TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/3 L529 2224569-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

L529 2224569-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.09.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe :

I. Verfahrenshergang

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ist Staatsangehöriger der Türkei und stellte am 21.05.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Anlässlich der Erstbefragung am gleichen Tag gab der BF an, am XXXX geboren zu sein. Er sei homosexuell und werde deswegen von der Familie seines Freundes verfolgt und mit dem Tode bedroht.

I.3. Aufgrund der Minderjährigkeit des BF wurde dem in Österreich lebenden Onkel mit Beschluss des BG Innere Stadt die Obsorge erteilt.

I.4. Am 03.07.2019 wurde der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: „BFA“) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er wegen seiner homosexuellen Beziehung von der Familie des Freundes mit dem Umbringen bedroht worden sei, weshalb er sein Land verlassen habe. Dem BF wurde das aktuelle Länderinformationsblatt zur Türkei ausgefolgt und eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

I.5. In der Stellungnahme vom 15.07.2019 wies der BF nach kurzer Darlegung des Sachverhaltes darauf hin, dass er sich seit seinem Aufenthalt in Österreich in der österreichischen LGBTI-Community aufhalte und in Kontakt zur Beratungsstelle und zur Jugendberatung stehe. Bei Rückkehr in die Türkei sei er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung seitens des Staates und/oder der Gesellschaft und der Familie ausgesetzt.

I.6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.09.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Das BFA führte aus, dass die Homosexualität des BF aufgrund des widersprüchlichen Vorbringens des BF nicht festgestellt habe werden können und dass seine Fluchtgründe nicht glaubhaft seien. Selbst bei Wahrunterstellung wäre die Homosexualität des BF in der Türkei mit keinen strafrechtlichen Sanktionen verbunden.

I.7. Gegen den genannten Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist durch die nunmehrige rechtsfreundliche Vertretung des BF Beschwerde erhoben. Nach Darlegung des Sachverhaltes wurde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren moniert, da sich die belangte Behörde nicht mit den vorgelegten Beweismitteln (Stellungnahme bzw. Sozialberichte von XXXX und XXXX ) auseinandergesetzt habe und die Länderfeststellungen mangelhaft seien. Zudem habe es das BFA unterlassen, den BF zu seiner Situation als Kurde zu befragen. Außerdem bestehe für den nunmehr volljährigen BF Wehrpflicht und er habe als Homosexueller mit besonderer Diskriminierung beim Militär zu rechnen. Der BF sei wegen der Zugehörigkeit zur Gruppe der Homosexuellen und zur Volksgruppe der Kurden mit Verfolgung in seinem Heimatland bedroht und es werde auf die prekäre Menschenrechts- und Sicherheitslage in der Türkei, insbesondere für Kurden, verwiesen. Weiters habe die belangte Behörde weder das jugendliche Alter des BF noch seine Diabeteserkrankung berücksichtigt. Der BF lebe in Österreich bei seinem obsorgeberechtigten Onkel, gefährde weder die öffentliche Ruhe oder Ordnung noch die nationale Sicherheit oder das wirtschaftliche Wohl und es werde die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.

I.8. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakten des BFA langte am 21.10.2019 beim BVwG, Außenstelle Linz, ein und wurde am 25.11.2019 der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

II.1.1. Der Beschwerdeführer

Der BF ist türkischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Kurden und der islamischen Religionsgemeinschaft an. Die Identität des BF steht fest. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF reiste am 29.12.2018 legal mit einem französischem Schengen-Visum, gültig von 18.12.2018 – 18.02.2019, ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 21.05.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF stammt aus XXXX in der türkischen Provinz XXXX . Er hat in seinem Heimatland neun Jahre die Schule besucht, hat bei seinen Eltern gelebt und seinen Lebensunterhalt als Arbeiter in einer Schuhfabrik verdient; zusätzlich arbeitete er in der Landwirtschaft und in den Supermärkten des Vaters.

Familienangehörige (Eltern und drei Brüder) sind nach wie vor im Heimatland des BF aufhältig und der BF hat zu seiner Familie Kontakt.

Der BF lebt in Österreich bei seinem Onkel, der für die Zeit seiner Minderjährigkeit auch die Obsorgeberechtigung für den BF hatte.

Der BF bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist kein Mitglied in einem Verein oder sonstigen Organisation und er hat bislang keine Deutschprüfung absolviert.

Der BF leidet an Diabetes und stand diesbezüglich in der Türkei in medizinischer Behandlung.

Der BF ist arbeitsfähig und in Österreich strafrechtlich unbescholten.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Türkei

II.1.2.1. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei schließt sich das ho. Gericht den schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen des BFA an; es wird konkret auf die insoweit relevanten Abschnitte hingewiesen:


Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems (9.7.2018) der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 3.8.2018).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Es gilt eine 10%-Hürde für Parteien bzw. Wahlkoalitionen, die höchste unter den Staaten der OSZE und des Europarates. Die Verfassung garantiert die Rechte und Freiheiten, die den demokratischen Wahlen zugrunde liegen, nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates beschränkt und der Gesetzgebung diesbezügliche unangemessene Einschränkungen erlaubt. Im Rahmen der Verfassungsänderungen 2017 wurde die Zahl der Sitze von 550 auf 600 erhöht und die Amtszeit des Parlaments von vier auf fünf Jahre verlängert (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Am 16.4.2017 stimmten bei einer Beteiligung von 85,43% der türkischen Wählerschaft 51,41% für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsah (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Der Staat hat nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017). Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, dass 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet worden seien. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen (AM 18.7.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen (FAZ 19.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdo?an 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unter dem Namen „Volksbündnis“, verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative ?yi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen; den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen; das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft; das Regierungsbudget aufzustellen; Vetogesetze zu erlassen; und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte und zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z. B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann (EC 17.4.2018).

