Entscheidungsdatum
13.11.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W159 2199126-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2018, Zl. 15-1096108001-15182456 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.
IV. Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis VI. wird stattgegeben und diese ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, schiitischer Moslem, ledig und zum Zeitpunkt der Einreise minderjährig, gelangte (spätestens) am 21.11.2015 mit seiner Mutter, illegal ins österreichische Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Mutter gab bei der niederschriftlichten Einvernahme durch die Sicherheitheitsbehörde im Wesentlichen an, dass die Familie aus Sicherheitsgründen Afghanistan verlassen hätte.
Der Beschwerdeführer gab im Beisein seiner Mutter, als gesetzliche Vertreterin, am 23.02.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion (RD) Tirol befragt zu den Fluchtgründen an, dass die Familie durch eine Bombenexplosion mit dem Auto verunfallt sei. Der Beschwerdeführer ergänzte, er hätte keine Probleme mit den Behörden gehabt, sei kein Mitglied einer politischen Gruppierung und Partei gewesen. Er sei von staatlicher Seite nie wegen seiner politischen Gesinnung, seiner Rasse, Religion, Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden. Er sei gemeinsam mit seiner Familie ausgereist und habe keine eigenen Gründe.
Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid vom 24.05.2018 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. §§ 3 Abs. 1 bzw. 8 Abs. 1 jeweils iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 leg. cit. nicht (Spruchpunkt III.), erließ gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG); Spruchpunkt IV.), stellte gem. § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und setzte gem. § 55 Abs. 1–3 die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).
In der Begründung des Bescheides wurde dargelegt, dass der Beschwerdeführer keine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung von staatlicher Seite angegeben habe. Es sei ihm als jungem, gesundem, arbeitsfähigen Mann mit der Unterstützung seiner Familie möglich und zumutbar, in seinem Heimatland selbst für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Da im gesamten Staatsgebiet Afghanistans aufgrund der Länderfeststellungen keine allgemeine Gefahr festgestellt werden hätte können, gehe das BFA davon aus, dass im Heimatstaat des Beschwerdeführers keine individuelle bzw. konkrete Bedrohung i.S. des Art. 2 bzw. 3 EMRK drohe.
In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend zu Spruchteil I. hervorgehoben, dass aus dem gesamten Verfahren keine Bedrohung oder Verfolgung wegen der Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, Religion oder politischen Gesinnung vorgegangen wäre. Zu Spruchteil II. wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer keine Angaben hinsichtlich einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in sein Heimatland betreffend eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention oder, dass es eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, gemacht hätte. Es sei festzuhalten, dass er in Afghanistan keiner Verfolgung ausgesetzt sei. Es hätte unter Berücksichtigung der aktuellen Feststellungen betreffend Afghanistan weiters nicht festgestellt werden können, dass er im Falle einer Rückkehr einem Personenkreis angehören würde, von welchem anzunehmen sei, dass er sich in Bezug auf seine individuelle Versorgungslage als dermaßen qualifiziert schutzbedürftiger darstelle, als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen könne. Von einer finanziellen Notsituation des gesetzlichen Vertreters sei nichts berichtet worden. Es lasse sich keine Gefährdung im Sinne des § 8 AsylG ableiten. Da ein Familienverfahren nach § 34 AsylG vorliegen würde, und dem anderen Mitglied kein subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei, sei auch dem Beschwerdeführer aufgrund des Familienverfahrens kein subsidiärer Schutz zuerkennen. Zu Spruchteil III. wurde festgehalten, dass es keine Hinweise auf das Bestehen der Zuerkennungsvoraussetzung nach § 57 AsylG gäbe. Zu Spruchteil IV. wurde zunächst festgehalten, dass der Beschwerdeführer sich in Österreich mit seiner Mutter illegal aufhalten würde. Von einer Rückkehrentscheidung sei die gesamte Familie betroffen seien und daher sei eine Rückkehrentscheidung zulässig. Hinsichtlich des Privatlebens sei festzuhalten, dass keine schützenswerten, privaten und sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich bestünden und auch keine Hinweise auf besondere Integrationsaktivitäten erkennbar sein. Er habe durch seine illegale Einreise den öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen, denen hohe Bedeutung zukomme, widersprochen und sei daher nach einer Gesamtabwägung eine Rückkehrentscheidung als gerechtfertigt anzusehen.
Da auch keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG vorliege und einer Abschiebung nach Afghanistan auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe, sei eine solche auszusprechen gewesen. Auch Gründe für eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise wären nicht hervorgekommen.
Die belangte Behörde habe dargelegt, dass die Beschwerdeführerin Afghanistan aufgrund der allgemeinen Lage verlassen habe. Ihre Heimatprovinz XXXX sei indes als relativ friedliche Provinz gewertet und so stelle die Stadt XXXX sogar eine innerstaatliche Fluchtalternative dar.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch XXXX , innerhalb offener Frist gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wird neben einer Wiederholung des Vorbringens, im speziellen darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer und seine Familie auf der sogenannten „Todesstraße“ zur Hochzeit unterwegs gewesen seien. In den Länderfeststellungen werde unter dem Punkt Bewegungsfreiheit ausgeführt, dass in manchen Teilen des Landes die fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung darstelle. In manchen Teilen würden Gewalt von Aufständischen, Landminen und improvisierte Sprengfallen das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht machen. Die Beschwerde führt weiters aus, bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte das BFA erkennen müssen, dass aufgrund der schlechterwerdenen Sicherheitslage, dem Beschwerdeführer mit einer Zurückweisung, Zurück- bzw. Abschiebung nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung nach Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 bzw. Nr. 13 drohen würde. Bezüglich des Gesundheitszustands der Mutter des Beschwerdeführers würde erläutert, dass sie an Depressionen und an Diabetes leide. Es sei zu befürchten, dass sich ihre Depressionen bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der Stresssituation noch weiter verschlechtern würden. Es sei auch in Afghanistan eine Behandlung von Depressionen schwer möglich, da man über diese Krankheit nicht sprechen würde. Außerdem würde aus den Länderfeststellungen hervorgehen, dass Folgebehandlungen in Bezug auf Depressionen of schwierig zu leisten seien, traditionell mangle es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.10.2020 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer erschien mit seiner Mutter, auch als Beschwerdeführerin, der Rechtsvertretung „ XXXX “, das BFA hatte mit Schreiben vom 31.08.2020 die Abstandnahme von der Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung erklärt.
Der Beschwerdeführer gab an, er wisse nicht sehr viel über den Inhalt der Beschwerde, aber die Aussage seiner Mutter stimme und er halte sein bisheriges Vorbringen aufrecht. Die Mutter des Beschwerdeführers brachte bei der Übersetzung der Tazkira vor, dass der bei der Verhandlung anwesende Beschwerdeführer, ihr Sohn am XXXX geboren worden sei.
Der Beschwerdeführer gab an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, Tadschike, schiitscher Moslem und ledig. Er gab an, dass sich seine Aussage auf die Erzählungen seiner Familie stützen würde, da er es durch seine Mutter mitbekommen habe. Grundsätzlich sei seine Familie wegen mangelnder Sicherheit und aus wirtschaftlichen Gründen geflohen.
Zur Integration wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer unbescholten seit knapp fünf Jahren in Österreich lebt. Er sei bemüht die deutsche Sprache zu erlernen und habe das Niveau B2 erreicht. Er habe den Pflichtschulabschluss erfolgreich absolviert. Der Beschwerdeführer gehe zahlreichen freiwilligen Tätigkeiten nach und habe einen großen Freundeskreis. Er würde gerne eine Ausbildung zum Maler beginnen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zum Leben in Österreich:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Tadschike, schiitischer Moslem und ledig. Zum Zeitpunkt der Einreise war er minderjährig.
Er hatte jedenfalls weder mit afghanischen Behördenorganen noch mit bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban noch mit Privatpersonen Probleme. Er hat mit seiner Familie wegen mangelnder Sicherheit und aus wirtschaftlichen Gründen Afghanistan verlassen und hat sich in der Einvernahme vor dem BFA und bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auf die Fluchtgründe der Mutter bezogen.
In Österreich hat der Beschwerdeführer sich gut integriert. Er hat sich einen Freundeskreis aufgebaut und den Pflichtabschluss absolviert. Er strebt eine Lehre als Maler an. Er spricht sehr gutes Deutsch und geht zahlreichen freiwilligen Tätigkeiten nach. Der Beschwerdeführer ist unbescholten.
Der Beschwerdeführer unterstützt seine Mutter, die aufgrund der Erlebnisse in Afghanistan psychische Probleme hat und wegen diesen sowie wegen Diabetes in ärztlicher Behandlung steht. Die Mutter des Beschwerdeführers ist eine multimorbide Persönlichkeit und gehört zur Risikogruppe der COVID-19 Pandemie. Sie benötigt die Hilfe des Beschwerdeführers, um den Alltag bewältigen zu können.
Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
- Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden unstrittigen Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl betreffend den Beschwerdeführer; insbesondere in das Befragungsprotokoll der Mutter, als Erziehungsberichtigte durch die Landespolizeidirektion – XXXX am 21.11.2015, durch Einvernahme des Beschwerdeführers durch das BFA, RD Tirol, am 23.02.2018, Einsichtnahme in die Beschwerdeschrift eingelangt am 22.06.2018, Befragung des Beschwerdeführers in der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.10.2020, sowie durch Einsichtnahme in diverse vom Beschwerdeführer bzw. seiner Vertretung vorgelegte Urkunden, insbesondere einer Bestätigung über die Absolvierung des Pflichtschulabschlusses.
- Einsicht in das Strafregister.
2. Beweiswürdigung:
Der Mutter des Beschwerdeführers wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
Für den Beschwerdeführer wurden keine eigenen Verfolgungsgründe vorgebracht. Da die Gewährung von subsidiärem Schutz ausschließlich im Familienverfahren erfolgt, bedarf es keiner eigneen Länderfeststellungen.
Die Unbescholtenheit ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH v. 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH v. Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH v. 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; VwGH v. 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH v. 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vgl. auch VwGH v. 16.02.2000, Zl. 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH v. Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH v. 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH v. 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH v. 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; VwGH v. 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; VwGH v. Zl. 98/20/0233).
Eine Verfolgung, dh. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH vom 27.01.2000, 99/20/0519, VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256, VwGH vom 04.05.2000, 99/20/0177, VwGH vom 08.06.2000, 99/20/0203, VwGH vom 21.09.2000, 2000/20/0291, VwGH vom 2000/01/0153, u.a.).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Dem Beschwerdevorbringen ist weiters zu entgegnen, dass ein Mangel an asylrelevanten Fluchtgründen auch nicht durch Länderberichte (und Judikaturzitate) ersetzt werden kann, (vgl. auch BVwG vom 28.10.2016, W159 2110938-1/17E).
Der Beschwerdeführer hat keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht. Die Mutter des Beschwerdeführers hat vorgebracht, dass sie aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen geflohen seien. Die vorgegebenen Gründe sind nicht asylrelevant. Es wurde seiner Mutter auch nicht Asyl gewährt, sodass dem Beschwerdeführer dieser Status auch nicht im Wege des Familienverfahrens zuerkannt werden kann.
Demzufolge ist auch dem Beschwerdeführer nicht der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids
Wird ein Antrag auf internationalen Schutz „in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten“ abgewiesen, ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, „wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde“. Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 zu verbinden (Abs. 2 leg. cit.).
§ 8 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den „Herkunftsstaat“ des Asylwerbers. Dies ist dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.40.1999, 98/20/0561; 20.05.1999, 98/20/0300).
§ 34 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:
„Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.“
Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).
Familienangehörige sind gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.
Bei dem Begriff „Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK“ handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil v. 13.6.1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).
Nach dem oben zitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jene zu den Kindern durch Art. 8 MRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtsprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.
Die Unmöglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat wird in der Regel dann gegeben sein, wenn kein anderer Staat ersichtlich ist, der dem Asylberechtigten und seinem Angehörigen Asyl oder eine dem Asylrecht entsprechende dauernde Aufenthaltsberechtigung gewährt.
Mit seiner Mutter führt der Beschwerdeführer, der bei seiner Einreise und Antragsstellung minderjährig war, ein Familienleben. Er und seine Mutter sind Familienangehörige gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, wonach dem Beschwerdeführer ein Familienleben getrennt von seiner Mutter, die auf seine Hilfe angewiesen ist, in einem anderen Staat zumutbar ist oder möglich wäre.
Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war stattzugeben, da der Mutter des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt wurde. Dementsprechend ist dem unbescholtenen Beschwerdeführer, gemäß § 34 AsylG wie oben bereits ausgeführt, der Status eines subsidiär Schutzberechtigten, gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005, in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 war dem – im Übrigen gut integrierten – Beschwerdeführer daher auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter in der Dauer von einem Jahr zu erteilen (VwGH vom 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).
Behebung Spruchpunkte III. und VI. des angefochtenen Bescheides
Auf Grund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten waren die Spruchpunkte III. und VI. des angefochtenen Bescheides– gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG (vgl. VwGH vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0162) – ersatzlos zu beheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
befristete Aufenthaltsberechtigung Familienverfahren Glaubhaftmachung mangelnde Asylrelevanz subsidiärer Schutz VerfolgungsgefahrEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W159.2199126.1.00Im RIS seit
15.01.2021Zuletzt aktualisiert am
15.01.2021