Entscheidungsdatum
14.12.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG §49 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Dr. Kalteis über die Beschwerde der Frau Mag. A. B. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, vom 12.10.2020, Zl. MA67/..., mit welchem der Einspruch vom 5.8.2020 gegen die Strafverfügung vom 15.7.2020, Zl. MA67/..., gemäß § 49 Abs. 1 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) als verspätet zurückgewiesen wurde,
zu Recht:
I. Gemäß § 50 iVm § 38 VwGVG iVm § 49 Abs. 1 und Abs. 2 VStG wird der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Zurückweisungsbescheid behoben.
II. Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist für die Beschwerdeführerin eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof wegen Verletzung in Rechten unzulässig. Im Übrigen ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für alle Verfahrensparteien eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig.
Entscheidungsgründe
I. Zum wesentlichen Verfahrensverlauf und zum Sachverhalt:
1. Mit Strafverfügung der belangten Behörde vom 24.6.2020 wurde der Beschwerdeführerin eine am 19.5.2020, um 18:59 Uhr, in Wien, C.-Straße, begangene Übertretung gemäß § 24 Abs. 1 lit. a StVO zur Last gelegt und wurde hierfür eine Geldstrafe von EUR 78,-- (bei Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafe von 18 Stunden) verhängt.
Weil eine Zustellung dieser – per "Fensterkuvert" versendeten – Strafverfügung vom 24.6.2020 an die Beschwerdeführerin nicht erweislich war, veranlasste die belangte Behörde die neuerliche Zustellung der Strafverfügung, nunmehr datiert mit 15.7.2020.
2. Diese Strafverfügung vom 15.7.2020 wurde nach erfolglosem Zustellversuch vom 17.7.2020 an der Abgabestelle der Beschwerdeführerin in Wien, D.-gasse, bei der zuständigen Post-Geschäftsstelle ... Wien hinterlegt und ab 20.7.2020 bis 3.8.2020 zur Abholung bereitgehalten.
3. Die Beschwerdeführerin hielt sich im Zeitraum vom Freitag, 10.7.2020, bis Sonntag, 26.7.2020, nicht an der Abgabestelle in Wien, sondern in Bulgarien auf. Die Beschwerdeführerin kehrte am Abend des 26.7.2020 nach Wien zurück und behob am darauffolgenden Tag (Montag, 27.7.2020) den für sie hinterlegten Brief bei der Post.
4. Mit E-Mail vom 5.8.2020 erhob die Beschwerdeführerin Einspruch gegen die Strafverfügung vom 15.7.2020, in welchem sie im Wesentlichen vorbrachte, dass das in Rede stehende Halte- und Parkverbot am Tatort während der Vorstellungen in der X. gedacht sei; die X. sei jedoch seit 11.3.2020 "coronabedingt" geschlossen und werde zudem seit langem diskutiert, dass für Anrainer zu wenig Parkplätze zur Verfügung stünden. Sie sei Inhaberin des Lokals "E." neben der X. und sei daher von deren Schließung betroffen. Sie bitte daher um Verständnis und Flexibilität.
5. Mit als "VERFAHRENSANORDNUNG – Verspätungsvorhalt" tituliertem Schreiben vom 6.8.2020 brachte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin unter Angabe des sich aus dem Zustellnachweis ergebenden Datums der Zustellung der Strafverfügung vom 15.7.2020 und unter Verweis auf die Bestimmung des § 17 Abs. 3 ZustG zur Kenntnis, dass ihr am 5.8.2020 mittels E-Mail eingebrachter Einspruch der Aktenlage nach verspätet sei, da die zweiwöchige Rechtsmittelfrist am 3.8.2020 abgelaufen sei. Die Beschwerdeführerin wurde in diesem Zusammenhang um Bekanntgabe ersucht, ob sie zum Zeitpunkt der Hinterlegung der Strafverfügung von der Abgabestelle abwesend und insbesondere durch eine Reise, einen Urlaub oder einen Krankenhausaufenthalt gehindert gewesen sei, von der Zustellung Kenntnis zu nehmen. Bejahendenfalls wurde sie aufgefordert, entsprechende Bescheinigungsmittel vorzulegen.
Der Verspätungsvorhalt vom 6.8.2020 geriet offenkundig im August 2020 zunächst postalisch in Verstoß und wurde von der Beschwerdeführerin nach neuerlicher Übermittlung durch die belangte Behörde in weiterer Folge erst am 21.9.2020 persönlich übernommen.
