TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/15 G307 2209745-1

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Veröffentlicht am 15.10.2020
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Entscheidungsdatum

15.10.2020

Norm

AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4

Spruch


G307 2209745-1/19E

Im namen der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA: Kosovo, vertreten durch RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER in 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2018, Zahl XXXX ,

1. zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Kosovo gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt.

XXXX wird gemäß §§ 55 Abs. 1 iVm. 54 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. beschlossen:

C)

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabegebühr) wird gemäß § 8a Abs. 1 und 2 VwGVG iVm. § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a und Abs. 3 ZPO abgewiesen.

D)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) stellte am 31.12.2014 gemeinsam mit ihren Eltern und vier weiteren Geschwistern einen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes.

2. Mit Erkenntnissen des BVwG vom 22.07.2015, Zahlen, W192 2109161-1/2E, -2109159-1/2E, -2109154-1/2E, 2109151-1/2E, -2109157-1/2E, -2109155-1/3E und -2109162-1/2E wurden die Anträge der BF und ihrer Familienangehörigen gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Ungarn für die Prüfung der Anträge gemäß Art 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zuständig sei. Gleichzeitig wurde gegen die BF und ihre Familie gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Ungarn gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

3. Am 12.08.2016 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Eltern der BF, XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX , vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) statt.

4. Mit Schreiben des BFA vom 27.09.2016 wurde die (seinerzeit von ihren Eltern gesetzlich vertretene) BF über die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig wurde sie zur Abgabe einer dahingehenden Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Erhalt dieses Schreibens aufgefordert.

5. Mit am 17.10.2016 und 27.10.2016 beim BFA eingelangten gemeinsamen Schriftsätzen gaben die BF und ihre Familie durch ihren damaligen Rechtsvertreter (im Folgenden: RV), RA Mag. Ronald FRÜHWIRTH, Stellungnahmen ab.

6. Am 03.02.2017 setzte die belangte Behörde die BF darüber in Kenntnis, dass beabsichtigt sei, auch ein Einreiseverbot gegen sie zu erlassen. Ferner wurde die BF zur Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Erhalt dieser Aufforderung angehalten.

7. Mit am 21.02.2017 beim BFA eingelangtem gemeinsamen Schriftsatz gaben die BF und ihre Familienangehörigen durch ihren damaligen RV hiezu eine Stellungnahme ab.

8. Mit am 08.03.2017, 23.03.2017, 22.08.2017 und am 11.10.2017 beim BFA eingelangten Schriftsatz gaben die BF und ihre Familienangehörigen durch ihren damaligen RV weitere Stellungnahmen ab und brachten diverse Unterlagen in Vorlage.

9. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem damaligen RV der BF zugestellt am 30.10.2018, wurde der BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.) gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in den Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt II.) sowie einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

10. Mit per Post am 08.11.2018 beim BFA eingebrachtem Schreiben erhob die BF durch ihren damaligen RV Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurden die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, die Behebung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung, die Erklärung einer Rückkehrentscheidung für auf Dauer als unzulässig, die Behebung des ausgesprochenen Einreiseverbotes, sowie die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG, in eventu die Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde beantragt.

Zudem wurde ein Antrag auf Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabegebühr gestellt.

11. Die Beschwerde samt Verfahrensakten wurden vom BFA dem BVwG vorgelegt, wo sie am 20.11.2018 einlangten.

12. Mit Beschluss des BVwG, G307 2209745-1/2Z, vom 23.11.2018, wurde der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

13. Mit dem am 19.11.2019 beim BVwG eingelangtem Schriftsatz wurde durch den damaligen RV der BF dem BVwG mitgeteilt, dass das Vollmachtverhältnis mit der BF aufgelöst worden sei.

14. Mit am 23.12.2019 beim BVwG eingelangtem Schriftsatz wurde die Vollmachterteilung an den aktuellen RV, RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, durch die BF bekanntgegeben und weitere Unterlagen übermittelt.

15. Mit weiteren zwischen 03.01.2020 und 19.08.2020 beim BVwG eingebrachten Schriftsätzen der BF wurden neuerlich Beweismittel vorgelegt und weitere Stellungnahmen erstattet.

