TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/16 G313 2214965-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.11.2020
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Entscheidungsdatum

16.11.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G313 2214965-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Rumänien, vertreten durch RA Dr. Wolfgang VACARESCU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.01.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 22.01.2019 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ein für die Dauer von acht Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs. 3 FPG dem BF ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 22.02.2019 langte die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) ein.

4. Am 14.07.2020 wurde mit dem BF und seinem Rechtsvertreter eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist rumänischer Staatsangehöriger. Er besitzt die im Spruch festgehaltene Identität mit Namen und Geburtsdatum.

1.2. Der BF reiste im Juni 2012 zusammen mit seiner Lebensgefährtin, einer rumänischen Staatsangehörigen, in das österreichische Bundesgebiet ein. Im Oktober 2015 wurde in Österreich ihr gemeinsamer Sohn geboren. Dieser ist nunmehr fünf Jahre alt.

Der BF lebt im Bundesgebiet mit seiner Lebensgefährtin und dem mit ihr gemeinsamen Sohn in gemeinsamem Haushalt zusammen.

Er hat in Österreich noch seine Mutter, seinen Stiefvater und seinen Bruder als nahe familiäre Bezugspersonen, in Rumänien abgesehen von der Mutter seiner Lebensgefährtin hingegen keine mehr.

1.3. Der BF ist seit 14.06.2012 im Bundesgebiet ununterbrochen mit Hauptwohnsitz gemeldet. Seine Lebensgefährtin und der mit ihr gemeinsame nunmehr fünf Jahre alte Sohn ist an derselben Adresse gemeldet wie der BF.

1.4. Dem BF wurde nach Antragstellung am 29.04.2019 am 12.01.2015 ein Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck „Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer)“ erteilt.

1.5. Der BF wurde im Bundesgebiet mit Urteil eines Landesgerichtes für Strafsachen vom 12.09.2018, rechtskräftig und vollstreckbar mit 18.09.2019,

?        wegen teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls, Urkundenunterdrückung, Entfremdung unbarer Zahlungsmittel, wegen versuchten schweren Betruges und wegen Verleumdung zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten, davon 24 Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren strafrechtlich verurteilt, und

?        als Erstangeklagter mehrerer Angeklagter zusammen mit dem im Urteil namentlich genannten Zweitangeklagten gemäß § 369 Abs. 1 StPO zur Leistung der von den Privatbeteiligten geforderten Geldbeträgen im Ausmaß von EUR 300,-, EUR 6.000,-, EUR 600,-, EUR 400,-, EUR 10.000,-, EUR 25.000,-, EUR 788,- EUR 25.000,-, EUR 2.000,- EUR 70,- und EUR 9.144,24 jeweils zur ungeteilten Hand an die Privatbeteiligten binnen 14 Tagen bei sonstiger Zwangsfolge verurteilt.

1.5.1. Dieser strafrechtlichen Verurteilung des BF lagen folgende Straftaten zugrunde:

A. I. Der BF hat zusammen mit dem im Urteil namentlich genannten Zweitangeklagten zu bestimmten Zeiten bzw. in bestimmten Zeiträumen im Gesamtzeitraum von 30. November 2016 bis 21. Dezember 2017 an bestimmten Orten im Bundesgebiet bestimmten im Urteil namentlich genannten Geschädigten fremde bewegliche Sachen in einem EUR 5.000,-, nicht jedoch EUR 300.000,- übersteigenden Gesamtwert durch Einbruch, Einsteigen und Eindringen in Gebäude und in einen Lagerplatz teils mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel, teils durch Aufbrechen von Behältnissen und Sperrvorrichtungen mit dem Vorsatz teils weggenommen, teils wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei sie ihre Taten ab 15. Dezember 2016 in der Absicht ausführten, sich durch ihre wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen und bereits zwei solche Taten begangen haben.

II. Der BF hat des Weiteren

1.       im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem im Urteil namentlich genannten hierfür bereits von einem bestimmten Straflandesgericht rechtskräftig verurteilten Zweitangeklagten als Mittäter:

a)       im Zeitraum vom 03. bis 04. Mai 2017 einer bestimmten GesmbH & Co KG Werkzeuge und Maschinen im Gesamtwert von zumindest EUR 9.144,24 durch Aufbrechen einer Türe eines Mannschaftscontainers mit einem unbekannten Flachwerkzeug, Aufzwicken von Vorhängeschlössern eines Werkzeugcontainers und einer Werkzeugkiste und Aufbrechen einer Stahltüre einer Tiefgarage,

b)       in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 2017 in zwei Angriffen Berechtigten einer GmbH durch gewaltsames Aufzwicken von mit einem Vorhängeschloss verschlossenen Türen zum Reifenlage sowie Aufbrechen eines Fensters, wobei es infolge Auslösens eines Alarmes beim Versuch blieb;

2.       als unmittelbarer Täter im Zeitraum vom 29. September 2017 bis 16. Oktober 2017 an einem bestimmten Ort im Bundesgebiet unbekannten Geschädigten drei Heckenscheren, eine Pumpe, zwei Wagenheber, eine Metallbox mit Stahlarmbändern, einen Rasenmäher, zwei Sessel, einen Biertisch, einen Transportwagen und weiteres Werkzeug in einem EUR 5.000,- nicht übersteigenden Wert, indem er zunächst das von Beamten des Landeskriminalamtes am 21. September 2017 angebrachte Vorhängeschloss am Container auf dem Areal einer Firma mit einem Bolzenschneider aufbrach bzw. aufschnitt, in weiterer Folge ein eigenes Vorhängeschloss montierte und ein paar Tage später die angeführten Gegenstände aus dem Container entnahm und in einem von ihm selbst angemieteten Container deponierte;

