Entscheidungsdatum
19.11.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W124 2143369-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Vorverfahren:
1.1 Am XXXX stellte der Beschwerdeführer (in der Folge BF) einen Antrag auf internationalen Schutz und gab zu seinem Fluchtgrund folgendes an: „Vor 3 Monaten gab es einen Streit bei der Hochzeit eines Freundes. Der Streit war zwischen meinem Freund bzw. Freunden und einer anderen Gruppe fremder Männer. Bei dem Streit ging es darum, das die Schwester meines Freundes von einem dieser mir unbekannten Männer sexuell belästigt wurde bzw. eine außereheliche Beziehung pflegte. So genau weiß ich das nicht. Bei dieser Auseinandersetzung wurden insgesamt 2 Männer schwer verletzt. Ich hatte damit aber nichts zu tun. Nach diesem Vorfall wurde ich dann aber mehrmals telefonisch bedroht, weil ich angeblich bei dem Streit dabei war. Ich versteckte mich dann von Dezember XXXX bei einem Freund in einem Nachbardorf. Aber diese Männer kamen immer wieder zu meiner Familie und suchten nach mir. Aus Angst um mein Leben habe ich beschlossen Indien zu verlassen.“
In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am XXXX wurde der BF sowohl ausführlich zu seinen Fluchtgründen als auch seinen Privat-, und Familienleben befragt.
Mit Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs.1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFa-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß §46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
1.2 Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX zur Zl. XXXX wurde die dagegen erhobene Beschwerde sowohl hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht stellte im genannten Erkenntnis im Wesentlichen fest, der Beschwerdeführer sei indischer Staatsangehöriger, stamme aus dem Bundesstaat Punjab und gehöre der Religion der Sikhs an.
In Indien habe der BF zwölf Jahre lang die Schule besucht. Sowohl der Vater als auch dessen Bruder und Schwester würden in Indien leben.
Im österreichischen Bundesgebiet würde der ledige und kinderlose BF über keine Familienangehörigen verfügen. Er würde auch nicht in einer Lebensgemeinschaft leben. Der BF spreche nicht Deutsch und habe keine österreichischen Freunde. Er sei als Zeitungszusteller tätig und würde ca. 500 Euro im Monat, im Sommer ca. 400 bis 450 Euro verdienen. Er beziehe keine Leistungen im Rahmen der Grundversorgung und bezahle 130 Euro Miete. Er sei gesund, arbeitsfähig und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Soweit der BF Umstände vorgebracht habe, wonach eine konkrete Gefährdung betreffend seine Person in Indien bestünden, sei sein Vorbringen nicht glaubhaft, weil es in sich widersprüchlich sei. Es habe nicht festgestellt werden können, dass dem BF in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung drohe. Dem BF stehe in Indien zudem eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
In Österreich gehe er keiner Beschäftigung nach, habe im Bundesgebiet keine Verwandten und unterhalte auch sonst keinerlei Kontakte. Er gehöre auch keinem Verein, keiner religiösen Verbindung bzw. sonstigen Gruppierung an. Seine Eltern, Geschwister, drei Onkel, eine Tante sowie vier seiner Cousins würden im Herkunftsstaat leben. Der Beschwerdeführer sei gesund und befinde sich im erwerbsfähigen Alter.
Zur Beschwerde gegen den dritten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides vom XXXX führte das Bundesverwaltungsgericht rechtlich aus, die Ausweisung stelle keinen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familienlebens dar, da er im Bundesgebiet über keine Verwandten oder nahen Angehörigen verfüge. Ausgeprägte private und persönliche Interessen habe der BF im Verfahren nicht dargetan, wie etwa eine regelmäßige legale Beschäftigung oder ein soziales Engagement.
Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat sei gegeben, zumal nach den die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen würden, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.
2. Gegenständliches Verfahren:
2.1 Am XXXX wurde der BF im Zuge einer Lenker-, bzw. Fahrzeugkontrolle bei der Auslieferung von Essensbestellungen angetroffen. Im Zuge der Anhaltung wurde festgestellt, dass gegen den BF eine Rückkehrentscheidung bestehen würde. Daraufhin wurde der BF nach § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG festgenommen.
2.2. in der mit dem BF am XXXX aufgenommenen Niederschrift führte dieser aus, dass er sich seit dem Jahr XXXX im österreichischen Bundesgebiet aufhalten würde. Unmittelbar nach seiner Einreise, habe der BF einen Asylantrag gestellt, welcher im Jahr XXXX rechtskräftig negativ abgewiesen worden sei. Gleichzeitig sei gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen worden. Seiner Ausreiseverpflichtung habe er bisher nicht nachkommen können, weil er keinen Reisepass besitzen würde.
