TE Bvwg Beschluss 2020/10/23 W165 2235866-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2020
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Entscheidungsdatum

23.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z1
AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §57
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art3
FPG §61 Abs1 Z1
FPG §61 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W165 2235866-1/5E
W165 2235867-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ilse LESNIAK als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Kindesmutter XXXX , geb. XXXX , als gesetzliche Vertreterin, diese vertreten durch ARGE Rechtsberatung-Diakonie und Volkshilfe, beide StA. Syrien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2020, Zlen. 1.) 1246889600-190971504 und 2.) 1246888603-190971636, beschlossen:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) und das minderjährige Kind der BF1, der Zweitbeschwerdeführer (im Folgenden: BF2), Staatsangehörige Syriens, gelangten unter Verwendung von Konventionsreisepässen in das österreichische Bundesgebiet und stellten hier am 23.09.2019 Anträge auf internationalen Schutz.

Laut Eurodac-Abfrage hatten die Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), bereits am 02.09.2016 in Griechenland Asylanträge gestellt (Eurodac-Treffermeldungen der Kategorie „1“ zu Griechenland).

Im Zuge der polizeilichen Erstbefragung am 24.09.2019 gab die BF1 an, dass sie keine an der Einvernahme hindernden oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigenden Beschwerden oder Krankheiten habe. Sie könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Sie habe ihren Herkunftsstaat im Jahr 2016 illegal in die Türkei verlassen und sei über Griechenland (Aufenthalt von August 2016 bis 15. September 2019) nach Österreich gereist. Sie habe nach Österreich wollen, da ihr Mann unbedingt dorthin habe wollen. Mehr wisse sie nicht. In Griechenland sei es schön und gut gewesen. Sie habe in Griechenland um Asyl angesucht. Ihr Asylverfahren sei positiv entschieden worden und habe sie vor ca. zwei Monaten einen Konventionsreisepass erhalten, der ihr nach der Grenzkontrolle am Flughafen XXXX gestohlen worden sei. Auch ihr Sohn habe einen griechischen Konventionsreisepass, der ebenfalls vor ca. zwei Monaten ausgestellt worden sei. Griechenland habe sie verlassen müssen, weil ihr Mann in Österreich lebe. Sie wolle in Österreich bleiben, da ihr Mann hier lebe. Ihr Kind lebe seit seiner Geburt bei ihr und habe keine eigenen Fluchtgründe. Sie habe in keinem anderen Land ein Visum oder einen Aufenthaltstitel erhalten.

Mit Schreiben vom 30.09.2019 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), unter Bezugnahme auf den Eurodac-Treffer der Kategorie „1“ zu Griechenland ein Informationsersuchen gemäß Art. 34 Dublin III-VO an Griechenland.

Die griechische Dublin-Behörde teilte dem BFA mit per E-Mail vom 06.12.2019 übermitteltem Schreiben vom 04.12.2019 mit, dass die BF1 am 02.09.2016 mit ihrem syrischen Ehemann um internationalen Schutz angesucht habe. Der BF1 und deren minderjährigem, am XXXX geborenen Sohn, sei am 15.01.2019 der Status anerkannter Flüchtlinge zuerkannt worden und hätten diese Aufenthaltsbewilligungen, gültig vom 16.01.2019 bis 15.01.2022, sowie bis 13.08.2022 gültige Reisedokumente erhalten.

Am 26.05.2020 erfolgte eine Einvernahme der BF1 vor dem BFA. Sie fühle sich psychisch und physisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren. Ihr Kind sei gesund und es gehe ihm gut. Auch der Konventionsreisepass ihres Sohnes sei, wie ihr Reisepass, nach der Grenzkontrolle in XXXX gestohlen worden. Sie sei verheiratet und habe ihren (Anmerkung: Nunmehrigen) Mann in Griechenland traditionell in einer Moschee geheiratet. Nachgefragt, könne sie hierfür keine Dokumente vorlegen. Die BF1 nannte auf Nachfrage zu den Personalien ihres Ehemannes dessen Namen und ein falsches Geburtsjahr. Geburtstag und Geburtsmonat wurden nicht angegeben. Nachgefragt, könne sie ohne auf den Dokumenten Nachschau zu halten, nicht sagen, wann ihr Mann Geburtstag habe. Sie habe ihren Mann im August 2017 in Griechenland in einem Kaffeehaus kennengelernt. Wann genau das gewesen sei, wisse sie nicht mehr genau. Nachgefragt, habe ihr Mann keinen Titel in Griechenland. Ihr Mann sei irakischer Staatsbürger. Er sei vor ca. eineinhalb Jahren nach Österreich weitergereist, da sein Vater und sein Bruder auch in Österreich seien. Befragt, wie sie dazu stehe, dass sie von ihrem Mann schwanger alleine gelassen worden sei, gab die BF1 zu Protokoll: „So ist das Leben, ich habe gewartet, jetzt leben wir zusammen“. Befragt, wie sie in Griechenland ihren Lebensunterhalt erwirtschaftet habe, gab die BF1 an, dass es dort sehr schwer sei. Auf Wiederholung der Frage gab die BF1 zu Protokoll, dass ihr Mann und ihr Schwiegervater Geld geschickt hätten. Sie habe in Griechenland in einem Frauenhaus gewohnt. Nachgefragt, sei sie bei ihrer Einreise nach Griechenland bereits verheiratet gewesen, mit ihrem Cousin. Sie hätten sich in Griechenland scheiden lassen, Dokumente dafür gebe es keine. Sie und ihr Sohn hätten in Griechenland Asyl erhalten. Die Unterlagen seien in Griechenland verloren gegangen. Sie sei nach Österreich weitergereist, da ihr Mann, der Vater ihres Kindes, sich hier aufhalte. Sie habe sich um keine Aufenthaltsgenehmigung in Österreich bemüht, da sie hier um Asyl ansuchen wolle. Ihren (nunmehrigen) Ehemann habe sie in Griechenland am 01.12.2017 zu Hause vor einem Mullah geheiratet. Sie wisse nicht, ob ihr Mann in Griechenland einen Aufenthaltstitel habe. Der Stand des Asylverfahrens ihres Mannes in Österreich sei ihr nicht bekannt. Die BF1 wurde durch das Einvernahmeorgan hierüber in Kenntnis gesetzt, dass ihr Mann im November 2018 erstinstanzlich einen inhaltlich voll negativen Bescheid bezüglich seines Asylantrages erhalten habe. Nachgefragt, was ihre Familie machen würde, sollte ihr Mann auch in zweiter Instanz einen negativen Bescheid erhalten, antwortete die BF1, dass sie dies nicht wisse.

Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich die BF nach Griechenland zurückzubegeben hätten (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt II.) sowie gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Griechenland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Griechenland betreffend Schutzberechtigte wurden in den angefochtenen Bescheiden wie folgt wiedergegeben (unkorrigiert):

Schutzberechtigte

Letzte Änderung: 4.10.2019

Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte erhalten zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Humanitär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre. Die Aufenthaltserlaubnis wird in der Regel ein bis zwei Monate nach der Entscheidung ausgestellt. In der Zwischenzeit gilt die Asylwerberkarte mit dem Stempel „Pending Residence Permit". Nach fünf Jahren Aufenthalt kommt ein Flüchtling für eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung infrage, wenn er bestimmte Voraussetzungen erfüllt (AIDA 3.2019). Subsidiär Schutzberechtigte haben keinen Anspruch auf Familienzusammenführung. Sie erhalten außerdem nur dann international gültige Reisedokumente, wenn sie keine Reisedokumente ihres Heimatstaats erlangen können. Darüber hinaus bestehen keine rechtlichen und tatsächlichen Unterschiede bei der Behandlung der genannten Personengruppen (AA 26.9.2018a; vgl.AIDA 3.2019).

NGOs bezeichnen die Lebensbedingungen für Menschen mit internationalem Schutzstatus in Griechenland als alarmierend. Schutzberechtigte sehen sich nicht nur mit fehlenden Möglichkeiten zur Integration in die griechische Gesellschaft konfrontiert, sondern auch oft mit unzulänglichen Lebensumständen und humanitären Standards, einer äußerst prekären sozioökonomischen Situation und kämpfen oft um ihr bloßes Überleben. Es bestehen weiterhin flächendeckende Defizite bezogen auf die Aufnahme, Versorgung und Integration von Schutzberechtigten. In der Praxis besteht für Flüchtlinge immer noch kein

gesicherter Zugang zu Unterbringung, Lebensmittelversorgung, medizinischer und psychologischer Behandlung oder zum Arbeitsmarkt. Auf dem Festland sind Fälle bekannt, in denen anerkannte Flüchtlinge inoffiziell für einige Monate weiter in den Unterbringunszentren bleiben durften und Bargeld erhielten wie Asylbewerber. Jedoch wurden für sie keine weiteren Integrationsmaßnahmen ergriffen. Sie erhielten keinen Zugang zu entsprechenden Informationen oder Unterstützung bei der Integration (Pro Asyl/RSA 8.2018).

Besondere staatliche Hilfsangebote für anerkannte Schutzberechtigte neben dem allgemeinen staatlichen Sozialsystem bestehen nicht. Konzepte für eine speziell zugeschnittene Information durch öffentliche Behörden sowie Zugangserleichterungen zu staatlichen Leistungen für anerkannte Schutzberechtigte befinden sich im Aufbau (AA 26.9.2018a; vgl. Pro Asyl/RSA 8.2018).

Integrationsplan

Die sogenannte Nationale Strategie zur Integration von Drittstaatsangehörigen ist nur teilweise umgesetzt. Maßnahmen und Projekte des Ministeriums für Arbeit und Sozialfürsorge sind zwar für diejenigen, die unter der Armutsgrenze leben, vorgesehen, aber nicht für Personen, die kein Griechisch sprechen oder verstehen (Pro Asyl/RSA 8.2018).

In der Praxis werden konkrete Integrationsprogramme (z.B. Soforthilfe für Integration und Unterbringung (ESTIA)) weitgehend von einer EU-Finanzierung abhängig sein, da weder auf nationaler noch auf kommunaler Ebene nennenswerte Ressourcen zur Verfügung stehen. Positiver gestaltet sich die Integration der etwa 12.000 schulpflichtigen Flüchtlingskinder in Griechenland, von denen im Schuljahr 2017/2018 ca. 8.000 eingeschult waren (AA 6.12.2018).