III. Der BF wurde im Zeitraum von 26. bis 27. Juli 2017 von seinem Mittäter hinsichtlich der unter Punkte I. und I.1. angeführten Straftaten zur Ausführung der unter Punkt II.2. angeführten Straftaten dadurch gemäß § 12 zweiter Fall StGB bestimmt, dass er von diesem telefonisch angewiesen wurde, den Container aufzubrechen und darin befindliche Sachen zu sich zu nehmen;

B. Der BF hat mit dem Zweitangeklagten im Zeitraum vom 26. bis 27. Juli 2017 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter im Zuge einer unter Punkt A.I. beschriebenen Tathandlung Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, nämlich den Führerschein und die Sozialversicherungskarte einer bestimmten namentlich genannten Person mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis von Rechten, Rechtsverhältnissen oder Tatsachen gebraucht werden;

C. Der BF hat mit dem Zweitangeklagten im Zeitraum vom 26. bis 27. Juli 2017 im bewussten und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter im Zuge einer unter Punkt A.I. beschriebenen Tathandlung sich ein unbares Zahlungsmittel, über das sie nicht verfügen durften, nämlich die Bankomatkarte der vorhin unter Punkt B. genannten Person mit dem Vorsatz unterdrückt, dessen Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern; (…)

E. Der BF hat im Zeitraum von Oktober bis zum 22. November 2017 zusammen mit den im Urteil genannten Zweit- und Fünftangeklagten im bewussten und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, einen bestimmten namentlich genannten Polizeibeamten und weitere namentlich nicht bekannte Polizeibeamte durch Vorlage einer mit 8. September 2017 datierten handschriftlichen inhaltlich unrichtigen Bestätigung des Fünftangeklagten und eines mit 7. September 2017 datierten vom Fünfangeklagten und vom BF unterfertigten inhaltlich unrichtigen Kaufvertrages, sohin durch Vorlage von falschen Beweismitteln zu einer Handlung, nämlich zur Herausgabe des in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft sichergestellten PKWs zu verleiten versucht, welche die Republik Österreich in einem EUR 5.000,- nicht übersteigenden Betrag am Vermögen schädigen sollte;

F. Der BF hat am 06. April 2018 zwei namentlich genannte Polizeibeamte dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Haftrichter eines Straflandesgerichtes bezüglich der von ihm zuvor zusätzlich zugestandenen 13 Einbruchsfakten behauptete, die Polizeibeamten hätten ihn damals unter Druck gesetzt und er habe diese nur zugestanden, weil die Polizisten im Zuge der Festnahme gedroht hätten, ihm ansonsten seine Kinder wegzunehmen, diese mithin einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Vergehens der Nötigung unter Ausnützung einer Amtsstellung nach den §§ 105 Abs. 1, 313 StGB falsch verdächtigt, wobei er wusste, dass die Verdächtigung falsch ist.

1.5.2. Bei der Strafbemessung des Strafrechtsurteils von 12.09.2018 wurde beim BF als Erstangeklagten die Unbescholtenheit in Verbindung mit dem umfassenden, reumütigen, auch der Wahrheitsfindung dienlichen Geständnis, die gezeigte Kooperation bei der Polizei und die Nennung des Komplizen, die teilweise Sicherstellung des Diebsgutes und die weiteren Angaben und Aufklärungen im Zuge der Ausführungen sowie der Tatsache, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, „mildernd“, und das Zusammentreffen von einem Verbrechen und drei Vergehen, der lange Deliktszeitraum und auch noch weitere Straftaten während des Ermittlungsverfahrens „erschwerend“ gewertet.

Das Strafgericht führte im Urteil des Weiteren an, dass beim BF als Erstbeklagten aufgrund seiner gezeigten umfassenden Schuldeinsicht und der Tatsache in Bezug auf die Täter- und Rollenverteilung nach Meinung des Gerichtes auch mit einer teilbedingten Haftstrafe das Auslangen gefunden werden konnte, zumal eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der BF keine weiteren Straftaten mehr begehen wird bzw. werde.

1.5.3. Der BF, der insgesamt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr unbedingt und zwei Jahren Freiheitsstrafe bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren strafrechtlich verurteilt wurde, befand sich wegen seiner Straftaten bereits ab 20.03.2018 in Haft und wurde nach Verbüßung eines Teils seiner unbedingten Haftstrafe am 20.11.2018 bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren wieder aus der Strafhaft entlassen.

1.5.4. Nachdem dem BF in der mündlichen Verhandlung seine Straftaten vorgehalten worden waren, gab er an, er habe selbst „nichts geplant“ und sei dabei „nur ein kleiner Mitläufer“ gewesen, organisiert und verkauft habe alles sein Freund, der Mittäter (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 6).

Nach weiterem Vorhalt, der BF habe gewusst, dass er ein Kind und eine Lebensgefährtin habe und bewusst in Kauf genommen, durch eine Haftstrafe von ihnen getrennt zu sein (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 6), gab er an, damals nicht daran gedacht zu haben, „jetzt habe ich mich geändert und verhalte mich anders“ und fügte er nach weiterem Vorhalt, dass die Taten auch in Rumänien Straftaten seien, hinzu, „ich habe damals nicht daran gedacht; ich hatte nichts im Kopf“. (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 7).

1.6. Der BF ist im Bundesgebiet im Zeitraum von Juni 2014 bis April 2015 einer Beschäftigung nachgegangen, hat im Zeitraum von April 2015 bis September 2018 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen, war im Zeitraum von Jänner bis März 2017 in einem freien Dienstverhältnis geringfügig beschäftigt, ging im Zeitraum von März 2017 bis August 2017 einer Beschäftigung nach, und bezog im März, Juli und August 2016, und in den Zeiträumen von Oktober 2017 bis April 2018 und von Dezember 2018 bis März 2019 Krankengeld. Der BF ist nunmehr seit Februar 2019 Pensionsbezieher wegen geminderter Arbeitsfähigkeit und krankenversichert.

