TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/30 L515 1437040-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2020
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Entscheidungsdatum

30.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

L515 1437040-2/19E

Schriftliche Ausfertigung des am 09.07.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA der Republik Türkei, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.03.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge kurz als „bP“ bezeichnet), ist ein männlicher Staatsangehöriger der Republik Türkei und brachte nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 1.4.2013 beim Bundesamylamt, nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als nunmehr belangte Behörde (in weiterer Folge „bB“) einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Zusammengefasst brachte die bP vor, dass im Jahr 2011 ihr Haus gestürmt worden sei und Bücher, welche von Abdullah Öcalan verfasst worden seien und eine kurdische Flagge sichergestellt worden wären. Weiters hätte die bP an Demonstrationen der HDP teilgenommen. Im Anschluss an die Erstürmung des Hauses sei sie vorübergehend festgenommen und dem Gericht vorgeführt worden, welches eine periodische Meldepflicht und eine Ausreisesperre verhängt hätte.

Nach der Aufhebung der Ausreisesperre und nachdem die bP erfahren hätte, dass die Staatsanwaltschaft eine vierjährige Freiheitsstrafe beantragt hätte, hätte die bP die Türkei verlassen. An einer anderen Stelle behauptete sie, sie wäre bereits verurteilt wurden.

In Bezug auf das Vorbringen der bP im Detail wird –soweit sie sich im gegenständlichen Verfahren als relevant darstellen- auf die entsprechenden Stellen des gegenständlichen Erkenntnisses verwiesen.

In Bezug auf das bisherige verfahrensrechtliche Schicksal im Detail wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, welche wie folgt wiedergegeben werden:

„…

-        Sie reisten spätestens am 02.04.2013 schlepperunterstützt und unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet ein.

-        Am selben Tag stellten Sie einen Antrag auf internationalen Schutz gem. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und gaben an, den Namen XXXX zu führen, am XXXX geboren zu sein und türkischer Staatsangehöriger zu sein.

-        Am 04.04.2013 wurde Ihr türkischer Nüfus überprüft und als echt eingestuft.

-        Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.07.2013, ZI: 13 04.052, wurde Ihr Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 wurde auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG 2005 wurde eine Ausweisung aus dem Österreichischen Bundesgebiet verfügt.

-        Am 05.08.2013 langte Ihre Beschwerde gegen den oa. Bescheid beim Bundesasylamt ein.

-        Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.07.2014 wurde der bekämpfte Bescheid behoben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

-        Am XXXX 2014 heirateten Sie die österreichische Staatsbürgerin Frau XXXX , geb. XXXX 1968.

Am 24.09.2014 wurden Sie vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

-        Am XXXX 2015 wurde Ihr XXXX geboren.

-        Am XXXX 2017 heirateten Sie die rumänische Staatsangehörige Frau XXXX , geb. XXXX 1982. Ab diesem Zeitpunkt verfügten Sie ein Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet. Diese Ehe ist mittlerweile wieder geschieden.

-        Am XXXX 2017 wurde gegen Sie ein Betretungsverbot für die gemeinsame Wohnung ausgesprochen.

-        Am 06.10.2017 wurde gegen Sie wegen § 15 StGB §§ 107 (1), 105 (1), 106 (1) Z. 1 StGB die Untersuchungshaft verhängt. Bis 04.12.2017 befanden Sie sich in Untersuchungshaft und wurden letztendlich freigesprochen.

-        Am 22.10.2018 wurde gegen Sie wegen § 83 (1) StGB Anklage erhoben. Sie wurden nicht verurteilt.

-        Am 25.10.2018 wurde gegen Sie wegen §§ 107 (1), 107 (2) StGB Anklage erhoben. Sie wurden freigesprochen.

-        Am 24.12.2018 wurde gegen Sie wegen § 109, § 195, § 87 und § 99 StGB Anzeige erstattet.

-        Von 28.01.2019 bis 09.04.2019 waren Sie nicht mehr in Österreich gemeldet.

-        Am 09.04.2019 wurden Sie in der JA XXXX in Untersuchungshaft genommen.

-        Am 04.07.2019 wurden Sie in der JA XXXX niederschriftlich einvernommen. Die wesentlichen Passagen dieser Einvernahme gestalten sich wie folgt:

F.: Befinden Sie sich in ärztlicher Behandlung oder sonst in Therapie und nehmen Sie zurzeit Medikamente ein?

A.: Nein, ich bin gesund und nehme keine Medikamente.

F.: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht?

Wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

A.: Ja. Ich habe die Wahrheit gesagt, und es wurde rückübersetzt.

F.: Haben Sie nunmehr Identitätsdokumente (Reisepass, Inlandspass) vorzulegen?

A.: Ich habe meinen Reisepass hier abgegeben. Meinen Nüfus habe ich bereits beim abgegeben.

F.: Haben Sie irgendwelche anderen Dokumente oder Beweismittel, die Sie vorlegen können?

A.: Nein.

F: Können sie bitte einen kurzen Lebenslauf bezüglich ihrer Person schildern? Z.B.: Wo sind sie geboren, wo aufgewachsen, welche Schulausbildung haben sie absolviert, welchen Beruf haben sie ausgeübt?

A: Ich bin am XXXX in XXXX , XXXX geboren. Ich habe dort 8 Jahre die Grundschule besucht. Danach habe ich auf Pistazienfeldern gearbeitet und danach in Antalya in verschiedenen Hotels, Restaurants und Discos. 2013 bin Ich illegal nach Österreich eingereist. Ich war zuerst in Wien und dann in XXXX . Dort war ich 4 oder 5 Monate im Asylheim. Dann wurde ich nach XXXX überstellt. Dort war ich ca. 6 Monate in einer Bar beschäftigt. Dann habe ich meine Arbeitsgenehmigung bekommen und bei der Firma XXXX angefangen zu arbeiten. Es ist eine XXXX . Dann habe ich nach XXXX bei einer XXXX gearbeitet. In XXXX . Dort war ich ca. 4-5 Monate beschäftigt. Seit ca. 3 Monaten bin ich in der JA XXXX .

F: Sind Sie verheiratet?

A: Ich bin seit gestern geschieden. Aber es ist noch nicht rechtskräftig. Meine Ehefrau heißt XXXX , geb. XXXX 1982.

F: Haben Sie Kinder?

A: Einen Sohn, XXXX , geb. XXXX 2015. Sie leben beide in XXXX .

F: Welcher Religion und Volksgruppe gehören Sie an?

A: Ich habe keine Religion und ich bin Kurde.

F: Welche Verwandte leben noch in Ihrem Herkunftsstaat.