In Reaktion auf den Verspätungsvorhalt richtete die Beschwerdeführerin am 22.9.2020 eine E-Mail-Eingabe an die belangte Behörde, wonach sie "[d]ie Strafverfügung" nicht bekommen habe, "da diese durch die Post verloren gegangen" sei und übermittelte u.a. diverse Schreiben der Österreichischen Post AG vom 14.8.2020, 21.8.2020 und 10.9.2020, wonach tatsächlich eine an die Beschwerdeführerin adressierte Behördensendung "trotz intensiver Suche nicht gefunden werden konnte". Diese Schreiben bezogen sich jedoch nicht – wie von der Beschwerdeführerin fälschlich angenommen – auf die Strafverfügung vom 15.7.2020, sondern auf den (ersten) Verspätungsvorhalt vom 6.8.2020.
6. Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgericht Wien in Beschwerde gezogenen Zurückweisungsbescheid vom 12.10.2020 wies der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 67, den Einspruch der Beschwerdeführerin vom 5.8.2020 gemäß § 49 Abs. 1 VStG als verspätet zurück. Begründend wurde hierzu ausgeführt, dass die Strafverfügung vom 15.7.2020 am 20.7.2020 bei der zuständigen Post-Geschäftsstelle in ... Wien hinterlegt worden sei und gemäß § 17 Abs. 3 ZustG mit dem ersten Tag der Abholfrist – dem 20.7.2020 – als zugestellt gelte. Die Einspruchsfrist habe daher am 20.7.2020 begonnen und am 3.8.2020 geendet. Da die Einspruchserhebung erst am 5.8.2020 erfolgt sei, sei der Einspruch als verspätet zurückzuweisen gewesen. Die Beschwerdeführerin wurde zudem darauf hingewiesen, dass es sich bei der von ihr relevierten in Verstoß geratenen Behördensendung um den Verspätungsvorhalt handelte, nicht jedoch um die Strafverfügung vom 15.7.2020.
7. Gegen diesen Zurückweisungsbescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 5.11.2020. In dieser schildert die Beschwerdeführerin im Wesentlichen den Verfahrensverlauf aus ihrer Sicht und dass ihr von einer Mitarbeiterin der belangten Behörde versichert worden sei, es sei "alles noch fristgerecht". Gleichzeitig bezog sie sich wiederum auf eine verlustig gegangene Behördensendung und übermittelte u.a. neuerlich die schon unter Punkt I.5. genannten Schreiben der Österreichischen Post AG.
8. Diese Beschwerde samt dem Bezug habenden Verwaltungsakt wurde dem Verwaltungsgericht Wien (einlangend am 10.11.2020) zur Entscheidung vorgelegt. Von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung wurde seitens der belangten Behörde Abstand genommen.
9. Mit hg. Schreiben vom 30.11.2020 (hg. ON 2) wurde der Beschwerdeführerin der sich aus dem bisherigen Aktenmaterial ergebende Verfahrensverlauf ausführlich dargelegt und ihr zur Kenntnis gebracht, dass der Einspruch vom 5.8.2020 gegen die Strafverfügung vom 15.7.2020 offenkundig tatsächlich verspätet erhoben wurde. Sie wurde daher aufgefordert, binnen einer Woche ab Zustellung des Schreibens schriftlich Stellung zu nehmen und allfällige Abwesenheiten von der Abgabestelle unter konkreter Darlegung der Umstände sowie der Dauer und des Tages ihrer Rückkehr an die Abgabestelle bekanntzugeben und die Abwesenheit durch Vorlage sämtlicher verfügbarer Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen.
10. Die Beschwerdeführerin teilte bezugnehmend auf die Aufforderung vom 30.11.2020 fristgerecht mit E-Mail vom 5.12.2020 mit, dass die Strafverfügung am 15.7.2020 erstellt, am 20.7.2020 zur Abholung hinterlegt und am 27.7.2020 von ihr persönlich abgeholt worden sei. In der Zeit vom 10.7.2020 bis 26.7.2020 sei sie im Ausland gewesen und übermittelte hierzu Screenshots von erkennbar auf sie ausgestellten, elektronischen Flugtickets (Flug Wien – Sofia am 10.7.2020 um 20:45 Uhr und Flug Sofia – Wien am 26.7.2020 um 20:10 Uhr). Sie sei davon ausgegangen, dass die Einspruchsfrist mit dem Tag der Abholung beginne, weswegen sie erst am 5.8.2020 Einspruch erhoben habe.
