Entscheidungsdatum
17.11.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W220 2236160-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Äquatorialguinea, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.09.2020, Zl. 1044752906/200029966:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Republik Äquatorialguinea, wurde am 08.01.2020 im Rahmen eines Auslieferungsverfahrens von Spanien nach Österreich überstellt, in Österreich aufgrund einer gegen ihn bestehenden Festnahmeanordnung festgenommen und in eine Justizanstalt verbracht; am 09.01.2020 wurde über den Beschwerdeführer in Österreich die Untersuchungshaft verhängt.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX .02.2020, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs gemäß §§ 146, 148 2. Fall und 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vierundzwanzig Monaten verurteil.
Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit in einer österreichischen Justizanstalt in Strafhaft.
Mit schriftlicher Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 08.06.2020 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit, dass beabsichtigt sei, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot zu erlassen, da die Annahme gerechtfertigt sei, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde bzw. öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Der Beschwerdeführer wurde zur Beantwortung näher angeführter Fragen aufgefordert und ihm Gelegenheit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung dieser Verständigung gegeben.
Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 09.09.2020, Zl. 1044752906/200029966, erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Äquatorialguinea zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt V.); einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Österreich weder beruflich noch sozial integriert sei, keine Angehörigen in Österreich habe und sein Lebensmittelpunkt zu keinem Zeitpunkt im österreichischen Bundesgebiet gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei in Österreich zweimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt worden (mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsahcen XXXX vom XXXX .04.2015 wegen Urkundenfälschung, Fälschung besonders geschützter Urkunden und betrügerischem Datenverarbeitungsmissbrauch zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten, davon zehn Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, sowie mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX .02.2020 wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von vierundzwanzig Monaten) und befinde sich seit 09.01.2020 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Der Beschwerdeführer verfüge über keinen Aufenthaltstitel in Österreich. Er verfüge über einen Aufenthaltstitel für Spanien, der ihn zwar zu einem dreimonatigen Aufenthalt zu touristischen Zwecken berechtigen würde, der Beschwerdeführer sei allerdings von den spanischen Behörden nach Österreich ausgeliefert worden und sei der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich unrechtmäßig, da er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Zufolge der Feststellungen liege eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor und sei die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit jedenfalls erforderlich, um den gesetzmäßigen Zustand herzustellen. Der Beschwerdeführer verfüge über keine Bindungen zu Österreich und liege im Fall des Beschwerdeführers eine Qualifikation vor, die dazu führe, dass ein Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum (außer Spanien) auf die Dauer von zehn Jahren erlassen würde, da der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2015 wegen einer ähnlich gelagerten Straftat von einem österreichischen Gericht rechtskräftig verurteilt worden sei.
Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.09.2020, Zl. 1044752906/200029966, wurde fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht in vollem Umfang erhoben, wobei begründend zusammengefasst ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer sich seit dem Jahr 2010 in Spanien befinde und dort einen Aufenthaltstitel habe; in Spanien würden sich auch die Ehefrau, die zwei Kinder und die Mutter des Beschwerdeführers aufhalten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe eine Einvernahme des Beschwerdeführers unterlassen und dadurch das Verfahren mit Mängeln belastet. Eine besonders gravierende Ermittlungslücke ergebe sich, da der persönliche Eindruck ein wesentlicher Aspekt für die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Rahmen der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes vorzunehmende Gefährdungsprognose sei. Hätte die Behörde die Einvernahme nicht unterlassen, wäre sie zu dem Schluss gekommen, dass der Beschwerdeführer in Spanien über ein schützenswertes Privatleben verfüge und hätte das schützenswerte Familienleben des Beschwerdeführers in Spanien mit seinen Familienmitgliedern, welche spanische Staatsangehörige seien, geprüft werden müssen. Der Beschwerdeführer habe angesucht, seine Strafe in Spanien verbüßen zu dürfen, was laut den beigefügten Unterlagen zumindest möglich sei. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hätte gemäß § 52 Abs. 6 FPG den Beschwerdeführer vorrangig dazu anweisen müssen, sich nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe in das Hoheitsgebiet von Spanien zu begeben; nur, wenn der Beschwerdeführer dieser Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen wäre, wäre die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gerechtfertigt gewesen. Im Fall des Beschwerdeführers sei nicht davon auszugehen, dass seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich wäre. Es würde angeregt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei erforderlich.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A):
1.1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend, wie folgt, festgehalten (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063):
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) und dazu festgehalten, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 haben das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
1.2. Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus den folgenden Gründen als mangelhaft:
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte fest, dass der Beschwerdeführer über einen spanischen Aufenthaltstitel verfüge, unterließ jedoch ungeachtet dessen jegliche Ermittlungen hinsichtlich in Spanien bestehender privater und familiärer Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers, sondern hielt lediglich fest, dass der Beschwerdeführer über keine Bindungen zu Österreich verfüge und zu keiner Zeit seinen Lebensmittelpunkt im österreichischen Bundesgebiet gehabt habe. Angesichts der sich aus dem Akteninhalt ergebenden Anhaltspunkte für Bindungen des Beschwerdeführers nach Spanien – so insbesondere das Vorliegen eines der eigenen Einschätzung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl „längerfristigen“ Aufenthaltstitels in Spanien (AS 101), des Wohnsitzes des Beschwerdeführers in Spanien (AS 73) und des sich aus dem dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelten Haftmeldezettel ergebenden Familienstandes „verheiratet“ des Beschwerdeführers (AS 5) – wäre das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jedenfalls angehalten gewesen, bezüglich der Bindungen des Beschwerdeführers nach Spanien Ermittlungen zu tätigen, was es jedoch zur Gänze unterlassen hat. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den Beschwerdeführer weder einvernommen noch im Rahmen der dem Beschwerdeführer zur schriftlichen Beantwortung übermittelten Fragen zur Beurteilung des Sachverhaltes im Licht der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers den Beschwerdeführer zur Darlegung seiner Lebensumstände in Spanien aufgefordert. Im angefochtenen Bescheid setzte sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausschließlich mit dem Aufenthalt des Beschwerdeführers auseinander, ohne Feststellungen zu allfälligen Bindungen des Beschwerdeführers nach Spanien zu treffen und diese in die Beurteilung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes gegen den Beschwerdeführer miteinzubeziehen.
Dabei ist festzuhalten, dass Bindungen in einen anderen „Schengen-Staat“ der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes durch Österreich nicht grundsätzlich im Wege stehen. Das gilt insbesondere auch aus unionsrechtlichem Blickwinkel, und zwar sogar dann, wenn der Fremde über einen Aufenthaltstitel des anderen „Schengen-Staates“ verfügt (siehe zu einer derartigen Konstellation und den sich aus Art. 25 SDÜ ergebenden Implikationen EuGH 16.01.2018, E, C-240/17). Den erwähnten familiären Bindungen ist jedoch dadurch Rechnung zu tragen, dass die bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes zu beantwortende Frage nach einem – zulässigen – Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden darf, sondern dass auch die Situation in dem anderen Schengen-Staat in den Blick zu nehmen ist (siehe aus jüngerer Zeit VwGH vom 20.12.2018, Ra 2018/21/0236; VwGH vom 03.07.2018, Ro 2018/21/0007, Rn. 10, mit Hinweis auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237, VwSlg. 18.295 A, Punkt 3. der Entscheidungsgründe).
Dies hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterlassen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat weiters im Hinblick auf den spanischen Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers keinerlei Begründung vorgenommen, weshalb die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gemäß § 52 Abs. 6 FPG erforderlich ist, sondern lediglich im Rahmen der rechtlichen Beurteilung den betreffenden Teil der Bestimmung des § 52 Abs. 6 FPG fett gedruckt.
Auch bei der Beurteilung der (inhaltsgleichen) Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG beschränkte sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl darauf, diese Voraussetzungen als erfüllt anzusehen, indem es den Tatbestand als gegeben annahm (AS 182), beweiswürdigend jedoch lediglich ohne nähere Begründung festhielt, dass aufgrund der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und der Gefahr der Vereitelung der weiteren behördlichen Maßnahmen die Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich dringend erforderlich sei (AS 185).
Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.08.2020, Ra 2020/21/0172) genügt es für diese Annahme nicht, auf eine – die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende – Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort – ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens – zu erfolgen hat. Dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich gewesen sind (vgl. zuletzt VwGH 28.05.2020, Ra 2020/21/0128, Rn. 18, mwN; siehe in diesem Sinn auch zu § 52 Abs. 6 FPG den Beschluss VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007, Rn. 11). Es kommt in diesem Zusammenhang auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinne des Art. 7 Abs. 4 bzw. Art. 6 Abs. 2 Rückführungs-RL an, also darauf, ob das persönliche Verhalten des betreffenden Drittstaatsangehörigen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu EuGH 11.06.2015, Zh. und O., C-554/13, Rn. 50 ff, insbesondere auch Rn. 60, und darauf Bezug nehmend EuGH 16.01.2018, E, C-240/17, Rn. 48 ff). Zur inhaltsgleichen Gefährdungsprognose nach § 67 Abs. 1 FPG judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dabei sei das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die (jeweils) anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei sei nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa VwGH 28.05.2020, Ra 2019/21/0325, Rn. 12, mwN).
Auch hinsichtlich des verhängten Einreiseverbotes bzw. der im Rahmen dessen vorzunehmenden Gefährlichkeitsprognose hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Anforderungen nicht entsprochen, indem es außer der Tatsache der wiederholten (zweimaligen) einschlägigen Verurteilung des Beschwerdeführers zu Freiheitsstrafen im genannten Ausmaß nur noch abstrakt festhielt, dass aus dem Gesamtverhalten des Beschwerdeführers ein Muster erkannt werden könne, welches zeige, dass er kein Interesse habe, die Gesetze Österreichs zu respektieren. Die neuerliche Verurteilung des Beschwerdeführers zeige, dass bei ihm der Zweck einer Verurteilung im Hinblick auf eine positive Zukunftsprognose nicht erfüllt sei (AS 183f). Dem Bescheid ist insbesondere keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung mit den Strafurteilen zu entnehmen, weder mit den vom Strafgericht jeweils angenommenen Milderungs- und Erschwerungsgründe noch den jeweiligen Tathandlungen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat daher im fortgesetzten Verfahren unter Beachtung der oben getätigten Ausführungen Ermittlungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Spanien durchzuführen sowie konkrete Feststellungen diesbezüglich und eine Abwägung iSd Art. 8 EMRK zu treffen. Auch sind weitere Beziehungen in den Staaten, für die die Rückführungsrichtlinie gilt, in den Blick zu nehmen (siehe dazu VwGH vom 30.6.2015, 2015/21/0002-14).
Vor diesem Hintergrund wird dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unter Verwendung und Beachtung aktueller Länderfeststellungen die Prüfung einer Rückkehrentscheidung und Abschiebung möglich sein. Im Falle einer beabsichtigten Rückkehrentscheidung sind auch die Voraussetzungen des § 52 Abs. 6 FPG zu prüfen.
Zur Erstellung einer Gefährlichkeitsprognose wird das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl alle zur Person des Beschwerdeführers vorliegenden Gerichtsurteile in die Persönlichkeitsanalyse miteinzubeziehen und alle Umstände, die es in seiner Prognose berücksichtigt, in der Begründung klar auszuweisen haben.
Unter den genannten Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes unerlässlich sind.
Damit hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen sowie daraus resultierende Feststellungen zum größten Teil gänzlich unterlassen und stützt seine Annahmen im Wesentlichen auf Spekulationen bzw. erklärt nicht, wie es zu seinen Feststellungen gelangt. Diese Ermittlungen müssten nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden.
In Anbetracht dieser Verfahrensmängel kann a priori auch nicht ausgeschlossen werden, dass bei Vermeidung der genannten Verfahrens- bzw. Ermittlungsmängel in der Sache ein anderes, für den Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können.
Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten kann auch ausgeschlossen werden, dass zur Behebung der Mängel (lediglich) „ergänzende“ Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen wären (vgl. etwa VwGH 15.11.2018, Zl. Ra 2018/19/0268-9).
Eine Nachholung des – infolge einer amtswegigen Einleitung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl – durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil eine ernsthafte Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
1.3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der gegenständliche Bescheid aufzuheben ist, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an die belangte Behörde ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Aufenthaltstitel Einreiseverbot Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Mitgliedstaat StraffälligkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W220.2236160.1.00Im RIS seit
21.01.2021Zuletzt aktualisiert am
21.01.2021