TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/20 W228 2169965-1

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Veröffentlicht am 20.11.2020
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Entscheidungsdatum

20.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W228 2169965-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren XXXX .1993, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 03.04.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.04.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er von den Taliban aufgefordert worden sei, für sie zu kämpfen.

Der Beschwerdeführer wurde am 03.10.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er aus der Provinz Kunar, Distrikt Chawkay stamme. Seine Eltern, seine Ehefrau sowie seine Kinder würden nach wie vor im Heimatdorf in der Provinz Kunar leben. Der Beschwerdeführer habe keine Schule besucht, sondern als Schuhverkäufer gearbeitet. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er drei Monate vor seiner Ausreise im Schuhgeschäft von zwei Personen aufgesucht worden sei, welche ihm gesagt hätten, dass sein Vater zu ihnen kommen müsse. Am Folgetag sei der Vater des Beschwerdeführers zu diesen Männern gegangen. Als der Vater zurückgekommen sei, habe er erzählt, dass ihm die Männer Geld versprochen hätten, für den Fall, dass der Beschwerdeführer sich ihnen anschließe. Der Beschwerdeführer sei in der Folge nicht mehr zur Arbeit gegangen, sondern habe bei Verwandten in Jalalabad übernachtet. Die Männer hätten zweimal das Elternhaus des Beschwerdeführers aufgesucht um den Beschwerdeführer zu suchen. Die Männer – es habe sich um Taliban gehandelt – hätten schließlich zum Vater des Beschwerdeführers gesagt, dass er mit ihnen arbeiten müsse, ansonsten werde der Beschwerdeführer umgebracht. In weiterer Folge habe der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen.

Der Beschwerdeführer wurde am 26.04.2017 erneut beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde er ergänzend zu seinem Fluchtvorbringen befragt.

Mit angefochtenem Bescheid vom 11.08.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer könne eine Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden.

Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 31.08.2017 Beschwerde erhoben. Darin wurde zunächst das vom Beschwerdeführer in den Einvernahmen erstattete Vorbringen wiederholt und wurde ausgeführt, dass die im Bescheid angeführten Länderfeststellungen unvollständig und teilweise unrichtig seien und sich kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinandersetzen würden. In weiterer Folge wurde auf Berichte zur allgemeinen Lage in Afghanistan verwiesen und wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar sei. Der Beschwerdeführer werde aufgrund seiner Weigerung, für die Taliban zu kämpfen, und somit aufgrund seiner politischen und religiöse Ansichten, von den Taliban verfolgt. Dem Beschwerdeführer wäre daher Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 07.09.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 08.09.2017 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers Integrationsunterlagen betreffend den Beschwerdeführer an das Bundesverwaltungsgericht.

Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte mit Schreiben vom 22.01.2020 das Merkblatt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend Asylwerber-Lehrlinge und deren Lehrberechtigte an den Beschwerdeführer und dessen Rechtsvertretung.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 15.10.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung sowie eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu durchgeführt. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, geboren am XXXX 1993. Er wurde in der Provinz Kunar, Distrikt Chawkay geboren. Im Kindesalter hat der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie Afghanistan verlassen und hat in der Folge ca. 20 Jahre in Pakistan gelebt. Ca. zwei Jahre vor seiner Ausreise nach Europa ist der Beschwerdeführers mit seiner Familie von Pakistan in das Heimatdorf in der Provinz Kunar zurückgekehrt und hat dort bis zu seiner Ausreise gelebt.

Der Beschwerdeführer ist volljährig. Er ist traditionell verheiratet. Er ist gesund und arbeitsfähig. Er ist Paschtune, sunnitischer Moslem und spricht Paschtu. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan keine Schule besucht und keine Berufsausbildung absolviert. Er verfügt über Berufserfahrung als Schuhverkäufer.

Die Eltern, die Geschwister, die Ehefrau sowie die drei Kinder des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Heimatdorf in der Provinz Kunar. Der Beschwerdeführer unterstützt seine in Kunar lebende Kernfamilie finanziell.

