TE Vwgh Erkenntnis 1981/9/10 2205/79

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Veröffentlicht am 10.09.1981
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Index

Verwaltungsverfahren - AVG
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG Teil1 Abschn4
AVG §14 Abs3
AVG §15
AVG §31
AVG §41 Abs1
AVG §41 Abs2
AVG §42 Abs2
AVG §44 Abs1
AVG §45 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Lehne und die Hofräte Dr. Straßmann, DDr. Hauer, Dr. Würth und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Davy, über die Beschwerde des EW in H, vertreten durch Dr. Friedrich Hohenauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, Templstraße 16, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 19. Juni 1979, Zl. Ve-550-652/1, betreffend eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. Gemeinde I, vertreten durch den Bürgermeister, 2. LJ in H), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 23. September 1978 suchte die zweitmitbeteiligte Partei beim Gemeindeamt I um die Baubewilligung für den Anbau eines Gartenhauses am Wohnhaus in I, S-weg, an. Der Bürgermeister der Gemeinde I beraumte für den 11. Oktober 1978 eine mündliche Verhandlung an, wobei als Betreff „die Erteilung der baubehördlichen Genehmigung für den Anbau eines Gartenhauses am bestehenden Wohnhaus an der Nordseite auf Gp. 604/3 der KG H sowie für die Errichtung einer Einfriedungsmauer zur Gp. 604/4 der KG H“ angegeben war und im Ladungsbescheid auf die Rechtsfolgen des § 42 AVG 1950 hingewiesen wurde. Eine Ausfertigung des Ladungsbescheides war an den Beschwerdeführer gerichtet. Im Akt befindet sich eine Durchschrift des Ladungsbescheides, auf welcher neben dem Namen des Beschwerdeführers eine Stampiglie „03. Okt. 1978“ und der Schriftzug „W“ angebracht sind. Dieser Schriftzug stimmt offenbar nicht mit der Unterschrift des Beschwerdeführers auf einer im Verwaltungsakt erliegenden Vollmacht überein. In der Verhandlungsschrift ist der Beschwerdeführer als anwesend angeführt. Als Gegenstand der Verhandlung ist „die Erteilung der baubehördlichen Genehmigung für die Errichtung eines Gartengerätehauses und einer Einfriedungsmauer an der nördlichen Grundstücksgrenze zur Gp. 604/4 der KG H sowie einer überdachten Sitzecke“ angegeben. Die Verhandlungsschrift enthält folgenden Satz: „Der Anrainer EW erklärt bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen gegen das Bauvorhaben keinen Einwand zu erheben und entfernte sich vor Niederschrift.“ Die Niederschrift trägt nicht die Unterschrift des Beschwerdeführers und auch nicht die Bestätigung der Richtigkeit der schriftlichen Wiedergabe von dem die Amtshandlung leitenden Organ (§ 14 Abs. 3 AVG 1950).

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde I vom 10. November 1978 wurde der zweitmitbeteiligten Partei für das in der Verhandlungsschrift bezeichnete Bauvorhaben gemäß § 31 Abs. 8 der Tiroler Bauordnung unter Vorschreibung einiger Auflagen die Baubewilligung erteilt. Unter der Überschrift „Parteienäußerungen“ ist in einem Abschnitt des Bescheides die in der Verhandlungsschrift aufscheinende Äußerung des Beschwerdeführers wiedergegeben. In der Begründung des Bescheides heißt es lediglich: „Bei Einhaltung der Bestimmungen der TBO, der Technischen Bauvorschriften und der obigen Vorschreibungen ist das Bauvorhaben in öffentlich-rechtlicher Hinsicht zulässig.“ Eine Ausfertigung dieses Bescheides war auch an den Beschwerdeführer gerichtet.