Der BF hat monatlich EUR 450,- Miete für seine Wohnung, in welcher er mit seiner Lebensgefährtin und seinem fünf Jahre alten Sohn in gemeinsamem Haushalt zusammenwohnt, zu bezahlen und hatte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 14.07.2020 ca. EUR 80.000,- Schulden. Wie er seine Schulden begleichen soll, weiß er nicht, wie er glaubhaft der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG angab. (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 8)

Die Höhe der Invaliditätspension des BF betrug nachweislich zum 01.01.2020 EUR 1.058,89 gesamt, bestehend aus EUR 871,05 Leistung zuzüglich Kinderzuschuss für ein Kind in Höhe von EUR 29,07 und Ausgleichszulage in Höhe von EUR 215,68 abzüglich Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von EUR 56,91, und nachweislich zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG EUR 1.080,-.

Die Lebensgefährtin des BF war im Bundesgebiet im Zeitraum von Februar bis März 2019 geringfügig beschäftigt, geht derzeit jedoch keiner Beschäftigung nach.

1.7. Der BF ist gesundheitlich beeinträchtigt. Er leidet an Muskeldystrophie, einer Gruppe von Muskelerkrankungen, wobei es sich um Erbkrankheiten handelt, die durch genetische Mutationen verursacht werden, welche meist zu Defekten oder zu einem Mangel von in der Muskulatur vorkommenden Proteinen führt. In Rumänien, seinem Herkunftsstaat, blieb seine Erkrankung unentdeckt.

Bei seiner Untersuchung des BF in Österreich in einer Ambulanz für Neurologie am 02.03.2018 berichtete der BF, er habe seit seinem 22. Lebensjahr Schmerzen in beiden Kniekehlen, woraufhin eine Schwäche im Schultergürtelbereich beidseits hinzugekommen sei, und zuletzt auch eine Schwäche vor allem im Bereich der Fußheber beidseits, aufgrund dessen er sehr häufig stürzen würde. Eine Schwäche sei auch im Gesicht vorhanden, der BF könne die Augen nicht zur Gänze schließen, den Mund nicht fest zu halten und unmöglich einen Ballon aufblasen.

Mit Arztbefund vom 02.03.2018 wurde erstmals ein „klinisch dringender Verdacht“ auf „Fazio-scapulo-humerale Muskeldystrophie (FSHD) gehegt (AS 181). Diese konkrete Erkrankung ist gekennzeichnet durch fortschreitende Muskelschwäche mit fokaler Beteiligung der Gesichts-, Schulter-, und Armmuskeln.

Wie mit Arztbefund vom 02.03.2018 erwähnt, wurde bei der Schwester des BF diese Form der Muskeldystrophie bereits bestätigt. Zum Zeitpunkt der Arztbefunderstellung am 02.03.2018 war die Schwester des BF 15 Jahre alt und wurde sie diesbezüglich an einer Kinderklinik betreut.

Der BF erhielt nach seinem Antrag vom 25.04.2019 im Juni 2019 einen unbefristet ausgestellten Behindertenpass mit einem festgestellten Gesamtbehinderungsgrad von 70 v.H. und der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ und einen Parkausweis für Behinderte.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie des nunmehr vorliegenden Gerichtsaktes.

2.2. Zur Person des BF und seinen individuellen Verhältnissen:

2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum) und Staatsangehörigkeit des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

2.2.2. Dass der BF im Juni 2012 mit seiner rumänischen Lebensgefährtin in Österreich eingereist ist und nunmehr mit dieser und dem mit ihr gemeinsamen, nunmehr fünf Jahre alten Sohn in gemeinsamem Haushalt zusammenwohnt, ergab sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt. Die Feststellungen zu den sonstigen familiären Verhältnissen des BF konnten aufgrund der diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 14.07.2020 getroffen werden (VH-Niederschrift, S.8).

2.2.3. Die Feststellungen zu den Hauptwohnsitzmeldungen des BF und die Feststellung zur Hauptwohnsitzmeldung des BF, seiner Lebensgefährtin und ihres gemeinsamen Sohnes an derselben Adresse im Bundesgebiet konnten aufgrund entsprechender Anfrageergebnisse im Zentralen Melderegister getroffen werden.

2.2.4. Dass dem BF nach Antragstellung am 29.04.2019 am 12.01.2015 eine Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) erteilt wurde, ging aus einem Fremdenregisterauszug hervor.

2.2.5. Die Feststellungen zur rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des BF im Bundesgebiet und den dieser zugrundeliegenden strafbaren Handlungen beruhen auf dem diesbezüglichen Strafrechtsurteil im Akt (AS 77ff). Dass der BF insgesamt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr unbedingt und 2 Jahren Freiheitsstrafe bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren strafrechtlich verurteilt wurde, sich wegen seiner Straftaten bereits ab 20.03.2018 in Haft befand, und nach Verbüßung eines Teils seiner unbedingten Haftstrafe am 20.11.2018 bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren wieder aus der Strafhaft entlassen worden ist, ergab sich aus einem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich.

2.2.6. Die Feststellungen, dass der BF im Bundesgebiet in den Zeiträumen von Jänner bis März 2017 in einem freien Dienstverhältnis geringfügig beschäftigt war und auch in den Zeiträumen von Juni 2014 bis April 2015 und von März 2017 bis August 2017 Beschäftigungen nachgegangen ist, im Gesamtzeitraum von April 2015 bis Dezember 2018 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, im März, Juli und August 2016 und in den Zeiträumen von Oktober 2017 bis April 2018 und von Dezember 2018 bis März 2019 Krankengeld bezogen hat und nunmehr seit Februar 2019 Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bezieht und krankenversichert ist, konnte nach Einsicht in das AJ WEB – Auskunftsverfahren getroffen werden.