Unter dem Ausnahmezustand wurde die Schlüsselfunktion des Parlaments als Gesetzgeber eingeschränkt, da die Regierung auf Verordnungen mit „Rechtskraft“ zurückgriff, um Fragen zu regeln, die nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätten behandelt werden müssen. Das Parlament erörterte nur eine Handvoll wichtiger Rechtsakte, insbesondere das Gesetz zur Änderung der Verfassung und umstrittene Änderungen seiner Geschäftsordnung. Nach den sich verschärfenden politischen Spannungen im Land wurde der Raum für den Dialog zwischen den politischen Parteien im Parlament weiter eingeschränkt. Die oppositionelle Demokratische Partei der Völker (HDP) wurde besonders an den Rand gedrängt, da viele HDP-ParlamentarierInnen wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Aktivitäten verhaftet und zehn von ihnen ihres Mandates enthoben wurden (EC 17.4.2018). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage lang den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Grundsätzlich darf es wie im Ausnahmezustand nach Einbruch der Dunkelheit keine Demonstrationen im Freien mehr geben. Zusätzlich können sie Versammlungen mit dem Argument verhindern, dass diese "den Alltag der Bürger nicht auf extreme und unerträgliche Weise erschweren dürfen". Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können. Außerdem will die Regierung wie während des Ausnahmezustandes die Pässe derer, die wegen Terrorverdachts aus dem Staatsdienst entlassen oder suspendiert werden, ungültig machen. Auch die Pässe ihrer Ehepartner können weiterhin annulliert werden (ZO 25.7.2018). Auf der Plus-Seite der gesetzlichen Regelungen steht die weitere Verkürzung der Zeit in Polizeigewahrsam ohne richterliche Anordnung von zuletzt sieben auf nun maximal vier Tage. Innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme sind Verdächtige an den Ort des nächstgelegenen Gerichts zu bringen. In den ersten Monaten nach dem Putsch konnten Bürger offiziell bis zu 30 Tage in Zellen verschwinden, ohne einen Richter zu sehen (NZZ 18.7.2018).

Seit der Einführung des Ausnahmezustands wurden über 150.000 Personen in Gewahrsam genommen, 78.000 verhaftet und über 110.000 Beamte entlassen, während nach Angaben der Behörden etwa 40.000 wieder eingestellt wurden, etwa 3.600 von ihnen per Dekret (EC 17.4.2018). Justizminister Abdulhamit Gül verkündete am 10.2.2017, dass rund 38.500 Mitglieder der Gülen-Bewegung, 10.000 der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) und rund 1.350 Mitglieder des sogenannten Islamischen Staates in der Türkei in Untersuchungshaft genommen oder verurteilt wurden. 2017 wurden von Staatsanwälten mehr als vier Millionen Untersuchungen eingeleitet. Laut Gül verhandelten die Obersten Strafgerichte 2017 mehr als sechs Millionen neue Fälle (HDN 12.2.2017). Die türkische Regierung hat Ermittlungen gegen insgesamt 612.347 Personen in der gesamten Türkei eingeleitet, weil sie in den letzten zwei Jahren angeblich "bewaffneten terroristischen Organisationen" angehört haben. Das Justizministerium gibt an, dass allein 2017 Ermittlungen gegen 457.425 Personen eingeleitet wurden, die im Sinne von Artikel 314 des Türkischen Strafgesetzbuches (TCK) als Gründer, Führungskader oder Mitglieder bewaffneter Organisationen gelten (TP 10.9.2018, vgl. SCF 7.9.2018). Mit Stand 29.8.2018 waren rund 170.400 Personen entlassen und 81.400 Personen in Gefängnissen inhaftiert (TP 29.8.2018). [siehe auch: 4. Rechtsschutz/Justizwesen, 5.Sicherheitsbhörden und 3.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung]

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

?        AM - Al Monitor (17.4.2017): Where does Erdogan's referendum win leave Turkey? http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/04/turkey-erdogan-referendum-victory-further-uncertainty.html, Zugriff 19.9.2018

?        AM - Al Monitor (18.4.2017): Calls for referendum annulment rise in Turkey, http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/04/turkey-referendum-fraud.html, Zugriff 19.9.2018

?        EC – European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 18.9.2018

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.4.2017): OSZE kritisiert Erdogans Umgang mit Manipulationsvorwürfen, http://www.faz.net/aktuell/tuerkei-referendum-osze-kritisiert-erdogans-umgang-mit-manipulationsvorwuerfen-14977732.html, Zugriff 19.9.2018

?        HDN – Hürriyet Daily News (10.2.2017):More than 38,000 FETÖ-linked persons remanded, convicted in Turkey: Minister, http://www.hurriyetdailynews.com/more-than-38-000-feto-linked-persons-remanded-convicted-in-turkey-minister-127098, Zugriff 21.9.2018

?        HDN – Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential-system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338, Zugriff 19.9.2018

?        HDN - Hürriyet Daily News (26.6.2018): 24. Juni 2018, Ergebnisse Präsidentschaftswahlen; Ergebnisse Parlamentswahlen, http://www.hurriyetdailynews.com/wahlen-turkei-2018, Zugriff 19.9.2018

