TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/19 W250 2158739-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.11.2020
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Entscheidungsdatum

19.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W250 2158739-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.04.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 09.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er im Iran gelebt habe und sein Vater erkrankt sei. Der Beschwerdeführer habe im Iran nicht arbeiten können und habe als Afghane Probleme mit den iranischen Behörden bekommen, weshalb er ausgereist sei. Zudem gäbe es im Iran keine Schulen und Unis. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte der Beschwerdeführer um sein Leben, weil dort Krieg herrsche.

3. Am 14.10.2016 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass die Lebensbedingungen im Iran als Afghane sehr schwierig gewesen seien. Sein Vater sei ein religiöser Mann, weshalb dieser den Beschwerdeführer für den Krieg in Syrien gemeldet habe. Da der Beschwerdeführer von seiner Mutter gewarnt worden sei und nicht in den Krieg habe ziehen wollen, habe er den Iran verlassen. In Afghanistan würde er wegen seiner Sprache auffallen und habe niemanden an den er sich wenden könne. Zudem würden junge Männer in Afghanistan vergewaltigt werden. In Österreich lebe er in Freiheit und Sicherheit und könne sich kleiden wie er wolle sowie die Schule besuchen.

4. Mit Schreiben vom 21.10.2016 nahm der Beschwerdeführer Stellung zur Sicherheitslage in Afghanistan.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.) und erkannte dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.)

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen konnte, dass er in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sei.

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass es das Bundesamt unterlassen habe das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers mit der gebotenen Tiefe zu ermitteln und den Beschwerdeführer zu seiner westlichen Einstellung und politischen Gesinnung zu befragen. Zudem würden aktuelle und detaillierte Berichte zur tatsächlichen Lage von Hazara fehlen. Dem Beschwerdeführer drohe in Afghanistan eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der schiitischen Hazara. Der Beschwerdeführer fürchte bei seiner Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban getötet zu werden. Ihm drohe eine Verfolgung auch wegen seiner offensichtlichen, westlichen Orientierung. Er wäre aufgrund seines Äußeren, seinem iranischen Akzent und weil er sich als wenig religiös bezeichne zudem einer Verfolgung aufgrund unterstellter politischer und/oder religiöser Gesinnung ausgesetzt.

7. Zu der am 26.04.2019 anberaumten mündlichen Verhandlung ist der Beschwerdeführer unentschuldigt nicht erschienen. Aufgrund von Wohnsitzerhebungen wurde ein Verfahren zur amtlichen Abmeldung von seiner Meldeadresse eingeleitet. Zur amtlichen Abmeldung kam es jedoch nicht, da Erhebungen der Meldebehörde ergeben haben, dass der Beschwerdeführer an seiner Meldeadresse wohnt.

8. Mit Parteiengehör vom 05.03.2020 wurde dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt vom 13.11.2019 sowie die EASO Guidance Afghanistan aus Juni 2019 zur Stellungnahme übermittelt.

Der Beschwerdeführer gab mit Schreiben vom 11.03.2020 an, dass er weder eine Ladung noch die Abschrift des Verhandlungsprotokolls erhalten habe, obwohl er stets an derselben Adresse aufhältig sowie aufrecht gemeldet gewesen sei und seine Post regelmäßig kontrolliere. Es wurde deshalb um neuerliche Anberaumung einer mündlichen Verhandlung ersucht.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.10.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und im Beisein des Vertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Der Vertreter des Beschwerdeführers legte in der Beschwerdeverhandlung eine schriftliche Stellungnahme vor, in der vorgebracht wurde, dass afghanische Rückkehrer, die noch nie in Afghanistan gelebt haben, häufig schikaniert würden und ihnen willkürliche Inhaftierung drohe. Rückkehrer seien auch überproportional von Gewalt und Raub betroffen, weil sie keine ausreichenden lokalen Verbindungen hätten. Der Beschwerdeführer sei ein weltoffener Mann, der in einer Weise lebe und auch weiterhin zu leben beabsichtige, die jedenfalls nicht mit den traditionell-konservativen Wertvorstellungen und Vorschriften in Afghanistan übereinstimmen und in Afghanistan nicht (ohne Übergriffe) akzeptiert werden würde. Dem Beschwerdeführer drohe daher Verfolgung wegen unterstellter Abkehr vom Islam, welche auch staatlich geahndet und bestraft werden könne. Dem Beschwerdeführer drohe auch strafrechtliche Verfolgung wegen unterstellter Abkehr vom Islam.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der nunmehr volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer spricht Farsi als Muttersprache (AS 1, 111; Protokoll vom 30.10.2020 = OZ 19, S. 2, 6).