Seinen Lebensunterhalt habe er als Zeitungszusteller bestritten. 500-, Euro monatlich habe er für diese Tätigkeit bekommen. Als soziale Kontakte führte er einige seiner Arbeitskollegen an. Die Frage auf Grund welcher arbeitsrechtlichen Bewilligung der BF seiner Beschäftigung nachgegangen sei, beantwortete dieser damit, dass er als Zeitungszusteller keine solcher Bewilligungen benötigen würde. Krankenversichert würde der BF sein.
Gemeldet sei er an einer von ihm namentlich genannten Meldeadresse und würde es sich dabei um eine Wohngemeinschaft handeln. 130 Euro würde er an Miete zahlen.
Der BF habe weder einen Deutschkurs besucht noch sei er im Besitz eines Zertifikates mit dem Level A 2.
Zu seinem Familienstand führte der BF aus ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Sowohl sein Vater als auch sein Bruder würden in Indien leben. Die Mutter des BF sei bereits verstorben.
Der Bruder des BF würde sich in Ausbildung befinden und sei der Vater des BF Gelegenheitsarbeiter.
Er würde kein Privat-, und Familienleben in Österreich haben.
Seine Probleme im Falle einer Rückkehr nach Indien habe er bereits im Asylverfahren angegeben.
Zur indischen Botschaft wegen der Ausstellung eines Reisepasses sei er nicht gegangen, weil sein Rechtsvertreter gemeint habe, dass sein Verfahren noch anhängig sein würde. Er würde sich noch in Österreich aufhalten, weil er der Meinung sei, dass sein Asylverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Dies habe ihm sein Rechtsanwalt so erklärt.
Der BF sei damit einverstanden, dass bei der zuständigen Botschaft ein Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates gestellt werden würde. Er wurde darüber hinaus aufgefordert selbständig bei der Botschaft wegen Erlangung eines Heimreisezertifikates vorzusprechen.
2.3. In der mit dem BF am XXXX vor dem BFA aufgenommenen Niederschrift führte dieser aus, dass er bereits 2 Mal innerhalb des letzten Monates kontrolliert worden sei und während der „Corona-Zeit“ gesagt habe, dass er das Land verlassen werde. Auf Grund der „Corona-Situation“ habe man zum BF gesagt, dass er das Land erst in zwei oder drei Monaten verlassen könne. Auf Nachfrage, gab dieser an, dass es die Polizisten gewesen seien, die ihm dies gesagt hätten. Sonst habe er nichts zu sagen, lediglich, dass er das Land irgendwann nach „Corona“ verlassen würde. Auf Vorhalt, dass die Corona-Maßnahmenbeschränkungen schon längst aufgehoben worden seien und er genügend Zeit gehabt habe auszureisen, gab dieser an, vor dem Jahr XXXX keinen Reisepass gehabt zu haben. Auf Nachfrage gab dieser an, dass es im Dezember XXXX gewesen sei und dann „Corona“ gekommen wäre.
In die Botschaft sei er nicht gegangen, er habe zu dieser gehen wollen und habe ihm ein Junge gesagt, dass er ihn mitnehmen würde. Eingereist sei der BF XXXX und seither durchgehend in Österreich verblieben.
Er würde über kein Geld verfügen und seit vier, fünf Monaten auch nicht mehr arbeiten. Früher habe er als Essenslieferant mit dem Moped gearbeitet. Freunde des BF würden ihn unterstützen. Vom ersparten Geld würde nichts mehr übrig sein.
Als „Corona“ begonnen habe, sei er bei einem Freund im 12. Bezirk aufhältig gewesen. Er habe angerufen und gefragt, ob seine Meldung noch aufrecht sein würde oder er bereits abgemeldet worden sei. Seit einem Monat würde er an einer namentlich genannten Adresse bei einem Freund im 12. Wiener Gemeindebezirk leben und sei dort auch schon kontrolliert worden.
Auf Vorhalt, dass der BF gesagt habe, dass er dort seit einem Monat leben würde, er aber seit XXXX nicht mehr im Bundesgebiet gemeldet sein würde, gab dieser an, dass es wegen „Corona“ Komplikationen geben würde. Auf Vorhalt, dass es seit Juni keine Komplikationen mehr geben würde, führte dieser aus, dass das sein Freund machen würde. Auf Vorhalt an der gemeldeten Adresse nicht gewohnt zu haben, führte dieser aus wegen „Corona“ auswärts gewohnt zu haben. Die Frage, wieso der BF auswärts gewohnt und nicht an der gemeldeten Wohnadresse gewesen sei, rechtfertigte dieser mit „Corona“ und gab an nicht rausgehen habe dürfen.
