TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/17 Ra 2018/06/0241

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Steiermark
L82006 Bauordnung Steiermark
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §52
BauG Stmk 1995 §39 Abs3
BauG Stmk 1995 §4 Z9

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Mag.a Merl sowie Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, über die Revision des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 10. September 2018, LVwG 50.32-1087/2018-4, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: W F in G, vertreten durch die Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hartenaugasse 6; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Kostenbegehren der revisionswerbenden Partei wird abgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid der revisionswerbenden Partei vom 2. März 2018 wurde dem Mitbeteiligten als Miteigentümer einer näher bezeichneten Liegenschaft gemäß § 39 Abs. 3 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) aufgetragen, an der gesamten westseitigen Fassade des auf der gegenständlichen Liegenschaft befindlichen Gebäudes im Sockelbereich bis zu einer Höhe von ca. einem Meter über dem Sperrbereich des Mühlganges an allen schadhaften Stellen einen Verputz mit der gleichen Putzzusammensetzung wie der Bestandsputz anzubringen, durchfeuchtetes Mauerwerk trockenzulegen und lose Putzteile zu entfernen. Die Aufträge seien innerhalb einer Frist von sechs Wochen ab Rechtskraft des Bescheides von einem dafür befugten Unternehmen durchführen zu lassen und es sei der Behörde eine Bestätigung hierüber vorzulegen.

2        Begründend führte die revisionswerbende Partei im Wesentlichen aus, dass anlässlich einer amtlichen Erhebung am 25. September 2017 von der Baubehörde bei der gegenständlichen baulichen Anlage Baugebrechen in Form von schadhaftem beziehungsweise abgefallenem Verputz und einer teilweisen Durchfeuchtung des Mauerwerkes jeweils an der Westfassade des Gebäudes festgestellt worden seien. Aus diesem Grund habe die Baubehörde die genannten Instandsetzungsaufträge erteilt.

3        In seiner dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Mitbeteiligte im Wesentlichen eine Verletzung der Ermittlungspflicht vor. Die Baubehörde habe lediglich durch eine am 25. September 2017 durchgeführte amtliche Erhebung Kenntnis vom vermeintlich vorliegenden Baugebrechen erlangt. Weitere, zwingend erforderliche Erhebungen zur Feststellung des Vorliegens eines Baugebrechens, insbesondere unter Zuhilfenahme eines bautechnischen Sachverständigen habe sie jedoch unterlassen. Wäre ein solches Baugebrechen festgestellt worden, hätte weiter geprüft werden müssen, ob die Festigkeit, Brandsicherheit oder Hygiene betroffen sei, und gegebenenfalls, ob dadurch Personen oder im Eigentum Dritter stehende Sachen gefährdet oder beschädigt werden könnten. Allenfalls hätte durch einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes geprüft werden müssen, ob das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild grob beeinträchtigt werde. Weiters sei das von der Behörde ausgeübte Ermessen bei der Festsetzung der Herstellungsart der Instandsetzungsaufträge nicht angemessen und die Behörde habe es auch unterlassen, zur Frist für die Instandsetzung einen entsprechenden Sachverständigenbeweis aufzunehmen.

4        Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden: Verwaltungsgericht) den angefochtenen Bescheid auf, verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die revisionswerbende Partei zurück (Spruchpunkt I.) und sprach aus, dass gegen diesen Beschluss eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.).

5        Begründend stellte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften zunächst fest, dass das gegenständliche Gebäude auf der zum Mühlgang gerichteten (westlichen) Seite diverse Putzschäden aufweise und das Mauerwerk Durchfeuchtungsschäden aufzuweisen scheine. In der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht sodann im Wesentlichen aus, die Behörde habe im Gegenstandsfall anlässlich eines Ortsaugenscheines diverse Putz- bzw. Durchfeuchtungsschäden an der Westfassade des gegenständlichen Gebäudes festgestellt. Der Sachverhalt sei augenscheinlich nur ansatzweise ermittelt worden. Die Erlassung eines Auftrages nach § 39 Abs. 3 Stmk. BauG setze zunächst einwandfreie Feststellungen zum Baukonsens der betroffenen Anlange voraus, da nur die Nichterhaltung des konsensgemäßen Zustandes als Verletzung der Instandhaltungspflichten zu werten sei. Dazu habe die Behörde keine Feststellungen getroffen. Aus dem angefochtenen Bescheid lasse sich weder der Errichtungszeitpunkt der baulichen Anlage noch der maßgebliche Konsens dieser Anlage entnehmen. Mit Blick auf das Konkretisierungsgebot eines baupolizeilichen Auftrages fehlten überdies Feststellungen dahingehend, welcher Außenputz konkret konsentiert bzw. zum Bewilligungszeitpunkt Stand der Technik gewesen sei.

6        Dem Bescheid sei zudem nicht zu entnehmen, ob die revisionswerbende Partei davon ausgegangen sei, dass die vorliegenden Putzschäden Einfluss auf die Festigkeit des Gebäudes haben könnten oder ob sie eine Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes der baulichen Anlage im Auge gehabt habe. Es sei sohin nicht nachvollziehbar, auf Grund welcher Feststellungen von der Erfüllung eines Tatbestandes im Sinn des § 39 in Verbindung mit § 4 Z 9 Stmk. BauG auszugehen sei.

