TE Vwgh Beschluss 2020/11/27 Ra 2018/16/0210

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Veröffentlicht am 27.11.2020
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Index

E3R E02202000
001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §116 Abs1
VwRallg
31992R2913 ZK 1992 Art215 Abs1
31992R2913 ZK 1992 Art215 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Dr. Mairinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Zollamtes Wien in 1110 Wien, Brehmstraße 14, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 18. Oktober 2018, Zl. RV/7200144/2015, betreffend Eingangsabgaben und Abgabenerhöhung (mitbeteiligte Partei: R P in N, vertreten durch Mag. Hannes Huber und Dr. Georg Lugert, Rechtsanwälte in 3390 Melk, Bahnhofstraße 3), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Urteil vom 30. November 2010 erkannte das Landesgericht St. Pölten den Mitbeteiligten der Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 iVm § 38 Abs. 1 lit. a FinStrG sowie der gewerbsmäßigen Abgabenhehlerei nach § 37 Abs. 1 lit. a iVm § 38 Abs. 1 lit. a FinStrG für schuldig.

2        Dabei stellte das Landesgericht St. Pölten fest, „[der Mitbeteiligte] hat von Ende April 2005 bis 16.10.2005 in fünf Angriffen nach vorschriftswidriger Einfuhr von 12,650.000 Stück Zigaretten der Marke [...] in das Zollgebiet der Europäischen Union diese Zigaretten in Ungarn übernommen bzw. an sich gebracht und von Ungarn über Österreich nach England mittels heimlicher und undeklarierter Beifracht zu der in den Fracht- und Zollpapieren als Gesamtladung ausgewiesenen Tarnladungen von LKW‘s verbracht“.

3        Mit Bescheid vom 18. März 2015 teilte das Zollamt Wien dem Mitbeteiligten die buchmäßige Erfassung der dafür gemäß Art. 202 Abs. 1 und Abs. 3 dritter Anstrich ZK iVm § 2 Abs. 1 ZollR-DG entstandenen Eingangsabgabenschuld in Höhe von 450.947,20 € (291.456 € Zoll, 159.491,20 € Einfuhrumsatzsteuer) mit und schrieb gemäß § 108 Abs. 1 ZollR-DG eine Abgabenerhöhung in Höhe von 69.912,60 € zur Entrichtung vor.

4        Mit weiterem Bescheid vom 27. Mai 2015 teilte das Zollamt Wien dem Mitbeteiligten die buchmäßige Erfassung einer weiteren für den Zeitraum vom 27. Mai 2005 bis zum 16. Oktober 2005 gemäß Art. 202 Abs. 1 und Abs. 3 dritter Anstrich ZK iVm § 2 Abs. 1 ZollR-DG entstandenen Eingangsabgabenschuld in Höhe von 749.892 € (Tabaksteuer) mit und schrieb gemäß § 108 Abs. 1 ZollR-DG eine Abgabenerhöhung in Höhe von 112.106,77 € zur Entrichtung vor.

5        Gegen diese beiden Bescheide erhob der Mitbeteiligte mit Schriftsätzen vom 20. April 2015 und vom 26. Juni 2015 Beschwerden, wobei er im Wesentlichen vorbrachte, er habe die geschmuggelten Zigaretten in Ungarn, das zu diesem Zeitpunkt bereits Mitglied der Europäischen Union gewesen sei, übernommen. Eine Vorschreibung der Eingangsabgaben in Österreich komme daher nicht in Betracht.

6        Mit Beschwerdevorentscheidungen vom 9. Juli 2015 wies das Zollamt Wien die Beschwerden als unbegründet ab, woraufhin der Mitbeteiligte die Entscheidung über die Beschwerden durch das Bundesfinanzgericht beantragte.

7        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Oktober 2018 hob das Bundesfinanzgericht die angefochtenen Bescheide des Zollamtes Wien auf und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

8        Begründend führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, dem Zollamt Wien könne nicht gefolgt werden, wenn es die Ansicht vertrete, dass Österreich nach Art. 215 Abs. 1 zweiter Anstrich ZK für die Festsetzung der Zollschuld zuständig sei, weil die Zuwiderhandlung in Österreich entdeckt worden sei. Aus den Ermittlungen des Zollamtes Wien sowie aus den Feststellungen des Landesgerichtes St. Pölten im Urteil vom 30. November 2010 ergebe sich unmissverständlich, dass der Mitbeteiligte bei allen Schmuggelfahrten die Zigaretten in Ungarn übernommen habe. Nach Art. 215 Abs. 2 ZK gelte die Zollschuld als an jenem Ort entstanden, an dem sich die Zigaretten aufgrund der Feststellungen zu dem am weitesten zurückliegenden Zeitpunkt, für den das Bestehen der Zollschuld nachgewiesen werden könne, befunden hätten. Deshalb sei - entgegen der Ansicht des Zollamtes Wien - davon auszugehen, dass die Zollschuld bereits entstanden gewesen sei, als sich die Zigaretten noch in Ungarn befunden hätten. Dass sich die ungarischen Zollbehörden nicht zur Erlassung eines Abgabenbescheids an den Mitbeteiligten für zuständig erachtet hätten, bewirke nicht die Zuständigkeit der österreichischen Behörden für die Vorschreibung der Zollschuld. Auch bestehe keine Zuständigkeit der österreichischen Zollbehörden für die Festsetzung der Tabaksteuer, sei Österreich doch weder der erste Einfuhrmitgliedstaat noch der Bestimmungsmitgliedstaat iSd Rechtsprechung des EuGH.