II. Zur Beweiswürdigung:
1. Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der belangten Behörde, Würdigung des Beschwerdevorbringens und der Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 5.12.2020 samt Beilagen (hg. ON 3). So stützen sich die Ausführungen zur zunächst mit 24.6.2020 datierten Strafverfügung auf den unzweifelhaften Akteninhalt, insbesondere den Aktenvermerk der belangten Behörde, wonach an der Zustellung an die Beschwerdeführerin Zweifel bestanden und die Strafverfügung daher neuerlich "als RSb" versendet wurde (AS 28). Die Ausführungen zur Hinterlegung der Strafverfügung vom 15.7.2020 und die Behebung durch die Beschwerdeführerin am 27.7.2020 stützen sich auf den im Akt einliegenden Zustellnachweis (AS 34; dieser Zustellnachweis stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine öffentliche Urkunde dar [VwGH 19.10.2017, Ra 2017/20/0290]) und das Vorbringen der Beschwerdeführerin (hg. ON 3). Die Einspruchserhebung vom 5.8.2020 per E-Mail ergibt sich ebenso aus dem Akteninhalt (AS 36; die Beschwerdeführerin brachte in ihrer Eingabe vom 22.9.2020 [AS 65] und ihrer Stellungnahme vom 5.12.2020 [hg. ON 3] überdies selbst vor, den Einspruch am 5.8.2020 erhoben zu haben) wie die Feststellungen zum Zurückweisungsbescheid (AS 75 ff) und zur dagegen erhobenen Beschwerde (AS 82). Die Ausführungen zu den Vorgängen rund um den Verspätungsvorhalt vom 6.8.2020 ergeben sich ebenfalls aus dem unbedenklichen Akteninhalt (vgl. AS 51 ff und die dortigen Bezugnahmen auf Ordnungsnummern im verwaltungsbehördlichen Akt). Aus dem Akteninhalt ist zudem eindeutig ersichtlich, dass es sich bei der in Verstoß geratenen Sendung um den Verspätungsvorhalt vom 6.8.2020 handelte und nicht um die Strafverfügung vom 15.7.2020, zumal diese auch von der Beschwerdeführerin – wie sie auch selbst in ihrer Stellungnahme vom 5.12.2020 (vgl. hg. ON 3) bestätigte – am 27.7.2020 persönlich behoben wurde.
2. Die Feststellungen zur Abwesenheit der Beschwerdeführerin von der Abgabestelle in Wien, D.-gasse, im Zeitraum von 10.7.2020 bis 26.7.2020 und deren Rückkehr an die Abgabestelle am 26.7.2020 gründen sich auf die glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 5.12.2020 und insbesondere die hinsichtlich ihres Auslandsaufenthaltes in Bulgarien vorgelegten Nachweise in Form der auf ihren Namen ausgestellten und auf sie personalisierten Flugtickets (hg. ON 3), welche mit dem von der Beschwerdeführerin angegeben Zeitraum betreffend ihren Auslandsaufenthalt (10.7.2020 bis 26.7.2020) im Einklang stehen.
III. Rechtsgrundlagen:
1. § 49 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) lautet in der hier maßgeblichen Fassung wie folgt:
"§ 49. (1) Der Beschuldigte kann gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat.
(2) Wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht und nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, ist das ordentliche Verfahren einzuleiten. Der Einspruch gilt als Rechtfertigung im Sinne des § 40. Wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, dann hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, darüber zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch, soweit er nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, die gesamte Strafverfügung außer Kraft. In dem auf Grund des Einspruches ergehenden Straferkenntnis darf keine höhere Strafe verhängt werden als in der Strafverfügung.
(3) Wenn ein Einspruch nicht oder nicht rechtzeitig erhoben oder zurückgezogen wird, ist die Strafverfügung zu vollstrecken."
2. § 17 Zustellgesetz (ZustG) lautet in der hier maßgeblichen Fassung wie folgt:
"Hinterlegung
§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.
(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde.
IV. Rechtliche Erwägungen:
1. Vorauszuschicken ist, dass im Falle der – hier vorliegenden – Zurückweisung eines Rechtsmittels (hier: Einspruch gegen eine Strafverfügung) Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Rechtsmittels ist. Das Verwaltungsgericht kann daher nicht über die zugrundeliegende Verwaltungsübertretung (hier: Übertretung des § 24 Abs. 1 lit. a StVO) entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa VwGH 19.12.2018, Ra 2016/06/0063; 30.1.2019, Ro 2018/10/0045; uva.). Eine von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde und in ihrer Eingabe zur hg. ON 3 der Sache nach begehrte Überprüfung der zugrundeliegenden Bestrafung selbst bzw. der hierbei behördenseitige ausgesprochenen Strafhöhe war daher schon grundsätzlich nicht verfahrensgegenständlich.
