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Verwaltungsverfahren - AVGNorm
ZustG §16 Abs2Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Wetzel, Dr. Puck und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde der AH KG in D, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Kirchstraße 2, gegen den Bescheid des Vorarlberger Landesregierung vom 19. Oktober 1988, Zl. IIIa-230/37, betreffend Zurückweisung einer Vorstellung in einer Abgabensache als verspätet (mitbeteiligte Partei: Stadt D), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus der Beschwerde und aus dem ihr in Ablichtung angeschlossenen angefochtenen Bescheid geht der folgende entscheidungswesentliche Sachverhalt hervor:
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen einen in einer Abgabensache ergangenen Bescheid der Abgabenkommission der Stadt D vom 27. Juni 1988 als verspätet zurück. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß der mit Vorstellung bekämpfte Bescheid, der gemäß § 83 Abs. 1 Vorarlberger Gemeindegesetz, LGBl. Nr. 40/1985, eine Belehrung über die zweiwöchige Vorstellungsfrist enthalten habe, nach der Aktenlage am 6. Juli 1988 von der am 9. Jänner 1970 geborenen und als Lehrling im dritten Lehrjahr bei der Beschwerdeführerin beschäftigten „Frau“ AH (in der Folge kurz: Ersatzempfänger) übernommen worden sei. Dementsprechend sei die zweiwöchige Vorstellungsfrist bei der sich aus § 46 Abs. 2 des Vorarlberger Abgabenverfahrensgesetzes, LGBl. Nr. 23/1984 (AbgVG), ergebenden Fristenberechnung am 20. Juli 1988 abgelaufen. Der Ersatzempfänger sei im Zeitpunkt der Ersatzzustellung am 6. Juli 1988 zwar erst zirka 18 Jahre und sechs Monate alt gewesen, dieser Umstand hindere es aber nicht, ihn als „erwachsen“ im Sinne des § 16 Abs. 2 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, anzusehen. Dem Motivenbericht zum AbgVG (erste Beilage im Jahre 1971 zu den Sitzungsberichten des XXI. Vorarlberger Landtages) sei nämlich zu entnehmen, daß die §§ 30 bis 38 dieses Gesetzes - nunmehr die §§ 30 bis 45 leg. cit. - im wesentlichen den §§ 21 bis 31 AVG 1950 - nun geregelt im Zustellgesetz - gefolgt seien. § 16 Abs. 2 des Zustellgesetzes entspreche wortgenau dem § 36 Abs. 2 AbgVG. Demnach könne jede erwachsene Person Ersatzempfänger sein, die Arbeitnehmer des Empfängers sei und die - außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebe - zur Annahme bereit sei; das letztangeführte Tatbestandsmerkmal werde durch die tatsächliche Übernahme des Bescheides der Abgabenkommission der Stadt D vom 27. Juni 1988 durch den Ersatzempfänger hinreichend nach außen dokumentiert. Daß der in Vorstellung gezogene Bescheid dem Komplementär der Beschwerdeführerin als dem nach außen handlungsbefugten Organ erst am 8. Juli 1988 tatsächlich zugekommen sei, ändere nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nichts daran, daß die Ersatzzustellung bereits zwei Tage vorher wirksam geworden sei und daher die Vorstellungsfrist zu laufen begonnen habe. Bei Ersatzzustellungen eines Bescheides falle dessen verspätete Übergabe an den Bescheidadressaten diesem zur Last. Der Adressat sei demnach gehalten, sich nach der Ausfolgung des Bescheides verläßlich zu vergewissern, an welchem Tage die Ersatzzustellung vorgenommen worden sei. Er dürfe sich nicht darauf verlassen, daß die Ersatzzustellung am selben Tag erfolgt sei, an dem ihm der Bescheid tatsächlich zukomme. Die erst am 22. Juli 1988 zur Post gegebene Vorstellung der Beschwerdeführerin habe daher als verspätet zurückgewiesen werden müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem „Recht auf inhaltliche Behandlung der Vorstellung (Nichtzurückweisung der Vorstellung als verspätet)“ verletzt. Zur Begründung führt die Beschwerdeführerin im wesentlichen aus, der Ersatzempfänger sei im Zeitpunkt der Ersatzzustellung noch nicht volljährig gewesen und könne daher nicht als „erwachsen“ im Sinne des § 16 Abs. 2 Zustellgesetz angesehen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 16 Abs. 2 des Zustellgesetzes kann Ersatzempfänger jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die - außer wenn sie mit dem Empfänger in gemeinsamen Haushalt lebt - zur Annahme bereit ist.