Sozialleistungen

Gemäß Gesetz haben Flüchtlinge in Griechenland dieselben sozialen Rechte wie griechische Staatsbürger, aber bürokratische Hürden, staatliche Handlungsdefizite, mangelnde Umsetzung des Gesetzes und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise können den Genuss dieser Rechte schmälern (AIDA 3.2019; vgl. Pro Asyl/RSA 30.8.2018; UNHCR 4.2019). Das neue System der sozialen Grundsicherung vom Februar 2017 befindet sich noch im Aufbau und wird schrittweise eingeführt. Es sieht Geldleistungen (erste Säule) sowie Sachleistungen (zweite Säule) und Arbeitsvermittlung (dritte Säule) vor. Eine etablierte Verwaltungspraxis besteht bislang nicht. Allerdings wurde der Zugang im Rahmen einer Gesetzesänderung im Juni 2018 für jene Personen eingeschränkt, die in EU finanzierten Aufnahmelagern und Apartments wohnen. Die überwiegende Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten bezieht bisher keine soziale Grundsicherung (AA 6.12.2018). Voraussetzung für den Leistungsbezug allgemeiner Sozialhilfe ist das Einreichen verschiedener Dokumente (Aufenthaltserlaubnis, Sozialversicherungsnummer, Bankverbindung, Steuererklärung über das Online-Portal Taxis-Net), wobei der Nachweis des dauerhaften einjährigen Mindestaufenthalts im Inland durch die inländische Steuererklärung des Vorjahres nachzuweisen ist. Dabei sind Unterlagen grundsätzlich

online und in griechischer Sprache einzureichen, staatlicherseits werden keine Dolmetscher gestellt (AA 7.2.2018). Bei der Beschaffung der genannten Dokumente stoßen jedoch die Betroffenen in der Praxis auf zahlreiche Schwierigkeiten (Pro Asyl/RSA 30.8.2018; vgl. UNHCR 4.2019). Einige NGOs bieten punktuell Programme zur Unterstützung bei der Beantragung von Sozialleistungen an. Erster Anlaufpunkt ist die HELP-Webseite des UNHCR. Es beraten z. B. der Arbeiter-Samariter-Bund, die Diakonie und der Greek Refugee Council (AA 6.12.2018; vgl. UNHCR 4.2019).

Im Juli 2019 gab es 72.290 Bezieher der EU-finanzierten Geldleistungen im Rahmen sogenannter Cash-Card Programm des UNHCR, darunter 13.800 anerkannte Schutzberechtigte (UNHCR 7.2019). Es besteht kein Anspruch auf Teilnahme an dem Cash-Card-Programm, es handelt sich nicht um einen Sozialhilfeanspruch, sondern um humanitäre Hilfe. Der Bezugszeitraum endet grundsätzlich nach Anerkennung bzw. nach einer Übergangsfrist von 6 bis 12 Monaten. In der Praxis wurden bisher keine Asylwerber nach ihrem Statuswechsel von dem Bezug ausgeschlossen. Für bereits anerkannte Schutzberechtigte ist ein Neueintritt in das Cash-Card-Programm allerdings nicht möglich (AA 6.12.2018). Der Auszahlungsbetrag beträgt zwischen 90 € für eine Einzelperson mit Unterkunft und Verpflegung und bis zu 550 € für eine Familie mit sieben oder mehr Personen (AIDA 3.2019; vgl. UNHCR 7.2019).

Medizinische Versorgung

Anerkannte Schutzberechtigte haben durch Gesetz vom 20. Februar 2016, umgesetzt seit Ende 2016, einen gesetzlichen Anspruch auf unentgeltliche medizinische Behandlung (auch in Krankenhäusern) und sind in die staatliche Krankenversicherung mit einbezogen. Das Gesundheitssystem erfüllt diesen Anspruch auch in der Praxis, insbesondere im Rahmen der Notfallversorgung (AA 7.2.2018). Trotz des günstigen Rechtsrahmens wird der tatsächliche Zugang zu medizinischer Versorgung in der Praxis durch einen erheblichen Ressourcen- und Kapazitätsmangel sowohl für Fremde als auch für die einheimische Bevölkerung erschwert. Der von verschiedenen Sparmaßnahmen stark betroffene öffentliche Gesundheitssektor steht unter enormem Druck und ist nicht in der Lage, den gesamten Bedarf an Gesundheitsleistungen weder für die einheimische Bevölkerung noch für Migranten zu decken. Ein weiteres Problem stellt die Ausstellung der Sozialversicherungsnummer (AMKA) dar (AIDA 3.2019). Kosten fallen bei Medikamenten im ambulanten Bereich an, da der staatlich festgesetzte erstattete Preis in Apotheken teilweise unterhalb des realen Verkaufspreises gilt. Mit Blick auf die allgemein begrenzten Haushaltsmittel sind Schutzberechtigte wie die griechische Bevölkerung auch hierbei

Budgetierungen und restriktiver Medikamentenausgabe insbesondere bei teuren Krebsmedikamenten unterworfen. Seit Anfang 2017 werden Medikamente für Bedürftige nicht mehr kostenlos in Krankenhausapotheken abgegeben, sondern sind über Apotheken zu beziehen. Dabei wird ein staatlich festgesetzter Preis erstattet, der z. T. unterhalb des üblichen Abgabepreises in Apotheken liegt. Der Differenzbetrag ist privat zu tragen. An einigen Orten unterstützen private Sozialkliniken Bedürftige mit kostenloser Medikamentenabgabe. Fälle von Behandlungsverweigerung sind seltene Ausnahmen (AA 6.12.2018; vgl. AA 7.2.2018).