16. Am 04.08.2020 fand vor dem BVWG, Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher die BF, deren RV, sowie die Eltern und die Geschwister der BF teilnahmen. Zudem wurde eine Bekannte der Familie der BF als Zeugin gehört.

Die belangte Behörde wurde ebenfalls geladen und nahm ein Vertreter derselben an der Verhandlung teil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist Staatsangehörige von Kosovo, ledig und kinderlos.

1.2. Die BF reiste gemeinsam mit ihren Eltern, XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , beide StA. Kosovo und vier weiteren Geschwistern, XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX , allesamt StA.: Kosovo, im Dezember 2014, ins Bundesgebiet ein, wo sie am 30.12.2014 allesamt Anträge auf Gewährung internationalen Schutzes stellten.

1.3. Die besagten Anträge der BF und ihrer Familienangehörigen wurden mit Erkenntnissen des BVwG, GZ W192 2109161-1/2E, -2109159-1/2E, -2109154-1/2E, -2109151-1/2E, -2109157-1/2E, -2109155-1/3E, und -2109162-1/2E jeweils vom 22.07.2015 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Zudem wurde ausgesprochen, dass Ungarn für die Prüfung der Anträge gemäß Art 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zuständig sei. Ferner wurde gegen die BF und ihre Familienangehörigen gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Ungarn gemäß § 61 ABS. 2 FPG zulässig sei.

1.4. Am 07.08.2015 wurde seitens des BFA ein Abschiebeauftrag erlassen, um die BF am letzten Tag der Überstellungsfrist, dem XXXX .2015, nach Ungarn zu überführen.

1.5. Aufgrund des seinerzeitigen stationären Aufenthalts der Mutter der BF1 konnte die Überstellung der BF nach Ungarn nicht erfolgen und verblieb die BF in weiterer Folge im Bundesgebiet.

1.6. Die BF wohnt zusammen mit ihren Eltern und ihren Geschwistern im gemeinsamen Haushalt in Österreich.

Darüber hinausgehend verfügt die BF über keine berücksichtigungswürdigen familiären Bezugspunkte in Österreich.

1.7. Die Mutter der BF, XXXX , geb. XXXX leidet an einer Anpassungsstörung im Sinn einer länger depressiven Reaktion (R43.21) bei Problemen mit Bezug auf die Lebensbewältigung (Z73.9) im Rahmen einer Cluster B Persönlichkeit (F60.4) und befindet sich in regelmäßiger Behandlung. Von XXXX .2016 bis XXXX .2016 und XXXX .2017 bis XXXX .2017 musste sie stationär in Form der Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung behandelt werden.

1.8. Die BF hat im Herkunftsstaat die Grundschulausbildung absolviert und besucht in Österreich die Schule, aktuell ein Abendgymnasium, mit bisher positivem Erfolg. Nach erfolgreicher Matura strebt die BF ein Studium der Psychologie in Österreich an.

Die BF ist darüber hinaus ehrenamtlich in ihrer Pfarr- und Wohnsitzgemeinde tätig.

1.9. Die BF ist gesund und arbeitsfähig, geht jedoch keiner Erwerbstätigkeit in Österreich nach sondern lebt überwiegend von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

1.10. Die BF verfügt über ein großes soziales Netzwerk in Österreich und wird ihr Verbleib in Österreich von einer Vielzahl von in Österreich lebenden Personen unterstützt.

1.11. Im Herkunftsstaat halten sich Tanten der BF auf und erweist sich die BF in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten.

1.12. Der Kosovo gilt als sicher Herkunftsstaat.

1.13. Die BF hat am 07.02.2017 die Deutschprüfung des Niveaus „A22 erfolgreich abgelegt. Es wird festgestellt, dass die BF der deutschen Sprache jedenfalls auf dem Niveau „A2“ mächtig ist.

Die BF besucht seit Jänner 2019 das „Open Learning Center“ der XXXX .

1.14. Die BF ist nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels für Österreich.

1.15. Mit den zu den GZ G307 2209749-1, -2209750-1, -2209748-1, - 2209747-1, und -2209751-1 protokollierten Beschwerden der Eltern und Geschwister der BF am heutigen Tag ergangenen Erkenntnisse wurde eine Rückkehrentscheidung gegen diese für auf Dauer unzulässig erklärt und diesen jeweils ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG erteilt.