7        Im fortzusetzenden Verfahren würden daher konkrete Feststellungen dazu zu treffen sein, wie sich die Außenmauern des Gebäudes im Vergleich zum konsentierten Zustand darstellten, welches Ausmaß die Putzschäden und allfällige Durchfeuchtungsschäden einnähmen, ob diese Schäden tatsächlich Einfluss auf die Festigkeit des Gebäudes haben würden und ob diese geeignet seien, Personen oder im Eigentum Dritter stehende Sachen zu gefährden oder zu beschädigen. Dazu werde es unabdingbar sein, einen bautechnischen Sachverständigen hinzuzuziehen bzw. dem Eigentümer der baulichen Anlage einen Auftrag zur Gutachtenserstellung betreffend die Ursache und/oder den Umfang der Baugebrechen zu erteilen. Sollte die Behörde hingegen davon ausgegangen sein, dass die vorliegenden Putzschäden das äußere Erscheinungsbild der baulichen Anlage beträfen, so werde sie ergänzende Feststellungen dahingehend zu treffen haben, ob diese auch tatsächlich das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild grob beeinträchtigen, wobei auch hier die Hinzuziehung eines Sachverständigen angezeigt sei. Jedenfalls werde dem Mitbeteiligten Parteiengehör einzuräumen und der neuerliche Bescheid den Anforderungen des § 60 AVG entsprechend zu begründen sein.

8        Auf Grund des mangelhaft durchgeführten Ermittlungsverfahrens sei der Beschwerde Folge zu geben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die revisionswerbende Partei zurückzuverweisen gewesen.

9        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, diesen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben oder eine Sachentscheidung in Form einer Abweisung der Beschwerde zu treffen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10       Die Revision ist in Anbetracht der Frage der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die revisionswerbende Partei zulässig.

11       § 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz -VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.   der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.   die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

...“

12       Die revisionswerbende Partei führt im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht hätte in der Sache entscheiden müssen, zumal keine weiteren tiefergehenden Ermittlungen nötig gewesen seien. Es lägen Baugebrechen am Mauerwerk vor, die aufgetragene Instandsetzung basiere auf einer ausreichenden Sachverhaltsgrundlage und ziele auf die Herstellung des rechtmäßigen und den Bauvorschriften entsprechenden Zustandes ab, der im gegebenen Zusammenhang in einem trockenen und verputzten Mauerwerk festzumachen sei. Zu der vom Verwaltungsgericht vertretenen Ansicht, wonach der Auftrag zu unbestimmt sei, werde auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach ein behördlicher Sanierungsauftrag dann ausreichend konkretisiert sei, wenn einem Fachmann erkennbar sei, welche Maßnahmen durchzuführenden seien. Eine Umschreibung des Schadens in allen Einzelheiten sei bei einem schadhaften Verputz von Außenwänden weder möglich noch erforderlich. Die gerügte Verletzung des Parteiengehörs sei durch die Möglichkeit des Mitbeteiligten, sich im Rechtsmittel zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zu äußern, saniert worden.

Mit diesem Vorbringen zeigt die revisionswerbende Partei im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses auf.

13       Zunächst kann zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, verwiesen werden.

14       Demnach ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht an die Verwaltungsbehörde kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Auch die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. VwGH 22.6.2020, Ra 2018/06/0166, mwN).

15       Aus der dargestellten hg. Judikatur ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht im Revisionsfall die von ihm als notwendig erachteten ergänzenden Ermittlungen selbst durchzuführen und in der Sache zu entscheiden hat: Krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken, wie die Unterlassung jeglicher erforderlicher Ermittlungstätigkeit, das Setzen völlig ungeeigneter Ermittlungsschritte oder eine bloß ansatzweise Ermittlung zeigt die Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht auf. Die vom Verwaltungsgericht angenommene Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens rechtfertigt - wie oben dargelegt - die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ebenso wenig wie die Notwendigkeit, einen Bauauftrag gegebenenfalls zu präzisieren, oder die Erforderlichkeit der Gewährung von Parteiengehör an den Mitbeteiligten.

16       Darüber hinaus stellt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Erfahrungstatsache dar, dass bei Fehlen des Verputzes an Mauern wegen der Gefahr des Eindringens von Niederschlägen und sonstigen Witterungseinflüssen die Standsicherheit der Mauern beeinträchtigt werden kann (vgl. etwa VwGH 18.11.2014, 2013/05/0138, VwGH 11.10.2011, 2009/05/0292, und VwGH 22.5.2001, 2001/05/0153, jeweils mwN), weshalb angesichts des Umstandes, dass das gegenständliche Gebäude - wie auf den in den Verfahrensakten einliegenden Fotos deutlich ersichtlich ist - über ein Rohziegelmauerwerk verfügt, schon auf Grund der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen betreffend die im Revisionsfall bestehenden Verputzschäden vom Vorliegen eines Baugebrechens im Sinn des § 4 Z 9 Stmk. BauG auszugehen und die Beiziehung eines bautechnischen Sachverständigen insoweit nicht erforderlich war.

Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17       Gemäß § 47 Abs. 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei (unter anderem) in dem hier vorliegenden Fall einer Amtsrevision gemäß Art 133 Abs. 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz (vgl. VwGH 14.4.2016, Ra 2015/06/0096), weshalb ihr Kostenersatzantrag abzuweisen war.

Wien, am 17. Dezember 2020

Schlagworte

Sachverständiger Entfall der Beiziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018060241.L00

Im RIS seit

16.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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