Einen Wohnungsschlüssel würde der BF nicht besitzen, ein solcher sei in der Wohnung. In die Wohnung würde er kommen, indem er beim Fenster, welches im ersten Stock gelegen sei, anklopfen würde.
In der Wohnung würden außer dem BF noch drei namentlich genannte Personen leben. Über einen Mietvertrag würde der BF nicht verfügen. Er würde dort auf Dauer leben können, es würde nur noch die Meldung fehlen. Die Wohnung würde aus einem Zimmer bestehen.
In Indien würde der BF über keine Eigentumswohnung oder einem Haus verfügen. In Indien würde er nur seinen Vater haben, weil seine Mutter schon verstorben sei. Er habe keine Geschwister, sondern Onkel und Cousins. 3 Jahre habe er keinen Kontakt mehr zu ihnen.
Weder In Österreich noch in der Europäischen Union würde der BF Familie oder Verwandte haben. Soziale, wirtschaftliche oder sonstige Bindungen zu Österreich würden nicht bestehen. Ebenso kein Abhängigkeitsverhältnis.
Er habe in Indien keine anderen Probleme, als jene, die er im Asylverfahren genannt gehabt habe.
2.4. In der Folge wurde mit Mandatsbescheid des BFA vom XXXX gemäß § 76 Abs.2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet.
2.5. Mit Schreiben des BFA-RD-W an die österreichische Botschaft nach New Dheli wurde diese gemäß § 30 BFA-VG um die dringende Übermittlung der Kopie der vorgelegten Reisedokumente sowie des seinerzeitigen Visaantrages ersucht.
2.6. Mit Bescheid des BFA XXXX zur Zl. XXXX wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei. (Spruchpunkt III.). Der Beschwerde wurde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt. (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 wurde gegen den BF eine auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. (Spruchpunkt VI.).
Festgestellt wurde im Wesentlichen, dass der BF Anfang des Jahres XXXX mit einem von der indischen Botschaft ausgestellten Visum C nach Österreich eingereist sei. In der Folge stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Mit Erkenntnis des BVwG vom XXXX wurde die Beschwerde des BF gegen den Bescheid des BFA vom XXXX mit Erkenntnis des BVwG abgewiesen und erwuchs am XXXX in Rechtskraft.
Der BF habe sich in der Zeit vom XXXX auf Grund der ihm gemäß § 51 AsylG zukommenden Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Allerdings musste sich der BF seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein.
Der BF sei im Rahmen der Frist zur freiwilligen Ausreise nicht aus dem Bundesgebiet ausgereist und habe sich ab dem XXXX in Missachtung der Ausreiseverpflichtung beharrlich im Bundesgebiet aufgehalten.
Es stehe fest, dass der BF keine Familienangehörigen bzw. Verwandte im Bundesgebiet habe. Er würde kein Familienleben im Bundesgebiet haben. Vater, Bruder und Schwester des BF würden sich in Indien aufhalten. Ferner würden sich dort noch Onkel, Tanten und Cousins des BF befinden. Es habe nicht festgestellt werden können, dass kein Kontakt zu seinen in Indien lebenden Verwandten bestehen würde.
Die Zeit im Bundesgebiet habe der BF nicht genutzt, um sich zu integrieren. Er würde über keine sozialen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen in Österreich verfügen. Einen Deutschkurs habe er nicht besucht und sei der deutschen Sprache nicht mächtig.
Er sei mittellos und könne die Mittel zu seinem Lebensunterhalt im Bundesgebiet nicht nachweisen. Er würde keiner Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nachgehen. Als Essenslieferant sei er von der Landespolizeidirektion Wien auf frischer Tat betreten worden. Den Lebensunterhalt in der Vergangenheit habe er sich durch Schwarzarbeit finanziert.
Er würde sich ohne behördliche Meldung im Bundesgebiet aufhalten und über keinen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet verfügen. Per Zufall sei er bei einem Massenquartier aufgegriffen worden.
Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbotes wurde festgehalten, dass das persönliche Verhalten des BF eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, insbesondere auf dem Gebiet des Fremdenwesens, darstellen würde. Der BF würde keine Reue und Einsicht bezüglich der Missachtung der österreichischen Rechtsordnung und der Gefährdung des geordneten Fremdenwesens zeigen. Es würde sowohl die öffentliche Ordnung und Sicherheit sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährdet sein.