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (18.7.2018): Wie es in der Türkei nach dem Ende des Ausnahmezustands weiter geht, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-wie-es-nach-dem-ende-des-ausnahmezustands-weitergeht-ld.1404273, Zugriff 20.9.2018

?        OSCE – Organization for Security and Cooperation in Europe (22.6.2017): Turkey, Constitutional Referendum, 16 April 2017: Final Report, http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/324816?download=true, Zugriff 19.9.2018

?        OSCE/PACE - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017): INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey – Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true, Zugriff 19.9.2018

?        OSCE/ODIHR – Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights; OSCE Parliamentary Assembly; PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.6.2018): International Election Observation Mission Republic of Turkey – Early Presidential and Parliamentary Elections – 24.6.2018, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/385671?download=true, Zugriff 19.9.2018

?        SCF – Stockholm Center for Freedom (7.9.2019): Turkish gov’t investigates 612,347 people over ‘armed terror organization’ links in 2 years, https://stockholmcf.org/turkish-govt-investigates-612347-people-over-armed-terror-organization-links-in-2-years/, Zugriff 21.9.2018

?        TP – Turkey Purge (29.8.2018): Turkey’s post-coup crackdown, https://turkeypurge.com/, Zugriff 10.10.2018

?        TP – Turkey Purge (10.9.2018): 612,437 people faced terror investigations in Turkey in past 2 years: gov’t, https://turkeypurge.com/612437-people-faced-terror-investigations-in-turkey-in-past-2-years-govt, Zugriff 21.9.2018

?        ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung-neue-gesetze-anti-terror-massnahmen, Zugriff 20.9.2018

Sicherheitslage

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 19.9.2018). Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 3.8.2018).

Mehr als 80% der Provinzen im Südosten des Landes waren zwischen 2015 und 2016 von Attentaten der PKK, der TAK und des sogenannten IS, sowie Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen (SFH 25.8.2016). Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gilt in den Provinzen A?r?, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbak?r, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, ?anl?urfa, Siirt, ??rnak, Tunceli und Van – ausgenommen in den Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Gebiete in den Provinzen Diyarbak?r, Elaz??, Hakkari, Siirt und ??rnak können von den türkischen Behörden und Sicherheitskräften befristet zu Sicherheitszonen erklärt werden. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt im Rest des Landes (BMEIA 9.10.2018).

1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren waren während der Kämpfe 2015-2016 von Ausgangssperren betroffen. Die türkischen Sicherheitskräfte haben in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt. Mehre Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört (CoE-CommDH 2.12.2016). Im Jänner 2018 veröffentlichte Schätzungen für die Zahl der seit Dezember 2015 aufgrund von Sicherheitsoperationen im überwiegend kurdischen Südosten der Türkei Vertriebenen, liegen zwischen 355.000 und 500.000 (MMP 1.2018).

Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des sogenannten Islamischen Staates sowie – in sehr viel geringerem Ausmaß – auch linksextremistischer Gruppierungen wie der Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) ausgesetzt (AA 3.8.2018). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Mitgliedern bewaffneter Gruppen wurden weiterhin im gesamten Südosten gemeldet. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums wurden vom 2. bis 3. Juli 2015 und 11. Juni 2017 im Rahmen von Sicherheitsoperationen 10.657 Terroristen „neutralisiert" (OHCHR 3.2018). Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren (EC 17.4.2018).

Es ist weiterhin von einem erhöhten Festnahmerisiko auszugehen. Behörden berufen sich bei Festnahmen auf die Mitgliedschaft in Organisationen, die auch in der EU als terroristische Vereinigung eingestuft sind (IS, PKK), aber auch auf Mitgliedschaft in der so genannten „Gülen-Bewegung“, die nur in der Türkei unter der Bezeichnung „FETÖ“ als terroristische Vereinigung eingestuft ist. Auch geringfügige, den Betroffenen unter Umständen gar nicht bewusste oder lediglich von Dritten behauptete Berührungspunkte mit dieser Bewegung oder mit ihr verbundenen Personen oder Unternehmen können für eine Festnahme ausreichen. Öffentliche Äußerungen gegen den türkischen Staat, Sympathiebekundungen mit von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen und auch die Beleidigung oder Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und hochrangigen Persönlichkeiten sind verboten, worunter auch regierungskritische Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien fallen (AA 10.10.2018a).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

?        AA – Auswärtiges Amt (10.10.2018a): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_28DF483ED70F2027DBF64AC902264C1D/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/TuerkeiSicherheit_node.html, Zugriff 9.10.2018

?        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (9.10.2018): Türkei – Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/, Zugriff 9.10.2018

?        CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (2.12.2016): Memorandum on the Human Rights Implications of Anti-Terrorism Operations in South-Eastern [CommDH (2016)39], https://www.ecoi.net/en/file/local/1268258/1226_1481027159_commdh-2016-39-en.pdf, Zugriff 19.9.2018

?        EC – European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 18.9.2018

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.9.2018): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html, Zugriff 19.9.2018

?        MMP - Mixed Migration Platform (1.2018): Mixed Migration Monthly Summery, http://www.mixedmigration.org/wp-content/uploads/2018/05/ms-me-1801.pdf, Zugriff 20.9.2018

?        OHCHR – UN Office of the High Commissioner for Human Rights (3.2018): Report on the impact of the state of emergency on human rights in Turkey, including an update on the South-East; January - December 2017, März 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1428849/1930_1523344025_2018-03-19-second-ohchr-turkey-report.pdf, Zugriff 20.9.2018