A: Ich habe drei Schwestern und einen Bruder in der Türkei. 2 Schwestern und ein Bruder leben in XXXX und eine Schwester in XXXX . In Deutschland habe ich zwei Brüder. Sonst habe ich keine Verwandten mehr. 2 Tanten leben noch in der Türkei.

F: Wovon lebt Ihre Familie in der Türkei jetzt.

A: Mein Bruder hat Pistazienfelder und er lebt vom Verkauf. Meine Schwestern sind Hausfrauen.

F: Wann hatten Sie zuletzt Kontakt (persönlich oder telefonisch) mit Angehörigen in der Türkei?

A: Ja, telefonisch.

F: Wie geht es ihnen in der Türkei?

A: Es geht ihnen nicht so gut. Sie machen sich sorgen um mich.

Beantworten Sie die nachstehenden Fragen mit „Ja“ oder „Nein“. Sie haben später noch die Gelegenheit, sich ausführlich zu diesen Fragen zu äußern:

F.: Sind Sie vorbestraft oder waren Sie in Ihrem Heimatland inhaftiert oder hatten Sie Probleme mit den Behörden in der Heimat?

A.: Ja ich wurde festgenommen, bin aber nicht vorbestraft.

F.: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc?

A.: Ich weiß es nicht.

F.: Sind oder waren Sie politisch tätig?

A.: Ja.

F.: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei?

A.: Ja.

F.: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses irgendwelche Probleme?

A.: Ja.

F.: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit irgendwelche Probleme?

A.: Ja.

F.: Hatten Sie gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc.)?

A.: Nein.

F.: Nahmen Sie in Ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?

A.: Nein.

F: Sind Ihre bisher in der Erstbefragung und den Einvernahmen vor dem BFA geschilderten Fluchtgründe aufrecht?

A: Ja.

F.: Schildern Sie nochmals die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Asylantrag gestellt haben, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß.

A: Damals gab es zwischen Türken und Kurden immer wieder Probleme. Einmal gab es bei mir zu Hause eine Razzia von Terrorpolizisten. Das Haus wurde durchsucht und die Beamten haben Bücher über Abdullah Öcalan gefunden. Sie haben auch eine kurdische Fahne gefunden, die ich oft bei Protesten mitgenommen habe. Dann wurde ich festgenommen und kam in U-Haft. 2 oder 3 Tage war ich in U-Haft. Dann wurde ich Einvernommen und gefragt wo ich die Fahne und die Bücher her habe. Dann wurde ich von einem Richter auf freien Fuß angezeigt. Nach ein oder zwei Monaten bin ich mit dem LKW nach Österreich geflüchtet.

F: Was wurde Ihnen genau vorgeworfen?

A: Wegen terroristischer Propaganda wurde ich angezeigt. Und die Mitgliedschaft einer terroristischen Partei. Und nicht erlaubte Bücher gelesen zu haben.

F: Was waren Ihre Tätigkeiten für die HDP?

A: Ich war bei Versammlungen und hatte bei den Protesten Aufsicht. Auch Flyer verteilen.

F: Wissen Sie wie Ihr Verfahren ausgegangen ist?

A: Ich weiß es nicht ich bin geflüchtet.

F: Könnte es sein dass Sie freigesprochen wurden?

A: Ich weiß es nicht. Ich wollte durch meinen Bruder nachfragen lassen. Aber es wurde ihm keine Auskunft erteilt.

F: Welche Probleme hatten Sie aufgrund Ihrer Volksgruppe? Gab es bestimmte Vorfälle?

A: Es gab viele Diskussionen, aber nur mündlich. Es gab immer wieder Streitigkeiten zwischen Türken und Kurden.

F: Wann wurde Ihr Haus durchsucht?

A: Das war 2012. Das war 3 Monate bevor ich hier angekommen bin.

F: Wurden Sie am selben Tag festgenommen?

A: Ja. Für 2 oder 3 Tage wurde ich festgenommen.

F: Sie waren nach der Durchsuchung für 2 oder 3 Tage in Haft. Dann wurden Sie auf freien Fuß angezeigt. Warum sind Sie nicht sofort ausgereist. Sie haben noch ca. 3 Monate in der Türkei gelebt?

A: Es war nicht geplant, dass ich das Land verlasse, aber jedes Mal wenn ich draußen war wurde ich kontrolliert und ich habe mich unwohl gefühlt. Danach habe ich mich entschieden wegzugehen.

F: Von wem wurden Sie kontrolliert?

A: Die Gendarmerie.

F: Beschreiben Sie so eine Kontrolle!

A: Irgendwo in XXXX hatten wir ein Büro der HDP. Der Bürobereich wurde von der Gendarmerie regelrecht umkreist. Alle wurden kontrolliert. Ich war den Beamten bekannt und wurde besonders oft kontrolliert. Es wurden auch Personen durchsucht und ich wurde nach Dokumenten durchsucht und meine Personalien wurden kontrolliert.

F: Hatten die Kontrollen mit Ihrer Tätigkeit bei der HDP zu tun?

A: Es wurde vermutet, dass die PKK und die HDP im Zusammenhang stehen. Die HDP ist eine legale Partei und die PKK ist illegal. Jeder der HDP Anhänger war, wurde auch verdächtigt PKK Mitglied zu sein.

F: Also haben diese Kontrollen nichts mit Ihrer Festnahme nach der Razzia zu tun?

A: Das hängt schon mit dem zusammen. Sie haben die ganzen Bücher gefunden. Ab diesem Zeitpunkt waren sie immer wieder bei uns im Dorf. Die Gendarmerie ist immer wieder aufgetaucht und deshalb habe ich mich unwohl gefühlt.

F: Warum wurden Sie im Jahr 2011 festgenommen?

A: In XXXX war eine Protestversammlung. Es war ein unerlaubter Protest. Es wurden einige Leute aus den vorderen Reihen festgenommen, weil wir uns auch gewehrt haben. Ich war auch bei den festgenommenen Personen dabei. Die Begründung war terroristische Propaganda. Ich wollte einen Anwalt aber ich habe keinen bekommen. Ich wurde bei der Einvernahme geschlagen. Die Einvernahme wurde von bewaffneten Beamten durchgeführt. Dann wurde ich entlassen und bin zum Arzt gegangen, weil ich Schmerzen hatte.

F: Was passierte danach?

A: Danach bin ich nach Hause gegangen. Ich möchte nichts mehr hinzufügen.

F: Sind Sie aufgrund der ständigen Kontrollen und der Anzeige auf freiem Fuß aus der Türkei geflüchtet?

A: Ich war mir sicher, dass ich verurteilt und eingesperrt werde. Das ist klar. Terror und Propaganda ist gleich Gefängnis.

F: Warum glauben Sie, wurden Sie auf freiem Fuß angezeigt und blieben nicht in U-Haft?

