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91 Post-und FernmeldewesenNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Aufhebung des Verbots des aktiven Kabelrundfunks durch andere Betreiber als den ORF wegen unverhältnismäßigen Eingriffs in die RundfunkfreiheitSpruch
Die Worte "Die empfangenen" und "nur zeitgleich sowie dem Inhalt nach vollständig und unverändert" im zweiten Satz des §20 Abs1, §24a und die Worte "im Kabeltext" in §24b Abs2 der - gemäß ArtI Abs1 Z7 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 267/1972 als Bundesgesetz geltenden - Rundfunkverordnung, BGBl. Nr. 333/1965 in der Fassung BGBl. Nr. 345/1977 und BGBl. Nr. 507/1993 werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Juli 1996 in Kraft.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind mehrere Verfahren zur Prüfung von Bescheiden anhängig, mit denen Inhabern von Berechtigungen für Rundfunk-Gemeinschaftsantennenanlagen die beantragte Bewilligung zur Einspeisung lokaler Informationsbeiträge, in einem Fall darüberhinaus allgemein zur Einspeisung von Eigenproduktionen, Reportagen und Spielfilmen, in ihre Kabelfernsehnetze versagt wurde. Die Veranstaltung sogenannten aktiven Kabelrundfunks stehe nach geltender Rechtslage ausschließlich dem ORF zu, weshalb allen anderen Besitzern von Fernmeldeanlagen, die zur Verbreitung von Rundfunk geeignet seien, die Veranstaltung derartigen Kabelrundfunks zu untersagen sei.
2. Bei Behandlung der Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Worte "Die empfangenen" und "nur zeitgleich sowie dem Inhalt nach vollständig und unverändert" im zweiten Satz des §20 Abs1 der - gemäß ArtI Abs1 Z7 des Bundesgesetzes BGBl. 267/1972 als Bundesgesetz geltenden - Rundfunkverordnung, BGBl. 333/1965 idF BGBl. 345/1977 (RVO), sowie des §24a und der Wortfolge "im Kabeltext" in §24b Abs2 RVO idF BGBl. 507/1993 entstanden. Der Gerichtshof hat deshalb beschlossen, diese Bestimmungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
Er hatte das Bedenken, daß durch sie die Veranstaltung von aktivem Kabelrundfunk mit Ausnahme von Kabeltextveranstaltungen allen anderen Veranstaltern als dem ORF untersagt werde und daß dies die durch Art10 EMRK gewährleistete Rundfunkfreiheit unverhältnismäßig einschränke.
3. Die Bundesregierung trat den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes in merito nicht entgegen, meinte jedoch, daß die in Prüfung genommen Wortfolgen in §20 Abs1 RVO lediglich einen fernmeldepolizeilichen, aber keinen rundfunkrechtlichen Inhalt haben; die Unzulässigkeit von aktivem Kabelrundfunk ergebe sich nicht aus den in Prüfung genommenen Bestimmungen, sondern aus einer Interpretation der rundfunkverfassungsrechtlichen Vorgaben.
Die Bundesregierung beantragte, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, daß die in Prüfung genommenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben sind.
4. Die Beschwerdeführer zu den Anlaßverfahren B2857/94, B138/95 bis B143/95 und B204/95 traten in einer Äußerung der Auffassung der Bundesregierung entgegen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Bedenken ob der Zulässigkeit der Beschwerden sind nicht entstanden. Die von der Bundesregierung vorgebrachten Überlegungen könnten - ungeachtet des von ihr gestellten Antrages - auch so gedeutet werden, als ob die Bundesregierung die Präjudizialität der in Prüfung genommenen Bestimmungen bestreiten und damit die Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsverfahren in Frage stellen wollte. Sie treffen aber - wie im Zusammenhang mit den meritorischen Überlegungen gezeigt wird - nicht zu.
Da alle Prozeßvoraussetzungen für die eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren gegeben sind, sind diese Verfahren zulässig.
2. a) Die österreichische Rundfunkverfassung wird durch die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit in Art10 EMRK und durch das BVG über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks, BGBl. 396/1974, (BVG-Rundfunk) konstituiert:
Art10 Abs1 EMRK garantiert als Bestandteil des Rechtes auf freie Meinungsäußerung auch die Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen mit Hilfe von Rundfunk- einschließlich Fernsehrundfunkanlagen (individuelle Rundfunkfreiheit), doch schließt diese Gewährleistung es nicht aus, daß die Staaten Rundfunkunternehmungen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen. Freilich müssen nach der Rechtsprechung des EGMR (siehe insbesondere seine Entscheidung Informationsverein Lentia u.a. gegen Österreich vom 24. November 1993, Serie A, Nr. 276 (vgl. auch Medien und Recht 1993, 239 ff. und ÖJZ 1994, 32 ff.)) die Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens und die Versagungsgründe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten.