Die sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet sei aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich, um zu verhindern, dass der BF sich den Aufenthalt wie bisher im Bundesgebiet durch illegale Quellen finanzieren würde oder zu einer Belastung der öffentlichen Gebietskörperschaft werden könnte.
Rechtlich wurde zusammengefasst ausgeführt, dass sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben würden, die die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG rechtfertigen würden.
Auf Grund der Darlegung des Familienlebens (kein Familienleben im Bundesgebiet, Familie in Indien) und Privatleben (Aufenthaltsdauer in Österreich von 5 Jahren und 9 Monaten, davon 4 Jahre rechtmäßig auf Grund von einem Asylantrag; keine wirtschaftlichen, sozialen, sonstigen Bindungen in Österreich; keine Integration, keine Deutschkenntnisse; keine legale Erwerbstätigkeit-Mittellosigkeit) des BF, sei nicht davon auszugehen, dass der BF eine integrative Bindung zu Österreich haben würde. Somit stehe den persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt in Österreich die daraus resultierende Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen gegenüber.
Angesichts der bereits dargestellten und abgewogenen Umstände des konkreten Falles, sei unter Bedachtnahme der Rechtsprechung des VwGH davon auszugehen, dass die Rückehrentscheidung nach § 9 Abs. 1-3 BFA-VG zulässig sei und dem Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens mehr Gewicht einzuräumen sei, als seinen privaten Interessen. Eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG habe zu unterbleiben, da die Rückkehrentscheidung nicht auf Dauer unzulässig sei (§58 Abs. 2 AsylG).
Es sei auszusprechen, dass im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen seine Abschiebung nach Indien zulässig sei.
Gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG sei die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Der BF habe den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt im Bundesgebiet nicht nachzuweisen vermocht und würde sich beharrlich in Missachtung seiner Ausreiseverpflichtung illegal im Bundesgebiet aufhalten. Die sofortige Ausreise sei im öffentlichen Interesse, um zu verhindern, dass sich der BF den Unterhalt im Bundesgebiet durch illegale Quellen finanzieren bzw. eine Belastung für die öffentliche Hand werden würde. Es sei zu verhindern, dass der BF weiterhin der Schwarzarbeit im Bundesgebiet nachgehen würde. Darüber hinaus bestehe bereits eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung gegen die Person des BF, sodass es im öffentlichen Interesse am geordneten Fremdenwesen gelegen sei.
§ 18 Abs. 2 BFA-VG sehe bei Vorliegen der genannten Tatbestände zwingend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung vor. Mangels Vorliegens einer realen menschenrechtsrelevanten Gefahr sei es dem BF zumutbar, den Ausgang des Verfahrens im Herkunftsstaat abzuwarten. Sein Interesse auf einen Verbleib in Österreich während des gesamten Verfahrens sei im Hinblick auf das Interesse Österreichs an einer raschen und effektiven Durchsetzung der Rückehrentscheidung nicht zu berücksichtigen.
Im Falle des BF sei § 53 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt. Der BF habe nicht vermocht den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nachzuweisen. Er habe die Ausreiseverpflichtung missachtet, indem er innerhalb der Frist zur freiwilligen Ausreise nicht ausgereist sei und auch keinen Antrag auf solche Ausreise eingebracht habe. Der BF zeige bezüglich seines Verhaltens kein Unrechtsbewusstsein und keine Reue.
Es sei davon auszugehen, dass der BF mangels finanzieller Mittel, auf illegale Quellen zurückgreifen würde, um sich seinen Lebensunterhalt in Österreich zu finanzieren. Er sei nicht gewillt aus Österreich auszureisen und habe die Ausreiseverpflichtung bisher missachtet. Erschwerend komme hinzu, dass der BF bei der Schwarzarbeit als Essenslieferant auf frischer Tat betreten worden sei. Es sei somit ersichtlich, dass sich der BF bereits durch illegale Quellen den Unterhalt im Bundesgebiet finanziert habe.
Unter Berücksichtigung aller genannten Umstände und in Ansehung des bisherigen Fehlverhaltens – Missbrauch des Visums zum Zwecke der ungerechtfertigten Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz, Missachtung der Ausreiseverpflichtung innerhalb der Frist zur freiwilligen Ausreise, kein Nachweis der Mittel zum Unterhalt im Bundesgebiet und Schwarzarbeit und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes- keine Reue; kein Unrechtsbewusstsein- kann eine Gefährdung von öffentlichen Interessen, insbesondere zur Wahrung des wirtschaftlichen Wohls Österreichs, an der Einhaltung der die und den Aufenthalt regelnden Vorschriften sowie an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, als gegeben angenommen werden und es ist von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen (vgl. VwGH 19.05.2004, Zl. 2001/18/0074).