A: Von meinem verstorbenen Vater der Cousin arbeitet beim Gericht. Der Richter war ein Bekannter von Ihm. Deshalb wurde ich entlassen.

F: Hatten Sie Probleme, seitdem Sie nicht mehr gläubig sind?

A: Ich lehne es ab. Es hat aber keine Probleme gegeben.

F.: Haben Sie sämtliche Gründe, warum Sie die Heimat verlassen haben, vollständig geschildert.

A.: Es fällt mir nichts mehr ein. Ich stehe derzeit ein wenig unter Stress.

F: In der Türkei besteht grundsätzlich die Möglichkeit auch woanders zu leben. Warum haben sie von dieser Möglichkeit nicht Gebraucht gemacht?

A: Ich war in mehreren Städten in der Türkei. Die Probleme sind immer wieder bekommen. Dort wo ca. 98 % Kurden leben habe ich die meisten Probleme gehabt.

F.: Möchten Sie von sich aus noch etwas zu Ihrem Fluchtgrund angeben?

A.: Nein.

F.: Was würde Sie konkret erwarten, wenn jetzt sie in ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten.

A.: Es kann sein, dass ich eigesperrt werde. Aber ich weiß nicht wie jetzt entschieden wurde. Solange ich mein Visum habe, werde ich auch hier bleiben.

F.: Haben Sie Verwandte in Österreich? Wenn ja, welche und wo wohnen diese? Wie

gestaltet sich der Kontakt zu diesen?

A: Meine Ehefrau, meinen Sohn und drei Cousins in XXXX .

F.: Haben Sie Deutschkurse besucht bzw. positive Prüfungen abgelegt?

A.: Ich habe die Kurse bis A1 besucht. Aber ich spreche Deutsch.

F.: Was haben Sie in Österreich bis jetzt so gemacht?

A: Ich war unter der Woche arbeiten. Am Wochenende war ich Spazieren und war in Discos und Bars unterwegs. Alle 2 Wochen habe ich das Recht gehabt meinen Sohn zu sehen. Dafür habe ich mir Zeit genommen.

F.: Sind Sie in einem Verein aktiv tätig? Wenn ja, wo und wie lange? Ist die Vorlage einer Bestätigung möglich?

A.: Nein.

F.: Gehen Sie einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach? Wenn ja, wo und wie lange? Ist die Vorlage einer Bestätigung möglich?

A.: Nein.

F.: Möchten Sie sich zu den Ihnen vorgeworfenen Straftaten äußern?

A.: Ja. Ich habe mit meiner Frau diskutiert, weil ich meinen Sohn 4 Monate lang nicht sehen durfte. Laut Gericht hätte ich ihn alle 2 Wochenenden sehen dürfen. Aber meine Frau war dagegen. Der Grund war, dass ich ihr Geld geliehen habe und es wieder zurückverlangt habe. Währen ich ihr das Geld übereicht habe, habe ich das auch per Handy aufgenommen, weil ich ihr nicht vertraut habe. Sie hat sich geweigert, das Geld zurückzuzahlen. Ich habe ihr dann mit der Polizei und einer Anzeige gedroht und Sie hat daraufhin gesagt ich werde meinen Sohn nie wieder sehen. Ich war auch bei der Polizei und habe ihnen das alles geschildert. Die Beamten haben dann mit meiner Frau geredet. Die Polizei hat auch gesagt, dass sie die Aufnahmen von meinem Handy nicht verwenden können. Ich habe meine Frau dann doch nicht angezeigt, weil ich nicht noch mehr Stress haben wollte. Dann war ich beim Jugendamt. Meine Frau hat dann gesagt ich wäre ein Schlechter Vater und mein Sohn hätte nichts zu essen. Das Jugendamt konnte ich alles vorweisen. Die SMS die mir meine Ehefrau geschickt hatte. Ich habe den Unterhalt für das Kind Monatlich gezahlt und meine Frau hat auch noch extra Geld von mir verlangt. Ich war dann noch 2 Mal bei der Polizei aber es wurde nichts unternommen. Ich war dann beim Familiengericht. Dort wurde mir gesagt, sie müssten erst herausfinden welche Probleme es zwischen uns beiden geben würde. Ich war am Wochenende in XXXX und ich habe etwas getrunken. Dann bin ich zu Ihr nach Hause gefahren und meine Frau war nicht zu Hause. Es waren nur meine Schwiegermutter und mein Sohn zu hause. Ich wollte mich mit meiner Schwiegermutter unterhalten. Ich habe Sie gefragt ob sie mir helfen könnte. Ich kann mich nicht genau erinnern was passiert ist aber sie hat rumgeschrien. Alles weitere wissen Sie ja.

Der Ländervorhalt wird dem Antragsteller ausgehändigt und eine Stellungnahmefrist von 2 Wochen (einlangend bei der Behörde) wird vereinbart.

F.: Wenn seitens des .BFA eine Rückkehrentscheidung (ev. mit Einreiseverbot) erlassen wird, besteht ein Interesse an freiwilliger Ausreise? Wenn ja, dürfen Ihre Daten an die Organisationen der Rückkehrhilfe weitergegeben werden?

A.: Ja.

F.: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?

A.: Nein.

?        Im Zuge der Einvernahme am 04.07.2019 wurden Ihnen die Länderfeststellungen zur Türkei zur Stellungnahme innerhalb von 2 Wochen übermittelt. Eine Stellungnahme langte jedoch nicht ein.

?        Am XXXX 2019 wurden Sie vom XXXX unter der Zahl XXXX wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB, wegen des Vergehens des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 1 StGB, wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z. 2 StGB und des Vergehens der Kindesentziehung nach §§ 15 Abs. 1, 195 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitstrafe von 3 Jahren verurteilt. Nach Berufung der Staatsanwaltschaft XXXX wurde die verhängte Freiheitstrafe auf 4 Jahre erhöht.

-        Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

…“

Die bP legte bei der bB einen türkischen Nüfus (Personalausweis), einen türkischen Reisepass, eine Bestätigung Parteimitgliedschaft BDP, eine handschriftliche Bestätigungen eines türkischen Arztes, sowie Auszugsweise und in Kopie Teile des türkischen Gerichtsaktes 2011/18 (Aussage der bP im Beisein ihres Anwaltes, sowie den Beschluss über gerichtliche Aufsicht [periodische Meldeverpflichtung auf der darin genannten Polizeistation und Ausreiseverbot aus der Türkei]) vor.

Die bB ging von folgendem Sachverhalt aus:

„Ihre Identität steht aufgrund Ihres vorgelegten türkischen Personalausweises fest.

Sie heißen XXXX , sind am XXXX geboren und türkischer Staatsangehöriger.

Sie gehören der kurdischen Volksgruppe.

Sie sind geschieden und haben einen Sohn.

