TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/21 Ro 2020/02/0010

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Veröffentlicht am 21.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §45 Abs2
AVG §52
B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 12. Mai 2020,
1. I.1 GZ: VGW-002/011/13857/2019,
2. I.2 GZ: VGW-002/011/13858/2019,
3. II.1 GZ: VGW-002/011/13859/2019,
4. II.2 GZ: VGW-002/011/13860/2019,
5. III.1 GZ: VGW-002/011/133861/2019,
6. III.2 GZ: VGW-002/011/13862/2019,
7. IV.1 GZ: VGW-002/011/13863/2019 und
8. IV.2 GZ: VGW-002/011/13864/2019, betreffend jeweils eine Übertretung des Wiener Wettengesetzes (mitbeteiligte Parteien: 1. A GmbH und 2. M P, beide in G und beide vertreten durch die SHMP Schwartz Huber-Medek Pallitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit (zunächst) insgesamt fünf Straferkenntnissen hat der revisionswerbende Magistrat die Zweitmitbeteiligte schuldig erkannt, sie habe als verantwortliche Beauftragte der Erstmitbeteiligten zu näher genannten Zeitpunkten im September und Oktober 2017 in fünf Betriebsstätten unter anderem jeweils die Verpflichtung des § 19 Abs. 2 1. Satz Wiener Wettengesetz idF LGBl. Nr. 48/2016 insofern verletzt, als sie nicht für Zutrittskontrollen im Sinne dieser Bestimmung gesorgt habe. Die Erstmitbeteiligte hafte für den Strafbetrag und die Verfahrenskosten.

2        Einer von den Mitbeteiligten dagegen erhobenen Beschwerde hat das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 5. Juni 2019 Folge gegeben, die Straferkenntnisse behoben und die Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 und 3 VStG eingestellt. Nach der wesentlichen Begründung sei auf die vorliegenden Sachverhalte nach dem Günstigkeitsprinzip nunmehr § 19 Wiener Wettengesetz idF LGBl. Nr. 40/2018 anzuwenden, wonach es nicht auf die Zutrittskontrolle, sondern auf die Aufenthaltskontrolle ankomme. Da keine der neuen Rechtslage entsprechenden Tatanlastungen erfolgt seien, widersprächen die Sprüche der Straferkenntnisse dem Konkretisierungsgebot des § 44a VStG. Das Verwaltungsgericht schließe sich in der Rechtsfrage einem von den Mitbeteiligten vorgelegten Rechtsgutachten an, das „die Wirksamkeit des Günstigkeitsprinzipes einfordert“. Das Vorhandensein einer Beschilderung zur Kennzeichnung des Zutrittsverbotes für Kinder und Jugendliche sei nachgewiesen worden.

3        Dieses Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 16. Oktober 2019, Ro 2019/02/0009, (Vorerkenntnis) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

4        Der Verwaltungsgerichtshof stellte unter Verweis auf VwGH 22.7.2019, Ra 2019/02/0107 und 0108, klar, dass der Günstigkeitsvergleich zwischen § 19 Wiener Wettengesetz idF LGBl. Nr. 48/2016 und § 19 Wiener Wettengesetz idF LGBl. Nr. 40/2018 ergibt, dass das Tatzeitrecht anzuwenden war (und somit das Günstigkeitsprinzip nicht zur Anwendung komme). Der Verwaltungsgerichtshof führte weiters aus, dass Rechtsfragen durch das erkennende Gericht selbst und nicht durch Sachverständige zu beantworten sind.

5        Im fortgesetzten Verfahren wurde vom Verwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis der Beschwerde zu allen Verfahren (erneut) Folge gegeben, es wurden alle Straferkenntnisse behoben und alle Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt. Die Revision hat das Verwaltungsgericht für zulässig erklärt.

6        In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Verwaltungsgerichtshof zwar die Anwendung des „Günstigkeitsvergleichs“ verneine, es aber in der Zwischenzeit zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 24.9.2019, E 2833/2019) gekommen sei, welche - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichend - die Vornahme eines „Günstigkeitsvergleiches“ zwischen § 19 Wiener Wettengesetz idF LGBl. Nr. 48/2016 und § 19 Wiener Wettengesetz idF LGBl. Nr. 40/2018 für geboten erachte. Es liege eine Judikaturdivergenz zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof vor. Das Verwaltungsgericht folge dem Verfassungsgerichtshof dahingehend, dass der „Günstigkeitsvergleich“ zur Anwendung komme. Da keine der neuen Rechtslage entsprechenden Tatanlastungen erfolgt seien, widersprächen die Sprüche der Straferkenntnisse dem Konkretisierungsgebot des § 44a VStG. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Judikaturdivergenz der Höchstgerichte vorliege.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts.

