Entscheidungsdatum
15.05.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W264 2191793-1/28E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX 1991, Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Oberösterreich vom 28.2.2018, XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend als "BF" bezeichnet) ist afghanischer Staatsangehöriger und reiste als Volljähriger unrechtmäßig und schlepperunterstützt in Umgehung der Grenzkontrollen nach Europa ein und stellte am 9.6.2015 im Bundesgebiet den Antrag auf internationalen Schutz.
2. Der BF legte dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: entweder "BFA" oder "belangte Behörde") folgende Unterlagen vor:
* WIFI Anmeldebestätigung für Deutschkurs A2
* ÖSD Zertifikat A1 "bestanden"
* Empfehlungsschreiben der Mag. XXXX , Pfarrgemeinderätin der Pfarrgemeinde XXXX vom 28.9.2017, wonach der BF hilfsbereit und freundlich ist und in der Pfarre bei verschiedenen Festen im Einsatz und bemüht sei um Integration und Engagement
* Bestätigung des Gemeindeamtes XXXX XXXX über gemeinnützige Arbeiten im Bereich der Ortspflege, 2.10.2017
* Erklärung über Austritt aus der Religionsgemeinschaft, verfasst von der Bezirkshauptmannschaft XXXX an die Islamische Glaubensgemeinschaft in XXXX Wien, XXXX vom 3.10.2017, worin mitgeteilt wird, dass der BF "mit der am 3. Oktober 2017 bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX eingelangten Erklärung den Austritt aus der römisch-katholischen Kirche angezeigt hat"
* Bestätigung des Austritts aus der Religionsgemeinschaft gemäß Art 6 es Interkonfessionellen Gesetzes vom 25.5.1868, RGBl. Nr. 49, und der Verordnung vom 18.1.1869, RGBl. Nr. 13, verfasst von der Bezirkshauptmannschaft XXXX an den BF vom 3.10.2017, wonach der BF "mit der am 3. Oktober 2017 bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX eingelangten Erklärung den Austritt aus der römisch-katholischen Kirche angezeigt hat"
* Kopie einer Tazkira (übersetzt durch einen vom BFA beigezogenen Dolmetsch
3. Die Polizeiinspektion XXXX informierte das BFA im Jänner 2017, dass der BF des Vergehens der Begünstigung (§ 299 StGB) verdächtigt wurde und trat das BFA daher mit Note vom 22.2.2018 die Staatsanwaltschaft XXXX zum Zwecke der Bekanntgabe des Verfahrensstandes heran.
Mit Erledigung vom 26.2.2018, XXXX , informierte das Landesgericht XXXX die belangte Behörde, dass das Verfahren wegen § 299 Abs 1 StGB gegen den BF unter Setzung einer Probezeit von einem Jahr vorläufig eingestellt wurde (Diversion).
4. Nach Erstbefragung am 10.5.2015 und Einvernahme vor dem BFA am 3.10.2017 wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 28.2.2018 der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen.
5. Gegen diesen ordnungsgemäß zugestellten Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde mit Schriftsatz seines damaligen Rechtsvertreters Rechtsanwalt Dr. XXXX vom 30.3.2018 und ist das Beschwerdeverfahren seit 9.4.2018 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Der Beschwerde war ein Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 29.3.2018 angeschlossen, womit die "Erklärung" (datiert 3.10.2017) und die "Bestätigung" (datiert 3.10.2017), welche von der Bezirkshauptmannschaft XXXX innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form auf Papier errichtet wurden, auf "Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft" und Geburtsort von "Logar" auf "Parachinar" geändert wurden.
6. Vor der belangten Behörde wurde der BF im Rahmen des Parteigehörs mit Erledigung vom 18.10.2018 darüber in Kenntnis gesetzt, dass aufgrund der Verurteilung des Landesgerichtes XXXX vom 5.10.2018, Zahl: XXXX , wegen Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz (Freiheitsstrafe von sechs Monaten, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen) beabsichtigt ist, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung nach Afghanistan iVm einem Einreiseverbot iVm der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde zu erlassen, nachdem bei dem BF nunmehr die Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbots festgestellt wurden.
Um den Sachverhalt im Lichte seiner persönlichen Verhältnisse beurteilen zu können, wurde der BF zur Beantwortung von insgesamt 25 Fragen zu seinen persönlichen Lebensumständen und dem Gesundheitszustand, seinem familiären Hintergrund, seiner finanziellen Situation und zu allfällig gesetzten Integrationsbemühungen aufgefordert. Für die Äußerung wurde ihm eine Frist von sieben Tagen eingeräumt und wurde darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass er die Frage nach seinem Gesundheitszustand nicht beantwortet bzw nicht mit allenfalls vorhandenen Bescheinigungsmitteln unterlegt, das BFA davon ausgehe, dass er nicht an einer schwerwiegenden, lebensbedrohenden physischen oder psychischen Erkrankung oder sonstigen Beeinträchtigung leidet und für den Fall, dass er die Fragen zu seinem familiären Hintergrund und zu allfälligem Aufenthaltstitel in einem anderen europäischen Land nicht beantwortet bzw nicht mit allenfalls vorhandenen Bescheinigungsmitteln unterlegt, das BFA davon ausgeht, dass die Tatsachen, welche aus den gestellten Fragen resultieren sollten, nicht gegeben sind.
7. Mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom 30.10.2018 - eingelangt am 2.11.2018 - gab der BF eine Stellungnahme zu den Fragen der belangten Behörde ab.
8. Das BFA erließ daraufhin den Bescheid vom 13.11.2018, XXXX , womit der Bescheid vom 28.2.2018 gemäß § 68 Abs. 2 AVG abgeändert wurde. In dessen Spruchpunkt I. wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG ausgesprochen und in Spruchpunkt II. wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Es wurde ausgesprochen, dass der BF gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 23.8.2018 verloren habe (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde mit diesem Bescheid ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise, so der Bescheid im Spruchpunkt VI..
Begründend wurde in dem Bescheid vom 13.11.2018 ausgeführt, dass der BF mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 5.10.2018, XXXX , wegen Vergehen nach dem SMG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten - unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen - für schuldig erkannt wurde.
9. Gegen diesen ordnungsgemäß zugestellten Bescheid erhob der BF vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben, in eventu die ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufzuheben, die Abschiebung für unzulässig zu erklären, das erlassene Einreiseverbot zur Gänze zu beheben, in eventu die Dauer des Einreiseverbots auf ein verhältnismäßiges Ausmaß zu reduzieren.
Begründend wurde - zusammengefasst - ausgeführt, dass dem Wortlaut des § 68 Abs 2 AVG nach Bescheide "aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist" von Amts wegen aufgehoben oder abgeändert werden können. Der VwGH vertrete in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass es bei der Abänderungsbefugnis nicht auf die Art des Bescheides - ob begünstigend, ob belastend - ankomme, sondern ausschließlich auf die Art, auf die Richtung der Abänderung. Eine belastende Abänderung von Amts wegen, durch welche die Rechtslage für die Partei ungünstiger gestaltet wird, sei nach § 68 Abs 2 AVG sowohl bei belastenden als auch bei begünstigenden Bescheiden unzulässig. Die ?nachträgliche Erlassung eines Einreiseverbots nach § 68 Abs 2 AVG' sei unzulässig, da nicht begünstigend.
Unter Hinweis auf VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0029-6, wurde ausgeführt, dass der eingebrachten Beschwerde aufschiebende Wirkung gemäß § 13 Abs 1 VwGVG zugekommen sei, sodass sich der Spruchpunkt v als inhaltlich rechtswidrig erweise und dieser daher aufzuheben sei.
Es wurde weiters moniert, dass die belangte Behörde in der Begründung der bekämpften Entscheidung überhaupt nicht dargelegt habe, inwiefern aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls eine (besondere) ?Schwere des Fehlverhaltens' seinerseits anzunehmen gewesen wäre und habe die Behörde die Umstände, die einer Beurteilung des Gesamtverhaltens des BF zugrunde gelegen wären, nicht hinreichend dargelegt. Das Einreiseverbot beziehe sich einzig auf die Verurteilung, ohne einzelfallbezogen darzutun, wie die Behörde zu der Schlussfolgerung gelange, dass gegen den BF ein Einreiseverbot von fünf Jahren zu verhängen sei. Es gehe von ihm keine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus. Er habe das Unrecht der Tat, wegen welcher er verurteilt wurde, eingesehen und sei festentschlossen sich künftig rechtskonform zu verhalten, sodass ein fünfjährig befristetes Einreiseverbot in das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten unverhältnismäßig hoch bemessen sei. Aus diesem Grunde werde auch um die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs 5 BFA-VG ersucht.
10. Die belangte Behörde legte den bezughabenden Akt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und langte dieser am 14.12.2018 ein. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.2018, W264 2191793-2/3E, wurde der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit ersatzlos behoben, sodass der ursprüngliche Bescheid vom 28.2.2018 wiederhergestellt war. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen.
11. Die belangte Behörde BFA brachte hiergegen die außerordentliche Amtsrevision ein und wurde diese mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.6.2019, Ra2019/21/0153-6, als unbegründet abgewiesen, da die Rechtsstellung des BF nicht hätte verschlechtert werden dürfen, sodass amtswegige Aufhebung des Bescheids vom 28.2.2018 durch den Bescheid vom 13.11.2018 nicht hätte erfolgen dürfen und daher die ersatzlose Behebung des Bescheids vom 13.11.2018 durch das Bundesverwaltungsgericht zu Recht erfolgte.
12. Am 18.9.2019 wurde die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt, wo die erkennende Richterin den BF unter anderem aufforderte, seinen Facebook-Account am Mobiltelefon vorzuweisen und wurden vom Facebook-Account " XXXX " mit den Angaben "wohnt in XXXX , von 35 Personen abonniert" vier Lichtbilder angefertigt, welche als Beilage ./E zum Verhandlungsprotokoll genommen wurden. Unter anderem folgt der BF mit seinem Facebook-Account der Facebook-Gruppe "Parachinar - Paradise on earth".
Der BF legte dem Gericht folgende Beweismittel vor:
* Dokument "Katechumenat_7. Sitzung" mit dem Text des "Vater Unser" samt Erläuterungen des Inhalts des Gebetes, Lückentext über vier Zeilen mit fünf Wortvorschlägen zum Ergänzen des Lückentextes über das Gleichnis vom barmherzigen Vater aus Lukus 15, 11-32
* Dokument "Pfarre_Katechumenat_11. Sitzung_Ali" mit dem Text des "Apostolischen Glaubensbekenntnisses" samt Erläuterungen des Inhalts des Gebetes
* Dokument "Katechumenat_27. Sitzung" über das Thema "Fastenzeit"
* Dokument "Katechumenat 2019_9. Sitzung" über das Thema "Pfingsten"
* Dokument "Katechumenat_8. Sitzung" über "Wiederholung der Dreifaltigkeit"
* Dokument "Katechumenat_10. Sitzung" über das Thema "Gottesdienst" samt Bildern und Vokabeln
* Dokument "Entstehung der Bibel"
* Dokument "Katechumenat 2019_8. Sitzung_Ali" über das Thema "Christi Himmelfahrt"
* Dokument "Pfarre_Katechumenat_6. Sitzung" über die Offenbarung von Gott im Alten Testament und im Neuen Testament
* Dokument "Das Kreuzzeichen"
* Dokument "Karwoche oder die Große Heilige Woche"
* Dokument Lückentext "Die Entstehung der Bibel"
* Dokument "Katechumenat_1. Sitzung" über das Thema "Gegenstände im Kirchenraum"
13. Der BF wies der erkennenden Richterin auf seinem Mobiltelefon SAMSUNG eine Textnachricht vom "Dienstag, 17. September 2017, 7.14 nachm." von der Telefonnumer +43676 XXXX - eingespeichert unter "F" - vor. Textinhalt:
"Lieber Ali ich kann morgen leider nicht mitfahren. Du kannst ihnen gerne meine Telefonnummer geben. Sie können mich anrufen. Ich denke an dich, an euch. Pfarrer XXXX ".
Der BF trug seine Fluchtgründe vor und dass er in Österreich verlegt worden sei, da er immer Schweinefleisch gekocht habe.
Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll:
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14. Mit Erledigung vom 9.10.2019 wurde die verantwortliche Bezirkskoordinatorin des Roten Kreuzes - welche laut BFA mit den Verlegungsgründen des BF vertraut ist - zum Zwecke der Bekanntgabe des Verlegungsgrundes des BF kontaktiert. Mit Schreiben vom 22.10.2019 informierte das Rote Kreuz, Bezirksstelle XXXX , XXXX , dass der BF im Jänner 2017 wegen des Gefühls gemobbt zu werden, um Verlegung ersuchte. Bereits in Gesprächen vorher habe er erzählt, dass er zum Christentum konvertiert sei und seit diesem Zeitpunkt auch Schweinefleisch esse. Aus einem Auszug der Unterkunftsgesamtdokumentation wurde festgehalten, dass der BF unbedingt einen Quartierwechsel wolle, da er der einzige Christ im Haus sei, da er Schweinefleisch koche und da er schnarche und mit seinem Schnarchen nicht die anderen Mitbewohner stören wolle. Laut Auskunft der Frau XXXX wurde der Quartierwechsel per 1.2.2017 genehmigt und durchgeführt.
15. Am 14.10.2019 langte ein Schreiben des Pfarrers XXXX vom 21.9.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wird mitgeteilt, dass der Gefertigte den BF bereits seit 2017 kenne und von dieser Zeit an dieser jeden Sonntag den 8-Uhr-Gottesdienst besuche und bei Herrn XXXX sitze, welcher ein guter Begleiter für den BF sei. Der BF habe schon öfter die Bitte geäußert, Christ zu werden. Von früheren Taufbewerbern seiner Pfarre wisse der Gefertigte, dass es für Täuflinge, besonders bei Migrationshintergrund, einer intensiven Vorbereitungszeit bedürfe (mindestens ein Jahr Katechumenat). Am 7.4.2019 sei der BF in das Katechumenat aufgenommen worden und werde von der Religionsprofessorin des BORG XXXX auf die Taufe vorbereitet. Laut Kirchenrecht gehöre ein Taufbewerber bereits zur Kirchengemeinschaft und bestätige die Religionsprofessorin des BORG XXXX , dass der BF mit Eifer und großem Interesse bei der Sache sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Es werden folgende Feststellungen getroffen und dieser Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
1.1. Feststellungen zum Beschwerdeführer und zu seinen Fluchtgründen:
1.1.1. Der BF reiste in Umgehung der Grenzkontrollen unrechtmäßig schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein. Die Identität steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.
1.1.2. Der BF stellte in Österreich im Juni 2015 den Antrag auf internationalen Schutz.
1.1.3. Der BF ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan aus der Volksgruppe der Tadschiken. Der Geburtsort des BF ist Parachinar. Der BF wurde in einem von islamischen Werten geprägten familiären Umfeld sozialisiert. Die Herkunftsprovinz des BF ist Logar.
1.1.4. Der BF gehörte der islamischen Glaubensgemeinschaft an und besuchte in Österreich den Katechumenatskurs. Der BF geht seit 2017 jeden Sonntag in den römisch-katholischen Gottesdienst. Ein Taufzeugnis wurde vom BF nicht vorgelegt.
1.1.5. Der BF spricht Dari. In Österreich erwarb er Deutschkenntnisse. Der BF erlangte vor seiner Einreise keine Schulbildung.
1.1.6. Der BF ist in Österreich strafrechtlich bescholten.
1.1.7. Der BF ist gesund und nicht lebensbedrohlich krank. Er ist arbeitswillig, erwerbsfähig und bei Rückkehr nach Afghanistan ein Mann ohne Sorgepflichten. Der BF ist alleinstehend.
1.1.8. Der BF bestreitet den Lebensunterhalt in Österreich durch die staatliche Grundversorgung.
1.1.9. Der BF verfügt nicht über Familienangehörige im Bundesgebiet.
Der BF verfügt über Familienangehörige außerhalb Österreichs.
1.1.10.1. Der BF konnte eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht glaubhaft machen. Zudem droht dem Beschwerdeführer im Falle einer Verbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Es kann nicht festgestellt werden, dass er einer asylrechtlich relevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt war bzw. ihm eine solche Verfolgung bei Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht: Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass der BF bei Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen politischen Ansichten von Seiten Dritter bedroht wäre.
Der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit vom Konflikt sowie dessen Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.
1.1.10.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinem Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen würde. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF sein Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nach außen zur Schau tragen würde. Es kann nicht festgestellt werden, dass die afghanischen Behörden und /oder das persönliche Umfeld des BF von dessen Glaubenswechsel und christlichem Engagement aktuell Kenntnis haben oder bei einer Rückkehr nach Afghanistan Kenntnis erlangen würden. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Interesses für den christlichen Glauben psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
1.1.11. Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der BF aus Gründen seiner Volksgruppe und / oder seines Glaubens verfolgt wird und in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der BF als Angehöriger der Tadschiken bzw dass jeder Mensch des Volksstammes der Tadschiken und / oder der bisherigen Religionsgemeinschaft des BF in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
1.1.12. Es kann weder festgestellt werden, dass konkret der BF aufgrund der Tatsache, dass er sich zuletzt in Europa und zuvor in Pakistan aufgehalten hat, noch, dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus einem Nachbarland Afghanistans und / oder aus Europa nach Afghanistan zurückgekehrt, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist. Dem BF droht bei Rückkehr nicht eine Verfolgung aufgrund der Rückkehr aus dem westlichen Ausland.
1.1.13. Die Provinz Logar zählt zu den relativ instabilen Provinzen Afghanistans mit aktiven aufständischen Kämpfern und scheidet daher als Ort für die Wiederansiedelung des BF nach seiner Rückkehr aus.
1.1.14. Der BF kann sich in Afghanistan in der innerstaatlichen Fluchtalternative Herat ansiedeln.
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Auch wenn es in Herat regelmäßig zu militärischen Operationen kommt, so dokumentierte UNAMA im Jahre 2018 gegenüber 2017 einen Rückgang von 48% bei zivilen Opfern, nämlich 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte). Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019). Herat verfügt über einen internationalen Flughafen, sodass Herat von Österreich aus gefahrlos über den Luftweg erreichbar ist.
Daher wäre ihm daher aus obigen Gründen eine Rückkehr nach Herat zumutbar.
1.1.15. Der BF kann sich in Afghanistan aber auch in der innerstaatlichen Fluchtalternative Mazar-e Sharif (Hauptstadt der Provinz Balkh) ansiedeln. Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri, sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Laut Länderbericht wurden im Dezember 2017 verschiedene Abkommen mit Usbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).
Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017). Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018). Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).
In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017). Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz bloß 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen und ist daher eine gefahrlose Rückkehr von Österreich über den Luftweg möglich.
Daher wäre dem BF aus obigen Gründen eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif zumutbar.
1.2. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Bezogen auf die Situation des BF sind folgende Länderfeststellungen als relevant zu werten:
Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 13.11.2019 idgF:
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). [...]
Logar
Die Provinz Logar liegt im Zentrum Afghanistans, etwa 65 Kilometer südlich von Kabul (PAJ o.D.lo). Sie grenzt an die Provinzen Kabul im Norden, Nangarhar im Nordosten, Paktya im Süden und Ghazni und Wardak im Westen (NPS o.D.lo). Im Osten hat die Provinz im Distrikt Azra eine ca. acht Kilometer lange, unbewachte Grenze mit Pakistan (Provinz Khyber Pakhtunkhwa) (EASO 1.2016; vgl. UNOCHA 4.2014lo, TN 30.6.2019).
Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Logar für den Zeitraum 2019-20 auf 426.821 Personen (CSO 2019); sie besteht hauptsächlich aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara (NPS o.D.lo; vgl. Pajhwok o.D.lo).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Aufständische sind in gewissen Distrikten aktiv und führen terroristische Aktivitäten durch (KP 31.7.2019b; vgl. AJ 20.1.2019). So haben auch die Taliban eine Präsenz in der Provinz (AJ 20.1.2019; vgl. TN 27.4.2018). Operationen zur Befreiung der Distrikte von Talibanaufständischen werden regelmäßig durchführt (AJ 20.1.2019; vgl. KP 31.7.2019b; TN 2.8.2019), unter anderem auch durch den afghanischen Geheimdienst (NDS) (AJ 20.1.2019).
In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Logar in der Verantwortung des 203. ANA Corps, das unter der Leitung von US-Truppen der Task Force Southeast (TF Southeast) steht (USDOD 6.2019; vgl. KP 31.7.2019a).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 143 zivile Opfer (68 Tote und 75 Verletzte) in der Provinz Logar. Dies entspricht einem Rückgang von 3% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von gezielten Tötungen und komplexen Angriffen (UNAMA 24.2.2019).
Die Provinz Logar zählt zu den relativ instabilen Provinzen Afghanistans mit aktiven aufständischen Kämpfern; die Sicherheitslage soll sich in den vergangenen Monaten verschlechtert haben. In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen, unter anderem auch von Spezialeinheiten des NDS. Luftangriffe werden durchgeführt, dabei werden Aufständische getötet Zivilisten fallen manchmal auch Luftangriffen zum Opfer.
Die Taliban führen in Logar Angriffe auf Kontrollposten der Regierungskräfte durch. Auch kommt es zu Anschlägen auf hochrangige Regierungsvertreter durch die Taliban.
Immer wieder kommt es zu temporären Kontrollpunkten der Taliban (AT 16.11.2018; vgl. TN 30.6.2019), wie z.B. auf dem Straßenabschnitt Mohammad Agha; in manchen Fällen, um nach Regierungsmitarbeitern Ausschau zu halten (AT 16.11.2018).
Herat
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere "temporäre" Distrikte - Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) -, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).
Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen.
Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).
2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).
Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).
In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).
Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).
Anmerkung: Weitere Informationen zu Herat - u.a. zur Sicherheitslage - können der Analyse der Staatendokumentation "Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat" vom 13.6.2019 entnommen werden (BFA 13.6.2019).
Ad Herat aus Kapitel 22 "Grundversorgung" aus dem Länderbericht idgF
Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den "bessergestellten" und "sichereren Provinzen" Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).
Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).
Mazar-e Sharif (in Balkh)
Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).
Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).
Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.2.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.7.2019).
Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.
Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.8.2019).
Ad Mazar-e Sharif (in Balkh) aus Kapitel 22 "Grundversorgung" aus dem Länderbericht idgF
Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015).
Balkh
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar- e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).
Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).
Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.2.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.7.2019).
Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.
Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.8.2019).
Erreichbarkeit - Verkehrswege
Die Präsenz von Aufständischen, Zusammenstöße zwischen diesen und den afghanischen Sicherheitskräften, sowie die Gefahr von Straßenraub und Entführungen entlang einiger Straßenabschnitte beeinflussen die Sicherheit auf den afghanischen Straßen. Einige Beispiele dafür sind die Straßenabschnitte Kabul-Kandahar (TN 15.8.2018; vgl. ST 24.4.2019), Herat-Kandahar (PAJ News 5.1.2019), Kunduz-Takhhar (KP 20.8.2018; vgl. CBS News 20.8.2019) und Ghazni-Paktika (AAN 30.12.2019).
Religionsfreiheit
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans.
Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).
Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).
Apostasie, Blasphemie, Konversion
Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).
Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).
Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).
Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).
Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).
Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).
Schiiten
Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 21.6.2019).
Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 2.9.2019). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34% (USDOS 21.6.2019). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, CRS 1.5.2019). Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt (HRW 17.1.2019).
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 4.2.2019). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (USDOS 21.6.2019).
Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 7.6.2017; vgl. USIP 14.6.2018, AA 2.9.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 21.6.2019).
Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 21.6.2019).
Todesstrafe
Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 2.9.2019). Das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, hat die Anzahl der mit Todesstrafe bedrohten Verbrechen von 54 auf 14 Delikte reduziert (AI 10.4.2019). Unter dem Einfluss der Scharia hingegen droht die Todesstrafe auch bei anderen Delikten (z.B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch sog. "Zina", Straßenraub). In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte Unterstützung.
Relevante ethnische Minderheiten
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen (CIA 30.4.2019; vgl. CSO 2019). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA 7.2016; vgl. CIA 30.4.2019). Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 2.9.2019).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ?Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet" (BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.3.2019).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Aus