ArtI des BVG-Rundfunk bestimmt zunächst, daß unter Rundfunk die für die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, Ton und Bild unter Benützung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung bzw. längs oder mittels eines Leiters sowie der Betrieb von technischen Einrichtungen, die diesem Zweck dienen, zu verstehen ist (Abs1).
In VfSlg. 9909/1983 hat der Verfassungsgerichtshof im Einklang mit der Lehre die Auffassung vertreten, daß "jedenfalls echter (aktiver) Kabelrundfunk - wie er hier betrieben werden soll - als 'Rundfunk' iS des BVG-Rundfunk zu qualifizieren ist". Er bleibt bei dieser Ansicht. Für die Beantwortung der in diesem Verfahren maßgeblichen Rechtsfragen ist die (von der Bundesregierung breit erörterte und in der Literatur nicht einheitlich beantwortete) Frage ohne Belang, ob auch bloß passiver Kabelrundfunk unter den Rundfunkbegriff zu subsumieren ist. Denn die RVO legt bloß passivem Kabelrundfunk - wie auch die Anlaßfälle zeigen - keine rundfunkrechtlichen Hindernisse in den Weg.
In Abs2 sieht ArtI des BVG-Rundfunk vor, daß die näheren Bestimmungen für den Rundfunk und seine Organisation bundesgesetzlich festzulegen sind. Ein solches Bundesgesetz hat insbesondere Bestimmungen zu enthalten, die die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung von Rundfunk betraut sind, gewährleisten.
b) Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg. 9909/1983 den Standpunkt eingenommen, daß die Regelung des ArtI des BVG-Rundfunk bewirkt, daß ein solches Gesetz nicht Schranke, sondern Bedingung der Zulässigkeit der Veranstaltung von Rundfunk ist, daß also Rundfunk nur aufgrund einer bundesgesetzlichen Ermächtigung betrieben werden darf. Er bleibt bei dieser Ansicht:
Für sie sprechen nicht nur die im Vorjudikat genannten Umstände und Belegstellen aus der Literatur, sondern auch der subjektive Wille des Verfassungsgesetzgebers, der das Rundfunkgesetz (RFG) als eines der zur Realisierung seiner Gewährleistungspflicht notwendigen Ausführungsgesetze angesehen hat. Daß ein als weiteres Ausführungsgesetz geplantes Privatrundfunkgesetz, das schon im Kontext mit dem BVG-Rundfunk diskutiert wurde, nicht zustandekam, ändert daran nichts.
Der Wille des Verfassungsgesetzgebers war es, die Veranstaltung von Rundfunk einem Genehmigungsverfahren zu unterwerfen und den einfachen Gesetzgeber zu einer bestimmten Ausgestaltung zu verpflichten. Dies wird durch Art10 Abs1 EMRK ermöglicht; insoweit steht die wiedergegebene Bestimmung des ArtI Abs2 BVG-Rundfunk in der Bedeutung, die ihm schon VfSlg. 9909/1983 gegeben hat, in keinem Widerspruch zur konventionsrechtlichen Garantie der Rundfunkfreiheit. In ein Spannungsverhältnis zu dieser gelangt allenfalls erst die Untätigkeit des Gesetzgebers, doch verbietet es sich, den Gehalt der maßgeblichen rundfunkverfassungsrechtlichen Bestimmungen im Hinblick darauf in einen bloßen Eingriffsvorbehalt "umzudeuten". Auch zwingt das rechtsstaatliche Prinzip dazu nicht, da ein Untätigbleiben des Gesetzgebers keineswegs die verfassungsgerichtliche Kontrolle gänzlich ausschaltet (vgl. Oberndorfer, EuGRZ 1988, 193 ff. (hic: 196 f.); Morscher, EuGRZ 1990, 454 ff. (hic: 460 f.)), wie in concreto die weiteren Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes zeigen:
c) Die notwendigen bundesgesetzlichen Ermächtigungen zur Veranstaltung von Rundfunk bestehen derzeit für den ORF für die Veranstaltung von Hörfunk und Fernsehen in Form des RFG und für die Verbreitung von Hörfunkprogrammen auf terrestrischem Wege durch andere Programmveranstalter in Form des Regionalradiogesetzes (RRG).
