TE Vwgh Erkenntnis 2009/7/8 2007/21/0085

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Veröffentlicht am 08.07.2009
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §1 Abs1 Z14
AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §2 Abs1 Z14
AsylG 2005 §27 Abs1 Z1
AsylG 2005 §27 Abs4
AsylG 2005 §28 Abs1
AsylG 2005 §28 Abs3
AsylG 2005 §29 Abs3 Z4
AsylG 2005 §29 Abs3 Z5
AVG §56
AVG §66 Abs2
FrPolG 2005 §1 Abs2
FrPolG 2005 §76 Abs1
FrPolG 2005 §76 Abs2
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Jantschgi, über die Beschwerde des MM in W, vertreten durch Solicitor Edward W. Daigneault in 1170 Wien, Hernalser Gürtel 47/4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 25. Jänner 2007, Zl. Senat-FR-07-1003, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine vom Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen von Kamerun, eingebrachte Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) sowie sein damit in Zusammenhang stehendes Kostenersatzbegehren nach § 83 Abs. 2 FPG iVm § 79a AVG ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 2. Dezember 2006 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und habe am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Am 14. Dezember 2006 habe das Bundesasylamt gegen den Beschwerdeführer ein Ausweisungsverfahren nach § 27 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) eingeleitet. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 sei der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom Bundesasylamt gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen und ihm der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt worden (Spruchpunkt I dieses Bescheides). Weiters sei ihm mit demselben Bescheid der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Kamerun nicht zuerkannt worden (Spruchpunkt II). Unter einem sei er gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nach Kenia (richtig wohl: Kamerun) ausgewiesen worden (Spruchpunkt III). Einer Berufung gegen diesen Bescheid sei nach § 38 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung aberkannt worden (Spruchpunkt IV).

Der dagegen gerichteten Berufung habe der unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) am 11. Jänner 2007 dahingehend Folge gegeben, dass die Spruchpunkte II, III und IV des Bescheides des Bundesasylamtes behoben und die Angelegenheit in diesem Umfang gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen worden sei. Hingegen sei die Berufung wegen Nichtzuerkennens des Status eines Asylberechtigten vom UBAS abgewiesen worden.

Die ab 14. Dezember 2006 erfolgte Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft habe - so die belangte Behörde in ihren rechtlichen Erwägungen - infolge der Einleitung des Ausweisungsverfahrens auf die Bestimmung des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gegründet werden können. Dieses Ausweisungsverfahren sei auch nach der Entscheidung des UBAS noch eingeleitet und anhängig, weil "der Antrag auf internationalen Schutz zwar bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, aber nicht bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgeschlossen" sei. Auf Grund des Standes des Asylverfahrens sei auch noch nicht entschieden, dass eine Abschiebung nicht möglich sei. Vielmehr bedürfe die Beurteilung dieser Frage noch weiterer Feststellungen durch das Bundesasylamt. Somit dürfe die Anhaltung des Beschwerdeführers weiterhin auf § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt werden.

Auch die weiteren Voraussetzungen für die Schubhaft seien gegeben, weil der Beschwerdeführer unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist sei, über kein Reisedokument und - abgesehen von der Bedeckung seiner Bedürfnisse durch die Grundversorgung - über keine eigenen Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes verfüge sowie keine Möglichkeit zur Aufnahme einer legalen Beschäftigung habe. Weiters bestünden keine familiären Beziehungen im Bundesgebiet. Desweiteren führte die belangte Behörde unter Hinweis auf die im Asylverfahren getätigten Angaben des Beschwerdeführers, er habe im Zuge von Streitigkeiten um Besitztümer einen anderen Menschen getötet, aus, der Beschwerdeführer habe damit zu erkennen gegeben, dass seine Bindung an allgemein gültige rechtliche Werte gering sei. Da daher davon auszugehen sei, er werde bloß eine geringe Hemmung haben, sich dem weiteren Verfahren zu entziehen, sei die Anwendung eines gelinderen Mittels iSd § 77 FPG nicht ausreichend, um den Zweck der Schubhaft zu erreichen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen:

Der belangten Behörde ist vorzuwerfen, dass sie bei Prüfung des Schubhaftgrundes nach § 76 Abs. 2 Z 2 FPG nicht ausreichend berücksichtigt hat, dass ungeachtet des (ursprünglichen) Vorliegens dieses Tatbestandes - gegen den Beschwerdeführer galt gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 infolge der im Zulassungsverfahren ergangenen Mitteilung des Bundesasylamtes nach § 29 Abs. 3 Z 5 AsylG 2005 das Ausweisungsverfahren von Gesetzes wegen als eingeleitet - die Anhaltung eines Asylwerbers in Schubhaft nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die in diesem Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2009, Zl. 2007/21/0037, mwN).

Besondere Gesichtspunkte, die erkennen ließen, es handle sich hier um eine von den sonst Asylwerber kurz nach ihrer Einreise betreffenden Fällen abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch den Beschwerdeführer geschlossen hätte werden können, sind dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Die belangte Behörde weist in diesem Zusammenhang auf die unrechtmäßige Einreise, das Fehlen eines Reisedokuments, von eigenen Unterhaltsmitteln und von familiären Bindungen hin. Dabei handelt es sich allerdings um keine Umstände, die den gegenständlichen Fall gegenüber sonstigen typischerweise Asylwerber (in der Situation des Beschwerdeführers) betreffenden Fällen auszeichnen würden und die Notwendigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft darlegen könnten.

Soweit die belangte Behörde auf die fehlende soziale und berufliche Integration des Beschwerdeführers abstellt, handelt es sich dabei in Bezug auf (wie der Beschwerdeführer noch nicht lange in Österreich aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, um kein tragfähiges Argument für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei in Österreich nicht ausreichend integriert, ist vielmehr bei Asylwerbern in der Situation des Beschwerdeführers verfehlt. Der Frage der Integration kommt primär im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0233, mwN).