Drei Onkel mütterlicherseits sowie ein Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers leben ebenfalls im Heimatdorf des Beschwerdeführers in der Provinz Kunar und sind dort in der Landwirtschaft tätig. Ein Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers lebt in Jalalabad und arbeitet dort als Straßenhändler (er verkauft Sachen aus einer Scheibtruhe).

Der Beschwerdeführer befindet sich seit spätestens 03.04.2015 in Österreich. Er ist illegal in das Bundesgebiet eingereist. Es halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich auf. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtgrund

Anfang des Jahres 2015 kamen zwei Anhänger der Taliban in das Schuhgeschäft, in dem der Beschwerdeführer arbeitete und forderten den Beschwerdeführer auf, dass er seinem Vater mitteilen soll, dass der Vater mit den Taliban in Kontakt treten soll. Der Vater des Beschwerdeführers hat sich in der Folge mit den Taliban getroffen und wurde ihm Geld versprochen für den Fall, dass sich der Beschwerdeführer den Taliban anschließe; wenn er sich nicht anschließe, würde der Beschwerdeführer getötet werden.

Der Beschwerdeführer war in seinem Heimatdorf in der Provinz Kunar Rekrutierungsversuchen der Taliban ausgesetzt und hat kurz darauf aufgrund dessen seine Heimat verlassen.

Der Beschwerdeführer befürchtet, im Fall seiner Rückkehr in seine Heimatprovinz Kunar aufgrund seiner Weigerung, für die Taliban tätig zu werden, und seiner dadurch zum Ausdruck kommenden (unterstellten) politischen Gesinnung von den Taliban getötet zu werden.

Bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Kunar wäre der Beschwerdeführer in Gefahr, aufgrund seiner (unterstellten) politischen Gesinnung verfolgt zu werden.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat/ maßgebliche Situation in Afghanistan:

Kunar:

Kunar liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinz grenzt im Norden an Nuristan, im Osten an Pakistan (Provinz Khyber Pakhtunkhwa), im Süden an Nangarhar und im Westen an Laghman. Neben der Provinzhauptstadt Asadabad ist die Provinz in die folgenden Distrikte unterteilt: Bar Kunar (auch Asmar), Chapa Dara, Sawkay (auch Chawkay), Dangam, Dara-e-Pech (auch Manogi), Ghazi Abad, Khas Kunar, Marawara, Narang wa Badil, Nari, Noorgal, Sar Kani, Shigal, Watapoor und Sheltan. Letzterer wird als „temporärer Distrikt“ definiert, was bedeutet, dass er als Teil der Provinz gilt, aber sein Status als solcher vom afghanischen Parlament noch nicht genehmigt wurde.

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kunar für den Zeitraum 2019-20 auf 490.690 (CSO 2019). Sie besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai und Nuristani.

Eine Autobahn führt von Jalalabad durch die Distrikte Nurgal, Chawkay, Narang, Asadabad, Shigal nach Asmar. Vom Distrikt Asmar führt eine Straße durch die Distrikte Ghaziabad und Nari in die Provinz Nuristan. Die Provinz hat eine 175 Kilometer lange Grenze mit Pakistan. Diese Grenze, auch als Durandlinie bezeichnet, erhält nun eine Grenzbefestigung, die sich derzeit in Bau befindet und weit fortgeschritten ist. Diese Grenzbefestigung durch Pakistan soll entlang der gesamten Länge der Grenze in zwei bis drei Jahren abgeschlossen sein. Auf die Art sollen grenzüberschreitende Bewegungen von Aufständischen und Schmugglern unterbunden werden. Jedoch werden auch die Bewegungen von Zivilisten eingeschränkt, die familiäre Beziehungen auf beiden Seiten der Staatsgrenze haben. Im Jahr 2016 berichtete eine Quelle von drei offiziellen Grenzübergängen zwischen Kunar und Pakistan: Arandu, Gursal und Nawa-Pass. Um von Kunar nach Pakistan zu gelangen müsse man über Nangarhar fahren – was einen Umweg von mehreren Stunden bedeutet. Es gibt jedoch mehrere inoffizielle Durchlässe durch den Grenzzaun, die von Schmugglern und Aufständischen genutzt werden, welche die pakistanischen Grenzwächter bestechen.