In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 14.07.2020 gab der BF einen Schuldenstand von ca. EUR 80.000,- an (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 7) und beantwortete die Frage, wie er diese Schulden begleichen werde, wie folgt:

„Das werde ich nicht können. Das Geld reicht grad zum Leben.“ (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 8)

Am 28. Juli 2020 langten beim BVwG unter anderem folgende vom Rechtsvertreter des BF übermittelte Urkunden ein:

?        Bescheid der PVA vom 18.03.2019 darüber, dass der Anspruch auf Invaliditätspension ab 01. Februar 2019 für die weitere Dauer der Invalidität anerkannt wird und ab 01.02.2019 EUR 155,13, bestehend aus Ausgleichszulage in Höhe von EUR 126,06 und Kinderzuschuss für ein Kind in Höhe von EUR 29,07, beträgt;

?        Bescheid der PVA vom 01.04.2019 darüber, dass die Ausgleichszulage ab 01.03.2019 neu festgestellt wird und ab 01.03.2019 EUR 142,28 monatlich und ab 01.04.2019 EUR 207,18 monatlich beträgt;

?        Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA) von Jänner 2020, womit der BF zum 01.01.2020 bzw. über eine Höhe der Invaliditätspension von gesamt EUR 1.058,89, bestehend aus EUR 871,05 Leistung zuzüglich Kinderzuschuss für ein Kind in Höhe von EUR 29,07 und Ausgleichszulage in Höhe von EUR 215,68 abzüglich Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von EUR 56,91 verständigt wurde, und mit welchem angemerkt wurde, dass eine Anpassung der Leistungen des BF durchgeführt, und dem BF ein unbefristet gültiger „PENSIONIST/INNEN-AUSWEIS“ mitübermittelt wurde.

Demnach bezog der BF zum 01.01.2020 nachweislich EUR 1.058,89 Invaliditätspension gesamt, bestehend aus EUR 871,05 Leistung zuzüglich Kinderzuschuss für ein Kind in Höhe von EUR 29,07 und Ausgleichszulage in Höhe von EUR 215,68 abzüglich Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von EUR 56,91.

In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 14.07.2020 gab der BF glaubhaft an, EUR 1.080,- Pension zu erhalten. (VH-Niederschrift, S. 7). Sein laufender (Invaliditäts-) Pensionsbezug seit 01.02.2019 ergab sich jedenfalls auch aus dem AJ WEB-Auskunftsverfahren.

Dass die Lebensgefährtin des BF im Bundesgebiet im Zeitraum von Februar bis März 2019 geringfügig beschäftigt war, nunmehr jedoch keiner Beschäftigung nachgeht, ergab sich ebenso aus dem AJ WEB – Auskunftsverfahren.

2.2.6. Der BF leidet an (einer bestimmten Form von) Muskeldystrophie. Worum es sich bei dieser Erkrankung handelt, konnte nach Internetrecherche festgestellt werden. Dass diese Krankheit nicht bereits in Rumänien, seinem Herkunftsstaat, sondern erst in Österreich entdeckt worden ist, ergab sich seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung am 14.07.2020 (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 9).

In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG fand folgender Wortwechsel statt (dabei VR für verhandelnde Richterin):

„VR: Seit wann besteht die Krankheit?

BF: Ich habe es seit der Geburt, aber es hat so richtig angefangen mit dem 15. Lebensjahr. Damals wusste ich nichts von der Krankheit.

VR: Wann ist es Ihnen dann schlechter gegangen?

BF: Vor 3 Jahren.

VR: Es gibt dazu keine neueren Befunde?

BF: Nein. Die letzte Untersuchung war 2018. (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 4)

(…)

VR: Wenn es mit 15 Jahren aufgetreten ist, ist es in Rumänien auch schon aufgetreten?

BF: Ich war beim Arzt, aber es ist nichts gefunden worden. Von dieser Krankheit habe ich erst vor 3 Jahren erfahren. Ich bin nur im Auto gesessen, das war nicht schwer sitzen zu bleiben.“ (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 9)

In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 14.07.2020 wurde bezüglich der Krankheit des BF auf einen dem Verwaltungsakt einliegenden Befund vom 02.03.2018 (AS 181) hingewiesen. Die Feststellungen zur Krankheit des BF samt den vom BF bei seiner Untersuchung am 02.03.2018 berichteten gesundheitlichen Beschwerden ergaben sich ebenso aus dem Arztbefund vom 02.03.2018 wie die Feststellungen, dass auch bei der Schwester des BF Muskeldystrophie vorliegt und sie deswegen im Alter von 15 Jahren in einer Kinderklinik behandelt wurde.

Am 28. Juli 2020 langten beim BVwG unter anderem folgende vom Rechtsvertreter des BF übermittelte Urkunden ein:

?        Parkausweis für Behinderte;

?        Schreiben des Sozialministeriumservice vom 24.06.2019, womit dem BF aufgrund seines Antrags vom 25.03.2019 mitgeteilt wurde, dass laut Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 70 v.H. festgestellt wurde und die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ vorliegen und dem BF der unbefristet ausgestellte Behindertenpass im Scheckkartenformat in den nächsten Tagen übermittelt wird.

Demnach besitzt der BF somit einen unbefristet gültigen Behindertenpass mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“, und einen Parkausweis für Behinderte.


