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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde des Dkfm. WP in W, vertreten durch Dr. PP, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 21. März 1994, Zl. MD-VfR - B XIX - 2/94, betreffend eine Bauangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 26. August 1992 suchte der Beschwerdeführer um die nachträgliche Baubewilligung für den "Zubau eines Schutzdaches" beim Einfamilienhaus Wien, F-Gasse 39, Grundstück Nr. 317/4, EZ 657, KG U, an.
Im Westen des Baugrundstückes wurde anschließend an das bestehende Haus ein auf einer Holzkonstruktion angebrachtes Schutzdach aus Blech mit einer Fläche von 2,45 mal 1,20 m in einem Abstand von ca. 8,4 m bis 8,5 m ab der Vorgartentiefe und von ca. 1,8 m zur westlichen Grundgrenze zwischen der Hauswand und der bestehenden, geländeverlaufend abgetreppten Stützmauer errichtet. Das Objekt ist an der an das bestehende Haus anschließenden Seite 1,35 m, an der gegenüberliegenden Seite 1,30 m hoch. Im Westen grenzt an das Baugrundstück das Grundstück Nr. 313/4 der Nachbarn Friedrich und Franziska K. an.
In der Verhandlung vom 29. Juni 1993 erhoben die Nachbarn Friedrich und Franziska K. "Einspruch", da die Grundgrenze 1,40 m innerhalb des gegenständlichen Bauplatzes verlaufe und das Bauvorhaben nicht der Bauordnung für Wien entspreche.
Mit Bescheid vom 16. Dezember 1993 versagte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37 (im folgenden: MA 37) gemäß § 70 und § 71 der Bauordnung für Wien die beantragte Baubewilligung. Die Einwendung der Nachbarn, daß die Grundgrenze 1,40 m innerhalb des gegenständlichen Bauplatzes verlaufe, wurde zwar als unbegründet abgewiesen. Für den Fall, daß Privatrechte berührt sein sollten, wurden die Streitteile diesbezüglich auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Da das gegenständliche Nebengebäude nur ca. 8 m hinter dem Vorgarten in der Abstandsfläche situiert sei, sei die Baubewilligung gemäß § 70 der Bauordnung für Wien zu versagen gewesen. Da durch die Situierung des Bauwerkes subjektiv-öffentliche Nachbarrechte berührt würden und die betroffenen Nachbarn Einwendungen erhoben hätten, sei die Baubewilligung auch gemäß § 71 der Bauordnung für Wien nicht zu erteilen gewesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Aufgrund der geringen Raumhöhe des Verschlages könne nicht von einem unter § 60 Abs. 1 lit. a der Bauordnung für Wien zu subsumierenden Gebäude, sondern allenfalls von einer baulichen Herstellung gemäß § 60 Abs. 1 lit. b leg. cit. gesprochen werden. Eine Baubewilligung sei grundsätzlich entbehrlich, da für die Errichtung des Verschlages keine wesentlichen bautechnischen Kenntnisse erforderlich (gewesen) seien. Ein Nachbarrecht werde nicht verletzt, da gemäß § 134a der Bauordnung für Wien "nur der Abstand eines Bauwerkes zum Nachbarn" ein Nachbarrecht begründe. Da an derselben Stelle z. B. ein Türvorbau möglich wäre und der Abstand größer als 1,5 m bliebe, entstehe kein Nachbarrecht. Daher würde um die Widerrufsbewilligung ersucht und beantragt, den Bescheid der MA 37 vom 16. Dezember 1993 - allenfalls unter Zurückverweisung der Sache zu neuerlichen Erhebungen und neuerlicher Entscheidung an die erste Instanz - aufzuheben.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge. Der "Verschlag" erfülle die Kriterien eines Gebäudes im Sinne des § 60 Abs. 1 lit. a der Bauordnung für Wien und stelle ein Nebengebäude gemäß § 82 leg. cit. dar, auf welches mangels einer entsprechenden Situierung § 82 Abs. 4 leg. cit. nicht angewendet werden könne. Da auf die Einhaltung des § 82 der Bauordnung für Wien dem Nachbarn ein subjektiv-öffentliches Recht zukomme und die von der Bauführung betroffenen Nachbarn sich gegen die Bauführung ausgesprochen hätten, sei auch eine befristete oder auf jederzeitigen Widerruf zu erteilende Baubewilligung gemäß § 71 der Bauordnung für Wien nicht in Frage gekommen. Bei dem "Verschlag" handle es sich um keinen Bauteil, welcher gemäß § 84 Abs. 2 leg. cit. in die Abstandsfläche vorragen dürfe.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf konsenslose Errichtung eines Flugdaches nach § 60 Abs. 1 lit. a der Bauordnung von Wien bzw. einer baulichen Anlage, zu deren Herstellung kein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich ist, nach § 60 Abs. 1 lit. b der Bauordnung für Wien verletzt. Der Beschwerdeführer begehrt Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, hilfsweise wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß Art. IV der Bauordnungsnovelle LGBl. Nr. 34/1992 gelten für alle zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes (nach Art. III Abs. 2 leg. cit. grundsätzlich der 1. Oktober 1992) anhängigen Verfahren die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen. Im Beschwerdefall ist daher die Bauordnung für Wien in der Fassung der Kundmachung
LGBl. Nr. 8/1992 (im folgenden: BO) anzuwenden.