Für aktiven Kabelrundfunk durch andere Anbieter als den ORF enthält die RVO eine sehr eingeschränkte bundesgesetzliche Grundlage: Zwar ist es den zur Veranstaltung passiven Kabelrundfunks Berechtigten durch die §§24a bis 24c RVO gestattet, Kabeltextveranstaltungen zu verbreiten. Im übrigen aber ist ihnen die Veranstaltung von aktivem Kabelrundfunk verboten, wie sich aus der hinsichtlich eines Teiles in Prüfung gezogenen Bestimmung des zweiten Satzes des §20 Abs1 RVO ergibt, der die Bewilligungsinhaber verpflichtet, die empfangenen Signale nur zeitgleich sowie dem Inhalt nach vollständig und unverändert den Empfangsanlagen zuzuführen und damit die Veranstaltung aktiven Kabelrundfunks (in einer über die Veranstaltung von Kabeltext hinausgehenden Weise) ausschließt.
Die hiefür maßgeblichen Rechtsvorschriften enthalten die Abschnitte VI und VIa der RVO:
§20 Abs1 RVO lautet (die in Prüfung genommenen Worte sind hervorgehoben):
"Die Antennenanlagen und die in dieser verwendeten Empfangs- und Übertragungseinrichtungen müssen in ihrem Aufbau und ihrer Funktionsweise den zum Zeitpunkt der Errichtung der Antennenanlage anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Die empfangenen Signale dürfen nur zeitgleich sowie dem Inhalt nach vollständig und unverändert den Empfangsanlagen zugeführt werden."
Antennenanlagen im Sinne dieser Bestimmung bedürfen gemäß §2 RVO einer behördlichen Bewilligung. Die §§21 und 22 RVO enthalten nähere Bestimmungen über die Zuständigkeit zur Erteilung der Bewilligung, über die Beschaffenheit der Anträge, Sonderbestimmungen für das Verfahren und die Erledigung von Anträgen sowie betreffend die Vorschreibung von Auflagen bei der Erteilung der Bewilligung. Nach §23 dürfen an Gemeinschaftsantennenanlagen innerhalb des von der Bewilligung umfaßten Versorgungsbereiches weitere Empfangsanlagen ohne gesonderte Bewilligung angeschlossen werden, wobei für den Bewilligungsinhaber ein Kontrahierungszwang verfügt wird. Für die Zusammenschaltung von Gemeinschaftsantennenanlagen ist jedoch eine gesonderte fernmeldebehördliche Bewilligung erforderlich (§23 Abs2 RVO). §24 RVO enthält Bestimmungen über das Erlöschen von Bewilligungen.
Mit der RVO-Novelle BGBl. 507/1993 wurde dem Abschnitt VI ein Abschnitt VIa angefügt, der in den §§24a bis 24c Bestimmungen betreffend Kabeltextveranstaltungen enthält.
Dieser Teil der RVO - die in Prüfung genommenen Bestimmungen sind hervorgehoben - lautet:
"Kabeltextveranstaltungen
§24 a. (1) Inhaber von Bewilligungen zur Errichtung und zum Betrieb von Gemeinschaftsantennenanlagen (§2 Abs4) können mittels ihrer Anlagen Kabeltext verbreiten.
(2) Kabeltext im Sinne dieses Gesetzes sind Darbietungen zur Information der Bevölkerung im lokalen und regionalen Raum mittels schriftlicher und grafischer Zeichen und Symbole sowie mittels Standbildern, die als zusätzlicher Service für die angeschlossenen Teilnehmer (auf einem eigenen Kanal sowie in der Austastlücke seines Fernsehsignals) angeboten werden.
(3) Die Inhaber von Gemeinschaftsantennenanlagen können als Kabeltextveranstalter diesen Dienst selbst oder, unbeschadet ihrer rechtlichen Verantwortung, durch Beauftragte gestalten.
Inhaltliche Auflagen
§24 b. (1) Die Verbreitung von Darbietungen mit pornographischem oder gewaltverherrlichendem Inhalt ist verboten. Im übrigen kommen die Bestimmungen des Mediengesetzes, BGBl. Nr. 314/1981, sinngemäß zur Anwendung.
(2) Kommerzielle Werbung ist im Kabeltext untersagt.