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.8.2016): Türkei: Situation im Südosten - Stand August 2016, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/tuerkei/160825-tur-sicherheitslage-suedosten.pdf, Zugriff 24.1.2017

Sexuelle Minderheiten

Gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sind gesetzlich erlaubt, allerdings sind Angehörige sexueller Minderheiten weit verbreiteter Diskriminierung, Polizeischikanen und fallweise Gewalt ausgesetzt. Es gibt keine Rechtsvorschriften zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität. Auf sexuelle Minderheiten bezogene öffentliche Veranstaltungen werden seit 2015 zunehmend verboten. Die Polizei setzte Gewalt ein, um Aktivisten zu vertreiben, die sich einem Verbot der Istanbuler Pride Parade im Juni 2017 widersetzten (FH 1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). In den letzten drei Jahren wurden in Istanbul und Ankara die Pride-Paraden verboten, während andere Pride-Veranstaltungen wie das Filmfestival sexueller Minderheiten "aus gesellschaftlichen Gründen" eingestellt wurden. Im November 2017 nutzte der Gouverneur von Ankara die seit dem Putschversuch bestehenden Befugnisse des Ausnahmezustands, um alle öffentlichen Veranstaltungen von Organisationen sexueller Minderheiten in der Stadt mit den Worten "öffentliche Sicherheit", "Schutz der allgemeinen Gesundheit und Moral" und "Schutz der Rechte und Freiheiten anderer" auf unbestimmte Zeit zu verbieten. Diese pauschalen Verbote bedrohen die Existenz von Organisationen sexueller Minderheiten (AI 26.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Im Februar 2018 wies ein Verwaltungsgericht den Antrag zweier NGOs auf Aufhebung des Demonstrationsverbots zurück (EC 17.4.2018).

Angehörige sexueller Minderheiten beklagen sich über die Notwendigkeit, ihre Identität zu verbergen, sehen sich schlechter Behandlung durch Gesundheitsdienstleister ausgesetzt. Angehörige sexueller Minderheiten, die als Sex-Arbeiter tätig sind, insbesondere Transgender-Personen, berichten, dass die Polizei sie festhielt, um Schmiergelder zu erhalten. Menschenrechtsanwälte berichten, dass die Polizei und die Staatsanwälte es verabsäumen, Gewaltdelikte gegen Transgender-Personen ernsthaft zu verfolgen. So es dennoch zu Inhaftierungen kommt, können sich die Angeklagten auf die sogenannte „ungerechtfertigte Provokation“, wie es das Strafgesetz beschreibt, berufen. Richter wenden das Gesetz routinemäßig in diesem Sinne an, um das Strafausmaß jener, die Angehörige sexueller Minderheiten umgebracht haben, zu mindern. Die Berufungsgerichte bestätigen die Urteile mitunter mit der Begründung, dass das Opfer „unmoralischer Natur“ sei (USDOS 20.4.2018). Die Gewalt gegen weibliche Angehörige sexueller Minderheiten wird durch Straffreiheit für die Täter von Hassverbrechen, einschließlich schwerer Gewalt und Tötung verschlimmert (UN-CEDAW 25.7.2016).

Einschüchterung und Gewalt gegen Gemeinschaften sexueller Minderheiten ist nach wie vor ein großes Problem, und Hassreden gegen Angehörige sexueller Minderheiten werden nicht wirksam verfolgt, da sie meist als innerhalb der Grenzen der Meinungsfreiheit betrachtet werden. Das militärische Disziplinarsystem und medizinische Vorschriften definieren Homosexualität als "psychosexuelle Erkrankung" (EC 17.4.2018).

Das Diskriminierungsverbot in Art. 10 der Verfassung umfasst nicht explizit die sexuelle Orientierung. Homosexuelle Handlungen werden im tStGB nicht eigens erfasst. Ihre Strafbarkeit unterscheidet sich nicht von der Strafbarkeit heterosexueller Handlungen. Gesetze oder Generalklauseln über öffentliche Moral und Ordnung werden jedoch in ihrer Auslegung gegen Angehörige sexueller Minderheiten eingesetzt. Die durch die Neuregelungen im Polizeigesetz erweiterten Möglichkeiten, Haus- und Leibesuntersuchungen durchzuführen, werden - teilweise unter Ausübung von Gewalt - gegenüber Homo- und Transsexuellen eingesetzt. In Großstädten und an der Südküste ist es in bestimmten Teilbereichen möglich, Homosexualität zu zeigen; darüber hinaus ist sie gesellschaftlich nicht akzeptiert. Bei Bekanntwerden ihrer sexuellen Orientierung werden Homosexuelle, vor allem aber Transsexuelle häufig von ihrem sozialen und insbesondere beruflichen Umfeld ausgegrenzt oder belästigt und nicht selten Opfer von Gewalt und Diskriminierung, sowohl seitens Dritter als auch aus dem familiären Umfeld. Die türkische Regierung bemüht sich nicht aktiv um eine Verbesserung der gesellschaftlichen Akzeptanz (AA 3.8.2018).