8        Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9        Soweit sich das Verwaltungsgericht im Rahmen der Zulässigkeitsbegründung ausdrücklich auf das Vorliegen uneinheitlicher Rechtsprechung des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes zur Frage des Günstigkeitsprinzips stützt, ist damit für sich genommen nicht der Tatbestand des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfüllt (VwGH 11.8.2017, Ra 2017/17/0473, mwN). Eine allfällige Judikaturdiskrepanz zwischen Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof ist keine ausreichende Zulässigkeitsbegründung (VwGH 12.10.2020, Ra 2020/20/0355, mwN).

10       Aus Sicht der Amtsrevisionswerberin liegt keine Judikaturdivergenz zum Günstigkeitsprinzip vor, weshalb das Verwaltungsgericht die Rechtslage verkenne. Unter Verweis auf (die bereits erwähnte) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes komme das Günstigkeitsprinzip nicht zur Anwendung. Das Verwaltungsgericht habe die Rechtsfragen abermals nicht selbstständig beantwortet. Schließlich sei die Einstellung mangels ausreichender Begründung nicht nachvollziehbar, während der Tatvorwurf der Behörde ausreichend konkretisiert gewesen sei.

11       Die mitbeteiligten Parteien brachten in ihrer Revisionsbeantwortung vor, das vom Verwaltungsgericht vorgenommene Günstigkeitsprinzip entspreche der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, die Amtsrevision wende sich gegen die Beweiswürdigung, diese sei jedoch vertretbar, das Verwaltungsgericht habe die Rechtsfragen eigenständig beantwortet und die Einstellung(en) ausreichend begründet.

12       Die Revision ist zulässig und auch begründet.

13       Zur Frage des Günstigkeitsvergleiches zwischen § 19 Wiener Wettengesetz idF LGBl. Nr. 48/2016 und § 19 Wiener Wettengesetz idF LGBl. Nr. 40/2018 hat der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis auf den Beschluss vom 22. Juli 2019, Ra 2019/02/0107 und 0108, verwiesen, in dem es heißt:

14       „Im Revisionsfall sind sowohl die Strafdrohung als auch die Strafart unverändert geblieben (§ 24 Wiener Wettengesetz). Das Tatbild im Tatzeitpunkt [dort: 7. August 2017] und das Tatbild im Entscheidungszeitpunkt unterscheiden sich vom Unwerturteil her in keiner Weise. In beiden Fällen soll das Wetten von minderjährigen Personen pönalisiert werden. Das Verwaltungsgericht ist daher zu Recht von der Anwendung des Tatzeitrechtes ausgegangen.“

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Hinweis auf diese Judikatur klargestellt, dass das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall das Tatzeitrecht anzuwenden hat. Indem das Verwaltungsgericht erneut von dieser bereits im Vorerkenntnis deutlich zum Ausdruck gebrachten Rechtsprechung abgewichen ist und nicht die von der revisionswerbenden Behörde der Bestrafung zu Grunde gelegte Rechtslage des § 19 Wiener Wettengesetz in der Fassung LGBl. Nr. 48/2016 herangezogen hat, belastet es das das angefochtene Erkenntnis (aus demselben Grund wie das Vorerkenntnis) mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

16       Zudem hat sich das Verwaltungsgericht wiederum argumentativ einem vorgelegten „Rechtsgutachten“ angeschlossen, ohne eine eigene Auseinandersetzung mit der zu beantwortenden Rechtsfrage vorzunehmen.

17       Das Verwaltungsgericht ist in diesem Zusammenhang mit Bezug auf das von den Mitbeteiligten vorgelegte „Gutachten“ neuerlich darauf hinzuweisen, dass einem Sachverständigen keinesfalls die Lösung von Rechtsfragen zukommt und er auch nicht in den Bereich der Beweiswürdigung vordringen darf. Das hat nicht nur für einen von der Behörde beigezogenen Sachverständigen zu gelten, sondern auch für einen Privatgutachter (vgl. VwGH 25.2.2004, 2003/12/0027, mwN).