1.16. Die BF hat keine konkreten Auskünfte zu ihren finanziellen Verhältnissen erteilt bzw. keine Vermögensaufstellung vorgelegt und werden die Kosten für ihre Rechtsvertretung von einem Bruder des Vaters der BF übernommen.

2. Beweiswürdigung

2.1.Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten und abgehaltenen mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Insofern oben Feststellungen zu Identität (Name und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, seinerzeitigen Erlassung eines Abschiebeauftrages durch das BFA, Abstandnahme von einer Abschiebung der BF wegen der stationären Behandlung ihrer Mutter, Verbleib der BF im Bundesgebiet, den Familienangehörigen sowie Fehlen sonstiger berücksichtigungswürdiger familiärer Bezugspunkte in Österreich getroffen wurden, beruhen diese auf den jeweiligen Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen weder in der gegenständlichen Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung und den Stellungnahmen substantiiert entgegengetreten wurde.

Die Einreise der BF gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Geschwistern sowie deren Antragstellung auf Zuerkennung des internationalen Schutzes samt der Zurückweisung deren Anträge, die Feststellung der Zuständigkeit Ungarns und die Erklärung der Zulässigkeit der Außerlandesbringung derselben beruhen auf einer Ausfertigung der oben zitierten Erkenntnisse des BVwG vom jeweils 22.07.2015.

Der fehlende Besitz eines Aufenthaltstitels konnte durch Abfrage des Zentralen Fremdenregisters ermittelt werden und lässt sich die gemeinsame Haushaltsführung der BF mit ihren Eltern sowie den Geschwistern dem Inhalt des auf alle Genannten lautenden Auszuges aus dem Zentralen Melderegister entnehmen.

Der Schulbesuch im Herkunftsstaat beruht auf den Angaben der BF im seinerzeitigen Asylverfahrens (siehe AS 5) und ergibt sich der erfolgreiche Schulbesuch in Österreich aus in Vorlage gebrachten Zeugnissen und Schulbesuchsbestätigungen (siehe OZ 3; 9) sowie einer Stellungnahme eines der Lehrer der BF (siehe 10).

Das weitere Bestreben der BF, die Reifeprüfung und ein Studium der Psychologie zu absolvieren, beruht auf den konkreten Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung.

Dass die BF eine Beziehung eingegangen sei, geheiratet oder Kinder zur Welt gebracht hätte, wurde bis dato nicht behauptet und gab die BF in der mündlichen Verhandlung an, gesund zu sein. Dem Inhalt des auf den Namen der BF lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges kann jedoch entnommen werden, dass sie keiner Erwerbstätigkeit nachgeht und ließ sich der Bezug von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung durch Einsichtnahme in das GVS-Informationssystem der Republik Österreich ermitteln. Die Arbeitsfähigkeit wiederum erschließt sich aus dem Gesundheitszustand der BF und weist diese keinen Eintrag im Strafregister der Republik Österreich auf.

Der Gesundheitszustand der Mutter der BF folgt dem Inhalt des auf vom BVwG in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten des Dr. XXXX , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom XXXX .2020 (siehe G307 2209749-1/ OZ 10) und ergeben sich die stationären Unterbringungen derselben aus den im Akt einliegenden Bestätigungen, konkret einer Aufenthaltsbestätigung des LKH XXXX vom XXXX .2016 (siehe AS 55) sowie einem ärztlichen Entlassungsschreiben derselben Klinik vom XXXX .2017 (siehe AS 93). Dem Vorbringen der Mutter der BF in der mündlichen Verhandlung, welches durch einen ärztlichen Befund von Dr. XXXX vom XXXX .2019 (siehe OZ 15) und XXXX .2020 (siehe Beilage zum Verhandlungsprotokoll) gestützt wird, kann zudem entnommen werden, dass diese in regelmäßiger ärztlicher und medikamentöser Behandlung steht.

Die familiären Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat erschließen sich aus den Angaben der Mutter der BF in der mündlichen Verhandlung, welche vorbrachte, dass ihre Schwestern nach wie vor im Herkunftsstaat lebten und sie Kontakt zu diesen hielte.

Durch Vorlage eines Prüfungszeugnisses des Niveaus A2 (siehe AS 93), konnte die BF ihre Deutschkenntnisse nachweisen, welche sie letztlich in der mündlichen Verhandlung unter Beweis stellte. Die dortige Einvernahme konnte in Deutsch erfolgen, war die BF in der Lage, alle Fragen in dieser Sprache zu verstehen und diese zu beantworten.

Ferner hat die BF den Besuch des oben genannten Kurses (siehe Beilagen zum Verhandlungsprotokoll) sowie ihr ehrenamtliches Engagement (siehe OZ 11) durch Vorlage entsprechender Bestätigungen belegen können und beruht die Feststellung, dass der Kosovo als sicherer Herkunftsstaat gilt, auf § 1 Z 2 HStV.

Das Bestehen eines großen sozialen Netzwerkes sowie der Einsatz einer größeren Anzahl an Personen für einen Verbleib der BF in Österreich wurde in der mündlichen Verhandlung zum einen konkret behauptet und zum anderen durch Unterschriftenlisten untermauert. (siehe OZ 10)

Ferner wurden bis dato von der BF keine detaillierten Angaben zu ihren finanziellen Verhältnissen gemacht und auch kein Vermögenbekenntnis vorgelegt, sondern bloß das Bestehen prekärer finanzieller Verhältnisse behauptet. Zudem gestand die Mutter der BF in der mündlichen Verhandlung ein, dass ein Bruder des Vaters der BF für die Kosten des RV der BF aufkomme.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1.  Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt, und gemäß Abs. 4 Z 10 leg cit, jeder Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist, als Drittstaatsangehöriger.

Die BF als Staatsangehörige von Kosovo ist sohin Drittstaatsangehörige iSd. § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

3.1.2. Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), oder sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2).

Der mit „Aufenthaltsrecht“betitelte § 13 AsylG lautet:

„§ 13. (1) Ein Asylwerber, dessen Asylverfahren zugelassen ist, ist bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder bis zum Verlust des Aufenthaltsrechtes (Abs. 2) zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Ein auf Grund anderer Bundesgesetze bestehendes Aufenthaltsrecht bleibt unberührt.

(2) Ein Asylwerber verliert sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet, wenn

1.       dieser straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3),

2.       gegen den Asylwerber wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft eingebracht worden ist,

3.       gegen den Asylwerber Untersuchungshaft verhängt wurde (§§ 173 ff StPO, BGBl. Nr. 631/1975) oder

4.       der Asylwerber bei der Begehung eines Verbrechens (§ 17 StGB) auf frischer Tat betreten worden ist.

Der Verlust des Aufenthaltsrechtes ist dem Asylwerber mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Wird ein Asylwerber in den Fällen der Z 2 bis 4 freigesprochen, tritt die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Straftat zurück (§§ 198 ff StPO) oder wird das Strafverfahren eingestellt, lebt sein Aufenthaltsrecht rückwirkend mit dem Tage des Verlustes wieder auf.

(3) Hat ein Asylwerber sein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß Abs. 2 verloren, kommt ihm faktischer Abschiebeschutz (§ 12) zu.

(4) Das Bundesamt hat im verfahrensabschließenden Bescheid über den Verlust des Aufenthaltsrechtes eines Asylwerbers abzusprechen.“

Die BF fällt nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.

Die BF ist nicht im Besitz eines zum Aufenthalt in Österreich berechtigenden Rechtstitels und sind kosovarische Staatsbürger gemäß Art 3 Abs. 1 iVm. Anlage I der Verordnung (EU) Nr. 2018/1806, vom 14.11.2018 nach wie vor (siehe alte Rechtslage: Art 1 Abs. 2 iVm. Anlage I der Verordnung (EG) Nr. 539/2011, vom 15.03.2011, idF. VO (EU) Nr. 509/2014, vom 22.05.2014) nicht von der Visumpflicht befreit. Ferner wurde ihr seinerzeitiger Antrag auf Zuerkennung des internationalen Schutzes mangels Zuständigkeit der Republik Österreich als unzulässig zurückgewiesen.

Der Aufenthalt der BF in Österreich erweist sich sohin als unrechtmäßig.

3.1.3. Der mit „Rückkehrentscheidung“ betitelte § 52 FPG lautet:

„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1.         nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2.         nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1.         dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2.         dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3.         ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4.         ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1.         nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,
1a.         nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,
2.         ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3.         ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4.         der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5.         das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Liegt ein Fall des § 55a vor, so wird die Rückkehrentscheidung mit dem Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise durchsetzbar. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK“ betitelte § 55 ASylG lautet:

„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

3.1.4.  Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101).

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Der EGMR unterscheidet in seiner Rechtsprechung nicht zwischen einer ehelichen Familie (sog. „legitimate family“ bzw. „famille légitime“) oder einer unehelichen Familie („illegitimate family“ bzw. „famille naturelle“), sondern stellt auf das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens ab (siehe EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 454; 18.12.1986, Johnston u.a., EuGRZ 1987, 313; 26.05.1994, Keegan, EuGRZ 1995, 113; 12.07.2001 [GK], K. u. T., Zl. 25702/94; 20.01.2009, ?erife Yi?it, Zl. 03976/05). Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

•        die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

•        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

•        die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

•        den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

•        die Bindungen zum Heimatstaat,

•        die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

•        auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

Das "Kindeswohl" ist bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 zu berücksichtigen (Hinweis B 30. Juni 2015, Ra 2015/21/0059 bis 0062; E 22. November 2012, 2011/23/0451; E 12. September 2012, 2012/23/0017 E VfGH 12. Oktober 2016, E 1349/2016). (vgl. VwGH 31.08.2017, Ro 2017/21/0012)

Eine Rückkehrentscheidung, die zwangsläufig zu einer Trennung eines Kleinkindes von Mutter oder Vater (die in Lebensgemeinschaft leben) führt, stellt in jedem Fall eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar. Kontakte der Mutter zu ihrem Lebensgefährten über Telefon oder E-Mail können das nicht wettmachen (vgl. VfGH 19.6.2015, E 426/2015, und VfGH 26.6.2018, E 1791/2018). (vgl. VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0108)

Laut VfGH seien die Auswirkungen der Entscheidung und die Konsequenzen einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers auf das Familienleben und auf das Kindeswohl der Kinder zu erörtern. Das Kindeswohl und die Auswirkungen der Aufenthaltsbeendigung auf die Eltern-Kind-Beziehung haben Erwähnung zu finden, und seien aufgrund einer grundrechtlichen Verpflichtung, die Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auf die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinem Kind und das Kindeswohl zu ermitteln. (vgl. VfGH 24.09.2018, E1416/2018)

Bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. (vgl. VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0456)

3.1.5. Die BF reiste als Minderjährige gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Geschwistern im Dezember 2014 ins Bundesgebiet ein und lebt, trotz mittlerweile erlangter Volljährigkeit, nach wie vor mit ihrer Familie im gemeinsamen Haushalt in Österreich. Zudem hat die BF während ihres bisherigen Aufenthaltes in Österreich die Schule besucht, strebt die Absolvierung der Reifeprüfung und in weiterer Folge eines Studiums an. Ferner hat die BF nachweislich Anstrengungen hinsichtlich des Erlernens der deutschen Sprache getätigt und ein Deutschniveau von zumindest „A2“ erlangt. Darüber hinaus ist die BF ehrenamtlich tätig, erweist sich in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten und wurde die Eltern und ihren drei minderjährigen Geschwistern mittlerweile Aufenthaltstitel erteilt.

Demzufolge ist jedenfalls vom Vorliegen eines Privat- und Familienlebens iSd. Art 8 EMRK in Österreich auszugehen.