Das UNHCR berichtete von mehr als 1.000 Asylsuchenden und bedingten Flüchtlingen, die einer sexuellen Minderheit angehören - vor allem aus dem Iran. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen werden diese Flüchtlinge aufgrund ihres Status als Angehörige einer sexuellen Minderheit sowohl von den Behörden als auch von der lokalen Bevölkerung diskriminiert und angefeindet. Die kommerzielle sexuelle Ausbeutung bleibt auch bei dieser Personengruppe ein großes Problem (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

?        AI - Amnesty International (26.4.2018): LGBTI activists in Turkey: Defending human rights in a climate of fear, https://www.amnesty.org/en/press-releases/2018/04/lgbti-activists-in-turkey-defending-human-rights-in-a-climate-of-fear/, Zugriff 9.7.2018

?        UN-CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (25.7.2016): Concluding observations on the seventh periodic report of Turkey’ [CEDAW/C/TUR/CO/7], paragraph 32, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1484750203_n1623344.pdf, Zugriff 10.7.2018

?        EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 9.7.2018

?        FH - Freedom House 1.2018): Freedom in the World 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/1426448.html, 9.7.2018

?        HDN - Hürriyet Daily News (8.7.2018): Adana Governor’s Office bans LGBTI pride march, http://www.hurriyetdailynews.com/adana-governors-office-bans-lgbti-pride-march-134291, Zugriff 9.7.2018

?        TP - Turkey Purge (1.7.2018): ?stanbul governor bans LGBTI pride march for 4th year in row, https://turkeypurge.com/istanbul-governor-bans-lgbti-pride-march-for-4th-year-in-row, Zugriff 9.7.2018

?        USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430322.html, Zugriff 9.7.2018

Medizinische Versorgung

Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und postoperationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, aufgrund der staatlichen sanitären Zustände in den Spitälern und der Hygienestandards, die nicht dem westlichen Standard entsprechen. Dies gilt v.a. in staatlichen Spitälern in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten (ÖB 10.2017). Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es 2016 1.510 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 217.771 Betten, davon ca. 58% in staatlicher Hand (AA 3.8.2018). Die Gesundheitsreform ist als Erfolg zu werten, da mittlerweile 90% der Bevölkerung eine Krankenversicherung haben, die Müttersterblichkeit bei Geburt um 70%, die Kindersterblichkeit um 2/3 gesunken ist, und dies von der Welt Bank als eine der größten Erfolgsgeschichten bezeichnet wird. Allerdings warnt die Welt Bank vor explodierenden Kosten. Zahlreiche Ärzte kritisieren die sinkende Qualität der Behandlungen (aufgrund der reduzierten Konsultationsdauer und der geringeren Ressourcen pro Patient) (ÖB 10.2017).

Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. Im Fall von Krebsbehandlungen kann nach aktuellen Medienberichten aufgrund des gesunkenen Wertes der türkischen Währung keine ausreichende Versorgung mit bestimmten Medikamenten aus dem Ausland gewährleistet werden; es handelt sich aber nicht um ein flächendeckendes Problem (AA 3.8.2018).

Auch durch die zahlreichen Entlassungen nach dem gescheiterten Putschversuch, von denen auch der Gesundheitssektor betroffen ist, kommt es nach Medienberichten gelegentlich zu Verzögerungen bei der Bereitstellung medizinischer Dienstleistungen. Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach soll das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Sa?l?k Oca?i) ablösen und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung führen. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig (AA 3.8.2018).

Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ unentgeltlich. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es nach wie vor üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden (AA 3.8.2018). NGOs, die sich um Bedürftige kümmern, sind in der Türkei vereinzelt in den Großstädten vorhanden, können jedoch kaum die Grundbedürfnisse der Bedürftigen abdecken (ÖB 10.2017).

Um vom türkischen Gesundheits -und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Sobald man bei der SGK versichert ist, erhält man folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts -und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Beiträge sind einkommensabhängig (zwischen 65,88 TRY und 395,28 TRY) (IOM 2017). Die SGK refundiert auch die Kosten in privaten Hospitälern, sofern mit diesen ein Vertrag besteht. Die Kosten in privaten Krankenhäusern unterliegen, je nach Qualitätsstandards, gewissen, von der SGK vorgegebenen Grenzen. Die Kosten dürfen maximal 90% über denen von der SGK verrechneten liegen. Notfalldienste, Intensivmedizin, Verbrennungen, Krebstherapie, Neugeborenenversorgung, alle Transplantationen, Operationen bei angeborenen Anomalien, Hämodialyse und kardiovaskuläre Chirurgie sind von diesen zusätzlichen Zahlungen im privaten Sektor ausgenommen. Für die stationäre Versorgung kann das Privatkrankenhaus dem Patienten einen Zuschlag für Unterbringungsleistungen in Rechnung stellen (IBZ 10.7.2015).

Die meisten Rückkehrer, die über keine Krankenversicherung verfügen und eine Aufenthaltserlaubnis besitzen und bereits mindestens ein Jahr in der Türkei leben, müssen monatlich in den Fond einzahlen. Dazu müssen sie im System registriert sein und mindestens 180 Tage Beitragszahlungen leisten. Rückkehrer werden bei der SGK-Registrierung nicht gesondert behandelt. Kinder gelten automatisch als versichert, sobald die Eltern bei der SGK registriert sind (IOM 2017).

Der Mindestbetrag für die Grundversorgung – sofern keine Versicherung durch den Arbeitgeber bereits besteht – beträgt zwischen 6-12% des monatlichen Einkommens. Personen ohne ein reguläres Einkommen müssen ca. 15 EUR/Monat in die Krankenkasse einzahlen. Bei Nachweis über ein sehr geringes Einkommen (weniger als 150,- EUR/Monat) werden die Grundversorgungsbeiträge vom Staat übernommen (ÖB 10.2017).

