TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/15 W183 2235832-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2020
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Entscheidungsdatum

15.10.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W183 2235832-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. PIELER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.09.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer verließ im Jahr 2019 Syrien, stellte am 23.05.2020 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 24.05.2020 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 05.08.2020 wurde der Beschwerdeführer von der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu seinen Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.

Im behördlichen Verfahren gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er im Falle einer Rückkehr nach Syrien befürchte, von der syrischen Armee zwangsrekrutiert zu werden, und den Wehrdienst verweigere.

Im Rahmen des Administrativverfahrens legte der Beschwerdeführer einen auf diesen lautenden syrischen Personalausweis sowie zwei auf diesen lautende syrische Reisepässe (am 10.07.2013 bzw. am 12.12.2018 abgelaufen) vor.

2.       Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 17.09.2020) wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Unter einem wurde diesem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt habe keine „GFK-Relevanz“ und sei er keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen. Die Behörde stellte im angefochtenen Bescheid weiters u.a. fest, der Beschwerdeführer habe sich (mit Unterbrechungen) von 2007 bis 2018 zu beruflichen Zwecken außerhalb Syriens (in Saudi-Arabien und der Türkei) aufgehalten und sei 2019 illegal nach Syrien ein- und nach einem mehrmonatigen Aufenthalt ebenso wieder ausgereist. Es stehe fest, dass der Beschwerdeführer Syrien 2019 verlassen habe. Er habe selbst keinen Einberufungsbefehl erhalten und sei an keinem Checkpoint auf eine mögliche Zwangsrekrutierung angesprochen worden. Wegen seiner beruflichen Tätigkeit in Saudi-Arabien habe er den Militärdienst nicht geleistet, er hätte sich theoretisch vom Militärdienst freikaufen können, aber sei dies praktisch wegen der Schließung der syrischen Vertretungsbehörde in Saudi-Arabien nicht möglich gewesen.

Das BFA stellte dem Beschwerdeführer amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

3.       Mit Schriftsatz vom 05.10.2020 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des im Spruch bezeichneten Bescheides. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe aufgrund seiner Berufstätigkeit außerhalb Syriens bislang den Wehrdienst nicht abgeleistet und drohe ihm im Falle seiner Rückkehr nach Syrien die Zwangsrekrutierung.

4.       Mit Schriftsatz vom 06.10.2020 (eingelangt am 08.10.2020) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Am 08.10.2020 wurde eine Strafregisterabfrage durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger syrischer Staatsangehöriger, dessen Identität feststeht, der in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist und der keinen Asylausschlussgrund gesetzt hat.

Der Beschwerdeführer ist im Herbst 2019 rechtswidrig aus Syrien ausgereist; er ist nicht im Besitz eines gültigen syrischen Reisepasses.

1.2.    Zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer ist in Syrien wehrdienstpflichtig, er hat seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet und ist von diesem nicht befreit. Er befindet sich in einem Alter und Gesundheitszustand, die ihn als Soldaten für die syrische Armee interessant machen.

Der Beschwerdeführer könnte nur über die Grenzübergänge, die in der Hand des syrischen Regimes sind (wie jene zum Libanon oder über den Flughafen von Damaskus) sicher und legal nach Syrien zurückkehren.

Es besteht das reale Risiko, dass der Beschwerdeführer diesfalls am jeweiligen Grenzkontrollposten verhaftet und dem Dienst als Grundwehrdiener der syrischen Armee zugeführt wird. Der Dienst als Grundwehrdiener ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Zwang zur Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen verbunden, im Falle einer Weigerung würde der Beschwerdeführer zumindest mit einer mit Folter verbundenen Gefängnisstrafe bestraft werden.

Eine solche droht dem Beschwerdeführer aber auch, weil er sich dem Dienst als Grundwehrdiener der syrischen Armee entzogen hat, was vom Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen wird.

1.3.     Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 13.5.2019 (letzte Aktualisierung eingefügt am 17.10.2019), das auch die belangte Behörde ihrer Entscheidung unterstellt hat, ergibt sich wie folgt:

Zum Wehr- und Reservedienst in den syrischen Streitkräften:

In Syrien besteht für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die gesetzliche Pflicht zur Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten (CIA 3.4.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018).

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. (BFA 8.2017)

Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Dem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. (FIS 14.12.2018)

Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen. (BFA 8.2017)

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018), daher ist aktuell ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht. (FIS 14.12.2018).

Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen (ÖB 7.2019).

Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen (SHRC 24.1.2019).

Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren (TIMEP 6.12.2018). (LIB, S. 40 ff).