Der Beschwerdeführer wurde in XXXX in der Stadt XXXX im Iran geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen fünf Schwestern aufgewachsen. Der Beschwerdeführer hat drei Jahre lang die Schule besucht und hat jahrelang als Maurer gearbeitet (AS 111; OZ 19, S. 6 f).

Die Eltern und Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor in XXXX , im Iran. Eine Schwester des Beschwerdeführers ist verstorben. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie im Iran (OZ 19, S. 7).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Der Beschwerdeführer wurde nicht von seinem Vater aufgefordert am Krieg in Syrien teilzunehmen. Der Vater des Beschwerdeführers hat im Iran keine Handlungen gesetzt um die Teilnahem des Beschwerdeführers am Krieg in Syrien vorzubereiten. Der Beschwerdeführer hat nicht an Kampfhandlungen in Syrien teilgenommen.

1.2.2. Weiters droht dem Beschwerdeführer aufgrund seiner ethnisch-religiösen Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara keine konkrete und individuelle physische oder psychische Gewalt in Afghanistan. Angehörige der Religionsgemeinschaft der Schiiten oder der Volksgruppe der Hazara sind in Afghanistan allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit keiner physischen und/oder psychischen Gewalt ausgesetzt.

1.2.3. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht die Gefahr, als Tanzjunge missbraucht zu werden. Der Beschwerdeführer ist nicht homosexuell.

1.2.4. Der Beschwerdeführer wuchs als Angehöriger der muslimischen Religion schiitischer Ausrichtung auf, ist allerdings gegenwärtig wenig religiös interessiert. Der Beschwerdeführer ist – abgesehen von seinem geringen religiösen Interesse – nicht vom Islam abgefallen, geht aktiv keiner anderen (neuen) religiösen Überzeugung nach bzw. tritt nicht religionsfeindlich oder gar spezifisch gegen den Islam auf.

Der Beschwerdeführer wäre aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils, seines geringen religiösen Interesses oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt ausgesetzt. Afghanischen Staatsangehörigen, die aus dem Iran bzw. Europa nach Afghanistan zurückkehren, droht in Afghanistan allein aufgrund ihres Aufenthaltes außerhalb Afghanistans keine psychische und/oder physische Gewalt.

1.2.5. Der Beschwerdeführer verließ den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort aufhältige Afghanen. Der Beschwerdeführer hat im Iran keine Handlungen gesetzt, die ihn in Afghanistan einer Verfolgungsgefahr aussetzen.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 13.11.2019 mit Kurzinformation vom 21.07.2020 (LIB),

-        UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-         EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO),

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan – Rechtliches Vorgehen der afghanischen Behörden gegen ehemalige afghanische Kämpfer im Krieg in Syrien, Informationen zu „Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami“ wie auch den „Sepah-e Qods“ vom 26.03.2019 (Kämpfer in Syrien)

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan – Nichtausübung des Islam und Apostasie vom 25.10.2018 (Nichtausübung Islam)

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan – Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan vom 12.07.2017 (Christen, Konvertiten, Abtrünnige)

- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa (jeweilige rechtliche Lage, staatliche und gesellschaftliche Behandlung, Diskriminierung, staatlicher bzw. rechtlicher Schutz bzw. Schutz durch internationale Organisationen, regionale Unterschiede, Möglichkeiten zur Ausübung des christlichen Glaubens, Veränderungen hinsichtlich der Lage der christlichen Gemeinschaft) vom 01.06.2017 (Apostasie)

- ACCORD – Afghanistan: Apostasie, Blasphemie, Konversion, Verstoß gegen islamische Verhaltensregeln, gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa, 15.06.2020 (Rückkehrer aus Europa)

- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage von Personen, die vom islamischen Glauben abgefallen sind, von KonvertitInnen, von Personen, die sich nicht an islamische Regeln halten und von Personen, die öffentlich Kritik am Islam üben: Behandlung durch Gesellschaft und Staat; Möglichkeiten zur Ausübungen christlicher Religion; Veränderungen hinsichtlich der Lage von ChristInnen; Gesellschaftliche Wahrnehmung von RückkehrerInnen aus Europa vom 15.06.2020

- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation für AfghanInnen (insbesondere Hazara), die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben und dann nach Afghanistan kommen (u.a. mögliche Ausgrenzung oder Belästigungen); Verhalten der Taliban gegenüber Hazara, die aus dem Iran zurückkehren vom 12.06.2015

1.3.1. Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 4).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen (LIB, Kapitel 2).