Die Einrichtungen sind auf Personen mit besonderen Bedürfnissen abgestimmt (Familien, Kinder, Senioren und erkrankte Menschen, Menschen mit psychischen Erkrankungen) sowie auf ökonomisch benachteiligte Menschen. Der Patient kann sich direkt an eine Apotheke (ECZANE) wenden, ohne vorher einen Anmeldevorgang durchlaufen zu müssen. Apotheken sind überall verfügbar. Für einige Medikamente benötigt man ein grünes bzw. ein rotes Rezept. Andere Medikamente können ohne Rezept gekauft werden (IOM 2017).

Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Insgesamt standen 2016 zwölf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.400 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern(AA 3.8.2018). Insgesamt 32 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige (AMATEM) befinden sich in Adana, Ankara (4), Antalya, Bursa (2), Denizli, Diyabakir, Edirne, Elazig, Eskisehir, Gaziantep, Istanbul (5), Izmir (3), Kayseri, Konya, Manisa, Mersin, Sakarya, Samsun, Tokat und Van (2) (AA 3.8.2018).

Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite, allerdings versorgt das Gesundheitsministerium derzeit alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphinen, auch können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten künftig in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben (AA 3.8.2018).

Im Rahmen der häuslichen Krankenbetreuung sind in allen Landesteilen staatliche mobile Teams im Einsatz (bestehend meist aus Arzt, Krankenpfleger, Fahrer, ggf. Physiotherapeut etc.), die Kranke zu Hause betreuen. Etwa 15% der Bevölkerung profitiert von diesen Angeboten (AA 3.8.2018).

Eine AIDS-Behandlung kann in allen Provinzen mit Universitätskrankenhäusern durchgeführt werden. In Istanbul stehen drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung (AA 3.8.2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

?        IBZ - Federal Public Service Home Affairs General Directorate Aliens’ Office Belgium, MedCOI - Belgian Desk on Accessibility (10.7.2015): Country Fact Sheet Access to Healthcare: Turkey, Zugriff 4.7.2018

?        IOM - International Organisation for Migration (2017): Country Fact Sheet Türkei 2017, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2017_T%C3%Bcrkei_DE.pdf, Zugriff 2.7.2018

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

Behandlung nach Rückkehr

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr polizeilicher oder justizieller Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen (AA 3.8.2018). Personen die für die PKK oder eine Vorfeldorganisation der PKK tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türkische Hisbollah, Al-Qaida) (ÖB 10.2017). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische PYD bzw. die YPG als von der als terroristisch eingestuften PKK geschaffene Organisationen, welche mit der PKK hinsichtlich der Führungskader, der Organisationsstrukturen sowie der Strategie und Taktik verbunden sind (MFA o.D.).

Seit dem versuchten Militärputsch im Juni 2016 werden Personen, die mit dem Gülen-Netzwerk in Verbindung sind, als Terroristen gesehen. Auf die sog. Mitglieder der „FETÖ“ (Fetullah-Gülenistische Terrororganisation), die im Ausland leben, werden von der Türkei Einreiseverbote verhängt. Hierbei handelt es sich meistens um nicht-türkische Staatsbürger mit türkischem Ursprung (ÖB 10.2017). Die türkische Regierung hat im Nachgang zu dem Putschversuch 2016 zahlreiche ausländische Regierungen um Mithilfe bei der Ermittlung von Mitgliedern des sog. „Gülen-Netzwerkes“ gebeten. Es ist wahrscheinlich, dass türkische Stellen Regierungsgegner und Gülen-Anhänger im Ausland ausspähen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung zumindest als Propaganda für eine terroristische Organisation führen (AA 3.8.2018).

Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Es ist in den letzten Jahren jedoch kein Fall bekannt geworden, indem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (AA 3.8.2018).

Rückkehrprobleme im Falle einer Asylantragstellung im Ausland sind keine bekannt. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. Paragraph 3 des türkischen Passgesetzes ist die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliegt (ÖB 10.2017).

Türkischen Staatsangehörigen im Ausland, die von den türkischen Behörden der Beteiligung an der Gülen-Bewegung verdächtigt werden, werden ihre Pässe für ungültig erklärt und durch einen Ein-Tages-Pass ersetzt , mit dem sie in die Türkei zurückkehren, um vor Gericht gestellt zu werden, wo sie ihre Unschuld zu beweisen haben. Lehrer und Militärangehörige scheinen besonders betroffen zu sein, aber auch Kurden und Journalisten (UKHO 2.2018).

Es gibt Vereine, welche von türkischen Rückkehrern gegründet wurden. Hier werden spezielle Programme angeboten, welche die Rückkehrer in Fragen wie Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen und zugleich eine Netzwerkplattform zur Verfügung stellen. Im Folgenden eine kleine Auswahl:

• Rückkehrer Stammtisch Istanbul, Frau Çi?dem Akkaya, LinkTurkey, E-Mail: info@link-turkey.com

• Die Brücke, Frau Christine Senol, Email: info@bruecke-istanbul.org , http://bruecke-istanbul.com/

• TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, E-Mail. almankulturadana@yahoo.de , www.takid.org (ÖB 10.2017).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

?        EP - European Parliament, Vice-President Mogherini on behalf of the Commission (23.6.2016): Answer given by Vice-President Mogherini on behalf of the Commission [E-000843/2016], http://www.europarl.europa.eu/sides/getAllAnswers.do?reference=E-2016-000843&language=EN, Zugriff 27.1.2017