Zu Befreiung und Aufschub:

Nur der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben, auch medizinische Gründe können Befreiung oder Aufschub bedingen. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden. (FIS 14.12.2018) Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (BFA 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (BFA 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017). Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 7.2019) (LIB, S. 43).

Zur Einreise nach Syrien:

Die Einreise nach Syrien mit Ziel des gegenständlichen Herkunftsgebietes ist sicher und aus Sicht des syrischen Regimes legal im Wesentlichen über den Libanon und den Flughafen von Damaskus möglich, die entsprechenden Grenzkontrollstellen befinden sich in der Hand des Regimes (LIB, S. 69ff).

Zu Wehrdienstverweigerung:

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 13.11.2018). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018). Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017). (LIB, S 44 f) Die Behörden haben viele Personen, die im Rahmen von früheren Amnestien freigelassen wurden oder Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet hatten, später erneut inhaftiert (USDOS 13.3.2019). (LIB, S. 46).

Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle wie einem Checkpoint von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Checkpoint-Personals oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter, riskieren (FIS 14.12.2018). (LIB, S. 89 f).

Schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik (USDOS 13.3.2019) (LIB, S. 50).

Die Unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (VN) für Syrien berichtete ebenfalls von außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Regierungskontrolle. Menschenrechtsorganisationen berichteten von summarischen Hinrichtungen mutmaßlicher Deserteure (AA 13.11.2018). (LIB, S. 53)

Quellen:

?        AA – Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018 (BFA 8.2017).

?        CIA - Central Intelligence Agency (3.4.2019): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html

?        DIS/DRC – Danish Immigration Service / Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da&hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC, Zugriff 27.2.2019

?        FIS – Finnish Immigration Service (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf

?        Landinfo (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf, Zugriff 20.2.2019

?        ÖB – Österreichische Botschaft Damaskus (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Bericht_2019_07.pdf

?        SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 31.1.2019

?        TIMEP – The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf, Zugriff 19.2.2019USDOS

?        United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2004226.html, Zugriff 19.3.2019

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Erstbefragung) und durch das BFA, der Beschwerdeschriftsatz, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien vom 13.05.2019 (letzte Aktualisierung eingefügt am 17.10.2019) mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, die vom Beschwerdeführer vorgelegten Ausweise und die Strafregisterabfrage vom 08.10.2020.

2.2.    Zu folgenden Feststellungen wird näher ausgeführt wie folgt:

2.2.1.  Zur Person des Beschwerdeführers

Aufgrund der beim BFA vorgelegten unbedenklichen Personendokumente (abgelaufene Reisepässe – lt. Dokumentenschnellprüfung vom 07.09.2020 echt –; Personalausweis) steht die Identität des Beschwerdeführers fest. Dies hat auch das BFA seiner Entscheidung unterstellt.

Die Feststellung hinsichtlich der rechtwidrigen Ausreise und hinsichtlich des Fehlens eines gültigen syrischen Reisepasses gründen sich auf die diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers. Dieser hat hinsichtlich der gegenständlichen Umstände vor dem Bundesamt gleichbleibende Angaben gemacht hat und hat dieses jene Umstände auch seiner Entscheidung unterstellt.

Die Feststellung der Unbescholtenheit gründet sich auf eine eingeholte Strafregisterauskunft, ebenso wie die Feststellung fehlender Asylausschlussgründe, die sich auch darauf gründet, dass solche Gründe nicht in Ansatz zu sehen oder hervorgekommen sind.

2.2.2.  Zum Fluchtvorbringen

Die belangte Behörde hat dem angefochtenen Bescheid selbst unterstellt, dass der Beschwerdeführer noch keinen Militärdienst abgeleistet hat.

Dass der Beschwerdeführer bis dato in Syrien keinen Wehrdienst geleistet hat, ergibt sich aus dessen Angaben vor dem Bundesamt sowie dem Umstand, dass er sich viele Jahre außerhalb Syriens aufhielt; das Bundesamt hat weder die mangelnde Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Ausführungen festgestellt noch ergibt sich aus der Aktenlage ein Grund, an diesen Ausführungen zu zweifeln. Somit sind diese Ausführungen der Entscheidung zu unterstellen.

Die Feststellung, dass eine Rückkehr nach Syrien nur über den Flughafen von Damaskus sicher und legal möglich ist, ergibt sich aus den aktuellen Länderberichten bzw. aus dem Umstand, dass die Behörde eine andere Möglichkeit nicht aufgezeigt hat.

Die weiteren Feststellungen ergeben sich aus den aktuellen Länderberichten, die unter 1.3. näher ausgeführt wurden, und hat die belangte Behörde diese Länderberichte auch ihrer eigenen Entscheidung unterstellt. Diesen Feststellungen wurde auch in der Beschwerde nicht widersprochen.