Von den Tatbestandsmerkmalen nach dieser Gesetzesstelle ist im Beschwerdefall lediglich strittig, ob der Ersatzempfänger am 6. Juli 1988 vom Zustellorgan als „erwachsen“ angesehen werden durfte oder nicht. Abgesehen von der damals noch fehlenden Volljährigkeit des Ersatzempfängers behauptet die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde keine Umstände, derentwegen das Zustellorgan diese Eigenschaft des Ersatzempfängers hätte bezweifeln müssen.
Ob eine Person „erwachsen“ ist, ist vom Zusteller nach den jeweils verbreiteten Auffassungen zu beurteilen (vgl. Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht, Anmerkung 15 zu § 16, unter Bezugnahme auf Mayer, Das Recht der Zustellung im AVG und in der BAO - eine interne Prozeßrechtsvergleichung, ÖJZ 1973, 176, und auf Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen II, S. 586). Nach der Rechtsprechung setzt „Erwachsenheit“ zwar Mündigkeit, nicht aber Volljährigkeit voraus (vgl. hiezu die zu § 23 Abs. 1 AVG 1950 ergangenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Dezember 1980, Zlen. 1795, 1797/80, Slg. Nr. 10329/A, und vom 3. Februar 1987, Zl. 87/07/0005). Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 25. Jänner 1984, 3 Ob 180/83, SZ 57/22, ist Eigenberechtigung des Ersatzempfängers kein Erfordernis einer gültigen Zustellung nach § 16 des Zustellgesetzes. Berchtold spricht auf Seite 32 seiner Textausgabe des Zustellgesetzes davon, daß die als Ersatzempfänger in Betracht kommende erwachsene Person handlungsfähig sein müsse, ohne aber ausdrücklich volle Handlungsfähigkeit zu fordern.
Die Lehre ist daher zumindest überwiegend und die Rechtsprechung einhellig der Auffassung, daß der Begriff „erwachsen“ im Sinne des § 16 Abs. 2 des Zustellgesetzes nicht mit „volljährig“ gleichzusetzen ist, das Zustellgesetz also nicht notwendig Volljährigkeit des Ersatzempfängers voraussetzt.
Dagegen spricht auch nicht die von der Beschwerdeführerin erwähnte Definition des Begriffes „erwachsen“ im Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden, 1981, als: „Der Kindheit, dem Jugendalter entwachsen, volljährig“, weil das letzte Wort der Definition durchaus bloß den Sinn haben kann, klarzumachen, daß mit Erreichung der Volljährigkeit eine Person jedenfalls als erwachsen anzusehen ist, nicht aber, daß „erwachsen“ und „volljährig“ Synonyme sind.
Gegen die Rechtsansicht der Beschwerdeführerin spricht insbesondere, daß es der Gesetzgeber vermieden hat, im § 16 Abs. 2 des Zustellgesetzes auf die Volljährigkeit des Ersatzempfängers abzustellen, obwohl eine solche Regelung im Hinblick auf den klaren Inhalt dieses Begriffes leichter zu vollziehen gewesen wäre als die der in Rede stehenden Gesetzesbestimmung. Der Gesetzgeber traf vielmehr in § 16 Abs. 2 des Zustellgesetzes in der offenbaren Absicht, den Zustellorganen die Entscheidung über die Zulässigkeit von Ersatzzustellungen zu erleichtern, eine Regelung, die das Erscheinungsbild der als Ersatzempfänger in Betracht kommenden Person als erwachsen zum Tatbestandsmerkmal erhob.
Da aus diesen Gründen schon der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, ist die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 22. Dezember 1988
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1988:1988170232.X00Im RIS seit
14.01.2021Zuletzt aktualisiert am
14.01.2021