Gemäß § 60 Abs. 1 lit. a zweiter Satz BO ist ein einzelnes Gebäude eine raumbildende bauliche Anlage, die in ihrer Bausubstanz eine körperliche Einheit bildet und nicht durch Grenzen eines Bauplatzes oder Bauloses oder durch Eigentumsgrenzen geteilt ist.
Gemäß § 60 Abs. 1 lit. a vierter Satz BO liegt ein Raum vor, wenn eine Fläche zumindest zur Hälfte ihres Umfanges von Wänden umschlossen und von einer Deckfläche abgeschlossen ist.
Durch die gegenständlichen Baumaßnahmen ist, wie den dem Einreichplan beigehefteten Fotos eindeutig zu entnehmen ist, zweifellos ein Raum entstanden. Auch die übrigen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Gebäudeteiles sind in bezug auf das verfahrensgegenständliche Objekt gegeben.
Gemäß § 60 Abs. 1 lit. a fünfter Satz BO gelten Flugdächer als Gebäude (daß solche Flugdächer eine gewisse Größe aufweisen müssen, bildete nach der hier anzuwendenden Rechtslage noch keine Voraussetzung). Daher ist der Hinweis des Beschwerdeführers, es handle sich beim Projekt um ein kein Gebäude darstellendes Flugdach, nicht zielführend.
§ 82 BO lautet:
"§ 82. (1) Nebengebäude sind Gebäude oder gesondert in Erscheinung tretende Teile eines Gebäudes, wenn sie nicht mehr als ein über dem anschließenden Gelände liegendes Geschoß aufweisen, keine Aufenthaltsräume enthalten und eine bebaute Grundfläche von nicht mehr als 100 m2, in Gartensiedlungsgebieten von nicht mehr als 5 m2 haben.
(2) Die Errichtung eines Nebengebäudes setzt das Vorhandensein oder das gleichzeitige Errichten eines Hauptgebäudes voraus. Die Fläche aller Nebengebäude auf demselben Bauplatz darf nicht mehr als 1/10 seiner Fläche betragen.
(3) Nebengebäude dürfen auf allen kraft des Bebauungsplanes unbebaut zu belassenden Flächen des Bauplatzes errichtet werden, wenn für diese Flächen nicht die gärtnerische Ausgestaltung gemäß § 5 Abs. 4 lit. p angeordnet ist. In Vorgärten und auf Abstandsflächen sind Nebengebäude unbeschadet des Abs. 4 unzulässig.
(4) Beträgt die Gebäudehöhe von Nebengebäuden nicht mehr als 2,50 m und die Firsthöhe nicht mehr als 3,50 m und werden sie in einer Tiefe von mindestens 10 m ab der Vorgartentiefe errichtet, dürfen sie auch auf den kraft Gesetzes oder des Bebauungsplanes ansonsten unbebaut zu belassenden Flächen des Bauplatzes errichtet werden; die Anordnung der gärtnerischen Ausgestaltung von Grundflächen nach § 5 Abs. 4 lit. p steht dem nicht entgegen.
(5) Die durch Nebengebäude in Anspruch genommene Grundfläche ist auf die nach den gesetzlichen Ausnutzbarkeitsbestimmungen bebaubare Fläche des Bauplatzes anzurechnen, auf die nach § 5 Abs. 4 lit. d durch den Bebauungsplan beschränkte bebaubare Fläche jedoch nicht. Im Gartensiedlungsgebiet ist die mit einem Nebengebäude bebaute Grundfläche auf die Ausnutzbarkeitsbestimmungen eines Bauloses dann anzurechnen, wenn die bebaubare Fläche im Bebauungsplan mit mindestens 100 m2 festgesetzt ist.
(6) Den Bestimmungen der Abs. 2 bis 5 unterliegen auch als Nebengebäude errichtete Garagen."
Im Beschwerdefall ist bezüglich der Frage, ob das Projekt ein Nebengebäude darstellt, zunächst zu prüfen, ob es sich dabei um einen gesondert in Erscheinung tretenden Teil eines Gebäudes im Sinne des § 82 Abs. 1 BO handelt.