Impressum
§24 c. Der Kabeltext hat stets eine
I m p r e s s u m s s e i t e zu enthalten, auf der Name und Anschrift des medienrechtlich verantwortlichen Kabeltextveranstalters anzuführen sind. Werden Kabeltextseiten auf Abruf angeboten, so muß jeweils im Inhaltsverzeichnis die Seitennummer des Impressums angeführt sein."
d) Die Bundesregierung meint, daß es sich bei der Regelung des §20 RVO um eine fernmelderechtliche, bei der Regelung der §§24a bis 24c RVO hingegen um eine rundfunkrechtliche Regelung handle, deren Hinzunahme in die RVO durch deren Novelle BGBl. 507/1993 am fernmelderechtlichen Charakter des §20 RVO nichts geändert habe.
In der Folge verläßt die Bundesregierung jedoch die Prämisse dieser Argumentation, gesteht §20 Abs1 RVO doch einen rundfunkrechtlichen Inhalt zu, meint aber, daß dieser nur deklaratorische Bedeutung habe, da sich der Inhalt dieser Vorschrift schon aus einer Interpretation des BVG-Rundfunk selbst ergebe:
"§20 Abs1 Rundfunkverordnung kann nicht der Inhalt unterstellt werden, daß gerade durch diese Norm aktiver Kabelrundfunk untersagt wird. Der zweite Satz dieser Gesetzesstelle, wonach die empfangenen Signale nur zeitgleich sowie dem Inhalt nach vollständig und unverändert den Empfangsanlagen zugeführt werden dürfen, ist vielmehr als eine bloße Klarstellung des Gesetzgebers zu verstehen:
Die Bestimmung des zweiten Satzes des §20 Abs1 Rundfunkverordnung gibt nämlich nur das wieder, was auf verfassungsrechtlicher Ebene durch das BVG-Rundfunk vorherbestimmt und vorgezeichnet ist, nämlich, daß das Betreiben von Rundfunk einer eigenen gesetzlichen Grundlage bedarf. Da eine solche einfachgesetzliche Grundlage aber im Zeitpunkt der Schaffung des §20 Abs1 zweiter Satz Rundfunkverordnung im Jahre 1977 nicht vorhanden war, hat der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen angeordnet, daß nur eine integrale Programmsignalweiterleitung, die eben nicht als Rundfunk zu qualifizieren ist und die Norm bewußt 'medienrechtlich neutral' formuliert (vgl. Öhlinger, RfR, Seite 39).
... Damit ergibt sich, daß ein Verbot für 'aktiven Kabelrundfunk' nicht aus §20 Abs1 der Rundfunkverordnung abgeleitet werden kann. Die Unzulässigkeit einer solchen Veranstaltung ergibt sich allein aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber bislang - mit Ausnahme der §§24a bis 24c der Rundfunkverordnung - keine Regelungen in Ausführung des ArtI Abs2 BVG-Rundfunk erlassen hat. Die vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluß erwogene 'Unverhältnismäßigkeit des Verbotes der Veranstaltung von aktiven Kabelrundfunk durch andere Betreiber als den ORF', die in Widerspruch zu Art10 MRK stehe, wird somit nicht durch die in Prüfung gezogenen Bestimmungen bewirkt sondern allenfalls dadurch, daß der Gesetzgeber bislang keine entsprechenden Regelungen für aktiven Kabelrundfunk geschaffen hat.
... Würde man §20 Abs1 der Rundfunkverordnung einen Norminhalt zu Lasten des aktiven Kabelrundfunks beimessen, wäre diese Regelung gleichsam von einer fernmelderechtlichen zu einer rundfunkrechtlichen 'mutiert'. Gerade im Bericht und Antrag des Verfassungsausschusses zur Rundfunkverordnung-Novelle BGBl. Nr. 507/1993 (1148 BlgNR 18. GP, S. 1) geht man aber - unter der nach wie vor aufrechten Prämisse, daß integrale Weiterleitung kein Rundfunk ist - davon aus, daß es sich bei den Bestimmungen des 6. Abschnittes der Rundfunkverordnung, so auch deren §20, um fernmelderechtliche Bestimmungen betreffend den Kabelrundfunk handelt. Eine Veränderung des Charakters des Gesetzes hatte der Gesetzgeber somit nicht im Sinn.
