Entscheidungsdatum
20.11.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §9Text
Das Verwaltungsgericht Wien fasst durch seinen Richter Dr. Forster über die Beschwerde des Herrn A. B., vertreten durch den Verein C. als Erwachsenenvertreter, vom 16. November 2019 gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat D. für die Bezirke ..., vom 10. November 2019, Zl. VStV/..., wegen Übertretungen des § 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), des § 1 Abs. 1 Z 2 Wiener Landes-Sicherheitsgesetz (WLSG) sowie des § 1 Abs. 1 Z 1 WLSG den folgenden
BESCHLUSS
I. Die Beschwerde wird gemäß § 50 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.
II. Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist gegen dieses Erkenntnis eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) nicht zulässig. Im Übrigen ist gemäß Abs. 1 par. cit. eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig.
Begründung
I. Verfahrensgang
1. Mit Straferkenntnis vom 10. November 2019, Zl. VStV/..., erkannte die Landespolizeidirektion Wien den Beschwerdeführer für schuldig, näher bezeichnete Übertretungen 1. des § 82 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), 2. des § 1 Abs. 1 Z 1 Wiener Landes-Sicherheitsgesetz (WLSG), 3. des § 1 Abs. 1 Z 2 WLSG und 4. des § 82 Abs. 1 SPG begangen zu haben.
Im Hinblick auf diese Übertretungen verhängte die Landespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer mit dem genannten Straferkenntnis für den ersten Vorwurf gemäß § 82 Abs. 1 SPG eine Geldstrafe iHv EUR 200,– (Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen), für den zweiten Vorwurf gemäß § 1 Abs. 1 WLSG eine Geldstrafe iHv EUR 200,– (Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen), für den dritten Vorwurf gemäß § 1 Abs. 1 WLSG eine Geldstrafe iHv EUR 200,– (Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen) und für den vierten Vorwurf gemäß § 82 Abs. 1 SPG eine Geldstrafe iHv EUR 300,– (Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen). Außerdem verpflichtete die Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 64 VStG zur Zahlung eines Beitrages zu den Verfahrenskosten iHv EUR 90,–. Die Vorhaft von 9. November 2019, 21:30 Uhr, bis 10. November 2019, 10 Uhr, – sohin in einem Ausmaß von zwölf Stunden und 30 Minuten – wurde in einer Höhe von EUR 52,08 auf die Höhe der zu Spruchpunkt 4. verhängten Strafe angerechnet.
Begründend verwies die Landespolizeidirektion Wien in diesem Straferkenntnis auf die Wahrnehmungen des Meldungslegers, die durchgeführten Erhebungen und den sonstigen Akteninhalt im Zusammenhalt mit den Angaben des Beschwerdeführers. Im Rahmen der Strafbemessung berücksichtigte die Landespolizeidirektion Wien das Fehlen einschlägiger Vormerkungen, die Entschuldigung sowie das Eingeständnis des Beschwerdeführers als Milderungsgründe und die Fortsetzung des strafbaren Verhaltens, welches schlussendlich zur Festnahme führte, die Intensität des aggressiven Verhaltens sowie die Rückkehr des Angezeigten als Erschwerungsgründe.
2. Gegen dieses Straferkenntnis brachte der Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers mit E-Mail vom 10. November 2019, am selben Tag bei der Landespolizeidirektion Wien eingelangt, eine Beschwerde ein. In dieser Beschwerde bringt der Erwachsenenvertreter vor, dass der Beschwerdeführer an einer Persönlichkeitsstörung leide, eine Störung des Sozialverhaltens vorliege und aufgrund dieser Störung die Kritik- und Urteilsfähigkeit des Beschwerdeführers beeinträchtigt sei. Darüber hinaus bestehe seit Jahren eine Suchtproblematik, die sich vor allem im Alkoholmissbrauch äußere. Aus diesen Gründen sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, die Konsequenzen seines Verhaltens abzuschätzen, das Unerlaubte der Tat einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln.
3. Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte dem Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde sowie den Akt des Verwaltungsverfahrens vor, wobei sie auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und für den Fall einer Durchführung auf eine Teilnahme daran verzichtete. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt langten am 6. Dezember 2019 beim Verwaltungsgericht Wien ein.
4. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2020 ersuchte das Verwaltungsgericht Wien den Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers, binnen einer Woche ab Erhalt dieses Schreibens bekannt zu geben, ob das angefochtene (mündlich verkündete) Straferkenntnis an ihn zugestellt oder ihm – sollte dies nicht der Fall sein – tatsächlich (physisch) übergeben wurde. Falls eine postalische Zustellung an den Erwachsenenvertreter erfolgt sei, ersuchte ihn das Verwaltungsgericht Wien, binnen der genannten Frist (soweit vorhanden) allfällige Zustellnachweise vorzulegen.