3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Anzuwendendes Recht:

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Unionsbürgern, die nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG und Art 16 Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs 4 Z 18 FPG) erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots der in Art 28 Abs 2 Freizügigkeitsrichtlinie und § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs 1 FPG angesiedelt ist - heranzuziehen (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057). Ein Aufenthaltsverbot gegen Personen, denen das Recht auf Daueraufenthalt zukommt, setzt demnach auch voraus, dass ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.

Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet in den Absätzen 1 und 2 wie folgt:

„Ausweisung

§ 66.

(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.“

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen.

3.2. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der BF ist Staatsangehöriger von Rumänien und damit EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Er hält sich seit seiner Einreise im Juni 2012 seit mehr als acht Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Unter Bedachtnahme auf § 53a Abs. 2 NAG, wonach die Kontinuität des Aufenthalts bei Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr nicht unterbrochen wird, wurde sein seit Juni 2012 bestehender Aufenthalt in Österreich durch seinen Besuch bzw. seinen kurzzeitigen Aufenthalt in Rumänien vor 3-4 Jahren, im Jahr 2016, 2017, jedenfalls nicht unterbrochen.

Der BF erhielt am 12.01.2015 eine unbefristete „Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer)“ nach Antragstellung am 29.09.2014. Sein NAG-Aufenthaltstitel besteht nunmehr bereits seit mehr als sechs Jahren.

Aufgrund eines rechtmäßigen über fünfjährigen, aber unter zehnjährigen Aufenthalts des BF in Österreich wäre der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") iVm § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit") anzuwenden. Demnach würde ein zwischen den beiden Prüfungsmaßstäben nach § 67 Abs. 1 S. 2 und § 67 Abs. 1 S. 5 FPG liegender Gefährdungsmaßstab zur Anwendung kommen.

Im Folgenden ist jedoch erst zu prüfen, ob bzw. wie lange der sich auf eine am 12.01.2015 unbefristet ausgestellte „Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer)“ stützende Aufenthalt des BF im Bundesgebiet überhaupt „unionrechtlich rechtmäßig war“ bzw. immer noch ist.

Der Verwaltungsgerichtshof (im Folgenden: VwGH) hat in seiner Entscheidung vom 04.10.2018, Ra 2017/22/0218, Folgendes ausgesprochen:

„Unter dem in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG bezogenen rechtmäßigen Aufenthalt ist ein im Einklang mit den in dieser Richtlinie - insbesondere in deren Art. 7 Abs. 1 - vorgesehenen Voraussetzungen stehender Aufenthalt zu verstehen. Ein Aufenthalt, der nicht die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG erfüllt, kann nicht als ein "rechtmäßiger" Aufenthalt iSd Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie angesehen werden (vgl. EuGH 21.12.2011, Ziolkowski, C-424/10 und C-425/10).

Ein kurz nach der Einreise beginnender, seit über sieben Jahren andauernder Bezug der Ausgleichszulage steht mit der Voraussetzung nach § 51 Abs. 1 Z 2 NAG 2005 nicht in Einklang (vgl. VwGH 26.1.2017, Vorheriger SuchbegriffRa 2016/21/0177).

Der Regelung des § 55 NAG 2005 (vgl. RV 330 BlgNR 24. GP, 53) lässt sich nicht entnehmen, dass auch über das Fehlen einer fünfjährigen, ununterbrochenen Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes (iSd § 53a Abs. 1 NAG 2005) in einem Verfahren nach § 55 Abs. 3 NAG 2005 abzusprechen wäre. Dies ist auch aus systematischen Erwägungen nicht anzunehmen, weil die dem Verfahren nach § 55 Abs. 3 NAG 2005 immanente mögliche Aufenthaltsbeendigung in Fällen, in denen nicht das aktuelle Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, sondern nur die Frage der hinreichenden rechtmäßigen Aufenthaltsdauer in Rede steht, von vornherein nicht in Betracht kommt.

Sollte die Niederlassungsbehörde der Ansicht sein, dass die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts nachträglich weggefallen sind, hat sie nach § 55 NAG 2005 vorzugehen und ist nicht zur Antragsabweisung berechtigt (Hinweis E vom 17. November 2011, 2009/21/0378). Daran ändert auch nichts, dass sich der Fremde im Ausland aufhält, weil mit der im Weg des § 55 NAG 2005 herbeigeführten Entscheidung insbesondere auch über den von ihm gestellten Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte entschieden wird (vgl. das zur Ausweisung nach § 54 FrPolG 2005 ergangene E vom 20. Oktober 2011, 2008/18/0389, mit Hinweis auf Rechtsprechung zum FrG 1997.

Eine gesetzliche Grundlage für den feststellenden Ausspruch durch die Niederlassungsbehörde, wonach der Fremde auf Grund des Gemeinschaftsrechts nicht (mehr) über ein Aufenthaltsrecht in Österreich verfüge, existiert nicht. Die Fremdenpolizeibehörde (nunmehr das BFA) hat - auch für den Fall des nachträglichen Wegfalls der Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts - die Frage des Bestehens des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts und die Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung zu beurteilen (vgl. VwGH 17.11.2011, 2009/21/0378, wo es um die Frage ging, ob einem Fremden überhaupt ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukam).

§ 55 Abs. 3 NAG 2005 nimmt hinsichtlich der Einleitung eines aufenthaltsbeendenden Verfahrens nicht nur auf das Fehlen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes aus Gründen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit Bezug, sondern auch auf das Fehlen des Aufenthaltsrechts, weil die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder 54 Abs. 2 NAG 2005 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen (vgl. VwGH 18.6.2013, 2012/18/0005).

(…)

Im Aufenthaltsbeendigungsverfahren, in dem verbindlich über das Weiterbestehen der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht entschieden wird, ist für die Vergangenheit in Bezug auf den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nicht (jedenfalls) vom Vorliegen dieser Voraussetzungen auszugehen; vielmehr hat die Behörde (das BFA) in diesem Verfahren eigenständig zu beurteilen, bis zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht vorgelegen sind und ob ausgehend davon bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben worden ist (vgl. VwGH 15.3.2018, Vorheriger SuchbegriffRa 2017/21/0191).

