TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/9 W231 1421255-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.09.2020
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Entscheidungsdatum

09.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W231 1421255-2/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.12.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG stattgegeben. Die Spruchpunkte I., II., III., IV., V. VI. und VIII. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag des Beschwerdeführers vom 19.07.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter um zwei Jahre verlängert wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.1. Verfahrensgang:

I.1.1. Der Beschwerdeführer (künftig BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 19.06.2011 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz in Österreich.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 01.08.2011 gab er an, dass er beim Versuch, Drogen in den Iran zu schmuggeln, von den iranischen und in weiterer Folge auch von den afghanischen Behörden betreten worden sei. In Folge dessen sei er bei einem Fluchtversuch von einem Polizeiauto angefahren und verletzt worden. Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab der BF bei seinen Befragungen zusammengefasst an, er sei ledig und stamme aus der Provinz Herat, in der auch seine Kernfamilie lebe. Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei Moslem. Er habe in Afghanistan neben seiner Mutter noch zwei Schwestern und einen Bruder, sein Vater sei bereits verstorben. Seine Mutter lebe im Heimatdorf und habe dann seinen Onkel geheiratet, sein Onkel habe die Ausreise finanziert. Seine Geschwister lebten auch im Heimatdorf. Seinen Lebensunterhalt habe er als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft verdient. Er habe zwei Jahre die Schule besucht und spreche Dari und Farsi.

I.1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Innsbruck, vom 24.08.2011 wurde dieser Antrag sowohl gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 als auch gemäß § 8 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Der BF wurde aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (AS 91ff).

I.1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde, die hinsichtlich Spruchpunkt I zurückgezogen wurde. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.07.2014, Zl. W102 1421255-1/16E, wurde dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (AS 255ff).

I.1.4. Den Anträgen auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde laufend stattgegeben. Am 19.07.2019 brachte der BF bei der belangten Behörde den gegenständlichen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ein (AS 459).

I.1.5. Am 23.09.2019 fand eine Einvernahme des BF vor der belangten Behörde statt. Der BF gab an, seine Eltern seien inzwischen verstorben, er habe eine Schwester in Afghanistan und keinen Kontakt zu Angehörigen in Afghanistan. Der BF habe viele Freunde, sowohl in Europa als auch in Afghanistan. Der BF gab an, über deren Aufenthalt nichts zu wissen und nur über soziale Medien mit ihnen zu kommunizieren. Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, er wisse nicht, wo er dort wohnen solle, er habe niemanden. Es gebe keine Bildung und keine Arbeit, das ganze Land sei unsicher. Junge Männer würden zwangsweise rekrutiert. In Österreich sei er traditionell verheiratet und habe ein Kind. Er habe Probleme mit seiner Ehefrau, sie lebten seit 6 Monaten getrennt, seien aber noch nicht geschieden. Er habe viele Probleme, bemühe sich aber sehr um eine eigene Wohnung und Arbeit. Er habe sich einen großen Freundeskreis aufgebaut. Er müsse Unterhalt für seinen Sohn bezahlen. Einen Kurs Deutsch A2 und B1 habe er abgeschlossen.

I.1.6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 19.12.2019 erkannte die belangte Behörde den mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.07.2014, Zl. W102 1421255-1/16E zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.). Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Die Behörde erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen bemessen (Spruchpunkt VI.). Der Antrag vom 19.07.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG erließ die Behörde ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VIII.).

I.1.7. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht die zulässige, verfahrensgegenständliche Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtswidrig erfolgt sei, da sich weder die Lage in Afghanistan und insbesondere nicht die persönliche Situation des BF seit Zuerkennung des Schutzstatus wesentlich geändert habe. Im Falle der Rückkehr des BF nach Afghanistan wäre er der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte ausgesetzt.

I.1.8. In Bezug auf aktenkundige Abschluss-Berichte wegen Verdachts auf strafbare Handlungen (AS 569, AS 623) holte die erkennende Richterin beim BG Schwaz und LG Innsbruck Informationen über den Ausgang dieser Verfahren ein (OZ 9, 11); das Verfahren beim BG Schwaz wurde diversionell eingestellt (OZ 12); das Verfahren vor dem LG Innsbruck endete mit einem Freispruch (OZ 15).