Sie sind in Österreich strafrechtlich in Erscheinung getreten und befinden sich derzeit in Haft.

Sie sind arbeitsfähig.

Es konnte festgestellt werden, dass Sie in der Türkei Mitglied der BDP waren.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in der Türkei politisch tätig waren.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in der Türkei von den dortigen Behörden bedroht oder verfolgt werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in der Türkei aufgrund Ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit bedroht oder verfolgt werden.

Festgestellt wird, dass Sie in Ihrem Heimatstaat weder vorbestraft noch inhaftiert waren, keine Probleme mit den Behörden hatten und auch keine staatlichen Fahndungsmaßnahmen gegen Sie bestehen.

Es konnte auch aus den sonstigen Umständen keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, festgestellt werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle einer Rückkehr in die Türkei einer Bedrohung oder Verfolgung durch die türkischen Behörden ausgesetzt sind.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Fall einer Rückkehr in die Türkei eine Haftstrafe erwartet.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle einer Rückkehr in die Türkei aufgrund Ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt sind.

Sie verfügen über familiäre Anknüpfungspunkte und ein soziales Netz in der Türkei.

Sie sind in XXXX geboren und haben dort 8 Jahre die Schule besucht. Anschließend haben Sie in der Landwirtschaft in XXXX und in verschiedenen Restaurants, Hotels und Discos in Antalya gearbeitet. Sie waren bis zu Ihrer Ausreise 2013 berufstätig. Sie können diese Beschäftigung nach wie vor ausüben um Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch Ihre Familie lebt weiterhin in der Türkei.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle Ihrer Rückkehr in die Türkei in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würden.

Sie können in die Türkei zurückkehren, ohne einer Gefährdung ausgesetzt zu sein.

Sie wurden am XXXX 2019 vom XXXX zu XXXX , wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB, wegen des Vergehens des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 1 StGB, wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z. 2 StGB und des Vergehens der Kindesentziehung nach §§ 15 Abs. 1, 195 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitstrafe von 3 Jahren verurteilt. Nach Berufung der Staatsanwaltschaft XXXX wurde die verhängte Freiheitstrafe auf 4 Jahre erhöht. Seit 09.04.2019 befinden Sie sich in Haft.

Als Milderungsgrund wurde Ihr bisher ordentlicher Lebenswandel und der teilweise Versuch, erschwerend demgegenüber das Zusammentreffen dreier Verbrechen mit zwei Vergehen sowie der Umstand, dass Sie vorsätzlich strafbare Handlungen nach dem ersten und dritten Abschnitt des besonderen Teils des Strafgesetzbuches gegen Angehörige (Ehefrau und Schwiegermutter) begangen haben.

Sie halten sich seit April 2013 in Österreich auf.

Sie sind geschieden und haben einen Sohn in Österreich.

Sie haben keine Familienangehörigen im österreichischen Bundesgebiet.

Sie sind in Österreich nicht berufstätig und beziehen auch keine Grundversorgung.

Sie verfügen über Freundschaften und Bekanntschaften im Bundesgebiet.

Sie sind in keinem Verein aktiv und gehen keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach.

Sie sind strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Sie befinden sich derzeit in Haft.

…“

I.2. Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der bB gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Republik Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist. Der Beschwerde wurde gem. § 18 (1) Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Weiters wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht. Gem. § 53 FPG wurde in Bezug auf die bP ein zeitlich unbefristetes Einreiseverbot erlassen.

I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der bP in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft und führte hierzu unter anderem aus, dass sich das Vorbringen der bP zu den behaupteten Rückkehrhindernissen als nicht glaubhaft erwiesen, zumal sich hierin Ungereimtheiten befinden. Ebenso befänden sich noch Angehörige der bP in der Türkei, welche dort sichtlich unbehelligt leben und bescheinigte die bP als letzte behördliche Verfolgungshandlung die zwischenzeitig nicht mehr bestehende periodische Meldeverpflichtung und das Ausreiseverbot der bP. Nach deren Ablauf wäre es der bP ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, sich einen Reisepass zu besorgen und wäre sie aus der Türkei ausgereist. Die bP sei kein hervorgehebenes Mitglied der (damals legalen) BDP und nie Mitglied der (Nachfolgepartei) HDP gewesen. Eine Gruppenverfolgung der Kurden kann nicht festgestellt werden.

Konkret führte die bB – unter Vermengung von Elementen der rechtlichen Beurteilung, Beweiswürdigung und Feststellung- Folgendes aus:

„…

Bei der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 02.04.2013 gaben Sie befragt nach Ihren Fluchtgründen an, Ihr Haus wäre 2011 von Soldaten überfallen worden und es hätte einen Haftbefehl gegen Sie gegeben. Bei der Durchsuchung des Hauses wären Bücher von Abdullah ÖCALAN und eine Flagge von Kurdistan gefunden worden. Daraufhin wären Sie für 2 Tage in einer Polizeistation festgehalten und gefoltert worden. Nach Ihrer Freilassung wären Sie ins Krankenhaus gegangen um sich untersuchen zu lassen. Der Arzt hätte Ihnen einen Bericht ausgestellt, indem hervorging, dass Sie nicht verletzt worden wären. Sie hätten diesen Bericht zerrissen und dem Arzt ins Gesicht geworfen woraufhin Sie von den Soldaten wieder zu derselben Polizeistation gebracht wurden. Auch hätten Sie an verschiedenen Demonstration der BDP teilgenommen und wären deshalb 5 Mal festgenommen worden. Wegen der erwähnten Bücher würde es gegen Sie ein Ermittlungsverfahren geben und es wäre auch möglich, dass ein Haftbefehl gegen Sie besteht. Nach Einsicht in Ihren Verfahrensakt hätte Ihnen ein Beamter gesagt, dass Sie eine 4-jährige Haftstrafe erwarten würde.

In den Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gaben Sie im Wesentlichen dieselben Gründe an, fügten jedoch noch hinzu, dass Sie aufgrund Ihrer Tätigkeiten für die HDP (BDP) regelmäßig von der Gendarmerie kontrolliert wurden. Danach gefragt, gaben Sie an, Sie hätten Flyer verteilt, an Versammlungen teilgenommen und bei Protesten Aufsicht gehabt. Eine hervorgehobene Stellung innerhalb der Partei konnte das Bundesamt nicht erkennen, und gaben Sie auch selbst an nicht einmal mehr Mitglied dieser Partei zu sein.

Zu der von Ihnen angesprochenen Anhaltung durch die Soldaten in der Polizeistation ist anzumerken, dass diese nach Ihren eigenen Angaben nach 2 Tagen wieder beendet wurde. Sie wären Einvernommen worden und daraufhin aufgrund der gefundenen Bücher und der Fahne auf freiem Fuß angezeigt worden. Auch die auferlegte Ausreisesperre wurde laut Ihren Angaben wieder beendet und auch ist anzumerken, dass es Ihnen ohne Problemen möglich war nach diesen Ereignissen einen neuen Reisepass und einen neuen Nüfus ausstellen zu lassen.