... Als Ergebnis ist somit festzuhalten, daß durch die in Prüfung gezogenen Bestimmungen selbst kein Verbot bzw. keine unverhältnismäßige Einschränkung des Betreibens von 'aktivem Kabelrundfunk' normiert werden und somit den in Prüfung gezogenen Bestimmungen kein Widerspruch zu Art10 Abs2 MRK angelastet werden kann."
Wie immer man die Bestimmung des zweiten Satzes des §20 Abs1 RVO auch etikettiert, es kann nicht zweifelhaft sein, daß die in Prüfung genommene Bestimmung rechtlich verbindlich anordnet, daß den zur Verbreitung von Kabelrundfunk Berechtigten die Veranstaltung von aktivem Kabelrundfunk jeder Art untersagt ist, wovon eben nur die Erlaubnis zur Kabeltextveranstaltung eine Ausnahme darstellt.
Dies ergibt sich aus dem zweiten Satz des §20 Abs1 RVO in Verbindung mit deren Abschnitt VIa. Im Gesamtkontext dieser Bestimmungen kann deren normative Bedeutung nicht zweifelhaft sein. Letztlich gesteht die Bundesregierung selbst diesen normativen Sinn zu, wenn sie meint, daß eine Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen "tatsächlich als Zulassung von aktivem Kabelrundfunk gedeutet werden" könnte. Eine solche Deutung ist nur denkbar, wenn man davon ausgeht, daß die derzeitige Fassung der Bestimmung die Veranstaltung aktiven Kabelrundfunks ausschließt.
Es hat sich also der Ausgangspunkt der verfassungsgerichtlichen Bedenken bestätigt: Es ist normative Folge des §20 Abs1 zweiter Satz und der §§24a bis 24c RVO, daß die Inhaber von Bewilligungen für Gemeinschaftsantennenanlagen auf den Betrieb von passivem Kabelrundfunk und Kabeltextveranstaltungen beschränkt sind und ihnen die Verbreitung darüber hinausgehenden Kabelrundfunks derzeit nicht gestattet ist.
e) Unter dieser Annahme hatte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß die in Prüfung genommenen Bestimmungen
"einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rundfunkfreiheit bewirken. Wie der EGMR in der ... Entscheidung Informationsverein Lentia u.a. gegen Österreich dargetan hat, bringt ein solches öffentliches Monopol 'die stärkste Einschränkung der Meinungsfreiheit mit sich'. Der EGMR führt in diesem Zusammenhang aus:
'Eu egard a leur radicalite, elles ne sauraient se justifier qu'en cas de necessite imperieuse.
Grace aux progres techniques des dernieres decennies, lesdites restrictions ne peuvent plus aujourd'hui se fonder sur des considerations liees au nombre des frequences et des canaux disponibles; le Gouvernement en convient. Ensuite, elles ont perdu en l'espece beaucoup de leurs raisons d'etre avec la multiplication des emissions etrangeres destinees a un public autrichien et la decision de la Cour administrative de reconnaitre la legalite de leur retransmission par le cable (...). Enfin et surtout, on ne saurait alleguer l'absence de solutions equivalentes moins contraignantes; a titre d'exemple, il n'est que de citer la pratique de certains pays consistant soit a assortir les licences de cahiers des charges au contenu modulable, soit a prevoir des formes de participation privee a l'activite de l'institut national.'
In der in der Zeitschrift Medien und Recht (aaO, 242) besorgten Übersetzung lautet die Passage:
'Die weitreichenden Auswirkungen solcher Einschränkungen bedeuten, daß sie nur gerechtfertigt sind, wenn sie einem dringenden Bedürfnis entsprechen.
Als Folge des technischen Fortschritts in den letzten Jahrzehnten können solche Einschränkungen heute nicht mehr länger mit der geringen Anzahl der Frequenzen und verfügbaren Kanäle gerechtfertigt werden. Diesem Argument stimmte die Regierung zu. Für den vorliegenden Zusammenhang haben sie einen Gutteil ihrer Berechtigung auch dadurch verloren, daß sich die Zahl der ausländischen Programme, die an das österreichische Publikum gerichtet sind, vervielfacht hat und der Verwaltungsgerichtshof die Gesetzmäßigkeit ihrer Weiterleitung durch Kabel anerkannt hat ... Schließlich und vor allem kann nicht damit argumentiert werden, daß es keine gleichwertigen, weniger einschränkenden Lösungen gäbe; es genügt beispielsweise auf die Praxis bestimmter Länder hinzuweisen, die entweder unter bestimmten Auflagen und mit verschiedenem Inhalt Lizenzen erteilen oder Vorkehrungen für eine private Beteiligung an den Aktivitäten des nationalen Rundfunks vorsehen.'