9        Gegen dieses Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts richtet sich die Amtsrevision des Zollamtes Wien, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts, in dem der nach Art. 215 Abs. 2 ZK für die Zollschuldvorschreibung als zuständig erachtete Mitgliedstaat seine Zuständigkeit ablehne, der die Unregelmäßigkeiten feststellende Mitgliedstaat zur Vorschreibung der Zollschuld nach Art. 215 Abs. 1 zweiter Anstrich ZK zuständig sei.

10       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12       Art. 215 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom 19.10.1992, (Zollkodex - ZK), in der im Revisionsfall maßgebenden Fassung lautet:

„(1) Die Zollschuld entsteht:

-    an dem Ort, an dem der Tatbestand eintritt, der die Zollschuld entstehen lässt;

-    oder, wenn dieser Ort nicht bestimmt werden kann, an dem Ort, an dem die Zollbehörden feststellen, dass die Ware sich in einer Lage befindet, die eine Zollschuld hat entstehen lassen;

-    [...]

(2) Können die Zollbehörden aus ihnen bekannten Umständen schließen, dass die Zollschuld bereits entstanden war, als sich die Ware noch an einem anderen Ort befand, so gilt die Zollschuld als an dem Ort entstanden, an dem sich die Ware aufgrund der Feststellungen zu dem am weitesten zurückliegenden Zeitpunkt, für den das Bestehen der Zollschuld nachgewiesen werden kann, befand.

(3) [...]

(4) Stellt eine Zollbehörde fest, dass eine Zollschuld gemäß Artikel 202 in einem anderen Mitgliedstaat entstanden ist, so gilt die Zollschuld, sofern sie weniger als 5000 EUR beträgt, als in dem Mitgliedstaat entstanden, in dem ihre Entstehung festgestellt wurde.“

13       Art. 215 Abs. 2 ZK „verfeinert die Fiktion“ des Art. 215 Abs. 1 zweiter Anstrich ZK (vgl. Witte, Kommentar zum Zollkodex6, Rz 5 und 9 f zu Art. 215). Soweit die Zollbehörden aus ihnen bekannten Umständen schließen können, dass die Zollschuld schon vor der Entdeckung des Schmuggels an einem anderen Ort entstanden sein muss, haben sie den am weitesten zurückliegenden, nachweisbaren Zeitpunkt und Ort des Bestehens der Zollschuld, der dann als Ort der Zollschuldentstehung angenommen wird, zu ermitteln.

14       Für die Anwendbarkeit des Art. 215 Abs. 2 ZK kommt es somit gerade nicht zwingend darauf an, dass der tatsächliche Ort an dem die Ware in das Zollgebiet der Gemeinschaft gelangt ist, bestimmt werden kann.

15       Im Strafurteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 30. November 2010 wurde festgestellt, dass der Mitbeteiligte die Zigaretten nach vorschriftswidriger Einfuhr in Ungarn übernommen bzw. an sich gebracht hat. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Abgabenbehörde im Falle einer rechtskräftigen verurteilenden Entscheidung des Strafgerichtes an die Tatsachenfeststellungen, die dem Spruch des Strafurteils zugrunde liegen, gebunden (vgl. die bei Ritz, BAO6, § 116 Tz 14 zitierte hg. Rechtsprechung). Nichts anderes gilt für die Bindung des Bundesfinanzgerichts an rechtskräftige Strafurteile. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der relevante Ort der Zollschuldentstehung gemäß Art. 215 Abs. 2 ZK nicht in Österreich sondern in Ungarn liegt.

16       Dass die ungarischen Zollbehörden eine ihnen aus Sicht der österreichischen Zollbehörden nach Art. 215 Abs. 2 ZK zukommende Zuständigkeit nicht wahrnehmen, kann aber - entgegen der Ansicht des revisionswerbenden Zollamts - nicht dazu führen, dass die Zuständigkeit zur Abgabenvorschreibung den österreichischen Zollbehörden zustehen würde. Für einen solchen Zuständigkeitsübergang fehlt es an einer rechtlichen Grundlage im Zollkodex.

17       Da aufgrund der insoweit klaren Rechtslage eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegt, war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 27. November 2020

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018160210.L00

Im RIS seit

26.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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