, dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ für schuldig erklären (US DOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 7.4.2020

- AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 7.4.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 7.4.2020

- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020

- HRC – UN Human Rights Council (28.1.2020): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/43/61], https://undocs.org/en/A/HRC/43/61, Zugriff 8.4.2020

- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022677.html, Zugriff 7.4.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020

- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

4. Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (US DOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2019).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BTI 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2020).

Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 11.3.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger, nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierender Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 10.2019).

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

- DIS – Danish Immigration Service (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 14.5.2020

- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 7.4.2020

- DW – Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft, http://www.dw.com/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802, Zugriff 7.4.2020

- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020

- Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden, https://www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsgarden/, Zugriff 7.4.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020

- Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revolutionsgarden-so-viel-macht-haben/19907934.html, Zugriff 7.4.2020

- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

5. Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020, DIS 7.2.2020). Dies betrifft vorrangig nicht registrierte Gefängnisse, aber auch „offizielle“ Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht (AA 26.2.2020; vgl. US DOS 11.3.2020). Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt (AI 18.2.2020; vgl. US DOS 13.3.2019, FH 4.3.2020). Zahlreiche Personen wurden wegen Diebstahls oder Überfällen zu Peitschenhieben verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. Beteiligung an friedlichen Protesten, außereheliche Beziehungen, Alkoholkonsum oder Teilnahme an Feiern, bei denen sowohl Frauen als auch Männer anwesend waren. (AI 18.2.2020).

Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 10.2019). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, manchmal während die Häftlinge mit dem Kopf nach unten an der Decke aufgehängt waren, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen (davon wissen praktisch alle politischen Gefangene aus eigener Erfahrung zu berichten), Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, und die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 12.2018; vgl. US DOS 11.3.2020).

Folter und andere Misshandlungen passieren häufig in der Ermittlungsphase (HRC 8.2.2019; vgl. DIS 7.2.2020), um Geständnisse zu erzwingen. Dies betrifft vor allem Fälle von ausländischen und Doppelstaatsbürgern, Minderheiten, Menschenrechtsverteidigern und jugendlichen Straftätern (HRC 8.2.2019). Obwohl unter Folter erzwungene Geständnisse vor Gericht laut Verfassung unzulässig sind, legt das Strafgesetzbuch fest, dass ein Geständnis allein dazu verwendet werden kann, eine Verurteilung zu begründen, unabhängig von anderen verfügbaren Beweisen (HRC 8.2.2019; vgl. HRC 28.1.2020). Es besteht eine starke institutionelle Erwartung, Geständnisse zu erzielen. Dies wiederum ist einem fairen Verfahren nicht dienlich (HRC 8.2.2019; vgl. HRW 14.1.2020, HRC 28.1.2020). Frühere Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 4.3.2020).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Repub

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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