Laut der vorgelegten ärztlichen Bestätigung und Ihren Angaben wären Sie während ihrer Festnahme geschlagen worden und hatten eine Kopfverletzung, weitere Konsequenzen hätte es jedoch nicht gegeben und Sie konnten bis zu Ihrer Ausreise ohne Probleme weiter in der Türkei leben. Dies lässt den Schluss zu, dass die staatlichen Stellen Ihres Heimatlandes Sie nicht als politisch gefährlich eingestuft haben. Ihre Festnahme ohne weitere konkrete Anschuldigung kann daher nicht zur Asylgewährung führen.

Zu den Problemen aufgrund Ihrer Volksgruppe bzw. Religion gaben Sie an, es hätte immer wieder Probleme zwischen Türken und Kurden gegeben. Aufgrund der Tatsache, dass Sie keine Religion mehr ausüben konnten keine Sie treffenden Probleme festgestellt werden und wurden solche auch nicht behauptet.

Zu einer etwaigen Gruppenverfolgung türkischer Staatsangehöriger, kurdischer Bevölkerungszugehörigkeit ist weiters auszuführen, dass Angehöriger einer Minderheit zu sein bzw. Zugehörigkeit eines Asylwerbers zu einer ethnischen oder religiösen Volksgruppe alleine, sowie deren schlechte allgemeine Situation nicht geeignet ist, eine Asylgewährung zu rechtfertigen.

Allein die Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Kurden führt bei einer Abschiebung in die Türkei nicht zu staatlicher politischer Verfolgung.

Jeder Einreisende hat sich in der Türkei einer Personenkontrolle zu unterziehen. Türkische Staatsangehörige, die im Besitz eines gültigen zur Einreise berechtigenden Reisedokuments sind, können normalerweise die Grenzkontrolle ungehindert passieren. Wenn eine Person kein gültiges Reisedokument vorweist, oder aus ihrem Reisepass ersichtlich ist, dass sie sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Ausland aufgehalten hat, oder wenn ersichtlich ist, dass sie abgeschoben wurde, wird sie einer eingehenderen Befragung unterzogen. Mitunter müssen Anfragen und Auskünfte zur Person von verschiedenen Stellen erst eingeholt werden. Dies kann einige Stunden dauern, währenddessen die betreffende Person auf der jeweiligen Polizeiwache festgehalten wird. Fälle, in denen eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte, sind in neuerer Zeit nicht mehr bekannt geworden. Entsteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Tatsache der Asylantragstellung ist dabei strafrechtlich nicht relevant (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 03.05.2005, Az.: 508-516.80/3 TUR).

Auch aus den sonstigen Umständen konnte eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung nicht festgestellt werden.

Zusammenfassen gelang es Ihnen nicht, eine Sie persönlich treffende Bedrohung oder Verfolgung in der Türkei glaubhaft zu schildern. Ihre angeblichen Tätigkeiten für die BDP beschränkten sich auf kleinere Aufgaben. Ein offizielles Mitglied seinen Sie laut eigenen Angaben auch nicht mehr, deshalb ist es für die ho. Behörde nicht nachvollziehbar warum Sie eine Bedrohung oder Verfolgung durch den türkischen Staat zu befürchten hätten, weswegen Ihnen aufgrund der oben getätigten Beweiswürdigung die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden musste.

Demgemäß konnte die Behörde auch nicht davon ausgehen, dass Sie im Falle einer Rückkehr in die Türkei einer individuellen Gefährdung oder Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären.

Für die Behörde steht daher fest, dass es keine individuelle Verfolgungsgefahr für Ihre Person gibt.

…“

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Türkei traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen.

Aus diesen geht hervor, dass in der Türkei von einer im Wesentlichen nicht von einer landesweiten, bedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der türkische Staat grundsätzlich gewillt und befähigt ist, sich auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritte wirksam zu schützen. In Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass in gewissen Bereichen erhebliche Defizite (etwa im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit) bestehen, manche Teile der Bevölkerung unter besonderem Druck stehen (etwa mutmaßliche Mitlieder der Gülen-Bewegung), eine flächendeckende und systematische Verletzung der Menschenrechte findet jedoch nicht statt. Gewisse Defizite bestehen auch im Bereich der Strafrechtspflege und des Strafvollzuges. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Türkei die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden. Das Sozialsystem und das Gesundheitswesen sind auch Rückkehrern zugänglich.

In Bezug auf die Volksgruppe der Kurden ging die bP davon aus, dass diese keiner Gruppenverfolgung unterliegen.

Konkret ging die bB von folgendem Sachverhalt aus (auszugsweise Wiedergabe aus dem angefochtenen Bescheid, ansonsten wird auf die oa. allgemeinen Ausführungen verwiesen):

„…

Der zwei Jahre andauernde Ausnahmezustand nach dem Putschversuch hat zu einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit geführt (EP 13.3.2019, vgl. PACE 24.1.2019). Negative Entwicklungen bei der Rechtsstaatlichkeit, den Grundrechten und der Justiz wurden nicht angegangen (EC 29.5.2019). Die Türkei verzeichnet weiterhin eine schwere Rückwärtsentwicklung hinsichtlich des Funktionierens des Justizwesens. Die Bedenken bezüglich der Unabhängigkeit der türkischen Justiz, die unter anderem auf die Entlassung und Zwangsversetzung von 30% der Richter und Staatsanwälte nach dem Putschversuch von 2016 zurückzuführen ist, bleiben bestehen (EC 29.5.2019, vgl. USDOS 13.3.2019). Obgleich Richter gelegentlich immer noch gegen die Regierung entscheiden, haben sowohl die Ernennung von tausenden neuen, regierungstreuen Richtern als auch die potenziellen beruflichen Konsequenzen für ein Urteil gegen die Interessen der Exekutive in einem größeren Rechtsfall sowie die Auswirkungen der laufenden Säuberung die Unabhängigkeit der Justiz insgesamt stark geschwächt (FH 4.2.2019).