Wohnmöglichkeiten

Anerkannte Schutzberechtigte haben seit 2013 Zugang zu Unterbringung unter den

gleichen Bedingungen wie Drittstaatsangehörige, die sich legal in Griechenland aufhalten. Eine staatliche Sozialleistung zur Wohnungsunterstützung besteht derzeit auch für die griechische Bevölkerung noch nicht (AA 26.9.2018a; vgl. AIDA 3.2019). In der Praxis wird Schutzberechtigten, die als Asylwerber in einem Flüchtlingslager oder in einer Wohnung des UNHCR-Unterbringungsprogramms (ESTIA) untergebracht waren, gestattet, nach ihrer Anerkennung für weitere 6 Monate in der gleichen Unterkunft zu bleiben (Pro Asyl/RSA 8.2018). Wohnraum wäre grundsätzlich auf dem freien Wohnungsmarkt zu beschaffen (AA 6.12.2018). Das private Anmieten von Wohnraum für bzw. durch anerkannte Schutzberechtigte wird durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte und Studenten, sowie gelegentlich durch Vorurteile erschwert (AA 26.9.2018a). Personen, die keine Unterkunft haben und nicht das Geld besitzen, eine zu mieten, leben oft in überfüllten Wohnungen, verlassenen Häusern ohne Zugang zu Strom oder Wasser oder werden obdachlos (AIDA 3.2019; Pro Asyl/RSA 8.2018). Schutzberechtigte haben Zugang zu Unterbringungseinrichtungen für Obdachlose, die jedoch nur begrenzt vorhanden sind. Eigene Unterbringungsplätze für anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte existieren nicht. Es gibt auch keine eigene Unterstützung für ihre Lebenshaltungskosten. In Athen etwa gibt es vier Asyle für Obdachlose (zugänglich für griechische Staatsbürger und legal aufhältige Drittstaatsangehörige). Aber es ist äußerst schwierig, dort zugelassen zu werden, da sie chronisch überfüllt sind und Wartelisten führen (AIDA 3.2019; vgl. Pro Asyl/RSA). Die Aufnahme ins ESTIA-Programm ist nur für diejenigen anerkannten Schutzberechtigten möglich, welche die Kriterien der Vulnerabilität erfüllen und bereits als Asylwerber an dem Programm teilgenommen haben. Im Rahmen des Programms werden hauptsächlich Familien untergebracht (AIDA 3.2019). Prioritäre Kriterien sind das Vorliegen einer medizinischen Indikation, bevorstehende Geburt oder Neugeborene, alleinerziehende Mütter sowie Unterbringung der vulnerablen Personen von den Erstaufnahmeeinrichtungen auf den ostägäischen Inseln (AA 6.12.2018). Im Rahmen des ESTIA-Programms waren im März 2019 6.790 anerkannte Schutzberechtigte untergebracht (UNHCR 4.2019). Die Auslastungsquote lag Ende August 2019 mit 21.622 Einwohnern (Asylwerber und anerkannte Schutzberechtigte) bei 98,2% der Kapazitäten (ESTIA 28.8.2019). Anerkannte Schutzberechtigte sind dazu aufgerufen, die Wohnungen innerhalb einer Übergangsphase von 6 bzw. 12 Monaten nach ihrer Anerkennung zu verlassen. In der Praxis ist es bisher aber nicht zu erzwungenen Räumungen gekommen (AA 6.12.2018). Personen, die nach Zuerkennung ihres Schutzstatus in Griechenland ESTIA verlassen und einen Zweitantrag in einem anderen EU-Staat stellen, verzichten in eigener Verantwortung auf diesen sozialen Vorteil (AA 6.12.2018).

Einige NGOs bieten punktuell Wohnraum an. Hierzu gehören z.B. Caritas Hellas, Orange House und PRAKSIS. Insbesondere Caritas Hellas unterhält einen sogenannten „Social Spot" in Athen. Hier werden täglich Hilfestellungen zu verschiedenen Themen angeboten. Zudem verfügt Caritas Hellas über Wohnräumlichkeiten sowie Kooperationen mit der armenischen Kirchengemeinde, welche u. a. auch für kurzfristige Unterbringungen zur Verfügung stehen. Weitere gemischte Wohnprojekte der Caritas Hellas im Stadtteil Neos Kosmos werden von den römisch-katholischen Bischöfen in Griechenland unterstützt. Die Zahl der Unterkünfte in Athen ist insgesamt nicht ausreichend. Diese Stellen arbeiten mit Bedürftigen direkt und unmittelbar zusammen. Bedürftige können sich nach Ankunft in Griechenland unmittelbar an die vorgenannten Organisationen wenden (AA 6.12.2018).

