TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/22 Ra 2019/04/0014

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Veröffentlicht am 22.12.2020
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Index

50/01 Gewerbeordnung

Norm

GewO 1994 §74 Abs2 Z1
GewO 1994 §75

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2019/04/0015
Ra 2019/04/0016

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa-Janovsky, über die Revision 1. des P S, 2. der C S und 3. der S GmbH, alle in H, alle vertreten durch Dr. Gunther Huber und Mag. Nikolaus Huber, Rechtsanwälte in 4050 Traun, Heinrich-Gruber-Straße 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 25. Oktober 2018, Zl. LVwG-850551/38/Re/LR - 850553/3, betreffend gewerberechtliches Betriebsanlagengenehmigungsverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Linz-Land; mitbeteiligte Partei: B GmbH in H, vertreten durch Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Böhmerwaldstraße 14), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        1. Dem verfahrensgegenständlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren liegt der Antrag der mitbeteiligten Partei betreffend die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer gewerblichen Lager- und Logistikanlage zugrunde. Die wesentlichen baulichen Anlagenteile bestehen aus einer Halle mit Büro. Die projektierte Halle soll eine Höhe von ca. 11m erreichen und ist südlich bzw. südöstlich der am benachbarten Grundstück befindlichen Glashäuser des Gärtnereibetriebes der Revisionswerber situiert.

2        Das vorliegende Verfahren betrifft den Einwand der Revisionswerber als Eigentümer der benachbarten Liegenschaft im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren, die projektierte Halle werde insbesondere in den Wintermonaten einen Schattenwurf verursachen, der die dortige Pflanzenpflege so wesentlich beeinträchtige, dass eine über eine bloße Verkehrswertminderung hinausgehende substanzielle Beeinträchtigung des Ertrags und dadurch eine maßgebliche Eigentumsgefährdung bewirkt werde. Die Überwinterung und Pflege von Kübelpflanzen bilde den ertragsmäßig stärksten Geschäftszweig der Gärtnerei, wofür die volle Lichteinstrahlung wesentlich sei.

3        2. Im ersten Rechtsgang wies das Verwaltungsgericht Oberösterreich die gegen die behördlich erteilte Genehmigung der Betriebsanlage erhobenen Beschwerden der Revisionswerber ab. Diese Entscheidung wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Jänner 2018, Ra 2017/04/0094, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. In seiner Begründung führte der Verwaltungsgerichtshof aus, das Verwaltungsgericht habe ohne Zuziehung eines Sachverständigen das von den Revisionswerbern vorgelegte Gutachten, wonach die Auswirkungen der Errichtung der Halle die Existenz des Betriebes der Revisionswerber an die Unwirtschaftlichkeit heranführe (Minderung des Einkommens um 30 % bzw. teure Investitionen und erhöhte Heizkosten sowie Gestehungskosten, um den Überwinterungs- und Dekorationspflanzen wieder ideale Lichtbedingungen zu ermöglichen), als unschlüssig erachtet und sei aus diesem Grund zu der Ansicht gelangt, dass eine relevante Beeinträchtigung des Eigentums der Revisionswerber nicht vorliege. Das Verwaltungsgericht habe diese Schlussfolgerungen jedoch ohne Beiziehung eines Sachverständigen gezogen, obwohl es nicht über das einschlägige Fachwissen verfüge. Dies habe zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen müssen.

4        3.1. Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) im zweiten Rechtsgang - ohne ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt zu haben - die Beschwerden der Revisionswerber wiederum ab. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

5        3.2. In seiner Begründung gibt das Verwaltungsgericht zunächst - ohne eigene Feststellungen zu treffen - als „Sachverhaltsinhalte und Entscheidungsgrundlagen“ Auszüge aus der gewerbetechnischen Befundaufnahme im Rahmen der behördlichen Verhandlung am 26. November 2015, sowie des Gutachtens des Sachverständigen für Baumpflege, Gartengestaltung und Friedhofsgärtnerei, wieder.

6        In der Folge führt das Verwaltungsgericht wiederum aus, es treffe nicht zu, dass die nach der Verkehrsanschauung übliche bestimmungsgemäße Sachnutzung bzw. Verwertung des Eigentums der Revisionswerber ausgeschlossen sei. Eine solche werde von den Revisionswerbern auch gar nicht behauptet. Vielmehr werde lediglich eine Verminderung des Einkommens vorgebracht. Die vorgebrachte Einkommensminderung werde weder im Detail begründet noch sei deren Höhe nachvollziehbar. Es werde zwar zu einer Beeinträchtigung des westlichen Gewächshauses der Revisionswerber durch die Errichtung der Halle kommen. Durch Maßnahmen wie zusätzliche Heizung, Pflege, Düngung und künstliche Beleuchtung sei jedoch ein Weiterbetrieb möglich. Auch eine Minderung von 30 % des Einkommens stelle lediglich eine finanzielle Einbuße dar. Ein allfälliger Ausgleich sei auf dem Zivilrechtsweg zu suchen.