Gegen den Bescheid vom 10. November 1978 berief der Beschwerdeführer. Die Berufung enthält die Behauptung, daß die Erteilung der Baubewilligung gegen das Gesetz verstoße, wobei Mängel hinsichtlich des Ansatzes der Giebelhöhe, der Raumgestaltung im Zusammenhang mit der Bemessung der mittleren Wandhöhe, der Ausnahme von den Abstandsvorschriften im Zusammenhang mit der Bauhöhe, der Errichtung eines Kamines und der vermeintlich irreführenden Angabe des Verwendungszweckes des Gartengerätehauses aufgezeigt wurden. Die Berufung enthält weiters folgende Ausführungen: „Schließlich muß auch noch eine Feststellung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich des Verhaltens des Berufungswerbers bekämpft und richtiggestellt werden. Dieser erklärte keinesfalls, bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen gegen das Bauvorhaben keinen Einwand zu erheben, sondern er gab an, daß er sich vor einer Stellungnahme fachlich erkundigen müsse, es war nämlich so, daß der Berufungswerber erst unmittelbar vor der Verhandlung von einer auswärtigen längeren Dienstverrichtung - die Ladung wurde ihm direkt gar nicht zugestellt, sondern er erfuhr von der Verhandlung nur durch Mitteilung - zurückgekehrt war und daher gar keine Gelegenheit hatte, sich über den Sachverhalt und die rechtlichen Umstände zu informieren.“

Die Berufung wurde vom Gemeindevorstand der Gemeinde I mit Bescheid vom 28. März 1979, Zl. 131-1/79, gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 abgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt: „Anläßlich der am 11. Oktober 1978 an Ort und Stelle stattgefundenen Bauverhandlung gab Herr WE bekannt, daß er bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen gegen das Bauvorhaben keinen Einwand erhebt, er wolle aber noch fachliche Erkundigungen einholen. Herr W entfernte sich vor Abfassung der Niederschrift, stellte aber keinen Antrag auf Vertagung, sodaß nach § 42 Abs. 3 AVG 1950 eine Präklusion eingetreten ist. Ein Verhandlungsteilnehmer kann den Eintritt der Präklusionsfolgen nach § 42 AVG 1950 nicht dadurch abwenden, daß er sich in irgendeiner Form vorbehält, später Einwendungen zu erheben (VwGH 19.10.1970, 750/1970). Nach vorliegendem Zustellnachweis wurde Herr EW ordnungsgemäß zur Verhandlung geladen und hat auch im Gemeindeamt H vorgesprochen, wobei er sich über das geplante Bauvorhaben des Herrn J erkundigen wollte. Aus verwaltungstechnischen Gründen wurden die Geschäfte des Gemeindeamtes H im Zuge der Gemeindezusammenlegung im Jahre 1974 nach I verlegt, was auch Herrn W bekannt ist. Die Planunterlagen für das Bauvorhaben J lagen daher im Gemeindeamt I zur allgemeinen Einsicht auf, Herr W hat beim Gemeindeamt I jedoch nicht vorgesprochen und in die für das Verfahren eingereichten Pläne auch nicht Einsicht genommen. Gem. § 42 AVG 1950 finden Einwendungen, die nicht spätestens am Tage vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht werden, keine Berücksichtigung. Vorhaben, die den Gegenstand der Verhandlung bilden, werden daher als zustimmend angesehen. Auf Grund der dargelegten Erwägungen ist die Berufung abzuweisen und wie im Spruch zu entscheiden.“