Arbeitsmarkt

Ein Zugang zum Arbeitsmarkt steht rechtlich dauerhaft und legal im Land lebenden Personen zu, damit grundsätzlich auch Schutzberechtigten. Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung erhalten nur Personen mit entsprechenden Vorversicherungszeiten für eine Dauer von maximal einem Jahr. Die griechische Arbeitsagentur ODEA stellt nunmehr seit Juni 2018 für alle Schutzberechtigten eine Arbeitslosenkarte aus. Eine Registrierung bei der Arbeitsagentur, welche Voraussetzung für weitere Sozialleistungen ist, war zuvor in der Praxis für Schutzberechtigte kaum möglich, da als Voraussetzung ein Wohnungsnachweis auf den Namen der Person vorgelegt werden musste. Nachdem diese Hürde weggefallen ist, wurden innerhalb weniger Monate über 4.000 Personen aus dem EU-finanzierten Unterkunftsprogramm ESTIA registriert. Die Arbeitslosenkarte berechtigt zu folgenden Leistungen: kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs; kostenloser Eintritt in Museen; Ermäßigungen für Gas-, Wasser- und Stromrechnungen, Rabatte in einigen Fast-Food-Restaurants, Mobilfunkangebote und ermäßigte berufliche Fortbildungsmaßnahmen. Einige NGOs bieten punktuell Programme zur Fortbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche an. Hierzu gehören z.B. der Arbeiter-Samariter-Bund, die Diakonie und der Greek Refugee Council (AA 6.12.2018). Die Chancen zur Vermittlung eines Arbeitsplatzes sind gering. Die staatliche Arbeitsagentur OAED hat bereits für Griechen kaum Ressourcen für die aktive Arbeitsvermittlung (Betreuungsschlüssel: 1 Mitarbeiter für über 1.000 Arbeitslose) und noch kein Programm zur Arbeitsintegration von Flüchtlingen aufgelegt. Migration in den griechischen Arbeitsmarkt hat in der Vergangenheit vor allem in den Branchen Landwirtschaft, Bauwesen, haushaltsnahe und sonstige Dienstleistungen stattgefunden. Allerdings haben sich die Arbeitschancen durch die anhaltende Finanz- und Wirtschaftskrise allgemein deutlich verschlechtert. Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme

bestehen z.T. bei NGOs etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (AA 26.9.2018a).

Bildung

Ein Zugang zum Bildungssystem wird faktisch durch Sprachbarrieren und die stark akademisch ausgerichtete Bildungslandschaft in Griechenland erschwert. Es bestehen einzelne Projekte einer dualen Berufsausbildung etwa im Bereich der Landwirtschaft. Das griechische Bildungsministerium konzentriert sich in seinen Bemühungen bisher auf den Unterricht für die 5 bis 17-jährigen schulpflichtigen Flüchtlingskinder, von denen im Schuljahr 2017/2018 ca. 62% eingeschult waren. Zahlreiche NGOs bieten Sprachkurse für Griechisch und Englisch an (AA 26.9.2018b).

Unterstützung durch NGOs

NGOs spielen bei der Integration Schutzberechtigter eine wichtige Rolle. Es gibt sowohl in Griechenland aktive internationale wie auch lokale NGOs. Die Angebote sind vielfältig, allerdings mit Schwerpunkt in den Ballungsräumen Athen und Thessaloniki, wo sich auch die meisten Schutzberechtigten befinden. Die NGOs sind Umsetzungspartner der internationalen Hilfsprojekte, finanziert von der EU und in weiten Teilen koordiniert vom UNHCR. Die Programme werden genutzt (AA 26.9.2018a). Bekannte Organisationen sind unter anderem: Society for the care of minors (sma-athens.org), Apostoli, eine Organisation der griechisch-orthodoxen Kirche (mkoapostoli.com), Arsis (arsis.gr), National Centre for Solidarity (ekka.org.gr) Hellenic Red Cross (redcross.gr), Positive Voice - Greek Association of HIV Positive Persons (positivevoice.gr), Klimaka (klimaka.org.gr), Nostos (nostos.org.gr), Doctors of the World (mdmgreece.gr), Medical Intervention (medin.gr), Praksis (praksis.gr) sowie Faros (faros.org.gr) usw. (AA 6.12.2018; vgl. UNHCR 4.2019).

In den Bescheiden wurde zusammengefasst festgehalten, dass die BF in Griechenland Flüchtlingsstatus erhalten hätten und daher dort zum Aufenthalt berechtigt seien. Wie sich aus den oben ersichtlichen Länderinformationen zu Griechenland ergebe, bestehe ausreichende Versorgung von anerkannten Flüchtlingen. Es sei nicht davon auszugehen, dass die BF in Griechenland Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden könnten oder ihnen eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Es hätten sich keine Hinweise ergeben, dass die BF an einer schweren körperlichen Krankheit oder schweren psychischen Störung leiden würden. Der Umstand, dass sich der BF2 und der Ehemann der BF1 in Österreich aufhalten würden, stelle insofern kein zu schützendes Familienleben dar, da der Asylantrag des BF2 einerseits zeitgleich zurückgewiesen werde bzw. der Asylantrag des Ehemannes der BF1 vollinhaltlich negativ beschieden worden sei. Die Schutzwürdigkeit des Privatlebens der BF sei insbesondere unter Bezugnahme auf den erst kurzfristigen Aufenthalt in Österreich als gering einzustufen.

Gegen die Bescheide wurden am 21.09.2020 fristgerecht gleichlautende Beschwerden erhoben, worin, unter Hinweis auf diverse Berichte, unzulängliche Lebensumstände, welchen insbesondere Menschen mit internationalem Schutzstatus ausgesetzt seien, vorgebracht wurden. Wäre die BF1 hinreichend befragt worden, hätte sie angegeben, dass es ihr und ihrem Kind in Griechenland nicht gut gegangen sei, dass sie keine Unterstützung mehr erhalten habe, ihre Unterkunft verlassen habe müssen und völlig auf sich allein gestellt gewesen sei. Eine Außerlandesbringung der BF hätte weiters eine Verletzung des Familienlebens mit dem Ehemann der BF1 bzw. dem Vater des BF2 im Sinne des Art. 8 EMRK sowie eine Verletzung des Kindeswohls zur Folge. Für einige Zeit sei die Familie in Österreich gemeinsam untergebracht gewesen, allerdings hätten sie die Unterkunft wechseln müssen, wodurch das Ehepaar vorübergehend in unterschiedlichen Camps untergebracht gewesen sei. Die Familie wolle sobald als möglich wieder zusammen in einer gemeinsamen Unterkunft leben.