Zwar erweist sich der besagte Aufenthalt der BF beinahe als durchgehend unrechtmäßig und hat es die BF bisher unterlassen entgegen einer seinerzeitigen behördlichen Anordnung das Bundesgebiet zu verlassen. Dennoch sind der nunmehr 5 Jahre und 10 Monate andauernde durchgehende Aufenthalt in Österreich und die von der BF erbrachten Integrationsleistungen zu berücksichtigen, zumal der Umstand unrechtmäßig in Österreich aufhältig zu sein, Integrationsleitungen an sich nicht gänzlich zu verdrängen vermag (vgl. VwGH 17.07.2008, 2007/21/0074). Außerdem gilt es zu berücksichtigen, dass die BF im Zeitpunkt ihrer Einreise, Zurückweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz sowie der Abschiebungsentscheidung der belangten Behörde minderjährig war und ihr die damals von ihren Eltern getroffenen Entscheidung, die Heimat zu verlassen, ins Bundesgebiet zu reisen hier zu verbleiben, nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Es konnte von ihr nämlich nicht verlangt werden, dass diese entgegen der Entscheidung ihrer Eltern als Minderjährige allein in ihren Herkunftsstaat geblieben oder zurückgekehrt wäre. Die BF ist zwar seit XXXX volljährig und dennoch im Bundesgebiet verblieben. Jedoch ist dies vor dem Hintergrund, dass ihre Eltern entschieden haben, in Österreich zu verbleiben und ihre Mutter eine psychische Erkrankung aufweist, deretwegen sie bereits wiederholt in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden musste zu relativieren. Die Rückkehr der BF in den Kosovo hätte ein Aufreißen des intakten familiären Gefüges zwischen ihr und ihren Angehörigen bedeutet, dessen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Mutter der BF für die BF nicht abzuschätzen gewesen wäre.

Das Verwaltungsgericht verkennt keinesfalls, dass der Beachtung fremdenrechtlicher, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden in Österreich regelnden Normen sowie an der Beendigung unrechtmäßiger Aufenthalte im Bundesgebiet (vgl. VwGH 09.03.2003, 2002/18/0293) große Bedeutung zukommt, die BF weiterhin Bezugspunkte im Herkunftsstaat aufweist, sich ihr aktueller Aufenthalt in Österreich als überwiegend unrechtmäßig erweist und die BF nicht selbsterhaltungsfähig ist.

Unter der Berücksichtigung der aufgezeigten Integrationsleistungen der BF, insbesondere aber auch des Umstandes, dass diese als Minderjährige eingereist ist, immer im gemeinsamen Haushalt mit ihren Eltern und Geschwistern gelebt hat und noch immer lebt, ihren Angehörigen Aufenthaltstitel erteilt wurden und die schulischen Erfolge der BF nahelegen, dass diese nicht nur deren zukünftige Selbsterhaltungsfähigkeit durch eine besondere schulische Qualifizierung anstrebt, sondern wohl auch erreichen wird, ist nach Abwägung der sich widerstreitenden Interessen im gegenständlich konkreten Fall von einem Überwiegen der privaten Interessen der BF auszugehen.

Die Anordnung einer Rückkehrentscheidung gegen die BF und die unter anderem damit bewirkte Trennung von ihrer Kernfamilie zöge sohin im konkreten Fall eine Verletzung der nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte nach sich und erweist sich eine solche sohin aufgrund des nicht nur vorübergehenden Wesens der dieser Verletzung zugrundeliegenden besonderen Umstände, als iSd. § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig.

Demzufolge war der Beschwerde der BF stattzugeben.

Insofern liegen die Voraussetzungen für die Erteilungen eines Aufenthaltstitels an die BF gemäß §§ 58 Abs. 2 iVm. 55 AsylG vor (vgl. Szymanski, AsylG § 55 Anm. 1, in Schrefler-König/Szymanski (Hrsg) Fremdenpolizei- und Asylrecht Teil II: wonach § 55 AsylG das Bleiberecht iSd. der Judikatur des VfGH umsetzt, und hierfür Bedingung sei, dass eine Aufenthaltsbeendigung im Hinblick auf Art 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist).

Vor dem Hintergrund der Erfüllung der Voraussetzungen des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung iSd. § 81 Abs. 36 NAG iVm. § 14a Abs. 4 Z 2 und 3 NAG idF. BGBl. I Nr. 100/2005 durch die BF aufgrund deren nachgewiesener Deutschkenntnisse des Niveaus A2 (seit 07.02.2017) ist der BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 Abs. 1 iVm. § 54 Abs. 2 AsylG „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten zu erteilen.