2.1. Ein Dokument gilt gemäß § 17 ZustG dann mit dem ersten Tag der Abholfrist als rechtmäßig zugestellt, wenn der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, eine schriftliche Verständigung von der Hinterlegung an der Abgabestelle hinterlässt und der Brief mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitgelegen ist.
Ein Dokument gilt gemäß § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. In solchen Fällen wird die Zustellung jedoch an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
Behauptet der Empfänger einer Sendung die Unwirksamkeit der Zustellung durch Hinterlegung wegen Abwesenheit von der Abgabestelle, so obliegt es ihm, - im Rahmen seiner Pflicht zur Mitwirkung an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes – ein konkretes Vorbringen über Beginn und Ende seiner Ortsabwesenheit zu erstatten und für dieses Vorbringen Beweise anzubieten. Unsubstantiierte und in keiner Weise belegte Behauptungen genügen dazu nicht. Erst ein entsprechendes Vorbringen mit Beweisanboten verpflichtet die Behörde zur Durchführung der angebotenen (und anderer geeigneter) Beweise im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht (vgl. VwGH 23.5.2000, 99/11/0373).
2.2. Feststellungsgemäß ergibt sich aus dem im behördlichen Verwaltungsakt einliegenden Zustellnachweis, dass die Strafverfügung vom 15.7.2020 nach erfolglosem Zustellversuch vom 17.7.2020 an der Abgabestelle der Beschwerdeführerin in Wien, D.-gasse, bei der zuständigen Post-Geschäftsstelle ... Wien hinterlegt und ab 20.7.2020 zur Abholung bereitgehalten wurde.
2.2.1. Die Zustellung wurde jedoch aufgrund folgender Erwägungen nicht am 20.7.2020 (erster Tag der Abholfrist) bewirkt:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die durch den dritten Satz des § 17 Abs. 3 ZustG normierte Zustellwirkung der Hinterlegung nicht durch die Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. "Rechtzeitig" im Sinne des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG ist demnach dahingehend zu verstehen, dass dem Empfänger noch jener Zeitraum für ein Rechtsmittel zur Verfügung steht, der ihm auch im Falle einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt hat, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so muss die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden. Ob jemand vom Zustellvorgang "rechtzeitig" Kenntnis erlangt hat, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (VwGH 21.4.2020, Ra 2020/14/0023; 22.12.2016, Ra 2016/16/0094; 25.6.2015, Ro 2014/07/0107; 26.6.2014, 2013/03/0055; 8.11.2012, 2010/04/0112; 24.5.2007, 2006/07/0101).
Von einer rechtzeitigen Kenntniserlangung von der Zustellung durch den Empfänger kann nur dann die Rede sein, wenn diesem die wahrzunehmende Frist ungekürzt oder zumindest nahezu ungekürzt zur Verfügung steht. Davon kann bei einer Verzögerung der Kenntnis von der Zustellung um mehrere Tage nicht mehr die Rede sein (vgl. VwGH 25.6.2015, Ro 2014/07/0107, wonach bei einer Behebung der hinterlegten Sendung erst acht Tage nach Beginn der Abholfrist keine "rechtzeitige" Kenntniserlangung vorliegt; vgl. auch dazu, dass bei einer Rückkehr an die Abgabestelle erst sieben Tage nach dem Beginn der Abholfrist jedenfalls nicht mehr gesagt werden kann, die Partei habe noch "rechtzeitig" iSd § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt VwGH 25.4.2014, 2012/10/0060, 25.6.2013, 2012/08/0031; 24.5.2007, 2006/07/0101; vgl. außerdem VwGH 20.10.2010, 2007/08/0210, wonach davon, dass der Empfänger "rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte" nicht die Rede sein kann, wenn zum Zeitpunkt der Rückkehr an die Abgabestelle bereits rund die Hälfte der Rechtsmittelfrist abgelaufen war).