Mit Beschluss des BVwG vom 13.10.2020 wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgebung der Beschwerden:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG) idgF lauten:

§ 4a (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat. § 4 Abs. 5 gilt sinngemäß.

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1.       der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2.       …

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl.Nr.79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:
§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Der Verwaltungsgerichtshof (Ra 2016/18/0049 vom 03.05.2016) hat festgehalten, dass nach dem klaren Wortlaut des § 4a AsylG 2005 für die Beurteilung der Frage, ob ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß dieser Bestimmung zurückzuweisen ist, darauf abzustellen ist, ob dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Dass der Fremde dort zudem über einen aufrechten Aufenthaltstitel verfügen muss, lässt sich dem § 4a AsylG 2005 nicht entnehmen. Weiters ergibt sich aus dem Wortlaut der soeben zitierten Bestimmung, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz nach § 4a AsylG 2005 - im Gegensatz zu jener nach § 4 AsylG 2005- keine Prognoseentscheidung zu treffen ist. Während nämlich gemäß § 4 AsylG 2005 eine Prognose dahingehend zu treffen ist, ob der Fremde in dem in Frage kommenden Drittstaat Schutz vor Verfolgung finden kann (Hinweis E vom 6. Oktober 2010, 2008/19/0483; vgl. auch ErlRV 952 BlgNR 22. GP 33), stellt § 4a AsylG 2005 unmissverständlich darauf ab, ob dem Fremden von einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten bereits zuerkannt wurde. Ob der Fremde bei Rückkehr in den nach Ansicht Österreichs zuständigen Staat eine Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung erlangen würde können oder ihm etwa die Aberkennung seines in der Vergangenheit zuerkannten Schutzstatus drohen könne, ist daher gemäß § 4a AsylG nicht zu prüfen.

Bei einer Zurückweisung nach § 4a AsylG 2005 handelt es sich um eine Entscheidung außerhalb des Anwendungsbereichs der Dublin III-VO (VwGH Ra 2016/19/0072, 30.06.2016 mit Hinweis auf Ra 2016/18/0049, 03.05.2016).

Die seit dem 01.01.2014 anwendbare Dublin III-VO geht, wie sich aus der Legaldefinition in ihrem Art. 2 lit. f ergibt, nunmehr von einem einheitlichen Status für Begünstigte internationalen Schutzes aus, welcher gleichermaßen Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte umfasst. Auf Personen, denen bereits in einem Mitgliedstaat Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt wurde und deren Asylverfahren zu beiden Fragen rechtskräftig abgeschlossen ist, findet die Dublin III-VO im Fall eines neuerlichen Antrages auf internationalen Schutz in einem anderen Mitgliedstaat keine Anwendung.

Aus dem Akteninhalt geht hervor, dass den BF in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde.

Erkrankungen der BF oder der begründete Verdacht auf Erkrankungen sind dem Akteninhalt nicht zu entnehmen.

Zur familiären Situation der BF ergehen vorweg folgende Bemerkungen:

Die BF1 reiste mit ihrem damaligen syrischen Ehemann, von dem sie mittlerweile geschieden sein soll, dies allerdings nicht belegen konnte, in Griechenland ein. Ihren nunmehrigen angeblichen Ehemann, einen irakischen Staatsbürger, habe sie während ihres Griechenlandaufenthaltes kennengelernt, weiß allerdings nicht mehr genau, wann dies gewesen sei. Der „Ehemann“ der BF1 verließ Griechenland und reiste ohne seine „Gattin“ alleine in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er laut IZR-Auszug am 05.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 07.11.2018, Zl: 1190079204/180427305, abgewiesen und ist derzeit ein Beschwerdeverfahren vor dem BVwG anhängig. Die BF1 ist nicht einmal in der Lage, das Geburtsjahr ihres „Ehegatten“ zutreffend wiederzugeben, hinsichtlich des Geburtstages und Geburtsmonates räumt sie von vornherein ein, dass sie diese ohne Einsichtnahme in die Dokumente nicht zu nennen in der Lage sei. Die BF1 ist nicht rechtsgültig verheiratet und wurde auch keine traditionelle Heiratsurkunde vorgelegt. Die BF1 will ihren „Ehemann“ am 01.12.2017 traditionell in einer Moschee in Griechenland geheiratet haben, wobei nur kurz darauf in derselben Einvernahme, davon abweichend, die Eheschließung nicht in einer Moschee, sondern zu Hause stattgefunden haben soll. Damit konfrontiert, dass sie von ihrem „Ehemann“ in schwangerem Zustand alleine in Griechenland zurückgelassen worden sei, quittierte sie dies mit der Bemerkung: „So ist das Leben“. Laut Aussage in ihrer Erstbefragung habe sie Griechenland verlassen müssen, weil ihr Mann in Österreich lebe. Der „Ehegatte“ der BF1 hat zum Zeitpunkt des Verlassens Griechenlandes durch die BF1 allerdings bereits seit fast eineinhalb Jahren in Österreich gelebt, sodass es jedenfalls kein vordringliches Anliegen der BF1 gewesen sein dürfte, zu ihrem „Ehegatten“ und Vater ihres Kindes zu gelangen. Der BF1 sind weder der Status ihres „Ehemannes“ in Griechenland noch der Stand seines Asylverfahrens in Österreich bekannt. So ist in ein und derselben Einvernahme einmal davon die Rede, dass ihr Mann in Griechenland keinen Titel habe und einmal davon, dass sie nicht wisse, ob ihr Mann dort einen Aufenthaltstitel habe. Ebenso verneinte die BF1 die Frage, ob ihr der Stand des Asylverfahrens ihres „Ehegatten“ in Österreich bekannt sei, was auf keinen regelmäßigen, vor allem keinen allzu intensiven Kontakt bzw auf kein Eheleuten im Allgemeinen zu eigenes Vertrauensverhältnis schließen lässt, zumal der Asylantrag des „Ehegatten“ am 07.11.2018 erstinstanzlich vollinhaltlich negativ beschieden wurde. Dass die BF und deren „Ehegatte“ bzw Vater in Österreich einige Zeit gemeinsam untergebracht gewesen seien, wie in der Beschwerde behauptet, lässt sich durch Einschau in aktuelle ZMR-Auszüge nicht bestätigen. Demzufolge hat zu keinem Zeitpunkt - auch nicht vorübergehend - ein gemeinsamer Haushalt mit dem lediglich aufgrund eines noch nicht rechtkräftig abgeschlossenen Asylverfahrens derzeit vorläufig zum Aufenthalt in Österreich berechtigten „Ehemann“ bzw. Vater der BF bestanden und leben die BF mit diesem auch aktuell nicht zusammen. Die BF und der „Ehemann“ bzw Vater leben im Bundesgebiet in verschiedenen Ortschaften. Im Übrigen konnte der „Ehemann“ der BF1 seine vorübergehend in einer Justizanstalt genommene Unterkunft laut ZMR erst kurz vor Anhängigmachung des verfahrensgegenständlichen Beschwerdeverfahrens verlassen. Hinweise, dass eine Bewältigung des Alltages der BF nunmehr nur mehr in ständigem räumlichem Zusammenleben mit diesem möglich sein sollte, sind nicht vorhanden. Eine solche Konstellation ist, wie ausgeführt, bis dato nicht vorgelegen und wurde die BF1 bereits geraume Zeit vor der Geburt ihres Kindes von ihrem „Ehemann“ in Griechenland zurückgelassen, sodass diese schon damals räumlich getrennt von diesem gelebt hat. Wie erwähnt, hat es entgegen anderslautender Behauptung in der Beschwerde auch in Österreich niemals ein Zusammenleben gegeben. Neben dem fehlenden gemeinsamen Haushalt gehen aus der Aktenlage auch keinerlei sonstige Abhängigkeiten, wie etwa finanzielle Abhängigkeit oder Pflegebedarf, hervor und wurden solche auch nicht vorgebracht. Die BF befinden sich lt. GVS-Auszug im System der staatlichen Grundversorgung und sind als solche nicht auf finanzielle Zuwendungen von anderer Seite angewiesen. Ebenso ist der „Ehemann“ der BF1 in das Grundversorgungssystem eingebunden und wäre daher wohl gar nicht in der Lage, zwei weitere Personen zu alimentieren.

Laut den Bescheidausführungen sei aufgrund der aktuellen Länderfeststellungen festzustellen, dass in Griechenland ausreichende Versorgung von anerkannten Flüchtlingen bestehe. Die BF seien in Griechenland aufenthaltsberechtigt und würden ihnen dort dieselben Möglichkeiten offenstehen wie auch griechischen Staatsbürgern. Aufgrund der allgemeinen Lage in Griechenland sei in keiner Weise davon auszugehen, dass die BF in Griechenland Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden könnten oder ihnen eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte.

Eine Durchsicht der vorstehend wiedergegeben, den Bescheiden zugrundegelegten Länderfeststellungen ergibt allerdings ein differenziertes Bild der Situation Schutzberechtigter in Griechenland. Zwar werden die Rechte und Versorgungsleistungen, die Schutzberechtigten in Griechenland zukommen, wie erneuerbare dreijährige Aufenthaltserlaubnis, Zugang zum Arbeitsmarkt und medizinische Versorgung, dargelegt. Es wird auch darauf verwiesen, dass Flüchtlinge in Griechenland dieselben sozialen Rechte wie griechische Staatsbürger hätten, jedoch gleichzeitig eingeräumt, dass bürokratische Hürden, staatliche Handlungsdefizite, mangelnde Umsetzung des Gesetzes und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise den Genuss dieser Rechte schmälern könnten. Ebenso wird darauf hingewiesen, dass anerkannte Schutzberechtigte seit 2013 zwar Zugang zu Unterbringung unter den gleichen Bedingungen wie sich legal in Griechenland aufhaltende Drittstaatsangehörige hätten und diesen auch der Zugang zum Arbeitsmarkt offenstehe. Eine staatliche Sozialleistung zur Wohnungsunterstützung bestehe derzeit jedoch - wie auch für die griechische Bevölkerung - nicht.