Laut UNODC Opium Survey 2018 wurde in Kunar auf einer Fläche von 1.723 Hektar Schlafmohn angebaut, was einem Anstieg der Anbaufläche von 6% entspricht.

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die in der Provinz aktiven terroristischen Organisationen sind unter anderem: ISKP, al-Qaida und Lashkar-e Taiba. Berichten zufolge soll sich die Präsenz des ISKP auf die östlichen Regionen – Kunar und Nangarhar – konzentrieren; die Stärke der Organisation wird mit 2.500 – 4.000 Kämpfern beziffert. Angeblich sollen Kämpfer des ISKP in Kunar eine eigene lokal-gefärbte Version des Islamischen Staates gegründet haben; in manchen Fällen offenbar aus opportunistischen Gründen – in der Regel Dispute mit anderen aufständischen Gruppen – mit denen sie zuvor verbunden waren. Das Überlaufen wurde wohl auch dadurch begünstigt, dass viele Kunaris (im Gegensatz zu den meisten anderen Afghanen) Salafisten sind, was sie – aufgrund ideologischer Ähnlichkeiten – anfälliger für den Wechsel zum Islamischen Staat macht.

Die Anzahl der al-Qaida-Aufständischen in Afghanistan wird von offizieller Seite auf 240 geschätzt – wobei sich die signifikanteste Anzahl auf 3 Provinzen – Badakhshan, Kunar und Zabul – verteilen soll. Kunar ist nach wie vor eine Region, in der ausländische Aufständische zu finden sind; die Lashkar-e-Tayyiba rekrutiert hier nach wie vor und finanziert Aktivitäten. Afghanischen Beamten zufolge beträgt die geschätzte Anzahl ihrer Mitglieder in den beiden Provinzen Kunar und Nangarhar um die 500. Die Lashkar-e-Tayyiba soll versucht haben, Beziehungen zu den Taliban und dem ISKP zu unterhalten und einen Waffenstillstand zu erreichen. In letzter Zeit hat sie jedoch versucht, sich vom ISKP zu distanzieren und somit eine neutralere Rolle eingenommen. Kunar ist eine der Grenzregionen, wo ausländische Terrororganisationen aktiv sind und sichere Rückzugsgebiete unterhalten. Auch betreiben Mitglieder der Teherik-e Taliban Pakistan (TTP) in der Provinz Kunar eine Militärbasis – das sogenannte Ghazi Camp; sie verlagerten ihre Basis nach Räumungsoperationen durch das pakistanische Militär nach Kunar. Deren Mitglieder werden auf 3.500 geschätzt. Aufständische, die in Gebieten tätig sind, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, wie Chapadara und Dara-e-Pech, finanzierten sich durch Gewinne aus Entwaldung und Bergbau.

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kunar in der Verantwortung des 201. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, die von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird.

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 256 zivile Opfer (77 Tote und 179 Verletzte) in der Provinz Kunar. Dies entspricht einem Rückgang von 36% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von nicht explodierten Kampfmitteln (unexploded ordnance, UXO), Landminen und gezielten Tötungen.

In der Provinz Kunar werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durchgeführt, dabei wurden unter anderem Aufständische gefangen genommen oder getötet, jedoch kam es unter anderem auch zu Todesopfern unter Zivilisten, z.B. im Mai 2019, sowie Dezember und Oktober 2018.

Zusammenstöße zwischen ISKP-Kämpfern und den Regierungskräften, aber auch zwischen ISKP-Anhänger und Taliban finden statt. Dabei werden Kämpfer auf beiden Seiten getötet und verletzt, zudem kommt es in manchen Fällen auch zu zivilen Opfern.

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst.

In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften.

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.

Herat-Stadt:

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt.

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden. Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala. Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt.

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Talibankämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban.

Im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 wurden in der Provinz 145 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 2.095.117 geschätzt.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die getroffenen Feststellungen zur Person ergeben sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zur Abstammung aus der Provinz Kunar, zum Aufenthalt in Pakistan sowie zum Aufenthaltsort und der Tätigkeit seiner Angehörigen stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde, sowie in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Paschtu

2.2. Zum vorgebrachten Fluchtgrund:

Die Feststellungen hinsichtlich der Gründe des Beschwerdeführers für das Verlassen seines Heimatstaates stützen sich auf die vom Beschwerdeführer vor dem BFA und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht getätigten Ausführungen.