Gegen den Berufungsbescheid erhob der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Vorstellung an die Aufsichtsbehörde gemäß § 112 der Tiroler Gemeindeordnung. Das Rechtsmittel wurde, wie folgt, begründet: „Von einer ordnungsgemäßen Ladung des Vorstellungswerbers zur Bauverhandlung kann überhaupt keine Rede sein. Er selbst wurde überhaupt nicht geladen, d. h. ihm wurde keine Ladung zugestellt, da er gar nicht zu Hause, sondern, wie in der Gemeinde auch bekannt ist, damals wie auch sonst dienstlich in Ostösterreich sich aufhielt, sodaß die Ladung nur an die Gattin des Vorstellungswerbers zugestellt werden konnte. Die sehr knappe Ladung hatte zur Folge, daß für den Vorstellungswerber es absolut unmöglich war, sich vorzubereiten, sodaß von einer ordnungsgemäßen Anberaumung im Sinne des § 41 Abs. 2 AVG nicht gesprochen werden kann. Der Vorstellungswerber mußte sich mit größter Mühe, da seine Gattin damals krank im Bette lag, dienstlich frei nehmen und ersuchte, nachdem er erst am Vortag der Verhandlung wieder in H sein konnte, um Verlegung des Termines, was ihm aber als nicht möglich abgelehnt wurde. Für eine Einsichtnahme in die Unterlagen in I war es zufolge der zeitlichen Knappheit auch nicht theoretisch Zeit für den Vorstellungswerber. Der Vorstellungswerber hat auch nie einen Rückschein zur Ladung zur Bauverhandlung, die er ja nicht zugestellt erhielt, gefertigt. Beweis: WW unter der Anschrift des Vorstellungswerbers. Es ist auch gar nicht richtig, daß der Vorstellungswerber bei der Bauverhandlung selbst nicht anwesend sein wollte, nachdem er eigens von Wien zugereist war. Er war zugegen, hat darauf verwiesen, daß er die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten wissen wolle und noch nicht Zeit gehabt habe, dies aus den dargelegten Gründen, sich vorzubereiten. Er hat sich nicht vor Abfassung der Niederschrift entfernt, sondern begab sich die Kommission der Bauverhandlung in das Haus des Antragstellers und man ließ den Vorstellungswerber einfach vor dem Haus stehen und niemand forderte ihn auf, in das fremde Haus, wo die Verhandlung dann offenbar zu Ende geführt wurde, mitzugehen. Der Vorstellungswerber war der Meinung, daß die Verhandlung beendet sei. Damit war durch das zumindest nicht eindeutige Verhalten des Verhandlungsleiters, der den Vorstellungswerber nicht mit ins Haus lud, ein unheilbarer Verstoß gegen § 43 Abs. 3 gegeben. Im übrigen war ja der Vorstellungswerber bei der Bauverhandlung bis zur Entfernung der Kommission in das Haus des Antragstellers zugegen und hat ausdrücklich festgehalten, daß er auf der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen besteht. Im Rahmen der Berufung hat sich der Vorstellungswerber auf Tatsachen und Rechtsfragen bezogen, die die Behörde von Amts wegen hätte beachten sollen, weshalb selbst ausgehend vom festgestellten Verhalten keinesfalls das Berufungsrecht verlorengegangen wäre. Im übrigen scheint nicht die vollständige Identität zwischen dem Gegenstand, der in der Kundmachung angeführt wurde, und dem Gegenstand der abgeführten Verhandlung und der Baubewilligung zu bestehen, sodaß schon aus diesbezüglichen, wenn auch nur geringfügigen Differenzen, eine Rechtsfolge nach § 42 Abs. 1 AVG überhaupt ausgeschlossen ist. Damit stellt sich aber die Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach sie der Meinung war, in die Sachentscheidung selbst nicht eingehen zu müssen, als unrichtig dar.“ In der Vorstellung wurden weiters noch Umstände aufgezeigt, welche nach Auffassung des Beschwerdeführers aus materiell-rechtlichen Gründen der Erteilung der Baubewilligung entgegenstehen.

Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 19. Juni 1979 wurde die Vorstellung gemäß § 112 Abs. 5 der Tiroler Gemeindeordnung 1966 abgewiesen. In der Begründung wurde nach Darstellung des Verfahrensverlaufes im wesentlichen ausgeführt: Der Beschwerdeführer sei Eigentümer der Gp. 604/4, KG H, und somit im Sinne des § 30 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung Nachbar, also Partei des Baubewilligungsverfahrens. Wie sich aus den Aktenunterlagen ergebe, sei der Beschwerdeführer zur Bauverhandlung am 11. Oktober 1978 im Wege der Ersatzzustellung gemäß § 23 AVG am 3. Oktober 1978 geladen worden. Da sich aus den Vorschriften der Bauordnung eine Verpflichtung zur Zustellung der Ladung für die Bauverhandlung zu eigenen Handen nicht ergebe, sei die von der Gemeinde vorgenommene Ersatzzustellung gerechtfertigt. Wenn in der Vorstellung angeführt werde, daß der Beschwerdeführer selbst nicht geladen und ihm eine Ladung auch nicht zugestellt worden sei, da er nicht zu Hause gewesen sei, sondern, wie in der Gemeinde bekannt, sich in Oberösterreich (gemeint: Ostösterreich) aufgehalten habe, so ziele diese Einwendung offenbar darauf hin, einen Zustellmangel geltend zu machen; gemäß § 23 Abs. 7 AVG sei nämlich bei vorübergehender Ortsabwesenheit eine Ersatzzustellung ausgeschlossen. Sollte der Gemeinde tatsächlich dieser Zustellmangel unterlaufen sein, so müsse jedoch im Sinne des § 31 AVG dem Vorstellungswerber entgegengehalten werden, daß derartige Zustellmängel ab dem Zeitpunkt, an welchem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist, tatsächlich zugekommen sei, beseitigt seien. Der Vorstellungswerber gebe selbst an, daß ihm die Ladung äußerst knapp zugekommen sei, sodaß für ihn eine Vorbereitung unmöglich gewesen wäre. Damit bekunde er aber, daß ihm die Ladung tatsächlich zugekommen sei. Ein eventueller Zustellmangel sei dadurch beseitigt worden. Auch das Auftreten bei der Behandlung selbst sowie die dargelegten Einwände ließen darauf schließen, daß ihm die Ladung zur Verhandlung tatsächlich zugekommen sei. Der Einwand des Beschwerdeführers, auf Grund der kurzen Ausschreibungsfrist zur Verhandlung nicht in der Lage gewesen zu sein, sich entsprechend vorzubereiten, führe ebenfalls nicht zum Ziel. Gemäß § 41 Abs. 2 AVG sei die Verhandlung so anzuberaumen, daß die Teilnehmer rechtzeitig und vorbereitet erscheinen könnten. In der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung auf einen zu kurzen Termin würde ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 41 Abs. 2, erster Satz,AVG vorliegen. Ein solcher Verfahrensmangel könne von der betroffenen Partei jedoch nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn sie bei der Verhandlung einen Vertagungsantrag gestellt habe und diesem nicht entsprochen worden sei. Sollte also im gegenständlichen Fall die Verhandlungsausschreibung tatsächlich zu kurz bemessen gewesen sein, so wäre es Aufgabe des Beschwerdeführers gewesen, einen Vertagungsantrag zu stellen, um etwaige Nachteile zu verhüten. In der im Akt erliegenden Niederschrift finde sich jedoch kein Hinweis, daß ein derartiger Antrag gestellt worden sei. Da der Beschwerdeführer dies unterlassen habe, könne dieser Verfahrensmangel nicht mehr geltend gemacht werden. Gemäß § 42 Abs. 1 AVG habe die Bekanntmachung bzw. die Ladung zu einer mündlichen Verhandlung zur Folge, daß Einwendungen, die nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht würden, keine Berücksichtigung fänden und die Beteiligten dem Parteienantrag, dem Vorhaben oder der Maßnahme, die den Gegenstand der Verhandlung bildeten, als zustimmend angesehen würden. Die Wirkung der Präklusion bestehe darin, daß sich diese Partei des Rechtes, Einwendungen zu erheben, bezüglich jener Einwendungen verschwiegen habe, die spätestens während der Verhandlung gegen den Antrag vorzubringen gewesen wären. Derartige Einwendungen könne die Partei im weiteren Verfahren nicht mehr wirksam vorbringen. Aus der Verhandlungsniederschrift vom 11. Oktober 1978 ergebe sich, daß der Beschwerdeführer nur erklärt habe, bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen gegen das Bauvorhaben keinen Einwand zu erheben. Außerdem habe er sich vor Aufnahme der Niederschrift entfernt. Gemäß § 30 Abs. 4 der Tiroler Bauordnung könnten die Nachbarn nur die Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte mit Einwendung geltend machen. Die vom Beschwerdeführer in der Bauverhandlung vom 11. Oktober 1978 vorgebrachte Einwendung, bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen keinen Einwand zu erheben, könne nicht als dem Gesetz entsprechende Einwendung angesehen werden, weil mit dieser nicht die Verletzung eines subjektiven Rechtes geltend gemacht worden sei (vgl. Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshof es vom 6. März 1957, Zl. 1078/56, und vom 18. April 1966, Zl. 157/66). Aus § 42 Abs. 1 und 2 AVG ergebe sich, daß Gegenstand des Berufungsverfahrens nur diejenigen Einwendungen des Einschreiters sein könnten, die er bei der mündlichen Verhandlung erhoben habe. Der Beschwerdeführer sei sohin im Berufungsverfahren mit all jenen Einwendungen präkludiert gewesen, die er erstmals in der Berufung vorgebracht habe. Dem Gemeindevorstand könne daher nicht entgegengetreten werden, wenn er Präklusion angenommen habe. Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, der Verhandlungsleiter habe ihn nicht gemäß § 43 Abs. 3 AVG ausdrücklich in das Haus geladen, sei nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung. Der Beschwerdeführer sei bei der Verhandlung dabei gewesen und habe Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. Es würde über die bestehende Manuduktionspflicht hinausgehen, wenn der Verhandlungsleiter jede einzelne Partei persönlich einladen müßte, bei der Aufnahme der Niederschrift anwesend zu sein. Vielmehr sei es Aufgabe jeder Partei, an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes mitzuwirken. Der Beschwerdeführer sei dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, sondern habe sich vor Aufnahme der Niederschrift entfernt. Den diesbezüglichen Mangel habe er sich daher selbst zuzuschreiben. Der Behauptung des Beschwerdeführers, eine Präklusionsfolge nach § 42 Abs. 1 AVG könne nicht eintreten, weil zwischen dem Gegenstand der Verhandlung und der Anführung des Verhandlungsgegenstandes in der Ladung nicht völlige Identität bestehe, sei entgegenzuhalten, daß zu Beginn der Verhandlung deren Gegenstand dargelegt worden sei, wie aus der Verhandlungsniederschrift einwandfrei ersichtlich sei. Zudem führe der Beschwerdeführer selbst aus, daß nur eine geringfügige Differenz vorliege. Es wäre daher Aufgabe des Beschwerdeführers gewesen, auch diesbezüglich Einwände zu erheben oder einen Vertagungsantrag zu stellen. Ein derartiger Antrag könne der Niederschrift nicht entnommen werden. Zudem sei die Diskrepanz zwischen Verhandlungsausschreibung und Gegenstand der Verhandlung als unwesentlich anzusehen. Bei dieser Rechtslage sei es der Aufsichtsbehörde verwehrt gewesen, auf das weitere, materiell-rechtliche Vorbringen einzugehen.