18       Das angefochtene Erkenntnis erweist sich auch aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig.

19       Der Vollständigkeit halber ist das Verwaltungsgericht zu dem von ihm behaupteten Judikaturwiderspruch zwischen Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof auf Folgendes hinzuweisen:

Dem vom Verwaltungsgericht zitierten Erkenntnis des VfGH vom 24.9.2019, E 2833/2019, lagen einerseits eine Übertretung von § 13 Abs. 5, andererseits von § 19 Abs. 3 Wiener Wettengesetz jeweils iVm § 24 Wiener Wettengesetz in der Fassung LGBl. Nr. 48/2016 zugrunde. Zu § 13 Abs. 5 Wiener Wettengesetz führte der Verfassungsgerichtshof zusammengefasst aus, dass diese Bestimmung nach der Novelle LGBl. Nr. 40/2018 unverändert in § 13 Abs. 3 Wiener Wettengesetz übernommen worden sei. Diese Bestimmung sei aufgrund einer Übergangsfrist vom 7. Juli 2018 bis 6. Oktober 2018 erst mit 7. Oktober 2018 in Kraft getreten. Aus dem Günstigkeitsprinzip folge daher, dass die günstigste Rechtslage heranzuziehen gewesen sei, in welcher § 13 Abs. 3 Wiener Wettengesetz aufgrund der Legisvakanz nicht anzuwenden gewesen sei (also Straffreiheit eintrete).

20       Zum Verstoß gegen § 19 Abs. 3 Wiener Wettengesetz hingegen führte der Verfassungsgerichtshof wörtlich aus:

„Der Günstigkeitsvergleich des Verwaltungsgerichtes Wien hinsichtlich der Bestrafung der beschwerdeführenden Parteien wegen des fehlenden Hinweises auf das Zutrittsverbot für Kinder und Jugendliche iSd § 19 Abs. 3 Wr. WettenG, LGBl. 26/2016 (Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes Wien) erschöpft sich in einem (begründungslosen) Satz; das Verwaltungsgericht Wien unterlässt es, darauf einzugehen, ob (allenfalls auch) die Strafbarkeit im Hinblick auf die Unterlassung des Hinweises auf das Zutrittsverbot (vgl. § 19 Abs. 3 Wr. WettenG, LGBl. 26/2016, und § 19 Abs. 4 Wr. WettenG idF LGBl. 40/2018) vor dem Hintergrund des geänderten § 19 Abs. 2 Wr. WettenG idF LGBl. 40/2018 - welcher ein Zutrittsverbot nur mehr für ‚Betriebsstätten ohne ständige Aufsicht durch verantwortliche Personen der Wettunternehmerin‘ und andernfalls ein Aufenthaltsverbot vorsieht - im Hinblick auf Betriebsstätten mit ständiger Aufsicht durch verantwortliche Personen entfallen ist und ob eine solche Konstellation im vorliegenden Fall gegeben ist. Aus diesem Grund ist das angefochtene Erkenntnis, soweit es dessen Spruchpunkt I. in Bezug auf das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 7. Juni 2018 (KS 472/2017) betrifft, mit Willkür behaftet und insoweit wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art. 2 StGG und Art. 7 B-VG aufzuheben (vgl. VfGH 14.6.2019, E 1610/2019).“

21       Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hat der Verfassungsgerichtshof hier nicht ausgesprochen, dass ab der Novelle LGBl. Nr. 40/2018 aufgrund des Günstigkeitsprinzips § 19 Wiener Wettengesetz idF LGBl. 48/2016 nicht zur Anwendung komme, er hat vielmehr die mangelnde Begründung des Günstigkeitsvergleichs durch das Verwaltungsgericht nach der Änderung des § 19 leg. cit. gerügt. Der Verfassungsgerichtshof lässt gerade offen, ob das Günstigkeitsprinzip zur Anwendung kommt und fordert (nur) eine begründete Vornahme eines Günstigkeitsvergleichs (nimmt aber dessen Ausgang nicht vorweg).

22       Auch der Verwaltungsgerichtshof sieht die Vornahme eines Günstigkeitsvergleichs als geboten an (vgl. VwGH 22.7.2019, Ra 2019/02/0107, 0108).

23       Unabhängig von der oben beschriebenen Irrelevanz für die Zulassung der Revision liegt die vom Verwaltungsgericht vermutete Judikaturdivergenz nicht vor.

24       Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 21. Dezember 2020

Schlagworte

Beweismittel Sachverständigenbeweis Gutachten rechtliche Beurteilung Sachverständiger Aufgaben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020020010.J00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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