Die Entscheidung in einem nach § 55 Abs. 3 NAG 2005 eingeleiteten Aufenthaltsbeendigungsverfahren und die Prüfung des Bestehens eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts im Zeitraum davor stellen voneinander zu unterscheidende Beurteilungen dar (vgl. VwGH 15.3.2018, Vorheriger SuchbegriffRa 2017/21/0191).“

Der VwGH hielt in seiner Entscheidung des Weiteren Folgendes fest:

„Die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38/EG betreffend das Erfordernis ausreichender Existenzmittel sollen verhindern, dass Unionsbürger die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates unangemessen in Anspruch nehmen (vgl. EuGH, 21.12.2011, Ziolkowski C-424/10 und C-25/10). Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG soll nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaates zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13).

Die österreichische Ausgleichszulage hat Sozialhilfecharakter, soweit sie dem Empfänger im Fall einer unzureichenden Rente ein Existenzminimum gewährleisten soll (vgl. EuGH 29.4.2004, Skalka, C- 160/02). Die Ausgleichszulage kann als "Sozialhilfeleistung" (iSd Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG) angesehen werden. Der Umstand, dass ein EWR-Bürger zum Bezug dieser Leistung berechtigt ist, kann einen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (vgl. EuGH 19.9.2013, Brey, C-140/12).“

Ob der BF über hinreichend Existenzmittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes iSv § 51 Abs. 1 Z. 2 NAG verfügt, ist anhand einer konkreten Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen vorzunehmen (vgl. VwGH 20.08.2018, Ra 2018/21/0047).

Der BF erhielt am 12.01.2015, demnach zu einem Zeitpunkt, seine „Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer)“, als er im Bundesgebiet einer Beschäftigung nachgegangen ist. Dieses Beschäftigungsverhältnis währte von Juni 2014 bis April 2015. Danach hat der BF Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen. Erst im Zeitraum von Jänner bis März 2017 war er im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses geringfügig beschäftigt und ging er im Zeitraum von März 2017 bis August 2017 einer weiteren Beschäftigung nach. Ansonsten hat er Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bzw. Krankengeld bezogen.

Nunmehr bezieht der BF laufend – seit 01.02.2019 – Invaliditätspension. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 14.07.2020 betrug diese EUR 1.080,- monatlich. Bei der Invaliditätspension mitenthalten ist ein Zuschuss für ein Kind und eine Ausgleichszulage, die laut oben angeführter VwGH- und EuGH-Judikatur einen Anhaltspunkt dafür darstellen kann, dass der BF nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt. Der BF hat monatlich EUR 450,- Miete für die Wohnung zu bezahlen und sorgt auch für den Lebensunterhalt seiner mit ihm in gemeinsamem Haushalt lebenden Lebensgefährtin, welche keiner Beschäftigung nachgeht, und dem mit ihr gemeinsamen fünfjährigen Sohn.

In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 14.07.2020 gab der BF an, gerade ausreichend zum Leben zu haben und nicht zu wissen, wie er seinen Schuldenstand von ca. EUR 80.000,- begleichen solle. In Gesamtbetrachtung kann nicht davon ausgegangen werden, dass der BF, dessen letzte Beschäftigung im Bundesgebiet im August 2017 geendet hat, über hinreichend Existenzmittel iSv § 51 Abs. 1 Z. 2 NAG besitzt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Hinreichend Existenzmittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes besaß er nach Beendigung seines letzten Beschäftigungsverhältnisses im August 2017 (konkret am 26.08.2017), zu welchem Zeitpunkt bereits hauptsächlich in Mittäterschaft ab November 2016 begangene Einbruchsdiebstähle zu verzeichnen waren, nicht mehr.

Darauf hinzuweisen ist, dass gemäß § 11 Abs. 2 NAG Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden dürfen, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Gemäß § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse, wenn die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Der unionsrechtlich rechtmäßige Aufenthalt des BF im Bundesgebiet hatte damals nicht erst zum Zeitpunkt der Beendigung seiner von März bis August 2017 nachgegangenen Beschäftigung im August 2017, sondern bereits mit seinem ersten in Mittäterschaft begangenen Einbruchsdiebstahl am 30. November 2016 geendet, waren zu diesem Zeitpunkt zusammen mit dem im Urteil von September 2018 genannten und strafrechtlich verurteilten Zweitangeklagten doch weitere Einbruchsdiebstähle geplant. Ab 30.11.2016 ist dem BF somit kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht mehr zugekommen, und sind die Voraussetzungen für die ihm am 12.01.2015 erteilte Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) - jedenfalls vor Erreichung einer fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet – weggefallen.

Im gegenständlichen Fall kommt bei der Prüfung daher nicht der zwischen den Prüfungsmaßstäben nach § 67 Abs. 1 S. 2 und § 67 Abs. 1 S. 5 FPG liegende Gefährdungsmaßstab, sondern wegen Unterschreitung eines zehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet der einfache Prüfungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 S. 2 FPG zur Anwendung. Demnach ist somit zu prüfen, ob vom BF im Bundesgebiet eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, welche ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, ausgeht.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nicht ausdrücklich angeführt, welchen Gefährdungsmaßstab sie bei ihrer Prüfung angewendet hat, sondern deuten die Hinweise im angefochtenen Bescheid auf die „Maßgeblichkeit der beeinträchtigten öffentlichen Interessen für das Wohlergehen und Wohlbefinden der Bevölkerung“ und auf „die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Nachhaltigkeit – aufgrund der wiederkehrenden Missachtung der Rechtsordnung, des langen Tatzeitraumes bzw. der Vielzahl an Delikten“ (AS 239) zunächst auf Anwendung des Prüfungsmaßstabes nach § 67 Abs. 1 S. 5 FPG hin, wonach bei einem Aufenthalt im Bundesgebiet seit zehn Jahren die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zulässig ist, wenn die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch einen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet wurde.