Die Anstellung neuer Richter und Staatsanwälte im Rahmen des derzeitigen Systems trug zu den Bedenken bei, da keine Maßnahmen ergriffen wurden, um dem Mangel an objektiven, leistungsbezogenen, einheitlichen und im Voraus festgelegten Kriterien für deren Einstellung und Beförderung entgegenzuwirken. Es wurden keine rechtlichen und verfassungsmäßigen Garantien eingeführt, die verhindern, dass Richter und Staatsanwälte gegen ihren Willen versetzt werden. Die abschreckende Wirkung der Entlassungen und Zwangsversetzungen innerhalb der Justiz ist nach wie vor zu beobachten. Es besteht die Gefahr einer weit verbreiteten Selbstzensur unter Richtern und Staatsanwälten. Es wurden keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Rechtsgarantien ergriffen, um die Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive zu gewährleisten oder die Unabhängigkeit des Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) zu stärken. An der Einrichtung der Friedensrichter in Strafsachen (sulh ceza hakimli?i), die zu einem parallelen System werden könnten, wurden keine Änderungen vorgenommen (EC 29.5.2019). Das Europäische Parlament (EP) verurteilte die verstärkte Kontrolle der Arbeit von Richtern und Staatsanwälten durch die Exekutive und den politischen Druck, dem sie ausgesetzt sind (EP 13.3.2019).

Die Entlassung von mehr als 4.800 Richtern und Staatsanwälten führt auch zu praktischen Problemen, da für die notwendigen Nachbesetzungen keine ausreichende Zahl an entsprechend ausgebildeten Richtern und Staatsanwälten zur Verfügung steht (Erfordernis des zwei-jährigen Trainings wurde abgeschafft). Die im Dienst verbliebenen erfahrenen Kräfte sind infolge der Entlassungen häufig schlichtweg überlastet. In einigen Fällen spiegelt sich der Qualitätsverlust in einer schablonierten Entscheidungsfindung ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall wider. In massenhaft abgewickelten Verfahren, wie etwa denjenigen betreffend Terrorismusvorwürfe, leidet die Qualität der Urteile häufig unter mangelhaften rechtlichen Begründungen sowie lückenhafter und oberflächlicher Beweisführung (ÖB 10.2019).

Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung festgelegt. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte. Art. 138 der Verfassung regelt die Unabhängigkeit der Richter (AA 14.6.2019, vgl. ÖB 10.2019). Die EU-Delegation in der Türkei kritisiert jedoch, dass diese Verfassungsbestimmung durch einfach-rechtliche Regelungen unterlaufen wird. U.a. sind die dem Justizministerium weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften für die Organisation der Gerichte zuständig (ÖB 10.2019). Die richterliche Unabhängigkeit ist überdies durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK) in Frage gestellt. Der Rat ist u. a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Nach dem Putschversuch von Mitte Juli 2016 wurden fünf der 22 Richter und Staatsanwälte des HSK verhaftet, Tausende von Richtern und Staatsanwälten wurden aus dem Dienst entlassen. Seit Inkrafttreten der im April 2017 verabschiedeten Verfassungsänderungen wird der HSK teils vom Staatspräsidenten, teils vom Parlament ernannt, ohne dass es bei den Ernennungen der Mitwirkung eines anderen Verfassungsorgans bedürfte. Die Zahl der Mitglieder des HSK wurde auf 13 reduziert (AA 14.6.2019).

Das türkische Justizsystem besteht aus zwei Säulen: Der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Straf- und Zivilgerichte) und der außerordentlichen Gerichtsbarkeit (Verwaltungs- und Verfassungsgerichte). Mit dem Verfassungsreferendum im April 2017 wurden die Militärgerichte abgeschafft. Deren Kompetenzen wurden auf die Straf- und Zivilgerichte sowie Verwaltungsgerichte übertragen. Letztinstanzliche Gerichte sind gemäß der Verfassung der Verfassungsgerichtshof (Anayasa Mahkemesi), der Staatsrat (Dan??tay), der Kassationshof (Yargitay) und das Kompetenzkonfliktgericht (Uyu?mazl?k Mahkemesi) (ÖB 10.2019). Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof (AA 14.6.2019).

2014 wurden alle Sondergerichte sowie die Friedensgerichte (Sulh Ceza Mahkemleri) abgeschafft. Ihre Jurisdiktion für die Entscheidung wurde in der Hauptsache auf Strafkammern übertragen. Stattdessen wurde die Institution des Friedensrichters in Strafsachen (sulh ceza hakimli?i) eingeführt, der das strafrechtliche Ermittlungsverfahren begleitet und überwacht. Im Gegensatz zu den abgeschafften Friedensgerichten entscheiden Friedensrichter nicht in der Sache, doch kommen ihnen während des Verfahrens weitreichende Befugnisse zu, wie z.B. die Ausstellung von Durchsuchungsbefehlen, Anhalteanordnungen, Blockierung von Websites sowie die Beschlagnahmung von Vermögen (ÖB 10.2019). Neben den weitreichenden Konsequenzen der durch den Friedensrichter anzuordnenden Maßnahmen wird in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache kritisiert, dass Einsprüche gegen Anordnungen nicht von einem Gericht, sondern ebenso von einem Einzelrichter geprüft werden (EC 29.5.2019, vgl. ÖB 10.2019). Die Urteile der Friedensrichter für Strafsachen weichen zunehmend von der Rechtsprechung des EGMR ab und bieten selten eine ausreichend individualisierte Begründung. Der Zugang von Verteidigern zu den Gerichtsakten ihrer Mandanten für einen bestimmten Katalog von Straftaten ist bis zur Anklageerhebung eingeschränkt. Manchmal dauert das mehr als ein Jahr (EC 29.5.2019). Die Venedig-Kommission forderte 2017 die Übertragung der Kompetenzen der Friedensrichter an ordentliche Richter bzw. eine Reform (ÖB 10.2019).

Probleme bestehen sowohl hinsichtlich der divergierenden Rechtsprechung von Höchstgerichten als auch infolge der Nicht-Beachtung von Urteilen höherer Gerichtsinstanzen durch untergeordnete Gerichte. So hat das Verfassungsgericht uneinheitliche Urteile zu Fällen der Meinungsfreiheit gefällt. Wo sich das Höchstgericht im Einklang mit den Standards des EGMR sah, welches etwa eine Untersuchungshaft in Fällen der freien Meinungsäußerung nur bei Hassreden oder dem Aufruf zur Gewalt als gerechtfertigt betrachtet, stießen die Urteile in den unteren Instanzen auf Widerstand und Behinderung (IPI 18.11.2019). Auch andere höhere Gerichte werden von untergeordneten Instanzen der Rechtsprechung ignoriert. Entgegen dem Urteil des Obersten Kassationsgerichtes bestätigte im November 2019 ein untergeordnetes Gericht in Istanbul seine Verurteilung von zwölf Journalisten der Tageszeitung Cumhuriyet, denen unterschiedliche Verbindungen zu terroristischen Organisationen vorgeworfen wurden (AM 21.11.2019).