1.3.2. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 16).

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen ist. Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (LIB, Kapitel 16.3).

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre turko-mongolide Physiognomie, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (Dossier der Staatendokumentation Grundlage der Stammes- und Clanstruktur).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB, Kapitel 16.3).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (LIB, Kapitel 16.3).

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (LIB, Kapitel 16.3).

1.3.3. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten und c.a 10 – 19% Shiiten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15, 15.1).

1.3.3.1. Schiiten

Die Schiiten Afghanistans sind mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch existieren lokale Diskriminierungsfälle (LIB Kapitel 15.1).

In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt. Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt. Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (LIB Kapitel 15.1).

1.3.3.2. Apostasie (Abfall vom Islam)

Es gibt viele Personen die freitags nicht beten oder während des Ramadans nicht fasten. Dies ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten. Für das Nichtbeten des Freitagsgebetes werden solche Personen nicht bestraft und von den staatlichen Behörden nicht angewiesen, dies zu tun. Für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden bzw. die Gesellschaft dem Nichtfastenden-des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt dies als kleine Vergehen (Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan, S. 5f).

Für gebürtige Muslime ist ein Leben in der afghanischen Gesellschaft möglich, ohne, dass sie den Islam praktizieren würden und auch dann, wenn sie Apostaten oder Konvertiten sind. Solche Personen sind dann in Sicherheit, wenn diese Stillschweigen bewahren. Es kann zu einer Gefährdung kommen, wenn öffentlich bekannt wird, dass diese aufgehört haben an den Islam zu glauben (Apostasie, S. 7).

Apostasie und Blasphemie stellen Kapitalverbrechen dar, bei denen Todesstrafe droht. In beiden Fällen haben die Betroffenen vor Gericht drei Tage Zeit um ihre "Tat" zu widerrufen (Apostasie, S. 14).

1.3.4. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.3.5. Rückkehrer

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 22).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 22).

Rückkehrer werden nicht allein aufgrund der Tatsache ins Visier genommen, dass sie aus dem Westen zurückgekehrt sind. Anschuldigungen zu einem Aufenthalt im Westen könnten jedoch als Vorwurf instrumentalisiert werden, wenn eine Person aus anderen Gründen ins Visier genommen werde oder Gerüchte gestreut würden. Um tatsächlich als verwestlicht zu wirken, müsse sich eine Person schon sehr sichtbar und hörbar darum bemühen, anders zu wirken und richtgehend Anstrengungen unternehmen als verwestlicht zu gelten. In ländlichen Gegenden falle eine Person, die sich den lokalen Gepflogenheiten und Bräuchen nicht anzupassen bemühe, umso mehr auf (Rückkehrer aus Europa, S. 19 f).

1.3.6. Bacha Bazi

Eine in Afghanistan praktizierte Form der Kinderprostitution ist Bacha Bazi (sog. „Tanzjungen“ auch „Knabenspiel“), was in der afghanischen Gesellschaft in Bezug auf Jungen nicht als homosexueller Akt erachtet und als Teil der gesellschaftlichen Norm empfunden wird. Bacha Bazi ist eine Praxis, bei der Buben von reichen oder mächtigen Männern zur Unterhaltung, insbesondere Tanz und sexuellen Handlungen, ausgebeutet werden. In weiten Teilen Afghanistans bleibt der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird gewöhnlich unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten verschwiegen oder verharmlost. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen ist durch das afghanische Gesetz unter Strafe gestellt, die strafrechtliche Verfolgung scheint nur in Einzelfällen stattzufinden. Mit einer Ergänzung zum Strafgesetz, die am 14. Februar 2018 in Kraft trat, wurde ausdrücklich auch die Bacha Bazi-Praxis erstmalig explizit unter Strafe gestellt, aber auch hier verläuft die Durchsetzung des Gesetzes nur schleppend und Straflosigkeit der Täter ist weiterhin verbreitet (LIB Kapitel 17.2).

Üblicherweise sind die Buben zwischen zehn und 18 Jahren alt; viele von ihnen werden weggeben, sobald sie erste Anzeichen eines Bartes haben. Viele der Buben wurden entführt, manchmal werden sie auch von ihren Familien aufgrund von Armut an die Täter verkauft. Manchmal sind die Betroffenen Waisenkinder und in manchen Fällen entschließen sich Buben, Bacha Bazi zu werden, um ihre Familien zu versorgen (LIB Kapitel 17.2).