2.2.3.  Zur Situation in Syrien

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den unter Punkt 1.3. genannten Länderberichten samt den darin zitierten Quellen. Die aktuellen Länderberichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Auch die belangte Behörde hat diese Länderberichte ihrer Entscheidung unterstellt und wurde diesen auch in der Beschwerde betreffend den hier entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht substantiiert entgegengetreten, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht auch aus diesem Grund keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG ist unter Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder – im Falle der Staatenlosigkeit – der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes zu verstehen. Dies ist im vorliegenden Fall zweifellos Syrien.

3.2. Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; ebenso droht entsprechende Verfolgung einer Person, die staatenlos ist und sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Es ist auszuführen, dass § 3 Abs. 1 AsylG auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK verweist. Danach ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199). Weiters setzt die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung nicht voraus, dass der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung bereits erlitten haben müsste oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre; eine derartige Befürchtung ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers dergestalt sind, dass die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar ist (siehe VwGH 25.01.1996, 95/19/0008, wenn auch zum Asylgesetz 1991, BGBl. Nr. 8/1992 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 76/1997, jedoch unter Bezugnahme auf den Flüchtlingsbegriff der GFK).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. VwGH vom 24.06.2014, Ra 2014/19/0046, mwN; VwGH 30.09.2015, Ra 2015/19/0066; VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0220; VwGH 15.05.2003, 2001/01/0499, VwSlg. 16084 A/2003). Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 3.5.2016, Ra 2015/18/0212, mwN). (VwGH vom 12.06.2020, Ra 2019/18/0440) Daher ist aus dem Argument der Behörde, der Beschwerdeführer sei in Syrien noch keinen Zwangsrekrutierungsversuchen ausgesetzt gewesen und demnach bisher nicht verfolgt worden – worauf sie ihre Entscheidung maßgeblich stützt – nichts zu gewinnen.

In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird ausgeführt, dass drohende Bestrafung wegen der Weigerung der Teilnahme an einem von der Völkergemeinschaft verurteilten Kriegseinsatz dann zur Asylgewährung führen könne, wenn dem jeweiligen Asylwerber eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werde (siehe etwa VwGH 21.12.2000, 2000/01/0072). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt darüber hinaus ausdrücklich die Auffassung, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen – etwa gegen die Zivilbevölkerung – auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009). Dies ist auch in Art. 9 Abs. 2 lit e der Richtlinie 2011/95/EU ausdrücklich festgehalten. Daher wäre eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der genannten Richtlinie fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.

Dies ist nach den hier getroffenen Feststellungen der Fall. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer unmittelbar nach der Einreise festgenommen und – so er nicht wegen Wehrdienstverweigerung zu einer langjährigen, potentiell mit Folter verbundenen Gefängnisstrafe, die indiziert, dass man ihm wegen der Fahnenflucht eine oppositionelle Gesinnung unterstellen würde, verurteilt werden würde – dem Wehrdienst in der syrischen Armee zugeführt werden würde. Es besteht das reale Risiko, dass der Beschwerdeführer im Rahmen dieses Dienstes zu menschen- und völkerrechtswidrigen Handlungen gezwungen und im Falle einer Weigerung mit zumindest einer mit Folter verbundenen Anhaltung bzw. Haft bestraft werden würde. Daher liegt nach der oben dargestellten Judikatur des VwGH jedenfalls eine den Beschwerdeführer objektiv drohende asylrelevante Verfolgung vor.

3.3. Die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz durch das Bundesamt steht mangels einer diesbezüglichen relevanten Änderung der Rechts- oder Tatsachenlage einer Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/18/0054).

3.4. Da darüber hinaus keine vom Beschwerdeführer verwirklichten Asylausschluss- oder -endigungsgründe festzustellen waren, ist der Beschwerde der Beschwerdeführers stattzugeben, diesem der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und auszusprechen, dass dem Beschwerdeführer somit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.5. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 – der diesbezüglich § 24 Abs. 4 VwGVG vorgeht (VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017) – kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig und in ordnungsgemäßem Ermittlungsverfahren erhoben wurde, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes immer noch aktuell und vollständig ist und das Verwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilt.

Das ist hinsichtlich des entscheidungsrelevanten Sachverhalts hier der Fall, da dieser bereits von der Behörde ermittelt wurde; es waren daher nur Rechtsfragen zu klären.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter Punkt 3. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die für die Lösung des Falles relevante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter A) dargestellt und ist dieser gefolgt; es ist daher keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu erkennen.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Desertion Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Militärdienst Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung Wehrdienstverweigerung Wehrpflicht wohlbegründete Furcht Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W183.2235832.1.00

Im RIS seit

19.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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