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten, und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte – jedenfalls in Terrorprozessen – bei den Verteidigungsmöglichkeiten. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung oder der PKK werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte keine Akteneinsicht nehmen können. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert, bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt. Beweisanträge dazu werden zurückgewiesen. Insgesamt kann – jedenfalls in den Gülenisten-Prozessen – nicht von einem unvoreingenommenen Gericht und einem fairen Prozess ausgegangen werden (AA 14.6.2019).

Private Anwälte und Menschenrechtsbeobachter berichteten von einer unregelmäßigen Umsetzung der Gesetze zum Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren, insbesondere in Bezug auf den Zugang von Anwälten. Einige Anwälte gaben an, dass sie zögerten, Fälle anzunehmen, insbesondere solche von Verdächtigen, die wegen Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung angeklagt waren, aus Angst vor staatlicher Vergeltung, einschließlich Strafverfolgung (USDOS 13.3.2019). So wird gegen Anwälte strafrechtlich ermittelt, sie werden willkürlich inhaftiert und in Verbindung mit den angeblichen Verbrechen ihrer Mandanten gebracht. Die Regierung erhebt Anklage wegen Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen gegen Anwälte, die Menschenrechtsverletzungen aufdecken. Hierbei gibt es keine oder nur spärliche Beweise für eine solche Mitgliedschaft. Die Gerichte beteiligen sich an diesem Angriff gegen die Anwaltschaft, indem sie die Betroffenen zu langen Haftstrafen aufgrund von Terrorismusvorwürfen verurteilen. Die Beweislage hierbei ist meist dürftig und das Recht auf ein faires Verfahren wird ignoriert. Dieser Missbrauch der Strafverfolgung gegen Anwälte wurde von Gesetzesänderungen begleitet, die das Recht auf Rechtsbeistand für diejenigen untergraben, die willkürlich wegen Terrorvorwürfen inhaftiert wurden (HRW 10.4.2019). Seit dem Putschversuch 2016 gibt es eine Verhaftungskampagne, die sich gegen Anwälte im ganzen Land richtet. In 77 der 81 Provinzen der Türkei wurden Anwälte wegen angeblicher terroristischer Straftaten inhaftiert, verfolgt und verurteilt. Bis heute wurden mehr als 1.500 Anwälte strafrechtlich verfolgt und 599 Anwälte festgenommen. Bisher wurden 321 Anwälte wegen ihrer Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation oder wegen der Verbreitung terroristischer Propaganda zu Haftstrafen verurteilt (CCBE 1.9.2019).

Nach Änderung des Antiterrorgesetzes vom Juli 2018 soll eine in Polizeigewahrsam (angehaltene) befindliche Person spätestens nach vier Tagen einem Richter zur Entscheidung über die Verhängung einer U-Haft oder Verlängerung des Polizeigewahrsams vorgeführt werden. Eine Verlängerung der Polizeigewahrsam ist nur auf begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft, z.B. bei Fortführung weiterer Ermittlungsarbeiten oder Auswertung von Mobiltelefondaten, zulässig. Eine Verlängerung ist zweimal, zu je vier Tagen, möglich, insgesamt daher maximal zwölf Tage Polizeigewahrsam. Während des Ausnahmezustandes waren es bis zu 14 Tagen, mit einmaliger Verlängerung nach sieben Tagen. Die maximale U-Haftdauer beträgt gem. Art. 102 (1) der türkischen Strafprozessordnung (SPO) bei Straftaten, die nicht in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern fallen, ein Jahr. Aufgrund von besonderen Umständen kann sie um weitere sechs Monate verlängert werden. Nach Art. 102 (2) SPO beträgt die U-Haftdauer höchstens zwei Jahre, wenn es sich um Straftaten handelt, die in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern (A??r Ceza mahkemeleri) fallen (Straftaten, die mindestens eine zehnjährige Freiheitsstrafe vorsehen). Aufgrund von besonderen Umständen kann diese Dauer um ein weiteres Jahr verlängert werden (insgesamt maximal drei Jahre). Bei Straftaten, die das Anti-Terrorgesetz 3713 betreffen, beträgt die maximale U-Haftdauer höchstens sieben Jahre (zwei Jahre und mögliche Verlängerung um weitere fünf Jahre). Diese Gesetzesänderung erfolgte mit dem Dekret 694 vom 15.08.2017, das am 1.2.2018 zu Gesetz Nr. 7078 wurde (Art. 136) (ÖB 10.2019).

Wesentliche Regelungen der Dekrete des Ausnahmezustandes wurden in die reguläre Gesetzgebung überführt. So wurden z.B. Teile der Notstandsvollmachten auf die Provinzgouverneure übertragen, die vom Staatspräsidenten ernannt werden (AA 14.6.2019). Das nach Auslaufen des Ausnahmezustandes im Juli 2018 angenommene Gesetz Nr. 7145 sieht keine Abschwächung der Kriterien vor, auf Grundlage derer (Massen-)Entlassungen ausgesprochen werden können (Verbindungen zu Terrororganisationen, Handeln gegen die Sicherheit des Staates etc.). Ein adäquater gerichtlicher Überprüfungsmechanismus ist nicht vorgesehen. Beibehalten wird auch die Möglichkeit, Reisepässe der entlassenen Person einzuziehen. Entlassene Akademiker haben selbst nach Wiedereinsetzung nicht mehr die Möglichkeit, an ihre ursprüngliche Universität zurückzukehren (ÖB 10.2019).

Die mittels Präsidialdekret zur individuellen Überprüfung der Entlassungen und Suspendierungen aus dem Staatsdienst eingerichtete Beschwerdekommission begann im Dezember 2017 mit ihrer Arbeit. Das Durchlaufen des Verfahrens vor der Beschwerdekommission und weiter im innerstaatlichen Weg ist eine der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) festgelegten Voraussetzungen zur Erhebung einer Klage vor dem EGMR. Bis Mai 2019 wurden 126.000 Anträge eingebracht. Davon bearbeitete die Kommission bislang 70.406. Lediglich 5.250 Personen wurden wiedereingesetzt. Die Kommission wies 65.156 Beschwerden ab, 55.714 Beschwerden sind weiter anhängig (ÖB 10.2019).