7        4. Gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts richtet sich die von den Revisionswerbern gemeinsam ausgeführte außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

8        Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte darin, die Revision zurück- in eventu abzuweisen. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

9        5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 gebildeten Senat erwogen:

10       5.1. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit auf das Wesentliche zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht habe trotz Bindung an die vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Rechtsauffassung in dessen Erkenntnis im ersten Rechtsgang den aufgezeigten Verfahrensmangel nicht saniert.

11       Sie ist aufgrund dieses Vorbringens zulässig und erweist sich auch als begründet.

12       5.2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 29. Jänner 2018, Ra 2017/04/0094, das verwaltungsgerichtliche Erkenntnis, mit welchem im ersten Rechtsgang der mitbeteiligten Partei die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der gewerblichen Betriebsanlage erteilt worden war, aufgehoben, weil das Verwaltungsgericht ohne Zuziehung eines Sachverständigen das von den Revisionswerbern vorgelegte Sachverständigengutachten, wonach die Existenz des Betriebs an die Unwirtschaftlichkeit heranführe (Minderung des Einkommens um 30 % bzw. teure Investitionen und erhöhte Heizkosten sowie Gestehungskosten, um den Überwinterungs- und Dekorationspflanzen wieder ideale Lichtbedingungen zu ermöglichen), als unschlüssig erachtete.

13       5.2.2. Das Verwaltungsgericht hat - ungeachtet der Bindung an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofs - kein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt, sondern vielmehr die Ansicht vertreten, mit dem Vorbringen einer Einkommensminderung von 30 % sei eine substanzielle Beeinträchtigung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 GewO 1994 von vornherein nicht dargetan. Würde der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsansicht teilen, so hätte sich der Auftrag zur Ergänzung des Ermittlungsverfahrens nach dem ersten Rechtsgang erübrigt.

14       5.2.3. Vor dem Hintergrund der bereits mehrfach zitierten Rechtsprechung, wonach eine Gefährdung dinglicher Rechte iS des § 74 Abs. 2 Z 1 leg. cit. (nur) dann gegeben ist, wenn deren sinnvolle Nutzung wesentlich beeinträchtigt oder überhaupt nicht mehr möglich ist, was der Fall ist, wenn diese in ihrer Substanz bedroht werden, indem ihre bestimmungsgemäße Nutzung auf Dauer unmöglich gemacht wird (vgl. VwGH 29.2.2008, 2004/04/0179, mwN, und VwGH 10.12.2009, 2007/04/0168, mwN), ist Folgendes festzuhalten: Als insofern geschützte bestimmungsgemäße Nutzung des Eigentums ist jedenfalls auch diejenige anzusehen, der eine Nachbarliegenschaft aufgrund der dort zum Zeitpunkt der zu prüfenden Genehmigung bereits etablierten und betriebenen gewerblichen Tätigkeit dient. Kann die gewerbliche Tätigkeit aufgrund der wegen des zu genehmigenden Projekts zu erwartenden Einschränkungen der einschlägigen Nutzbarkeit der Nachbarliegenschaft nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll fortgeführt werden, so stellt dies eine Verunmöglichung der bestimmungsgemäße Nutzung am Eigentum der Liegenschaft dar. Ob die Nutzung der Nachbarliegenschaft wegen der Beeinträchtigung der benachbarten Betriebstätigkeit derart eingeschränkt würde, dass dies zu einer Verunmöglichung der bestimmungsgemäßen Nutzung führen würde, kann nur im Einzelfall aufgrund der jeweiligen Umstände beurteilt werden.

15       5.2.4. Fallbezogen handelt es sich dabei um den Gärtnereibetrieb, der - laut Vorbringen der Revisionswerber - wegen der zu errichtenden Lagerhalle und der daraus sich ergebenden eingeschränkten Nutzbarkeit der Gewächshäuser wegen des auf Dauer eingeschränkten Lichteinfalls, nicht mehr ausreichend wirtschaftlich betrieben werden könne. Dazu wird das Verwaltungsgericht festzustellen haben, worin die zu erwartende Einschränkung besteht, mit welchen Maßnahmen einer solchen Einschränkung begegnet werde könnte und ob die Umsetzung dieser Maßnahmen mit betriebswirtschaftlich sinnvollen Mitteln bewirkt werden kann.

16       5.2.5. Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt und seine Entscheidung damit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

17       5.3. Ergänzend ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Begründungspflicht zu verweisen, wonach gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen sind. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens wiederstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben (vgl. etwa VwGH 21.02.2019, Ra 2018/09/0031).

18       In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die bloße Wiedergabe der Ermittlungsergebnisse, die nach dem oben Gesagten nicht zu den erforderlichen Begründungselementen zählt, das Treffen von konkreten Feststellungen, nicht ersetzen kann. Der Feststellungspflicht ist vielmehr dadurch Genüge zu tun, dass das Verwaltungsgericht aufgrund der Ermittlungsergebnisse die rechtlich relevanten Tatsachen darstellt, sodass klar ist, welchen Sachverhalt - auf Basis welcher getrennt darzustellenden beweiswürdigenden Überlegungen - das Verwaltungsgericht der rechtlichen Beurteilung zugrunde legt.

19       5.4. Das angefochtene Erkenntnis ist daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts (vgl. Pkt. 5.2.) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

20       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am 22. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019040014.L00

Im RIS seit

08.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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