?        MFA - Republic of Turkey, Ministry of Foreign Affairs (o.D.): PKK, http://www.mfa.gov.tr/pkk.en.mfa, Zugriff 2.7.2018

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

?        UKHO - United Kindom Home Office (2.2018): Country Policy and Information Note Turkey: Gülenist movement, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/682868/Turkey_-_Gulenists_-_CPIN_-_v2.0.pdf, Zugriff 2.7.2018

Coronavirus COVID-19

Am 11.3.2020 verkündete der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca die Nachricht des ersten bestätigten Corona-Falles in der Türkei (FNS 3.2020; vgl. TG 11.3.2020). Die Fallzahlen waren im Vergleich zu anderen Ländern zunächst äußerst gering, Daten, wie jene der Universität Oxford zeigten jedoch eine beunruhigende Entwicklung der Infektionsrate in der Türkei: Das Land ist nach den ersten 100 bestätigten Fällen in der Geschwindigkeit des Anstiegs führend (Al Monitor 24.3.2020).

Die Türkei hat am 24.3.2020 zusätzliche Beschränkungen eingeführt, um die Menschen zu Hause zu halten und den Ausbruch des Corona-Virus einzudämmen. Das Innenministerium kündigte neue Regeln für Lebensmittelgeschäfte und öffentliche Verkehrsmittel an, die die Betriebszeiten der Supermärkte auf 9.00 bis 21.00 Uhr und die Kunden auf eine Person pro 7 Quadratmeter Grundfläche beschränken. Öffentliche Transportmittel dürfen nur mehr zur Hälfte belegt sein (Ahval 25.3.2020). Diese Schritte folgen auf eine Reihe früherer Beschränkungen, die das sog. social distancing fördern sollen, darunter die Schließung von Schulen, ein Verbot von Gemeinschaftsgebeten in Moscheen, die Absage von kulturellen Veranstaltungen und die Schließung von Zehntausenden von Geschäften. Im Unterschied zu anderen Staaten hat sich die Türkei geweigert, eine vollständige Abriegelung anzuordnen, und sich dafür für Teilmaßnahmen entschieden, wie z.B. das Verbot für Senioren und andere gefährdete Personen ihr Zuhause zu verlassen (Al Monitor 24.3.2020).

Turkish Airlines stellt seit dem 27. März die Flüge zu allen internationalen Zielen ein, mit Ausnahme von vier Strecken (Ahval 27.3.2020). Am 19.3.2020 hat die Türkei alle Landgrenzen mit den Nachbarstaaten für den Personenverkehr geschlossen. Laut einer Anordnung des Innenministeriums seien „vorübergehend“ für die Einreise wie für die Ausreise auch die Grenzübergänge mit Griechenland und Bulgarien geschlossen worden.

Begründet wird die Maßnahme mit dem Corona-Virus, was laut Kommentatoren der Türkei einen gesichtswahrenden Ausweg aus der jüngsten Migrationskrise gibt, die sie am 29. Februar mit der Erklärung ausgelöst hatte, dass die Grenzen nach Europa offen seien (FAZ 19.3.2020).

Die türkische Regierung hat auch versucht die öffentliche Debatte über das Virus zu kontrollieren. Dies ging so weit, dass Dutzende Personen wegen kritischer, laut Regierung "grundloser und provokativer" Beiträge in den sozialen Medien verhaftet wurden (Al Monitor 24.3.2020).

Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 4) im Zusammenhang mit der zunehmenden Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) und damit einhergehenden massiven Einschränkungen im Reiseverkehr (BMEIA, Aktuelle Hinweise, Stand 03.04.2020).

Seit 28. März 2020 sind alle internationalen Passagierflüge aus der Türkei und in die Türkei eingestellt. Ausgenommen sind Repatriierungsflüge, Flüge für den medizinischen Notfall und Notlandungen.

Das Verbot für Einreisen aus Staaten, die von der COVID-19-Pandemie betroffen sind, wurde mit 14. März 2020 auf Reisende aus Österreich erstreckt und gilt vorläufig bis 17. April 2020.

Türkischen Staatsangehörigen, einschließlich Doppelstaatsbürgern, die sich in den letzten 14 Tagen in Österreich aufgehalten haben, ist die Einreise erlaubt. Sie müssen sich jedoch Quarantänemaßnahmen unterziehen.

Die Grenzübergänge zum Iran, zum Irak und zu Aserbaidschan sowie zu Griechenland und Bulgarien (Personenverkehr) sind geschlossen. Für die Grenze zu Georgien gelten partielle Schließungen.

Am 28.03. traten weitreichende Beschränkungen des öffentlichen Überlandverkehrs in Kraft.

Für Personen über 65 und chronisch Kranke besteht bis auf weiteres eine Ausgangssperre.

Das öffentliche Leben wurde stark eingeschränkt. Schulen und Universitäten sind vorläufig geschlossen. Es gibt derzeit keine öffentlichen Veranstaltungen.

Reisenden wird empfohlen, größere Menschenansammlungen zu vermeiden, den Anweisungen der lokalen Sicherheitsbehörden Folge zu leisten und die hygienischen Vorsichtsmaßnahmen strikt einzuhalten. Nähere Informationen zum Coronavirus finden Sie auf der Homepage des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz sowie der Weltgesundheitsorganisation.