5. Mit Schriftsatz vom 5. November 2020 gab das C. Erwachsenenvertretung bekannt, dass nunmehr Herr E. F. als Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers fungiere und das angefochtene Straferkenntnis am 10. November 2019 per E-Mail an den Verein C. übermittelt und am 11. November 2019 intern an den damaligen Erwachsenenvertreter weitergeleitet worden sei.
6. Mit Schriftsatz vom 10. November 2020 gab das Verwaltungsgericht Wien der belangten Behörde bekannt, dass es nach der Aktenlage und einer Auskunft des Erwachsenenvertreters davon ausgehe, das angefochtene Straferkenntnis, welches mit keiner Amtssignatur versehen sei, den Beschwerdeführer als formellen Empfänger ausweise und diesem gegenüber verkündet worden sei, wäre lediglich eingescannt per E-Mail an den Erwachsenenvertreter des Beschwerdeführers übermittelt worden. Mit diesem Schriftsatz wurde der belangen Behörde die Möglichkeit geboten, innerhalb einer Frist von einer Woche ab Zustellung eine schriftliche abzugeben.
7. Mit E-Mail vom 12. November 2020 führte die belangte Behörde daraufhin aus, dass mit ziemlicher Sicherheit mit dem Erwachsenenvertreter telefonisch Kontakt aufgenommen worden sei, um ihn über die Amtshandlung zu informieren. Es sei dabei vereinbart worden, dem Erwachsenenvertreter das Straferkenntnis per E-Mail zu übermitteln.
II. Sachverhalt
Für das Verwaltungsgericht Wien steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:
1. Für den Beschwerdeführer wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes G. vom 6. September 2005, ..., H. I., Verein J., gemäß § 273 ABGB zum Sachwalter bestellt. Als Wirkungskreis des Sachwalters sind in diesem Beschluss folgende Angelegenheiten genannt: 1. finanzielle Angelegenheiten und 2. Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Sozialversicherungsträgern, Gerichten sowie gegenüber privaten Vertragspartnern. Der Beschwerdeführer kann diesem Beschluss zufolge nur mündlich vor Gericht oder notariell testieren. Gemäß Art. X § 4 Abs. 1 des Sachwalterrechts-A?nderungsgesetzes 2006, BGBl. I 2006/92, ging die Sachwalterschaft am 1. Juli 2007 auf den Verein C. über. Als vom Verein benannte Person wurde Herr Mag. K. L. mit der Wahrnehmung der Sachwalterschaft betraut. Im Oktober 2020 ging diese Funktion auf E. F. über.
2. Das im vorliegenden Fall in Beschwerde gezogene Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 10. November 2019, Zl. VStV/..., wurde dem Beschwerdeführer gegenüber verkündet und am 10. November 2019 eingescannt mittels E-Mail an den Erwachsenenvertreter weitergeleitet. Eine Zustellung des Originals des Straferkenntnisses an den Erwachsenenvertreter fand nicht statt; ebenso wenig ist ihm das Original des Straferkenntnisses physisch zugekommen. Das Straferkenntnis weist den Beschwerdeführer auch als formellen Empfänger aus.
III. Beweiswürdigung
Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt und Würdigung des Beschwerdevorbringens sowie der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Stellungnahmen.
1. Die Feststellungen zur Bestellung eines Sachwalters (Erwachsenenvertreters) für den Beschwerdeführer, zur Abgrenzung des Wirkungsbereiches und zum Übergang der Sachwalterschaft auf den Verein C. ergeben sich aus dem im Akt einliegenden Beschluss des Bezirksgerichtes G. vom 6. September 2005, ..., und der im Akt einliegenden Urkunden des Vereins C. vom 22. März 2018 und vom 12. Oktober 2020.
2. Die Feststellungen zur Erlassung des Straferkenntnisses vom 10. November 2019 ergeben sich aus dem Verwaltungs- und Gerichtsakt, insbesondere aus den – nach Aufforderung durch das Verwaltungsgericht Wien – erstatteten Schriftsätzen des Erwachsenenvertreters und der Landespolizeidirektion Wien.
IV. Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 271 ABGB ist einer volljährigen Person vom Gericht auf ihren Antrag oder von Amts wegen insoweit ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter zu bestellen, als 1. sie bestimmte Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann, 2. sie dafür keinen Vertreter hat, 3. sie einen solchen nicht wählen kann oder will und 4. eine gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht in Betracht kommt.