Dann erst wurde in der Rechtlichen Beurteilung auf einen rechtmäßigen Aufenthalt des BF (seit Antragstellung zur Anmeldebescheinigung am 29.09.2014) hingewiesen und nach kurz- und allgemeingehaltener fallbezogener Ausführung auf eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geschlossen, wobei sich die belangte Behörde zuvor gar nicht näher mit dem gesamten persönlichen Verhalten des BF und seinen der strafrechtlichen Verurteilung von September 2018 zugrunde liegenden strafbaren Handlungen auseinandergesetzt, sondern bezüglich der Straftaten des BF nur allgemeingehalten und kurz ausgeführt hat:

„Sie wurden über einen langen Zeitraum strafrechtlich aktiv, wozu Sie verurteilt wurden und Ihre Freiheitsstrafe verbüßten.“ (AS 240).

Der BF wurde im Bundesgebiet mit Urteil eines Landesgerichtes für Strafsachen vom 12.09.2018, rechtskräftig und vollstreckbar mit 18.09.2019,

?        wegen teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls, Urkundenunterdrückung, Entfremdung unbarer Zahlungsmittel, wegen versuchten schweren Betruges und wegen Verleumdung zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten, davon 24 Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren strafrechtlich verurteilt, und

?        als Erstangeklagter mehrerer Angeklagter zusammen mit dem im Urteil namentlich genannten Zweitangeklagten gemäß § 369 Abs. 1 StPO zur Leistung der von den Privatbeteiligten geforderten Geldbeträgen im Ausmaß von EUR 300,-, EUR 6.000,-, EUR 600,-, EUR 400,-, EUR 10.000,-, EUR 25.000,-, EUR 788,- EUR 25.000,-, EUR 2.000,- EUR 70,- und EUR 9.144,24 jeweils zur ungeteilten Hand an die Privatbeteiligten binnen 14 Tagen bei sonstiger Zwangsfolge verurteilt.

Dieser strafrechtlichen Verurteilung des BF lagen zusammengefasst folgende Straftaten zugrunde:

Der BF hat in den Jahren 2016 und 2017 zusammen mit dem im Urteil von 2018 angeführten Zweitangeklagten als Mittäter und im September und Oktober 2017 auch als Einzeltäter, nachdem er vom Zweitangeklagten dazu bestimmt worden war, wiederholt Einbruchsdiebstähle begangen.

Abgesehen von diesen im Strafrechtsurteil unter Punkt A.I. und II. angeführten zum größten Teil in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter begangenen Einbruchsdiebstählen hat der BF noch folgende strafbare Handlungen begangen:

„B. Der BF hat mit dem Zweitangeklagten im Zeitraum vom 26. bis 27. Juli 2017 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter im Zuge einer unter Punkt A.I. beschriebenen Tathandlung Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, nämlich den Führerschein und die Sozialversicherungskarte einer bestimmten namentlich genannten Person mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis von Rechten, Rechtsverhältnissen oder Tatsachen gebraucht werden;

C. Der BF hat mit dem Zweitangeklagten im Zeitraum vom 26. bis 27. Juli 2017 im bewussten und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter im Zuge einer unter Punkt A.I. beschriebenen Tathandlung sich ein unbares Zahlungsmittel, über das sie nicht verfügen durften, nämlich die Bankomatkarte der vorhin unter Punkt B. genannten Person mit dem Vorsatz unterdrückt, dessen Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern; (…)

E. Der BF hat im Zeitraum von Oktober bis zum 22. November 2017 zusammen mit den im Urteil genannten Zweit- und Fünftangeklagten im bewussten und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, einen bestimmten namentlich genannten Polizeibeamten und weitere namentlich nicht bekannte Polizeibeamte durch Vorlage einer mit 8. September 2017 datierten handschriftlichen inhaltlich unrichtigen Bestätigung des Fünftangeklagten und eines mit 7. September 2017 datierten vom Fünfangeklagten und vom BF unterfertigten inhaltlich unrichtigen Kaufvertrages, sohin durch Vorlage von falschen Beweismitteln zu einer Handlung, nämlich zur Herausgabe des in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft sichergestellten PKWs zu verleiten versucht, welche die Republik Österreich in einem EUR 5.000,- nicht übersteigenden Betrag am Vermögen schädigen sollte;

F. Der BF hat am 06. April 2018 zwei namentlich genannte Polizeibeamte dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Haftrichter eines Straflandesgerichtes bezüglich der von ihm zuvor zusätzlich zugestandenen 13 Einbruchsfakten behauptete, die Polizeibeamten hätten ihn damals unter Druck gesetzt und er habe diese nur zugestanden, weil die Polizisten im Zuge der Festnahme gedroht hätten, ihm ansonsten seine Kinder wegzunehmen, diese mithin einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Vergehens der Nötigung unter Ausnützung einer Amtsstellung nach den §§ 105 Abs. 1, 313 StGB falsch verdächtigt, wobei er wusste, dass er die Verdächtigung falsch ist.“

Der BF, der wegen seiner im Bundesgebiet begangenen Straftaten insgesamt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr unbedingt und zwei Jahren Freiheitsstrafe bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren strafrechtlich verurteilt wurde, befand sich wegen seiner Straftaten bereits ab 20.03.2018 in Haft und wurde nach Verbüßung eines Teils seiner unbedingten Haftstrafe am 20.11.2018 bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren wieder aus der Strafhaft entlassen.

Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Hingewiesen wird darauf, dass bei der Strafbemessung des Strafrechtsurteils von 12.09.2018 beim BF als Erstangeklagten die Unbescholtenheit in Verbindung mit dem umfassenden, reumütigen, auch der Wahrheitsfindung dienlichen Geständnis, die gezeigte Kooperation bei der Polizei und die Nennung des Komplizen, die teilweise Sicherstellung des Diebsgutes und die weiteren Angaben und Aufklärungen im Zuge der Ausführungen sowie der Tatsache, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, „mildernd“, und das Zusammentreffen von einem Verbrechen und drei Vergehen, der lange Deliktszeitraum und auch noch weitere Straftaten während des Ermittlungsverfahrens „erschwerend“ gewertet wurde.

Das Strafgericht führte im Urteil des Weiteren an, dass beim BF als Erstbeklagten aufgrund seiner gezeigten umfassenden Schuldeinsicht und der Tatsache in Bezug auf die Täter- und Rollenverteilung nach Meinung des Gerichtes auch mit einer teilbedingten Haftstrafe das Auslangen gefunden werden konnte, zumal eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der BF keine weiteren Straftaten mehr begehen wird bzw. werde.

Fest steht, dass der BF seit seiner am 20.11.2018 bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren erfolgten Haftentlassung – nunmehr fast seit zwei Jahren – keine Straftaten im Bundesgebiet mehr begangen hat.

Der zum Zeitpunkt seiner Inhaftnahme am 20.03.2018 27 Jahre alte BF bedauert nunmehr die von ihm begangenen Straftaten.

Nachdem ihm diese am 14.07.2020 in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG vorgehalten worden waren, gab er zunächst an, er habe selbst „nichts geplant“ und sei dabei „nur ein kleiner Mitläufer“ gewesen, organisiert und verkauft habe alles sein Freund, der Mittäter (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 6).

Nach weiterem Vorhalt, der BF habe gewusst, dass er ein Kind und eine Lebensgefährtin habe und bewusst in Kauf genommen, durch eine Haftstrafe von ihnen getrennt zu sein (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 6), gab er an, damals nicht daran gedacht zu haben, „jetzt habe ich mich geändert und verhalte mich anders“ und fügte er nach weiterem Vorhalt, dass die Taten auch in Rumänien Straftaten seien, hinzu, „ich habe damals nicht daran gedacht; ich hatte nichts im Kopf“. (VH-Niederschrift vom 14.07.2020, S. 7).

Die Lebensgefährtin des BF, die mit ihm im Juni 2012 nach Österreich gereist ist und mit dem BF und ihrem gemeinsamen in Österreich im Oktober 2015 geborenen, nunmehr fünf Jahre alten Sohn, in gemeinsamem Haushalt zusammenlebt, hat den BF damals nicht von seinen Straftaten abgehalten bzw. offenbar davon abhalten können. Der BF hatte jedenfalls kein Rechtsbewusstsein, das ihn selbst vor diesen Straftaten bewahrt hätte.

Er hat zu den Tatzeitpunkten jeweils damit rechnen müssen, im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung zu einer Haftstrafe eine Zeit lang von seiner Lebensgefährtin und seinem zum Zeitpunkt seiner Inhaftnahme am 20.03.2018 rund zweieinhalb Jahre alten Sohnes – örtlich – getrennt zu werden.

Dem BF ist offenbar nach der mündlichen Strafverhandlung am 12.09.2018 das Unrecht seiner Straftaten bewusst worden.

Es ist im gegenständlichen Fall von einer positiven Zukunftsprognose und keinen weiteren strafbaren Handlungen des BF, der nunmehr seine Straftaten bedauert, auszugehen, hat der BF doch, wie in Gesamtbetrachtung aller individuellen Umstände und seines Gesamtverhaltens erkennbar und wie im Folgenden näher ausgeführt, einen positiven Gesinnungswandel vollzogen.

Das Bewusstwerden seiner ihm in Österreich mit Arztbefund vom 02.03.2018 diagnostizierten Krankheit – einer speziellen Form der Muskeldystrophie, dürfte entscheidend zu seinem im Zuge seiner Haft entwickelten Unrechtsbewusstsein beigetragen haben. Zum Zeitpunkt der Erstellung des Arztbefundes vom 02.03.2018 war bei der Schwester des BF bereits genetisch eine fazio skapulo humerale Muskeldystrophie bestätigt worden und wurde diese, damals 15 Jahre alt, deswegen in einer Kinderklinik behandelt.

Der BF hat, nachdem ihm die Auswirkungen bzw. möglichen Folgen seiner Krankheit und die Angewiesenheit in einer (krankheitsbedingten bzw.) allgemein hilfsbedürftigen Situation bewusst worden waren, zusammen mit seinem Unrechtsbewusstsein in Haft offenbar auch ein Verantwortungsbewusstsein – gegenüber seiner Lebensgefährtin und vor allem gegenüber seinem zum Zeitpunkt seiner Inhaftnahme am 20.03.2018 rund zweieinhalb Jahre alten, besonders auf beide Elternteile angewiesenen Sohn entwickelt und seine Vaterpflichten erkannt.

Weitere strafbare Handlungen des BF, der nach Beantragung im März 2019 im Juni 2019 einen unbefristet gültigen Behindertenpass mit festgestelltem Gesamtbehinderungsgrad von 70 v.H. und der Zusatzeintragung über die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung und einen Parkausweis für Behinderte erhalten hat, können zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt auf jeden Fall ausgeschlossen werden.

Es wird daher von keiner tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgegangen, und folglich der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung mangelnder Anknüpfungspunkt strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2214965.1.00

Im RIS seit

15.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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