I.1.9. Am 28.5.2020 übermittelte die erkennende Richterin die eingeholten Informationen des BG Schwaz, LG Innsbruck, das aktuelle Länderinformationsblatt Afghanistan, 13.11.2019, letzte KI 18.05.2020, sowie Anfragebeantwortungen zur aktuellen Sicherheits- und Versorgungslage in Herat und Balkh den Parteien zur Stellungnahme. Der BF nahm dazu am 03.06.2020 Stellung; das BFA verzichtete auf die Abgabe einer Stellungnahme. Die Stellungnahme des BF vom 03.06.2020 wurde dem BFA ebenfalls zur Stellungnahme übermittelt; das BFA verzichtete erneut auf die Abgabe einer Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Asylaktes (Verwaltungs- und Gerichtsakt) und des Aktes zum Aberkennungsverfahren einschließlich der Niederschrift über die Einvernahme des BF durch die belangte Behörde am 23.09.2019, sowie des verfahrensgegenständlichen Bescheides und der Beschwerde dagegen werden folgende Feststellungen getroffen:

II.1.1. Der BF führt den im Spruch genannten Namen, ist am XXXX geboren, Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitisch-muslimischen Glaubens. Die Muttersprache des BF ist Dari. Der BF wurde in der Provinz Herat (Afghanistan) geboren, hat 2 Jahre die Grundschule besucht und war in der Landwirtschaft tätig. Er lebte mit seiner Mutter, seinen Geschwistern und seinem Onkel, den die Mutter nach dem Tod des Vaters heiratete, in der Provinz Herat. Der BF hatte zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Kontakt jedenfalls zu seinem Onkel in Afghanistan (Provinz Herat). Die Identität des BF steht mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente nicht fest.

Der BF gibt an, fallweise an psychischen Problemen zu leiden, konsultiert aktuell deswegen aber keinen Arzt und nimmt keine spezifischen Medikamente. Ansonsten ist er gesund und leidet nicht an lebensbedrohenden Krankheiten. Er gehört keiner Risikogruppe in Bezug auf die CODID-19 Pandemie an.

II.1.2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.07.2014, Zl. W102 1421255-1/16E, wurde dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten hinsichtlich Afghanistan zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wurde ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt. Dieses Erkenntnis ist rechtskräftig.

Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stützte sich auf folgende Feststellungen (auszugsweise):

„Der Beschwerdeführer ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Er ist gesund, erwerbsfähig und hat in Österreich weder nahe Angehörige noch sonstige enge familiäre Kontakte.

Der Beschwerdeführer kann im Zusammenhang mit der allgemeinen Sicherheitslage nicht nach Afghanistan zurückkehren. Es kommt ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative zu.

1.2.    Sicherheitslage

Afghanistan ist mit einem Truppenabzug internationaler Kampfkräfte konfrontiert und der Übergabe der Sicherheit an die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) bis zum Ende des Jahres 2014. Es wird damit einen wesentlichen Sicherheits- und Entwicklungswandel in den nächsten drei Jahren durchlaufen. (WB 28.2.2013). Die finale Tranche des Transfers der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte wurde am 18. Juni verkündet (UNSC 6.9.2013). Nachdem die Übergangsphase fortschreitet und die ANSF ihre Sicherheitsverantwortung übernehmen, transformiert die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) zunehmend ihre Rolle von einer kämpferischen hin zu einer unterstützenden. Die ISAF wird, wie bisher, die ANSF ausbilden, beraten und unterstützen bis die Übergangsphase mit Ende 2014 abgeschlossen ist. Bis Ende 2014 wird die ISAF jedoch - sofern benötigt - auch weiterhin Kampfunterstützung liefern (NATO 1.8.2013). Auf die Transition wird ein Jahrzehnt der Transformation (2015?2024) folgen, Afghanistan hat verstärkte eigene Anstrengungen zugesagt um sich zu einem voll funktionsfähigen und fiskalisch lebensfähigen Staat zu entwickeln. Dafür hat Afghanistan die Zusage langfristiger internationaler Unterstützung erhalten (AA 4.6.2013).

Der Personalstand der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) wuchs im letzten Jahrzehnt von 6000 auf offiziell rund 338.000 - Stand September 2013 - an (Brookings Institution 10.1.2014, vgl. ICG 26.6.2013).

Die UN gibt folgende Aufteilung der Zahl der Sicherheitskräfte an: Afghan National Army (ANA) - 185.000; Afghan Air Force - 6,900; Afghan National Police (ANP) - 140,660. Die ANP und das Innenministerium beschäftigen 1.999 Frauen, die afghanische Armee 458. Die Sicherheitskräfte werden aus dem „UN Fonds für Recht und Ordnung für Afghanistan“ unterstützt. Das „Afghanische Lokale Polizei Programm“, ist ein separates Programm zur lokalen Verteidigung. Die Ausdehnung des Programms schreitet voran. Mit Stand 19. November betrug der Personalstand der Afghanischen Lokalen Polizei (ALP) 24.500 in 122 Distrikten von 29 Provinzen. Nimroz, Panjhsir, Samangan und Nuristan sind die einzigen Provinzen, in denen dieses Programm noch nicht in Kraft ist. Die ALP ist überproportional von Anschlägen betroffen. Es gibt Berichte zu Übergriffen der ALP – meist mit Straflosigkeit, in anderen Orten erfüllt die ALP ihre Arbeit zur Zufriedenheit der lokalen Bevölkerung (UNSC 6.12.2013). Die Berichte zur ALP sind somit gemischt. Einerseits berichten die lokalen Gemeinschaften in vielen Distrikten von einer Verbesserung der Sicherheit durch die Operationen der ALP, andererseits dokumentiert die UNAMA Menschenrechtsverletzungen und zivile Opfer in den Operationen - zwischen 1.1. und 30.6.2013 waren dies 14 zivile Todesopfer in Operationen der ALP (UNAMA 7.2013).

Ursprünglich war das Programm auf den Norden und Nordosten fokussiert, die Expansion geschieht nun hauptsächlich in den Südosten (UNSC 6.9.2013).

Die Kapazitäten der afghanischen Sicherheitsinstitutionen wachsen weiterhin. Eine zunehmende Zahl an Operationen wird durch die lokalen Sicherheitskräfte geplant und durchgeführt, während ISAF Luftunterstützung und Hilfe in der Abwehr der Sprengsätze bietet. Nachdem die afghanischen Sicherheitskräfte den Großteil der Operationen nun selbst durchführen, ist die Zahl der Opfer unter ihnen stark angestiegen. Die Zahlen divergieren. Einer Aussage vom 29. Oktober 2013 aus dem afghanischen Innenministerium zu Folge, starben zwischen April und Oktober 1.273 Angehörige der Afghanischen Nationalpolizei und 779 Angehörige der Afghanischen Lokalpolizei im Einsatz. 74 Prozent der Sicherheitsvorfälle zwischen 16. August und 15. November 2013 zielten auf Konvois, Checkpoints, Stützpunkte und Personal der Afghanischen Lokalpolizei (UNSC 6.12.2013).

Ein weiterer Bericht spricht von mehr als 3.500 afghanischen Sicherheitskräften, die während des zweiten Quartals 2013 in Kampfeinsätzen verletzt oder getötet wurden. (UNSC 6.9.2013).

Der Anstieg der Opfer unter den afghanischen Sicherheitskräften korreliert mit einem von „icasualties“ erfassten Rückgang von Todesopfern bei den internationalen Truppen für das Jahr 2013 im Vergleich zu 2012. Im Jahr 2013 waren z.B. 52 Opfer bei den internationalen Schutztruppen durch IED zu beklagen, während es im Jahr 2012 noch 132 waren (icasualities 15.01.2014). Die Akte der Taliban gegen Zivilisten hielten im Jahr 2012 weiter an, insbesondere undifferenzierte Attacken verursachten hohe Zahlen ziviler Todesopfer (HRW 31.1.2013). Die Zahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle nahm 2012 im Vergleich zum Vorjahr leicht ab und setzte somit den Trend fort. Die Führungs- und Operationsfähigkeit der Insurgenz konnte geschwächt werden (AA 4.6.2013).

In den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 erschwerten die Dynamiken von Politik und Sicherheit jedoch den Schutz von Zivilisten und begrenzten den Zugang zu Menschenrechten. Dem verstärkt forcierten Übergang der Sicherheitsverantwortung von internationalen Militärkräften zu afghanischen Kräften sowie der Schließung von internationalen Militärbasen standen vermehrte Attacken durch regierungsfeindliche Elemente (AEG) auf die ANSF, insbesondere an Checkpoints und bei strategischen Autobahnen gegenüber. Die Bemühungen der Aufständischen ihren territorialen Einfluss in umkämpften Gebieten durchzusetzen, führte zu vermehrten Bodenkämpfen zwischen AEG, pro-Regierungselementen und pro-Regierungskräften. Besonders afghanische Sicherheitskräfte und Zivilisten wurden in den Kämpfen oder von unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtung (IED) häufiger getötet oder verletzt. Der Anstieg ziviler Opfer in der ersten Jahreshälfte 2013 kehrte die Abnahme ziviler Opfer und Verletzter, die im Jahre 2012 verzeichnet wurde, um. Die Opferzahl erreichte den hohen Wert von 2011 (UNAMA 7.2013).

Die erste Jahreshälfte 2013 verzeichnete laut einer Quelle einen Anstieg verletzter und getöteter Frauen von 61 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2012 (UNSC 22.11.2013).

Insgesamt sammelte UNAMA für die ersten zehn Monate des Jahres 2013 Daten zu 2,568 zivilen Todesopfern und 4,826 zivilen Verletzten. Es wurde damit ein Anstieg von 13 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2012 verzeichnet. Um die 75 Prozent der Opfer wurden regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben. Deren Einsatz von unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtungen (IEDs), inklusive komplexer Attacken und Selbstmordattentate, verursachten 49 Prozent aller Opfer und stellten weiterhin die größte Gefahr für Zivilisten dar. 10 Prozent der zivilen Opfer rechnete die UNAMA pro-Regierungstruppen zu. 11 Prozent der Opfer wurden Bodenoperationen und Attacken zugerechnet, die keiner Partei zugeschrieben werden konnten. Aufgrund von Bodenkämpfen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und Pro-Regierungstruppen wurden in den ersten zehn Monaten des Jahres 2012 456 Zivilisten getötet und 1,454 verletzt. Dies stellt einen Anstieg von 36 Prozent zum Vergleichszeitraum 2012 dar. Besonders signifikant war er mit 52 Prozent in den östlichen Regionen Es wurden in den ersten zehn Monaten des Jahres 2013 89 Selbstmordanschläge durch die Vereinten Nationen erfasst, gleich viele wie im Jahr 2012, 45 dieser waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Paktika und Kabul (UNSC 6.12.2013).

Im Jahr 2013 stiegen die Angriffe und Entführung prominenter afghanischer Frauen (BBC 16.9.2013; vgl. The Guardian 15.9.2013; The Daily Mail 17.9.2013). Aufgrund ihrer besonderen Machtstellung gehören Provinz- und Distriktgouverneure zu den herausgehobenen Personen, auf die immer wieder Anschläge verübt werden. Auch gegen Mitarbeiter des afghanischen öffentlichen Dienstes wie Angehörige von Ministerien oder nachgeordneten Behörden werden aufgrund ihrer Tätigkeit für den afghanischen Staat Anschläge verübt (AA 4.6.2013).

Erhöhte Unsicherheit und Attacken gegen Hilfsorganisationen gefährden die Möglichkeit humanitärer Organisationen, der betroffenen Bevölkerung zu helfen (USAID 5.7.2013).

Im Zeitraum vom 16.2.2013 bis 15.5.2013 sammelte UNAMA 4.267 sicherheitsrelevante Vorfälle. Dies stellt einen Anstieg von 10 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahres dar (UNSC 13.6.2013). Im Zeitraum 16.5 – 15.8.2013 verzeichnete die UNO 5,922 Vorfälle, was einen 11-prozentigen Anstieg im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutete, jedoch eine 21 prozentige - Senkung zum Vergleichszeitraum des Jahres 2011. Bewaffnete Kämpfe und unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtungen waren die Ursache für 4,534 Vorfälle. Rebellen konzentrierten sich darauf Checkpoints und Militärstützpunkte, die vom internationalen Militär an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben wurden, anzugreifen. Die effektive Abwehr der afghanischen Sicherheitskräfte konzentrierte sich im Allgemeinen auf den Schutz von Schlüsselstädten und administrativen Bezirkszentren sowie strategischen Transportrouten (UNSC 6.9.2013).