1.3.7. Afghanische Kämpfer im Krieg in Syrien

Seit Beginn des Syrienkonflikts wurden schiitische Afghanen, welche durch die iranischen Revolutionsgarde im Iran rekrutiert worden sind oder sich mehr oder weniger „freiwillig“ zum Fronteinsatz in Syrien meldeten, nach dem Durchlaufen einer kurzen militärische Ausbildung, nach Syrien verbracht, um dort in der meist aus afghanischen Kämpfern bestehenden Fatemiyoun-Division auf der Seite des Assad-Regimes zu kämpfen.

Über einige Jahre hinweg wurden die Einsätze dieser Kämpfer nach afghanischem Recht nicht kriminalisiert. Auch wurden von offizieller Seite Erklärungen abgegeben, welche darauf hindeuteten, dass afghanische Syrien-Kämpfer nicht Gefahr liefen, von den Behörden nach deren Rückkehr nach Afghanistan, bestraft zu werden. In letzter Zeit äußerten sich namhafte Personen aus dem Umfeld des ehemaligen Präsidenten Karzai, sowie ein Vertreter des derzeitigen afghanischen Regierungschefs, Abdullah Abdullah bei unterschiedlichen Anlässen positiv zum Einsatz der afghanischen Fatemiyoun-Brigaden in Syrien.

Der Vertreter von Abdullah Abdullah, wurde jedoch für seine Aussage in Afghanistan kritisiert, da diese nicht die offizielle Haltung der Regierung darstelle. So vertreten die Mitglieder der afghanischen Regierung die Ansicht, dass Afghanen, welche in Syrien kämpfen, an der afghanischen Armee Verrat üben würden, indem sie anstatt in Afghanistan, für den Iran kämpfen würden.

Darüber hinaus lösen die Rekrutierungen afghanischer Kämpfer durch die islamischen Revolutionsgarden des Iran in letzter Zeit auch Besorgnis hinsichtlich der Absichten des Iran gegenüber aus. Da sich der Krieg in Syrien seinem Ende zuneigt, zeigt man sich besorgt darüber, dass der Iran seine afghanische Fatemiyoun-Brigade einsetzen könnte, um regional seine politischen Interessen in Afghanistan durchzusetzen. Auch werden Anschläge des Islamischen Staates (IS) in Afghanistan - von diesem - wegen des Engagements von Afghanen im Iran gerechtfertigt.

Per 14.2.2018 ist ein neues Strafrecht in Kraft getreten. Dieses kriminalisiert im 4. Absatz des Artikel 245 eine Teilnahme an Kriegen oder internen bewaffneten Konflikten in anderen Ländern. Vergehen dagegen werden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren geahndet. Auch wird in diesem neuen Gesetz Bezug auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bei denen die Todesstrafe verhängt werden kann, genommen.

Das Gesetz ist noch neu. So liegen noch keine konkreten Informationen darüber vor, wie es einzelnen afghanischen Syrien-Kämpfern nach deren Rückkehrer in Afghanistan erging und ob diese vom Staat oder den Behörden verfolgt oder bestraft worden sind, zumal auch durch die afghanischen Behörden weder eine klare Strategie im Umgang mit afghanischen Kämpfern im Syrienkonflikt verfolgt wird, noch eine allzu groß Bereitschaft den Behörden attestiert werden kann, solchen Fällen nachzugehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Afghanen, welche nach einer Rückkehr aus dem Kriegseinsatz verhaftet oder ausgeforscht werden, keine Strafverfolgung zu befürchten haben. So wurde verfügt, dass betroffene Personen von der Grenzpolizei festgehalten werden und zur Untersuchung an die entsprechenden Abteilungen der Kriminalermittlungsbehörden übergeben werden.

Viele jener Afghanen, welche in Syrien für den Iran kämpfen verschweigen daher aus Furcht vor einer Festnahme durch die afghanischen Behörden und der gemäß der geltenden Gesetzeslage daraus zu erwartenden Folgen ihren Einsatz (Kämpfer in Syrien, S. 2 f).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Bei der Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers findet in die Beweiswürdigung Eingang, dass es sich beim Beschwerdeführer bei den Einvernahmen teilweise um einen Minderjährigen handelte und das behauptete fluchtauslösende Ereignis in der frühen Jugend zurückliegen würde, sodass die Dichte des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht mit "normalen" Maßstäben gemessen werden kann (vgl. VwGH 24.09.2014, 2014/19/0020). Der Beschwerdeführer war bei der Erstbefragung ca. 16 Jahre alt und bei der Einvernahme beim Bundesamt war der Beschwerdeführer ca. 17 Jahre alt. Bei der Beschwerdeverhandlung war der Beschwerdeführer bereits volljährig. Das erkennende Gericht nimmt deshalb darauf Bedacht, dass die Erzählung der Fluchtgeschichte vor dem Bundesamt aus der Perspektive eines Minderjährigen erfolgte.

Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf (sein Aufwachsen sowie seine familiäre Situation im Iran, seine Schulbildung) sowie zu seinen Verwandten im Iran und seinem regelmäßigen Kontakt mit diesen, stützen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Soweit der Beschwerdeführer in der Erstbefragung bei seinen Angaben zu seinen Fluchtgründen ausführte, dass er im Iran nicht arbeiten habe können, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer – abgesehen von seinen Angaben zu seinen Fluchtgründen in der Erstbefragung – selber stets angegeben hat, im Iran gearbeitet zu haben. So gab der Beschwerdeführer auch in der Erstbefragung an, zuletzt als Arbeiter (Bauhelfer) gearbeitet zu haben (AS 3, 5). Beim Bundesamt gab er sogar an jahrelang als Maurer am Bau gearbeitet zu haben (AS 111) und bei der Arbeit von seiner Mutter angerufen worden zu sein (AS 113; OZ 19, S. 8 f), sodass seine Angaben betreffend Problemen bei der Arbeitsbeschaffung nicht glaubhaft sind.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug vom 29.10.2020).

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Sofern der Beschwerdeführer angab den Iran verlassen zu haben, weil sein Vater ihn zum Kämpfen in den Syrienkrieg schicken habe wollen, ist dies aus folgenden Gründen nicht glaubhaft:

Der Beschwerdeführer gab in der Erstbefragung am 09.07.2015 zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er im Iran nicht arbeiten habe können und als Afghane Probleme mit den iranischen Behörden bekommen habe, weshalb er ausgereist sei. Zudem gäbe es im Iran keine Schulen und Unis. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte der Beschwerdeführer um sein Leben, weil dort Krieg herrsche (AS 11). Es fällt auf, dass der Beschwerdeführer die in weiterer Folge beim Bundesamt angeführte Aufforderung durch seinen Vater an Kampfhandlungen in Syrien teilzunehmen in der Erstbefragung gar nicht erwähnte.

Gemäß § 19 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) dient die Erstbefragung zwar „insbesondere“ der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die „näheren“ Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert. Die Verwaltungsbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht können im Rahmen ihrer Beweiswürdigung die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.

Es wird daher im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung nicht in erster Linie auf Fluchtgründe des Beschwerdeführers bezog und diese nur in aller Kürze angegeben sowie protokolliert wurden. Das Gericht verkennt dabei auch nicht, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erstbefragung noch minderjährig war und daher die Dichte des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht mit "normalen" Maßstäben gemessen werden kann. Dass der Beschwerdeführer die – erst in weiterer Folge – angeführte Aufforderung durch seinen Vater am Syrienkrieg teilzunehmen, somit den wesentlichen Teil seiner Fluchtgründe und den ausschlaggebenden Punkt für seine Ausreise zunächst nicht einmal ansatzweise erwähnte, sondern stattdessen pauschal Probleme mit den Behörden im Iran und bei der Arbeitssuche (vgl. diesbezüglich auch Punkt II.2.1.) als Ausreisegrund anführte, ist für das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht nachvollziehbar und als Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Fluchtvorbringen zu werten.

Zudem waren die Angaben des Beschwerdeführers betreffend die Aufforderung durch seinen Vater am Syrienkrieg teilzunehmen in der Beschwerdeverhandlung lediglich vage. So gab der Beschwerdeführer lediglich pauschal an, dass Afghanen in Syrien am Krieg teilnehmen müssten um die heiligen Gräber zu beschützen. Sein Vater sei sehr religiös und habe ihn für den Krieg angemeldet. Wo oder wie sein Vater ihn angemeldet habe, wisse er hingegen nicht. Seine Mutter habe ihn damals bei der Arbeit angerufen und davon berichtet, weshalb er von dort weggegangen sei (OZ 19, S. 8 f). Zudem gab der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung zunächst auch an regelmäßig Kontakt zu seiner Familie im Iran zu haben (OZ 19, S. 7), obwohl er beim Bundesamt angegeben hat, mit seinem Vater nicht mehr zu sprechen (AS 115). Erst auf konkrete Nachfrage führte der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung aus, mit seiner Mutter in Kontakt zu stehen (OZ 19, S. 7). Es ist daher nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer von seinem Vater aufgefordert wurde am Syrienkrieg teilzunehmen und dieser bereits Handlungen gesetzt hat um die Teilnahme des Beschwerdeführers am Krieg in Syrien vorzubereiten.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer einerseits nicht vorgebracht hat und es andererseits auch nicht ersichtlich ist, dass ihm deshalb eine Verfolgung in Afghanistan droht, zumal er nicht am Syrienkrieg teilgenommen hat (OZ 19, S. 8).

2.2.2. Auch darüber hinaus vermochte der Beschwerdeführer eine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung aufgrund seiner Eigenschaft als Schiit oder seiner Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Hazara nicht aufzuzeigen:

Der Beschwerdeführer gab weder beim Bundesamt noch in der Beschwerdeverhandlung Befürchtungen betreffend eine Verfolgung in Afghanistan aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit an. Lediglich in der Beschwerde wurde pauschal die Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit angeführt. Eine konkrete und/oder individuelle Verfolgungsgefahr aus diesen Gründen ist diesen lediglich allgemein gehaltenen Angaben nicht zu entnehmen.

2.2.3. Hinsichtlich der geäußerten Befürchtung des Beschwerdeführers, in Afghanistan als Tanzjunge missbraucht und vergewaltigt zu werden, ist zunächst festzuhalten, dass er nunmehr nicht nur hinsichtlich seines Alters, sondern (nach Eindruck des Richters in der Beschwerdeverhandlung) auch seinem äußeren Erscheinungsbild nach erwachsen ist und somit nicht anzunehmen ist, dass er in dieser Hinsicht gefährdet wäre. Hinzu kommt, dass sich der Beschwerdeführer hinsichtlich dieser angeblichen Bedrohungssituation lediglich auf allgemein gehaltene Angaben nach den Länderinformationen stützte, ohne dabei ein konkretes, individuelles Vorbringen zu erstatten.

2.2.4. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, dass aufgrund seines langjährigen Auslandsaufenthaltes im Iran bzw. in Europa die Gefahr besteht als „verwestlicht“ angesehen zu werden, ist auszuführen, dass nicht ersichtlich ist wodurch sich sein „westlicher Lebensstil“ oder eine andere, ihn exponierende, religiöse Lebenseinstellung äußern würde. Anders als in der Beschwerde vorgebracht ist aufgrund des vom Beschwerdeführer in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks nach Ansicht des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine westliche bzw. religiöse Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte. Es ist auch nicht erkennbar, warum gerade der Beschwerdeführer gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten soll, dass er auf Grund seines Lebensstils oder auf Grund seines Aufenthaltes in einem westlichen Land bzw. im Iran psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer wurde im Iran geboren und ist dort aufgewachsen, so dass er bis zu seiner Ausreise aus dem Iran stets in einem muslimisch geprägten Land gelebt hat. Im Ergebnis lässt das individuelle Vorbringen der Beschwerdeführer nicht erkennen, welche - als "westlich" erachteten - Verhaltensweisen er sich nunmehr in Österreich angeeignet hätte, die für ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würden und die ein solch wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden seien, dass es für ihn eine Verfolgung bedeuten würde, diese zu unterdrücken. Insbesondere erstattete der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung kein diesbezügliches individuelles Vorbringen. Sowohl bei der Frage, was ihm konkret passieren würde, wenn er nach Afghanistan ausreisen müsse, als auch bei der Frage, ob er alles vorgebracht habe, was ihm wesentlich erscheine, machte der Beschwerdeführer keinerlei Angaben zu den als „westlich“ erachteten Verhaltensweisen. Erst auf konkrete Nachfrage seines Rechtsvertreters gab er an, dass er Alkohol trinke und Frauen dieselben Rechte wie Männer haben sollten (OZ19, S. 9f).

Dass der Beschwerdeführer seine Religionszugehörigkeit gezielt aufgegeben und abgelegt hätte, konnte aufgrund seiner Aussagen beim Bundesamt nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer hat einen Abfall vom Islam weder beim Bundesamt noch in der Beschwerdeverhandlung erwähnt. Er gab im Gegenteil sowohl bei der Erstbefragung als auch beim Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung an, dass er schiitischer Moslem ist (AS 1, 111; OZ 19, S. 6). Allein daraus, dass der Beschwerdeführer nicht bete und religiöse Feiertage oder Fastenzeiten nicht einhalte, was vom Beschwerdeführer zudem nicht substantiiert, sondern lediglich auf Nachfrage durch seinen Vertreter in der Beschwerdeverhandlung ausgeführt wurde (OZ 19, S. 10), ist eine konkrete Abkehr vom islamischen Glauben nicht ableitbar. Dies insbesondere auch deshalb, weil der Beschwerdeführer nicht angab ein Problem damit zu haben seinen Glauben auszuüben, zumal er auf die diesbezügliche Frage lediglich ausführte, dass niemand die religiösen Feiertage und Fastenzeiten so genau praktizieren könne und er dies ebenso nicht könne (OZ 19, S. 10), woraus eine Ablehnung der Religionsausübung jedoch nicht erkennbar ist. Zudem ist den Länderfeststellungen nicht zu entnehmen, dass Personen die im Islam sozialisiert sind und bloß die Regeln des Islam nicht befolgen (Beten, Moscheebesuch, Fasten, etc) alleine aufgrund dessen in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht sind. Sehr viele Personen in Afghanistan fasten nicht oder beten nicht (vgl. Punkt II.1.3.3.).

Sofern der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung befragt angegeben hat, Alkohol zu trinken und für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen sei (OZ 19, S. 10), ist aus diesen lediglich allgemein gehaltenen Aussagen kein substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan erkennbar, zumal der Beschwerdeführer nicht substantiiert dargetan hat, dass es ihm in Afghanistan nicht möglich wäre ein selbständiges und eigenständiges Leben mit freier Lebensgestaltung (im Rahmen der islamischen Religion) zu führen. Auch hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass Rauchen und Trinken von Alkohol kein Zeichen für einen "selbstbestimmten westlichen Lebensstil" ist (vgl. etwa VwGH 01.03.2016, Ra 2015/18/0254).

Sofern vorgebracht wurde, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Muttersprache Farsi und seinem iranischen Dialekts Diskriminierungen und Schwierigkeiten in Afghanistan ausgesetzt sei (AS 115; OZ 19, S. 9), ist dies nicht mit den Länderberichten in Einklang zu bringen. Aus diesen geht hervor, dass es sich bei den Sprachen Farsi und Dari um dieselbe Sprache handelt, zwischen denen es keine trennenden Merkmale gibt. Die meisten verstehen sich als Farsi-sprechendes Volk. Die meisten Dari/Farsi-sprachigen Journalisten und Moderatoren im Radio und Fernsehen sprechen heute mit iranischem Akzent, damit sie beweisen, dass sie Hochfarsi sprechen können. Daher sind die Rückkehrer in Afghanistan, die aus dem Iran kommen, keinen Diskriminierungen ausgesetzt (vgl. Punkt II.1.5.).

Lediglich aus dem Umstand, dass sich der Beschwerdeführer modern kleidet und frisiert (AS 117), kann nicht abgeleitet werden, dass er deshalb als "verwestlicht" gilt oder eine Verfolgung in Afghanistan zu befürchten hat. So umfasst die männliche Kleidung in den urbanen Zentren Afghanistans ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über moderne Haarschnitte bis hin zur afghanischen Tracht. Es ist daher bezüglich des Frisur- und Kleidungsstils des Beschwerdeführers kein Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan erkennbar.

Darüber hinaus ist den beigezogenen Länderberichten nicht zu entnehmen, dass Rückkehrer aus dem Iran oder Europa in besonderer Form von Gewalt und Bedrohungen betroffen wären, sodass auch eine generelle (Gruppen-)Verfolgung von Rückkehrern aus dem Iran und Europa nicht festgestellt werden konnte (vgl. Punkt II.1.3.5.).

2.2.5. Soweit der Beschwerdeführer die schlechten Lebensumstände als Afghane im Iran als Grund für seine Flucht aus dem Iran angibt, so waren seine diesbezüglichen Aussagen – auch vor dem Hintergrund des notorischen Amtswissen zur Lage im Iran – schlüssig und plausibel und sohin glaubhaft.

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruht und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbietet, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1. 3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

…“

3.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.3. Es konnte jedoch keine Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan aufgrund einer behaupteten Anmeldung seines Vaters für den Krieg in Syrien erkannt werden. Der Beschwerdeführer hat nicht am Syrienkrieg teilgenommen. Es ist daher keine Verfolgung des Beschwerdeführers und auch keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund erkennbar.

Sohin kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer aus den von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

3.4. Es konnte auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu den schiitischen Hazara festgestellt werden (siehe Ausführungen zu Punkt II.2.2.2.).

In Ermangelung von dem Beschwerdeführer individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob er im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale - etwa wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur Religionsgruppe der Schiiten - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.

Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der schiitischen Hazara im Falle seiner Einreise nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht erkennen:

Die in Afghanistan immer wieder bestehende Diskriminierung der schiitischen Hazara und die beobachtete Zunahme von Übergriffen gegen Hazara (vgl. insb. Punkt II.1.3.) erreichen gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Es wurde zwar eine steigende Anzahl von Angriffen gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige registriert, wovon ein Großteil der zivilen Opfer schiitische Muslime waren. Die Angriffe haben sich jedoch nicht ausschließlich gegen schiitische Muslime, sondern auch gegen sunnitische Moscheen und religiöse Führer gerichtet, sodass die Angriffe keine spezifische Verfolgung schiitischer Muslime darstellen, sondern auf die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen zurückzuführen sind.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

Es ist daher eine Gruppenverfolgung – sowohl in Hinblick auf die Religions- als auch die Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara und Schiiten in Afghanistan nicht gegeben.

3.5. Aufgrund des Alters und des erwachsenen Aussehens des Beschwerdeführers konnte keine Gefährdung des Beschwerdeführers als Tanzjunge missbrauch oder vergewaltigt zu werden, festgestellt werden.

3.6. Ebenso konnte keine Verfolgungsgefahr auf Grund der Lebenseinstellung oder eines Aufenthaltes im Iran oder in einem europäischen Land beim Beschwerdeführer festgestellt werden.

Es konnte insbesondere keine Lebenseinstellung des Beschwerdeführers festgestellt werden, die einen nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Den EASO Country Guidance (siehe Punkt II.13) ist zu entnehmen, dass einige Teile der Gesellschaft, insbesondere in großen Städten, westlichen Ansichten offen gegenüberstehen, während insbesondere im ländlichen Gebiet eine höhere Ablehnung besteht. Das Verfolgungsrisiko für Männer, als verwestlicht verfolgt zu werden, ist als sehr gering einzuschätzen und hängt von den persönlichen Umständen bzw. vom konkreten Verhalten ab. Derartige Umstände bzw. eine mit den afghanischen Werten einen nachhaltigen und deutlichen Bruch darstellende Lebensweise, konnte nicht festgestellt werden.

Es sind nach den zitierten Länderinformationen keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa Opfer von Gewalttaten wurden.

Insgesamt konnte im Beschwerdefall vor dem Hintergrund der Feststellungen zu Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden, dass den Beschwerdeführer allein schon aufgrund seines Desinteresses an der Religion im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (dh mit einer über die bloße Möglichkeit hinausgehenden Wahrscheinlichkeit) Verfolgung träfe. Der Beschwerdeführer ist nicht vom Islam abgefallen, er ist weiterhin schiitischer Moslem.

Auch wenn der Beschwerdeführer ein oder mehrere Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien (siehe Punkt III.A. der Richtlinien vom 30. August 2018) erfüllen würde, führt dies nicht per se zu einer asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung. Vielmehr erfordern die gegenständlichen UNHCR-Richtlinien eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass zu keinem Zeitpunkt eine konkrete auf den Beschwerdeführer bezogene Verfolgung in Afghanistan festgestellt werden konnte.

3.7. Soweit sich das fluchtkausale Vorbringen des Beschwerdeführers auf die schwierigen Lebensumstände illegal im Iran aufhältiger Afghanen bezieht, so ist ihm entgegen zu halten, dass dieses Vorbringen zwar, wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, glaubhaft ist und der Beurteilung zu Grunde gelegt wird, dass aber § 3 Abs. 1 AsylG die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nur vorsieht, wenn dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK droht. Der Herkunftsstaat ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt; nur im Falle der Staatenlosigkeit gilt der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat. Aufgrund der afghanischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers kann somit sein Vorbringen im Hinblick auf den Iran außer Betracht bleiben (vgl. VwGH 02.03.2006, 2004/20/0240).

3.8. Da insgesamt weder eine individuell-konkrete Verfolgung, eine Gruppenverfolgung oder Verfolgungsgefahr noch eine begründete Furcht festgestellt wurden, liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG nicht vor.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Apostasie Eingriff in sexuelle Selbstbestimmung Glaubwürdigkeit Gruppenverfolgung Herkunftsstaat mangelnde Asylrelevanz private Verfolgung Religion Verfolgungsgefahr Volksgruppenzugehörigkeit westliche Orientierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W250.2158739.1.00

Im RIS seit

21.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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