Ausschlussgründe iSd. § 60 AsylG liegen nicht vor.

3.1.6. Aufgrund erfolgter – die Aufhebung der von der belangten Behörde ausgesprochenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme bewirkender – Feststellung der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG an die BF fällt auch die Voraussetzung für einen Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung (siehe § 52 Abs. 9 FPG) weg, weshalb die entsprechenden Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides – im Zuge der Stattgabe der Beschwerde – als aufgehoben gelten.

Zu Spruchteil C)

3.2. Zur Abweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe:

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.

Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Regelung der Verfahrenshilfe im VwGVG um eine sogenannte "subsidiäre Bestimmung" handelt: Sie soll nur dann zur Anwendung gelangen, wenn durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, also dann, wenn das sogenannte "Materiengesetz" keine Regelung enthält, deren Gegenstand der Verfahrenshilfe entspricht. Gemäß § 52 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, ist einem Fremden oder Asylwerber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in bestimmten Angelegenheiten von Amts wegen kostenlos ein Rechtsberater zur Seite zu stellen. § 52 BFA-VG entspricht damit den Vorgaben des Art. 47 GRC. Im Anwendungsbereich des BFA-VG gelangt daher die Bestimmung des § 8a VwGVG (überhaupt) nicht zur Anwendung (siehe ErläutRV 1255 BlgNR 25. GP zu § 8a VwGVG).

Das BFA-VG sieht für seinen, das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffenden Anwendungsbereich allerdings keine ausdrückliche Regelung vor, ob oder inwieweit im Rahmen der kostenlosen Rechtsberatung nach § 52 BFA-VG auch eine Befreiung von allfälligen zu entrichtenden Gerichtsgebühren oder anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren (§ 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO) möglich ist. Für Bescheidbeschwerdeverfahren gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG gegen Entscheidungen des BFA nach § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG - wie im gegenständlichen Fall - sind die Bestimmungen des VwGVG anzuwenden. Da in diesen Fällen eine gesetzliche Gebührenbefreiung nicht besteht, unterliegen derartige Beschwerden der Verpflichtung zur Entrichtung der Eingabegebühr nach § 14 Tarifpost 6 Abs. 5 Z 1 lit. b Gebührengesetz 1957, BGBl. Nr. 267/1957 idgF, in Verbindung mit der BuLVwG-Eingabengebührverordnung, BGBl. II Nr. 387/2014 idgF.

Der gegenständliche Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr findet somit in § 8a VwGVG iVm. § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO grundsätzlich eine geeignete Rechtsgrundlage, allerdings erweist sich der Antrag dennoch aus folgendem Grund als unzulässig:

Die BF hat bis dato keine Vermögensaufstellung vorgelegt und konnte zudem durch Einsichtnahme in das GVS-Informationssystem entnommen werden, dass die BF Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung erhält. Vor dem Hintergrund, dass die Unterhaltskosten der BF durch die staatliche Grundversorgung als gedeckt angesehen werden können und die Mutter der BF in der mündlichen Verhandlung eingestand, dass der Bruder des Vaters der BF für die Kosten der Rechtsvertretung der BF aufkommt, sie sohin familiäre Zuwendungen erhält, vermochte die BF im Ergebnis nicht darzulegen, durch die Bezahlung der Eingabegebühr in der Höhe von € 30,00 eine maßgebliche Beeinträchtigung ihres notwendigen Unterhalts (siehe VwGH 25.01.2018, Ra 2017/21/0205) zu erfahren.

Der Antrag auf Verfahrenshilfe war daher gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG abzuweisen.

Zu Spruchteil B) und D): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Da im gegenständlichen Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung weder im Zusammenhang mit der Entscheidung in der Sache (Spruchteil A.) noch im Zusammenhang mit dem Beschluss über die Verfahrenshilfe (Spruchteil C.) vorliegt, war die Revision jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig zu erklären (Spruchteile B. und D.).

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2209745.1.00

Im RIS seit

14.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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