2.2.2. Eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle, welche bewirkt, dass die Empfängerin nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte liegt hier vor dem Hintergrund der soeben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor:
Die Beschwerdeführerin hielt sich von 10.7.2020 bis 26.7.2020 im Ausland auf und kehrte erst am Abend des 26.7.2020 (Ankunftszeit des Fluges in Wien: 20:35 Uhr) – und damit erst sechs Tage nach Beginn der Abholfrist – wieder an die Abgabestelle in Wien zurück. Die hinterlegte Strafverfügung wurde von der Beschwerdeführerin erst am 27.7.2020 – sieben Tage nach Beginn der Abholfrist – behoben, sodass ihr zu diesem Zeitpunkt nur noch die Hälfte der zweiwöchigen Einspruchsfrist zur Verfügung gestanden wäre. Es liegt daher ein signifikanter Unterschied zum Agieren des Teils der berufstätigen Bevölkerung vor, welcher im Vergleich zur Beschwerdeführerin weitaus früher die Möglichkeit erlangt hätte, in den Besitz der Sendung zu kommen. Einem ortsanwesenden Berufstätigen, der erst nach Beendigung der Amtsstunden der Post am Tag der Hinterlegung (17.7.2020) in seine Wohnung (die Abgabestelle) zurückkehrte, wäre eine Behebung bereits am Montag, 20.7.2020, möglich gewesen; selbst bei einer denkbaren, wochenendbedingten Rückkehr eines Berufstätigen erst am Montagabend an die Abgabestelle wäre ihm eine Behebung spätestens am Dienstag, 21.7.2020, möglich gewesen. Die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Fall konnte die Sendung aber erst am Montag, 27.7.2020, beheben.
Die Beschwerdeführerin konnte daher im Ergebnis aufgrund der bis in den späten Abend des 26.7.2020 dauernden Abwesenheit von der Abgabestelle nicht "rechtzeitig" im Sinne der Rechtsprechung vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen. Die Zustellung der Strafverfügung vom 15.7.2020 wurde daher erst an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag (27.7.2020) wirksam.
2.3. Der Fristenlauf für die Erhebung eines Einspruchs begann daher im gegenständlichen Fall erst am 27.7.2020 und endete zwei Wochen später mit Ablauf des 10.8.2020.
Der am 5.8.2020 per E-Mail eingebrachte Einspruch der Beschwerdeführerin gegen die Strafverfügung vom 15.7.2020 erweist sich somit als rechtzeitig.
2.4. Daraus folgt, dass der Einspruch vom 5.8.2020 nicht als verspätet zurückgewiesen werden hätte dürfen. Auch sonst sind hg. keine Gründe für eine Zurückweisung dieses Einspruches ersichtlich, sodass der verfahrensgegenständliche Zurückweisungsbescheid spruchgemäß zu beheben war. Die belangte Behörde wird daher in der Verwaltungsstrafsache der Beschwerdeführerin gemäß § 49 Abs. 2 VStG das ordentliche Verfahren einzuleiten haben.
2.5. Im Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach sie davon ausgegangen sei, dass die Einspruchsfrist mit dem Tag der Abholung beginnt, wird sie lediglich der Vollständigkeit halber für die Zukunft darauf hingewiesen, dass es auf die tatsächliche Behebung für die Wirksamkeit der Zustellung und den Beginn des Fristenlaufs nicht ankommt, da der Zustellvorgang mit der Hinterlegung abgeschlossen ist und die Abholung nicht mehr zur Zustellung gehört (vgl. VwGH 9.11.2004, 2004/05/0078).
3. Gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG konnte eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war. Zudem wurde die Durchführung einer Verhandlung von keiner Verfahrenspartei beantragt.
4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfasst der Begriff der "Verwaltungsstrafsache" im Sinne des § 25a VwGG auch rein verfahrensrechtliche Entscheidungen (wie Zurückweisungen), die in einem Verwaltungsstrafverfahren ergehen (vgl. VwGH 24.2.1993, 93/02/0016; daran anknüpfend zur Frage der Zulässigkeit der Revision etwa VwGH 10.10.2014, Ra 2014/02/0093). Daher ist § 25a Abs. 4 VwGG für die Zulässigkeit der Rechtsmittel auch im konkreten Zusammenhang relevant, in dem nur über die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Einspruchs gegen eine Strafverfügung zu entscheiden ist. Weil in der zugrundeliegenden Verwaltungsstrafsache lediglich eine Geldstrafe bis zu EUR 726,-- und keine (primäre) Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und nur eine Geldstrafe in Höhe von EUR 78,-- verhängt wurde, ist eine Revision der Beschwerdeführerin an den Verwaltungsgerichtshof wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG iVm § 25a Abs. 4 VwGG) nicht zulässig.
Den übrigen revisionslegitimierten Parteien steht die ordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht offen, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (obzitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche, über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung der hier zu lösenden Rechtsfrage vor. Zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist der Verwaltungsgerichtshof im Allgemeinen nicht berufen (vgl. VwGH 24.3.2014, Ro 2014/01/0011; 28.4.2015, Ra 2014/19/0177).
Schlagworte
Strafverfügung; Einspruch; Zurückweisung; Rechtzeitigkeit; Zustellung; Hinterlegung; Abgabestelle; Abwesenheit; Zustellvorgang; Kenntnis; RechtzeitigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.088.14330.2020Zuletzt aktualisiert am
19.01.2021