Die BF1 selbst hat zwar weder in ihrer Erstbefragung noch in ihrer Einvernahme vor der Behörde ein Vorbringen in die Richtung erstattet, dass es ihr und ihrem Kind in Griechenland nicht gut gegangen wäre, sie keine Unterstützung mehr erhalten hätte, sie ihre Unterkunft verlassen hätte müssen und völlig auf sich allein gestellt gewesen wäre, wie ihr laut dem von ihrer Vertretung abgefassten Beschwerdeschriftsatz durch darauf abzielende Fragestellung durch die Behörde offenbar suggeriert werden hätte sollen. Die BF1 hat lediglich allgemein angegeben, „dass es dort sehr schwer sei“. Ansonsten hat die BF1 jedoch dezidiert - und dies ohne Einschränkung - zu Protokoll gegeben, dass es in Griechenland schön und gut gewesen sei. Weiters, dass sie in Griechenland in einem Frauenhaus gewohnt habe, ohne dass daraus der Schluss auf eine Mangelhaftigkeit der Versorgung oder Unterbringung oder gar auf das Fehlen einer Unterkunft, gezogen werden könnte.

Dessen ungeachtet könnten sich die in den Länderfestellungen skizzierten einschlägigen möglichen Schwierigkeiten für Schutzberechtigte, insbesondere jene auf dem Gebiet der Wohnsituation, der medizinischen Versorgung sowie Barrieren beim Zugang zu Sozialhilfen, fallgegenständlich in Anbetracht der als vulnerabel einzustufenden BF - es handelt sich um eine eine alleinstehende 20jährige Frau mit einem Kleinkind im Alter von zwei Jahren - als problematisch erweisen. Dies vor dem Hintergrund, als nicht gesichert erscheint, dass den BF die ihnen bislang gewährte Versorgung einschließlich der eingeräumten Wohnmöglichkeit, auch künftig weiterhin zur Verfügung stehen werde.

Der Grundsatz, dass anerkannte Flüchtlinge bzw Personen mit Aufenthaltsrecht nach einer Übergangsphase der Unterstützung gehalten sind, ihre Existenz - so wie die Staatsbürger eines Landes - selbst zu erwirtschaften, muss fallgegenständlich einschränkend gesehen werden. Dies schon im Hinblick darauf, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die BF1 an der mangelnden Verfügbarkeit einer die Betreuung ihres Kleinkindes sicherstellenden Betreuungsperson scheitern könnte.

Was die Wohnmöglichkeit betrifft, so dürften die BF zwar bis zu ihrer Ausreise aus Griechenland - anders als die Vertretung in der Beschwerde sich aus dem Akteninhalt nicht ergebend, darzutun versucht - wohnversorgt gewesen sein. Laut Länderfeststellungen ist eine Aufnahme in das Unterbringung und Versorgung beistellende ESTIA-Programm für anerkannte Schutzberechtigte, die die Kriterien der Vulnerabilität, wie etwa hier eine alleinerziehende Mutter, erfüllen, möglich, allerdings nur dann, sofern diese bereits als Asylwerber an dem Programm teilgenommen haben. Das erkennende Gericht verfügt über keine Informationen, ob die BF in das ESTIA-Programm aufgenommen waren und auf dessen Grundlage versorgt wurden bzw dies gegebenenfalls auch in Zukunft der Fall wäre. Zu bedenken ist zudem, dass laut Länderberichten Personen, die nach Zuerkennnung ihres Schutzstatus in Griechenland ESTIA verlassen und einen Zweitantrag in einem anderen EU-Staat stellen, in eigener Verantwortung auf diesen sozialen Vorteil verzichten. Auf der Grundlage der vorhandenen Aktenlage ist daher keine Beurteilung möglich, ob die BF im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland wieder in ein ihre Daseinsvorsorge gewährleistendes Versorgungsprogramm aufgenommen würden.

Zusammenfassend kann entgegen der Auffassung des BFA auf der dem BVwG zum Entscheidungszeitpunt vorliegenden Sachverhaltsgrundlage nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass für die Betroffenen nach einer Überstellung nach Griechenland aufgrund ihrer besonderen Verletzbarkeit das Risiko gegeben sein könnte, sich in einer Situation extremer materieller Not zu befinden (vgl. EuGH 19.03.2019, C-298/17 ua, Ibrahim) und damit eine Gefahr einer Verletzung der EMRK, insbesondere des Art. 3, drohen könnte.

Es wären sohin eine konkret auf die BF bezogene Abklärung der Versorgungs- bzw. Unterbringungslage unter Mitberücksichtigung allfälliger sich aus der gegenwärtigen Corona-Pandemie ergebender - in den Bescheiden völlig ausgeklammerter - erschwerender Rahmenbedingungen, vorzunehmen und gegebenenfalls individuelle Zusagen einzuholen.

Aus dem Gesagten folgt, dass fallgegenständlich der entscheidungsrelevante Sachverhalt unzureichend ermittelt wurde, sodass mit Behebung der Entscheidungen nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG vorzugehen war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Abschiebung Asylantragstellung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel Außerlandesbringung Behebung der Entscheidung berücksichtigungswürdige Gründe Ermittlungspflicht ersatzlose Behebung Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung unzulässiger Antrag Versorgungslage Zurückverweisung Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W165.2235866.1.01

Im RIS seit

19.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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