Demgegenüber maß die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage dem seit seiner Einreise gezeigten Verhalten des Beschwerdeführers, der unmittelbar nach dieser aus eigenem das Bundesasylamt aufsuchte, um dort seinen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, nach Antragstellung in die Grundversorgung aufgenommen wurde, sich daraufhin im ihm zugewiesenen Quartier aufhielt und immer am Verfahren beteiligte, keine Bedeutung zu. Diese Umstände, die gegen die Annahme der belangten Behörde, er werde sich dem Verfahren zu entziehen trachten, sprechen, durften allerdings bei der Beurteilung, ob ein Sicherungsbedarf gegeben ist, nicht außer Betracht bleiben. Konkrete Hinweise, dass sich das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers infolge der ihm seitens der Asylbehörde bekannt gegebenen Absicht, seinen Antrag auf internationalen Schutz abweisen und ihn ausweisen zu wollen, ändern würde, sind weder angefochtenen Bescheid noch der Aktenlage zu entnehmen. Soweit die belangte Behörde auf das vom Beschwerdeführer im Asylverfahren erstattete Vorbringen, das von der Fremdenpolizeibehörde zur Begründung des Sicherungsbedarfes aber gar nicht ins Treffen geführt wurde, hinweist, ist anzumerken, dass dieses von der belangten Behörde unvollständig wiedergegeben wurde und zu den bezughabenden Ereignissen nähere Feststellungen fehlen. So hat der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auch angegeben, der von ihm im Streit Getötete habe versucht, ihm seine gesamte Habe wegzunehmen, sohin dass er sich in einer Notstandssituation befunden habe. Ohne nähere Feststellungen zu den tatsächlichen Geschehnissen stellt sich im Falle des Zutreffens der Behauptungen des Beschwerdeführers der Schluss der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Bindungen zu allgemein gültigen Werten, weshalb er auch keine Hemmungen habe, sich behördlichen Verfahren zu entziehen, in dieser Allgemeinheit als nicht nachvollziehbar dar.

Darüber hinaus unterliegt die belangte Behörde auch insofern einem Rechtsirrtum, als sie davon ausging, dass sich die für den Beschwerdeführer maßgebliche Rechtslage trotz der Entscheidung des UBAS nicht geändert hätte. Der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde im Zulassungsverfahren abgewiesen und diese Entscheidung mit einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 verbunden. Der dagegen eingebrachten Berufung wurde vom Bundesasylamt zwar die aufschiebende Wirkung aberkannt, jedoch erfolgte im Berufungsverfahren die Aufhebung eben dieses Ausspruches sowie jener des Bundesasylamtes, mit denen sein Antrag in Bezug auf den Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und er ausgewiesen wurde.

Ist der Antrag auf internationalen Schutz voraussichtlich nicht zurückzuweisen, ist das Verfahren gemäß § 28 Abs. 1 AsylG 2005 zuzulassen, soweit das Verfahren nicht vor Zulassung inhaltlich entschieden wird. Nach § 28 Abs. 3 AsylG 2005 ersetzt eine Stattgebung oder Abweisung des Antrages im Zulassungsverfahren die Zulassungsentscheidung. Wird der Antrag im Zulassungsverfahren abgewiesen, gilt dieser Antrag als zugelassen, wenn oder sobald der Berufung gegen diese Entscheidung aufschiebende Wirkung zukommt. Nach § 27 Abs. 4 AsylG 2005 ist ein nach § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 (infolge Bekanntgabe nach § 29 Abs. 3 Z 4 oder Z 5 AsylG 2005) eingeleitetes Ausweisungsverfahren einzustellen, wenn das Verfahren zugelassen wird. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass es eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Konsequenz einer solchen verfahrensrechtlichen Konstellation ist, dass die Schubhaft nicht weiter aufrecht erhalten werden darf (vgl. dazu nochmals das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2009, mwN).

Eine dem entsprechende Konstellation liegt auch hier vor. Auf den Zeitpunkt, in dem der Ausspruch über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung aufgehoben wird, kommt es bei der Beurteilung, ob das Asylverfahren als zugelassen gilt und das Ausweisungsverfahren einzustellen ist, ungeachtet dessen, dass der Berufung in einem solchen Fall die aufschiebende Wirkung formell nicht zugekommen ist, nicht an. Dieser Zeitpunkt ist nur für die Frage wesentlich, wann die Verfahrenszulassung eintritt. Im gegebenen Zusammenhang ist daher fallbezogen nicht weiter relevant, dass (auch) das (übrige) Berufungsverfahren gleichzeitig mit der Behebung des Ausspruches über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung beendet wurde. Zutreffend hat die belangte Behörde erkannt, dass nach Behebung der Spruchpunkte II bis IV des Bescheides des Bundesasylamtes über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz (zum Gegenstand desselben vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/01/0344) noch nicht (zur Gänze) abgesprochen war, was aber auch zur Folge hatte, dass der Beschwerdeführer weiterhin Asylwerber iSd § 1 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 war, sodass eine Anhaltung in Schubhaft nach § 76 Abs. 1 FPG jedenfalls nicht in Betracht kam (vgl. § 1 Abs. 2 FPG). Da nach dem oben Gesagten nach Zulassung des Asylverfahrens aber auch eine auf § 76 Abs. 2 FPG gestützte Anhaltung nicht zulässig ist, hätte die belangte Behörde die Schubhaft für diesen Zeitraum schon deswegen nicht als rechtmäßig ansehen dürfen.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 8. Juli 2009

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2009:2007210085.X00

Im RIS seit

20.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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