Der Verfassungsgerichtshof kann nicht erkennen, daß angesichts dieser Erwägungen, denen er sich vorläufig anschließt, der - abgesehen von der Veranstaltung von Kabeltext - absolute Ausschluß der Veranstaltung aktiven Kabelrundfunks durch andere Veranstalter als den ORF als einem dringenden Bedürfnis im Sinne des Art10 Abs2 EMRK entsprechend gerechtfertigt werden könnte. Er schließt sich vielmehr vorläufig der in der Literatur aus der zitierten Entscheidung abgeleiteten Qualifikation an, daß die Ausschaltung aller anderen Rundfunkveranstalter konventionswidrig ist (Mayer, Das Ende des Rundfunkmonopols und die Folgen, ecolex 1994, 511 ff.) und daß 'ein völliger Ausschluß privater Rundfunkveranstaltung über Kabelnetze genau aus den Gründen, die zum ... Urteil des EGMR geführt haben, nicht gerechtfertigt ist' (Holoubek, Die Rundfunkfreiheit des Art10 EMRK, Medien und Recht 1994, 6 ff., hic: 11). Er ist daher vorläufig der Auffassung, daß die vom EGMR angestellten Erwägungen die Unverhältnismäßigkeit des Verbotes der Veranstaltung von aktivem Kabelrundfunk durch andere Betreiber als den ORF erweisen."
Diesen Bedenken wurde im Gesetzesprüfungsverfahren nichts entgegengehalten. Umstände, die die formulierten Bedenken zerstreuen könnten, sind nicht erkennbar geworden: Es stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art10 Abs1 EMRK gewährleistete Rundfunkfreiheit dar, daß den Betreibern von Gemeinschaftsantennenanlagen, die dazu fernmelderechtlich befugt sind, bloß die Verbreitung von Kabeltext, nicht aber die Verbreitung darüber hinausgehender gestalteter Kabelrundfunkveranstaltungen (aktiver Kabelrundfunk) gestattet ist.
f) Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß ein Gesetzesprüfungsverfahren im Falle des Zutreffens der Bedenken dazu führen soll, die festgestellte Verfassungswidrigkeit zu beseitigen; der nach Aufhebung verbleibende Teil des Gesetzes soll dabei aber möglichst nicht mehr verändert werden, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (vgl. etwa VfSlg. 13232/1992). Da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, habe der Verfassungsgerichtshof in jedem einzelnen Fall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt.
In der besonderen Konstellation des Rundfunkverfassungsrechts ist es der einzig mögliche Weg, die festgestellte Verfassungswidrigkeit, die in der Beschränkung der Zulässigkeit der Veranstaltung von Kabelrundfunk auf die Veranstaltung passiven Kabelrundfunks und von Kabeltextdarbietungen besteht, zu beseitigen, eben jene Bestimmungen aus dem Rechtsbestand auszuscheiden, die diese Beschränkung bewirken: also die in Prüfung genommenen Worte in §20 Abs1 RVO und deren §24a. Da nach Aufhebung dieser Bestimmungen aktiver Kabelrundfunk umfassend - also auch über Kabeltextveranstaltungen hinausgehend - zulässig wird, war es notwendig, in §24b RVO jene Worte mit aufzuheben, die dessen Anwendung auf Kabeltextveranstaltungen beschränken.
g) Es waren daher die in Prüfung genommenen Bestimmungen der RVO als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Die Setzung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen hielt der Verfassungsgerichtshof für erforderlich, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, das Recht der Veranstaltung von aktivem Kabelrundfunk im Rahmen der in ArtI Abs2 BVG-Rundfunk festgelegten Vorgaben nach seinen rechtspolitischen Vorstellungen zu gestalten. Die Frist war aber angesichts der Konventionswidrigkeit des derzeitigen Zustandes kürzer zu bemessen, was möglich war, da die Konventionswidrigkeit dem Gesetzgeber schon seit der mehrfach zitierten Entscheidung des EGMR vom 24. November 1993 bekannt ist.
Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.
Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.
Schlagworte
Rundfunk, Meinungsäußerungsfreiheit, Rechtsstaatsprinzip, Rundfunkfreiheit, Kabelrundfunk, Grundrechte, Gesetzesvorbehalt, Fernmelderecht, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / FristsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:G1256.1995Dokumentnummer
JFT_10049073_95G01256_00