In der Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes beantragt. Die belangte Behörde beantragt unter Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde. Auch die erstmitbeteiligte Partei beantragt in einer Gegenschrift, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Bei der Behandlung des vorliegenden Beschwerdefalles ist davon auszugehen, daß die oberste Gemeindeinstanz eine Untersuchung der Frage, ob das Bauvorhaben subjektive öffentliche Nachbarrechte des Beschwerdeführers verletze, wegen Annahme der Präklusion ablehnte. Entscheidungswesentlich ist daher lediglich, ob die Präklusion mit Recht und auf Grund eines mängelfreien Verfahrens angenommen wurde. Dazu wird in der Beschwerde, wie bereits in der Verwaltungsebene, vorgebracht, die Ladung zur Bauverhandlung sei wegen Abwesenheit des Beschwerdeführers nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, er habe sich auf die Verhandlung wegen Zeitknappheit nicht ausreichend vorbereiten können, sein Verhalten bei der Verhandlung sei als Vertagungsantrag aufzufassen gewesen und er sei der Abfassung der Niederschrift nur deswegen ferngeblieben, weil er nicht aufmerksam gemacht worden sei, daß die Verhandlung im Hause des Bauwerbers fortgesetzt werde. In der Gegenschrift der belangten Behörde wird dazu der Standpunkt vertreten, dem Beschwerdeführer sei die Ladung tatsächlich zugekommen, weshalb ein allfälliger Zustellmangel als geheilt anzusehen sei. Schließlich habe der Beschwerdeführer auch tatsächlich an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und, offensichtlich nach Erhalt der Ladung, einige Tage vor der Verhandlung beim ehemaligen Gemeindeamt H vorgesprochen, sodaß er auch Zeit gehabt hätte, vor der Verhandlung beim Gemeindeamt I in die Pläne Einsicht zu nehmen. Angesichts der vom Beschwerdeführer in der Verhandlung laut Verhandlungsniederschrift abgegebenen Äußerung habe kein Anlaß bestanden, ihn zu weiteren Einwendungen bzw. zur Stellung eines Vertagungsantrages anzuleiten. Im übrigen habe der Beschwerdeführer in der Vorstellung lediglich behauptet, er sei vor Abfassung der Verhandlungsniederschrift nicht aufgefordert worden, ins Haus des Bauwerbers mitzukommen, wo die Verhandlung offenbar zu Ende geführt worden sei. Es sei ihm daher ohnehin bewußt gewesen, daß die Verhandlung dort fortgesetzt werde. In der Gegenschrift der erstmitbeteiligten Partei wird zum Ausdruck gebracht, der Beschwerdeführer sei im Verlauf der Verhandlung vom Verhandlungsleiter mindestens zweimal aufmerksam gemacht worden, daß sich die Kommission zur Abfassung der Verhandlungsniederschrift in das Wohnhaus des Bauwerbers begebe, und er sei auch eingeladen worden, mitzukommen, was er aber abgelehnt und die Erklärung abgegeben habe, daß er bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen gegen das geplante Bauvorhaben keinen Einwand erhebe, er wolle aber noch fachliche Erkundigungen einholen. Darauf habe sich der Beschwerdeführer entfernt, ohne einen Antrag auf Vertagung der Verhandlung zu stellen. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Ladung zur Bauverhandlung sei der Gemeinde I nicht bekannt gewesen, daß sich der Beschwerdeführer in Oberösterreich (richtig: Ostösterreich) aufgehalten habe; er habe erst anläßlich der Bauverhandlung erklärt, aus beruflichen Gründen in Wien gewesen zu sein. Tatsächlich habe er sich einige Tage vor der Verhandlung beim Gemeindeamt über das Bauvorhaben erkundigt.

§ 42 Abs. 1 und 2 AVG 1950 lautet:

„(1) Wurde eine mündliche Verhandlung durch Anschlag in der Gemeinde oder auch durch Verlautbarung in der für amtliche Kundmachungen im Lande bestimmten Zeitung bekanntgemacht, so hat dies zur Folge, daß Einwendungen, die nicht spätestens am Tage vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht werden, keine Berücksichtigung finden und die Beteiligten dem Parteiantrag, dem Vorhaben oder der Maßnahme, die den Gegenstand der Verhandlung bilden, als zustimmend angesehen werden.

(2) Im Falle einer nur durch Verständigung der Beteiligten anberaumten Verhandlung erstreckt sich die im Abs. 1 bezeichnete Rechtsfolge bloß auf die Beteiligten, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben.“

Aus § 19 AVG 1950 ist abzuleiten, daß die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung in Form eines Ladungsbescheides vorzunehmen ist, weil sich daran unmittelbare Rechtsfolgen - nämlich gegebenenfalls die Präklusion - knüpfen. Ladungsbescheide sind verfahrensrechtliche Bescheide und als solche nach den Bestimmungen der §§ 21 bis 31 AVG 1950 zuzustellen. Im § 23 AVG 1950 heißt es:

„(1) Wird der Empfänger in der Wohnung (Kanzlei, gewerbliche Betriebsstätte, Geschäftsraum, Arbeitsplatz) nicht angetroffen, so kann an jeden daselbst befindlichen, dem Zusteller bekannten erwachsenen Angestellten oder zur Familie gehörigen Hausgenossen des Empfängers zugestellt werden. ...

(7) Wenn der Empfänger seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort nur vorübergehend verlassen hat und ihm das zuzustellende Schriftstück nicht rechtzeitig nachgesendet werden kann, so ist es der Behörde zurückzustellen.“

Aus diesen beiden Bestimmungen ist abzuleiten, daß eine Ersatzzustellung dann unwirksam ist, wenn der Empfänger zum Zeitpunkt der Zustellung seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort vorübergehend verlassen hatte. Eine derartige Behauptung hatte der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren aufgestellt. § 31 AVG 1950 lautet allerdings:

„Unterlaufen bei der Zustellung Mängel, so gilt sie als in dem Zeitpunkte vollzogen, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist.“

Die beiden Gemeindeinstanzen haben nun darüber, ob der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Zustellung des Ladungsbescheides seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort vorübergehend verlassen hat, ferner darüber, ob und wann ihm der Ladungsbescheid tatsächlich zugekommen ist - in der Berufung hatte er lediglich angegeben, davon „Mitteilung“ erhalten zu haben -, keine Ermittlungen angestellt. Dabei wäre ein Zukommen des Ladungsbescheides am Tage vor der Bauverhandlung nach Auffassung des Gerichtshofes nicht als „rechtzeitig“ im Sinne des § 42 Abs. 2 AVG 1950 anzusehen, dies schon deshalb nicht, weil dann die im § 42 Abs. 1 AVG 1950 vorgesehene Möglichkeit, am Tage vor Beginn der Verhandlung Einwendungen vorzubringen, nicht mehr mit Sicherheit ausgenützt werden könnte. Der Verfahrensmangel der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung auf einen zu kurzen Termin kann allerdings von der betroffenen Partei nur dann vor dem Verwaltungsgerichtshof mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn sie einen Vertagungsantrag gestellt hat und ihm nicht entsprochen wurde (siehe Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Dezember 1952, Slg. N. F. Nr. 2785/A). Die Erstinstanz hatte die Frage eines Vertagungsantrages überhaupt nicht behandelt. Die Gemeindebehörde zweiter Instanz nahm zwar - insoweit von der Bauverhandlungsschrift abweichend - als erwiesen an, der Beschwerdeführer habe bei der Bauverhandlung auch erklärt, er wolle noch fachliche Erkundigungen einholen, sie führte aber aus, er habe keinen Antrag auf Vertagung gestellt. Die belangte Behörde ist der in der Vorstellung enthaltenen Behauptung des Beschwerdeführers, er habe sich, da er erst am Vortag der Verhandlung wieder in H sein konnte, um Verlegung des Termines bemüht, was ihm aber als nicht möglich abgelehnt worden sei, nicht nachgegangen. Sie griff auf den Wortlaut der Bauverhandlungsschrift zurück und nahm als erwiesen an, der Beschwerdeführer habe nur erklärt, bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen gegen das Bauvorhaben keinen Einwand zu erheben und habe sich außerdem vor Aufnahme der Niederschrift entfernt. Im vorliegenden Fall weist nun die Bauverhandlungsschrift insofern einen Mangel auf, als trotz der Abwesenheit des Beschwerdeführers bei Abschluß der Niederschrift entgegen der Bestimmung des § 14 Abs. 3 AVG 1950 die Richtigkeit der schriftlichen Wiedergabe von dem die Amtshandlung leitenden Organ nicht ausdrücklich bestätigt wurde. Somit gilt für diese Bauverhandlungsschrift nicht die volle Beweiskraft nach § 15 AVG 1950; der Inhalt der Bauverhandlung war vielmehr gemäß § 45 Abs. 2 AVG 1950 in freier Beweiswürdigung festzustellen. Dazu hätte es allerdings mit Rücksicht auf die Behauptungen des Beschwerdeführers in der Berufung und in der Vorstellung, das Geschehen hätte sich, soweit seine Person betroffen gewesen sei, nicht auf die protokollierte Erklärung beschränkt, weiterer Beweisaufnahmen, insbesondere einer Vernehmung des Verhandlungsleiters, allenfalls auch weiterer Verhandlungsteilnehmer, und eines Vorhaltes des Ermittlungsergebnisses an den Beschwerdeführer (§ 45 Abs. 3 AVG 1950) bedurft, was jedoch nicht geschehen ist.