Die Beschwerdekommission stellt keinen wirksamen Rechtsbehelf für die Betroffenen dar, um sich wirksam und zeitnah Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu verschaffen. Der Kommission fehlt die genuine institutionelle Unabhängigkeit, da ihre Mitglieder zum größten Teil von der Regierung ernannt werden und im Falle von Verdachtsmomenten hinsichtlich Kontakten mit verbotenen Gruppierungen ihrer Funktion enthoben werden können. Somit können die Ernennungs- und Entlassungsvorschriften leicht den Entscheidungsprozess beeinflussen. Denn sollten Kommissionsmitglieder nicht die von ihnen erwarteten Urteile fällen, kann sie die Regierung einfach entlassen. Den Beschwerdeführern fehlt es an Möglichkeiten, Vorwürfe ihrer angeblich illegalen Aktivität zu widerlegen, da sie nicht mündlich aussagen, keine Zeugen benennen dürfen und vor Stellung ihres Antrags an die Kommission keine Einsicht in die gegen sie erhobenen Anschuldigungen bzw. diesbezüglich namhaft gemachten Beweise erhalten. Umgekehrt verwendet die Kommission schwache Beweise zur Aufrechterhaltung der Entlassungsentscheidungen. Herangezogen werden oftmals rechtmäßige Handlungen der Betroffenen als Beweis für rechtswidrige Aktivitäten (Interaktionen mit Banken, Wohltätigkeitsorganisationen, Medien etc.). Es besteht eine Beweislastumkehr. Die Betroffenen müssen widerlegen, dass sie Verbindungen zu verbotenen Gruppen hatten. Irrelevant ist, dass die getätigten Handlungen zum Zeitpunkt ihrer Vornahme legal waren. Die Wartezeiten bis zur Entscheidung der Berufungsverfahren reichten bislang von vier bis zehn Monaten, während viele entlassene Beschäftigte im öffentlichen Sektor noch keine Antwort der Kommission erhielten, obwohl sie ihre Anträge vor über einem Jahr eingereicht haben. Die Kommission ist an keine Fristen für Entscheidungen gebunden (AI 25.10.2018, vgl. ÖB 10.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 4.11.2019

?        AI – Amnesty International (25.10.2018): Purged beyond return? No remedy for Turkey's dismissed public sector workers [EUR 44/9210/2018], https://www.ecoi.net/en/file/local/1448005/1226_1540802893_eur4492102018english.PDF, Zugriff 4.11.2019

?        AM – Al Monitor (21.11.2019): Turkish court defies higher ruling to uphold verdict in Cumhuriyet retrial, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/11/turkey-court-uphold-convictions-newspaper-cumhuriyet.html, Zugriff 22.11.2019

?        CCBE - Council of Bars and Law Societies of Europe (1.9.2019) Situation in Turkey While 2019 Judicial Year Begins, https://arrestedlawyers.org/2019/09/01/situation-in-turkey-while-2019-judicial-year-begins/, Zugriff 6.11.2019

?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 31.10.2019

?        EP – European Parliament (13.3.2019): 2018 Report on Turkey - European Parliament resolution of 13 March 2019 on the 2018 Commission Report on Turkey (2018/2150(INI)), http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2019-0200+0+DOC+PDF+V0//EN, Zugriff 4.11.2019

?        FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004358.html, Zugriff 6.11.2019

?        HRW – Human Rights Watch (10.4.2019): Türkei: Massenverfolgung von Rechtsanwälten - Willkürliche Terrorvorwürfe untergraben Recht auf faire Verfahren, https://www.hrw.org/de/news/2019/04/10/tuerkei-massenverfolgung-von-rechtsanwaelten, Zugriff 7.11.2019

?        IPI - International Press Institute (Hg.) (18.11.2019): Turkey’s Journalistsin the Dock: Judicial Silencing of the Fourth Estate - Joint International Press Freedom Mission To Turkey (September 11–13, 2019), https://freeturkeyjournalists.ipi.media/wp-content/uploads/2019/11/Turkey-Mission-Report-IPI-FINAL4PRINT.pdf, Zugriff 20.11.2019

?        PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe (24.1.2019): The worsening situation of opposition politicians in Turkey: what can be done to protect their fundamental rights in a Council of Europe member State? [Resolution 2260 (2019)], http://assembly.coe.int/nw/xml/Xref/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=25425&lang=en, Zugriff 7.11.2019

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 6.11.2019

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/2004277.html, Zugriff 6.11.2019

Die nationale Polizei, die unter der Kontrolle des Innenministeriums steht, ist für die Sicherheit in großen Stadtgebieten verantwortlich (AA 14.6.2019, vgl. USDOS 13.3.2019). Die Jandarma, eine paramilitärische Truppe, ist für ländliche Gebiete und spezifische Grenzgebiete zuständig (AA 14.6.2019, vgl. USDOS 13.3.2019, ÖB 10.2019), obwohl das Militär die Gesamtverantwortung für die Grenzkontrolle und die allgemeine Außensicherheit trägt (USDOS 13.3.2019). Die Jandarma mit einer Stärke von 180.000 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB 10.2019). Polizei und Jandarma sind zuständig für innere Sicherheit, Strafverfolgung und Grenzschutz. Die Jandarma beaufsichtigt die sog. "Sicherheitskräfte" [Güvenlik Köy Korucular?], die vormaligen „Dorfschützer“, eine zivile Miliz, die zusätzlich für die lokale Sicherheit im Südosten sorgen soll, vor allem als Reaktion auf die terroristische Bedrohung durch die PKK. Der Geheimdienst M?T ist der Präsidentschaftskanzlei unterstellt und für das Sammeln von Informationen über bestehende und potenzielle Bedrohungen verantwortlich (USDOS 13.3.2019). Die Polizei und mehr noch der Geheimdienst M?T haben unter der AKP-Regierung an Einfluss gewonnen. Seit den Auseinandersetzungen mit der Gülen-Bewegung ist die Polizei aber auch selbst zum Objekt umfangreicher Säuberungen geworden (über 33.000 Bedienstete betroffen von massenhaften Versetzungen, Suspendierungen vom Dienst, Entlassungen und Strafverfahren). Die Jandarma rekrutiert sich teils aus Wehrpflichtigen (AA 14.6.2019).

Nachrichtendienstliche Belange werden bei der Türkischen Nationalpolizei („Emniyet Genel Müdürlü?ü“ - TNP) durch den polizeilichen Nachrichtendienst (?stihbarat Dairesi Ba?kanl???“ - IDB) abgedeckt. Dessen Schwerpunkt liegt auf Terrorbekämpfung, Kampf gegen organisierte Kriminalität und Zusammenarbeit mit anderen türkischen Nachrichtendienststellen. Ebenso unterhält die Jandarma einen auf militärische Belange ausgerichteten Nachrichtendienst. Ferner existiert der nationale Nachrichtendienst („Millî ?stihbarat Te?kilât?“- M?T), der seit September 2017 direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist (zuvor dem Amt des Premierministers) und dessen Aufgabengebiete der Schutz des Territoriums, des Volkes, der Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, der Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung sind. Es existiert nach wie vor der militärische Nachrichtendienst, der dem Generalstabschef untersteht. Dieser musste nach dem Putsch einige Aufgaben an den M?T abgeben. Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem M?T erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. M?T-Agenten besitzen von nun an eine größere Immunität gegenüber dem Gesetz. Es sieht Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren für Personen vor, die Geheiminformation veröffentlichen. Auch P

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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