Die Herstellung einer Verbindung mit dem Hauptgebäude beeinträchtigt nicht den Charakter eines Nebengebäudes, da es vielmehr auf das äußere Erscheinungsbild ankommt (Geuder-Hauer, Wiener Bauvorschriften3, 446 f, E 1 zu § 82 BO). Der Einreichplan und die erwähnten Fotos lassen erkennen, daß es sich bei dem im Seitenabstand errichteten Objekt um einen gesondert - als Aufbewahrungsort für im Verwaltungsverfahren nicht näher bezeichnete Gegenstände (in der Beschwerde ist vom Einstellen von Fahrrädern die Rede) - in Erscheinung tretenden Gebäudeteil und somit um ein Nebengebäude im Sinne des § 82 Abs. 1 BO handelt. Auf das gegenständliche Nebengebäude trifft jedoch die Voraussetzung der Errichtung in einer Tiefe von mindestens 10 m ab der Vorgartentiefe nicht zu. Die Errichtung des Nebengebäudes in der Abstandsfläche ist daher gemäß § 82 Abs. 4 BO unzulässig.
§ 84 Abs. 2 lit. b BO lautet:
"Über Baufluchtlinien, in die Abstandsflächen und in die Vorgärten dürfen außerdem folgende Gebäudeteile vorragen:
b) auf einer Breite von höchstens einem Drittel der betreffenden Gebäudefront Türvorbauten, Freitreppen und Schutzdächer über Eingängen, sofern diese Bauteile höchstens 3 m in die vor den Baufluchtlinien gelegenen Flächen oder Abstandsflächen, aber keinesfalls mehr als auf halbe Vorgartentiefe vorragen und von den Nachbargrenzen einen Abstand von wenigstens 1,50 m einhalten."
Da es sich im Beschwerdefall nicht um die Errichtung eines Schutzdaches über einem Eingang handelt, ist die Ausnahmevorschrift des § 84 Abs. 2 lit. b BO unanwendbar.
Die belangte Behörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, daß eine Baubewilligung gemäß § 70 BO nicht erteilt werden kann.
§ 71 BO lautet:
"Bewilligung für Bauten vorübergehenden Bestandes
§ 71. Bauten, die vorübergehenden Zwecken dienen oder nicht dauernd bestehen bleiben können, sei es wegen des bestimmungsgemäßen Zweckes der Grundfläche, sei es, weil in begründeten Ausnahmefällen die Baulichkeit den Bestimmungen dieses Gesetzes aus sachlichen Gegebenheiten nicht voll entspricht, kann die Behörde auf eine bestimmte Zeit oder auf Widerruf bewilligen. Für sie gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes insofern nicht, als nach Lage des Falles im Bescheid auf die Einhaltung dieser Bestimmungen verzichtet worden ist. Der Bewilligung dürfen durch dieses Gesetz gegebene subjektiv-öffentliche Rechte nicht entgegenstehen, es sei denn, daß der Berechtigte der Bewilligung ausdrücklich zugestimmt hat oder gemäß § 42 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes als der Bewilligung zustimmend anzusehen ist."
Eine Bewilligung nach § 71 BO darf nicht erteilt werden, wenn die Nachbarn, deren subjektiv-öffentliche Rechte durch die Bauführung berührt werden, sich ausdrücklich gegen die Erteilung der vom Beschwerdeführer angestrebten Baubewilligung ausgesprochen haben. Die Gründe, welche die Nachbarn in diesem Zusammenhang anführen, sind rechtlich unerheblich, da § 71 dritter Satz BO die ausdrückliche oder stillschweigende ZUSTIMMUNG des von der Baubewilligung betroffenen Nachbarn voraussetzt. § 134 Abs. 3 BO bestimmt u.a. ganz allgemein, daß zu jenen Bestimmungen, die dem Schutz der Nachbarn dienen, "jedenfalls alle Bestimmungen des Bebauungsplanes für die Bebauung der Liegenschaft" zählen (hg. Erkenntnis vom 29. September 1992, Zlen. 89/05/0030, 0031). Aus den Bauvorschriften über den Abstand eines Bauwerkes von der Nachbargrundgrenze erwächst dem Nachbarn ein subjektives-öffentliches Recht (Geuder Hauer, a.a.O., 622, E 15 zu § 134 Abs. 3 BO).
Daher reichte allein die Verweigerung der Zustimmung durch die Nachbarn, deren subjektiv-öffentliche Rechte verletzt werden können, zur Versagung der Bewilligung gemäß § 71 BO aus. Der Sinn der Regelung des § 71 dritter Satz BO ist eindeutig darin gelegen, daß eine Bewilligung bei Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte nur dann zulässig sein soll, wenn die Nachbarn dem Bauvorhaben ausdrücklich zugestimmt haben (siehe das zitierte hg. Erkenntnis vom 29. September 1992 m. w.N.).
Die Beschwerde erwies sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1994050131.X00Im RIS seit
03.05.2001