Der Beschwerdeführer führte im Verfahren vor der belangten Behörde und in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gleichlautend aus, dass er einem Rekrutierungsversuch der Taliban ausgesetzt gewesen sei. Für den Fall, dass er sich ihnen nicht anschließe, würde er getötet werden. Der Beschwerdeführer lässt bei der Schilderung seiner Fluchtgründe eine lineare Handlung und ein nachvollziehbares Bild der von ihm erlebten Geschehnisse erkennen. Weiters sind auch die Angaben des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der Verhältnisse in Afghanistan, insbesondere in der Provinz Kunar, plausibel und nachvollziehbar.

Wesentlich bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers war zudem auch der Umstand, dass er sein Fluchtvorbringen umfangreich, schlüssig und detailliert schildern konnte. Das Fluchtvorbringen war in sich stimmig und wies - abgesehen von kleinen, nebensächlichen Details - keine Widersprüche und Unstimmigkeiten auf, sodass das Bundesverwaltungsgericht dieses als glaubwürdig erachtet. Der Beschwerdeführer legte nachvollziehbar dar, dass er von den Taliban aufgefordert wurde, sich ihnen anzuschließen und für den Fall, dass er dies nicht mache, mit dem Tod bedroht wurde.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner (unterstellten) politischen Einstellung in Opposition zu den Taliban war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, gerade unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage in Afghanistan, insbesondere in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen. So war das Vorbringen des Beschwerdeführers zur möglichen Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ausreichend substantiiert, umfassend, in sich schlüssig und im Hinblick auf die besonderen Umstände des Beschwerdeführers und die allgemeine Situation in Afghanistan plausibel.

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 13.11.2019), den EASO-Richtlinien (Country Guidance Afghanistan) von Juni 2019 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Begründete Furcht liegt vor, wenn diese objektiv nachvollziehbar ist und sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation ebenfalls aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Relevant ist eine Verfolgungsgefahr auch nur dann, wenn diese aktuell ist (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus einem in der GFK genannten Grund verfolgt zu werden, ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts begründet:

Der Beschwerdeführer ist in das Blickfeld der Taliban geraten, um zwangsrekrutiert zu werden. Da er sich deren Ansinnen widersetzt hat, wird er als politischer bzw. religiöser Gegner gesehen (vgl. dazu auch VwGH 10.9.2014, Ra 2014/20/0049 m.w.N). Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Kunar der erheblichen Gefahr ausgesetzt wäre, von den Taliban verfolgt und getötet zu werden, weil er sich weigerte, der Aufforderung der Taliban, mit ihnen gegen die Regierung zu kämpfen, nachzukommen.

Aufgrund der, in der Weigerung des Beschwerdeführers, sich den Taliban im Kampf gegen die Regierung anzuschließen, zum Ausdruck kommenden bzw. dem Beschwerdeführer von den Taliban unterstellten, gegen ihre Interessen gerichteten, politischen Einstellung hat der Beschwerdeführer das reale Risiko einer hinreichend intensiven Verfolgung in seiner Heimatprovinz in Afghanistan durch die Taliban zu gewärtigen.

Dass die mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Eingriffe nicht direkt von staatlicher, sondern von dritter Seite – nämlich von Seiten der Taliban – drohen bzw. dass diese von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet werden, ist nicht von entscheidender Bedeutung. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil aufgrund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; VwGH 14.05.2002, 2001/01/0140; siehe weiters VwGH 24.05.2005, 2004/01/0576 sowie VwGH 26.02.2002, 99/20/0509).

Eine Inanspruchnahme des Schutzes durch den afghanischen Staat ist für den Beschwerdeführer schon deswegen auszuschließen, weil zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Afghanistan kein ausreichend funktionierender Polizei- oder Justizapparat bestehen und auch nach den Länderberichten davon auszugehen ist, dass der Staat keine hinreichenden Vorkehrungen zu treffen vermag um dem Beschwerdeführer in seiner Situation Schutz zu gewähren.