Personenkontrollen werden häufig vorgenommen. Es besteht Ausweispflicht; gültige Ausweispapiere sind daher stets mitzuführen.

(BMEIA, Aktuelle Hinweise, Stand 03.04.2020)

Für die gesamte Türkei gilt die Sicherheitsstufe 6 (Reisewarnung). Vor Reisen in die Türkei wird aufgrund der raschen Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) gewarnt.

(BMEIA, Aktuelle Hinweise, Stand 14.04.2020)

Für die gesamte Türkei gilt die Sicherheitsstufe 6 (Reisewarnung). Vor Reisen in die Türkei wird aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) gewarnt.

Für österreichische Staatsbürger/innen, die sich in der Türkei aufhalten, gelten die von der türkischen Regierung verordneten Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19.

Am 01.06.2020 wurden sämtliche Ein- und Ausreisesperren zwischen den Städten bzw. Provinzen aufgehoben, ebenso die Wochenend-Ausgangssperren werden aufgehoben. Kindergärten und Betreuungsstätten sowie Museen, Parks, Strände, Wälder und Raststätten auf Autobahnen werden geöffnet. Cafés, Restaurants, Teegärten dürfen uneingeschränkt geöffnet bleiben. In Geschäften, Einkaufszentren und Friseursalons sind strenge Abstandsregeln einzuhalten, weshalb es zu Beschränkungen der Kundenanzahl kommen kann; das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ist weiterhin obligatorisch.

Aktuell ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes u.a. in folgenden 45 Städten verpflichtend: Ad?yaman, Afyonkarahisar, Amasya, Ankara, Ardahan, Ayd?n, Bal?kesir, Bart?n, Batman, Bolu, Burdur, Bursa, Denizli, Düzce, Elaz??, Eski?ehir, Gaziantep, Giresun, I?d?r, Isparta, Istanbul, Kahramanmara?, Karabük, K?rklareli, Kocaeli, Konya, Kütahya, Malatya, Mardin, Mu?la, Mu?, Nev?ehir, Osmaniye, Sakarya, Siirt, Sivas, ??rnak, Tunceli, U?ak, Zonguldak, Diyarbak?r, Erzurum, Kayseri, Rize und ?anl?urfa.


Unter 18-Jährige unterliegen keinen Ausgangsbeschränkungen mehr, sofern sie in Begleitung von Erziehungsberechtigten unterwegs sind.

Für über 65-Jährige und chronisch Kranke gilt grundsätzlich nach wie vor eine Ausgangssperre. Diese Personengruppen dürfen sich jedoch täglich zwischen 10:00 Uhr und 20:00 Uhr im Freien aufhalten. Reisen zwischen den Provinzen sind diesen Personengruppen nur unter der Voraussetzung erlaubt, dass eine Reisegenehmigung eingeholt wurde und der Aufenthalt am Zielort mindestens einen Monat lang dauert (für innerstaatliche Reisen mit Flugzeug, der Bahn oder dem Autobus ist darüber hinaus ein sogenannter HES-Code verpflichtend, siehe unten).

Die genannten Ausgangsbeschränkungen für unter 18-Jährige und über 65–Jährige gelten für ausländische Touristen nicht. Eine Reisegenehmigung (HES-Code) für Reisen zwischen Provinzen ist jedoch auch von ausländischen Touristen einzuholen.

Die bisherigen Beschränkungen der Ein- und Ausreise über den Land-, Luft- und Seeweg wurden aufgehoben (Ausnahme: Grenze zum Iran, siehe unten). Einreisende Personen werden einer Gesundheitsuntersuchung unterzogen. Bei Verdacht auf COVID-19 erfolgt eine kostenlose PCR-Testung. Ist das Testergebnis positiv, wird die betroffene Person in ein speziell vorgesehenes Krankenhaus gebracht und dort behandelt. Eine umgehende Rückreise wird nicht gestattet.

Der Landesgrenzübergang zum Iran bleibt geschlossen.

Für innerstaatliche Reisen mit Flugzeug, Bahn oder Autobus ist eine mobile Applikation mit persönlichem Code (“Hayat Eve S??ar/Life Fits Home“-HES)1) verpflichtend.

Ein HES-Code kann erlangt werden durch:

?        Die Hayat Eve S??ar App (IOS and Android)

?        Durch das Verschicken einer SMS an die Nummer 2023 für

?        Personen mit einer türkischen Identifikationsnummer: durch Eingabe der Buchstabenfolge „HES“, der letzten vier Ziffern der türkischen Identifikationsnummer und der Anzahl der Tage (für die der HES-Code gültig sein soll) – mit jeweils einem Abstand zwischen den einzelnen Angaben;

?        Personen ohne türkische Identitätsnummer: durch Eingabe der Buchstabenfolge „HES“, der Staatsbürgerschaft, der Reisepassnummer, des Geburtsjahres und des Nachnamens – mit jeweils einem Abstand zwischen den einzelnen Angaben;

?        Personen mit einer türkischen Identifikationsnummer, die mit 97, 98, 99 beginnt: durch Eingabe der Buchstabenfolge „HES“, der Identifikationsnummer, des Geburtsjahres und der Anzahl der Tage (für die der HES-Code gültig sein soll) – mit jeweils einem Abstand zwischen den einzelnen Angaben.

?        Über folgenden Link: https://www.turkiye.gov.tr/saglik-bakanligi-hes-kodu-sorgulama

Das öffentliche Leben ist derzeit stark

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten