TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/2 W109 2149166-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.11.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8

Spruch

W109 2149166-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Robert BITSCHE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 20.02.2017, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.06.2019 und am 19.05.2020 zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist.

III.     XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 und 2 zweiter Fall AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 02.10.2015 stellte der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 03.10.2015 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger und in Kabul geboren, wo er auch elf Jahre die Schule besucht habe. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, er habe Afghanistan verlassen, weil die Lage dort schlecht sei, es sei dort nicht sicher. Außerdem gebe es dort nicht genug Arbeit, man könne dort nicht überleben. Das Geburtsdatum ist mit XXXX protokolliert.

Nach am 11.12.2015 erfolgter Untersuchung (Anamnese und körperliche Untersuchung, radiologische Aufnahmen von Bezahnung und Schlüsselbeinen) langte das Gutachten zur sachverständigen Volljährigkeitsbeurteilung bezüglich der Unterscheidung Minder- vs. Volljährigkeit vom 27.12.2015 bei der belangten Behörde ein, in der der beauftragte Sachverständige zu dem Schluss kommt, das höchstmögliche Mindestalter sei zum Untersuchungszeitpunkt mit einfacher Wahrscheinlichkeit mit 18,5 Jahren anzunehmen, woraus sich das fiktive Geburtsdatum XXXX errechne. Daraus ergebe sich für den Antragszeitpunkt ein Mindestalter von 18,3 Jahren, die Differenz zum behaupteten Lebensalter betrage 2,45 Jahre.

Mit Verfahrensanordnung vom 04.02.2016 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Volljährigkeit des Beschwerdeführers fest und setzte das „fiktive“ Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit XXXX fest.

Am 28.11.2016 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er habe 2014 begonnen, für ein Computerunternehmen zu arbeiten. Nach sieben Monaten sei er bedroht worden, er habe nicht gewusst, ob es wegen seine Arbeit oder weil er Schiit und Hazara sei, gewesen sei. Im November 2014 sei er telefonisch bedroht worden. Er sei auf dem Weg zur Arbeit gewesen. Der Anrufer habe Name und Familienname des Beschwerdeführers genannt und gesagt, der Beschwerdeführer sei gegen die Personen. Er habe gesagt, wie der Beschwerdeführer sich trauen könne, für die Regierung zu arbeiten. Er sei sehr verängstigt gewesen und habe am ganzen Körper gezittert, er habe geweint. Er habe nicht gewusst, ob er nachhause oder in die Firma fahren solle. Er sei nachhause gefahren und habe seinen Eltern von dem Vorfall erzählt. Der Vater habe geraten, er solle seine Arbeit beenden. Der Beschwerdeführer habe seine Telefonnummer geändert, weiterhin die Schule besucht und nachmittags dem Vater im Geschäft geholfen. Im April 2015 habe er sein Englisch-Diplom erlangt. Er habe von einer unbekannten Nummer einen Anruf erhalten, der Anrufer habe Pashtu gesprochen und der Beschwerdeführer ihn schlecht verstanden. Er habe am Telefon geschrien und gefragt, warum er beim letzten Mal aufgelegt habe. Der Anrufer habe gesagt, der Beschwerdeführer müsse für ihn arbeiten, er dürfe weder die Polizei, noch die Regierung benachrichtigen, denn er würde beobachtet. Einige Male sei das gesamte Unternehmen bedroht worden. Das Problem sei gewesen, dass er für ein ausländisches Unternehmen gearbeitet habe. Er sei verängstigt gewesen und direkt zum Vater ins Geschäft gegangen und habe ihm von dem Anruf erzählt. Am Abend seien sie nachhause gekommen. Der Vater habe gesagt, sie könnten nichts dagegen machen und auch nicht die Polizei verständigen. Er habe den Kurs abgeschlossen und unterrichten wollen, aus Angst vor Anrufen habe er die Schule abgebrochen. Er sei einen Monat zuhause gewesen und habe Angst gehabt. Er habe dem Vater im Geschäft geholfen. Es sei September 2015 gewesen, der Vater sei aus dem Geschäft gekommen und habe geweint. Er habe erzählt, dass einige Personen in normaler ziviler Kleidung ins Geschäft gekommen seien. Sie hätten das ganze Geschäft durcheinandergebracht, herum geschmissen und nach dem Beschwerdeführer gefragt. Sie hätten dem Vater gesagt, dass sie alles über die Familie wüssten und, dass sie selber ein Unternehmen hätten, für das der Beschwerdeführer arbeiten solle. Der Vater habe gesagt, der Beschwerdeführer wolle seine Ausbildung fortsetzen. Da Kunden gekommen seien, seien sie weggegangen. Er habe den ganzen September zuhause verbracht. Der Vater habe geraten, er solle in den Iran gehen.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20.02.2017, zugestellt am 21.02.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe Kopien des Englischkurses und der Bescheinigung des Arbeitsverhältnisses, jedoch keine Tazkira vorlegen können. Er habe sich bei der Erstbefragung als minderjährig ausgegeben, was erst durch Altersgutachten widerlegt habe werden können. Im Zusammenhang mit seinen Angehörigen habe er sich weiterer Lügen bedient. An der Aussage des Beschwerdeführers, die Erstbefragung sei nicht rückübersetzt worden und er habe keine Kopie erhalten, lasse sich erkennen, dass seine Lügen immer dreister werden würden. Es sei ein Rechtsberater anwesend gewesen, der dies nicht zugelassen und mit seiner Unterschrift die Rückübersetzung bestätigt hätte. Dies zeige, dass sich der Beschwerdeführer auch bei einfachen Fragen zum Verfahren nicht der Wahrheit bediene. Im Hinblick auf das Vorbringen, warum er der Herkunftsstaat verlassen habe, sei dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit zur Gänze abzusprechen. Das Vorbringen sei widersprüchlich, nicht plausibel, durch Vagheit gekennzeichnet und es hätten sich einige Ungereimtheiten ergeben. Die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sei zu diesem Zeitpunkt bereits stark erschüttert gewesen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, wegen seiner guten Englischkenntnisse für die Firma gearbeitet zu haben, habe jedoch ein Englisch-Sprachdiplom auf Cambridge Niveau A1, also Grundstufe Anfänger, ein Jahr nach der Aufnahmeprüfung für die besagte Firma abgeschlossen. Dass der Beschwerdeführer durch das Angebot, das doppelte zu verdienen, in Angst und Schrecken versetzt worden wäre, habe die Behörde nicht überzeugen können. Dass der Beschwerdeführer sich in Kabul auf die Straße gesetzt und zu weinen begonnen hätte, sei, wenn man die afghanische Kultur nur einigermaßen kenne, völlig unglaubhaft, dies hätte den Beschwerdeführer als schwach und unmännlich erscheinen lassen. Der Vater des Beschwerdeführers habe entschlossen entgegnet, der Beschwerdeführer wolle seine Ausbildung fortsetzen. Als Kunden ins Geschäft gekommen seien, hätten diese Leute das Geschäft ohne weitere Handlung verlassen. Es sei auch keine Bedrohung erkennbar gewesen, bzw. sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, eine solche zu schildern. Der Beschwerdeführer könne seinen Lebensunterhalt in Kabul bestreiten. Davon, dass der Beschwerdeführer soziale Anknüpfungspunkte habe, sei in Anbetracht der völligen Unglaubwürdigkeit seiner Person auszugehen und wäre es eine massive und unfaire Besserstellung gegenüber jenen Asylwerbern, die Verwandtschaftsverhältnisse wahrheitsgetreu angeben und damit ein positives Zumutbarkeitskalkül ermöglichen, wenn man gerade dieser Aussage Glauben schenke.

3.       Am 01.03.2017 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die Beweiswürdigung sei mangelhaft. Es müsse auch die spezielle Situation einer gedolmetschten Einvernahme potentiell relativierend ins Kalkül gezogen werden. Die Beweiswürdigung der Behörde übersehe, dass bei Menschen, die aus Kriegsgebieten kämen, eine ungenaue Darstellung der Ereignisse nicht zwingend auf deren Unglaubwürdigkeit schließen lassen müsse, da es auch zu psychischen Schäden gekommen sein könne. Der Beschwerdeführer sei der Gefahr einer Verfolgung wegen Zwangsrekrutierung ausgesetzt, er habe keine familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan mehr. Eine Rückkehr nach Afghanistan würde eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen.

Am 07.06.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, eine Zeugin und ein Zeuge, beide im Akt namentlich genannt, sowie ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat verfolgt, weil er wegen seiner Arbeit und weil er Hazara und Schiit sei, bedroht worden sei, aufrecht.

Am 19.05.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, ein länderkundlicher Sachverständiger und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil.

Mit Schreiben vom 23.10.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht neue Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Arbeitsbescheinigung in Kopie

?        Englischdiplom in Kopie

?        Österreichischer Schwimmerausweis des Beschwerdeführers

?        Teilnahmebestätigung für Deutschkurse, Veranstaltungen, Kurse, Workshops, etc.

?        Schulunterlagen

?        Lehrvertrag des Beschwerdeführers

?        Lohn/Gehaltsabrechnungen des Beschwerdeführers

?        Mehrere Empfehlungsschreiben

?        ÖSD-Zertifikat A2

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht auch Englisch und verfügt über sehr gute Deutschkenntnisse zumindest auf dem Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer war am 21.02.2017 volljährig.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Maidan Wardak, Distrikt Jalrez, geboren. Der Beschwerdeführer hat zwei Brüder und zwei Schwestern. Die Familie zog nach Kabul um, als der Beschwerdeführer fünf oder sechs Jahre alt war. Sie lebte dort in der eigenen Wohnung. Der Vater des Beschwerdeführers führt mit einem Geschäftspartner ein Lebensmittelgeschäft. Der Beschwerdeführer hat in Kabul elf Jahre die Schule besucht und zudem einen Englischkurs. Nebenher hat er im Geschäft des Vaters mitgearbeitet und einige Monate als Registrator in einem Dienstleistungsunternehmen.

Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers leben weiterhin in Kabul, zu ihnen besteht Kontakt.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Oktober 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er hat zunächst Deutschkurse besucht und an den Veranstaltungen (Fußballturnier, Spieletreff, etc.) einer privaten „Vernetzungs“-Initiative für geflüchtete Menschen teilgenommen. Im Schuljahr 2016/2017 besuchte der Beschwerdeführer die Übergangsstufe an BMHS für Jugendliche ohne Kenntnisse der Unterrichtssprache Deutsch und schloss sie im September 2017 erfolgreich ab. Seit 27.06.2018 ist der Beschwerdeführer im Rahmen eines Lehrverhältnisses für den Lehrberuf „Friseur und Perückenmacher“ unselbstständig erwerbstätig und besucht die Landesberufsschule XXXX . Er bezieht eine monatliche Lehrlingsentschädigung in der Höhe von EUR 767,19 und seit November 2018 keine Leistungen mehr aus der Grundversorgung. Ansonsten hat der Beschwerdeführer die „Freischwimmerprüfung“ abgelegt und an einigen Persönlichkeits- und Sozialkompetenz-Workshops teilgenommen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte geknüpft und Freundschaften geschlossen.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Tätigkeit als Registrator oder weil er Hazara und Schiit ist, von den Taliban oder Daesh bedroht wurde. Es wird auch nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer nach Beendigung seiner Tätigkeit von den Bedrohern aufgefordert wurde, für sie zu arbeiten.

Im Fall der Rückkehr nach Kabul drohen dem Beschwerdeführer keine Übergriffe durch regierungsfeindliche Kräfte wegen seiner Tätigkeit als Registrator.

Dem Beschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr nach Kabul auch keine Übergriffe durch Privatpersonen oder staatliche Stellen, weil er der Volksgruppe der Hazara angehört oder sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt oder weil ihm durch regierungsfeindliche Kräfte Ungläubigkeit unterstellt würde.

1. 3.   Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Afghanistan ist von der COVID-19-Pandemie betroffen, dies gilt insbesondere für Kabul. Es gibt landesweit Beschränkungen von Mobilität, sozialen und geschäftlichen Aktivitäten sowie Regierungsdiensten. In größeren Städten wird auf die Einhaltung der Maßnahmen stärker geachtet. Der Flugverkehr wurde wenn auch eingeschränkt wiederaufgenommen. Der Verkehr in den Städten hat sich wieder normalisiert, Restaurants und Parks sind wieder geöffnet. Die Nahrungsmittelpreise steigen, aufgrund der Maßnahmen gibt es weniger Gelegenheitsarbeit. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, was zu einer Verschärfung von Armut und einem Rückgang der Staatseinnahmen führt.

Das afghanische Gesundheitssystem ist mangelhaft, der überwiegende Anteil der Bevölkerung hat jedoch Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Die medizinische Versorgung ist in großen Städten und auf Provinzebene sichergestellt. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildetem Personal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In Distrikten mit guter Sicherheitslage werden in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten. Die Behandlungskosten sind hoch.

Die Hauptstadt Kabul steht unter der Kontrolle der afghanischen Regierung. Es kommt allerdings in der Hauptstadtregion weiterhin zu Anschlägen Aufständischer auf hochrangige Ziele. Hauptursache für Opfer sind Selbstmord- und komplexe Angriffe, improvisierte Sprengkörper und gezielte Tötungen.

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen, über den die Stadt sicher erreicht werden kann.

Es ist nicht wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Kabul (Stadt) im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode kommt oder misshandelt oder verletzt wird.

Im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsdistrikt ist zu erwarten, dass der Beschwerdeführer sich eine Lebensgrundlage wird aufbauen können. Seine medizinische Versorgung ist gewährleistet.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und seiner Muttersprache ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben im Lauf des Verfahrens, wobei auch die belangte Behörde keine Zweifel an diesen Angaben des Beschwerdeführers hegte (AS 263-264). Dass er über Englischkenntnisse verfügt, hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben und auch afghanische Sprachdiplome vorgelegt (AS 171, AS 173). Im Hinblick auf die Ausführungen der belangten Behörde, dass sich aus diesen lediglich ergebe, dass der Beschwerdeführer Cambridge Niveau A, also Grundstufe Anfänger, erreicht habe (AS 266), ist anzumerken, dass die belangte Behörde hierdurch hauptsächlich ihre mangelnde Auseinandersetzung mit dem Akteninhalt demonstriert. So ergibt sich aus der vorgelegten Diplomkopie, dass der Beschwerdeführer „advanced Level in post basic course in (A) grade“ erfolgreich abgeschlossen hat. Demnach hat der Beschwerdeführer einen Fortgeschrittenen-Englisch-Kurs mit der Note „A“ erfolgreich abgeschlossen. Zu seinen Deutschkenntnissen hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.06.2019 sein ÖSD-Zertifikat für das Niveau A2 vorgelegt (Beilagen zu OZ 11). Im Zuge der mündlichen Verhandlung konnte sich der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichts zudem im Gespräch mit dem Beschwerdeführer von dessen sehr guten Deutschkenntnissen überzeugen und geht auch aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Zeugnissen (Übergangsstufe, Berufsschule) jeweils hervor, dass er im Fach Deutsch und im Übrigen auch in den anderen Fächern positiv abgeschlossen hat. Demnach ist von weit besseren Deutschkenntnissen auszugehen, als mit dem vorgelegten Zertifikat formell belegt ist.

Zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass die belangte Behörde ihre diesbezügliche Feststellung auf ein mangelhaftes Altersgutachten stützt. So geht aus dem Gutachten vom 27.12.2015 hervor, dass der Beschwerdeführer im Untersuchungszeitpunkt – damit am 11.12.2015 – mit „einfacher Wahrscheinlichkeit“ 18,5 Jahre alt ist (AS 95), wobei sich aus den zugrundeliegenden, im Gutachten referierten Befunden ergibt, dass der Gutachter die Feststellung anhand des „wahrscheinlichsten Alters“ im Hinblick auf die Entwicklungsstufe des Schlüsselbeins des Beschwerdeführers trifft (AS 93). Hierauf gründe die belangte Behörde sodann das von ihr festgestellte spätestmögliche, fiktive Geburtsdatum.

Allerdings ist gemäß § 13 Abs. 3 letzter Satz BFA-VG zu Gunsten des Fremden von seiner Minderjährigkeit auszugehen ist, wenn nach der Altersdiagnose weiterhin begründete Zweifel bestehen. Aus den Erläuterungen zur Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 ergibt sich, dass als Beweisthema die „mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ festgelegt ist (ErläutRV 330 BlgNR 24. GP zu § 2 Abs. 1 Z 25 sowie zu § 15 Abs. 1 Z 6 AsylG), wobei in den Erläuterungen zum Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz – FNG (BGBl. I Nr. 87/2012) zu § 13 Abs. 3 letzter Satz BFA-VG klargestellt wird, dass wenn nach dem Gutachten weiterhin ein Zweifelsfall vorliegt, zu Gunsten des Fremden von seiner Minderjährigkeit auszugehen ist („in dubio pro minor“; Erläut RV 1803 BlgNR 24 GP zu § 13 Abs. 3 BFA-VG). Die herangezogene „einfache Wahrscheinlichkeit“, auf deren Grundlage die belangte Behörde ihre Feststellung trifft, entspricht damit nicht dem Gesetz.

Aus den im Gutachten referierten Ergebnissen der zugrundeliegenden Untersuchungen ergibt sich jedoch zunächst, dass anhand der Altersanamnese, sowie der körperlichen Untersuchung keine Ausschlusskriterien für eine Beurteilung hinsichtlich einer Minder- vs. Volljährigkeit festgestellt werden konnten (AS 91). Aus dem Handwurzelröntgen ergibt sich ein Skelettalter von 18 und kann eine Unterscheidung Minder- vs. Volljährigkeit anhand des vorliegenden Ausprägungsgrades ebenso nicht mit maximal möglichem Beweismaß getroffen werden (AS 91). Aus dem Zahnpanorama ergibt sich aus der Wurzelentwicklung der dritten Molaren im Oberkiefer das Stadium G, das einem Alter von 18.2 (+/- 1,91) Jahren mit einem Median von 17,92 Jahren (LQ bei 16,64 und UQ bei 19,43) entspreche. Für die dritten Molaren im Oberkiefer ergebe sich ebenfalls das Stadium G, das einem Alter von 18,3 (+/- 1,93) Jahren mit einem Median von 17.91 Jahren (LQ bei 16,89 und UQ bei 19,55) entspreche. Eine eindeutige Differenzierung hinsichtlich einer Grenze zur Volljährigkeit sei nicht möglich, da die Ausprägungsform in beiden Altersklassen auftreten könne, eine Minderjährigkeit könne nicht mit dem geforderten maximal möglichen Beweismaß ausgeschlossen werden. Der Entwicklungsstand der Schlüsselbeine befinde sich im Stadium 2c, dies entspreche einem Alter mit dem Mittelwert von 18,6 (+/- 1,4), mit einem Min-max von 17,1-20,2, der Median liege bei 18,5 Jahren (LQ bei 17,3 und UQ bei 19,9) nach Kellinghaus bzw. einem Mittelwert von 18,8 (+/-2) Jahre, mit dem Min-max von 17,4-20,2, der Median liege bei 18,8 (LQ bei 17,4). Daraus ergebe sich für diese Entwicklungsstufe ein wahrscheinliches Alter (Median bzw. 50. Perzentile) von 18,5 Jahren. Es sei mit einfacher bzw. überwiegender Wahrscheinlichkeit Volljährigkeit anzunehmen, jedoch könne eine Minderjährigkeit nicht mit dem maximal möglichen Beweismaß ausgeschlossen werden (Min. bei 17,1 bzw. 17,4).

Demnach ist trotz überwiegender Wahrscheinlichkeit eines Alters des Beschwerdeführers von 18,5 Jahren im Untersuchungszeitpunkt ein niedrigeres Alter möglich, wobei um mit maximal möglichem Beweismaß Minderjährigkeit ausschließen zu können, die jeweiligen Mindestwerte herangezogen werden müssen. Der höchste Mindestwert, der das nach den beim Beschwerdeführer vorgefundenen Entwicklungsstadien im Untersuchungszeitpunkt höchstmögliche Mindestalter mit höchstmöglichem Beweismaß angibt, liegt damit bei 17,1. Dem entspricht das spätestmögliche Geburtsdatum XXXX (Untersuchungszeitpunkt abzüglich 17,1 Jahr bzw. 6246 Tage [gerundet], wobei ein Jahr mit 365,25 Tagen angenommen wurde [AS 95]). Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer spätestens am XXXX volljährig geworden ist.

Im Akt nicht nachvollziehbar ist weiter, wie das Geburtsdatum XXXX im Zuge der Erstbefragung zustande kam, so ist ein teilweise ausgefülltes „Formblatt“, das den Namen des Dolmetschers der Erstbefragung trägt (AS 15 und AS 123) aktenkundig, in dem der Name des Beschwerdeführers angegeben ist und zudem mit dem gleichen Stift das Geburtsjahr 1378 (= XXXX - XXXX ), das später mit einem offenkundig anderen Stift in einer ebenso anderen Handschrift eingeklammert und um das Datum XXXX ergänzt wurde, wobei auf der Rückseite dieses Blattes noch einige weitere Zahlen und Jahreszahlen – darunter auch 1998, sowie die Zahl „17“ – notiert sind (AS 124). Zu diesen Indizien passt auch die Angabe des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 28.11.2016, denen zufolge der Beschwerdeführer sein Geburtsdatum nach dem Kalender nicht kennt (AS 142), während gleichzeitig offenkundig wird, dass die belangte Behörde, statt sich mit dem überdies auf eine wenig sorgfältige Verfahrensführung hindeutenden Akteninhalt auseinanderzusetzen, den Beschwerdeführer aus beweistaktischen Gründen wiederholt unsachlich der „Lüge“ bezichtigt. Nachdem aber der Beschwerdeführer das von der belangten Behörde festgesetzte Geburtsdatum akzeptiert hat, indem er es im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme am 28.11.2016 angibt und auch ein damit im Einklang stehendes Lebensalter nennt (AS 142), behält das Bundesverwaltungsgericht das Geburtsdatum des Beschwerdeführers bei. Insbesondere hat sich der Beschwerdeführer nunmehr bereits unter dieser Identität im Bundesgebiet etabliert und ist die Frage, ob der Beschwerdeführer nun ein Jahr jünger oder älter ist im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr weiter relevant. Insbesondere war der Beschwerdeführer am 21.02.2017 (dem Zustellzeitpunkt) mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit volljährig.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich daraus, dass im Lauf des Verfahrens kein anderslautendes Vorbringen erstattet und auch keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder Erkrankung des Beschwerdeführers nachweisen würden.

Die Feststellungen zu Herkunft, Familien- und Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat ergeben sich aus seinen plausiblen Angaben. Zur festgestellten Tätigkeit als Registrator wird auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen.

Zur Feststellung, dass Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers weiterhin in Kabul leben und Kontakt zu ihnen besteht, ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.10.2015 noch angab, Eltern und Geschwister seien alle in Kabul Afghanistan wohnhaft (AS 17) und erst in der Einvernahme am 28.11.2016 behauptete, seine Angehörigen seien im November 2015 ausgereist (AS 143), wobei der Beschwerdeführer deren Ausreise ausschließlich damit verknüpft, dass die Familie wegen seiner Probleme ausgereist sei (AS 143). Nachdem der Beschwerdeführer jedoch seine Ausreisegründe nicht glaubhaft machen konnte, wie noch unter 2.2. ausgeführt werden wird, ist auch nicht glaubhaft, dass seine Familie deshalb ausreisen hätte müssen. Ebenso nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer kaum Kontakt zu seiner Familie hat, so sind seine Ausführungen dazu, seine Familie könne keine SIM-Karte kaufen und deshalb den Facebook-Account nicht nützen, unplausibel. Für die Nutzung eines Facebook-Accounts ist schließlich eine SIM-Karte nicht erforderlich, sondern lediglich Internetzugang und im Hinblick auf Mashad – einer iranischen Millionenstadt – wohl davon auszugehen, dass dort auch andere Möglichkeiten der Internetnutzung vorhanden sind, als über eine SIM-Karte. Abgesehen davon stellt auch ein Facebook-Account zweifellos nicht die einzige technische Möglichkeit dar, zwischen dem Iran und Österreich einen regelmäßig nutzbaren Kommunikationskanal herzustellen.

Das Antragsdatum ist aktenkundig und sind Hinweise auf eine zwischenzeitige Ausreise des Beschwerdeführers im Lauf des Verfahrens nicht hervorgekommen. Zu seinem Deutschkursbesuch hat der Beschwerdeführer Bestätigungen vorgelegt, ebenso zu seiner Teilnahme an den Veranstaltungen des Vereins (AS 159, 161, 167). Zum Besuch der Übergangsstufe hat der Beschwerdeführer eine Besuchsbestätigung (AS 169) und ein Abschlusszeugnis (Beilagen zu OZ 11) vorgelegt. Lehrvertrag und Lohn/Gehaltsabrechnungen brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.06.2019 in Vorlage, ebenso sein Berufsschulzeugnis (Beilagen zu OZ 11). Die Feststellung zur aktuellen Lehrlingsentschädigung des Beschwerdeführers beruht – nachdem der jüngste vorgelegte Lohnzettel aus dem ersten Lehrjahr stammt – auf der auf der Homepage der WKO abrufbaren kollektivvertraglichen Gehaltstabelle für den Beruf Friseur/in (https://www.wko.at/service/kollektivvertrag/brutto-netto-loehne-friseur-2020.html, vom Bundesverwaltungsgericht abgerufen am 23.10.2020). Dass der Beschwerdeführer keine Grundversorgung mehr bezieht, geht aus dem im Akt einliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem hervor. Zu seiner Schwimmprüfung hat der Beschwerdeführer seinen „Österreichischen Schwimmerausweis“ vorgelegt (AS 155), zur Workshop-Teilnahme einige Bestätigungen (Beilagen zu OZ 11 und 15). Im Hinblick auf die Sozialkontakte des Beschwerdeführers im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.06.2019 etwa eine Unterstützerliste, sowie eine Weihnachtskarte seiner Schulkolleginnen und –kollegen vorgelegt, zudem einige Empfehlungsschreiben. Weiter wurde der Beschwerdeführer von seinem Arbeitgeber und einer weiteren Person in die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.06.2019 begleitet, was das vom Beschwerdeführer behauptete enge Verhältnis bestätigt. Auch bei der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde erschien der Beschwerdeführer in Begleitung einer Vertrauensperson, was das in der mündlichen Verhandlung beschriebene enge Verhältnis zu dieser ebenso bestätigt. Die behauptete soziale Einbettung des Beschwerdeführers erscheint damit glaubhaft.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Im Hinblick auf seine Tätigkeit hat der Beschwerdeführer bereits in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 28.11.2016 ein „certificate“ vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass er von 26.04.2014 bis 30.11.2014 für die XXXX als „Filing Clerk“ (also einem Registrator oder auch Archivar) gearbeitet hat. Weiter konnte der Beschwerdeführer den Inhalt seiner Tätigkeit und deren Hintergründe im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.06.2019 und am 19.05.2020 nachvollziehbar darlegen und gleichbleibend angegeben. Dass der Beschwerdeführer sechs Jahre später den vollen Firmennamen seines ehemaligen Arbeitgebers nicht mehr weiß und nicht angeben kann, wofür die Abkürzung steht, schadet angesichts der lebendigen inhaltlichen Schilderungen von der eigentlichen Tätigkeit nicht. So gibt der Beschwerdeführer durchgehend an, es sei um die Digitalisierung von Dokumenten im Zusammenhang mit dem Verkauf von SIM-Karten im Auftrag von Telefonanbietern gegangen und kann hierzu umfassendere, plausible Angaben machen.

Im Hinblick auf die behauptete Bedrohung ist der vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 23.10.2020 (OZ 18) in das Verfahren eingebrachten EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) zwar zu entnehmen, dass es zu Entführungen von und „Verfahren“ der „parallel-Justiz“ gegen Personen, die der Arbeit für oder Unterstützung der Regierung verdächtigt werden (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 2. Government officials, including judges, prosecutors and judicial staff; and those perceived as supporting the government, S. 50). Auch die vom Bundesverwaltungsgericht ebenso mit Schreiben vom 23.10.2020 (OZ 18) in das Verfahren eingebrachten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) – auf die auch der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.06.2019 im Zusammenhang mit seinem Fluchtvorbringen hinweist (OZ 11, S. 10) – berichten von gezielten Angriffen regierungsfeindlicher Kräfte auf Zivilisten, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung unterstützen. Auf eine (vermeintliche) Verbindung könne etwa durch ein bestehendes oder früheres Beschäftigungsverhältnis geschlossen werden. Über gezielte Tötungen hinaus würden regierungsfeindliche Kräfte auch Drohungen, Einschüchterung und Entführungen einsetzen, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen würden, die ihre Autorität und Anschauung infrage stellen würden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, S. 44-46).

Der Beschwerdeführer legt die behauptete Bedrohung jedoch nicht schlüssig dar. So macht der Beschwerdeführer bereits bei der behaupteten Intention des Bedrohers widersprüchliche Angaben. Etwa behauptet er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.06.2019, er sei bedroht worden, weil er Schiit und Hazara sei (OZ 11, S. 6). Dieser Aspekt kommt jedoch im vom Beschwerdeführer geschilderten Gesprächsverlauf nicht zum Trage, zu dem der Beschwerdeführer lediglich angibt, der Anrufer habe geglaubt, er arbeite für die Regierung und habe ihn aufgefordert, diese einzustellen (OZ 11, S. 6). In der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 28.11.2016 gab der Beschwerdeführer zunächst an, er wisse nicht, ob er wegen seiner Arbeit, oder weil er Schiit und Hazara sei, bedroht worden sei (AS 145), gab allerdings den Gesprächsverlauf ebenso lediglich damit an, dass ihm Arbeit für die Regierung vorgeworfen worden sei. Kurz später in derselben Einvernahme behauptet der Beschwerdeführer schließlich, er habe nicht in diesem Unternehmen arbeiten sollen, weil er Hazara und Schiit sei, sie hätten gesagt, er sei ungläubig und hätten ihn bedroht, weil er Hazara sei (AS 149). Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.06.2019 brachte der Beschwerdeführer zudem über Befragung durch seinen Rechtsvertreter als Bedrohungsaspekt in das Verfahren ein, er habe Zugriff auf die verschiedenen Tazkiras gehabt und dieser Zugriff sei für Gruppierungen wie die Taliban interessant (OZ 11, S. 7), wobei im Hinblick auf diesen Aspekt – abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer ihn ohne erkennbaren Grund erstmals im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht äußert – nicht nachvollziehbar ist, dass der Beschwerdeführer aufgefordert werden sollte, die Tätigkeit zu beenden, geht doch auf diese Weise auch der Zugriff auf die Unterlagen verloren. Außerdem geht ein derartiges Interesse aus den sonstigen Schilderungen des Beschwerdeführers nicht hervor.