Somit würde der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Kunar aufgrund einer ihm von den Taliban zugeschriebenen oppositionellen politischen bzw. religiösen Gesinnung verfolgt werden.

Zu prüfen ist, ob dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stünde:

Festzuhalten ist, dass gemäß den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 eine innerstaatliche Schutzalternative in Kabul angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul derzeit grundsätzlich nicht verfügbar ist (so auch VfGH 30.11.2018, E 3870/2018). Dasselbe gilt für Jalalabad. Dieser Einschätzung schließt sich das erkennende Gericht im gegenständlichen Verfahren an, sodass Kabul und Jalalabad nicht als innerstaatliche Schutzalternativen in Betracht kommen.

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan keine Schule besucht, er verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung oder sonst relevante Qualifikationen. Er verfügt lediglich über Erfahrung als Schuhverkäufer.

In den Großstädten Afghanistans sind die Möglichkeiten, eine Arbeit, insbesondere Gelegenheits- und Tagelöhnertätigkeiten, zu finden aufgrund der Corona-Krise nach wie vor niedrig. Die Lebensmittelpreise sind nach wie vor überdurchschnittlich hoch. Resultierend aus diesen beiden Umständen (weniger Möglichkeiten, ein Einkommen zu erwirtschaften in Verbindung mit höheren Lebensmittelpreisen) besteht für die Städte in Afghanistan bis mindestens Jänner 2021 IPC Phase 3, was bedeutet, dass Ersparnisse aufgebraucht werden müssen.

In den Städten Afghanistans herrscht, besonders für Geringqualifizierte wie den Beschwerdeführer, der auf Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten angewiesen ist, eine eingeschränkte Möglichkeit einen Arbeitsplatz zu finden. Auch das Fehlen eines sozialen Netzwerks in Herat und Mazar-e Sharif erschwert für den Beschwerdeführer den Zugang zum Arbeitsmarkt. Es wäre dem Beschwerdeführer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit derzeit nicht möglich, eine Arbeit zu finden. Die in den Städten Afghanistans bestehenden IPC Phase 3 bedeutet, dass Ersparnisse aufgebraucht werden müssen. Es ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als Rückkehrer keine Ersparnisse hat und daher nicht auf solche zurückgreifen kann. Eine Unterstützung des Beschwerdeführers durch seine Kernfamilie ist nicht zu erwarten, zumal vielmehr umgekehrt der Beschwerdeführer seine in Kunar lebende Kernfamilie von Österreich aus finanziell unterstützt. Der Beschwerdeführer hat zwar vier Onkel, welche im Heimatdorf in Kunar in der Landwirtschaft tätig sind, ein Verschicken der Naturalien aus der Landwirtschaft aus Kunar zum Beschwerdeführer nach Mazar-e Sharif oder Herat ist jedoch nicht möglich und mit finanzieller Unterstützung des Beschwerdeführers seitens seiner als Landwirte tätigen Onkel ist derzeit nicht zu rechnen. Ein weiterer Onkel des Beschwerdeführers ist in Jalalabad als Straßenverkäufer tätig. Auch von diesem Onkel ist eine Unterstützung des Beschwerdeführers aufgrund der Art des Verkaufes (Scheibtruhenverkauf) nicht zu erwarten.

Die beim Beschwerdeführer vorgenommene Einzelfallprüfung ergibt, dass aufgrund der dargelegten individuellen und allgemeinen Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihm möglich ist, in Afghanistan bei einer Neuansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif dort Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedlung liefe der Beschwerdeführer vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Aufgrund dessen ist von einer individuellen Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen, auch wenn der Beschwerdeführer nicht zu einem „high-profile-target“ der Taliban zählt und der bloße Rekrutierungsversuch des Beschwerdeführers als junger Mann durch die Taliban in der Heimatprovinz Kunar nicht ausreichend ist um den Beschwerdeführer zu einer „high-profile“ Person zu machen, welche von den Taliban in ganz Afghanistan gesucht werden würde.

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung Schutzunfähigkeit unterstellte politische Gesinnung wohlbegründete Furcht Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W228.2169965.1.00

Im RIS seit

21.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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