Im Zeitraum vom 16.8. bis 15.11.2013 sammelte die UN 5,284 Vorfälle, was einen Anstieg von 1.9 Prozent zu dem Vergleichszeitraum im Jahr 2012 anzeigt. Die ersten zehn Monate des Jahres 2013 verzeichneten im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2012 einen Anstieg von insgesamt 13.2 Prozent, jedoch konnte eine Reduktion von 16 Prozent zum Vergleichszeitraum des Jahres 2011 erfasst werden. Anti-Regierungs-Elemente zielen weiterhin auf Straßen und Verkehrsnetze und können weiterhin einen beträchtlichen Einfluss in den ländlichen Gebieten, in denen oft die Reichweite und die Dienstleistungen der Regierung gering sind, behaupten (UNSC 6.12.2013).

Geographisch tragen die Hauptlast von Sicherheitsvorfällen die südlichen, süd-östlichen und östlichen Provinzen (UNSC 6.9.2013).

Von den Sicherheitsvorfällen zwischen 16.2. und 15.5. betrafen 70 Prozent die die südlichen, süd-östlichen und östlichen Teile des Landes (UNSC 13.6.2013).

Von den Sicherheitsvorfällen zwischen 16.5. und 15.8. 2013 betrafen 69 Prozent diese Regionen (UNSC 6.9.2013).

Von den Vorfällen zwischen 16.8 und 15.11 betrafen 70 Prozent die südlichen, süd-östlichen und östlichen Teile des Landes (UNSC 6.12.2013).

Sicherheitslage in der Provinz Herat:

Die folgenden Berichte enthalten Informationen zu sicherheitsrelevanten Ereignissen in bzw. in der Nähe der Stadt Herat seit Beginn des Jahres 2012 (chronologisch aufsteigend):

Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) berichtet im Februar 2013, dass hunderte Personen am Begräbnis des achtjährigen Ali Sina teilgenommen hätten. Dieser sei am 31. Jänner 2013, einen Monat, nachdem er entführt worden sei, getötet worden, obwohl die Familie des Kindes den Entführern 95.000 US-Dollar gezahlt habe. Dem Onkel des Kindes zufolge hätten die Entführer ein Lösegeld von 400.000 US-Dollar gefordert. Laut dem Polizeichef der Provinz Herat seien bereits mehrere Verdächtige festgenommen worden. Wie RFE/RL weiters anführt, hätten Händler in Herat gegen einen Anstieg der Verbrechen demonstriert, die sich oftmals gegen ihre Familienmitglieder richten würden (RFE/RL, 3. Februar 2013).

Die Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) erwähnt einen Vorfall, bei dem am 15. August 2012 eine an einem Fahrrad befestigte Bombe auf einem belebten Markt in der Stadt Herat explodiert sei und mindestens 14 Personen verletzt habe (AFP, 18. August 2012). Derselbe Vorfall wird auch in einem vom Afghanistan NGO Safety Office (ANSO) im August 2012 veröffentlichten Bericht zur Sicherheitslage (Berichtszeitraum: 1. bis 15. August 2012) erwähnt. Laut dem ANSO sei der Sprengsatz unmittelbar neben einem Kontrollposten der Afghanischen Nationalpolizei (ANP) explodiert und habe mindestens 15 Zivilistinnen sowie zwei Polizisten verletzt. Obwohl dies darauf hindeute, dass es sich bei den Zivilistinnen nicht um das Angriffsziel gehandelt habe, demonstriere der Vorfall die Bereitschaft, zivile Opfer zu verursachen. Wie das ANSO weiters anführt, würden unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen auch in den Vororten Herats weiterhin eine potentielle Gefahr darstellen. In Injil sei ein solcher Sprengsatz neben örtlichen Bewohnerinnen auf einem Motorrad explodiert, ein weiterer sei von den afghanischen Sicherheitskräften am Straßenrand entdeckt worden (ANSO, 17. August 2012, S. 10). In einem weiteren Sicherheitsupdate vom August 2012 (Berichtszeitraum: 16. bis 31. Juli 2012) berichtet das ANSO, dass der afghanische Inlandsgeheimdienst (National Directorate of Security, NDS) am 16. August 2012 im Polizeidistrikt 4 der Stadt Herat zwei Mitglieder bewaffneter Oppositionsgruppen festgenommen habe. Am darauffolgenden Tag seien im Polizeidistrikt 7 sechs aus Nimrus stammende Mitglieder bewaffneter Oppositionsgruppen verhaftet und rund 150 kg Sprengstoff beschlagnahmt worden. Während solche Vorfälle das große Interesse bewaffneter Oppositionsgruppen, sicherheitsrelevante Ziele auszuforschen, demonstrieren würden, würden die Verhaftungen auch die Fähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte, Operationen bewaffneter Oppositionsgruppen zu vereiteln, unter Beweis stellen (ANSO, 2. August 2012, S. 10).

Der Guardian berichtet im Juli 2012, dass ein afghanischer Soldat drei ausländische Zivilistinnen erschossen habe, die in der Stadt Herat Polizeirekruten ausgebildet hätten. Laut dem Polizeichef der Provinz Herat seien bei dem Angriff außerdem ein afghanischer Übersetzer sowie ein weiterer ausländischer Ausbildner verletzt worden (Guardian, 22. Juli 2012). Das ANSO schreibt in einem Sicherheitsupdate vom Juli 2012 (Berichtszeitraum: 1. bis 15. Juli 2012), dass ein Mitarbeiter des NDS und ein Polizist in der Stadt Herat Opfer gezielter Tötungen geworden seien. Außerdem habe die ANP im Polizeidistrikt 8 eine unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung in einem Fahrzeug entdeckt und daraufhin den Fahrer festgenommen. Trotz dieser Vorfälle werde die Sicherheitslage in der Stadt weiterhin in hohem Ausmaß durch die Operationen und Aktivitäten der afghanischen Sicherheitskräfte bestimmt, die im Berichtszeitraum für 70 Prozent aller dokumentierten sicherheitsrelevanten Vorfälle („security incidents“) verantwortlich gewesen seien [Anm. ACCORD: Das ANSO hat in seinen Berichten ein breites Verständnis von „security incidents“. Unter anderem umfasst der Begriff auch gegen Aufständische gerichtete Operationen der Sicherheitskräfte, wie z.B. Verhaftungen und Durchsuchungen.] (ANSO, 17. Juli 2012, S. 10). In einem weiteren Sicherheitsupdate vom Juli 2012 (Berichtszeitraum: 16. bis 30. Juni 2012) berichtet das ANSO, dass die Aktivitäten bewaffneter Oppositionsgruppen in der Stadt Herat und den umliegenden Distrikten weiterhin auf einem niedrigen Level seien. Im Berichtszeitraum sei lediglich ein direkter Angriff auf einen ANP-Kontrollposten in Guzara verzeichnet worden (ANSO, 2. Juli 2012, S. 11).

In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 22.07.2014, Zl. W102 1421255-1/16E aus:

„Beim Beschwerdeführer handelt es sich zwar um einen arbeitsfähigen jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es muss demgegenüber aber maßgeblich berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer bereits ca. drei Jahre in Österreich gelebt hat.

Beim Beschwerdeführer ist zu berücksichtigen, dass er aus der Provinz Herat stammt, die nach der INSO-Liste zum vierten Jahresquartal 2013 zu den sog. „orangen Provinzen“ steht und einen Anstieg der Anschläge durch oppositionelle bewaffnete Gruppen auf die Zivilbevölkerung um 46 % in den letzten drei Jahren aufweist.

Auch ergibt es sich nicht aus dem Verfahren, dass er sich längere Zeit in Kabul aufgehalten und dort wie auch in anderen größeren Städten Afghanistans Verwandte hat.

Gleichzeitig haben sich die allgemeinen Lebensbedingungen in den letzten Jahren nicht verbessert. Aus den Länderfeststellungen ist ersichtlich, dass auch die Versorgung der Menschen mit Wohnraum und Nahrungsmitteln in Afghanistan, insbesondere für alleinstehende Rückkehrer ohne jeglichen familiären Rückhalt, nur unzureichend ist. Angesichts der derzeitigen politischen Lage in Afghanistan ist zudem staatliche Unterstützung sehr unwahrscheinlich.

Eine den Garantien der EMRK entsprechende Rückführung käme nur dann in Betracht, wenn der betreffende afghanische Asylwerber in der Lage ist, sich sofort und aus eigenen Mitteln oder auf Grund eines bestehenden Familienanschlusses an einem hinreichend sicheren Ort ein sicheres Rückzugsgebiet vor allem für die Nacht zu schaffen (vgl. AsylGH 23.01.2012, C1 408601-2/2010; 14.02.2012, C10 303021-1/2008). Mangels familiären Netzwerks in Kabul kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer - auch infolge der Kriminalität - in eine hoffnungslose Lage gerät. Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdeführer durch seine lange Abwesenheit von Afghanistan besonders vulnerabel erscheint (zur Problematik der Resozialisierung bei längerer Abwesenheit siehe ausführlich AsylGH 11.05.2012, C18 406949-1/2009; vgl. i.d.S. ebenso z.B. AsylGH 14.2.2012, C10 303021-1/2008; 01.03.2012, C9 405336-3/2010; 11.06.2012, C18 413629-1/2010). Die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan erscheint daher unter den dargelegten (und von der belangten Behörde gänzlich außer Acht gelassenen) Umständen als unzumutbar.

Unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des konkreten Falles kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK unterworfen zu werden. Daher kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine Gefahr iSd Art. 3 EMRK droht. Seine Rückführung stünde im Widerspruch zu Art. 3 EMRK.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde dem BF am 17.07.2015 und weiter am 28.07.2017 verlängert. Am 19.07.2019 stellte der BF einen Antrag auf weitere Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde (u.a.) die Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigen sowie der Entzug der befristeten Aufenthaltsberechtigung ausgesprochen.

II.1.3. Der BF hat in Österreich Deutschkurse absolviert. Er hat in Österreich (traditionell) geheiratet und ist Vater eines Kindes. Er lebt aufgrund von familiären Streitigkeiten von der Mutter seines Kindes getrennt und hat seit Monaten keinen (erlaubten) Kontakt zu seiner Frau oder seinem Kind.

II.1.4.1. Am 12.01.2016, rechtskräftig seit 17.02.2016, wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln nach § 27 Abs. 1 Z 1 SMG erster, zweiter, und achter Fall zu einer Geldstrafe von iHv 1.200 EURO verurteilt.

II.1.4.2. Ein von einer PI angestrengtes Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen §§ 83 Abs. 1 StGB, 107 Abs. 1,2 StGB, 125 StGB wurde gem. § 190 Z 1 und 2 am 04.04.2018 eingestellt (Zl. 28St 39/18Z, AS 445).

II.1.4.3. Ein Abschlussbericht einer Landespolizeidirektion gegen den BF wegen Verdacht auf § 83 StGB datiert mit 08.03.2019 (AS 596, 587). Das Verfahren beim BG Schwaz zu Zl. 4 U 26/19a-4 (AS 581) wurde nach Zahlung einer Geldbuße iHv 350 EURO sowie eines Pauschalkostenbeitrages iHv 100 EURO gemäß §§ 199, 200 Abs. 5 StPO eingestellt (Diversion) (OZ 12).

II.1.4.4. Ein Abschlussbericht einer PI gegen den BF wegen Verdachts auf gefährlicher Drohung datiert mit 17.09.2019 (AS 623). Dazu wurde von der Staatsanwaltschaft Innsbruck am 28.09.2019 Anklage erhoben (AS 669). Mit Urteil des LG Innsbruck vom 30.10.2019 wurde der BF von den Vorwürfen gem. § 259 Z 3 StPO freigesprochen; dieses Urteil ist rechtskräftig (OZ 15).

II.1.5. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan (einschließlich der Herkunftsprovinz Herat und der urbanen Gebiete, insbesondere Herat und Mazar-e-Sharif) wird festgestellt, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert haben.

II.1.6. Zur Lage in Afghanistan

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan (in der Folge „LIB“) vom 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 2. Politische Lage).

COVID-19:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert. Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig. COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird. Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt. In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden. Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden. Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen. Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans; dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert. Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen. Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden. Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert. In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt, wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar. Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt. Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze: Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden(LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise: 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommission gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen. Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417. Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88 (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet. Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen. Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt. Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien. Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff. Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada– Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes. Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan. Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert, welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde. Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind. Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt. Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000. Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani, einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück. Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban. Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern. Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck. Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen. So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen. Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen. Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein. Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen. Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen. Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban. Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken, zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont. Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3. Sicherheitslage).

Lage in der Provinz Balkh bzw. in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif:

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (LIB 13.11.2019 idF 18.05.2020, Kapitel 3.5. Balkh).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Be

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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