Während des Verwaltungsverfahrens wurde auch die Frage nicht untersucht, ob dem Beschwerdeführer gehörig bekanntgemacht wurde, daß die Verhandlung nach dem Ortsaugenschein im Hause des Bauwerbers fortgesetzt werde. Die Ausführungen in der Gegenschrift der erstmitbeteiligten Partei im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens können diesem Mangel nicht abhelfen. Wurde aber der Beschwerdeführer, wie er behauptet, durch das Verhalten des Verhandlungsleiters um die Teilnahme am restlichen Teil der Bauverhandlung gebracht, dann könnte ihm eine Präklusion im Sinne des § 42 Abs. 2 AVG 1950 ohne Rücksicht auf seine an Ort und Stelle abgegebene Erklärung nicht entgegengehalten werden, da die Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen bis zum Schlusse der Bauverhandlung besteht.

Somit zeigt sich, daß die Annahme der Präklusion des Beschwerdeführers sowohl von den beiden Gemeindeinstanzen als auch von der belangten Behörde auf Grund eines nicht völlig geklärten Sachverhaltes und auf Grund eines nicht mängelfreien Verfahrens getroffen wurde. Wenn die belangte Behörde von ihrem Recht, den Sachverhalt durch eigene Ermittlungen klarzustellen, nicht Gebrauch machen wollte, so mußte sie bei dieser Situation den Bescheid der obersten Gemeindeinstanz wegen Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers aufheben. Da sie dies nicht getan hat, hat sie ihrerseits den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt. Dem steht nicht entgegen, daß der Gerichtshof insoweit die Auffassung der belangten Behörde teilt, als es nicht Sache des Verhandlungsleiters ist, Parteien ausdrücklich zur Erhebung konkreter Einwendungen oder zur Stellung von Vertagungsanträgen anzuleiten. Auch der im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung, die Einwendung, bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen gegen das Bauvorhaben keinen Einwand zu erheben, sei nicht eine dem Gesetz entsprechende Einwendung, wird beigepflichtet, weil sie nicht genügend konkretisiert ist (siehe etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 1957, Zl. 1078/56). Ebenso trifft es zu, daß eine nach § 42 Abs. 1 und 2 AVG 1950 eingetretene Präklusion für das ganze weitere Verfahren vor der Baubehörde, vor der Aufsichtsbehörde und vor dem Verwaltungsgerichtshof verbindlich ist (siehe Erkenntnis vom 12. September 1966, Slg. N.F.Nr. 6980/A).

Dennoch war aber aus den vorhin dargestellten Gründen der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 316/1976, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965, in der vorzitierten Fassung, und die Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221. Dabei konnten die vom Beschwerdeführer verzeichneten Stempelgebühren nur insoweit zuerkannt werden, als sie mit der Beschwerdeführung notwendigerweise verbunden waren, also nur in einem Ausmaß von S 280,-- an Eingabengebühr, S 70,-- an Vollmachtstempel und S 40,-- an Beilagenstempeln; dies ergibt zusätzlich des Schriftsatzaufwandes nach Z. 1 der zitierten Verordnung in Verbindung mit deren Art. III Abs. 2 einen Gesamtbetrag von S 8.450,--.

Soweit in diesem Erkenntnis Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert sind, welche in der Amtlichen Sammlung nicht verlautbart wurden, wird an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Wien, am 10. September 1981

Schlagworte

Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1981:1979002205.X00

Im RIS seit

14.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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