Die negative Zukunftsprognose, die sich aus ihrem bisherigen persönlichen Verhalten im Bundesgebiet ergibt, rechtfertigt die Annahme, dass sein Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen würde. Es sei auch in Zukunft davon auszugehen, dass der BF weiterhin versuchen würde sich in Prolongierung des illegalen Aufenthaltes und ohne Mittel zu seinem Unterhalt unrechtmäßig Im Bundesgebiet aufzuhalten, zumal der BF bereits durch Untertauchen sich dem behördlichen Zugriff zu entziehen versucht habe. Dieser Gefahr könne nur mit einem Einreiseverbot in der Dauer von drei Jahren begegnet werden.
2.8. Am XXXX wurde gegen den gegenständlichen Bescheid eine Beschwerde eingebracht und u.a. der Antrag gestellt dem BF den Aufenthaltstitel gem. §§ 55, 57 AsylG zu erteilen bzw. jedenfalls der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
In der Beschwerde wurde eingeräumt, dass der unrechtmäßige Aufenthalt am 09.12.2019 gem. § 120 Abs. 1 a FPG durch die Landespolizeidirektion angezeigt worden sei. Seit dem 08.05.2020 würde sich der BF ohne behördliche Meldung im Bundesgebiet aufhalten. Am 09.09.2020 sei der BF von der Fremdenpolizei gem. § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG in Vollziehung des Festnahmeauftrages gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum eingeliefert worden.
Dem Vertreter des BF erscheine, dass sich die Behörde auch von Amts wegen mit den Voraussetzungen des § 55 AsylG auseinandergesetzt habe. Die Behörde habe jedenfalls richtiger Weise die Kriterien des § 9 Abs. 3 BFA-VG im Lichte des Art 8 EMRK beleuchtet.
Der BF würde sich von den bereits fünf Jahren im Bundesgebiet aufhältigen Zeitraum vier Jahre davon rechtmäßig aufhalten.
Das Privatleben des BF erscheine aus den Mitbewohnern des BF zu bestehen. Überdies sei der BF im Stande eine Meldeadresse bekannt zu geben, an welcher er sich im Falle eines positiven Ausganges des Verfahrens melden könne. An dieser namentlich genannten Adresse würden sich zwei Verwandte des BF aufhalten.
Teilweise sei der BF während des noch laufenden Asylverfahrens wirtschaftlich in Österreich integriert gewesen. Die Bindungen zum Heimatstaat Indien und seiner dort aufhältigen Familien würden sehr gering ausgeprägt sein. Eventuell solle mehr Wert auf seine privaten Beziehungen im Bundesgebiet gelegt werden. Die Dauer des bisherigen Aufenthaltes bis zum XXXX sei der belangten Behörde zuzurechnen.
Außerdem sei auf die privaten und familiären Interessen des Drittstaatsangehörigen Bedacht zu nehmen. Dies würde sich nicht zuletzt aus § 60 Abs. 1 FPG 2005 idF FrÄG 2011, der die Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes unter Berücksichtigung „der für seine Erlassung (…) maßgeblichen Umstände“ und damit in der Formulierung angelehnt an § 63 Abs. 2 FPG 2005 alt-vorsehe.
Die dargestellte Prognose müsse auf den Tag der hypothetischen Ausreise des Drittstaatsangehörigen bezogen werden. Dies ergebe sich aus § 53 Abs. 4 FPG 2005 idF FrÄG 2011, wonach die Frist des Einreiseverbotes mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen beginne würde.
Diese Prognose in Verbindung mit der Konsequenz des dreijährigen Einreiseverbotes gehe nicht klar aus dem Bescheid hervor. Daher liege ein Mangel in der Begründungspflicht der Behörde vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der ledige BF, indischer Staatsangehöriger, stammt aus dem Dorf XXXX , im Bezirk XXXX , in der Provinz Punjab ((Niederschrift vom XXXX , Seite 3) und spricht Punjabi und einfaches Deutsch, welches ihm ermöglicht, sich zu alltäglichen Dingen auf einfachen Niveau in deutscher Sprache zu verständigen.
Der BF hält sich seit XXXX durchgehend in Österreich auf. Der am selbigen Tag gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des XXXX vom XXXX abgewiesen. Eine dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG, Zl. XXXX vom XXXX abgewiesen.
Der BF ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Er verfügt im Bundesgebiet über keine Angehörigen oder sonstige Personen, zu denen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass er im Bundesgebiet enge und intensive Freundschaften zu österreichischen Staatsbürgern unterhält.
Einer regelmäßigen rechtmäßigen Erwerbstätigkeit geht der BF nicht nach. Vor etwas mehr als einem halben Jahr war der BF als Essenslieferant bzw. Zeitungszusteller tätig. Sein Lebensunterhalt wird nunmehr ausschließlich von Freunden bestritten. Er verfügt über keine finanziellen Ersparnisse. Der BF hat bis zum Entscheidungszeitpunkt keinen Deutschkurs absolviert und beherrscht die deutsche Sprache lediglich auf sehr niedrigen Niveau. Anderweitige Kursbesuche, ein aufrechtes bzw. erfolgreich abgeschlossenes Studium oder eine Tätigkeit in einem Verein liegen im Fall des BF nicht vor.
Der BF verfügt über keinen eigenen Mietvertrag und wird diesem von einem Freund Unterkunft gewährt. Der BF ist an der von ihm in der Niederschrift vom XXXX angegebenen Wohnadresse nicht gemeldet.
In Indien besuchte der BF zwölf Jahre lang die Schule und hat dort als Schuhverkäufer gearbeitet. In seiner Heimat lebt noch der sich in Ausbildung befindliche Bruder und der Vater des BF. Die Mutter des BF ist bereits verstorben. Ansonsten befinden sich noch Cousins und Onkel des BF in Indien. Zu diesen besteht seit drei Jahren kein Kontakt mehr.
Der BF läuft im Fall einer Rückkehr nicht Gefahr, in eine ausweglose, existenzbedrohende Situation zu geraten oder einer Art. 2 bzw. 3 EMRK widersprechenden Behandlung oder Bestrafung oder einer sonstigen existenziellen Bedrohung ausgesetzt zu sein.
1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den, den BF im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zur Kenntnis gebrachten Feststellungen zu Indien ausgegangen. Die Situation hat sich seit dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung in den gegenständlich relevanten Punkten nicht entscheidungswesentlich geändert.
Politische Lage
Letzte Änderung: 30.03.2020
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 28.2.2020; vgl. AA 19.7.2019). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 11.3.2020). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 2.2020a).
Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 2.2020a; vgl. AA 19.7.2019). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 19.7.2019). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 11.2019a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt. Indien hat eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 2.2020a).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 19.7.2019).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 11.3.2020). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 11.2019a).
Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 19.7.2019).
Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis „National Democratic Alliance“, mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindunationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS, fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 11.2019a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).
Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion Neu Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).
Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der „strategischen Autonomie“ wird zunehmend durch eine Politik „multipler Partnerschaften“ mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Großmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (BICC 12.2019). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 11.2019a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten „Neuen Seidenstraße“ eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im „Regional Forum“ (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (BICC 12.2019).
Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 11.2019a).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020
- AA – Auswärtiges Amt (2.2020a): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 27.3.2020
- AA - Auswärtiges Amt (11.2019b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 16.1.2020
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Sicherheitslage
Letzte Änderung: 22.7.2020
Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 11.2019a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 12.2020).
Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer, Anm.) (GIZ 11.2019a), die das staatliche Gewaltmonopol gebietsweise infrage stellen (AA 19.7.2019).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Morden und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 8.2019).
Erhebungen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an. Angaben zu Folge haben Rebellen illegale Steuern erhoben, Lebensmittel und Unterkünfte beschlagnahmt und sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen beteiligt. Zehntausende von Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 19.7.2019).
Indien und Pakistan
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 12.2019; vgl. BBC 23.1.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten „Line of Control (LoC)“ haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer- wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).
Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 12.2019). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 12.2019). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14.2.2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).
Indien und China
Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Zusammenstöße entlang der „Line of Actual Control (LAC)“, der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin forderten am 15.6.2020 in den ersten Vorfällen seit 45 Jahren, nachdem die Spannungen im Mai zu eskalieren begannen, mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise. Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in den letzten Monaten gesehen werden (SWP 7.2020). Keine der beiden Seiten hat ein Interesse daran, die Meinungsverschiedenheiten in offenen Streit umschlagen zu lassen (FAZ 27.2.2020, vgl. SWP 7.2020), dennoch verstärken beide Seiten ihre militärische Präsenz in der Region. Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr als 3.400 Kilometer langen Grenze (SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 12.2019).
Der amerikanisch-chinesische Handelskrieg hat die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen. Dennoch ist Delhi besorgt, dass chinesische Waren den heimischen Markt überschwemmen und lokale Anbieter verdrängen. Das ist auch der Grund, warum Indien noch einmal nachverhandeln will, wenn es um das „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP) Abkommen geht, das gemeinsam mit den meisten asiatischen Ländern größte Freihandelsabkommen der Welt, zu schaffen. Indien fühlt sich von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020). Bestimmender Faktor des indischen Verhältnisses zu China ist das immer wieder auch in Rivalität mündende Neben- und Miteinander zweier alter Kulturen, die heute die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt sind. Das bilaterale Verhältnis ist von einem signifikanten Ungleichgewicht zu Gunsten Chinas gekennzeichnet (BICC 12.2019).
Indien und Sri Lanka
Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis, das durch den mittlerweile beendeten Bürgerkrieg auf Sri Lanka zwischen der tamilischen Minderheit und singhalesischen Mehrheit stark beeinflusst wurde. Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 11.2019a). Darüber hinaus bestehen kleinere Konflikte zwischen Indien und Bangladesch (BICC 12.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020
- AA - Auswärtiges Amt (19.7.2019): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (8.6.2020): Briefing Notes 8. Juni 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031179/briefingnotes-kw24-2020.pdf, Zugriff 22.7.2020
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- BBC - British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile – Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 29.1.2019
- BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2019): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2019_Indien.pdf, Zugriff 10.2.2020
- BPB - Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland) (12.12.2017): Konfliktporträt: Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien, Zugriff 18.3.2020
- FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2019): Pakistan: Wir behalten uns vor, auf Indiens Angriffe zu reagieren, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indische-luftwaffe-verletzt-den-pakistanischen-luftraum-16061769.html, Zugriff 6.8.2019
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 10.3.2020
- FIDH – International Federation for Human Rights (23.6.2020): China/India/Pakistan: De-escalate tensions along border lines and seek peaceful resolution of disputes, 23. Juni 2020
https://www.fidh.org/en/region/asia/india/china-india-pakistan-de-escalate-tensions-along-border-lines-and-seek, Zugriff 22.7.2020
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- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019): Asylländerbericht Indien
- Piazolo, Michael (2008): Macht und Mächte in einer multipolaren Welt. Springer Verlag. Seite 201
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Regionale Problemzonen Jammu und Kaschmir
Letzte Änderung: 22.7.2020
Indien hat am 5.8.2019 den in der Verfassung festgelegten Sonderstatus (ZO 6.8.2019) der mehrheitlich muslimischen Region (FAZ 6.8.2019; vgl. GIZ 11.2019a) des indischen Teils von Kaschmir per Dekret beendet (ZO 6.8.2019). Unmittelbar darauf hat das Parlament in Delhi die Aufhebung jenes Artikels 370 der indischen Verfassung beschlossen (FAZ 7.8.2019), welcher Jammu und Kaschmir einen Sonderstatus einräumt und vorgeschlagen, den Staat in zwei Unionsterritorien, nämlich Jammu und Kaschmir sowie Ladakh aufzuteilen (IT 6.8.2019). Der Artikel 370 gewährt der Region eine gewisse Autonomie, wie eine eigene Verfassung, eine eigene Flagge und die Freiheit, Gesetze (BBC 6.8.2019) mit Ausnahme zu Belangen der Außen- wie auch der Verteidigungspolitik (DS 7.8.2019) zu erlassen. Dies stellte einen Kompromiss zwischen der zu großen Teilen muslimischen Bevölkerung und der hinduistischen Führung in Neu-Delhi dar (ARTE 7.8.2019). Neben dem Artikel 370 wurde auch der Artikel 35A aufgehoben, welcher dem lokalen Parlament erlaubte festzulegen, wer Bürger des Teilstaats ist und wer dort Land besitzen und Regierungsämter ausüben kann (NZZ 5.8.2019).
Die auch in Indien umstrittene Aufhebung der Autonomierechte befeuert die Spannungen in der Region. Kritiker befürchten, dass der hindunationalistische Ministerpräsident Narendra Modi und seine Regierung eine „Hinduisierung“ des Gebiets anstreben (TNYT 6.8.2019). Zur Verhinderung von Unruhen haben die indischen Behörden sämtliche Kommunikationskanäle unterbrochen und zusätzlich 10.000 Soldaten (SO 4.8.2019) in die ohnehin hoch militarisierte Region entsendet (ARTE 7.8.2019) und führende Regionalpolitiker wurden unter Hausarrest gestellt (FAZ 7.8.2019). Die Rücknahme des verwaltungsrechtlichen Sonderstatus des Bundesstaates Jammu und Kaschmir ist mit zahlreichen Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen einhergegangen (RLS 1.2020).
Jammu und Kaschmir gehörten 2018 zu den am stärksten vom Terrorismus betroffen Bundesstaaten in Indien (USDOS 1.11.2019). Militante Gruppen in Jammu und Kaschmir kämpfen weiterhin gegen Sicherheitskräfte, kaschmirische Einrichtungen und lokale Politiker, die sie für „Statthalter” und „Kollaborateure” der indischen Zentralregierung halten. Überläufer zur Regierungsseite und deren Familien werden besonders grausam „bestraft“. Die Zahl der als terroristisch eingestuften Vorfälle in Jammu und Kaschmir hat nach einem rückläufigen Trend im Jahr 2015 in den Jahren 2016 und 2017 zugenommen (AA 19.7.2019; vgl. FH 3.4.2020).
Bei einem Selbstmordanschlag (TOI 15.2.2019) auf indische Sicherheitskräfte im Gebiet von Goripora bei Awantipora im Distrikt Pulwama in Kaschmir wurden am 14.2.2019 mindestens 44 Menschen getötet. Dutzende wurden verletzt (TOI 15.2.2019; vgl. IT 15.2.2019).
In Indien bleibt das zentrale Ziel islamistischer Fundamentalisten die Abspaltung Kaschmirs. Im Einklang mit der Dschihad-Ideologie sehen sich viele islamistische Gruppierungen zudem im Krieg gegen alle Ungläubigen und streben die gewaltsame Islamisierung des gesamten Subkontinents an. Befördert wird der Konflikt durch die anhaltende wirtschaftliche Benachteiligung und Diskriminierung vieler Muslime (BPB 12.12.2017).
Im September hat die Europäische Union die Lage in Jammu und Kaschmir vor dem UN-Menschenrechtsrat thematisiert und Indien aufgefordert, die andauernden Beschränkungen aufzuheben und die Rechte und Grundfreiheiten der betroffenen Bevölkerung zu wahren. Das Europäische Parlament hat zudem eine Sonderdebatte über Kaschmir abgehalten und forderte sowohl Indien als auch Pakistan nachdrücklich auf, ihre internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten (HRW 14.1.2020).
In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 11.3.2020; vgl. BBC 20.10.2015). Es gab wiederholt Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen durch Regierungskräfte in Jammu und Kaschmir während der durchgeführten Sicherheitsoperationen, was von vielen auf politisches Versagen bei der Sicherstellung der Rechenschaftspflicht zurückgeführt wurde (HRW, 17.1.2019). Im September 2019 äußerte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, ihre Besorgnis über die Menschenrechtsverletzungen in Jammu und Kaschmir (HRW 14.1.2020).
Nach einer eher ruhigen Phase zwischen den Jahren 2011 und 2014 hat sich die Lage in jüngster Zeit wieder wesentlich verschlechtert (GIZ 11.2019a).
Ab Mitte 2016 hat die Gewalt spürbar zugenommen. Auch Schusswechsel an der Grenze zu Pakistan haben 2016 nach der Ermordung eines populären, militanten separatistischen Führers wieder deutlich zugenommen. Zivilisten im Grenzgebiet werden dabei häufig in Mitleidenschaft gezogen. Seit Sommer 2017 verfolgt die Regierung bewusst eine harte Linie, die ein gezieltes Aufspüren von Führern der Militanten und bei Widerstand gewaltsamen Zugriff vorsieht. Dabei kommt es offenbar wiederholt zu Gefechten, bei denen auch Unbeteiligte zwischen die Fronten geraten können. 2017 starben im Zuge der Aufstandsbekämpfung 358 Menschen. Indischen Sicherheitskräften werden häufig Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, von denen nur wenige bestraft werden. Bürgerliche Freiheiten werden, insbesondere in Zeiten der Unruhe eingeschränkt. Auch 2018 ist es mehrfach zu blutigen Zusammenstößen gekommen. Trotz Benennung eines offiziellen Unterhändlers für Kashmir greift das Dialogangebot der Regierung bisher nicht ausreichend. Die Gewalt nimmt derzeit nicht ab (AA 19.7.2019). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 267 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in der Region Jammu und Kashmir. Im Jahr 2017 wurden 357 Personen durch Terrorakte getötet, 2018 waren es 452 Todesopfer und im Jahr 2019 wurden durch terroristische Gewalt 283 Todesopfer registriert. Mit 15.3.2020 sind insgesamt 49 Todesfälle durch terroristische Gewaltanwendungen aufgezeichnet [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 15.3.2