Gemäß § 9 AVG ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Nach ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofs führt die Rechtskraft des Beschlusses über die Sachwalter- bzw. nunmehr Erwachsenenvertreterbestellung innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters bzw. Erwachsenenvertreters konstitutiv zur Beschränkung der Geschäftsfähigkeit der betroffenen Person und auch zum Verlust der Prozess- bzw. Verhandlungsfähigkeit. Für die Zeit bis zur Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses hat das Prozess- bzw. Verfahrensgericht selbständig zu prüfen, ob die betroffene Person prozess- bzw. verfahrensfähig war (vgl. nur etwa OGH 21.2.2018, 3 Ob 166/17h; VwGH 21.5.2019, Ra 2019/03/0037).
2. Insofern sind ab der Bestellung des Erwachsenenvertreters, dessen Wirkungsbereich auch die Vertretung vor Behörden und Gerichten erfasst, Zustellungen an den Vertretenen selbst unwirksam (vgl. zur Sachwalterbestellung VwGH 11.12.2013, 2012/08/0221; vgl. auch VwGH 13.2.2018, Ra 2017/02/0168). In diesem Fall ist als Empfänger eines dem Vertretenen zuzustellenden Schriftstückes vielmehr sein Erwachsenenvertreter zu bezeichnen (VwGH 29.10.2008, 2008/08/0097); eine Adressierung an die Partei zu Handen des Erwachsenenvertreters reicht dafür nicht aus (VwGH 20.2.2008, 2005/15/0159). Wird der Bescheid dementgegen bloß an den Vertretenen zugestellt, ist dieser nicht erlassen worden und kann daher auch keinerlei Rechtswirkungen entfalten (VwGH 18.3.2013, 2011/05/0084; Hengstschläger/Leeb, AVG [2014] § 9, Rz 5).
Im Fall einer Erwachsenenvertreterbestellung könnte es allerdings gemäß § 9 Abs. 3 ZustG zu einer Heilung der Zustellung kommen, wenn die dem Vertretenen persönlich zugestellten Originaldokumente in der Folge dem Erwachsenenvertreter tatsächlich (körperlich) zukommen (VwGH 18.3.2013, 2011/05/0084; 11.12.2013, 2012/08/0221; 16.7.2014, 2013/01/0173). Ob dies der Fall ist, hat die Behörde von Amts wegen zu prüfen (VwGH 26.6.1998, 95/19/0428).
Die Bestimmung des § 9 Abs. 3 ZustG stellt in diesem Zusammenhang eine lex specialis gegenüber § 7 ZustG dar, zumal § 9 Abs. 3 ZustG eine Heilung auch bei unrichtiger Empfängerbezeichnung zulässt (Bumberger/Schmid, ZustG [2018] § 9, K 24). Für eine allfällige Heilung des Zustellmangels reicht es dabei allerdings noch nicht hin, dass dem Erwachsenenvertreter eine privat angefertigte (Tele- oder Foto-)Kopie des Schriftstückes zur Kenntnis übermittelt wurde (VwGH 3.10.2002, 2002/08/0031; 18.3.2013, 2011/05/0084; 11.12.2013, 2012/08/0221; 16.7.2014, 2013/01/0173; Bumberger/Schmid, ZustG [2018] § 9, E 82 ff.). Die Sanierung setzt jeweils voraus, dass entweder die Urschrift oder eine Ausfertigung bzw. eine amtlich hergestellte Fotokopie der behördlichen Erledigung dem Erwachsenenvertreter „tatsächlich“ – körperlich – zugekommen ist (VwGH 3.10.2002, 2002/08/0031).
3. Im Hinblick auf den festgestellten Sachverhalt geht das Verwaltungsgericht Wien davon aus, dass das in Beschwerde gezogene und an den Beschwerdeführer adressierte Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 10. November 2019 nur dem – seit 2005 im Verfahren vor Behörden und Gerichten von einem Erwachsenenvertreter repräsentierten – Beschwerdeführer verkündet wurde, woraufhin das Straferkenntnis von der Behörde eingescannt mittels E-Mail am 10. November 2019 an der Erwachsenenvertreter weitergeleitet wurde. Dem Erwachsenenvertreter wurde das Original des Straferkenntnisses nicht zugestellt oder physisch übergeben.
Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen entfaltete die Verkündung des Straferkenntnisses gegenüber dem Beschwerdeführer keine Rechtswirkungen und konnte auch keine Heilung des durch die Verkündung gegenüber dem Beschwerdeführer bewirkten Mangels eingetreten. Da es somit aber insgesamt zu keinem rechtswirksamen Zustellvorgang gekommen ist, war die Beschwerde mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen (vgl. ua. VwGH 27.4.2011, 2008/23/1027; 18.3.2013, 2011/05/0084).
4. Da die Beschwerde zurückzuweisen war, konnte gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
5. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die vorliegende Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes oder ist diese als uneinheitlich anzusehen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Vertretung; Erwachsenenvertretung; Rechts- und Handlungsfähigkeit; Zustellung; Zustellmangel; HeilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.055.15649.2019Zuletzt aktualisiert am
19.01.2021