Weiter ist die anschließende Aufforderung zur Zusammenarbeit nicht nachvollziehbar und widersprüchlich. So gab der Beschwerdeführer etwa vor der belangten Behörde am 26.11.2016 zum „Besuch“ beim Vater im Geschäft noch an, die Personen hätten normale zivile Kleidung getragen du der Vater habe gedacht, sie seien Kunden (AS 146). Im Widerspruch dazu behauptete der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 07.06.2019, die Personen seien maskiert gewesen. Weiter sind die Angaben des Beschwerdeführers dazu, wozu diese Leute ihn haben wollten, nicht schlüssig. So gibt der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.06.2019 an, sie hätten ihn zur Zusammenarbeit aufgefordert, weil er die Prüfung bei der Firma bestanden und dort gearbeitet habe. Außerdem führt er an, er habe auch gerade sein Englisch-Diplom erhalten und diejenigen, die ein solches Diplom hätten, könnten für die Amerikaner arbeiten. Deshalb hätten sie ihm auch Druck gemacht (OZ 11, S. 7). Vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer befragt dazu, was er für die Leute hätte arbeiten sollen, an, er solle dieselbe Arbeit wie für die Regierung machen, sowie, dass er das doppelte verdiene würde, wie bei der anderen Firma (AS 150). Sie hätten dem Vater gesagt, sie hätten selbst ein Unternehmen, für das der Beschwerdeführer arbeiten solle (AS 146).

Hieran leuchtet einerseits nicht ein, wozu Taliban oder Daesh einen Registrator brauchen sollten, der Dokumente digitalisiert. Weiter ist unklar, warum dem Beschwerdeführer ein derartiges Jobangebot durch Bedrohung unterbreitet worden sein sollte. So geht etwa aus dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 23.10.2020 (OZ 18) in das Verfahren eingebrachten EASO COI Report: Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen von September 2016 hervor, die Taliban würden sich insbesondere wirtschaftlicher Anreize bedienen, um junge Leute zu rekrutieren, die zu einem freiwilligen Zulauf an Kämpfern führen würden (1.4.1. Wirtschaft und Arbeitslosigkeit, S. 21). Hiermit steht zwar eine angebotene Bezahlung im Einklang, jedoch nicht, dass der Beschwerdeführer und sein Vater bedroht werden und die Personen sich im Geschäft des Vaters derart gebärden. Weiter geht zwar aus dem eben zitierten EASO-Bericht hervor, dass es Hazara in den Reihen der Taliban gibt. Zwang wird jedoch nicht beschrieben und zudem betont, dass nicht ersichtlich sei, dass die Taliban Menschen aus der ethnischen Gruppe der Hazara oder der Gemeinschaft der Schiiten zwangsrekrutieren sollten, weil sie ihnen vertrauen können müssten (Kapitel 1.3.2. Hazara in den Reihen der Taliban, insbesondere S. 20). Die EASO Country Guidance betont zudem im Hinblick auf die Zwangsrekrutierung allgemein, dass die Taliban im Hinblick auf Freiwillige keine Engpässe hätten, zu Zwangsrekrutierung komme es nur in Ausnahmefällen. Etwa würden sie Personen mit militärischem Hintergrund rekrutieren oder in akut angespannten Situationen auf Zwangsrekrutierung zurückgreifen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 6. Individuals at risk of forced recruitment by armed groups, S. 53-54). Dies ist jedoch gegenständlich nicht ersichtlich und sind insbesondere die vom Beschwerdeführer angeführten Fähigkeiten von EASO nicht als relevant angegeben. Die UNHCR-Richtlinien hingegen berichten zwar vom Einsatz von Zwang bei der Rekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte, jedoch lediglich in Gebieten, die unter ihrer tatsächlichen Kontrolle stehen (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung, Buchstabe a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs), S. 59-60). Dies ist jedoch im Hinblick auf Kabul, dass unter Kontrolle der Regierung steht, wie sich etwa aus dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 23.10.2020 (OZ 18) in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.07.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt), ergibt (Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.1. Kabul, insbesondere Abschnitt Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure). Insgesamt erweist sich der vom Beschwerdeführer als fluchtauslösend in den Raum gestellte Fluchtvorbringen als nicht glaubhaft. Mangels konkreter Gefährdungshinweise in der Vergangenheit ist auch eine Gefährdung von Seiten regierungsfeindlicher Kräfte im Fall der Rückkehr nach Kabul nicht zu erwarten. So ist der EASO Country Guidance zufolge für die Abschätzung der individuellen Gefährdung insbesondere relevant: die Verbindung zu einem Ministerium „in vorderster Reihe“ im Kampf gegen Aufständische (z.B. Verteidigungsministerium), eine hohe Position innerhalb der Regierung (z.B. Richter, Staatsanwälte, anderes Justizpersonal), eine „prominente“ Position innerhalb der Gemeinschaft, die Herkunft aus einem umkämpften Gebiet oder einem Gebiet mit Aufständischenpräsenz, persönliche Feindschaften, sowie ein offenes Statement gegen die Taliban (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 2. Government officials, including judges, prosecutors and judicial staff; and those perceived as supporting the government, S. 50). Derartige Gefährdungsmomente sind im Fall des Beschwerdeführers nicht ersichtlich und hat dieser insbesondere nicht für die Regierung gearbeitet, sondern lediglich für ein privates Unternehmen, weswegen Anhaltspunkte für eine Gefährdung im Fall der Rückkehr ohne vorhergehende Bedrohungen noch weniger ersichtlich sind.

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei nicht, dass es zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen bedarf und insbesondere die Dichte dieses Vorbringens nicht mit „normalen Maßstäben“ gemessen werden darf. Aus der Entscheidung muss sich erkennen lassen, dass solche Umstände in die Beweiswürdigung Eingang gefunden haben und darauf Bedacht genommen wurde, aus welchem Blickwinkel die Schilderung der Fluchtgeschichte erfolgte (VwGH 11.08.2020, Ra 2020/14/0347). Gegenständlich war der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des behaupteten fluchtauslösenden Vorfalles und der Ausreise noch minderjährig. Der Beschwerdeführer war jedoch bereits mindestens 16 Jahre alt und ist daher davon auszugehen, dass er den kognitiven Entwicklungsstand eines Erwachsenen schon beinahe erreicht hatte. Zudem zeigt der Beschwerdeführer mit seinen konsistenten und detaillierten Schilderungen vom Inhalt der Tätigkeit, dass er in der Lage ist, Umstände aus diesem Zeitraum im Kern gleichbleibend und widerspruchsfrei zu schildern. Auch der Umstand, dass sich das Vorbringen vor dem Hintergrund der Länderberichte als nicht schlüssig erweist, ist im Übrigen nicht durch die damalige Minderjährigkeit des Beschwerdeführers erklärbar.

Zur wiederholt vom Beschwerdeführer in den Raum gestellten Gefährdung wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara ist zunächst auszuführen, dass dem Länderinformationsblatt zufolge die schiitische Religionszugehörigkeit wesentlich zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara zählt (Länderinformationsblatt, Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 16.3. Hazara). Bedingt durch die nach der Berichtslage untrennbare Verbundenheit von Ethnie und Religionszugehörigkeit kann den UNHCR-Richtlinien oftmals nicht eindeutig zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits oder aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit andererseits unterschieden werden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Unterabschnitt Schiiten, S. 69-70). Daher scheint in diesem Fall eine gemeinsame Betrachtung der Merkmale der Religions- und der Volksgruppenzugehörigkeit geboten.

Den UNHCR-Richtlinien lässt sich zwar entnehmen, dass Hazara gesellschaftlich diskriminiert werden und gezielt durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, körperliche Misshandlung und Inhaftierung erpresst würden. Berichtet wird jedoch auch von erheblichen wirtschaftlichen und politischen Fortschritten, auch wenn es zu Fällen von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte kommt (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 106-107). Nach den UNHCR-Richtlinien ist jedoch für die Lage im Hinblick auf eine Gefährdung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit insbesondere auf den Wohnort abzustellen (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, S. 103).

Im Hinblick auf Kabul ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen, dass die Stadt ethnisch divers ist, berichtet wird von „Hazara-Vierteln“, zu denen auch der vom Beschwerdeführer als Herkunftsbezirk genannte Bezirk XXXX (AS 17) zählt (Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.1. Kabul). Von spezifischen Übergriffen auf Hazara bzw. Schiiten berichtet das Länderinformationsblatt im Hinblick auf Kabul insbesondere für das Viertel, aus dem der Beschwerdeführer stammt. Dieses sei im Lauf des Jahres 2019 wiederholt Schauplatz von Angriffen des ISKP gewesen, die Regierung habe Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart (Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.3. Hazara). Angriffe auf die schiitische Bevölkerung Kabuls insbesondere durch ISKP finden auch in der EASO Country Guidance Erwähnung (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Unterabschnitt Kabul, S. 101-102).

Im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara geht EASO allerdings davon aus, dass eine Gefährdung alleine hieraus noch nicht entsteht, sondern aus weiteren hinzutretenden Merkmalen resultiert, darunter etwa Schiit zu sein, auch wenn EASO von ähnlichen Vorfällen berichtet, wie auch UNHCR und das Länderinformationsblatt (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and reilious minorities, Buchstabe a. Individuals oft Hazara ethnicity, S. 69-70). Im Hinblick auf Schiiten geht die EASO Country Guidance jedoch ebenso davon aus, dass zur Abschätzung der Gefährdung auf individuelle Umstände abzustellen ist, während die bloße Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam noch nicht ausreicht und nennt insbesondere die Herkunftsregion (im Hinblick auf die operationale Präsenz des ISKP), die Teilnahme an religiösen Praktiken und politischen Aktivismus (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and reilious minorities, Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70).

Beim Beschwerdeführer sind derartige risikoerhöhende Elemente nicht ersichtlich, so ist die Stadt Kabul unter Regierungskontrolle, zudem hat der Beschwerdeführer selbst angegeben auf die regelmäßige Teilnahme an religiösen Praktiken keinen Wert zu legen (OZ 11, S. 9) und ist politischer Aktivismus ebenso nicht ersichtlich. Insgesamt erscheint damit eine Verwicklung des Beschwerdeführers in einen Anschlag auf die schiitische Bevölkerung Kabuls wenig wahrscheinlich und war daher festzustellen, dass ihm im Fall der Rückkehr nach Kabul keine Übergriffe durch Privatpersonen oder staatliche Stellen drohen, weil er der Volksgruppe der Hazara angehört oder sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt.

Im Hinblick auf das zuletzt im Zuge der mündlichen Verhandlung am 07.06.2019 erstattete Vorbringen, dem Beschwerdeführer würden bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch deshalb unterstellt, er sei ein Ungläubiger, welcher als Verräter und Feind der Taliban bzw. auch des Daesh angesehen werde, weil er sich seit Oktober 2015 in Österreich aufhalte (OZ 11, S. 10), ist zunächst auszuführen, dass der Beschwerdeführer diesbezügliche Rückkehrbefürchtungen nicht aus eigenem Antrieb äußerte. So wurde er im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.06.2019 von seiner Rechtsvertreterin befragt, ob es andere Gründe gebe, warum er nicht nach Afghanistan zurückkehren könne und antwortete hierauf bloß floskelhaft, er habe große Angst um sein Leben vor den Taliban und Daesh. Die Taliban seien überall, auch in Kabul und Herat. Seine Familie lebe auch nicht mehr in Afghanistan und er habe dort niemanden mehr (OZ 11, S. 9).

Einen konkreten Bezug zu sich selbst lässt der Beschwerdeführer hierin nicht erkennen. Anschließend veranlasste seine Rechtsvertreterin den Beschwerdeführer durch richtiggehende Suggestivfrage dazu, sich zu seinen religiösen Gewohnheiten in Österreich zu äußern, sowie, seine Tätowierung zu erwähnen. Auf die Frage hin, was er denke, wie Taliban und Daesh zu Personen stünden, die über längere Zeit im Westen bzw. in Europa aufhältig gewesen seien, gibt der Beschwerdeführer erneut lediglich Floskeln an, nämlich er habe im Fernsehen gesehen und über das Internet mitbekommen, diejenigen, die in Europa leben würden, würden von den Taliban als Kafer (also einen Ungläubige) und Feinde bezeichnet. Wenn diese Personen zurückkehren würden, würden sie bestraft (OZ 9, S. 9). Zwar finden etwa in den UNHCR-Richtlinien Vorfälle Erwähnung, dass Rückkehrer aus westlichen Ländern von regierungsfeindlichen Gruppierungen bedroht, gefoltert oder getötet wurden, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen Gemächt hätten und „Ausländer“ geworden seien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, S. 52-53). UNHCR stellt dies jedoch nicht als „Massenphänomen“ dar. Die EASO Country Guidance berichten ebenso davon, dass Personen, die aus westlichen Staaten zurückkehren Ziel von Aufständischen werden können, weil sie als unislamisch wahrgenommen werden könnten. Für Männer wird allerdings berichtet, dieses Risiko sei minimal und von den spezifischen Umständen abhängig (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 13. Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 65-66). Der Beschwerdeführer kehrt allerdings nach Kabul zurück, eine Stadt, die unter Regierungskontrolle steht und sind dafür, dass er dort Aufständischen in die Hände fiele, keine Anhaltspunkte ersichtlich. Damit ist auch im Hinblick auf die Tätowierung des Beschwerdeführers eine Gefährdung nicht zu erwarten, insbesondere wird diesbezüglich auch lediglich eine Gefährdung von Seiten regierungsfeindlicher Kräfte vorgebracht. Ansonsten waren konkrete Anhaltspunkte nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgebracht.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance, und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur COVID-19-Pandemie im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsblatt, insbesondere auf den am 21.07.2020 und am 29.06.2020 eingefügten Informationen. Deren Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung im Herkunftsstaat werden im vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 23.10.2020 (OZ 18) in das Verfahren eingebrachten EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020 ebenso beschrieben (insbesondere Kapitel 2.1. Economic climate, Kapitel 2.2. Employment und 2.3. Poverty).

Die Feststellungen zur Gesundheitsversorgung im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 21. Medizinische Versorgung, sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020, Kapitel 2.6.2 Access and availability, S. 48 ff.).

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Kabul beruhen auf den übereinstimmenden Informationen des Länderinformationsblattes, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.1. Kabul, und der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Abschnitt Kabul, S. 101-102, insbesondere Unterabschnitt Focus on the capital: Kabul City, S. 102.

Die Feststellung zum internationalen Flughafen in Kabul beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Internationale Flughäfen in Afghanistan. Die EASO Country Guidance berichten, dass für den Flughafen von Kabul, fünf km vom Stadtzentrum entfernt im Stadtgebiet gelegen, zwar Zwischenfälle bekannt sind, die Erreichbarkeit sei jedoch über den Flughafen im Allgemeinen sicher gegeben (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection, Unterkapitel Travel and admittance, S. 130).

Im Hinblick darauf, ob der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Kabul im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode kommen oder misshandelt oder verletzt werden könnte, berichten die UNHCR-Richtlinien zwar hinsichtlich der Provinz Kabul, dass diese wiederholt die höchste Zahl ziviler Opfer, die hauptsächlich auf willkürlich Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen seien, verzeichnet habe (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 4. Interne Flucht- oder Neuansiedelungsalternative in Kabul, Buchstabe a) Die Relevanz von Kabul als interner Schutzalternative S. 127-128). Auch der EASO Country Guidance zufolge ist Kabul zwar von Gewalt betroffen. Ziel sind jedoch insbesondere die zivile Administration der Regierung, religiöse Kultstätten, Bildungseinrichtungen, im Zusammenhang mit Wahlen stehende Einrichtungen, etc. (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Abschnitt Kabul, S. 101-102, insbesondere Unterabschnitt Focus on the capital: Kabul City, S. 102), wie auch aus den bereits zitierten UNHCR-Richtlinien hervorgeht.

Die konkrete Gefährdung hängt nach der Einschätzung von EASO stark von individuellen Faktoren ab. In der Person des Beschwerdeführers sind jedoch keine individuellen Elemente ersichtlich, die ein erhöhtes Risiko erwarten lassen (z.B. z.B. Behinderung, Erkrankung, Betroffenheit von Strafverfolgung oder Verhaftung, extreme Armut, Vgl. EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, S. 26-30). Zudem verfügt der Beschwerdeführer dadurch, dass er einen Großteil seines Lebens in der Stadt verbracht hat, dort aufgewachsen ist und die Schule besucht hat, zweifellos über ausgezeichnete Ortskenntnisse und kann überdies auf das Wissen seiner nach wie vor in Kabul dort aufhältigen Angehörigen zurückgreifen. Eine Rückkehr scheint damit gefahrlos möglich.

Die Feststellung, dass zu erwarten ist, dass der Beschwerdeführer sich eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, beruht auf einer Zusammenschau der individuellen Umstände der Rückkehrsituation und Merkmale des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der allgemeinen Versorgungslage im Herkunftsstaat, wie sie im Länderinformationsblatt (insbesondere Kapitel 20. Grundversorgung) und dem aktuelleren, insbesondere bereits die COVID-19-Pandemie umfassend berücksichtigenden EASO COI Report: Afghanistan Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020 dargestellt wird.

Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter, verfügt über nach afghanischen Verhältnissen relativ gute Schulbildung, nachdem dem Länderinformationsblatt zufolge lediglich 56,1 % der Kinder im entsprechenden Alter überhaupt eine Grundschule besuchen (Kapitel 17. Relevante Bevölkerungsgruppen, Unterkapitel 17.2. Kinder, Abschnitt Schulbildung in Afghanistan) und zudem über mehrjährige Berufserfahrung, die er sowohl im Herkunftsstaat, als auch in Österreich erworben hat. Er hat sein gesamtes Leben bis zur Ausreise nach Europa in Afghanistan verbracht und ist daher mit Sitten und Gepflogenheiten vertraut. Weiter kehrt der Beschwerdeführer in seine Herkunftsstadt und in den bestehenden Haushalt seiner Familie zurück, in dem der Beschwerdeführer auch bis zu seiner Ausreise gelebt hat. Die Familie lebt in der eigenen Wohnung und kann der Beschwerdeführer zudem – wie auch schon vor seiner Ausreise – durch Mitarbeit im Geschäft des Vaters zum Familieneinkommen beitragen, bis es ihm gelingt, allenfalls anderwärtig Arbeit zu finden, um so zum Haushaltseinkommen beizutragen. Im Übrigen kann der Beschwerdeführer bei der Arbeitssuche auf seine alten sozialen Netzwerke, sowie auf die seiner Familie zurückgreifen, insbesondere, weil persönliche Kontakte bei der Arbeitssuche dem Länderinformationsblatt zufolge eine große Rolle spielen (Kapitel 20. Grundversorgung, Abschnitt Arbeitsmarkt). Die Lebensgrundlage des Beschwerdeführers erscheint im Ergebnis im Fall der Rückkehr gesichert.

Im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass dieser gesund ist und folglich spezifischer Behandlungsbedarf nicht ersichtlich ist. Angesichts der Verfügbarkeit grundlegender medizinischer Versorgung im Herkunftsstaat erscheint seine medizinische Versorgung damit gewährleistet. Zur COVID-Pandemie ist überdies anzumerken, dass eine Erkrankung des Beschwerdeführers für den Rückkehrfall zwar nicht ausgeschlossen werden kann, jedoch ist beim anfang-20-jährigen Beschwerdeführer ein Hinweis auf einen zu erwartenden besonders schweren Verlauf der Erkrankung nicht ersichtlich.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten